All I want 4 Xmas... von Keinseier (... is U) ================================================================================ Kapitel 1: Der Morgen danach ---------------------------- Mein Kopf dröhnte. Sehnsüchtig wartete ich darauf, dass die eben eingeworfene Kopfschmerztablette endlich Wirkung zeigte. Doch Fehlanzeige. Noch fühlte ich mich genauso beschissen, wie vor einer halben Stunde, als ich aufgewacht war. Brummend strich ich mir über die kurzen, schwarzen Haarstoppeln. „Machs gut. War schön gestern...“ Ein wenig missmutig sah ich vom Herd aus über den schmalen Tresen, der als Raumtrenner zum Wohnzimmer, als auch als Küchentisch fungierte, zur Haustür hinüber, wo Casey gerade seinen One-Night-Stand von letzter Nacht raus warf verabschiedete. An dieser Stelle war ich auch ein klein wenig Dankbar für meinen Alkoholpegel von gestern Nacht und dem damit einhergehenden komatösen Schlaf. „Fand ich auch... meld dich mal.“ „Klar...“ Die Tür fiel ins Schloss und er drehte sich zu mir um. „Hättest sie ruhig fragen können, ob sie zum Frühstück bleiben will. Wir haben mehr als genug.“ „Nah...“ Casey winkte ab und trottete in T-Shirt und Shorts durch unser WG-Wohnzimmer auf mich zu. Die blonden Haare standen ihm noch ganz zerzaust vom Kopf und seine babyblauen Augen waren von dunklen Augenringen unterzogen. Als er näher kam rümpfte ich die Nase. Er stank nach Rauch, Alkohol, Sex... kurzum nach der Party von gestern Abend, auf der wir gewesen waren. Nur das ich den Weg unter die Dusche heute schon gefunden hatte. Das war auch bitter nötig gewesen. Es war ewig her, dass ich es so übertrieben hatte und mit so einem dicken Kopf aufgewacht war. Ich beschloss das Thema fallen zu lassen und kippte stattdessen die verquirlten Eier in die heiße Pfanne. In einer zweiten landete der Frühstücksspeck. Katerfrühstück alá Mike. Die Kaffeemaschine piepte und mein Mitbewohner, der gerade dabei war den Tisch zu decken, zog drei Tassen aus dem spärlich bestückten Schrank und drängte sich in der engen Küchenzeile an mir vorbei, um uns beiden ein zu schenken. „Wann bist du eigentlich los? Hab dich nachher gar nicht mehr gesehen“, fragte Cas beiläufig und ich fühlte mich augenblicklich ertappt. Mein Körper spannte sich an und mir wurde ganz heiß. Dank meiner dunklen Haut konnte man mir immerhin nicht sofort die Röte im Gesicht ansehen. Auch Casey schien nichts zu merken und ich ermahnte mich einmal tief durch zu atmen und ruhig zu bleiben. Es war immerhin nichts passiert. Ach wirklich? Dankend nahm ich die dampfende Kaffeetasse entgegen und beobachtete meinen Freund, wie er sich auf einen der Barhocker an den schmalen Küchentresen setzte. „Ich... keine Ahnung. Ich hab euch irgendwann nicht mehr gesehen, aber das wundert mich auch nicht.“ Grinsend lenkte ich das Thema von mir zurück auf die hübsche Brünette, die Cas vor wenigen Minuten zur Tür geleitet hatte. Casey lachte kurz auf und sah sich prüfend um. „Apropos... wo ist eigentlich...“ Noch bevor er den Satz zu ende sprechen konnte, vernahm ich das Schloss der Haustür, welche keine Minute später schwungvoll aufgerissen wurde. „Boah, was für ein Mistwetter! Scheiß Schnee!“, fluchte Bob lauthals los, als er in die Wohnung stolperte. Schmunzelnd drehte ich mich zu meinem zweiten Mitbewohner und bestem Freund um. Bob fegte sich gerade den bereits angetauten Schnee aus der braunen, unordentlichen Haarpracht. Er entledigte sich seiner dicken Jacke und streifte die nassen Winterboots von den Füßen. Unachtsam ließ er sie an Ort und Stelle liegen, ehe er zu uns in den Küchenbereich hinüber ging. Er trug noch immer den hässlichen Weihnachtspullover mit blinkenden Rentieren darauf. Natürlich trug er ihn noch, war er seit der Ugly Christmas Sweater Party gestern ja auch noch nicht wieder zu hause gewesen. Immerhin blinkten die kleinen Viecher nicht mehr abwechselnd in bunten Farben, so wie gestern Nacht. „Pünktlich wie immer“, begrüßte Casey ihn grinsend. „Ihr habt beide keine Manieren“, warf ich gespielt mahnend ein. Einer schmiss seinen One-Night-Stand vor dem Frühstück raus und der andere flüchtete für gewöhnlich, bevor sein Opfer aufwachte. Bob winkte ab. „Komm schon Mikey – ich verpass doch nicht dein legendäres Katerfrühstück. Auf gar keinen Fall!“ Freundschaftlich klopfte er mir auf die Schultern und seine braunen Augen blitzten amüsiert auf, ehe er sich an mir vorbei zur Kaffeemaschine durch schob. „Wem hat denn die heiße Brünette da eben gehört?“ Als Casey die Hand hob, klatschten die beiden ab und lachten. „Und ich dachte schon Mikey wäre endlich zurück im Sattel. Oh hey, ich hab uns Bagel mit gebracht.“ Er pfefferte die Tüte mit dem frischen Gebäck auf den Tresen. Immerhin darauf war verlass. Wir hatten gestern vergessen neues Toast zu kaufen, doch hatten Cas und ich einstimmig entschieden, dass keiner mehr los müsste, da Bob morgens auf dem Heimweg eh immer beim besten Bagelladen der Stadt halt machte. „Ich muss nicht zurück in den Sattel...“, brummte ich ein wenig genervt. Wann würde er endlich aufhören mich ständig verkuppeln zu wollen? Oder schlimmer: mich dazu zu überreden mich auf One-Night-Stands ein zu lassen? Das war echt nicht mein Ding. Und seitdem ich meine Ex-Freundin vor 6 Wochen mit dem Quarterback der Portland Pilots, unserem Universitätsteam, erwischt hatte, war mir gerade ohnehin nicht nach irgendwelchen Frauengeschichten. Vielleicht war es besser so. So langsam kam ich über sie hin weg und konnte mich endlich wieder voll aufs Studium konzentrieren. Jura war immerhin ein alles andere als leichter Studiengang. Ein bisschen weniger Ablenkung würde mir also ganz gut tun. Nur das ich das Gefühl hatte, dass das nach dem letzten Abend nicht so einfach aufgehen würde. Gedankenverloren umfasste ich das Steinzeittelefon in der Tasche meiner Jogginghose. Ich schaffte es erst mich aus meiner Starre zu reißen, als sich eine Hand in meine Pfanne verirrte, um ein Stück Speck zu stibitzen. „Finger weg!