Fremder Feind von Varlet ================================================================================ Kapitel 9: Ankunft in New York ------------------------------ Jodie saß im Flugzeug und blätterte die Dokumente durch, die sie zur Vorbereitung von Vermouth bekam. Sie beinhalteten alle möglichen Informationen zu ihrer Zielperson. Unter anderem erfuhr sie, dass Shuichi Akai seit einem Jahr für das FBI arbeitete, ehe er nach Japan kam und seine Identität wechselte. Als Dai Moroboshi nahm er Kontakt zu ihren Eltern auf, freundete sich mit ihnen an und verriet sie für seine Karriere. Dass die Organisation nicht immer Gutes tat, wusste Jodie selbst, aber Akais Handlungen waren unverzeihlich. In seinem Wahn und wegen seinem Wunsch Karriere zu machen metzelte er ihre Familie nieder und setzte das Haus in Brand. Jodie wusste nicht mehr wie sie aus dem Haus entkommen war und noch weniger wieso sie im Auto saß und sich vor Angst nicht bewegen konnte. Sie selbst war in Selbstverteidigung geübt, aber in jenem Moment konnte sie nichts machen. Dass sie selbst überlebte, grenzte schon an ein Wunder. Sie war froh, als sie erfuhr, dass der Mann, der ihr all das antat, wieder in die Staaten zurückkehrte und sie in Ruhe weiterleben konnte. Sie musste sich nunmehr keine Sorgen machen und musste lernen mit dem Verlust klar zu kommen. Sie hatte zwar überlebt, aber sie hatte keine Zeit um sich Vorwürfe zu machen. Wären da nur nicht die unerträglichen Schmerzen in ihrem Kopf, die sie andauernd an die Vergangenheit erinnerten. Als Konfrontationstherapie schlug Vermouth bereits vor, dass sie zusammen zu den Trümmern oder an den Unfallort fahren könnten. Jodie lehnte allerdings jedes Mal aus Angst ab. Auch wenn ein Jahr vergangen war, fühlte sie sich immer noch hilflos, wenn sie an den Mann dachte. Aber er machte einfach weiter und ließ keinen Moment verstreichen, um weitere Mitglieder der Organisation umzubringen. Bei einigen von ihnen handelte es sich um unschuldige Männer und Frauen, die in den Staaten lediglich ihre Familien besuchen wollten. Jetzt sahen sie alle die Radieschen von unten und das nur, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Er war eine Bestie – ein Jäger. Jetzt waren sie am Zug. Auch wenn Jodie nicht mehr wusste, wie es sich anfühlte einen Menschen zu töten, so musste sie ihre Aufgabe erfüllen und Akai endgültig in seine Schranken weisen. Nur durch das Überraschungsmoment würden sie eine Chance gegen ihn haben. Glücklicherweise hatten sie auch viel über seine Kampfsportart in Erfahrung gebracht: Shuichi Akai beherrscht Jeet Kune Do. Dabei handelt es sich um ein Selbstverteidigungskonzept, bei dem der Verteidiger versucht sich auf einfache und effektive Weise mit Schlägen, Tritten und Stößen zu verteidigen. Die Ausgangsstellung hierfür nennt sich Wachsamkeitsstellung, weil aus ihr jede Angriffs-, Abwehr- oder Kontertechnik ohne eine einleitende Bewegung schnell durchgeführt werden kann. Dabei steht der Verteidiger in Seitwärtsstellung, wobei die stärkere Seite nach vorne gerichtet ist. Die Seitwärtsstellung hat zudem die Funktion, schneller ins Ziel zu treffen und die Angriffsfläche des Gegners möglichst schnell einzugrenzen. Zum Schutz des eigenen Kinns wird