Fremder Feind von Varlet ================================================================================ Kapitel 16: Zurück zu den Wurzeln --------------------------------- Jodie lief als wäre eine Armee hinter ihr her. Ihre Beine trugen sie soweit wie es nur möglich war. Dabei wollte sie nur noch eines: Entkommen. Weg vom Hafen und weg vom FBI Agenten, der ihre ganze Welt auf den Kopf stellte. Dabei wusste die junge Amerikanerin noch nicht einmal wo sie jetzt noch hingehen sollte. Zurück ins Hotel kam nicht in Frage, dafür spuckte ihr einfach zu viel im Kopf herum. Außerdem gab es noch Amuro und dieser würde alles andere als begeistert sein. Aber welche andere Möglichkeit hatte sie noch? Jodie kannte sich nun einmal nicht in New York aus und während ihrer wenigen Erkundungen war sie nie alleine. Bei dem kurzen Aufblitzen der Erinnerungen an die Vergangenheit schüttelte Jodie den Kopf und wischte sich die Tränen nicht. Sie wollte diese schmerzlichen und widersprüchlichen Emotionen nicht zulassen. Zudem hatte Jodie keine Ahnung mehr was wahr und was falsch war. Irgendetwas stimmte bei der ganzen Geschichte nicht. Aber wem konnte sie noch trauen? Ihre Medikamente hatte sie auch regelmäßig genommen und eigentlich hätte sie von den Erinnerungen nicht gequält werden dürfen. Doch hieß das nun, dass das Mittel nicht mehr wirkte und ihr Kopf bald vor Schmerzen platzte? Oder gab es eine andere Erklärung für alles? Irgendwann fühlten sich ihre Beine bei jedem einzelnen Schritt so schwer wie Blei an. Und obwohl sie keine bestimmte Richtung eingeschlagen hatte, zog es sie an einen Ort in ihren Erinnerungen. Ein Ort, der bislang verborgen blieb und doch so viel von ihrer Vergangenheit offenbarte. Jodie atmete schwer und als sie endlich vor jenem Haus stand, ließ sie sich auf die Knie fallen. Es kam ihr vertraut vor und es stimmte mit ihren Erinnerungen überein. Aber wie war das nur möglich? Das Haus hätte nur noch eine Ruine aus Backsteinen und Asche sein sollen. Nichts durfte auf ein fröhliches Familienleben hinweisen und trotzdem existierte dieses Haus in all seiner Pracht. Natürlich gab es Unterschiede, aber der Großteil war gleich. Jodie schluckte. „Wie…wie kann das…sein“, wisperte sie leise. Wurde das Haus innerhalb von einem Jahr wieder aufgebaut und war eine neue Familie eingezogen? Waren die Ermittlungen so schnell von der Polizei abgeschlossen worden? Jodie schüttelte bei dem Gedanken den Kopf. Das konnte nicht sein. Das durfte vor allem nicht sein. Und wenn doch, dann hätte das Haus in Japan stehen müssen und nicht in New York. Aber es passte so vieles zusammen und Jodie verstand nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Sie schloss ihre Augen. Sofort loderte das Feuer auf. Flammen schlugen umher. Der Geruch, das etwas Brennen würde, stieg ihr in die Nase, obwohl sie eigentlich weit genug entfernt war. Die Atmosphäre war geladen. In der vollkommenen Dunkelheit rieb sich Jodie die Augen. Sie setzte sich langsam auf und blickte durch das Fenster. Es brannte. Das Haus ihrer Eltern brannte. Hell und lichterloh. Sie weitete ihre Augen. Etwas Schlimmes musste passierte sein, aber Jodie konnte sich keinen Millimeter bewegen. Dann sah sie einen Schatten auf sich zukommen und… Jodie wusste genau, wie diese Erinnerung weiter ging. Sie saß in einem Wagen und hielt ihre Hand auf die