Ein wenig Leben von Norrsken ([Wieder|vereint]) ================================================================================ Kapitel 4: Schlaflos -------------------- Auf dem Weg von Las Vegas nach San Francisco hatten Jason und Nico viel Zeit zum Ausruhen. Es war wie ein kleiner Roadtrip, nur dass keiner von ihnen das Fahren übernehmen musste. Verglichen mit einem Einsatz für Halbgötter war es der reinste Urlaub. Sie fühlten sich erholt, als sie in Neu Rom ankamen und nachdem es spät wurde, hatten sie noch zu viel Energie, um zu schlafen. Ein Problem mit dem Nico lange nicht konfrontiert war. Für gewöhnlich hatte er mehr Probleme damit, wach zu bleiben, und schwor auf Kaffee. Neben der Tatsache, dass er im Lotos Hotel und auf der Fahrt viel schlafen konnte, war es für ihn die erste Nacht in der Wohnung von Jason – in der nun auch er zuhause war. Vielleicht war er ein bisschen aufgeregt. Er saß an der Theke und drehte ein Glas Wasser in seinen Händen, während Jason Kühlschrank und Schränke nach etwas Essbaren absuchte. »Tut mir leid, ich hätte daran denken müssen, einkaufen zu gehen.« Ratlos strich er sich durch sein blondes Haar. »Sollen wir was bestellen?« Er wandte sich zu Nico um, dem eine Augenbraue in die Höhe schoss. »In Neu Rom gibt es Lieferservice?«, fragte er. Ihm stand das Misstrauen ins Gesicht geschrieben. Es gab da eine Anekdote mit einem Pizzaboten, der sich nach Camp Half-Blood verirrt hatte. Sie war für ihn ein Grund dafür, dass er sich stets die Mühe machte, selber zum Fast-Food-Restaurant zu gehen. Sein Argwohn ließ Jason schmunzeln. »Das P3 liefert.« Da die Antwort nicht dazu beitrug, dass sich etwas an der Haltung von Nico änderte, begann er weiter auszuholen und erzählte ihm von dem aufstrebenden Unternehmen, das die Faun in Neu Rom gegründet hatten. Nico hegte das Gefühl, dass sich mit ihm ein Spaß erlaubt wurde. Zu seiner Zeit waren die Faun in Neu Rom Landstreicher und hatten mit ihrem griechischen Äquivalent nichts gemeinsam. Um seine Worte zu untermauern, holte Jason ein Smartphone hervor, öffnete die App für die Bestellung und präsentierte eine breit gefächerte Auswahl an Pizza und Pasta. »Die Panini sind sagenhaft«, schwärmte er und bemerkte gar nicht den schrägen Blick, den er von der Seite zugeworfen bekam. Faune hatten also ein Ladenlokal in Neu Rom eröffnet, verkauften und lieferten Pizza, Pasta und Panini – und das Lokal lief unter der Firmierung Pan’s Pizza & Pasta. Nico fragte sich, ob Grover Underwood darüber Bescheid wusste. »Also was möchtest du?« Mit diesen Worten holte Jason ihn aus den abschweifenden Gedanken und gewann seine Aufmerksamkeit. »Etwas dabei, was du magst?« »Gibt es Pizza mit Mozzarella?« »Sicher. Irgendwelche Extras?« Sie klickten sich durch alle Möglichkeiten und wenn Nico ehrlich war, faszinierte es ihn und er fragte sich, wieso die Faun so lange gebraucht hatten, um auf diese Idee zu kommen. Ihre fertige Bestellung blieb bescheiden und kurz nachdem sie abgesendet war, kam eine Bestellbestätigung rein. Nicos Blick ruhte auf dem Smartphone. Früher war Annabeth Chase die Einzige mit Mobiltelefon, die er kannte. Es war für Halbgötter gefährlich, eins bei sich zu führen. Zumindest außerhalb der beiden Camps. »Hast du das immer bei dir?« Nach ihrer Bestellung hatte Jason das Gerät weiterhin in den Händen und legte es nun eher beschämt zur Seite. »Meistens schon.« Nicos tief zusammengezogene Augenbrauen ließen ihn stutzen, bevor er eine leise Ahnung hatte, was ihn bewegte. Er bemühte sich, das Lächeln, welches an seinen Lippen zog, nicht zu breit werden zu lassen. »Es ist nicht mehr gefährlich für Halbgötter.