Move Together von -Red-Karasu ================================================================================ Kapitel 2: Aplomb ----------------- 02. Aplomb   Aplomb: frz. „Gleichgewicht“; prägnanter Ausdruck für eine gerade, sichere Haltung, ein selbstsicheres Auftreten, für Gelassenheit bis hin zur Dreistigkeit; bezeichnet im Balletttanz die Fähigkeit zum Abfangen einer Bewegung   -   Mit hochgezogenen Schultern stand Karyu in der Schlange und wünschte sich nichts sehnlicher, als bitte endlich, endlich ins Warme zu dürfen. Abgesehen davon, dass er den Abend ohnehin lieber zuhause verbracht hätte, verbesserte die Tatsache, dass sie hier sicher schon zwanzig Minuten herumstanden, seine Laune nicht unbedingt. An seinem dicken Schal, den er bis zur Nasenspitze hochgezogen hatte, vorbei, warf er einen Blick nach rechts, wo der Eingang lag, aber noch immer schien es dort nicht wirklich voranzugehen oder Bewegung in die Schlange der Wartenden zu kommen.   „Wehe der Club ist diese beschissene Kälte nicht wert“, beschwerte er sich nicht eben leise. Sonst nicht seine Art, aber er hatte mittlerweile das Gefühl in seinen Zehen verloren und ganz ehrlich? Wenn sie den Schuppen hier nicht bald von innen sehen würden, wäre er schnurstracks wieder auf dem Weg in seine wohlig warme Wohnung.   „Reg dich ab. Wird schon gleich weitergehen.“   Im Gegensatz zu ihm lehnte Tatsurou so cool, wie er zu sein glaubte, an der Hausmauer, sah sich immer wieder verstohlen um – als ob Karyu nicht auch so klar war, warum sein Kumpel unbedingt hierher hatte ausgehen wollen. Und das, obwohl sie beide gleichermaßen wenig Talent für alles hatten, was sich auch nur in der Nähe einer Tanzfläche abspielte. Aber kaum hatte der andere gehört, dass seine neueste Obsession hier gern einmal auftauchte, war natürlich er selbst der Leidtragende und wurde einfach mitgeschleppt. Er sollte wirklich seine sozialen Kontakte überdenken, auch wenn die Chance seinen Sandkastenfreund heute noch loszuwerden vermutlich eher gering waren.   Allerdings hatte Tatsurou zumindest einmal in seinem Leben recht behalten, denn nun kam tatsächlich ganz allmählich Bewegung in die Schlange, nachdem die Türsteher wieder draußen aufgetaucht waren. Warum der Einlass überhaupt unterbrochen worden war, wollte er lieber gar nicht wissen, es reichte ihm schon vollkommen, wenn er endlich zahlen und den Laden betreten durfte. Mit kalten Fingerspitzen zupfte er an seinem Schal, während er sich umsah. Zumindest hier war von Yukke – dem Objekt der zweifelhaften Zuneigung seines Freundes – noch nichts zu sehen. Also vielleicht konnte er erst einmal einfach ein, zwei Stündchen an der Bar sitzen und Cocktails trinken. Nicht, dass etwas anderes wirklich infrage kam. Er hing an seiner Gesundheit. Karyu hatte sich gerade noch einmal zu seiner Begleitung umgedreht, um ihn etwas zu fragen, als eine Gruppe von mindestens einem Dutzend Leuten einfach an der Warteschlange vorbei nach vorn lief.   „Was soll der Scheiß denn jetzt bitte?“, beschwerte sich nun Tatsurou ebenso ungehalten, wie er selbst es eben gewesen war, sprach damit aber genau das aus, was er ebenfalls dachte.   Tatsächlich waren sie ganz offensichtlich nicht die einzigen, die vom anscheinend vollkommen selbstverständlichen Vorüberziehen der Neuankömmlinge nicht wirklich begeistert waren, wenn er sich die Gesichter der Umstehenden so ansah. Und die allgemeine Laune wurde nicht besser, als die Security-Mitarbeiter am Eingang begannen die ganze Gruppe einfach durchzuwinken. Gott, er hasste diese Extra-Würste und setzte eben dazu an, das auch kundzutun, als einer der Quasi-Vordrängler seinen genervten Blick auffing, ihn mit einem schiefen Grinsen und einem Schulterzucken beantwortete. Und zumindest Ersteres kam ihm bekannter vor, als es sollte, nicht zuletzt wegen der Grübchen, die hinter dem karierten Schaltuch, das der andere trug, herausschauten.   „Oh nein.“   Die beiden Silben verließen seinen Mund mit einer kleinen Wolke seiner Atemluft und er konnte nur in Schockstarre auf den Rücken des nun nicht mehr ganz so Unbekannten schauen, während er sich von Tatsurou weiter in Richtung Eingang schieben ließ.   