“, ermahnte ich Bob streng und haute mit dem Pfannenwender nach ihm. Doch er war wie so oft schneller. Grinsend verzog er sich mit seiner Beute und der dritten Tasse Kaffee zu Casey an den Tresen. Die beiden begannen sich über ihre Liebschaften von vergangener Nacht aus zu tauschen und ich machte mich daran das Rührei und den Speck auf zwei Teller zu füllen, die ich in der Mitte des Küchentisches platziere. Wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe stürzten wir uns auf das dampfende Frühstück. Auch die Bagel waren noch etwas warm und dufteten köstlich. Zu den detailreichen Erzählungen der beiden sagte ich die meiste Zeit über nichts. Es war jedes mal das selbe. Doch um so mehr ich mich aus dem Gespräch raus hielt, desto mehr drifteten auch meine Gedanken zurück zur vergangenen Nacht. Ich fühlte wie die Hitze in mir aufstieg und mein, ohnehin nicht all zu großer, Appetit endgültig verflog. Vorsichtig linste ich zu Bob und Casey, die mich aber nicht weiter beachten. Es war mir ganz lieb, wenn sie nichts mit bekamen. Denn dieser eine Gedanke wollte einfach nicht aufhören durch meinen Kopf zu spuken. Ich habe auf der Party einen Typen geküsst. Ich habe auf der Party einen Typen geküsst. Ich habe auf der Party einen Typen geküsst. „Ich hab' auf der Party einen Typen geküsst.“ Augenblicklich verstummten meine Freunde. Scheiße – hatte ich das gerade laut gesagt? Erneut schoss mir die die Hitze in den Kopf und meine Hände wurden ganz schwitzig, so dass mir beinahe die Gabel aus den Händen rutschte. Bob fand nach kurzem Schweigen als erstes seine Sprache wieder: „Du hast WAS?!“ Noch immer starrten sie mich ungläubig an und schienen nicht minder überfordert, wie ich. Schnell lenkte ich den Blick wieder auf meinen Teller. „Mike?“ „Ernsthaft?“ Caseys Mundwinkel zucken amüsiert nach oben, doch eigentlich sah er genau so überfordert aus, wie ich mich gerade fühlte. „Ich ähm... ich weiß auch nicht so recht wie das passiert ist“, stammelte ich verlegen herum. Es kostete mich einiges an Überwindung wieder in ihre Gesichter zu blicken. Ich kam mir vor, als würde ich mich gerade vor meinen besten Freunden outen vielleicht tat ich das auch gerade... unwissend, dabei... war ich doch gar nicht Schwul. Oder Bi? Bisher hatte ich immer Freundinnen gehabt und auch nie an Jungs gedacht. Wie viele Stunden hatten wir damals in Kalifornien am Strand beim Surfen verbracht? Nie wäre mir eingefallen irgendwelchen Typen nach zu blicken. Zumindest nicht wissentlich. Und doch... konnte ich die Ereignisse von gestern Nacht einfach nicht vergessen. Irgendwas in mir war regelrecht aufgewühlt. Ich redete nicht gerne über Gefühle und über solch verwirrenden schon mal gar nicht. Doch ich hatte es ausgesprochen und ich kannte meine Freunde gut genug, um zu wissen, dass sie jetzt nicht mehr locker lassen würden. „Erzähl uns alles. Und zwar ganz genau“, forderte Bob mich auf, während er sich das letzte Stück Speck vom Teller klaute und gedankenverloren quer zwischen die Zähne schob. Wenn ich mich gerade nicht so furchtbar unwohl fühlen würde, dann hätte ich jetzt gelacht. Auch Casey starrte mich noch immer auffordernd an und nippte dabei an seinem Kaffee. Ein bisschen fühlte ich mich wie im Zoo unter ihren drängenden Blicken. Ich atmete noch einmal tief durch. Aus der Nummer kam ich ohnehin nicht mehr raus. „Also schön...“ Kapitel 2: Die Party -------------------- Die Party war in vollem Gange. Das ganze Haus der spanischen Verbindungsstudentinnen war voller betrunkener Studenten in hässlichen Weihnachtspullovern. Bei manchen waren es die typischen Strickmuster, andere hatten kitschige Weihnachtsfiguren mit und ohne Leuchtfunktionen drauf gestickt und wieder andere trugen weihnachtliche, gestrickte Fan-Pullover. Die Auswahl reichte von Star-Wars über die Avengers und Disney. Alles war hier vertreten. Auf meinem Pullover prangte das rundliche Gesicht eines Weihnachtsmannes mit entsprechender Bemützung. Nicht sonderlich originell, aber war ich auch noch nie Fan solcher Kleidungsstücke gewesen. Die meisten Leute auf der Party kannte ich nicht einmal und den Rest größtenteils höchstens vom Sehen. Es war das letzte Wochenende bevor die Weihnachtsferien starten würden und die meisten für ein paar Wochen nach Hause fuhren. Und doch wäre ich am liebsten zu Hause auf der Couch geblieben. Casey habe ich das letzte Mal vor einer guten Stunde gesehen. Bob dagegen hatte mich bis eben noch versucht mit irgendeiner Medizinstudentin zu verkuppeln. Ich war dem peinlich stockenden Gespräch nur entkommen, indem ich vorgab zur Toilette zu müssen. Eigentlich wollte ich einfach zur Tür hinaus marschieren, doch als mir ausgerechnet dort Harper und ihr Neuer entgegen kamen, blieb mir nur die Flucht über die angrenzende Treppe ins Obergeschoss. Schwankend stützte ich mich an der Wand ab und umklammerte mein Bier etwas fester. Alles drehte sich. Ich musste hier raus. Ich drängte mich zwischen ein paar Leuten auf dem schmalen Flur vorbei und griff nach der nächstbesten Tür. Energisch zog ich sie auf und taumelte hinein. „Was...!“ Der erschrockene Ausruf des Jungen ging unter einem lauten Klirren unter. „Oh verdammt...“ Neugierig mustere ich den Fremden, der sich sofort daran macht die Scherben der unbeabsichtigt hinunter gestoßenen Vase auf zu sammeln. Ertappt sah er zu mir zurück. „Sorry...“, lallte ich leise, wanke zu ihm herüber, nur um dann neben ihm in die Hocke zu gehen und ihm beim Aufsammeln zu helfen. „Sieht irgendwie teuer aus...“, murmelte ich unbedacht, ehe ich die Scherben zurück auf den Sockel legte. „Findest du? Verdammt, ich...“ Mein Gegenüber sah sich ein wenig aufgeschreckt um. Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Muss ja keiner wissn das wir das warn“, winkte ich beschwichtigend ab. Trotz meines Zustandes sagte ich bewusst wir. Immerhin hatte ich ihn erschrocken, sonst wäre das vermutlich nicht passiert. Dankbar lächelte er mir kurz zu. Ich nickte zurück, dann schenkte ich dem großen, fremden Raum meine Aufmerksamkeit. Ein paar gut gefüllte Bücherregale standen an den Wänden. Dazwischen konnte ich einen Ohrensessel und ein altes Ledersofa aus machen. Es hatte was von einer alten, urigen Privatbibliothek. Nur eben nicht so groß. Mein Blick ging zurück zu dem anderen Partygast. Ich musterte ihn genauer. Nein, definitiv hatte ich den bisher noch nie gesehen. Er war ein gutes Stück kleiner als ich. Auch kleiner als Bob und Casey, aber mit ähnlicher Statur wie wir alle. Sportlich, soweit ich das unter dem etwas weiteren Strickpullover, den er trug, erahnen konnte. Spider-Man war das Motiv, was mich leicht schmunzeln ließ. Seine Gesichtszüge waren ein wenig kantig, dunkle Augen. Die genaue Farbe ließ sich im Halbdunkel nicht bestimmen. Wenn mich mein vernebelter Blick nicht täuschte, dann hatte er irgendwie ein bisschen Ähnlichkeit mit Tom Holland und...   „Und als ihr euch geküsst habt, hing er kopfüber von der Decke“, warf Casey trocken ein. Bob lachte amüsiert auf. „Oh Mikey, hast du etwa zu viele Brownies genascht? Da war ganz sicher Gras drin.“ „Was? Nein!“ Oder doch? Ich musste zugeben, dass ich ein paar kleinere Blackouts von dem Abend hatte. Doch wenn es nur eine wirre Illusion war, wo kam dann das Handy in meiner Tasche her? Nein... und von den Brownies hatte ich auch nicht gegessen. Zumindest nicht wissentlich. Aber vielleicht war das mein Ausweg aus dieser peinlichen Situation. „Also wenn ihr meint, dass es ne Einbildung war. Vielleicht habt ihr ja...“ „Nein!“, fiel Bob mir ins Wort, „du erzählst schön weiter.“ Resignierend seufzte ich auf, ehe ich weiter redete.     „Mike“, stellte ich mich schließlich vor und reiche dem anderen die Hand. „Thomas“, erwidert er und ich nickte kurz. „Freut mich.“ Diesmal war er derjenige der nickte. „Also was machst du hier, Thomas? Die Party findet doch eigentlich unten statt“, fragte ich und begann mich genauer im Zimmer um zu schauen. Bücher mochte ich schon immer. „Mich vor meinen Brüdern verstecken. Ich bin nicht so der Partygänger.“ Ich lachte leise auf und nahm noch einen Schluck Bier, ehe ich meine Aufmerksamkeit von den vielen Büchern – Abenteuerromane waren mir die Liebsten – zurück auf Thomas lenkte. „Dann sind wir schon zwei. Also fast. Ich verstecke mich vor meinen Freunden und... und ja“ Ich schluckte den Teil in dem ich Harper mit aufführen wollte, lieber hinunter. Wenn ich nun eines nicht gebrauchen konnte, dann das ich einem Wildfremden mein Herz ausschütten sollte. Skeptisch musterte ich Thomas noch mal, ehe ich mich einfach auf den Boden setzte und ans Regal anlehnte. Ob er nachbohren würde? Ich konnte ihn nicht einschätzen. Er zögerte, bis ich mit der Hand auf den Boden neben mich klopfte. „Dann können wir uns ja auch zusammen verstecken“, schlug ich versucht nüchtern vor, ganz so, als wäre es die einzig logische Konsequenz. Stumm ließ er sich neben mich nieder. Ich reichte ihm meine Bierflasche und er nahm einen Schluck daraus. „Was studierst du denn?“, fragte ich ihn interessiert. In meinen Kursen war er jedenfalls nicht, da war ich mir sicher. Alles drehte sich, so dass ich meinen Kopf kurz an das Regal hinter mir anlehnte. „Gar nichts...“, antwortete Thomas. Als er mir die Bierflasche zurück reichen wollte, lehnte ich ab. Ich hatte wohl wirklich genug. „Gar nichts? Gehst du noch zur Schule?“ Hatte ich gerade einem Minderjährigen mein Bier gegeben? Schnell schüttelt er den Kopf. „Nein... nein meine Familie hat ne Farm. Da arbeite ich.“ „Hah“, machte ich leise und musterte ihn aus fahrigen Augen. Ich versuchte ihn ein zu schätzen. Älter als ich war er wohl kaum. Entweder hatte der Bartwuchs bei ihm noch nicht eingesetzt oder er rasierte sich sehr akribisch. Doch das kantige Gesicht ließ ihn sehr wohl männlich und keineswegs mehr kindlich aussehen. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihn eine Sekunde zu lang anstarrte. „Und deine Brüder?“, fragte ich schnell, bevor es ihm noch auffiel... hoffentlich war es das nicht längst. „Die auch. Aber Miles Freundin Amy studiert. Und er und Andrew sind der Meinung, dass ich mal mehr raus gehen soll. Leute kennen lernen und so. Also haben sie mich mitgeschleift. In unserem Dorf ist nämlich nicht so viel los. Naja... wie gesagt... Partys sind nicht so meins. Deswegen find ich das auch eigentlich gar nicht schlimm.“ Er lächelte mir zu und nippte erneut an der Bierflasche. „Und deine Freunde? Was haben die angestellt, dass du dich versteckst?“ Ich öffnete die ganz kurz geschlossenen Augen wieder und linste zu ihm hinüber. Er sah ehrlich interessiert aus. Ja, was hatten sie angestellt? Eigentlich nichts Schlimmes, außer mir dezent auf die Nerven zu gehen, heute Abend. Ich machte eine ausladende, wegwerfende Handbewegung. „Wollen mich unbedingt verkuppeln, aber da habsch grad keine Lust drauf. Bin durch mit Mädchen“, antwortete ich schließlich mit schwerer Zunge. Thomas nahm einen weiteren Schluck von meinem Bier und stellte die Flasche auf den Boden zwischen uns. „Achja?“ Nun sah er irgendwie nervös aus. Warum denn das? Ich beschloss mir nichts weiter dabei zu denken. Stattdessen plapperte ich betrunken weiter: „Wollte heute eigentlich auch lieber zu Haus bleiben, aber... naja is doch nicht so übel. Gratis Alkohol und nette Gesellschaft.“ Betrunken grinste ich Thomas an und ertappte ihn dabei, wie er schnell weg sah, als sich unsere Blicke kreuzten. Ich sagte nichts dazu und streckte stattdessen ungeschickt meine Beine aus. Dabei stieß ich versehentlich gegen die noch halb volle Bierflasche, sodass sie umkippte. „Oh fuck..!“ Ich rappelte mich so gut ich konnte wieder auf und schnellte nach vorn, um sie wieder auf zu richten, Thomas hatte anscheinend dieselbe Idee, denn wir stießen mit den Köpfen zusammen. Ein seichter Schmerz durchfuhr mich, brachte mich allerdings nur zum Lachen. Thomas lachte ebenfalls auf und fasst sich mit einer Hand an die Stirn. Erst jetzt realisierte ich, dass sich unsere Hände an der Bierflasche berührten. Die Wärme, die von der Seinen ausging, fühlte sich angenehm an. Ein Kribbeln durchfuhr mich. Verunsichert sah ich auf und begegnete Thomas Blick. Wie gebannt starrte ich ihm tief in diebraunen Augen, unfähig mich los zu reißen. Ich versuchte die Lippen zu bewegen, um irgendwas zu sagen. Irgendwas albernes oder so. Doch ehe ich dazu kam, beugte Thomas sich mir die letzten Zentimeter entgegen und legte seine Lippen auf meine. Erschrocken riss ich die Augen auf. Doch ich stieß ihn nicht weg. Im Gegenteil. Nach einem kurzen Moment der Überforderung, ließ ich mich auf das Abenteuer ein und erwiderte den Kuss. Das war so anders, als mit Harper oder jedem anderem Mädchen, das ich bisher geküsst hatte. Rauer, härter, intensiver. Mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meinen Brustkorb und ich schob eine Hand in seinen Nacken. Fordernd drängte ich mich fester gegen ihn und versuchte ihn ein Stück zurück zu drücken, doch er hielt dagegen. Es war wie ein unbändiger Kampf, in dem keiner sich unterordnen wollte. Hitze stieg in mir auf. Hitze und unbändiges Verlangen. Plötzlich quietschte die Tür am anderen Ende des Raumes auf. Erschrocken fuhren wie auseinander. Irgendwer kicherte und schlug sie wieder zu. „Ich... ich muss gehen...!“, stammelte Thomas panisch und mit hoch rotem Kopf. „Wa.. Was...?