Melody of the Heart von abgemeldet (Wichtelgeschichte für Pfeffersosse) ================================================================================ Kapitel 1: Music for us ----------------------- Tief atmet er durch. Die schlanken Finger des Mannes berühren die metallische Halterung des Treppengeländers und nehmen die Schwingungen der gespielten Musik ganz bewusst wahr. Von zarten Violinspielen bis zum kräftigen Auftakt der Blechblasinstrumente liegt seine gesamte Konzentration darin, die leichten Musikwellen anhand seines Tastsinns zu spüren. Die Augenlider sind dabei halb gesenkt. Andauernd wechseln sich die unterschiedlichen Vibrationen unter seinen Fingern zwischen langsamen und schnellen Takten ab. Mal stärker, mal schwächer, spürt er die Leidenschaft des Orchesters. Die Schwingungen sind je nach Instrument und Lautstärke anders. Schon immer ist die Musik für ihn etwas Faszinierendes gewesen. Etwas Verbindendes und Vertrautes. Darüber muss er lächeln. Die Musik scheint Menschen auf geheimnisvolle Art und Weise – zumindest in der Spielzeit – vollkommen zu beeinflussen und sie das Geschehen um sich herum vergessen zu lassen. Dazu gehören auch Probleme und Stresssituationen im Alltag. Die Last auf den Schultern und die Sorgen im Herzen rücken in den Hintergrund. Alles, was bleibt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ist das Gefühl von Einklang und Harmonie, die alle Menschen miteinander verbindet. „Robert?“ Der Angesprochene zuckt zusammen und die Vibrationen ebben ab, als er die Hand seines Vaters spürt, die behutsam nach seinem Jackenärmel greift und daran zupft. Mit sanfter Gewalt holt er seinen Sohn zurück in die Welt der Realität. „Ich weiß, Vater“, murmelt er. Im Inneren dankt er dafür, so einen liebevollen und strengen Vater im Leben zu haben. Er lässt die Hand sinken und tritt vom Geländer des Saals zurück. Schließlich kehrt er zu seinem reservierten Sitzplatz zurück. Sein Vater seufzt erleichtert. „Pass bitte auf, mein Sohn.“ Robert nickt stumm. Für ihn ist dieser Teil der Veranstaltung reine Zeitverschwendung, weil er sich von Anfang an nur für die letzte Darbietung des heutigen Tages interessiert. Hier im Halbdunkeln zu sitzen, verbessert nicht gerade seine Ungeduld. Nur die Hand seines Vaters, die sein Handgelenk fest im Griff hat, um ihn am Aufstehen zu hindern, zügelt sein Vorhaben. Er verlangt nach dem Klavierspiel. „Wie lange muss ich…ähm müssen wir noch warten?“, fragt Robert hastig, dann ruhiger, als er den Nachdruck auf der Hand bemerkt. Herr Lutece kennt seinen Sohn sehr gut, darum sind seine Reaktionen immer passend. „In zehn Minuten ist die Hauptvorführung zu Ende“, informiert er Robert. „Hab ein bisschen Geduld.“ Während Robert stur auf die Bühne starrt und seufzt, sind seine Beine übereinander geschlagen. Den Ellenbogen mit der freien Hand stützt er auf der Armlehne ab und lehnt den Kopf gegen den Handrücken. „Das dauert viel zu lange.