Fremder Feind von Varlet ================================================================================ Kapitel 18: Bei Shuichi ----------------------- Nur langsam kam Jodie aus dem Badezimmer heraus. Sie wirkte wie ein junges Schulmädchen, das nicht wusste, was es tun sollte. Ihre Haare waren noch nass und Shuichis Sportsachen waren ihr mindestens zwei Nummern zu groß. Dennoch sah sie atemberaubend aus, als sie in die Küche kam und das Wasser langsam von ihren Haaren auf ihren Hals herunter perlte. Einen kurzen Moment verfolgte der FBI Agent den Weg des Wassertropfens und überließ den Rest seiner Fantasie. Shuichi schüttelte den Kopf und legte sein Handy auf den Küchentisch. „Ich hab dir Tee gekocht.“ „Danke“, gab Jodie leise von sich und setzte sich zu ihm auf die Sitzbank. Sie nahm die Tasse und sah in das heiße Getränke. „Geht es dir etwas besser?“, wollte Akai wissen. „Ein wenig“, antwortete Jodie. „Mir ist wieder warm und…ich…ich glaube dir.“ „Mhm?“ Er sah sie überrascht an. „Ich erinnere mich nicht daran, was damals passiert ist“, entgegnete sie ruhig. „Aber wenn es eine Lüge gewesen wäre, hätte Amuro vorhin ganz anders reagiert. Es schien irgendwo so, als hättest du ihn in die Enge getrieben. Er wusste nicht mehr, was er machen sollte. Und das kommt bei den Mitgliedern sehr selten vor. Es lag auch nicht an den Bluff mit den FBI Agenten am Haus. Den hat er sicher durchschaut.“ „Mag sein“, kam es von Shuichi. „Möchtest du mir erzählen, was in dem letzten Jahr passiert ist?“ Jodie schluckte. „Eigentlich nicht“, antwortete sie. „Aber ich hab wohl keine andere Wahl.“ „Du hast immer eine Wahl, Jodie“, sagte er energisch. „Du bist hier keine Gefangene. Wenn du gehen willst, kannst du gehen, auch wenn es besser wäre, wenn du bleibst. Ich will dir helfen, Jodie, aber wenn du nicht darüber reden willst, musst du das auch nicht.“ „Mhm…“, murmelte Jodie. „Ich bin damals im Krankenhaus wach geworden. Mir tat alles so weh…mein Bauch…und mein Kopf“, begann sie. „Chris hat mich jeden Tag im Krankenhaus besucht und sich um mich gekümmert. Sie hat mir eine Wohnung besorgt und mir immer etwas zu Essen vorbei gebracht. Ich fand das Leben gar nicht so schlimm…aber dann kamen langsam ein paar Erinnerungen wieder. Es waren…nur Bruchstücke und ich konnte sie nicht zuordnen. Ich wusste, dass meine Eltern ermordet wurden…“ Shuichi schluckte. „Und dann haben sie dir eingeredet, dass ich für dein Unglück verantwortlich bin?“ Jodie nickte zaghaft und nahm einen Schluck von ihrem Tee. „So in etwa. Sie haben mir anfangs nie gesagt wer du bist und ich konnte auch nie dein Gesicht in meinen Erinnerungen erkennen. Aber vor einigen Tagen dann…wurden die Erinnerungen immer stärker. Ich habe jenen Abend gesehen. Ich war zu Hause…bei meinen Eltern und dann…saß ich bei dir im Wagen. Das Feuer brannte und das Haus…Anschließend warst du…mit mir…auf der Flucht…dein Wagen hat sich überschlagen“, murmelte sie. „Du hast mir…zwar rausgeholfen, aber dann…lag ich mit einer Schusswunde auf dem Boden und…du warst weg…und…“ „Schon gut.“ Shuichi legte seine Hand auf ihre. „Du musst nicht weiter erzählen, wenn du nicht willst.“ „Chris war da…sie sagte, sie kämen gerade noch rechtzeitig…und weil du dich in Bedrängnis sahst, bist du gefahren…ohne dein Werk zu beenden. Ich bin daraufhin ins Krankenhaus gebracht worden.