“ Mein benebeltes Hirn konnte der ganzen Situation nicht so recht folgen. Ehe ich dazu kam noch irgendwas zu sagen, hatte Thomas sich schon aufgerappelt und den Rückzug angetreten. „Warte!“, rief ich ihm nach und versuche mich ebenfalls auf meine Beine zurück zu kämpfen. Doch mein betrunkener Körper wollte nicht so, wie ich. Mein Blick ging zurück zu dem Fleck wo er eben noch gesessen hatte. Da lag noch was. Ein Handy! Es musste ihm bei seiner überstürzten Flucht aus der Hosentasche gerutscht sein. Ich griff mir das alte Ding – nicht mal Touchscreen. Mit dem Teil konnte man ja jemanden erschlagen. Endlich schaffte ich es zurück auf die Füße, indem ich mich am Regal hochzog. Das Handy steckte ich in meine Hosentasche und nahm schwankend die Verfolgung auf. „Thomas?“ Im Flur des Obergeschosses war er längst nicht mehr. Und auch in all den anderen Räumen, durch die ich mich anschließend kämpfte war keine Spur mehr von ihm. Verdammt. Stattdessen entdecke ich Bob der gerade seine Zunge in den Hals der hübschen, blonden Medizinstudentin steckte, die er mir vorhin hatte andrehen wollen. Casey entdeckte ich im ganzen Haus nicht mehr. Frustriert schnaubte ich auf. Es war wohl Zeit nach Hause zu gehen. Kaum war ich an die frische Luft getreten, rächte sich das letzte Bier. Das musste schlecht gewesen sein. Ich stützte mich an der Häuserwand neben der Haustür ab und entleerte meinen Mageninhalt ins Blumenbeet.   Peinlich berührt fuhr ich mir durch die kurzen Haare, während meine Freunde mich noch immer ungläubig anstarren. „Ich war also echt betrunken. Keine Ahnung mehr wie ich überhaupt nach Hause gekommen bin“, rechtfertigte ich mich und schob Bob den Rest meines Frühstücks hinüber. Ich bekam nicht wirklich etwas hinunter und er war ohnehin schon die ganze Zeit dabei gewesen mir das Essen vom Teller zu klauen. „Krass... und das ist wirklich so passiert?“ Erneut schoss mir die Hitze in den Kopf und ich brummte leise zustimmend. Zum Beweis legte ich das alte Nokia Handy auf den Tisch, welches Bob sofort an sich nahm, um es an zu schalten. Das hatte ich auch schon versucht, allerdings war der Akku leer. Und ein passendes Ladekabel würden wir hier wohl kaum finden. „Ich meine er hat mich echt überrumpelt. Warum küsst er mich denn auch einfach? Ich war echt einfach nur total betrunken. Das hat... gar nichts zu bedeuten.“ Verstohlen linste ich zu dem Handy hinüber, welches Bob noch immer zwischen seinen Fingern hin und her drehte. „Naja...“, begann Cas langsam und lehnte sich dabei zurück: „Wenn deine Geschichte so stimmt, hast du ihm aber auch ziemlich eindeutige Signale gesendet.“ Bitte was? Empört schnappte ich nach Luft. „Wo das denn? Ich hab gar nichts gesendet!“ Okay ich gab es ja zu. Ich war noch nie ein Meister im Flirten gewesen. Meistens blamierte ich mich einfach und anscheinend sendete ich hin auch wieder auch Signale, die man missverstehen konnte, aber eindeutig? „Der Abend ist doch noch ganz schön, mit Mädchen bin ich durch... nette Gesellschaft, langer, tiefer Augenkontakt...“, zählte Casey grinsend auf und mir wurde erneut unendlich heiß. „Ich war betrunken...“, verteidigte ich mich beinahe verzweifelt. Das war die peinlichste Situation in meinem ganzen Leben. Warum konnte ich nur nicht die Klappe halten? Keiner hätte was geahnt oder gewusst. Und irgendwann wäre Thomas schon wieder aus meinem Kopf verschwunden. Bob und Casey hätten es nie wissen müssen. Niemand hätte das wissen müssen. „Und was hast du jetzt vor?“ Bobs Frage holte mich zurück ins hier und jetzt. Endlich schob er mir das alte Handy wieder zu. „Ich... gar nichts.“ Den Blicken meiner Freunde nach zu urteilen, kauften sie mir das nicht ab. „Naja, ich dachte nur es wäre ja nur fair ihm zumindest sein Handy zurück zu geben. Aber da ich weder Adresse noch einen Nachnamen habe, könnte das wohl schwer werden.“ Leise seufzte ich auf – vielleicht eine Spur zu enttäuscht, denn Casey zog schon eine Augenbraue hoch. „Das Alte Ding wird er wohl kaum vermissen“, warf Bob nachdenklich ein. „So eins hatte ich mit 7, oder so.“ Da mein bester Freund stets das Neuste vom Neuen haben musste, überraschte mich so eine Aussage kaum. „Du hast gesagt er arbeitet auf ner Farm, oder? Da ist sowas gar nicht so unpraktisch. Manchmal wünsch ich mir zu Hause so eins zurück. Das würde den Sommer vielleicht mal überleben.“ Kurz huschte mir ein Schmunzeln über die Lippen. Das stimmte – jedes Mal, wenn Casey zu Hause auf der elterlichen Farm aushelfen musste, kam er entweder mit zerstörtem Display oder gleich einem ganz neuen Telefon zurück. „Stimmt ja die Farm. Hey Cas, kennst du den nicht vielleicht? Oder deine Eltern?“ „Klar, ich kenne jeden beschissenen Farmer in den USA. Egal welcher Bundesstaat. Wir sind wie ne große Sekte. Alter... unsere steht in Kalifornien, nicht in Oregon. Natürlich nicht!“ Das kurz aufkeimende Grinsen auf Bobs Gesicht, erstarb sofort wieder. Ich schüttelte nur den Kopf. „Ist ja auch egal. Und nicht so wichtig“, versuchte ich die Sache endlich ab zu tun. Das mir Thomas seit gestern Abend nicht mehr aus dem Kopf wollte und sogar Harper verdrängt hatte, würde ich den beiden nun ganz bestimmt nicht auch noch auf die Nase binden. Nur leider... leider unterschätzte ich mal wieder den bereits geweckten Enthusiasmus von Bob. „Dann finden wir ihn über die Freundin von seinem Bruder! Wie hieß die noch mal?“ „Amy...“ „Cool, und der Bruder?“ Ich überlegte kurz. „Miles... Miles oder Andrew.“ Welcher jetzt genau der mit der Freundin war, wusste ich beim besten Willen nicht mehr. Nach dem Promillewert, den ich gestern erreicht haben musste, war ich in gewisser Weise ja schon stolz auf mich, dass ich mich noch an so viel erinnerte. „Dude, es sind fast 4500 Studenten an der University of Portland eingeschrieben. Was meinst du wie viele davon Amy heißen? Vielleicht ist das sogar nur ein Spitzname. Sie könnte auch Amber und Amila oder so heißen“, mischte sich Casey, positiv wie eh und je, wieder in das Gespräch ein. Missmutig verzog Bob das Gesicht. „Dann machen wir ne Liste. Wir schaffen das. Bestimmt haben wir Glück. Es ist fast Weihnachten, da gehen Liebesgeschichten immer gut aus!“ „Das ist keine Liebesgeschichte!“, warf ich schnell ein. Auch wenn mir die Idee insgeheim gefiel. Natürlich nur, weil ich Thomas sein Handy wiedergeben wollte. Alt hin oder her. Aber alle Kontakte neu zusammen suchen zu müssen, war immer mehr als ätzend. Bestimmt vermisste er es schon. Ob er auch an mich denken musste? Schnell verwarf ich den Gedanken wieder. „Und wie sollen wir an die Daten kommen? Als wenn uns die frustrierte Sekretärin einfach ne Liste mit allen Amys, Ambers und was sonst noch so in Frage kommt, machen würde.