der Kopf leicht geneigt, womit auch möglich ist, dass der Gegner während des gesamten Kampfes im Auge behalten wird. Zuckungen der Augenlider des Gegners lassen seine nächsten Angriffe erahnen und steigern das Potential des Jeet Kune Do-Anwenders. Die vordere Führungshand bleibt locker geöffnet um ebenso schnell und effektiv angreifen oder abwehren zu können. Sie deckt zudem die zum Gegner gewandte Körperhälfte und stellt die Hauptangriffshand darf. Die Knie sind leicht gebeugt und halten den Verteidiger im Gleichgewicht. Hierfür wird der hintere Fuß leicht angehoben um bei einem Angriff schnell ausweichen zu können. Das vordere Bein stellt dabei das stärkere Bein dar und fungiert somit als Hauptangriffswaffe. Wichtig für den Kampf ist die richtige Kampfdistanz, weil dadurch ein Angriff am wirksamsten ist. Um die Distanz richtig einschätzen zu können, ist das Wissen um den Gegner wichtig: Seine Schnelligkeit, Beweglichkeit und seine verwendeten Waffen. Die Faustregel dabei besagt, dass der Radius der Distanz zum Gegner dort beginnt, wo seine Waffe am wirksamsten und effektivsten eingesetzt wird. Zudem sollte man sich am Rande der Kampfdistanz bewegen, damit ein Angriff noch effektiver stattfindet und man selbst nicht getroffen wird. Jodie hatte den Abschnitt mehrfach gelesen und sich jede Bewegung des Agenten dabei vorgestellt. Langsam blätterte sie die Seite um und betrachtete das Foto des Mannes. In ihren Erinnerungen besaß er langes, schwarzes Haar, aber auf einem aktuellen Foto war sein Haar kurz. Und obwohl sie das Gesicht kannte, kam es ihr so befremdlich vor. „Alles in Ordnung?“ Jodie sah zu Bourbon, der neben ihr saß. „Mach dir um mich keine Sorgen“, sagte sie ruhig. Bourbon sah auf das Foto von Akai. „Kannst du dich an irgendetwas Neues erinnern?“ „Nein, alles wie immer“, antwortete die Amerikanerin. „Ich habe mir sein Profil angeschaut. Es wird nicht einfach werden.“ „Deswegen wurden auch wir geschickt“, entgegnete er. „Pack die Sachen wieder ein, wir werden gleich landen. Meine Strategie sieht es vor, dass wir erst einmal unser Hotel aufsuchen und morgen anfangen seinen Tagesablauf zu studieren. Unsere Kontaktperson hat bereits einiges über ihn herausgefunden, aber ich möchte es mit meinen eigenen Augen sehen. Und dann schlagen wir zu.“ Jodie nickte. Sie steckte die Unterlagen, die sie als Bewerbungsunterlagen getarnt hatte, in ihre Tasche zurück und schnallte sich an. Während des Landeanflugs schloss Jodie ihre Augen. „Hast du ein Problem mit Flugzeugen?“, wollte Amuro wissen. „Geht“, murmelte Jodie leise. „Bisher hatte ich nur Inlandsflüge. Immer wenn wir gestartet oder gelandet sind, gab es so ein Holpern“, fügte sie hinzu. „Ich weiß auch nicht warum, aber ich fühl jedes Mal unwohl dabei und hoffe, dass es so schnell wie möglich zu Ende geht. Wenn wir aber erst einmal aufgesetzt haben und die Landebahn entlang rollen, fühl ich mich wieder besser.“ „Mhm…verstehe…“, gab er von sich. „Ist gleich vorbei und von der Wettervorhersage ist nicht mit Wind zu rechnen.“ Jodie nickte. „Zum Glück. Am schlimmsten war es Mal für mich, als wir Turbulenzen hatten und das Flugzeug dauernd hin und her schaukelte.