Fremder Feind von Varlet ================================================================================ Kapitel 19: Im Hotel -------------------- Jodie lag im Bett und sah nach oben an die weiße Decke. In ihrem Kopf drehte sich alles. Eine Erinnerung nach der nächsten verschwamm und kehrte wie neu zusammengesetzt zurück. Wenigstens hatten die Kopfschmerzen aufgehört und Jodie konnte langsam wieder klarer Denken. Der Schleier, den sie all die Zeit verspürt hatte, wurde endlich gelüftet und sie fühlte sich wie befreit. Endlich konnte sie wieder die sein, die vor dem schrecklichen Unfall – so nannte es beinahe jeder – am Hafen vor einem Jahr existierte. Außerdem konnte Jodie endlich die Wahrheit von der Lüge unterscheiden, sie wusste wieder wer Freund und wer Feind war. Jodie schluckte. Ein Jahr hatte sehr vieles verändert. Vollgestopft mit Medikamenten hatte sie ihren schlimmsten Feinden – zu denen sie einst selbst gehörte und sie sogar ihre Familie nannte – vertraut und war ihnen weiterhin hörig. Und wozu? Sie hatten sie wieder einmal für ihre eigenen Zwecke benutzt und in die Hölle des Löwen geschickt. Und so hätte sie beinahe einem wichtigen Menschen das Leben genommen. Glücklicherweise war alles anders gekommen und Dai – Shuichi - brachte ihr ohne es zu wollen die Erinnerung zurück. Langsam schlug Jodie die Decke weg und setzte sich auf. Sie sah durch den Raum und lächelte leicht. Obwohl zwischen Tokyo und New York mehr als nur ein kontinentaler Unterschied lag, ähnelten sich seine Schlafzimmer. Sie waren gleichermaßen kühl eingerichtet – so als würde er jeden Moment damit rechnen umziehen zu müssen – strahlten aber auch eine gewisse Wärme und Geborgenheit aus. Die Amerikanerin schmunzelte bei dem Gedanken ihn endlich wieder zu sehen und dabei bei klarem Verstand zu sein. Zwar erinnerte sie sich an die Gespräche der letzten Tage mit ihm, aber trotzdem war sie nervös und neugierig zugleich. Sie stand auf und sah an sich runter. Auch wenn seine Sportsachen frisch aus der Wäsche kamen, vernahm sie noch immer seinen Geruch. Unweigerlich setzte sich eine Gänsehaut auf ihren Körper und Jodie musste wie ein kleines Schulmädchen kichern. Bei jedem Schritt in Richtung des Wohnzimmers zitterten ihre Beine, obwohl gar kein Grund dafür bestand. Dennoch hatte sie Angst vor seiner Reaktion und vor dem, was sich im letzten Jahr alles verändert hatte. Als Jodie im Wohnzimmer stand, fiel ihr Blick sofort auf den FBI Agenten. Sie beobachtete ihn einen kurzen Moment und lächelte. Es war als hätte er ihre Anwesenheit gespürt, da er sofort die Augen aufschlug. Automatisch wich Jodie ein paar Schritte nach hinten. „Jodie“, gab der Agent von sich und setzte sich abrupt auf. Unweigerlich musterte sie ihn. Von oben nach unten – bis sie an der störenden Decke ankam. „Ich…ich wollte…dich nicht…wecken“, murmelte sie leise. „Hab eh nicht mehr geschlafen“, antwortete Akai. „Aber ich dachte, ich würde dich wecken, wenn ich in der Küche zugange bin.“ „Ich glaube, dass…hättest du nicht geschafft“, sagte sie. „Ich hab sehr tief geschlafen. Das Mittel vom Arzt hat sehr gut gewirkt.“ Shuichi nickte verstehend. „Geht es dir jetzt besser?“, wollte er wissen. „Ja, ich fühle mich wieder klarer im Kopf“, gestand sie. „Und…ich kann mich wieder erinnern.