“ Shuichi strich ihr über die Hand. „Es ist alles okay.“ „Als ich dein Gesicht…in meinen Erinnerungen sah…erzählten sie mir, dass du…hier immer mehr unserer Leute umbringst. Deswegen…wollten sie, dass ich dich aus der…Reserve locke.“ „Das dachte ich mir“, gab Akai von sich. „Du weißt, sie werden nicht aufgeben.“ „Mach dir darum keine Sorgen“, sagte Shuichi mit einem Lächeln. „Sie versuchen es schon seit einiger Zeit und wie du siehst, lebe ich noch. Ich bin zäher als ich aussehe. Allerdings…werden sie dich jetzt auch ins Visier nehmen.“ „Das dachte ich mir schon“, entgegnete Jodie leise. „Was…was ist vor einem Jahr an jenem Abend wirklich passiert?“ Shuichi runzelte die Stirn. „Bist du sicher, dass du dafür schon bereit bist?“ „Ich glaube nicht, dass ich je dafür bereit sein werde. Und wer weiß, wann und ob ich meine Erinnerungen überhaupt wiederbekomme.“ „In Ordnung“, sprach Akai. „Ich hatte dir damals davon erzählt, dass du die Tochter eines FBI Agenten bist und du wolltest mit meinem Vorgesetzten sprechen. Wir trafen uns in einem Restaurant, aber es kam Vermouth…also Chris in einer Verkleidung. Da sie uns von Anfang an erledigen wollte, hat sie dir die Wahrheit erzählt und die Entführung gestanden. Sie hat uns schließlich mit einer Waffe bedroht und wir sind notgedrungen mit nach draußen gegangen. Wir konnten zwar entkommen, aber sie und ein Scharfschütze der Organisation sind uns gefolgt. Sie schossen uns in die Reifen und der Wagen überschlug sich. Ich habe erst viel zu spät bemerkt, dass du angeschossen wurdest“, erzählte er sachlich. „Du wolltest, dass wir erst einmal getrennt fliehen, damit die Chancen größer werden. Gerade als ich weg war, fiel ein Schuss. Ich bin sofort wieder zurück, aber du lagst regungslos am Boden.“ Shuichi schluckte. „Ich wollte dich retten, aber mein Vorgesetzter und Camel schlugen mich nieder und brachten mich in ein Krankenhaus. Sie sind später erst wieder zurück an den Hafen gefahren, haben aber deine Leiche nie gefunden. Dennoch glaubten wir alle, dass du gestorben bist…weil sie einen Fehler nicht zweimal machen würden…“ Jodie schluckte. Sie hatte angefangen zu weinen und wischte sich die Tränen weg. „Ich ließ mich…von ihnen manipulieren.“ „Das war nicht deine Schuld“, entgegnete Akai und zog sie an sich heran. „Du hast nichts falsch gemacht, Jodie“, fügte er hinzu. Wie in Trance schmiegte sich Jodie an seinen Brustkorb. Das Gefühl kam ihr vertraut vor und es fühlte sich gut an. Sie hätte eine Ewigkeit in dieser Position verharren können. Jetzt wurde ihr bewusst, warum sie sich wohl damals auf ihn einließ. Er gab ihr das Gefühl, dass sie wichtig war und sich in Sicherheit befand. Nach einer gefühlten Ewigkeit hob sie den Kopf und sah in seine tiefgrünen Augen. Auf einmal geisterten so viele Gedanken, Wünsche und Fragen durch ihren Kopf und sie alle wollten an die Außenwelt gelangen. Als sein Blick langsam und fast hypnotisch zu ihrem Mund wanderte, schaltete sich ihr Verstand aus. Jodie bemerkte gar nicht, dass sie sich ihm langsam entgegenstreckte und die Augen schloss. Kurz bevor es zum Kuss kam, klingelte das Handy des FBI Agenten. Sofort fuhren die beiden wie die Teenager auseinander. Shuichi räusperte sich. „Ich muss da ran gehen.“ Jodie nickte verständnisvoll, sodass Akai das Gespräch entgegennahm. „Was gibt es?