Fremder Feind von Varlet ================================================================================ Kapitel 11: Schockmoment ------------------------ Shuichi kniete auf dem Boden und versuchte Herr über seinen Schwindel zu werden. Es drehte sich alles und langsam wurde ihm übel. Die Blicke der Menschen ignorierte er – wahrscheinlich hielten sie ihn sowieso für einen Drogenabhängigen, der seinen nächsten Schuss brauchte. Akai atmete schwer und schnell. Jodie hatte ihn vollkommen aus der Bahn geworfen. Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Trotzdem rief alles in ihm: Gefahr! Falle! Und doch wollte er sie wiedersehen. Er musste sie wiedersehen. So schnell wie möglich. Mit ihr sprechen und sie berühren. Er musste erfahren, was damals passiert war und warum sie ausgerechnet jetzt nach Amerika kam. War es wegen ihm? Oder wegen der Organisation? Brauchte sie Hilfe oder wollte sie einfach nur nach Hause? Und wenn es sich um Vermouth handelte, musste er ihr zuvorkommen und zum finalen Schlag ausholen. Er würde nicht aufgeben. Solange er lebte, solange würde er die Organisation jagen und jeden von ihnen zur Strecke bringen. Komme was wolle. Shuichi zählte lautlos bis zehn – etwas das er bei seinem Therapeuten gelernt hatte. Das FBI arbeitete standardmäßig mit mehreren Psychologen zusammen und setzte diese auch bei belanglosen Fällen ein. Je länger man im Dienst war, desto mehr schlimme Sachen sah und erlebte man. Nicht jeder Fall ging glimpflich aus. Manchmal verlor man einen Schützling oder fand mehr Opfer als gedacht. Wenn man nicht aufpasste, wurde man oder der eigene Partner verletzt. Schwer verletzt. Tödlich verletzt. Es gab Sachen oder Situationen, die einen zur Verzweiflung trieben, den Schlaf raubten und in die Isolation führten. In solchen Situationen durfte man erst nach psychologischer Beratung und Bestätigung wieder in den aktiven Dienst zurück kehren. Das eigene Wort zählte nicht – auch wenn man selbst glaubte, mit der Situation klar zu kommen. In den ersten Tagen fand sich Akai immer häufiger auf dem Schießübungsplatz wieder und verbesserte seine Fertigkeiten oder kümmerte sich um den ganzen Papierkram der liegen blieb. Auch wenn er es nie zugeben würde, taten ihm die gezwungenen Gespräche mit dem Therapeuten gut. Aber sobald er diensttauglich geschrieben wurde, hörten die Sitzungen auf. Jetzt aber wünschte er sich eine Person zum Reden und jemanden, der Verständnis für seine Situation hatte und nicht zum FBI gehörte oder einen Bericht dorthin senden würde. Shuichi atmete wieder besser und blickte sich um. Alles wirkte wie immer – die Menschen schienen sich nichts mehr aus seinem Anblick zu machen und spazierten vergnügt durch den Park. Einige genossen das Wetter, andere liefen neben ihrem Hund und ein paar andere waren mit ihrem Partner unterwegs. Händchen halten, Küssen, Lachen…Shuichi beneidete sie deswegen und wünschte sich in der Zeit zurück versetzt. Aber es ging nicht. Das Leben ging weiter – auch seines. Irgendwie zumindest. Und jetzt wo Jodie wieder auftauchte, hatte er einen neuen Sinn entdeckt. Eigentlich stellte er gerade ein gutes Ziel für die Organisation dar und doch verspürte er keine Angst. Er wusste, dass ihm nichts geschehen würde und trotzdem zuckte er zusammen, als er die Hand auf seiner Schulter spürte. Akai sah nach oben. Er bewegte seine Lippen und merkte das Zittern. Es brauchte einen Moment bis er sich zusammen riss. „Camel“, sagte er. „Akai“, antwortete der FBI Agent. „Was ist passiert? Hast du jemanden verfolgt und bist gestürzt?“ Als ob mir das passieren würde, dachte sich der Agent. Shuichi schüttelte den Kopf und stand langsam auf. Er hatte ein Jahr an seiner Fassade gearbeitet und durfte nicht zulassen, dass diese nun bröckelte. Wenn bekannt werden würde, wie es ihm tatsächlich ging, würde jeder an seinem Verstand zweifeln und möglicherweise musste er erneut auf therapeutische Unterstützung zurückgreifen. Aber das hieße auch, dass er erst einmal nicht weiter gegen die Organisation ermitteln durfte. Akai atmete tief durch und versuchte seine Gefühle wieder zu unterdrücken, auszuschalten und zu verdrängen – so wie immer. Aber wie sollte er das jetzt noch schaffen? Jodie hatte ihn aus dem Takt gebracht und sorgte auch im Nachgang für Verwirrung. „Hast…hast du sie gesehen?