Es war ja nicht mal so, dass er seine namenlose Flughafenbekanntschaft nicht wiedersehen wollte oder, dass er in der letzten Woche nicht den ein oder anderen Gedanken an ihn verloren hätte. Ganz im Gegenteil, so ehrlich konnte er mit sich selbst inzwischen sein. Ihn aber ausgerechnet hier wiederzusehen, in einer Umgebung, in der er sich sowieso unwohl fühlte, grenzte schon beinahe an Grausamkeit des Schicksals. Mit einem Seufzen bewegte er sich noch ein Stück weiter in Richtung des Eingangs, der ihm jetzt eher so ein bisschen wie das Tor zu seiner persönlichen Hölle vorkam – mit seinen nicht existenten tänzerischen Fähigkeiten würde er hier definitiv niemanden beeindrucken können. Schon gar nicht jemanden, der sich irgendwie näher mit der Thematik ‚Tanz‘ beschäftigte, wie es bei der Gruppe aus Chicago der Fall zu sein schien. Das hier würde definitiv ein sehr, sehr langer Abend werden, da war er sich sicher.   Während Tatsurou gerade mehr mit seinem Handy als mit ihm beschäftigt zu sein schien, sah Karyu sich sein wenig um, um sich abzulenken, bis sein Blick an einem Plakat hängen blieb, das neben der Tür klebte.   „Sag mal, was hat es eigentlich mit dieser ‚Millenium Party‘ auf sich?“, wollte er wissen, denn irgendwie war ihm das gerade suspekt. Es war nicht so, als ob ihm diese Bezeichnung irgendetwas sagte, zumindest wüsste er nicht woher, aber er hatte das Gefühl das Logo schon einmal gesehen zu haben.   „Keine Ahnung“, kam es in dem Moment etwas verspätet von Tatsurou zurück „Aber auf jeden Fall sieht es aus, als würde es voll werden.“ Vollkommen unnötigerweise reckte sich sein Kumpel ein Stück, um die Schlange der Wartenden besser inspizieren zu können.   „Wir werden Yukke sicher trotzdem finden. Ist ja nicht so, als ob er gerade unauffällig unterwegs wäre, oder?“ Innerlich rollte Karyu mit den Augen. Vielleicht sollte er in Zukunft, immer wenn er dachte, dass er zu leicht durchschaubar war, einfach an Tatsue denken. Im Vergleich zu seinem Freund war er selbst quasi ein Buch mit sieben Siegeln – oder konnte sich das zumindest einbilden.   Vorerst vertagte er die Diskussion darüber, wie mehr oder weniger leicht man einen platinblonden Mann in einem Club voller Menschen finden konnte aber, denn sie waren tatsächlich endlich an der Tür angekommen. Mit einem etwas wackligen Lächeln zeigte er dem Türsteher seinen Ausweis, bezahlte und wurde damit belohnt, dass er mit einem Stempel auf der Hand endlich nach drinnen gehen konnte. Kaum hatten sie den Eingangsbereich hinter sich gelassen, schlugen ihnen wohltuende Wärme und dumpf vibrierende Bässe entgegen, ließen ihn das zweite Mal innerhalb weniger Minuten daran denken, dass das hier eine lange Nacht werden konnte. Und, dass Tatsurou ihm definitiv etwas schuldete. Aber auch das hielt ihn nicht davon ab, erst einmal für ein paar lange Sekunden die angenehmen Temperaturen zu genießen. Er konnte nur hoffen, dass seine Füße auch demnächst wieder aufzutauen gedachten.   „Eigentlich kannst du mir gleich mal was ausgeben, finde ich“, stellte er schließlich laut fest, erntete dafür einen empörten Blick.   „Wir sind noch nicht mal richtig hier und schon fängst du an zu schnorren?“   Karyu zuckte nur mit den Schultern, während er seine Jacke und den dicken Schal in eines der Schließfächer im Garderobenbereich stopfte.   „Wegen wem genau sind wir hier, weil er nicht die Eier hatte allein zu gehen?“   Tatsurous Mund öffnete und schloss sich einige Male, ohne, dass er ein Wort hervorbrachte, bevor er schließlich nur das Gesicht verzog und ohne einen Kommentar vor ihm her in Richtung Treppenhaus ging. Okay, vielleicht war der Spruch ein bisschen zu hart gewesen, aber das bedeutete ja nicht, dass er falsch war. Auf der anderen Seite wollte er ihnen beiden nicht gleich die Stimmung vollkommen verhageln, also ging er zu seinem Kumpel und legte ihm freundschaftlich einen Arm um die Schulter.   „Na komm. Wo sollen wir anfangen?“, fragte er mit einem Blick auf den Etagenplan, der aufzeigte, auf welchem Floor welche Musik laufen würde. „Ist Yukke überhaupt schon da?“   Er spürte Tatsurous Seufzen eher, als das er es hörte, bevor der andere sich einen Ruck gab.   „Ja, er meinte, er ist hier“, sagte er dann, zog aber noch immer ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.   „Okay. Das ist ja schon mal was. Was denkst du, wo wir ihn am ehesten finden? Hip-Hop? EDM-Gedöns? Diese mysteriöse Millenium Party? Latin-Irgendwas?“   Er legte die Stirn in Falten, als er die Liste noch einmal durchlas. Ihm war tatsächlich nicht klar gewesen, dass dieser Laden hier so groß war. Da lief man ja quasi Gefahr den Weg nach draußen nicht mehr zu finden, wenn man ein Bier zu viel hatte, das sollte er definitiv im Kopf behalten.   „Glaub nicht, dass Hip-Hop so sein Ding ist“, meinte Tatsurou nachdenklich, kratzte sich dabei kurz am Kinn. „Aber die anderen Sachen … keine Ahnung. Vielleicht sollten wir uns einfach von unten nach oben durcharbeiten?“ Der Tonfall, in dem er die Frage stellte, zeigte, wie zweifelhaft er diese Idee anscheinend selbst fand, aber Karyu zuckte nur mit den Schultern. Großartig andere Möglichkeiten fielen ihm auch nicht ein, ohne Yukke direkt zu kontaktieren, was anscheinend nicht das war, was sein Kumpel gerade wollte. Also löste er sich von ihm und begann die Treppe zu erklimmen.   „Immerhin gibt es in der nächsten Etage gleich mal eine Bar, an der wir vorbeigehen können“, stellte er mit einem schiefen Grinsen fest. Denn wenn er an diesem Abend schon Babysitter für einen hormongesteuerten Tatsue spielen musste, dann wollte er sich das Ganze wirklich lieber etwas schöntrinken.   ~*~   Einige Zeit später am Abend stand er allein auf der Dachterrasse, die das Etablissement ihrer Wahl natürlich hatte und schaute nach unten auf die Straße. Hin und wieder zog er an seiner Zigarette, unterdrückte so gut es ging sein Zittern und genoss die relative Ruhe, die hier herrschte. Für eine kleine Pause von der ständigen Beschallung nahm er sogar die eisige Dezemberkälte in Kauf und immerhin war die Terrasse halbwegs windgeschützt. Die Musik aus der Etage unter ihm drang nur gedämpft bis hierher vor und bis auf das ein oder andere Grüppchen, das sich hier ebenfalls seiner Nikotinsucht hingab, war nicht viel los. Für einen Moment schloss Karyu die Augen. Es war ja nicht so, dass er sich nicht für Tatsurou freute, dass dessen Abend so gut lief – sie hatten tatsächlich nicht lange nach Yukke suchen müssen, sondern waren ihm an der Bar quasi direkt in die Arme gelaufen – aber mit der Zeit nagte es dennoch an ihm, permanent das fünfte Rad am Wagen zu sein. Karyu zog noch einmal an seinem Glimmstängel, bevor er die Reste davon nachlässig über die Brüstung schnippte und sein Handy aus der Hosentasche hervorzog. Das Display zeigte gerade mal kurz vor ein Uhr an, was hieß, dass die letzten Bahnen des abends schon lang gefahren waren, es aber noch ewig dauern würde, bis der Morgenbetrieb wieder aufgenommen wurde. Im Zweifelsfall konnte er zwar versuchen ein Taxi zu bekommen, aber allzu prächtig sah sein Kontostand seit seiner Rückkehr aus den USA nicht aus, sodass er das eigentlich vermeiden wollte. Andererseits war laufen auch nicht wirklich eine Option, wenn er nicht unterwegs irgendwo festfrieren und als menschlicher Eiszapfen enden wollte.   „Wusste ich doch, dass du das warst.“ Er konnte das Grinsen quasi in der Stimme hören, was allerdings seine Schreckreaktion, in der er beinahe sein Handy von sich geschmissen hätte, in keinster Weise minderte.   „Was?“, war dementsprechend seine erste Reaktion, als er sich herumdrehte, während ihm das Herz immer noch bis zum Hals schlug.   Dann allerdings sah er vielleicht zwei Meter von sich entfernt seinen bekannten Unbekannten am Geländer lehnen und das gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie dessen Grinsen wuchs, erneut diese unfassbar anziehenden Grübchen entstehen ließ. Der rationale Teil seines Gehirns sagte ihm, dass er die Dreistigkeit, die in diesem Gesichtsausdruck lag, nicht hätte anziehend finden sollen – sein Hormonhaushalt war da aber offensichtlich anderer Meinung. Und so oder so konnte den anderen nur stumm ansehen.   „Ich dachte vorhin schon, dass du das bist, unten am Eingang. Aber dann hab ich dich nicht mehr gesehen.“ In einer fließenden Bewegung stieß er sich von der Brüstung ab, kam mit einer Flasche Bier in der Hand näher. „Lustig, dass wir uns gerade hier über den Weg laufen.“   „Warum das?“, wollte Karyu verdattert wissen, konnte es aber nicht lassen, sein Gegenüber jetzt, wo er sich etwas gefasst hatte, von Kopf bis Fuß zu mustern. Seine Haare waren genauso wellig, wie in der Nacht am Flughafen und er schien selbst beim Ausgehen Wert auf Bequemlichkeit zu legen. Zumindest, wenn man nach den schwarzen Turnschuhen, der lockeren Stoffhose und dem karierten Hemd ging, das er trug.   „Ich bin normalerweise nicht der große Partymensch“, gab er in dem Moment zu, zuckte mit den Schultern und entlockte mit diesem Geständnis nun Karyu ein Lächeln.   „Ich auch nicht. Ehrlich gesagt, bin ich nur einem Kumpel zuliebe hier.“   „Verstehe.