Schusswunde am Bauch gepresst. Sie würde Shuichi Akai ansehen und wenige Sekunden danach würde sich der Wagen überschlagen. Aber was wenn es sich dabei um falsche Erinnerungen handelte? Oder um eine falsche Abfolge ihrer Erinnerungen? Mit einem Mal schlug Jodie ihre Augen wieder auf. Ehe sie einen spitzen Schrei ausstoßen konnte, legte sie ihre Hand auf die Lippen. Jodie brauchte einen kurzen Moment um sich wieder zu fangen und als es so weit war, stand sie auf. Ihre Beine zitterten. „Nein“, murmelte sie leise zu sich selbst. „Das kann nicht…“ Sie bewegte sich langsam nach hinten. Jodie wollte weg von diesem komischen Ort. „Kann ich Ihnen helfen, Miss?“ Ein großgewachsener Mann hatte seinen Wagen vor der Einfahrt geparkt und war ausgestiegen. Irritiert, aber mit Sorge im Blick beobachtete er sie. Jodie schüttelte den Kopf. „Hab…hab mich wohl verlaufen“, murmelte sie leise. „Wo wollen Sie denn hin?“, wollte er wissen. „Ich…also ich…“ „Wissen Sie das nicht mehr?“ „Ich…“, fing sie wieder an. „Ich habe…mein Hotel gesucht“, gab sie von sich. „Äh.“ Er sah sich um. „Ich glaube, da haben Sie sich ziemlich stark verlaufen. Im Umkreis von 30 Minuten werden Sie kein Hotel finden.“ „Oh“, murmelte Jodie. „Soll ich Ihnen ein Taxi rufen? Zu dieser Uhrzeit sollten Sie wirklich nicht mehr alleine draußen herumlaufen.“ „Kein Taxi.“ Jodie sah zu dem Haus. „Wohnen Sie dort?“ Der Mann nickte. „Wir haben das Grundstück vor einigen Jahren gekauft und das Haus anhand seines Vorgängers wieder aufgebaut“, erzählte er. „Schon traurig, was damals hier passiert ist“, murmelte er. „Mhm?“ „Äh. Entschuldigung. Manchmal schwelge ich in Erinnerungen“, entgegnete er. „Ich wollte Sie nicht aufhalten.“ „Schon gut“, sprach Jodie leise. „Gehen Sie ruhig rein, Ihre Familie wartet sicher. Mein Handy…wird mir bestimmt den Weg zeigen.“ „Sind Sie sich sicher? Mein Angebot mit dem Taxi steht noch.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Auf Wiedersehen“, wisperte sie leise und setzte sich in Bewegung. „Passen Sie auf sich auf“, gab der Mann von sich und ging auf die Haustür zu. Es dauerte nur wenige Sekunden ehe diese geöffnet wurde und ein kleines, braunhaariges Mädchen nach draußen gelaufen kam. „Daddy“, rief sie freudig und umarmte ihn. Automatisch drehte sich Jodie um. „Daddy“, wiederholte sie leise. Jodie blieb vor dem Eingang der Küche stehen. Behutsam legte sie ihren Teddy auf den Boden und kicherte. „Gleich wird Papa überrascht sein“, sagte sie leise zu dem Bären. Sie kicherte aufgeregt. „Daddy!“ Jodie kam in die Küche gelaufen und umklammerte sofort seine Beine. „Daddy“, wisperte Jodie ein weiteres Mal. „Die Familie hat das Haus vor einigen Jahren gekauft.“ Shuichi stellte sich neben Jodie. „Und es wieder aufgebaut.“ Jodie sah zu ihm. „Das kann…nicht sein…“, wiederholte sie leise. „Dieses Haus, es…ist…es dürfte hier gar nicht…“ Sie wich einen Schritt nach hinten. „Es ist dein Elternhaus“, antwortete Shuichi ruhig. „Ich weiß, das muss ein Schock für dich sein“, fügte er hinzu. „Vor etwa 20 Jahren ist hier das Unglück passiert. Die Organisation für die du jetzt arbeitest, hat deine Eltern umgebracht.“ „Nein.“ „Es ist die Wahrheit, Jodie“, sagte er. „Dein Vater war ein FBI Agent und hat gegen die Organisation ermittelt. Sie haben es herausgefunden und ein Exempel an ihm statuiert. Du und deine Mutter…ihr wart auch da, als es passiert ist.