« Zumal er Halbgott der zweiten Generation war, was die Gefahr für ihn zusätzlich minderte. Der grimmige Ausdruck um Nicos Gesicht blieb und so begann Jason davon zu erzählen, dass die voranschreitende Digitalisierung die Camps dazu zwang, an einer Lösung zu arbeiten. Zwar erwies es sich als unmöglich, den Effekt von Mobilfunk in Verbindung mit Halbgöttern zu unterbinden, aber es wurde eine Hintertür gefunden. »VPN?«, wiederholte Nico skeptisch. »Genau. Die Signale werden dadurch zerstreut und Monster können deinen Standort nicht aufspüren.« Unbewusst hatte Jason schon wieder das Smartphone in die Hand genommen und öffnete die entsprechende App, um sie seinem Freund zu zeigen. Er hatte sich für die Entwicklung dieser Anwendung interessiert und versuchte zu erklären, wie es funktionierte. Allerdings merkte er, dass er Nico schnell verlor, und brach daraufhin den Vortrag ab. »Jedenfalls ist es Halbgöttern damit möglich, Technik zu benutzen, ohne gleich zur Zielscheibe zu werden.« Langsam schüttelte Nico den Kopf und stützte ihn in seine Handfläche. Es hatten sich in den Jahren Dinge verändert, von denen er nicht geglaubt hätte, dass so etwas möglich war. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass ihm etwas Entscheidendes im Leben fehlte, wenn er kein Smartphone nutzen konnte. Wobei Essen zu bestellen, ohne mit irgendwelchen Fremden sprechen zu müssen, war nett. Jason zeigte ihm noch verschiedene andere Anwendungen, für die das Smartphone nützlich war. Die Musik-Mediathek tat es dem Sohn des Hades‘ besonders an und sie spielten einander Lieder vor, die der andere nicht kannte. »Das ist ein Oldie, oder?« »Vorsicht! Damit bin ich aufgewachsen.« Eigentlich erinnerte sich Nico kaum daran, aber nachdem er das erste Mal aus dem Lotos Hotel kam, hatte er sich diese Musik angehört (in der Hoffnung, dass sie ihn an etwas erinnern würde). Allerdings gab es da Musik aus den Neunzigern, die ihm um einiges besser gefiel. Das eingefrorene Gesicht von Jason war die Warnung jedoch Wert gewesen. Es klingelte und ein Faun brachte ihnen das Essen bis an die Haustür. Jason bezahlte, während Nico die Schachteln auf der Theke öffnete. Die Pizzen waren warm und dufteten frisch zubereitet. Also Jason die Tür wieder verschloss und sich umwandte, sah er Nico schon mit dem ersten Stück im Mund. »Kannst du nicht mal warten, bis ich bezahlt habe?« »Es riecht so gut«, rechtfertigte er sich und schluckte den ersten Bissen hinunter. Mit den Pizzaschachteln siedelten sie um auf das kleine Sofa. Jason verband sein Smartphone mit der Musikanlage und der bunte Mix aus ihren ausgewählten Songs lief weiter. Mehr oder weniger einvernehmlich tauschten sie je ein Stück ihrer Pizza und planten die nächsten Tage. Jason hatte noch Semesterferien und Nico brauchte dringend ein paar mehr Habseligkeiten. Zwischen Las Vegas und San Francisco hatten sie schon einmal gehalten, um die nötigsten Utensilien – wie ein Satz Klamotten zum Wechseln und Hygieneartikel – einzukaufen, doch langfristig gesehen, fehlte einiges. Als sie dabei waren den Überblick zu verlieren, griff Jason Stift und Papier von seinem Schreibtisch und fertigte eine Liste an. Nach dem Essen waren sie immer noch nicht müde, aber träge. »Wollen wir schon mal ins Bett?«, schlug Jason vor mit dem Verdacht, dass sie andernfalls irgendwann auf dem Sofa einschliefen und das würde kein erholsamer Schlaf. In dem Zusammenhang kam ihm ein weiterer Gedanke. »Du kannst was von mir zum Schlafen anziehen.