Fassungslos von irish_shamrock (Mae & Kit) ================================================================================ Kapitel 2: 1. Mae ----------------- Fassungslos 1 Mae Ich sollte es hassen, dass mein Haar jeden Abend nach Frittenfett duftet. Auch, dass mir auf dem Weg nach Hause nicht selten ein Rudel Hunde folgt. Offensichtlich bin ich ganz nach ihrem Geschmack, denn die Dunstwolke, die mich umgibt, will sich nie wirklich vertreiben lassen. Aber das tue ich nicht. Ich hasse es nicht, eine Bedienung in einem Diner zu sein. Die Arbeit ist schwer, doch ich scheue sie nicht. Denn die Menschen, denen ich hier begegne, sind mir und meinen Kolleginnen meist freundlich gesinnt und das entschädigt die Schufterei. Unsere Gäste sind einfache Arbeiter, Geschäftsmänner und nicht selten junge, überforderte Mütter, die ihre Kinderschar in einen Schnellimbiss zerren, vielleicht auf der Flucht vor dem Vater, oder weil sie das Krakeelen und Jammern der Kleinen nicht länger ertragen. Oft male ich mir den Alltag der von Hunger Geplagten aus. Ob die Frau, mit den drei Kindern, wirklich vor ihrem gewalttätigen Mann davonläuft, weiß ich nicht. Vielleicht ist das junge Ding auch gar nicht deren Mutter, sondern die Nanny, Schwester oder Cousine? Ich frage nie, ich zeichne nur. Lasse meine Gedanken schweifen, bis Joe, unser Koch, nach mir brüllt, ich solle endlich die Hamburger und Fritten servieren. Schweiß bedeckt mir die Stirn. Es ist heiß, beinahe unerträglich und ich spüre die Baumwolle der rosafarbenen Bluse, die sich an meinen Rücken schmiegt, ganz deutlich auf meiner Haut. Die Julihitze setzt uns jedes Jahr zu. Und wie sooft in diesen schweißtreibenden Tagen, verlangt es die Gäste nur selten nach Fettigem und Frittierten. Dafür sind unsere Milchshakes der letzte Schrei. Zwar könnten die Kunden auch die Milchbar die Straße herunter aufsuchen, deren Angebot täglich wechselt und mit den wildesten Geschmacksrichtung aufwartet, doch die Besucherzahlen sprechen für uns. »Mae.« Ich horche auf, als Kaylas Stimmte nach mir ruft. »Tisch 10 will zahlen und die 2 kann abgeräumt werden.« Ein schwaches Murren entfährt mir, doch ich lege den Putzlappen beiseite und verschiebe das Säubern des Tresens auf einen späteren Zeitpunkt. An Tisch 10 sitzt, wie üblich, der alte, stets mürrisch dreinblickende Alfred Simmons, dessen Erscheinung auf jeden, der ihn zum ersten Mal sieht, abschreckend wirkt. Mit Gehstock und Filzhut, den er selbst bei diesen Temperaturen nicht ablegen will, gleicht er mehr einem fiesen Lehrmeister, als dem freundlichen Herren, der er ist. Als er mich auf sich zukommen sieht, mildert sich die verdrießliche Miene seinerseits für einen kurzen Augenblick. »Maevie, darfst du mich heute abkassieren?« Seine Stimme erinnert mich an das Knarzen einer alten Holztür, dennoch sind mir diese kleinen Unterhaltungen mit Mister Simmons nie unangenehm. »Ein scheußliches Wetter, nicht wahr, Maevie? Furchtbar, diese Hitze.« Meine Mundwinkel zucken amüsiert. Das Tolle an Alfred Simmons ist, dass er zu jedem Thema etwas beisteuert, und es ihm egal ist, wie sein Gegenüber das Gesagte aufnimmt und bewertet. Er bleibt seinem Charakter treu, knurrt und hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Er ist nicht der Geselligste unter unseren Gästen, dennoch ist er für mich einer der Wenigen, die ich vertragen kann. »Ich bin alt«, sagte er einmal. »Und ich habe es mir verdient, den Leuten verbal eins auf die Mütze zu geben! Was soll mir schon passieren?« Ich konzentriere mich wieder auf meinen Gast, schüttle den Kopf um Mister Simmons zu signalisieren, dass ich seine Worte, so sehr ich sie auch schätze, nicht teilen will. »Wir haben Juli, Mister Simmons, und Sie tragen noch immer Ihren Hut.« »Da, in meinem Schädel, ist eine Metallplatte implantiert. Ich bin kriegsgeschädigt, Maevie«, gibt er zurück. »Und ich will nichts von diesen Strahlen abbekommen, die ständig um uns sind.« »Sie meinen die Sonne?« Ein leises Lachen entflieht mir, ehe ich hastig die Preise zusammenziehe. »Das macht 12 Dollar und 84 Cents, Mister Simmons.« Ein Murren folgt, dann reicht mir Mister Simmons fünfzehn Dollar. Als ich nach dem Portemonnaie in meiner Schürze greife, hält mich seine, mit vielen Altersflecken übersäte Hand auf. »Schon gut, Maevie, behalte den Rest.« »Danke, Mister Simmons«, gebe ich lächelnd zurück. »Sie wissen, dass die Trinkgelder zusammengelegt werden, oder?«, füge ich flüsternd hinzu. »Natürlich weiß ich das, hältst du mich für senil?