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Dich haben sie damals mitgenommen und wie ihr eigenes Kind aufgezogen. Seit du dort bist, war es ihr Ziel, dass du gegen das FBI agierst. So schwer es auch gerade für dich ist, Jodie, es war keine Liebe dabei. Sie wollten dem FBI einfach nur schaden.“ „Das kann nicht…“, murmelte sie. „Selbstverständlich haben unsere Leute damals nach dir gesucht, aber du wurdest gut versteckt“, erzählte Akai. „In all den Jahren war es eine Genugtuung für sie, dass die Tochter eines Agenten jetzt solch schlimme Dinge tut und sie nicht einmal hinterfragt.“ „Sag das nicht“, bat sie. „Das darf nicht…“ „Wir hatten vor einem Jahr in etwa die gleiche Unterhaltung. Ich wurde nach Japan geschickt, um die Organisation zu infiltrieren. Und als ich auf dich traf, hatte ich sofort eine Ahnung über deine wahre Identität. Ich habe es dir vor einem Jahr bereits erklärt und du hast mir geglaubt. Außerdem…“ Shuichi räusperte sich. „…wollten wir meinen Boss treffen, doch diese Frau – Vermouth – hat ihn seiner Identität beraubt und dir die ganze Wahrheit erzählt.“ Jodie schluckte. „Nein…das kann nicht…das würde sie nicht…sie ist…“ „Es tut mir leid, Jodie. Ich wünschte, es gebe eine taktvollere Möglichkeit um dir die Wahrheit zu sagen. Aber solange du andauernd vor mir weg läufst, ist dies einfach nicht möglich. Ich weiß nicht, was in dem letzten Jahr mit dir passiert ist oder was sie mit dir gemacht haben, aber tief in deinem Inneren kennst du die Wahrheit.“ Shuichi sah nach hinten. „Willst du nicht auch etwas dazu sagen, Bourbon.“ Der junge Mann stellte sich ebenfalls zu Jodie. „Du scheinst dir ja ziemlich sicher zu sein, wenn du meinen Codenamen hier so rumposaunst.“ Jodie drehte sich zu ihm um. „Amuro“, wisperte sie leise. „Sag…dass das nicht wahr…ist…bitte…“ Amuro packte Jodies Arm. „Wir gehen und reden im Hotel.“ „Amuro…“, murmelte Jodie leise. „Dann…dann stimmt das also?“ „Jetzt verhalte dich nicht so kindisch und komm mit“, zischte das Organisationsmitglied. „Das würde ich an deiner Stelle sein lassen, Zero.“ Der Mann hielt inne und sah den FBI Agenten überrascht an. „Du hast es also heraus gefunden.“ „Ich hatte schon damals einen Verdacht“, gab Shuichi zu. „Kurz bevor meine Identität aufflog, hatte ich die letzten Beweise zusammen bekommen.“ Amuro verengte die Augen. „Keine Sorge, Bourbon“, fing er an. „Ich hätte dich nicht auffliegen lassen. Stattdessen wollte ich mir eigentlich deine Hilfe sichern. Letzten Endes ist alles anders gekommen, nicht wahr?“ Amuro zuckte mit den Schultern. „Wenn ich damals gewusst hätte, dass du für das FBI arbeitest, hätte ich nicht geschwiegen“, antwortete er. „Das unterschiedet uns.“ Jodie sah zwischen den beiden Männern hin und her. „Was…was hat das zu bedeuten?“ Amuro blickte sie griesgrämig an. „Das hat dich nicht zu interessieren. Und jetzt komm endlich!“ „Aber…“, gab Jodie leise von sich. „Ich sagte doch schon, dass du sie nicht mitnimmst“, kam es von Akai. Er befreite Jodie aus Amuros Griff und stellte sich schützend vor sie. „Ich erklär dir nachher alles“, fügte er hinzu. Jodie schluckte. Wer war nun Freund und wer Feind? Langsam wusste sie gar nichts mehr. Und so wie sich Amuro gerade ihr gegenüber verhielt, konnte es nichts Gutes heißen. „Und wie willst du das verhindern? Du weißt genau was passiert, wenn ich euch gehen lasse.