« In einer fließenden Bewegung stand er vom Sofa auf und entsorgte bei der Gelegenheit die Pizzaschachteln in den Müll, bevor er an den Kleiderschrank trat. Sein Freund war kleiner und schmaler, aber er war zuversichtlich, dass ihm nicht gleich alles vom Hintern rutschen würde. Nico bekam von ihm ein dunkles Shirt und eine lange Sporthose, die er zuschnüren konnte. Damit ausgestattet ging er als Erster ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Seine Kleider vom Tag warf er auf einen Haufen, der auf den dunklen Fliesen zu einer schwarzen Masse verschmolz. Als er sich das zu große Shirt über den Kopf zog, konnte er neben dem Geruch vom Waschmittel den Duft von Jason wahrnehmen. Bisher passierte ihm das nur unterbewusst, doch nun hatte er das Gefühl, in einem Sommergewitter zu stehen. Sein Schopf kam hochrot aus dem Stück Stoff hervor. In der Hoffnung, dass es half, wusch Nico sich das Gesicht, bevor er in die Hose stieg und sich anschließend die Zähne putzte. Dass das bloß ein kleiner Vorgeschmack auf die Nacht sein würde, versuchte er zu verdrängen. Fertig mit der Abendtoilette, überließ er seinem Freund das Bad und wartete. Als beide ihre Alltagskleider gegen gemütliche Klamotten ausgetauscht hatten, kümmerte sich Jason um das Bettzeug. Er klopfte die Kissen zurecht, während Nico brav am Bettende Platz nahm. »Reicht dir eins?« »Klar.« Sein Blick ging zu einem unbestimmten Punkt im Zimmer. Es gab im Raum nichts besonders Interessantes zu sehen, aber er wollte nicht auf Jason achten. Mit dem Zupfen an seinem Oberteil versuchte er, beschäftigt zu wirken. Als sich die Matratze unter ihm bewegte, wandte er sich schließlich doch zu ihm um. Jason hatte es sich im Schneidersitz bequem gemacht und lehnte an der Wand. Statt seine Aufmerksamkeit Nico zu schenken, betrachtete er nachdenklich den Zipfel der Decke, den er zwischen den Fingern festhielt. »Tut mir leid. Ich hab nur eine Decke.« »Schon okay«, sagte Nico und zuckte mit den Schultern. Nach dem unterhaltsamen Abend machte ihn die Einsilbigkeit stutzig. Ihm war bewusst, dass der Sohn des Hades‘ nicht zu den größten Rednern zählte, aber dieser plötzliche Umschwung war auffällig. Er hob den Blick und musterte die feinen Gesichtszüge, in der Hoffnung, etwas in ihnen eine Antwort lesen zu können. Als sich ihre Blicke trafen, wurden die dunklen Augen größer und Nico wich aus. Sein volles Interesse galt der Tapetenmaserung, während er sich mit der Hand über den Arm strich. Seine Augenbrauen zogen sich tief in die Stirn. Wie auffällig sein ganzes Verhalten war, war ihm bewusst und es ärgerte ihn, dass er es nicht einfach abstellen konnte. »Genierst du dich etwa?« Ruckartig wandte Nico den Kopf herum. Jason erwiderte seinen erzürnten Blick mit einem Lächeln. Sein Ärger galt nicht ihm, sondern sich selbst, aber wie er so auf die sichelförmige Narbe starrte, musste er überlegen, ob es ein freundliches Lächeln oder nicht doch eher ein amüsiertes Grinsen war. Nein, das passte nicht zu ihm. Jason hatte den Kopf auf die Handfläche gestützt und betrachtete ihn immer noch prüfend. Auf seine Frage folgte keine Antwort, doch die schnelle Reaktion verlangte auch keine weiteren Worte. Seine Lippen hatten sich ganz ungewollt gekräuselt und er hoffte, dass Nico es nicht falsch verstand. Immerhin lag seine Vermutung darin begründet, dass er selbst, wenn er einmal in sich hineinhorchte, aufgeregt war. Dass es seinem Freund ebenso ging, beruhigte ihn. »Wollen wir noch einen Film schauen?« Aus dem schmalen Raum zwischen Bett und Schrank zog Jason ein Tablet hervor und schaltete es ein. Gegen etwas Zerstreuung hatte Nico nichts einzuwenden. Er rutschte an seine Seite und sah ihm über die Schulter, um einen Blick auf das Streamingangebot zu werfen. Die Filmauswahl deckte so ziemlich alle Geschmäcker und Genre ab. Jason achtete überhaupt nicht auf die angezeigten Filme, während seine Finger über den Bildschirm wischten. Aus dem Augenwinkel betrachtete er Nico und freute sich insgeheim, dass es doch so einfach war, ihn dazu zu bewegen, sich zu ihm zu setzen und nicht den weitmöglichsten Abstand zwischen ihnen zu suchen. »Fällt dir was ins Auge, was du gerne schauen möchtest?