“, wollte er leise wissen. „Sie?“ Camel blickte sich irritiert um. „Wen meinst du? Ist hier jemand von…du weißt schon?“, fragte er. „Von ihnen? Ist Vermouth in der Nähe?“ Sie war eines der Mitglieder, welches Amerika seit einem Jahr mied und immer wieder erwartet wurde. „Schon gut“, gab Akai von sich. „Hab mich wohl geirrt“, fügte er hinzu und klopfte sich die Hose sauber. „Eh?“, murmelte Camel. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Du siehst etwas blass aus.“ „Es ist nichts“, antwortete Akai. „Gehen wir zurück ins Büro.“ Camel kratzte sich irritiert an der Wange. „Hast du nicht schon Feierabend gemacht?“ „Mhm? Ist doch egal“, entgegnete Shuichi. „Besorg mir doch bitte die Passagierliste der letzten Flüge von Japan nach New York.“ „Eh?“ „Am besten rückblickend bis zur letzten Woche. Und es soll kein Flughafen ausgelassen werden.“ „Hast du einen Verdacht?“, wollte Camel wissen. „Glaubst du, sie haben jemanden geschickt, den wir kennen?“ „Ich kann dir nicht viel dazu sagen“, antwortete Akai. „Ich möchte aber etwas Überprüfen. Wahrscheinlich nur Einbildung, aber mein Bauchgefühl spricht eine andere Sprache.“ „Ja…gut“, murmelte Camel, wissend, dass man Akais Bauchgefühl nicht in Frage stellen sollte. „Allerdings wird die Abfrage mindestens einen Tag in Anspruch nehmen. Ich muss jeden Flughafen informieren und begründen warum ich die Liste brauche. Wir müssen auch damit rechnen, dass sie bei unseren Vorgesetzten nachfragen.“ Shuichi nickte. „Lass dir etwas einfallen…nationale Sicherheit oder sowas“, entgegnete der Agent. „Bring mir die Liste so schnell wie möglich ins Büro“, fügte er hinzu und machte sich auf den Weg. Kaum das er oben angekommen war, startete er seinen Computer und begann die Recherche in den Datenbanken der Medien. Akai biss sich auf die Unterlippe und musste unbedingt herausfinden, ob Chris Vineyard ins Land zurück kam. Und wenn ja, wo sie sich aufhielt und welche beruflichen Pläne dahinter steckten. Doch auch nach einer dreiviertel Stunde blieb das Ergebnis das gleiche: Chris Vineyard hielt sich weiterhin in Japan auf und hatte sich vom Showbusiness zurück gezogen. Akai schnaubte und hoffte auf neue Informationen durch die Passagierlisten. Dennoch wusste er, dass er nur mit einem mäßigem Erfolg rechnen konnte. Selbst wenn sie nicht drauf stand, konnte sie durch eine Privatmaschine eingeflogen werden oder über andere Wege – wie ein Schiff – ins Land einreisen. Dieses Mal würde er ihr nicht den Sieg überlassen und mit allem rechnen, jetzt, wo er wusste, wie gefährlich die Organisation war. Jodie lief und lief solange sie ihre Beine tragen konnten. Irgendwann sah sie nach hinten und merkte, dass niemand hinter ihr her war. Sie wurde langsamer und legte die Hand an ihre Brust. Ihr Herz schlug viel schneller als sonst und auch ihr Atem ging unregelmäßig. Wieso war sie auch aus dem Hotel gegangen und hatte sich die Gegend angesehen? Warum konnte sie nicht wie jeder andere auf dem Zimmer bleiben und warten bis Amuro ihr die Stadt zeigte? Stattdessen hatte sie unbedingt an die frische Luft gewollt und das Chaos nahm seinen Lauf. Sofort als sie Akai sah, hätte sie die Flucht ergreifen sollen. Aber ihre Beine bewegten sich nicht. Sie konnte ihn nur noch anstarren und wurde mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Bilder, die sie bisher nicht kannte. Jodie wurde übel. Wie sollte sie ihren Fehler vor der Organisation erklären? Welche Rechtfertigung gab es dafür, dass sie den Auftrag in den Sand setzte? Und was sollte sie jetzt noch tun um für Schadensbegrenzung zu sorgen? Vermouth wäre enttäuscht von ihr und auch Amuro, der extra wegen dem Auftrag her kam, würde sich von ihr abwenden. Aber da war noch eine Sache, die sie sich nicht erklären konnte. Kaum das sie den FBI Agenten sah, tauchten neue Bilder vor ihrem geistigen Auge auf. Bilder und Szenen an die sie sich nicht mehr erinnern konnte. Die junge Amerikanerin schloss die Augen und rief sich diese Bilder wieder in Erinnerung. Akai lag auf dem Boden und sah Jodie irritiert an. „Jodie?“ Er hatte sich etwas aufgerichtet. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Sie blickte ihn an. Verletzt und wütend. Ehe sie sich versah, war ihre Fassade eingestürzt und Jodie saß rittlings auf ihm. Aus ihrem Knöchelholster zog sie die kleine Waffe – ihre Colt Model 1908 Vest Pocket – und richtete diese auf das Gesicht des Agenten. Akai schluckte. „Jodie“, begann er ruhig. „Was soll das?