Was nicht gesagt werden kann von Daelis ================================================================================ Kapitel 2: Zweiter Brief ------------------------ Hallo Frau Lochner, ich schon wieder. Den letzten Brief habe ich eigentlich gar nicht abschicken wollen und diesen werde ich vermutlich wirklich nicht abschicken, was am Ende wohl keine Rolle spielt, weil Sie sie sowieso nicht lesen. Ich weiß gar nicht, wieso ich Ihnen das schreibe. Um ganz ehrlich zu sein, schreibe ich diesen Brief wohl nur, weil mein Therapeut mich dazu drängt. Er meint, das sei wichtig, damit ich die ganze Sache verarbeiten kann und mit mir wieder ins Reine komme. So ganz überzeugt bin ich davon allerdings nicht. Ich meine, ich kann doch nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert und mein Leben einfach weiterleben. Das ist einfach nicht richtig, einfach nicht fair. Sie können das ja auch nicht, also steht es mir erst recht nicht zu. Mein Therapeut meint, ich müsse mir vergeben und dafür sei es eben auch wichtig, dass ich mich bei Ihnen entschuldige. Und das möchte ich. Wirklich! Aber ich weiß gar nicht wie. Es tut mir Leid. Es tut mir so schrecklich Leid, was ich Ihnen angetan habe. Doch egal, wie oft ich das sage und es meine, das ändert ja nichts. Solche Sachen kann man einfach nicht wieder gut machen. Erst wollte ich Ihnen einen Blumenstrauß und eine Karte schicken, aber ich habe mich dann nicht getraut. Dachte, sie wollten lieber nichts von mir hören und irgendwie wärs mir billig vorgekommen, Ihnen Blumen zu schicken. Wie “Hey, ich hab ihr Leben ruiniert, aber hier sind ein paar hübsche Blümchen. Jetzt ist alles wieder gut”. Das ist es natürlich nicht und kein noch so schöner Blumenstrauß wird das ändern. Außerdem hätte ich ja auch ihren Namen gar nicht wissen dürfen. Den habe ich ja nur zufällig rausbekommen, weil Sie in der Nähe wohnen und die halbe Nachbarschaft seit dem Tag darüber tuschelt, was passiert ist. Immer, wenn man mich beim Einkaufen erkennt, gucken mich alle so schief an und flüstern hinter meinem Rücken. Als wüsste ich nicht genau, was sie sagen. Dass ich Ihr Leben ruiniert habe und dass ich etwas ganz Furchtbares getan habe und wie ich es überhaupt noch wagen kann, mich aus dem Haus zu wagen. Eigentlich möchte ich das auch gar nicht mehr. Ich will mich einfach nur in meinem Bett verkriechen und nichts mehr hören oder sehen. Es traut sich zwar keiner, mir ins Gesicht zu sagen, dass sie mich scheiße finden und ich verschwinden soll, aber man sieht es ihnen an der Nasenspitze an. Den Nachbarn und der Kassiererin beim Edeka, den Teenies an der Bushaltestelle oder dem komischen Typen aus dem Eckhaus. Das mit den vielen Gartenzwergen im Vorgarten, Sie kennen es bestimmt. Vermutlich sollte ich umziehen. Irgendwohin, wo mich niemand kennt und keiner weiß, was passiert ist. Ein Tapetenwechsel. Das hat mein Therapeut auch gesagt. Dass mir das gut tun würde und dass ich dann Abstand gewänne. Außerdem würde auch ein Umzug nichts ändern. Davon können Sie auch nicht wieder laufen. Das ist nur für mich einfacher und das habe ich eigentlich nicht verdient. Wäre ich doch nur nicht so dumm gewesen… Das wünschen Sie sich bestimmt noch viel mehr als ich. Ich jammere und heule hier herum, dabei sind Sie das Opfer und ich die Täterin. Sie sind die letzte Person auf der ganzen Welt, der ich irgendetwas vorheulen sollte. Dazu habe ich gar kein Recht. Es tut mir alles so schrecklich Leid. Also vielleicht doch wegziehen? Weg von allem hier und auch Ihnen. Ein bisschen käme mir das vor wie eine Flucht. Ziemlich feige, aber besonders Klar, ich könnte mir eine andere Wohnung suchen, in irgendein Kaff ziehen, wo ich niemanden kenne und ganz neu anfangen. Aber dann habe ich nicht einmal mehr meine Familie und das ertrage ich nicht. Meine Freunde reden kaum noch mit mir. Nichtmal Katrin, meine beste Freundin. Sie meint, ich hätte besser aufpassen müssen und dass es ihr Leid tut, dass es mir deswegen so schlecht geht. Sie hat mich ein oder zweimal besucht, aber meldet sich kaum noch. Selbst sie hält mich für einen furchtbaren Menschen. Ich hoffe, Ihre Freunde sind jetzt für Sie da und helfen ihnen. Ich hoffe, sie stehen Ihnen zur Seite. Und natürlich auch Ihre Familie. Ich wünschte, es gäbe irgendetwas, das ich tun könnte, um Ihnen zu helfen, doch mir will einfach nichts einfallen. Keine Schulung, keine Demonstration oder irgendeine ehrenamtliche Hilfe würde für Sie einen Unterschied machen. Sie wären immer noch an den Rollstuhl gefesselt. Das kann ich nie wieder gut machen, das weiß ich. Dennoch würde ich so gerne irgendetwas tun, das Ihnen hilft, wenigstens ein kleines bisschen. Vermutlich ist das auch ziemlich egoistisch, weil ich mich besser fühlen will. Tut mir Leid. Es tut mir alles so Leid. Ich wünsche Ihnen eine gute Genesung. Soweit das möglich ist. J. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)