“ Jodie spürte wie das Flugzeug auf der Landebahn aufsetzte und langsam zum Gate rollte. Sie atmete erleichtert auf. „Wir werden warten bis alle Passagiere ausgestiegen sind und dann in Ruhe zur Kofferausgabe gehen.“ „Mhm?“, murmelte Jodie. „Von mir aus. Holen wir uns am Flughafen einen Leihwagen?“ „Hab ich kurz überlegt“, antwortete Bourbon. „Aber in New York mit dem Auto zu fahren, grenzt an Selbstmord. Zum Hotel nehmen wir ein Taxi und von dort aus, gehen wir entweder zu Fuß oder fahren mit dem Taxi weiter.“ Jodie beobachtete die Menschen beim Ausstieg. Viele versuchten direkt die ersten zu sein, andere pressten sich nach vorne und nur wenige warteten, bis genug Ruhe eingetreten war. Jetzt war Jodie froh, dass sie erst als letztes Aussteigen würden. Jodie streckte sich und sah in den blauen, klaren Himmel. „Wenigstens das Wetter ist annehmbar“, gab sie von sich. Selbstverständlich hatte sie sich bereits in Japan mit der Wettervorhersage beschäftigt und entsprechend ihre Kleidung ausgesucht. „Lass uns keine Zeit verlieren“, entgegnete Bourbon und zog seinen Koffer hinter sich her. Er suchte sofort den Taxistand auf und der erste Fahrer kam ihm entgegen. „Wir wollen in das Hudson Hotel.“ „Ich fahr Sie hin“, meinte der Taxifahrer und öffnete den Kofferraum. Ohne Anstrengung hievte er die beiden Koffer hinein und nahm wieder auf dem Fahrersitz Platz. Jodie setzte sich nach hinten und blickte aus dem Fenster. New York war viel größer als sie es sich vorgestellt hatte. Tokyo war dagegen ein Witz. „Waren Sie schon einmal in New York?“, wollte der Fahrer wissen. „Ja“, antworteten Beide zeitgleich. „Und wie war Ihr Aufenthalt?“ „Ich war beruflich hier“, fing Bourbon an. „Daher konnte ich nicht viel von der Stadt sehen. Eigentlich kam ich nur zum Schlafen ins Hotel zurück.“ „Oh weh, das sollten Sie dieses Mal ändern. Es gibt hier so viele nette Plätze. Wenn Sie möchten, können wir einen kleinen Umweg fahren und ich zeig Ihnen etwas.“ „Das ist nicht nötig“, entgegnete Amuro. Dieses Mal haben wir etwas Zeit für Sightseeing eingeplant.“ „Verstehe. Und Sie, Miss?“ „Ich war damals noch ein kleines Kind“, begann Jodie. „Aber wir sind relativ früh von hier weggezogen. Aus dem Grund habe ich auch keine Erinnerungen an meine Zeit hier.“ „Oh.“ Der Taxifahrer sah in den Rückspiegel. „Sie können ja Ihr altes zu Hause aufsuchen. Oder Sie fragen andere Verwandte.“ „Mhm…mal sehn“, murmelte Jodie. „Wie lange dauert die Fahrt noch?“, wollte Amuro wissen. „Wir sind gleich da.“ Der Taxifahrer hielt fünf Minuten später vor dem Hotel. Er stieg aus und holte die Koffer aus dem Kofferraum. „Ich wünsche einen guten Aufenthalt.“ „Danke“, sagte Amuro und sah zu Jodie. „Geh schon mal rein und check ein. Ich bezahl hier.“ „In Ordnung“, antwortete Jodie und zog ihren Koffer hinter sich her. Sie sah sich im Eingangsbereich des Hotels um und stellte sich an die Reihe wartender Gäste. Diese wurden freundlich, aber auch schnell abgefertigt und als Jodie dran war, kam Bourbon bereits zurück. „Wir haben zwei Zimmer mit Durchgangstür reserviert“, sprach er. „Auf den Namen Amuro.