“ In Roberts Augen funkeln Aufregung und Ungeduld. Alles, was er möchte, ist, sie zu sehen. Dafür hat er die teuren Tickets gekauft und beobachtet gelangweilt das jetzige Musikstück. Nachdenklich brummt Robert, als der schick angezogene Dirigent den Takt vorgibt und die Instrumentalisten ihre Noten spielen. Er hat das Gefühl, vor Langeweile einzugehen. Etwas, wovon er weiß, dass es die neue Frau seines Vaters ärgern wird. Diesmal ist das Zupfen an seinem Jackenärmel stärker und als er den Blick kurz auf seinem Vater richtet, erfasst ihn die flehende Stimme seines Vaters. Robert seufzt ergeben und korrigiert seine Haltung. Nachdem er nun aufrecht sitzt und die Hände auf den Schoß legt, ist ein leises „Dankeschön“ seines Vaters zu hören. Sein eleganter Auftritt und die in Schach gehaltende Ungeduld sind beides Dinge, die er nur seinem Vater zuliebe durchzieht und ihr zuliebe, die bald auf der Bühne wahres Musiktalent präsentieren würde. Auf einmal wirken seine Gesichtszüge entspannter. Allein der Gedanke, ihre Hingabe zur Musik im Herzen zu fühlen, lässt ihn angespannt vor Vorfreude zur Bühne starren. In den Medien hat sie einen zwiegespaltenen Ruf. Einmal berichtet man, sie habe ihr Studium, ihre Klavierstunden und Auftritte durch illegale Mitteln finanziert. Auf der anderen Seite kämpte sie sich als junge und unerfahrene Frau durch. Damit beweise sie ihren eisernen Willen und ihrer unendlichen Musikliebe. Er selbst glaubt, sie hat sich von Null bis hin zum Erfolg durchgekämpft, mit ganzem Herzen. Minuten und Sekunden vergehen, bis das Orchester bedächtig zum Ende gelangt. Ab da fängt Roberts Herz an, schneller zu schlagen und seine Aufregung wächst rasant. In der Ferne bemerkt er, dass die Bewegungen langsamer werden, bis die schließlich gänzlich aufhören. „Endlich“, wiederholt sich das Wort wie ein Echo in seinen Gedanken. Vor ihm erheben sich die Leute, um zu applaudieren. Ebenfalls hat Robert das Gleiche vor. Nicht etwa, um es ihnen gleich zu tun, sondern um nach den Klängen eines Klaviers zu suchen. Um mehr von ihrer Begabung zu hören, statt die monotonen Schallplatten aufzusetzen, will er diesmal hautnah dabei sein. Er will ihre Geschicklichkeit auf den Tasten nachempfinden, will sehen, ob die Leidenschaft, mit der sie spielt, sich auch auf ihre Gesichtszüge überträgt. Augenblicklich grinst er traurig darüber, dieses in der Dunkelheit des Saals nicht sehen zu können. Als er allerdings den sanften Zug an seinem Handgelenk spürt, lässt er sich zurück in den Sitz fallen und schaut seinen Vater fragend an. „Das Konzert läuft schon nicht weg. Sie steht immerhin schon auf der Bühnenseite“, sagt Herr Lutece gelassen. Ein gutmütiges Lächeln umspielt sein Mund und er legt seine Hand auf Roberts Schulter. Für einen Moment zieht der die Brauen wütend zusammen. „Wieso hast du das nicht gleich gesagt?“, fordert Robert eine Erklärung. Die Unterhaltung zwischen Vater und Sohn verstummt, als ein Poltern und Schieben ihre Aufmerksamkeit erregt. Ein paar Männer positionieren das große, im Licht schwarz glänzende Klavier auf der Bühnenmitte und schon herrscht im Publikum ein überschwängliches Tuscheln. Zu Roberts Glück hat sich das stundenlange Warten gelohnt. Von der Seite aus betrachtet Herr Lutece seinen Sohn. Selbstverständlich freut er sich , ihn so glücklich zu sehen, aber die Vorfreude täuscht nicht darüber hinweg, wie enttäuscht sein Sohn sein würde, wenn das Klavierspiel sein Ende fände. Es handelt sich um vorhersehbare Ereignisse, die Kummer bringen. „Versprich dir nicht zu viel, Robert. Ich bitte dich, denke darüber nach.