«, brummt der alte Mann und erhebt sich von der tiefroten Sitzbank. »Natürlich nicht, Mister Simmons.« Ich hin nicht unhöflich, aber als ich ihm vor ein paar Monaten beim Aufstehen behilflich sein wollte, wehrte Mister Simmons mein Handeln mit harschen Worten ab. Ein wenig befremdlich stehe ich neben ihm und darf nichts weiter tun, als zuzusehen, wie er sich aus dem Polster schält. Mit einem letzten Krächzen stützt sich Alfred Simmons auf der Tischplatte auf, schiebt sich ungelenk über die Bodenfliesen und langt nach seinem Gehstock. »Bis Morgen, Maevie und sag Joey, sein Chili schmeckt wie alte Socken.« Ein schnaubendes Kichern ist aus Richtung Tresen zu hören, während Joe pikiert die Nase rümpft und grummelnd an seinen Herd zurückkehrt. Und auch wenn mich die Reaktion Kaylas ein wenig ärgert, habe ich nicht die Gelegenheit, ihr lange zu grollen und so widme ich mich dem Abräumen des anderen Tisches. Die Teller landen klappernd in der eckigen, babyblauen Schüssel, Gläser und Besteck, sowie die benutzten Servietten folgen. Da die Tür, bei dieser vorherrschenden Wetterlage, nur zum Feierabend geschlossen wird, ist kein Klingeln des Glöckchens zu vernehmen, das die eintretende Kundschaft begrüßt. Umso geschärfter müssen unsere Sinne sein, damit nicht ein Gast die Zeche prellt und uns Nerven, Zeit und einen Anruf beim Sheriff kostet. So bemerkte ich nur am Rande das Eintreten der jungen Männer, doch der Schatten, der an mir vorbeihuscht, verdeutlicht mir, dass es sich bei den Neuankömmlingen um Bradfort Gallgher und seine Jungs handelt, denn Kayla ist völlig aus dem Häuschen. Noch während sie auf Brad zueilt, löst sie den Zopf in ihrem Nacken, damit ihr blondes Haar in seiner ganzen Fülle von dem Äußeren der Diner-Uniform ablenken kann. Ich beiße mir auf die Lippen, denn dieses Schauspiel folgt einem täglichen Rhythmus, zumindest immer dann, wenn ich gemeinsam mit Kayla die Spätschicht übernehme, denn Bradfort Gallgher behält es sich vor, pünktlich um sechzehn Uhr fünfzehn in das Diner einzufallen. Es ist mir nicht möglich, den säuselnden Worten länger Beachtung zu schenken, ohne die Augen zu verdrehen. »Mach früher Schluss«, vernehme ich Bradforts Stimme, dem ein Kichern Kaylas folgt, die wiederum ablehnen muss, da auf sie noch eine Menge Arbeit warte. Gallaghers Jungs, Stewart Phillips und die Brüder Barry und Cole Wright, lassen sich an ihrem Stammplatz nieder, am Fenster, mit Sicht auf die Straße. Das Motorenöl wird ihnen wohl nie richtig von der Haut gehen, sinniere ich mit dem Gedanken daran, ob ich jemals schaffen werde, ein eigenes Auto zu besitzen. Die Werkstatt der Wrights ist die Einzige weit und breit, weshalb der Verdienst dort ausreichend zu sein scheint, um tagtäglich auswärts zu essen. Doch nur drei der Vier machen sich die Hände schmutzig. Cole zog es vor, sich den Finanzen zu widmen, damit der kleine Familienbetrieb Einnahmen und Ausgaben im Blick behielt. In dem Wissen, dass Kayla nunmehr eine längere Pause einzulegen pflegt, greife ich nach der Schüssel mit dem schmutzigen Geschirr und bereite mich innerlich darauf vor, in wenigen Sekunden an den Tisch treten zu müssen, um die Bestellungen der Jungs entgegenzunehmen. Und wie sooft werden Barry Wrights Avancen von mir abgeschmettert. Ihm scheint das kleine Spiel zwischen uns zu gefallen, mich widert es an. Doch für meinen Job werde ich mich zusammenreißen, mir ein Lächeln auf die Lippen zwingen und ihm insgeheim die Pest an den Hals wünschen. Meine Finger krallen sich fester um das Plastik, sodass ein leichtes Klirren meine Anspannung verrät, doch keiner der Anwesenden nimmt davon Notiz. Stewart Phillips gibt einen anzüglichen Spruch zum Besten, während Cole Wright den wenigen Passanten nachsieht, die draußen vorbeiziehen. Einzig Bradfort und Barry lachen, während Kayla schmollend die Lippen schürzt. Es wird mir nicht sofort bewusst, doch die Situation wirkt mit einem Male überfüllt. Neben den üblichen Verdächtigen und der Laufkundschaft, die Schutz vor der Hitze sucht, ist da etwas, das mich irritiert. Mein Versuch, dieses befremdliche Gefühl abzuschütteln, gelingt mir nur mäßig, denn als ich mich von dem Spektakel zu meiner Linken abwende, um meiner Arbeit nachzukommen, treffe ich mitsamt Schüssel und Geschirr auf Gegenwehr. Die Gläser klirren protestierend, während ich ein Kopf hebe und in das Gesicht eines Fremden starre, der mir den Weg zur Küche versperrt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)