“ Die Rezeptionistin tippte etwas in ihren Computer ein. „Da haben wir Sie schon. Zimmer 235 und 236. Das sind die Schlüssel. Das Restaurant ist von 7 bis 24 Uhr geöffnet. Frühstück gibt es bis 11 Uhr. Wenn Sie etwas vom Zimmerservice bestellen wollen, wählen Sie am Telefon die 1. Wenn Sie nach draußen telefonieren möchten, müssen Sie vorher die 0 wählen. Die Rezeption ist den ganzen Tag und die ganze Nacht besetzt. Im Keller befinden sich der Spa- und Sport-Bereich. Diesen können Sie nach Belieben nutzen. Für die Nutzung der Sauna nehmen wir allerdings einen kleinen Aufpreis. Die Daten für die Nutzung des Internets finden Sie auf Ihren Zimmern“, erzählte sie. Amuro nickte. „Danke.“ Er sah zu Jodie. „Gehen wir nach oben.“ Jodie folgte ihm schweigend. Als sie vor dem Zimmer stand, zog sie die Schlüsselkarte durch das Schloss und betrat das Innere. Das Zimmer war mittelgroß, aber ausreichend für ihre Bedürfnisse. Bourbon folgte ihr. „Ich leg mich gleich hin. Wenn du raus gehen solltest, nimm dein Handy mit und bleib nicht zu lange weg.“ Er sah sie streng an. „Und vor allem: Such Akai nicht auf.“ Jodie verengte die Augen. „Für wie blöd hältst du mich? Selbstverständlich weiß ich, dass ich nicht zu ihm gehen soll. Ich geh höchstens einmal um den Block.“ „Gut. Wenn was ist, hast du meine Nummer“, entgegnete er und ging in sein Zimmer. Die junge Amerikanerin seufzte und suchte zuerst das Badezimmer auf. Sie wusch sich das Gesicht und beobachtete ihr Spiegelbild. Jodie schüttelte den Kopf. Jetzt war keine Zeit um sich Gedanken zu machen. Jodie kam aus dem Badezimmer und setzte sich auf das Bett. Unverzüglich zog sie die kleine Pillendose heraus und nahm das Medikament. Langsam legte sie sich nach hinten und blickte hoch an die Decke. Jodie schloss ihre Augen und döste. Als sie zwei Stunden später wach wurde, fühlte sie sich wie gerädert. Eigentlich hatten sie im Flugzeug ausreichend Maßnahmen ergreifen um nicht vom Jetlag erfasst zu werden. Dennoch schien es nicht genug gewesen zu sein. Jodie stand auf, nahm ihre Handtasche und verließ ihr Zimmer. Sie ging ins Hotelrestaurant und nahm eine Kleinigkeit zu sich. Nachdenklich blickte sie auf ihren leeren Teller und seufzte leise auf. Obwohl sie noch gar nicht lange in Amerika war, überkam sie bereits das Heimweh. Alles war fremd und sie hatte niemanden zum Reden. „Lass dich nicht unterkriegen, Jodie“, sagte sie zu sich selbst und stand auf. Sie nahm ihre Tasche und verließ das Hotel. Schlagartig war es Kühler geworden. Trotzdem tat ihr die frische Luft gut. Mit neuer Motivation schlenderte Jodie die Straße entlang und sah sich um. Auch wenn Amuro eine Sightseeing-Tour nicht ausgeschlossen hatte, glaubte Jodie nicht daran, dass sie wirklich Zeit dafür hätten. Daher würde sie sich wenigstens jetzt etwas Zeit nehmen. Nach einer halben Stunde hatte Jodie die Orientierung komplett verloren und konnte nicht einmal mehr sagen, in welcher Richtung das Hotel lag. Jodie zog ihr Handy aus der Handtasche und rief das Navigationssystem auf. Sie ließ ihren Standort vom System suchen und wählte dann eine Route zurück zum Hotel aus. Als Jodie wieder nach oben sah, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Er stand direkt vor ihr. Tiefgrüne Augen. Kurzes, schwarzes Haar. Schwarze Strickmütze. Geschockter Blick. Jodie hatte keinen Zweifel mehr. Sie stand Shuichi Akai gegenüber. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)