“ Dir Mundwinkel des anderen hoben sich leicht, während er ihn einfach nur einen Moment ansah, bevor ihm etwas einzufallen schien. „Wir haben uns am Flughafen nie wirklich vorgestellt, oder?“   „Oh. Stimmt.“ Ihn überkam eine vollkommen grundlose Unsicherheit. „Karyu“, brachte er nach kurzem Stocken schließlich noch die beiden Silben seines Vornamens heraus. Auch das brachte ihm wieder ein Schmunzeln ein.   „Michiya. Aber nenn mich Zero, das tun die meisten.“ Mit einem Zwinkern hob er seine Bierflasche, als wollte er ihm zuprosten und trank einen Schluck. „Freut mich.“   „Warum Zero?“ Die Worte verließen Karyus Mund, ohne, dass er Zeit gehabt hätte darüber nachzudenken, ob diese Frage vielleicht unhöflich war.   „Hat sich durchgesetzt. Ist ein Spitzname aus Kindertagen, den ich nicht mehr loswerde.“ Wirklich zu stören schien es ihn allerdings auch nicht.   Und vielleicht hätte er noch weitergesprochen, aber in dem Moment öffnete sich die Tür, die vom Treppenhaus aufs Dach führte und ließ einen Schwall Musik nach draußen schwappen. Zwei junge Frauen steckten ihre Köpfe nach draußen und sahen sich suchend um, bis sie an Karyus Gesprächspartner hängenblieben.   „Mensch, jetzt komm schon! Es geht los!“, riefen sie kichernd in ihre Richtung, verschwanden dann sogleich wieder nach drinnen.   Neben ihm seufzte Zero leise.   „Duracell-Häschen?“ Die Frage erntete ihm ein Nicken, während er sich automatisch gemeinsam mit dem anderen in Bewegung setzte.   „Eine ganze Herde, frisch aufgeladen.“ Für den Moment schien es, als wollte er dazu noch mehr sagen, sich dann aber eines Besseren besinnen und wechselte das Thema. „Du kannst dir das Drama gern mit ansehen, wenn du willst.“   „Das Drama?“ Karyu sah den anderen skeptisch an und seine Miene wurde nur noch fragender, als der begann sein Hemd im Gehen aufzuknöpfen, kaum dass sie den Club wieder betreten hatten. Darunter kam ein ebenso locker sitzendes Tanktop zum Vorschein, das den Blick auf schlanke aber gut trainierte Arme freigab, während Zero sich das andere Oberteil um die Hüften knotete.   Zero warf einen Blick zurück zu Karyu, während sie sich in Richtung der nächstgelegenen Tanzfläche durch die Menschenmengen schoben.   „Ich bin nicht wirklich gern das Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit. Zumindest nicht in diesem Rahmen“, sagte er.   Sie erreichten den Floor, zu dem sie anscheinend mussten, bevor er noch weitere Erklärungen abgeben konnte. Und ehe Karyu noch etwas hätte fragen können, wurde Zero von den beiden Mädchen, die eben schon nach ihm gesucht hatten und die jetzt plötzlich wieder aus der Menschenmenge auftauchten, an den Händen gepackt und in Richtung des DJ-Pults gezogen, das an der Stirnseite auf einer Art erhöhter Bühne seinen Platz hatte. Schon auf dem Weg dahin ertönten einzelne Anfeuerungsrufe, die er selbst über die Musik hinweg hören konnte und wenn er ehrlich war, wurden die Fragezeichen in seinem Kopf davon nur größer. Für einen Moment sah Karyu sich um, flüchtete sich dann in Richtung Bar, wo er glücklicherweise noch einen Sitzplatz ergattern konnte. So konnte er sich das wie auch immer geartete Drama, das anscheinend folgen sollte, zumindest in Ruhe ansehen.   Und kaum hatte er es sich mit einem frisch bestellten Energydrink in der Hand bequem gemacht, nahm der Lautstärkepegel auch schon ganz neue Ausmaße an – Zero und eine junge Frau, die er bisher noch nicht gesehen hatte, schienen mehr oder minder freiwillig auf die Bühne getrieben worden sein und wurden von der Menge gefeiert, als hätten sie irgendetwas Großes vollbracht. Ganz offensichtlich fehlten Karyu hier einige Informationen, mit denen der Zirkus mehr Sinn gehabt hätte. Allein schon, weil er immer mehr das Gefühl hatte, dass die Leute sich hier alle irgendwie kannten. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, wurde die Musik leiser, blieb nur noch als Hintergrundgeräusch bestehen, durch das man die bebenden Bässe vom Hip-Hop-Floor eine Etage tiefer hören konnte.   „Einen wunderschönen Abend an euch alle!“, ertönte da eine Stimme. Karyu glaubte eines der Duracell-Häschen von vorhin zu kennen, auch wenn er sie vermutlich nicht einmal in Gedanken so bezeichnen sollte. Breit grinsend stand sie auf der Bühne, einen Kopf kleiner als Zero oder die andere Frau, und fuhr sich mit der Hand, die nicht gerade das Mikrofon hielt durch ihr kurzes platinblondes Haar. Er musste ein bisschen in sich hineingrinsen, da sowohl ihre Frisur als auch die Haarfarbe Yukkes Stil erstaunlich ähnlich waren. „Es hat lange gedauert, aber endlich haben wir sie gefunden!