“ Shuichi schluckte. Auf einmal spukten ihm zu viele Gedanken im Kopf herum. Was hatte sie alles im vergangenen Jahr erlebt? Wie schwer lasteten die Wunden auf ihrer Seele? Was fühlte sie? Langsam rückte Shuichi zur Seite und Jodie nahm neben ihm Platz. „Jodie, ich…“, murmelte er leise. „Ich bin damals zurück gekommen. Ich habe gesehen…wie du auf dem Boden lagst“, erzählte er. „Black und Camel…haben mich weggebracht und…ich hatte keine Chance und bin im Krankenhaus wach geworden. Einige Tage später bin ich zurück zum Hafen und habe nach Hinweisen gesucht…allerdings musste ich wieder nach New York zurück kehren. Es tut mir leid. Ich hätte…noch mehr nach dir suchen müssen.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Du hast…sicher getan, was du konntest“, wisperte sie. „Ich wollte…damals gehen, aber…Vermouth und Calvados kamen mir zuvor. Sie hat auf mich…geschossen, aber ich bin…wegen meiner Verletzungen zusammen gebrochen. Gerade als sie…als sie mich erschießen wollte, erhielt sie einen Telefonanruf. Und dann nahmen sie mich mit…“ Shuichi legte den Arm um sie und drückte sie an sich. „Ich bin im Krankenhaus zu mir gekommen“, erzählte sie leise. „Alle meine Erinnerungen waren weg und sie redeten mir…eine andere Vergangenheit ein. Ein Teil von mir…kannte aber immer die Wahrheit…nur gab es nie die Chance, dass sie an die Oberfläche kommt…denn immer wenn es soweit war, musste ich die Pillen nehmen. Irgendwann habe ich geglaubt, dass es Schmerzmittel sind und sie regelmäßig eingenommen. Sie haben mich schließlich hergeschickt, damit…ich dich erledige.“ „Und…Ackermann? Was hat er damit zu tun?“, wollte Shuichi wissen. „Ackermann hat früher in Japan gelebt…mit seiner Frau. Die Familie in die er eingeheiratet hat, hat Geld, also sollte ich sie um dieses erleichtern. Danach hatte er Angst und zog weg. Wir haben uns hier zufällig getroffen und natürlich will die Organisation kein Risiko eingehen.“ „Verstehe“, gab Akai von sich. „Deswegen solltet ihr euch um ihn kümmern.“ Akai überlegte. „Ackermann wurde tot aufgefunden.“ „Was?“ Jodie schluckte. „Dann hat Amuro…?“ „Ich glaube nicht, dass er es gewesen ist. Als wir gestern Nacht nach Hause gekommen sind, ist sein Tod öffentlich geworden. Wenn die Organisation nicht noch jemanden auf dem Schiff hatte, hatte er entweder einen anderen Feind oder es war Selbstmord. Ich werde mir heute noch die Ermittlungsergebnisse vom NYPD geben lassen.“ „In Ordnung“, sagte Jodie leise. „Hast du mich…schon deinem Vorgesetzten gemeldet?“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Ich wollte zuerst sicher gehen, dass es dir heute früh besser geht.“ „Und…was machen wir jetzt?“ „Du hast in der Nacht dein Medikament gewollt“, begann Shuichi. „Ich habe die Pille Dr. Lambert mitgegeben, damit er sich die Zusammensetzung anschaut. Wenn die Organisation tatsächlich etwas hat, womit sie Erinnerungen unterdrücken können, müssen wir entweder dafür sorgen, dass wir sie zerstören oder wir müssen ein Gegenmittel finden.“ „Dann…braucht ihr mehr von dem Medikament“, entgegnete die Amerikanerin. „Im Hotelzimmer hab ich noch mehr.“ „Dann sollten wir ins Hotel. Vielleicht finde ich dort auch einen Hinweis auf die Organisation.“ Jodie schluckte. „Hältst…hältst du das…für eine gute Idee?“ „Hast du Angst?“, wollte der FBI Agent wissen. „Ich…ich weiß nicht“, murmelte sie. „Wenn Amuro dort ist…“ Shuichi dachte nach. „Er wird dir nichts tun. Das verspreche ich dir“, murmelte er. „Ich kann uns ein kleines Zeitfenster verschaffen.“ „Wie?“ Shuichi stand auf. „Ich zieh mich an und wir fahren los. Ich erklär dir den Plan unterwegs.