“ Bob begann nur immer breiter zu grinsen und unseren blonden Freund mit den Augen zu fixieren. Dann schien auch Casey zu schalten. „Ohhh Nein! Nein! Vergiss das gleich wieder!“ „Warum denn? Grace steht doch total auf dich. Wenn du ein bisschen mit ihr flirtest, dann tut sie dir bestimmt den Gefallen.“ Abwehrend verschränkte Casey die Arme vor der Brust. „Ich aber nicht auf sie.“ „Wieso? Sie ist doch niedlich.“ „Alter, kennst du denn nicht die Gerüchte mit was für einem Nebenjob sie sich das Studium finanziert? Ich verrate dir was: Es ist nicht ihr Sekretariatsnebenjob.“ „Schon gut, du musst nicht...“, schaltete ich mich leise wieder dazwischen, doch beachtete Bob mich gar nicht weiter. Stattdessen war er voll auf Casey fixiert. Noch immer lag ein breites Grinsen auf seinen Lippen. „Das sollten wir nebenbei bemerkt mal überprüfen. Stripclub nach den Weihnachtsferien?“ Allein der Gedanke trieb mir die Hitze ein weiteres mal auf die Wangen. „Lass mal...“ „Achja, Mike steht ja jetzt auf Schwänze“, neckte er mich lachend und kassierte dafür einen gezielten Tritt gegen sein Schienbein. „Klappe, Bob.“ Kapitel 3: Die Suche -------------------- Bob hatte gefühlt den ganzen Sonntag auf Casey eingeredet, bis dieser schließlich nachgegeben hatte. Gleich am Montag hatte er Grace alleine im Sekretariat erwischen können. Tatsächlich war die etwas naive Studentenhilfe nicht all zu schwer zu bezirzen gewesen. Wir hatten unsere Liste und die war erschreckend lang ausgefallen. Die letzten drei Tage hatten wir damit zugebracht jede mögliche Amy per Mail oder Telefon zu kontaktieren. Nicht alle meldeten sich zurück oder waren zu erreichen. Die richtige war in jedem Fall noch nicht dabei gewesen. „Und die wars auch nicht...“ Casey strich einen weiteren Namen von der Liste und ich ließ seufzend den Kopf auf die Tischplatte in der Mensa sinken. „Vielleicht sollten wir es einfach lassen. Heute Abend fahren wir eh zurück nach LA.“ Selbst unser Gepäck hatten wir schon auf Caseys rostigem Pick-Up Chloe verstaut. Es waren knappe 16 Stunden Fahrt bis nach Hause. Seit zwei Tagen schneite es wie verrückt hier oben. Wahrscheinlich würden wir länger brauchen. Doch würden wir uns abwechseln und durchfahren, dann waren wir Freitagabend sicher zu Hause und konnten am Sonntag ausgeschlafen in Caseys Geburtstag rein feiern, ehe der am Montag weiter zu seiner Familie aufs Land fuhr. Das war schon alles lange geplant und ich freute mich auf Weihnachten bei meiner Mom. Jetzt wo ich in Portland studierte, sahen wir uns nicht mehr all zu oft. Letztes Jahr war ich hiergeblieben, um bei meinem Dad zu feiern. Seitdem meine Eltern sich getrennt hatten und ich mit 10 mit meiner Mutter nach Los Angeles gezogen war, verbrachte ich die Feiertage immer abwechselnd hier oben im Schnee und unten im sommerlichen Kalifornien. Doch jetzt wo unsere Suche so ernüchternd verlief, dachte ich mit gemischten Gefühlen an die Abfahrt in ein paar Stunden. Die letzte Vorlesung für heute war durch. Die meisten Studenten, die sich noch hier in der Mensa herum trieben, machten hier auch nur noch halt, um vor den Ferien und der anstehenden Heimkehr der meisten, noch einen Kaffee zu trinken und sich zu verabschieden. Die Essensausgabe und die Café-ecke waren weihnachtlich geschmückt. Neben ein paar Weihnachts- und Schneemännern waren es vor allem Lichterketten, die auch im ganzen Raum angebracht worden waren. Das weiße Licht sorgte für eine gemütliche Atmosphäre. Besonders jetzt, wo es draußen schon fast dunkel war. Nein, ich sollte das wirklich einfach abhaken. Es war sowieso dämlich. Ich war nur unheimlich betrunken und so wie Thomas vor mir weggelaufen war, wollte er mich mit ziemlich großer Sicherheit auch gar nicht wiedersehen. „Wie sieht´s aus?“ Als ich wieder aufsah, hatte Bob sich zu uns an unseren Stammtisch gesellt. Er ließ den Rucksack auf den Fußboden sinken und sah uns erwartungsvoll an. Gleichzeitig schüttelten Casey und ich unsere Köpfe. „Nope... es sind noch ein paar offen, aber ich schätze vor Weihnachten kriegen wir da eh keine Antwort mehr.“ Cas seufzte frustriert und ließ sich tiefer in seinen Stuhl sinken. „Und dafür gehe ich jetzt mit einer Stripperin aus...“ Bob zuckte, belustigt grinsend, mit den Schultern. „Na immerhin weiß die bestimmt, wie sie ihre Hüften zu bewegen hat.“ Kurzerhand hatte Casey den Papierstapel zusammengerollt und ging damit auf Bob los. Der versuchte lachend die Attacke ab zu wehren. Ich ignorierte die Beiden und trank stattdessen meinen Kaffee aus. Ich war gerade nicht in der Stimmung für ihre Albernheiten. „Lasst einfach gut sein. Wir lassen's. Hat nicht sein sollen“, tat ich die ganze Mission erneut ab. „Ist auch nicht so wichtig.“ Ein neues Handy hatte Thomas sich bestimmt eh längst besorgt. Immerhin waren schon 4 Tage vergangen, seit dem Zwischenfall auf der Party. Eventuell hatte ich eben etwas zu niedergeschlagen aus der Wäsche geguckt, denn meine Freunde stellten ihren kleinen Kampf ein und sahen mich ebenfalls bedauernd an. Bis... ja bis Bob aufstand und die Schultern straffte. Da wusste ich bereits, dass mir nicht gefallen würde was jetzt kam. „Nein Bob. Was tust du?“, zischte ich ihm noch flehend zu, als er auch schon auf den Tisch kletterte und in die weihnachtlich geschmückte Mensa blickte. „ALLE MAL HER HÖREN!“, brüllte er in den großen Raum und tatsächlich hörten die meisten auf zu quatschen und drehten sich in unsere Richtung. Ich wollte im Erdboden versinken. „Was soll das? Hör auf damit!“, flehte ich erneut, doch er schüttelte nur den Kopf. „Nein Mike, ich regle das jetzt auf meine Art. So fahren wir nicht nach Hause.“ „Ich dachte das hier“, Casey wedelte mit der Liste, für die er seinen Körper verkaufen musste – zumindest tat er seit drei Tagen so - „ist deine Art?“ Bob ignorierte uns beide und wand sich stattdessen an unsere Kommilitonen. „Ich suche eine Amy. Vielleicht ist das auch nur ihr Spitzname. Eine Amy die mit einem Miles oder Andrew zusammen ist von ner Farm und... wir müssen wirklich dringend wissen wo sein Bruder Thomas wohnt!