“   Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Enthusiasmus und die Menge der Umstehenden tat es ihr gleich, was sie nur noch breiter grinsen ließ.   „Ja ich weiß, ich weiß. Wir sind alle super stolz auf unsere beiden Coaches hier. Einen großen Applaus für Zero und Koharu!“ Und sie bekamen nicht nur Applaus, sondern auch lautstarkes Kreischen und allerhand Gepfeife, während Karyu, mit jeder Sekunde noch ein bisschen verwirrter, nur von einem Ende des Raumes zum anderen sah. Auf die sehnlichst erhoffte Erklärung musste er aber glücklicherweise nicht lange warten, denn während Zero nur mit einem schiefen Lächeln den Kopf schüttelte als Koharu einen Arm um seine Schultern legte, um die Menge ihrerseits noch mehr anzustacheln, setzte die Blonde am Mikrofon zum Weitersprechen an. „Ich wünschte, ihr würdet mich mal so begrüßen“, sagte sie lachend. „Aber darüber beschwere ich mich ein anderes Mal. Heute soll es schließlich um diese beiden hier gehen. Die ersten beiden Mitglieder des Millenium Dance Centers, die als Choreografen zum Urban Dance Camp eingeladen worden sind – wie krass ist das bitte???“   Während das Ganze in Karyus Hirn langsam so etwas wie Sinn zu ergeben versuchte, zumindest in Bezug auf den Namen der Party, rastete die Menge um ihn herum nun vollkommen aus. Anscheinend war diese Einladung tatsächlich eine besondere Leistung, vielleicht war das ja sogar der Grund, warum Zero in New York gewesen war? Er nahm nachdenklich einen Schluck von seinem Energydrink und beobachtete Zero, der zwar lachend auf der Bühne stand, sich dort gerade aber ganz offensichtlich nicht ganz so pudelwohl wie die anderen beiden fühlte. Es machte ihn neugierig darauf, was er vorhin mit ‚nicht in diesem Rahmen‘ gemeint hatte.   „Nach dem, was ich gehört habe, sollen sie sogar nicht komplett versagt haben, wer hätte das gedacht“, dieser Kommentar erntete der Moderatorin von Koharu einen spielerischen Ellenbogenstoß in die Seite, dem sie aber gekonnt mit einem kleinen Ausfallschritt auswich. „Also was meint ihr: wenn sie schon dort waren und sich jetzt von uns feiern lassen, sollten sie uns doch auch zeigen, was sie die ganze Zeit in den USA gemacht haben, oder?“   Auch diesmal war die Antwort des Publikums wieder mehr als enthusiastisch und wenn er ehrlich war, fragte Karyu sich für einen Moment, wo er da eigentlich reingeraten war. Viel Zeit, um darüber nachzudenken, blieb ihm allerdings nicht, als die Menschenmenge sich teilte, um auf der Tanzfläche ausreichend Platz zu schaffen, für das, was da kommen sollte. Nur eine Handvoll junger Leute verblieb in der Mitte, gesellte sich zu Koharu und Zero, die sich neben der kleinen Bühne kurz zu unterhalten schienen, bevor letzterer zuerst in den Ring trat, den die Umstehenden gebildet hatten. Bis auf einzelne Zwischenrufe wurde es für einige Sekunden erstaunlich leise, dann setzte der Beat ein – und zu seinem Erstaunen erkannte Karyu das Lied wieder, zu dem die Gruppe, die mit Zero gereist war, im Flughafen herumgeturnt war.   Während des Intros schien die Gruppe um Zero vollkommen gemächlich ihre Plätze einzunehmen, stachelte das Publikum spielerisch noch mehr an und auch die Körpersprache seines Zufallsbekannten begann sich zu verändern. Mit jedem Takt schien der andere etwas lockerer zu werden, begann sich leicht zu den treibenden Bässen zu bewegen. Karyu sah, wie er kurz die Augen schloss, sich ein Lächeln auf seine Lippen legte, während er die Musik in sich aufzunehmen schien.   Vielleicht hätte Karyu versucht festzustellen, ob die Schritte die gleichen waren, an denen sich Teile der Gruppe mitten in der Nacht in Chicago versucht hatten, aber sobald Zero wirklich begann zu tanzen, beobachtete er in ihm einen Wandel, der es ihm unmöglich machte seinen Blick abzuwenden. Als würde er angezogen werden, wie eine Motte vom Licht. Auch wenn der andere in ihren beiden kurzen Gesprächen etwas Spielerisches an sich gehabt hatte, war da doch immer eine gewisse Zurückhaltung gewesen. Aber sobald die Musik begonnen hatte, schien er gleichzeitig in seine eigene Welt zu versinken und vollkommen aus sich herauszukommen. Jeder seiner Bewegungen wirkte kontrolliert bis in die Haarspitzen, ließ ihn dennoch vollkommen frei wirken. Einfach alles an ihm schien zu sagen, dass er