« Er ließ ein leises Murren von sich hören, das alles bedeuten konnte. Sie zogen die beiden Kissen zusammen und lehnten sich zurück, während sie ein paar Filmbeschreibungen lasen. Da es so viele Filme gab, die Nico nicht kannte, wollte er gerne davon etwas schauen. Es brauchte eine halbe Stunde, bis sie ihre Entscheidung trafen und einen Film starteten. Jason unterließ es dieses Mal, einen Kommentar abzugeben, auch wenn er fand, dass es auf eine amüsante Art klischeehaft war, dass der Sohn des Hades‘ sich für einen Horrorstreifen entschieden hatte. Dafür war er sich sicher, dass sein Freund ihm während des Filmes nicht plötzlich vor Schreck um den Hals fiel. Nachdem er bereits selbst die Unterwelt gesehen hatte, wusste er, dass an die Realität keine Fiktion heran kam. Nico überraschte ihn dennoch damit, dass er sich schon zu Beginn des Filmes bei ihm anlehnte, sodass Jason ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, den Arm um ihn legen konnte. Nico versuchte, der Erzählung aufmerksam zu folgen. Ihm gefiel die Ästhetik von Horrorfilmen. Dabei benötigte es kein wildes Gemetzel oder Blutbad. Seiner Meinung nach, erzeugten gute Filme durch Musik und Szenenaufbau die richtige Atmosphäre und das Horror-Genre hatte dies perfektioniert. Jason kannte den Film ebenfalls noch nicht und wollte sich gerne auf die Handlung konzentrieren. Als er aber unbewusst damit anfing, eine Haarsträhne von Nico zwischen den Fingern zu drehen, verlor er sich in Gedanken. Erinnerungen. »Nico?« Ein leises Murren gab zu verstehen, dass er zuhörte, selbst wenn er weiter dem Film folgte. Die Position in der er sich zurechtgelegt hatte, war zu bequem, um etwas daran zu ändern. Jason begann mit den Fingern über seinen Nacken zu streichen und erzeugten einen sanften Schauer, der seine Wirbelsäule hinunterlief und seine Kopfhaut prickeln ließ. Jasons Augen folgten seinen Fingern, die über das kurze Haar strichen. »Dein Haar war früher länger, oder?« Es war nur ein kurzer Eindruck, aber er war sich sicher, dass es früher nicht im Nacken geschoren war, sondern in etwa die gleiche Länge wie sein Deckhaar hatten. Die Frage führte dazu, dass sein Freund sich ihm zuwandte. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, sodass sich seine Stirn kräuselte. Das Irritierende an der Frage war nicht ihr Inhalt. Es gab diese Momente, in denen gingen Jason Dinge durch den Kopf, während der Fokus gerade ganz woanders lag. »Sie wurden mir lästig«, erklärte Nico mit einem Schulterzucken. Mit einem lahmen Nicken quittierte er die Antwort. Er wusste selbst nicht, wieso ihm das gerade in diesem Augenblick aufgefallen war. Immerhin verbrachten sie schon den ganzen Tag zusammen. Es fühlte sich an, als wäre ihm ein Detail entgangen, auch wenn Nico das sicher vollkommen egal war. Chronologisch betrachtet lag das ganze Jahrzehnte zurück. Erneut spielte Jason mit einer der längeren Strähnen an seinem Ohr. Es sorgte dafür, dass Nicos Mundwinkel leicht zuckten. »Schlimm?« Er blinzelte erschrocken. »Nein.« Zaghaft begann er zu lächeln. »Weiß auch nicht.« »Okay.« Sie ließen das Thema damit ruhen und Nico bettete den Kopf auf Jasons Brust. »Aber du kannst ruhig damit weitermachen«, murmelte er und wandte sich wieder dem Film zu. Es dauerte, bis sein Freund begriff, aber dann ließ er sich nicht ein zweites Mal darum bitten und kraulte Nico wieder über den Nacken. Einen kurzen Augenblick bildete er sich ein, ein leises Schnurren zu hören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)