“ Ich vergrub mein Gesicht hinter meinen Händen. Fehlte nur noch, dass er heraus posaunte, dass ich mit diesem Thomas rumgemacht hatte und ihn unbedingt wiedersehen wollte. Was ja gar nicht stimmte! „Du klingst wie ein irrer Stalker“, zischte ich ihm gedämpft zu, doch Bob ließ sich nach wie vor nicht beirren. „Es ist wirklich wichtig! Also wenn ihr Amy seid, oder sie kennt, bitte...“ Vorsichtig riskierte ich wieder einen Blick in die große Mensa. Die meisten hatten sich bereits abgewandt oder lachten leise. Ein Mädchen mit braunen, gewellten Haaren, vier Tische weiter, nahm ihre Augen dagegen nicht mehr von Bob. Ob das Amy war? Gerade wollte ich mich dazu aufraffen und zu ihr hinüber gehen, da ertönte hinter uns plötzlich eine Stimme. „Ich bin Amy.“ Zeitgleich fuhren wir alle drei herum und blickten zu der hübschen Blondine, die auf uns zugekommen war. „Und der kleine Bruder von meinem Freund Miles heißt Thomas. Was... wollt ihr von ihm?“ Sie schien ein wenig verwirrt, was ich ihr keineswegs übelnehmen konnte. Bob ging derweil in die Hocke und setzte sich anschließend auf die Tischkante. „Nur was zurückgeben“, antwortete er und ich hielt das alte Nokia hoch. „Oh... ja das sieht aus wie Seins.“ Sie lachte amüsiert auf. Gab mit Sicherheit nicht mehr so viele Leute, die so einen alten Knochen besaßen. Sie streckte die Hand nach dem Handy aus, doch Bob war schneller und ließ nicht zu, dass sie es mir aus der Hand nehmen konnte. „Wir würden es ihm gerne selbst wiedergeben. Sagst du uns die Adresse?“ Nun schien sie irritiert und vor allem skeptisch zu sein und wie so oft die letzten Tage fühlte ich, wie die Hitze in mir hoch kroch. Und wieder war ich mehr als dankbar, dass mir die verräterische Röte erspart blieb. „Woher kennt ihr ihn überhaupt?“, fragte sie misstrauisch. „Von der Party am Wochenende“, antwortete Bob schnell, ehe ich mir einen ab stottern konnte. Ich schluckte hart. Sie schien nicht wirklich überzeugt. Ihre prüfenden Blicke machten mich immer nervöser. Thomas hatte erzählt, dass seine Brüder meinten, dass er mehr Leute kennenlernen sollte. Vielleicht hatte er nicht viele Freunde und sie war deshalb so erstaunt und skeptisch? Das musste es sein. Es gab sicher keinen anderen Grund. „Gibst du uns nun die Adresse?“ Auffordernd wippte Bob mit den Augenbrauen. Zögerlich nickte sie. Casey reichte ihr seinen Stift und eine Seite der Liste mit den durchgestrichenen Amys. Erstaunt sah sie uns an. „Ihr macht einen ganz schön großen Aufriss für so ein altes Handy.“ „Tja...“ Bob zuckte nur mit den Schultern und sah dann grinsend zu mir. Ich konnte nicht mehr anders als mir peinlich berührt übers Gesicht zu fahren. Konnte ich nicht endlich im Erdboden versinken? Kapitel 4: Das Wiedersehen -------------------------- „Steigst du heute noch aus, oder sollen wir wieder fahren?“, fragte Casey, während er ungeduldig mit den Fingern auf dem Lenkrad herum trommelte. Damit riss er mich aus meinen panischen Gedanken. Wollte ich? Wie lange standen wir schon hier, zusammengedrängt auf der Vordersitzbank des alten Pick-Ups sitzend? Unser Gepäck wurde lediglich durch eine übergeworfene Plane, vor dem nicht enden wollenden Schneefall, auf der Ladefläche geschützt. So ein Pick-Up hatte im Winter definitiv seine Nachteile. Doch was anderes war nicht drin. Casey hatte den Wagen von seinem Bruder geerbt. Jeder der Smith-Brüder hatte die alte Chloe eine Zeitlang gefahren, bis sie sich etwas Besseres leisten konnten. Da Casey der einzige war der studierte und nicht gleich zu arbeiten anfing, würden wir Chloe wohl noch eine Weile behalten und weiter notdürftig mit Ersatzteilen vom Schrottplatz vollstopfen. Aber ich wollte mich nicht beschweren. Immerhin kamen wir so um eine lange Bus- oder Bahntour drum herum. Und Fliegen war ohnehin nicht drin. Ob Thomas wohl auch ein altes, von seinen Brüdern geerbtes, Auto besaß? Ich begegnete Bobs Blick, der mich ebenfalls auffordernd ansah. „Ich... ich geh ja gleich“, sagte ich schnell. Meine Kehle fühlte sich ganz trocken an. Komm runter Mike – du gibst ihm nur dieses dämlich Steinzeittelefon zurück und dann geht’s ab nach Hause. Mit leicht zittrigen Fingern langte ich nach dem Griff der Beifahrertür. „Warte…“ Bob hielt mir eine alte Tankquittung und einen Kugelschreiber hin. Verwirrt sah ich ihn an. „Was soll ich mit…?“ „Na deine Nummer drauf schreiben!“ Augenblicklich wurde mir heiß und mein Herz begann mal wieder unkontrolliert zu rasen. „Das... das werde ich nicht tun!“ „Und wie willst du ihn dann wiedersehen?“ „Wer sagt denn das ich das will? Ich steh nicht auf Männer und…“ „Jaja, erzähl das jemand anderem, Mike. Wir sind ja nicht blind! Nicht wahr?“ Auffordernd knuffte Bob, der in der Mitte saß, Casey in die Seite. „Mir egal, ich will einfach nur langsam mal los“, brummte Cas zurück. Erst als er meinen panischen Blick auffing, fügte er noch hinzu: „Aber ganz unrecht hat Bob ja nicht.“ Und wenn Casey das schon zugab... Hatte er leider wirklich nicht. Zumindest was diesen einen Mann anging. Das war ja das schlimme. Ich konnte meine Gefühle überhaupt nicht mehr einordnen. Außerdem – ich war ordentlich betrunken gewesen. Vielleicht spielte mir meine Erinnerung einen Streich. Vielleicht war das alles doch ganz anders abgelaufen, als ich es noch im Kopf hatte. Was wenn ich derjenige war, der Thomas geküsst hat und er mich gleich weggestoßen hatte? Dann wollte er mich ganz sicher nicht mehr wiedersehen. Ich schluckte hart und versuchte die weiter aufkeimende Panik zu unterdrücken. „Fahren wir einfach, das war ne echt blöde Idee.“ Verständnislos starrte Bob mich an. Bevor noch irgendwer irgendwas sagen konnte, war er es nun, der eilig meine Telefonnummer auf die Rückseite der Tankquittung kritzelte und mir in die Jackentasche stopfte, wie ein Gast im Stripteaselokal, der den Ladies die Scheine zu steckte. Wo wir wieder beim Thema waren. „Da, nimm. Und jetzt geh endlich!“ Er langte über mich hinüber, öffnete die Tür und drängte mich regelrecht aus dem Wagen. Beinahe wäre ich beim unfreiwilligen Aussteigen auf dem verschneiten und vereisten Boden ausgerutscht. Ich strauchelte, doch hielt gerade so noch das Gleichgewicht. Hinter mir hörte ich, wie die Tür wieder zugezogen wurde. Als ich mich umdrehte, drückte Bob gerade die manuelle Verriegelung hinunter. „Alter! Echt jetzt?!