“ Sorgen und Betrübnis vermischen sich in der warmherzigen Stimme des Mannes, vermitteln seine Vaterliebe in gutem Sinne, ohne übertrieben zu klingen. Er nickt verständnisvoll. „Mach dir bitte keine Sorgen, Vater“, beschwichtigt er ihn. „Ich bin schließlich schon erwachsen.“ Es tut gut, ihn vernünftig zu erleben, nicht wie den kleinen Junge von damals, den kleinen Hitzkopf. Kurz lacht Herr Lutece leise auf und erinnert sich an etwas. „Nicht, dass du wieder mit dem Kopf in der Suppenschüssel feststeckst.“ Rasch färben sich Roberts Wangen in einem hellen Rotton und die Szene aus der Kindheit flimmert wie ein Film vor seinen Augen. „Tschss...das muss nicht jeder hier wissen“, beklagt er sich und kämpft dabei gegen seine peinlich berührte Stimmlage. Diese Geschichte will er am liebsten aus dem Gedächtnis verbannen, hegt sogar den Wunsch, seinem Vater eine Kopfnuss dafür zu geben, stets daran zu erinnern. „Dann bleib diesmal schön auf deinen Platz, bis ich dir die Erlaubnis gebe, aufzustehen“, macht sich der Mann einen Spaß daraus, ganz im Gegenteil zu Robert, der nicht begeistert ist. Plötzlich mischt sich seine Stiefmutter ein und schlingt ihre Arm mit den weißen Handschuhen um den Arm ihres Gatten. Sie klimpert mit den Wimpern und sieht ihn erwartungsvoll an, wobei er ihre Geste mit einem Kuss erwidert. „Worüber lachst du, mein Liebster?“ Die schmeichelnden Worten verderben Robert beinah die Laune. „Über alte Geschichten“, antwortet er knapp. Zufrieden heben sich die Mundwinkel der zart rosafarbenen Lippen. Auch wenn sie wie eine verwöhnte Frau aussieht, hat sie eine gute Meinung über Familiengeschichten. Leider sieht Robert das völlig anders. Sie scherzt: „Ich brauche deine Meinung. Was an mir liebst du am meisten? Meine überragende Intelligenz oder meine einzigartige Schönheit?“ Die Stirn legt Robert in Falten und rollt mit den Augen. Zu hundert Prozent ist seine Antwort: „Eher dein schlechter Sinn für Humor.“ Jedoch hält er sich zurück und atmet lange aus. Wie lange noch bis zum Finale des Tages? Dann fühlt er auf seinem Gesicht, wie das Licht an Kraft verliert und die Dunkelheit im Saal überwiegt. Die ganze Zeit über abgelenkt, versetzt ein süßer Klang sein Herz in großes Aufsehen. Es beginnt. Sie spielt. Er hört ihr zu. Ein Strahlen nimmt sein Gesicht ein. „Vater? Ist sie …?“, stellt er ihm geistesabwesend die Frage, ohne den Blick von der Quelle der wundervollen Melodie abzuwenden. Der Vater guckt zu seiner Ehefrau an und erhält von ihr ein sanftes Nicken. Nachfolgend versichert er ihm: „Ja mein Sohn. Das ist Rosalind Lutece, deine Zwillingsschwester.“ Auf der Bühne sitzt sie am Klavier, umgeben von dem fahlen, gelblichen Scheinwerferlicht und dem stillen Publikum. Ihre wohlgeformte Figur wird von einem weißen, schlichten Kleid betont und die roten, dicken Haarlocken sind zu einer Hochsteckfrisur zusammen gebunden. Fast wie in einer engelsgleichen Trance bewegt sie sich zum Takt der Musik, die von Stolz zeugenden, blauen Augen habe nur das Klavier im Blick. Von all dem anderen um sie herum, nimmt nicht viel wahr. Das Stück heißt übrigens "Die Nacht der Sternschnuppen". Auf Anhieb hat er das erkannt und summt fröhlich mit. Jede Klaviertaste wird perfekt genutzt, kein überflüssiger Ton