das liebte, was er gerade tat. Das bewies nicht zuletzt das freche Grinsen, das er seinem Publikum hin und wieder zuwarf, wenn dieses ihn mit Zwischenrufen anfeuerte. Und wenn er ehrlich war, konnte sich Karyu sich dem im Lied immer wiederkehrenden ‚Please don't stop the music‘ nur anschließen, denn er hätte zu seinem eigenen Erstaunen nichts dagegen gehabt, Zero noch länger zuzuschauen. Er konnte nicht einmal genau sagen, was ihn gerade so faszinierte, obwohl oder vielleicht gerade weil er vom Tanzen an und für sich keine Ahnung hatte: ob es die Tatsache war, dass sich jemand überhaupt so bewegen konnte oder das, was seine flüchtige Bekanntschaft gerade ausstrahlte. Die Linien, die sein Körper zeichnete, die Kraft, die er offensichtlich besitzen musste, um sich so zu bewegen. Die Leidenschaft, die aus jeder Geste sprach, einfach alles an ihm wirkte so leicht, selbst wenn er den Schweiß auf Zeros Stirn glänzen sehen konnte – er mochte es sich kaum eingestehen, aber selbst das ließ ihn gerade nur noch anziehender wirken.    Aber noch bevor er über diese nicht vollkommen überraschende Erkenntnis nachdenken konnte, veränderte sich die Musik und Zero verschwand mitsamt seinen Tänzern unverhofft  aus seinem Blickfeld, wurde durch Koharu und ein weitere kleine Gruppe ersetzt, während das Publikum einmal mehr in wenigen Minuten in lautstarken Applaus ausbrach.   Er selbst blieb jedoch wie versteinert auf seinem Barhocker sitzen, suchte mit den Augen die Menschenmenge nach Zero ab. Er wusste nicht einmal, was er zu ihm sagen wollte oder wie er auf diesen für ihn vollkommen unerwarteten Umschwung in Zeros Ausstrahlung reagieren sollte. Aber zumindest sich selbst musste er eingestehen, wie sehr es ihm gefallen hatte, den anderen so zu sehen. Diese pure Freude und Leidenschaft hatten ihm einfach zu gut zu Gesicht gestanden und Karyu bekam gerade das Gefühl nicht los, dass ihn dieser Gesichtsausdruck noch länger verfolgen würde, ähnlich wie es mit dem Grinsen gewesen war, das er ihm in Chicago zugeworfen hatte.   Mit einem unterdrückten Seufzen stand er auf und wollte sich nach dem Barkeeper umsehen, um noch ein Bier zu bestellen und sich dann auf die Suche nach Tatsurou zu machen, als sich jemand schwungvoll auf seinen bisherigen Sitzplatz fallen ließ.   „Willst du schon gehen?“   Für eine Sekunde musste Karyu die Augen schließen, um sich nicht dem Schauer zu ergeben, den Zeros Stimme ihm gerade über den Rücken jagte. Er war deutlich hörbar außer Atem, aber selbst in den wenigen Worten schwangen die Endorphine mit, die gerade durch sein Blut schießen mussten. Er schluckte, drehte sich dann mit einem kleinen Lächeln zu dem anderen um, ließ seine Augen nur kurz über das verworrene Haar des anderen schweifen, dass der gerade versuchte mit den Händen ein wenig zu bändigen.   „Wie schon gesagt, das ist alles nicht ganz so mein Ding“, erklärte er schulterzuckend, auch wenn er weniger das Gefühl hatte gehen zu wollen, als viel mehr das, dass er hier einfach nicht hergehörte. „Ich wollte schauen, ob ich meinen Kumpel finde und mich dann auf den Heimweg machen, wenn ich ehrlich bin.“   Es fiel ihm schwer diesen Satz hervorzubringen, ohne über seine eigenen Worte zu stolpern. Zero saß vor ihm, jetzt wieder dieses Lächeln auf den Lippen, dass einen leicht arroganten Zug hatte ohne kalt zu wirken, ihn stattdessen regelrecht zu umgarnen schien. Mit einem Ellenbogen stütze er sich auf der Bar ab, während er sich mit der freien Hand noch ein paar Strähnen seines schweißfeuchten Haars aus dem Gesicht wischte.   „Ach komm, das Schlimmste ist vorbei“, lachte er jetzt, warf einen Blick auf die Menge, die sich nach einem letzten ausgiebigen Applaus mittlerweile schon wieder zur Musik bewegte und sich selbst zu feiern schien. Das Lied, das aktuell lief, hatte einen langsameren, irgendwie verrucht wirkenden Beat und anscheinend sah nicht nur er das so, wenn er sich das Publikum betrachtete. „Auch wenn ich mich fast dafür entschuldigen würde, aber Tänzer sind einfach so – wenn zu viele von uns zusammenkommen eskaliert es irgendwann immer.“   „Na das klingt ja vielversprechend.“ Karyu lehnte sich selbst gegen die Bar, hatte es jetzt zugegebenermaßen nicht mehr ganz so eilig damit zu gehen. „Aber ich schätze, man kann dir zu dieser Choreografen-Sache gratulieren?“   Zero kniff die Augen etwas zusammen und zog die Nase kraus, konnte ein Grinsen aber auch jetzt offensichtlich nicht vollkommen unterdrücken.   „Ich schätze, man könnte“, gab er dann zu. „Das Camp ist eines der größten Programme für Nachwuchstänzer überhaupt und daran mitarbeiten zu können ist definitiv eine Ehre.“ Das Lächeln auf seinen Lippen war weicher geworden, ließ seine braunen Augen noch wärmer wirken. „Ich mag es nur nicht dafür so hervorgehoben zu werden.“   „Und ich hab zwar von nichts, was mit Tanzen zu tun hat auch nur den Hauch einer Ahnung und es ist auch nicht wirklich mein Ding, aber es sah eben schon irgendwie danach aus, als ob du das verdient hast.“   Statt zu antworten, wandte Zero sich an den Barkeeper und gab ihm ein Zeichen, bekam schon wenige Augenblicke später eine Flasche Wasser in die Hand gedrückt. Er richtete sich etwas auf, um sie zu öffnen und Karyu konnte sehen, dass er sich – vielleicht instinktiv oder unbewusst – leicht zur Musik bewegte, während er den Deckel abschraubte und einen langen Zug aus der Flasche nahm. Erst danach sah er Karyu wieder an, schien für einen Moment gedanklich abzuwägen, was er sagen wollte.   „Warum ist Tanzen ‚nicht wirklich dein Ding‘?“, wollte er wissen und allein die Frage löste bei Karyu ein ungutes Gefühl aus.   „Ich hab Musik eher in den Händen als in den Füßen“, gab er zu, sah seine Hoffnung, dass das Thema damit erledigt wäre, aber schwinden, als Zero langsam, in einer fast unmöglich fließenden Bewegung von seinem Barhocker rutschte, ohne dabei auch nur den Bruchteil einer Sekunde die Augen von ihm zu lassen. Jetzt lag etwas eindeutig herausforderndes in seinem Blick.   „Ich hab bisher noch jedem ein bisschen Rhythmusgefühl einprügeln können“, meinte er leichthin und streckte eine Hand nach Karyu aus.   „Das Problem liegt bei mir eher in der Koordination, befürchte ich.“   Das Grinsen seines Gegenübers wurde noch ein Stück weiter, ließ wieder diese unmöglich anziehenden Grübchen entstehen, sodass er sich einen Moment lang ganz darauf konzentrieren musste, keine weichen Knie zu bekommen.   „Ich kann ziemlich gut führen“, meinte Zero schlicht, als würde das alle seine Probleme lösen und griff sich Karyus Unterarm, um ihn hinter sich her in Richtung Tanzfläche zu ziehen.   Und er hätte wirklich, wirklich gern etwas erwidert. Irgendetwas, das Zero klarmachen konnte, dass das hier ein Fehler war, weil er selbst schon auf gerader Strecke genügend Probleme damit hatte nicht über seine eigenen Füße zu stolpern und sich hier nur ungern vor der gefühlt vollständig anwesenden Tanzwelt Tokyos zum Affen machen wollte. Aber Zeros Hand lag so warm und sicher um sein Handgelenk, sein Daumen strich immer wieder so beiläufig über seine Haut, dass er sich gerade nur auf dieses Gefühl konzentrieren konnte, in der Hoffnung, dass er weder sich noch andere verletzen würde.    ~*~   Als er den Club hinter sich ließ, atmete Karyu die kühle Nachtluft tief ein, zog dann automatisch die Schultern hoch, um sich in seinen Schal kuscheln zu können und vergrub die Hände in seinen Jackentaschen, während er sich umsah. Zero war nur wenige Schritte hinter ihm, verabschiedete sich gerade noch von einem der Türsteher. Er betrachtete die Szene, sah dann das erste Mal seit Stunden auf sein Handy. Er konnte wirklich nicht fassen, dass es jetzt tatsächlich schon kurz vor fünf war und er sich trotzdem nicht vollkommen erschlagen fühlte. Zumindest würde er nun kein Problem haben mit dem Zug nach Hause zu kommen.   „Bin da“, unterbrach Zero seine Gedanken, stieß ihn sacht mit der Schulter an und bog dann auf den Fußweg ab.   Einmal mehr an diesem Abend sah Karyu ihm hinterher und fragte sich, in was er da bitte hineingeraten war – nicht, dass er sich beschwerte, je mehr er Zeit er mit dem anderen verbrachte, desto sympathischer war er ihm, aber er war sich immer noch nicht wirklich sicher, wie das eigentlich passiert war. Kopfschüttelnd zog er seine Zigaretten hervor und steckte sich eine davon an. Er würde es zwar später bereuen jetzt auch noch geraucht zu haben, nachdem seine Stimme von den lauten Unterhaltungen der Nacht sowieso schon ziemlich angekratzt war, aber darüber konnte er sich Gedanken machen, wenn es so weit war.   „Du auch?“ Er hielt Zero die Schachtel hin, der aber nur heftig mit dem Kopf schüttelte.   „Ein Gift für heute reicht.“ Auf Karyus fragendes Gesicht hin legte er den Kopf schief. „Ich trinke nur ziemlich selten, da steckt noch zu viel klassisches Ballett in mir.“   „Du bist schon im Dreivierteltakt auf die Welt gekommen, oder?