“ Wie ein ausgesetzter Hund stand ich vor dem Auto, in welchem meine Freunde sich verbarrikadiert hatten. Während Bob wilde Handbewegungen in Richtung des Hauses am Ende der Auffahrt machte, grinste Casey stumm vor sich hin. Von dem konnte ich also auch keine Hilfe erwarten. Es war eigentlich nicht meine Art, aber gerade konnte ich nicht anders, als meinen Freunden doch den Mittelfinger entgegen zu strecken, ehe ich mich umdrehte und durch den Schnee davon stapfte. Hoffentlich hatte die Familie keinen Hund. Nicht das ich Hunde nicht mochte, doch mit einem Wachhund einer Farm war sicher nicht zu spaßen. Zumindest nicht, wenn man sich unerlaubt in sein Territorium schlich. Ich richtete meine Augen auf das Wohnhaus, das, soweit ich das im Dunkel erkennen konnte, im viktorianischen Stil gebaut worden war. Die Veranda vor den hölzernen Wänden und eckigen Fenstersimsen, war unverwechselbar und so typisch für unsere ländlichen Gegenden. Hinter dem Haupthaus ließen sich im Dunkel noch weitere Dächer erahnen. Irgendwo brannte dort auch noch Licht. Wahrscheinlich waren es Ställe und Scheunen. Aus einigen Fenstern des Haupthauses strahlte ebenfalls Licht. Es war kurz nach 19 Uhr, wahrscheinlich würde ich die Familie gleich beim Abendessen stören – echt blödes Timing. Mit jedem Schritt, den ich näherkam, wurden meine Beine schwerer. Ganz so, als würde mir jemand unaufhörlich mehr und mehr Blei in die Schuhe gießen. Eigentlich wollte ich nur noch umdrehen und weglaufen. Und wenn ich bei Chloé ein Fenster einschlagen musste, damit ich wieder in das Auto kam, oder bei Schnee und Wind auf der Ladefläche mitfahren musste. Alles erschien mir gerade besser, als wirklich zu Klingeln. Noch einmal drehte ich mich zu meinen Freunden um, die ich hinter den dunklen Scheiben nur erahnen konnte, doch war ich mir sehr sicher, dass sie mich weiter im Auge behielten. Der Motor lief nach wie vor und auch das Licht brannte noch am Wagen. Ehe ich mich versah, stolperte ich auch schon die drei Stufen der hölzernen Veranda hinauf. Jetzt wo ich direkt vor dem Haus stand und der Bewegungsmelder für Licht gesorgt hatte, erkannte ich auch, dass es nicht mehr in dem allerbesten Zustand war. Die dunkle Farbe blätterte an einigen Stellen ab und auch das Holz sah hier und da schon etwas von der Witterung mitgenommen aus. Ich schluckte. Langsam bewegte ich meine zitternde Hand auf die Klingel zu. Kaum das ich den Knopf gedrückt hatte, kniff ich panisch die Augen zusammen. Ich hörte Schritte näherkommen, dann knarrte die Tür. Ich zwang mich schnell wieder hin zu sehen und blickte direkt in die dunklen Augen eines Mannes, der nicht Thomas war, gleichzeitig aber auch zu jung war, als dass er sein Vater sein könnte. Bestimmt einer seiner Brüder. Für einen Moment starrte ich den Mann mit den dunklen, wilden Haaren einfach nur an. „Kann ich dir helfen?“, fragte er mich mit einer Spur von Verwirrung in der Stimme. Ganz sicher hatten sie niemanden mehr erwartet. Schon gar nicht jemand Fremdes. Thomas hatte nicht gelogen: dieser Ort war verdammt klein und die Farm lag sogar noch gut eine Meile außerhalb des kleinen Ortes. Der Lockenkopf sah an mir vorbei und entdeckte unser Auto. „Brauchst du Hilfe? Mit dem Auto oder so?“, fragte er noch mal und erst jetzt realisierte ich, dass ich noch immer nichts gesagt hatte. „Was? Ich... ähm, nein.“ Nun schien er vollends verwirrt zu sein. Schnell räusperte ich mich und versuchte meine Nervosität unter Kontrolle zu bekommen. „Ist Thomas da?“ Ein bisschen stolz war ich ja schon, dass ich die Frage so gerade aus formuliert ausgesprochen bekommen habe. Immerhin die. „Thomas?“, fragte der Andere etwas überrascht, dann nickte er und drehte sich zurück ins Haus, aus welchem schon die ganze Zeit weitere Stimmen drangen. „Tommy?! Ist für dich!“, rief er hinein. Meine Nervosität steigerte sich ins Unermessliche. Keine Sekunde später waren schnelle Schritte auf dem knarrenden Holzboden zu hören. Dann tauchte Thomas auch schon neben seinem Bruder auf. Die Haare standen etwas wirr und leicht wellig von seinem Kopf ab und in seinem Gesicht klebte noch etwas Dreck. Er sah gut überrascht aus und irgendwie... schockiert? Ich schluckte hart. Begeisterung sah jedenfalls anders aus. „Bleib doch zum essen“, lud mich der Mann mit den dunklen Haaren ein, wurde jedoch im selben Moment schon von Thomas beiseite geschoben, bevor ich etwas dazu sagen konnte. „Nicht jetzt, Miles.“ Eilig drängte Thomas sich an seinem Bruder vorbei, trat nach draußen zu mir auf die Veranda und zog dabei die Haustür hinter sich zu. Überrascht machte ich einen Schritt zurück. „Was... was machst du hier? Wie hast du mich gefunden?“ Er klang beunruhigt. Immer wieder linste er prüfend zu der Tür in seinem Nacken, als würde er befürchten, dass sie jeden Moment wieder aufgehen würde, oder uns jemand belauschte. Autsch, so hatte ich mir das nicht ganz vorgestellt. Genau genommen hatte ich nicht mal eine Vorstellung gehabt. Was erwartete ich auch? Richtig – gar nichts und im Zweifel nur das Schlimmste. Und das war anscheinend nicht mal so abwegig. Ich versuchte mir nicht an merken zu lassen, dass mich seine abwehrende Haltung irgendwie traf. „Lange Geschichte“, murmelte ich und zog dann sein Handy aus meiner Jackentasche hervor. „Hier, das hast du verloren“, sagte ich so nüchtern wie ich konnte und hielt ihm das alte Ding hin. „Sorry, ich wollte dich nicht belästigen, dachte aber, dass du das vielleicht wiederhaben willst.“ Schnell vergrub ich meine schon ganz kalt gewordenen Hände in den Jackentaschen, nachdem er mir das Telefon abgenommen hatte. Meine Fingerspitzen berührten den blöden Kassenbon, den Bob mir noch zugesteckt hatte. Eine blöde Idee war das. Den würde ich nun ganz sicher nicht rausholen. „Also dann...“ Ich wand mich von ihm ab und trat bereits die ersten Stufen der Veranda hinab, als ich hinter mir Schritte hörte. „Warte!“ Thomas packte mich am Ärmel und ich drehte mich wieder zu ihm um. Nun waren wir fast gleich groß. Auf Augenhöhe so zu sagen. Erwartungsvoll sah ich ihn an. Nun schien er der zu sein, der vollends nervös wurde. Immer wieder drehte er sich prüfend zu dem Haus in seinem Rücken um, ehe er endlich seine Stimme wiederfand: „Es tut mir leid. Ich wollte nicht... es ist nur... also wegen der Party. Das... sowas mach ich eigentlich nicht.“ „Was denn? Partys?“, fragte ich spitz und von dem was er mir erzählt hatte, ja auch nicht ganz so weit hergeholt. „Das auch, aber... das mein ich nicht. Ich meine ich bin nicht schwul oder sowas.