stört ihren Auftritt, der in den Ohren der Menschen einfach himmlisch klingt. Auch Herr Lutece ist von dem Klavierspiel verzaubert. Seine kleine Tochter da unten, die er seit der Geburt nicht mehr sah, ist wahrlich zu einer selbstbewussten und wunderschönen Frau herangewachsen. Den Stolz teilt auch seine Ehefrau, die Rosalind für ihr junges und erfolgreiches Leben bewundert. „Sie sieht wie ein Engel aus und sie spielt genau so“, äußert sie ihre Meinung. Gleichzeitig stimmen Vater und Sohn ihr zu. Im Unterbewusstsein stockt Robert der Atem. War er tatsächlich mit seiner Stiefmutter einer Meinung? Allerdings lockt ihn das Lied von der Entdeckung weg und zieht ihn immer tiefer in den Bann. Der Klang des Klaviers berührt seine Haut besinnlich, als ob er in Mitten eines Frühlingsfeldes stünde und der Wind um ihn herum säuselte. Er schwört sogar, für einige Sekunden zu denken, das weiche Gras zwischen den Zehen zu spüren. Unbeschreiblich. In der nächsten halben Stunde werden seine Sinne und Gedanken von Rosalinds Musik regelrecht beeinflusst. Tobender Applaus und beeindruckt lächelnde Gesichter fangen an, nachdem sie die letzte Taste gedrückt hat und sich aufrecht hinsetzt. Durch ihren Körper rast ihr Puls in hoher Geschwindigkeit und füllt ihr Herz mit neuer Energie. Über ihre Stirn kullern ein oder zwei Schweißperlen, als sie die Wärme im Gesicht und an den Fingerkuppen spürt. Sie hat es wirklich geschafft. Erneut schafft sie einen siegreichen Auftritt und findet zugleich, das ihr Stolz in neuer Blüte steht. „Geschafft“, seufzt sie im Stillen, doch nicht laut, denn noch befindet sie sich hier im Rampenlicht und wird von dem Publikum mit Begeisterung beklatscht. Auf ihr leicht erschöpftes Gesicht schleicht sich ein mildes Schmunzeln. Jedes Mal kehren die Spuren der jahrelangen, harten Arbeit und des Strebens, ihren Traum zu erfüllen, mit einem Schlag zurück. Im Endeffekt ist sie einfach nur froh, dass alles problemlos verlief. Mit zitternden Beinen, rasendem Herzen und einem unglaublich starken Stolz steht sie auf. Einzelne rote Haarsträhnen fallen ihr ins Gesicht und sie dreht sich zum Publikum, damit sie sich aufrichtig für dessen Zuhören bedanken kann. „Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit. Ich, Rosalind Lutece, verabschiede mich für heute.“ Zusätzlich stehen Menschen auf und geben schrilles Pfeifen und lautes Rufen nach Zugaben von sich. Rosalind presst die Lippen zusammen und verlässt die Bühne. Kühles Wasser läuft ihre trockene Kehle hinab. Die Erfrischung und die Chance auf eine ruhige Pause spenden ihr Wohlbefinden. Zwar ist es ihr zehnter Auftritt in der Öffentlichkeit, aber daran gewöhnt hat sie sich noch kein bisschen. Am liebsten wäre sie nicht allein. In den blauen Augen schimmert ein Funken Traurigkeit. Eines Tages verstarb ihre Mutter an einer tödlichen Krankheit und verschwand ohne Abschied aus Rosalinds Leben. Die Spitze des Eisberges vollbrachte ihr Stiefvater, ein Zocker und Alkoholiker, indem er ihr letztes Hab und Gut verkaufte. Darauf angelte er sich eine neue Frau und seitdem hat sie ihn nie mehr gesehen. „Ich habe es geschafft, Mutter. Aus mir ist eine berühmte Klavierspielerin geworden und ich habe somit meinen Traum erfüllt“, lächelt sie schmerzerfüllt und hält in der Hand den Anhänger ihrer Halskette. „Du hast nie an mich geglaubt, hast gedacht, ich führe zum Ende der Welt, weil ich keine gewöhnliche Frau sein will und meinen Seelenverwandten suche.