“, lachte Karyu, verschluckte sich beinahe am Zigarettenrauch, während Zero nur das Gesicht verzog.   „Nee, Walzer ist nicht so meins, sorry“, erwiderte er dann grinsend. „Aber ich tanze quasi, seit ich laufen kann und so eine Ausbildung dauert eben ihre Zeit.“   „Das klingt irgendwie nach mehr als einem Sommercamp oder so“, bemerkte er mit hochgezogenen Augenbrauen.   „… durchaus.“ Zero zuckte mit den Schultern, bevor er im Gehen fließend und ohne sichtliche Anstrengung für einen Moment auf die Fußballen wechselte. Geschmeidig tat er einige Schritte, hob dann sein linkes Bein in einer geraden Linie nach hinten an, bevor er es etwas anzog. Karyu wusste nicht genau, wie das funktionierte, was der andere da machte, bewunderte nur das Gleichgewicht, das er so mühelos halten konnte, während er sich um die eigene Achse drehte, bevor er mit ihm zugewandten Gesicht innehielt und einen kleinen, albernen Knicks machte. „Ich hatte Ballettunterricht, seit ich in der Grundschule war und mit dem Wechsel auf die Mittelschule bin ich auf ein Internat für Tänzer gekommen. Von da an lief die Schule an sich eher nebenbei, das Wichtigere war die Ballettausbildung“, erklärte er, während er weiter rückwärts vor Karyu herging.   „Klingt nicht nach viel Freizeit.“   „Stimmt, aber mir kam das damals nicht so vor. Es war hart, aber es war auch das, was ich wollte.“ Er blieb stehen, als sie an eine Kreuzung kamen, lehnte sich mit dem Rücken an den Mast der Fußgängerampel. „Heute ist das was anderes.“   Zu gern hätte Karyu noch mehr nachgehakt, denn wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte Zero gerade auch sein ganzes Leben vor ihm ausbreiten können. Aber wie schon öfter an diesem Abend, hatte er seine Rechnung da ohne seinen Begleiter gemacht.   „Was ist mit dir?“, fragte der nämlich, zog während sie die Straße überquerten ein Basecap aus seiner Umhängetasche, um es sich wieder aufzusetzen.   „Ich fürchte ich bin im Vergleich dazu relativ langweilig.“   „Dann gib dir beim Erzählen Mühe.“ Der Blick, den er Zero zugeworfen hatte, musste wohl geschockter aussehen, als er geplant hatte, denn ein weiteres Mal in wenigen Minuten fing er an zu lachen. Und auch wenn Karyu hier gewissermaßen das Objekt der Belustigung war, konnte er nicht sagen, dass ihn das störte. Dazu gefiel ihm das Gesicht des anderen einfach zu gut. Der Gedanke brachte ihn, nicht zum ersten Mal an diesem Abend, aus dem Konzept, ließ ihn stocken. Er räusperte sich kurz, versuchte sich selbst zu sagen, dass er sich diese Überlegungen am besten gleich aus dem Kopf schlagen sollte.   „Klassisches Zuhause eigentlich“, begann er dann. „Meine Eltern wollen, dass ich irgendwann in die Wirtschaft gehe-“   „Klar, du siehst schon aus, wie so ein Bänker, muss ich sagen. Absolut seriös.“   Diesmal musste Karyu ebenfalls lachen, fuhr sich automatisch durch seine blonden Haare, die bei seinen Eltern so oft der Stein des Anstoßes gewesen waren.   „Absolut, das sag ich auch immer. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass ich erst mal irgendwie meinen Abschluss in Internationalem Management mache. Und dann hoffe ich damit irgendwie in die Musikindustrie zu kommen.“ Er zuckte mit den Schultern, während sie die Stufen zur U-Bahn hinunterstiegen. So lang er diesen Plan auch schon hatte, er fühlte sich immer wieder unwohl, wenn er jemandem davon berichtete. Vielleicht, weil er es selbst für unwahrscheinlich hielt, dass das Ganze funktionieren würde und er insgeheim Angst hatte, dass ihm das irgendwann einfach ins Gesicht gesagt wurde.   „Gefällt mir“, meinte Zero stattdessen, lehnte sich im Laufen kurz zu ihm, sodass sich ihre Schultern ein weiteres Mal streiften. „Wenn du dann irgendwann mal ein hohes Tier in irgendeinem Label bist und Tänzer für ein Musikvideo für irgendeine Band brauchst, sag Bescheid.“   Die Worte hingen einige Sekunden lang zwischen ihnen, in denen nur der Lärm einer Bahn, die auf einem anderen Gleis einfuhr, zu hören war. Karyu biss sich auf die Unterlippe, sah den anderen mit einem unsicheren Lächeln an.   „Ich wüsste ja nicht mal, wie ich dich erreiche.“   „Dann sollten wir das schnellstmöglich ändern, würde ich sagen.“ Zero streckte seine Hand in einer Geste aus, die ihn automatisch sein Handy aus der Jackentasche ziehen ließ. „Nicht, dass mich das irgendwann meinen großen Durchbruch kostet.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)