“, wollte er wissen. „Halt den Mund“, schrie sie. „Alles was du sagst, ist eine Lüge. Alles…“ Shuichi atmete ruhig ein und aus. Er zeigte keine Angst. „Das hier ist kein Test, Dai“, entgegnete die Amerikanerin. „Ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass du die Organisation infiltriert hast, um sie zu zerstören. Ich weiß, dass du ein Agent bist und ich weiß auch, wer dein Kontaktmann ist. Aber nicht mit mir. Du glaubst, du mir was vormachen? Nein…ganz und gar nicht. Ich werde…ich werde…“ „Was wirst du, Jodie?“, fragte der FBI Agent. Jodie schluckte. „Du fühlst dich sicher, weil mir keiner glauben wird. Aber das macht nichts“, erklärte sie. „Ich werde mich jetzt um dich kümmern und wenn ich dich erschießen muss, dann ist das kein Problem. Du vergisst wer ich bin, ich weiß, wie ich deine Leiche verschwinden lassen kann.“ „Du wirst mich nicht erschießen“, sagte der Agent wieder mit ruhiger Stimme. „Ach ja? Das glaubst auch nur du“, kam es sofort von Jodie. „Du wirst gleich sehen, dass ich das mache…ich mache es….ich mache es…“ Akai schüttelte den Kopf. „Und warum weinst du dann?“, wollte er wissen. „Ich weine nicht“, gab Jodie von sich. „Ich weine nicht…“ Shuichi legte seine Hand an ihre Wange und wischte die Tränen weg. „Lass das…“, wisperte sie. „Ich weine…nicht…ich…“ „Lass uns in Ruhe über alles reden, ja?“, fragte Akai. Jodie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht“, murmelte sie und stand langsam auf. „Ich kann…nicht…ich…“ „Jodie, das…“ Shuichi erhob sich ebenfalls. „Sei still“, schrie sie ihm entgegen. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Als sie sie wieder öffnete und in das Gesicht des Agenten blickte, machte sie einen Schritt nach hinten. „N..nein…“, fügte sie leise hinzu und lief aus dem Zimmer und aus der Wohnung. Jodie öffnete ihre Augen. Sie verspürte den gleichen Schmerz wie damals. Aber warum? Warum hatte es sie nur so sehr verletzt, seine wahre Identität zu erfahren? Hatte sie ihn damals geliebt und war von ihm betrogen worden? Jodie kamen die Tränen. Warum hatte Vermouth ihr nichts darüber gesagt? Oder wusste sie es gar nicht? „Was soll das?“, wisperte Jodie leise und kämpfte gegen ihre Tränen. „Warum nur? Warum?“ Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung und stieß prompt mit einer anderen Person zusammen. „Aua…“ Jodie landete unsanft auf ihrem Hintern und sah nach oben. „Oh, Entschuldigung“, begann der Mann. „Ich hab Sie gar nicht…“ Er verstummte plötzlich und starrte sie an, als hätte er einen Geist gesehen. Jodie erwiderte den Blick. „Du“, fing er an und schluckte. „Du bist…du bist hier…“, gab er bleich von sich. Er schüttelte den Kopf. „Nein, das kann nicht…das kann nicht sein…“, wiederholte er. Er schüttelte den Kopf. „Lass mich…lass mich in Ruhe…“ Er drehte sich um und lief los. Jodie blieb irritiert zurück und stand langsam auf. „Wer war das?“, fragte sie sich selbst. Kannte sie ihn auch? War er auch ein FBI Agent? Aber warum war er dann vor ihr weggelaufen? Keine Zeit um mir jetzt darüber Gedanken zu machen. Akai ist wichtiger, sagte sie zu sich selbst und machte sich wieder auf den Weg. Jodie war erleichtert, als sie wenige Minuten später ein Schild erblickte, welches zum Hotel führte. Die letzten Meter lief Jodie zum Hotel und trotzdem war sie darauf bedacht, dass ihr niemand folgte. Als sie vor dem Eingang das Gesicht von Amuro erblickte, musste sie Lächeln. Sie hob winkend die Hand und blieb vor ihm stehen. „Da bin ich wieder“, begann sie. „Das seh ich“, gab er von sich und sah sich um. „Ich hoffe, dir ist keiner gefolgt.“ „Eh?“ Jodie blickte ihn irritiert an. „Mir ist keiner gefolgt“, sagte sie dann. „Gut.“ Amuro packte sie am Arm. „Und jetzt komm rein, wir müssen unbedingt reden und dann erklärst du mir, was der Unsinn sein sollte.“ „Was…was meinst du?“, fragte Jodie leise. Wusste er was passiert war? Und wenn ja, wie hatte er davon erfahren? „Drinnen“, gab er von sich und zog sie zurück ins Hotel. „Und wehe du machst einen Aufstand oder etwas Anderes, was die Aufmerksamkeit auf uns zieht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)