“ „Äh“, gab Jodie irritiert von sich. „Am besten du nimmst dann auch aus dem Hotel ein paar Sachen mit. Nicht, dass dir meine Sachen nicht stehen würden…“ „Ich weiß schon“, entgegnete Jodie etwas schmunzelnd. Shuichi parkte den Wagen und sah zu Jodie. „Bist du soweit?“, wollte er wissen. Jodie war angespannt und beobachtete den Eingang zum Hotel. Sie nickte, auch wenn es nicht der Wahrheit entsprach. Jodie ging den Plan ein weiteres Mal in ihrem Kopf durch: Shuichi würde im Hotel anrufen und nach Amuro verlangen. Anschließend würde er das Organisationsmitglied zu einem Treffen bewegen und warten bis dieser das Hotel verließ. Direkt danach würden sie ihr Hotelzimmer aufsuchen, ihre Sachen und Beweise gegen die Organisation holen und wieder zurück fahren. Wenn sie den Plan richtig umsetzten, würde Amuro den Schwindel erst bemerken, wenn es zu spät war. „Jodie“, begann er. „Komm, schau mich an.“ Jodie blickte zaghaft zu ihm. „Du schaffst das, hörst du? Ich weiß, dass du stärker bist als du denkst. Du hast schon so vieles überlebt und wenn du uns hilfst, kommen wir gegen die Organisation an.“ „Wir schaffen das“, wisperte Jodie leise. „Genau“, sagte er mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Er beugte sich zu ihr und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen. „Ich lass dich nicht alleine.“ „Du weißt…wie man mich beruhigt und wie man mir Mut macht“, entgegnete sie. „Als ob ich dich nach einem Jahr einfach allein lassen würde.“ „Wenn du noch so weiter machst, fang ich an zu weinen…was überhaupt nicht meine Art ist“, fing Jodie an. „Lass uns also anfangen.“ Shuichi nickte und zog sein Handy heraus. „Wenn Amuro draußen ist, haben wir nicht viel Zeit“, sprach er und wählte die Nummer der Rezeption. „Hudson Hotel, Sie sprechen mit Weaver, wie kann ich Ihnen helfen?“, wollte der Mann am anderen Ende der Leitung wissen. „Hier spricht Akai, bitte leiten Sie mich zu Herrn Amuro weiter. Er soll bei Ihnen übernachten.“ „Einen Moment, bitte.“ Shuichi hörte das schnelle Tippen auf der Tastatur. „Oh, das tut mir leid. Der Gast aus Zimmer 235 hat heute Morgen ausgecheckt. Soll ich Sie zu seiner Begleitung auf Zimmer 236 weiterleiten?“ „Oh“, gab Akai überrascht von sich. „Das ist nicht nötig. Danke trotzdem“, fügte er hinzu und legte auf. Er steckte das Handy in seine Hosentasche und sah zu Jodie. „Amuro hat heute früh das Hotel verlassen. Es scheint, als würde er nicht mehr zurück kommen.“ „Was?“, wisperte Jodie ungläubig. „Und…meine Sachen…ich…“ „Er hat ausgecheckt. An deiner Reservierung hat sich nichts geändert.“ Shuichi verschränkte die Arme. „Es könnte auch nur ein Trick sein und er beobachtet ab jetzt das Hotel und wartet auf deine Ankunft. Oder er ist zurück nach Tokyo. Allerdings…“ Shuichi runzelte die Stirn. „Allerdings?“ „Allerdings hätte er dann dafür gesorgt, dass deine Sachen verschwinden.“ Akai öffnete die Wagentür. „Was auch immer hier vorgeht, ich werde es heraus finden. Wir bleiben bei unserem Plan und gehen deine Sachen holen. Sollte Amuro zurück kommen, bin ich vorbereitet.“ Jodie nickte und stieg langsam aus dem Wagen. „Ich versteh das nicht.“ „Ich auch noch nicht“, gestand der FBI Agent. „Ich werde nicht noch einmal zulassen, dass dich die Organisation in ihre Hände bekommt“, fügte er hinzu. Er ging an den Kofferraum, holte eine Reisetasche heraus und betrat anschließend mit Jodie das Hotel. Shuichi ließ seinen Blick durch die Eingangshalle schweifen und als er sich sicher fühlte, ging er zu den Treppen. „Sind sicherer als der Fahrstuhl“, kommentierte er leise. Jodie nickte verstehend und folgte ihm bis zu ihrem Zimmer. Sie stand vor der Tür und schluckte. Ein Bitte nicht stören-Schild hing am Türknauf und Jodie überkam ein ungutes Gefühl. „Hast du den Schlüssel.