“ „Hast du die Nachrichten gehört?“, wollte Camel aufgebracht wissen. „Leider ja“, antwortete Shuichi und seufzte. „Und was denkst du darüber?“ „Ohne eine offizielle Beauftragung können wir in dem Fall nicht ermitteln“, entgegnete der FBI Agent. „Noch ist nicht viel bekannt.“ „Und wenn dieser Amuro doch zurück an den Hafen fuhr?“ „Dann werden wir dafür keinerlei Beweise finden“, sprach Shuichi ruhig. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde mich morgen mit dem NYPD in Verbindung setzen und die bisherigen Ermittlungsergebnisse anfragen. Aber nach allem was ich über ihn weiß, halte ich einen Selbstmord für nicht ausgeschlossen.“ „Mhm…“, murmelte Camel nachdenklich. „Wie geht es Jodie? Weiß sie schon davon?“ Shuichi sah aus dem Augenwinkel zu ihr. Er verfluchte seinen Kollegen dafür, dass er ihren ersten intimen Moment seit den Geschehnissen gestört hatte. „Ganz gut. Ich melde mich morgen“, antwortete er und legte auf. „Du hättest ruhig weitere telefonieren können.“ Shuichi schüttelte den Kopf. „Passt schon. Möchtest du dich schlafen legen?“ Jodie nickte zaghaft. „Ich bereite dir das Bett vor.“ Shuichi stand auf. „Das Sofa reicht mir.“ „Das Sofa ist bereits durch mich besetzt“, konterte der FBI Agent und verließ den Raum. Er ging in sein Schlafzimmer und holte Kleidung für den nächsten Tag, sowie Bettwäsche aus dem Bettkasten heraus. Jodie beobachtete ihn. „Diskussionen bringen wohl nichts“, murmelte sie. „Richtig“, lächelte er und ging zu ihr. „Wenn du etwas brauchst, bedien dich ruhig. Gut Nacht“, fügte er hinzu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht“, sagte Jodie und sah ihm nach. Shuichi brachte die Sachen ins Wohnzimmer und bereitete sein nächtliches Quartier vor. Danach zog er den Laptop aus der Ablage des Tisches hervor und startete diesen. Er tippte sein Passwort ein und recherchierte über den Verstorbenen. Unruhig wälzte sich Jodie im Bett hin und her. Andauernd nahm sie eine neue Schlafposition ein, bis sie schließlich mit einem spitzen Schrei wach wurde. Mit einem Mal saß Jodie auf dem Bett. Sie schwitzte und hielt sich den Kopf. Jodie schaukelte hin und her. „Nein…nein…nein…“, wisperte sie leise. „Bitte..nicht…nicht schon wieder…“ Shuichi kam in Boxershorts ins Schlafzimmer gelaufen. „Was ist passiert?“, wollte er sofort wissen und sah zu ihr. „Oh, Jodie“, wisperte er leise. Er setzte sich zu ihr ans Bett und zog sie in seine Arme. „Es ist alles gut. Du hattest nur einen Albtraum“, flüsterte er ihr zu. „Nein…nein…mein Kopf…mein Kopf…tut so weh…“ Akai drückte sie an sich. „Alles ist gut…alles ist gut“, wiederholte er. „Ich…ich brauch…mein Medikament…“ „Medikament?“ Nun wurde der FBI Agent hellhörig. „Was für ein Medikament nimmst du?“ „Gegen…die Kopfschmerzen…“ „Du meinst Aspirin?“ Jodie schüttelte den Kopf. „Es ist…ein stärkeres…Schmerzmittel.“ „Hast du häufig diese Art von Kopfschmerzen?“ „Jeden Tag…wenn ich das Medikament nicht nehme…das sind die Folgen…vom Unfall damals…“ Sie kniff die Augen zusammen. „Die Bluse…sie hat eine kleine Tasche…dort ist eine…Pillendose für…den Notfall. Bitte…ich brauche…eine Pille…“ Shuichi strich ihr behutsam über den Rücken. Auf einmal wurde die Wahrheit so klar. „Jodie? Erinnerst du dich, was du mir vorhin erzählt hast? Du hast manchmal Erinnerungsfetzen und jetzt sagst du mir, dass die jeden Tag Medikamente nehmen musst. Ich weiß, es klingt sehr unglaubwürdig, aber hast du mal daran gedacht, dass die Organisation deine Erinnerungen damit unterdrückt?