“ Die letzten Worte waren nicht viel mehr als ein Flüstern. Wieder linste er nach hinten zur Haustür. Ich war mir nicht sicher, ob er das nur nicht vor seiner Familie aussprechen wollte, weil er sich noch nicht geoutet hatte, oder ob er – eigentlich genau wie ich – der Meinung war, dass er das gar nicht musste, weil ihn Männer bisher nicht interessiert hatten. „Schön, ich auch nicht“, stimmte ich ihm schnell zu und hielt seinen Blick. Egal was wir sagten, oder es verleugneten. Vor anderen und vor uns selbst. Aber jetzt wo er so dicht vor mir stand und ich ihm in die Augen sah, war da etwas zwischen uns. Ein Knistern, Anziehung, Spannung. Ich wusste es selbst nicht so genau. Alles was ich wusste war, dass es nicht nur nichts war. Ob er das auch spürte? Es war alles gesagt und sein Telefon hatte ich Thomas auch wiedergegeben. Doch auch er trat nicht zurück, was mir den Mut gab nun doch den Zettel aus meiner Jackentasche hervor zu ziehen. „Hier.“ Überrascht sah er auf das Stück Papier und nahm es mir ab. „Eine... Tankquittung?“, fragte er überrumpelt und auch ich begann herum zu stammeln. Nicht das er noch dachte ich wollte Geld von ihm, weil wir hier raus gefahren waren. „Nein, ja, nein, das... andere Seite.“ Er drehte das Papier und entdeckte meine Nummer. Ich presste für einen kurzen Moment angespannt die Lippen aufeinander. „Falls du... mal abhängen willst oder so. Einfach nur so. Als Freunde halt und... also“ Gott, was redete ich da für einen Müll. Mir wurde heiß - mal wieder in seiner Gegenwart. Das war noch untertrieben. Ich war mir ziemlich sicher, dass, wenn ich meinen Kopf nun in den Schnee im Vorgarten stecken würde, ich diesen augenblicklich zum Schmelzen bringen würde. Doch bildete sich auch auf Thomas Gesicht in seichter Rotschimmer, was irgendwie erleichternd war. „Klingt gut.“ „Cool. Dann meld dich einfach mal und... Ich bin jetzt zwei Wochen zu Hause in LA, aber im Januar bin ich wieder hier und... und meld dich einfach. Würd mich freuen.“ Plapperte ich? Ja, irgendwie schon. Hinter mir ertönte die Autohupe und ich drehte mich erschrocken um. Die beiden hatte ich ja fast vergessen. Hektisch gestikulierte ich, dass ich gleich zurückkommen würde. Dann wand ich mich wieder Thomas zu, der noch an mir vorbei zu dem Auto sah. „Du bist nicht alleine? Hast du es ihnen erzählt?“ Er schien sich dabei wirklich unwohl zu fühlen. „Gab's denn was zu erzählen?“, stellte ich die Gegenfrage. Thomas lachte lautlos auf. „Ich deute das als ein ja.“ Ertappt sah ich ihn an und strich mir verlegen über den Hinterkopf. „Tut mir leid. Aber es musste raus und sie halten dicht.“ Wenn ich sie darum bat, dann auf jeden Fall. Unsicher sah ich Thomas wieder in die Augen. War er sauer? Ich konnte es nicht so recht deuten. Doch umso länger ich in seine Augen sah, desto mehr fühlte ich mich wieder zu ihm hin gezogen. „Es musste raus, weil ich eigentlich nicht auf Männer stehe, aber seit dem Abend, also... bin ich mir bei dir nicht mehr so sicher.“ Ich schluckte hart und versuchte mein wild schlagendes Herz unter Kontrolle zu bekommen. Thomas schien überrascht über meine deutlichen Worte. Er erwiderte nichts, doch wich er auch nicht zurück. Und dann tat ich etwas, das ich vielleicht besser nicht getan hätte. Ich beugte mich Thomas die letzten paar Zentimeter entgegen und küsste ihn. Ganz anders als letztes Wochenende. Kurz und sanft, ehe ich mich wieder von ihm löste. Sein überrumpelter Blick sprach Bände. Scheiße, das war wohl zu viel gewesen! „Ich sollte gehen“, sagte ich schnell und wollte mich gerade umdrehen, als er mich am Kragen meiner Jacke packte und erneut zu sich heranzog. Wieder landeten seine Lippen auf meinen. Sanft erwiderte ich den Kuss, ehe wir uns wieder von einander lösten. „Frohe Weihnachten Thomas Gallagher“, flüsterte ich leise. „Frohe Weihnachten Mike...“ „Michael Ward“, nannte ich ihm meinen vollen Namen. Chlóes Hupe zerriss erneut die abendliche Stille. Thomas und ich fuhren auseinander, doch das breite Grinsen in meinem Gesicht, würde keiner so schnell vertreiben. „Also dann... meld dich“, sagte ich noch einmal, während ich bereits ein paar Schritte rückwärts durch den Schnee mache. „Mach ich.“ Thomas zog etwas aus seiner Hosentasche, was verdächtig nach neumodischem Smartphone aussah, und winkte mir damit zu. „Echt jetzt?“ „Ich neig dazu die Dinger zu verlieren, deswegen nehm ich immer das Alte mit. Aber ich bin froh, dass du es zurückgebracht hast“, entgegnete er mir grinsend und auch ich musste auflachen. Ja, das war ich auch. Noch einmal hob ich die Hand zum Abschied, dann lief ich zurück zu Caseys Auto. Die Tür war nicht mehr verriegelt. Schnell rutschte ich zurück ins Warme, dank laufen gelassenem Motor und Heizung. „Mikey!!“ Bob klopfte mir sofort begeistert auf die Schultern. „Ich hab doch gesagt Liebesgeschichten gehen an Weihnachten immer gut aus!“ „Das ist keine...“, startete ich einen weiteren Versuch das Ganze klein zu reden. Doch die Blicke meiner Freunde, als sie das mir im Gesicht klebende Lächeln sahen, reichten aus, um mich verstummen zu lassen. „Fahren wir jetzt endlich?“, unternahm ich einen weiteren Versuch das Thema zu wechseln. Casey legte den Gang ein, trat aufs Gas und wechselte schlitternd die Richtung. „Na endlich.“ Noch einmal sah ich hoch zum Farmhaus und dessen Veranda, auf welcher noch immer Thomas stand. Für eine winzige Sekunde konnte ich seine Silhouette noch aus machen, dann war er aus meinem Blickfeld verschwunden. „Jetzt sei nicht so ein Grinch, Cassidy. Das nächste Jahr wird das Jahr der Liebe. Ich spüre es. Mike hat Thomas, du ein Date mit Grace Adler und ich hab die Nummer von der süßen Brünetten aus der Mensa – Jenna hieß sie glaub ich.“ Wie auch immer Bob das wieder so schnell hinbekommen hatte. Das mit der Nummer meine ich. Gerade war ich aber auch sehr froh um das andere Talent meines besten Freundes: die Aufmerksam ganz schnell wieder auf sich selbst zu lenken. Das war mir nur Recht und so verkniff ich mir zu sagen, dass ich überhaupt nichts und niemanden hatte. In dieser Woche hatte ich eindeutig genug im Mittelpunkt für die kommenden Monate gestanden. „Das ist kein Date, verdammt. Das ist alles nur deine Schuld“, knurrte Casey und eine weitere, liebevolle Streitdiskussion entfachte sich zwischen den Beiden. Mein Handy vibrierte in meiner Hosentasche, ich zog es hastig hervor und öffnete WhatsApp. Eilig huschten meine Augen über die Zeilen und auf meinen Lippen bildete sich ein breites Lächeln.   Frohe Weihnachten, Michael Ward. Komm heil zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)