“ „Ja“, murmelte sie leise und öffnete die Tür. Das Zimmer wurde chaotisch hinterlassen. Die Bettwäsche lag auf dem Boden, ihre Reisetasche wurde durchwühlt und ihre Kleidung lag überall verstreut herum. „Er war hier“, stellte Shuichi fest. Jodie sah sofort zur Durchgangstür. „Er hat bei der Reservierung darauf geachtet, dass die Zimmer miteinander verbunden sind.“ „Ich kümmer mich darum“, entgegnete der FBI Agent. Er zog seine Dienstwaffe heraus und ging auf die Durchgangstür zu. Langsam legte er seine Hand auf die Türklinke. Anspannung lag in der Luft und als er die Klinke herunterdrückte, passierte nichts. „Abgeschlossen.“ Jodie seufzte vor Erleichterung auf, während Shuichi seine Dienstwaffe wieder in das Holster steckte. „Kannst du schon vorab einschätzen, ob etwas fehlt?“, wollte er wissen. „Das kann ich“, murmelte Jodie. „Ich hab auf dem Flug ein paar Unterlagen zu deiner Person bekommen. Sie sind alle weg.“ Anschließend kramte Jodie in ihrer Handtasche. „Die Tabletten sind auch weg. Er hat…hier aufgeräumt.“ Shuichi verschränkte die Arme. „Das hab ich mir schon gedacht.“ Er blickte zu ihr. „Pack jetzt ein paar Sachen in die Tasche, die ich dir mitgab. Wir wissen nicht, was die Organisation verwanzt hat, also nimm nichts mit, was uns verraten könnte.“ „Ich beeil mich“, kam es von Jodie. Sie ging in das Badezimmer und holte aus ihrem Kulturbeutel alle notwendigen Utensilien heraus. Den Rest würde sie später einfach nachkaufen. Jodie atmete tief durch. Ein Augenblick hatte alles verändert und jetzt war sie auf der Flucht vor der Organisation – schon wieder. Sie kam zurück ins Zimmer und sah ihre Kleidung durch. Etwa zwanzig Minuten später klopfte es an der Zimmertür. Jodie sah irritiert dorthin, während Shuichi bereits die Hand an seinem Holster hatte. „NYPD“, rief ein Mann. „Bitte machen Sie die Tür auf. Shuichi verengte die Augen. „Bleib zurück“, sagte er zu Jodie und ging an die Zimmertür. Er setzte einen entspannten Gesichtsaufdruck auf und öffnete. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ Der Polizist sah ihn irritiert an. „Ich bin Detective Rogers, das ist mein Partner Detective West“, stellte er sich vor. „Wir sind hier wegen Miss…Amuro?“ Jodie schluckte. „Worum geht es?“ Detective Rogers sah an ihm vorbei. „Miss? Wir müssen Sie bitten uns aufs Revier zu begleiten.“ Jodie wich einen Schritt nach hinten. „Aber…warum…?“, wollte sie leise wissen. „Es geht um eine Befragung im Fall Ackerman. Sie haben bestimmt heute Morgen in den Nachrichten davon gehört.“ Shuichi zückte unverzüglich seinen Dienstausweis. „Ich bin FBI Special Agent Akai. Ich habe den Fall Ackermann übernommen.“ „Das FBI hat was?“, wollte Detective West etwas lauter wissen. „Das darf doch nicht wahr sein…schon wieder schnappt uns das FBI einen Fall weg“, zischte er wütend. Akai steckte seinen Dienstausweis wieder ein und holte seine Visitenkarte heraus. „Darauf finden Sie meine Mail Adresse. Schicken Sie mir all Ihre Informationen so schnell wie möglich zu. Wenn ich alles gesichtet habe, können wir uns um 13 Uhr zur Übergabe zusammen setzen.“ „Wenn es sein muss…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)