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein…es tut…so weh…es tut…weh…“ Jodie schluchzte. „Schh…sch…das kriegen wir hin“, murmelte er. „Ich rufe einen befreundeten Arzt an, in Ordnung? Er kann dir sicher helfen.“ „Okay“, murmelte die junge Frau. „Ich bin gleich wieder da“, sagte er und löste sich von Jodie. „Es wird alles wieder gut“, fügte er hinzu und verließ das Schlafzimmer. Jodie legte sich wieder ins Bett und massierte die Schläfen. Sie versuchte an etwas Anderes zu denken und den Schmerz weg zu atmen. Shuichi nahm sein Handy und informierte den befreundeten Arzt, anschließend zog er sich ein Oberteil und eine Hose an. Akai ging in das Badezimmer und inspizierte Jodies Bluse. Schnell fand er die kleine Pillendose und öffnete sie. Neugierig betrachtete er den Inhalt und runzelte die Stirn. Keine zwanzig Minuten später stand der Arzt vor seiner Haustür und klingelte. Shuichi steckte die Pillendose ein und ging an die Tür. Er ließ den Arzt hinein und brachte ihn zu Jodie. „Jodie? Das ist Dr. Lambert. Du kannst ihm vertrauen.“ Jodie setzte sich schmerzerfüllt auf. „Ihnen tut der Kopf weh?“, wollte Dr. Lambert wissen. Jodie nickte zaghaft. „Und…ich habe diese…Bilder im Kopf…Erinnerungen…“ Dr. Lambert setzte sich zu ihr ans Bett und öffnete seinen Arztkoffer. „Ich gebe Ihnen gleich ein mildes Beruhigungsmittel. Wenn Sie morgen früh immer noch diese Kopfschmerzen verspüren, kriegen Sie eine stärkere Dosis“, erklärte er und holte sowohl Spritze als auch die Flasche mit dem Medikament heraus. Er zog die Spritze auf und schob Jodies Ärmel nach oben. „Sie spüren gleich einen kurzen Stich“, fügte er hinzu. Er desinfizierte die Stelle und spritzte ihr dann das Medikament. „Danke“, murmelte Jodie leise. „Es braucht ein paar Minuten, aber es wirkt. Sie fühlen sich gleich besser.“ Jodie legte sich wieder hin. „Kann ich Sie kurz draußen sprechen?“, wollte Shuichi wissen. „Natürlich.“ Dr. Lambert packte seine Sachen zusammen und stand auf. „Gute Besserung“, fügte er hinzu und verließ mit dem FBI Agenten den Raum. „Ich hoffe, dass eine stärkere Dosis nicht notwendig sein wird.“ „Das hoffe ich auch“, gestand Akai. Er zog die Pillendose aus seiner Hosentasche und reichte sie dem Arzt. „Ich muss wissen, was das für ein Medikament ist.“ Dr. Lambert öffnete die Dose und betrachtete das Beweisstück. „Mhm…das wird nicht einfach sein. Es gibt keine Indizien auf eine bekannte Marke. Ich kann die Zusammensetzung prüfen, dann haben wir eine erste Einschätzung. Allerdings dauert die Analytik.“ Shuichi nickte. „Tun Sie alles, damit es schnell geht. Aber man soll nicht auf das FBI aufmerksam werden.“ Dr. Lambert schmunzelte. „Das ist selbstverständlich. Ich arbeite nicht das erste Mal mit dem FBI zusammen. Ich melde mich, wenn ich mehr weiß.“ „Danke“, entgegnete Shuichi und brachte ihn raus. Danach ging der FBI Agent zurück ins Schlafzimmer und beobachtete Jodie. Er setzte sich zu ihr und strich ihr über den Rücken. „Es wird alles gut“, versprach er. „Die Organisation wird dir nichts mehr tun. Ich pass jetzt auf dich auf.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)