“ Akai schmunzelte. „Dann lass dir etwas einfallen. Du bist doch sonst auch ein helles Köpfchen.“ „Du stellst es dir viel zu leicht vor“, zischte der blonde Mann. „Glaubst du wirklich, dass sie zulassen werden, dass du mit ihr verschwindest?“ „Ich weiß, dass es nicht einfach sein wird, sie in Sicherheit zu bringen. Aber ich bin mir sicher, dass sie dir für diesen Fall genaue Instruktionen gegeben haben. Glaubst du tatsächlich, dass ich unvorbereitet auf eine Veranstaltung auf einem Schiff gehe? Selbstverständlich wissen meine Kollegen Bescheid und haben sich entsprechend positioniert.“ Shuichi sah sich um. „Und als ich Jodie hinterher bin, war ich nicht alleine.“ Bourbon sah sich in der Dunkelheit um. „Interessanter Schachzug“, antwortete er. „In der Dunkelheit kann ich nicht erkennen, ob du nur bluffst oder ob deine Kollegen tatsächlich hier sind. Allerdings habe ich auf meinem Weg hierher keine Fahrzeuge entdeckt.“ „Natürlich hast du das nicht“, entgegnete Shuichi ruhig. „Mir war klar, dass Jodie versuchen würde instinktiv zu ihrem Elternhaus zu fliehen. Deswegen waren meine Kollegen bereits vor Ort und haben dafür gesorgt, dass nicht allzu viel auf der Straße los ist. Im Vergleich zur Organisation wollen wir keine Menschen verletzen.“ Bourbon biss sich auf die Unterlippe. „Ich habe nichts anderes von dir erwartet“, begann er. „Aber es soll mir recht sein. Deine überhebliche Art wird dich früher oder später noch zu Fall bringen. Und glaub ja nicht, dass ich es dir so leicht machen werde.“ „Das hatte ich nicht vor“, entgegnete Akai und sah ihm zu. „Ich schlage dir einen Handel vor.“ „Ach?“ Amuro verschränkte die Arme. „Was hast du mir schon zu bieten?“ „Ich lasse dich hier entkommen und werde dich während deines gesamten Aufenthaltes in New York nicht jagen, dafür kehrst du zeitnah nach Japan zurück und teilst uns regelmäßig mit, was die Organisation tut.“ „Ich werde darüber nachdenken“, sprach er und sah zu Jodie. „Du sagst kein Wort“, wies er sie an. „Mach alles wie immer. Ich hole dich so schnell wie möglich da raus.“ Jodie schluckte. „Amuro…was…“, murmelte Jodie. „Ich…was kann ich noch glauben? Ich…ich versteh das alles nicht…was ist die Wahrheit?“, wisperte sie leise. „Das kann ich dir auch nicht sagen“, entgegnete er. „Es tut mir wirklich leid, Jodie“, fügte er hinzu. „Überleg es dir, Bourbon. Es ist ein win-win-Situation für uns alle.“ „Das ist es nicht und das weißt du auch“, kam es sofort von ihm. „Das FBI hat keine Befugnisse in Japan.“ „Aber in Amerika“, konterte Akai. „Und ich weiß, dass sich hier viele Mitglieder aufhalten.“ „Du bist gut informiert“, meinte Amuro. „Wir werden sehen, wie es ausgeht“, fügte er hinzu und entfernte sich. „Nein, Amuro…“, wisperte Jodie. „Tu das nicht…“ Shuichi beobachtete die junge Frau. „Jodie?“ Sie schluckte. „Was…was hast du…jetzt mit mir vor?“ „Du musst keine Angst haben“, begann der FBI Agent. Er lächelte. „Bei mir bist du in Sicherheit.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Ich will…nach Hause…ich….das…das kann…nicht…nein…“ „Ich weiß, es war viel für dich und wenn du mit mir mitkommst, werde ich dir die ganze Wahrheit erzählen. Du hast mir schon einmal vertraut, erinnerst du dich?“ Jodie nickte zaghaft. „Dann vertrau mir auch dieses Mal." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)