“ Sie hasst und liebt ihre Mutter gleichermaßen. Tränen treten zum Vorschein, landen lautlos auf dem Bild. Unsicher und nervös steht Robert wie angewurzelt da. Ungefähr fünf Meter vor ihm ist seine Schwester, versunken in Traurigkeit und vergießt Tränen. Ihr Schluchzen verrät ihren emotionalen Zustand, den er nicht akzeptieren kann. Er schluckt schwer. Trotzdem traut er sich nicht, in ihre Nähe zu kommen. Zudem denkt er nicht daran, ihr in ihrer betrübten Verfassung zu erzählen, dass sie einen Vater und Zwillingsbruder hat. Robert besitzt nun mal einen gewissen Grad an Moral. „Verdammt!“ Ungewollt ertönt sein Fluchen lauter als gedacht und Rosalind sieht auf. Unmittelbar wischt sie die Tränen weg, versteckt die Halskette unter dem Stoff ihres Kleides und erringt wieder die Selbstbeherrschung. „Wer ist da?“, wundert sie sich und ihr Herz bleibt beinahe stehen, als sie ihn erblickt. Erst traut sie ihren Augen nicht, obwohl er wirklich vor ihr steht, sie vorsichtig anlächelt und selbst unsicher erscheint. „Hallo Schwesterherz.“ Mehr als zwei Wörter kriegt Robert nicht heraus und winkt ihr halbherzig zu. Endlich hat er es vollzogen, aber sein Gewissen redet ihm ein, nicht voreilig zu handeln. Von seinem weiblichen Spiegelbild kommt ein verwirrtes „Huh?“ und er versteht ihre Reaktion. Sie nuschelt vor sich hin: „Das kann nicht sein. Du? Du siehst genau so aus wie … ich?“ Ohne den blassesten Schimmer zu haben, was überhaupt los ist, fährt sie sich durch die Haare. Schweigen steht zwischen ihnen. Rosalind starrt den Unbekannten an. Auch wenn er ihre großen blauen Augen und rötliche Haare hat, kennt sie ihn doch nicht, was ihre Unsicherheit sie auf eine harte Probe stellt. Anders ergeht es Robert auch nicht. Er sieht ihre Erschütterung nicht, eher das schwerfällige Atmen. „Ja, wir sind auch...Zwillinge.“ Dann beschließt er, die Unterhaltung weiter zu führen, denn er möchte sie unbedingt kennen lernen. Seine Schwester, seine Zwillingsschwester, seine andere Hälfte, die fast 18 Jahre lang an seiner Seite fehlte. Kurz runzelt sie die Stirn. In erster Linie sortiert sie ihre Gedanken und Gefühle, die in ihr toben. Eine Familie! Sie hat eine Familie. Da verweilt seit einigen Sekunden ihr Zwillingsbruder, wartet auf eine Reaktion ihrerseits, bittet sie mit einem Flehen im Gesicht, etwas zu sagen. „Wieso...erst jetzt? Nach all den Jahren“, platzt es aus ihr heraus. Ihr entgleiten sämtlich lockere Gesichtszüge und ihre Lippen beben. Selbst ihre Tonlage ist von Bestürzung und Wut erfüllt. Der junge Mann senkt den Kopf. „Davon weiß ich persönlich auch erst seit zwei Tagen, als ich...als wir 18 wurden.“ Das ist seine Antwort. Überrascht beruhigt sich Rosalind und sie atmet durch. Ihre Mutter erzählte nie etwas über den Mann, der ihr das Leben schenkte, geschweige denn, dass sie einen Zwillingsbruder hat. Alles, was sie fühlt, ist das Bedürfnis, mehr über ihre Herkunft und Familiengeschichte zu erfahren. Schließlich hat sie das Recht dazu. Gegen ihren eigenen Willen schreitet sie auf ihn zu und stoppt einen halben Meter vor ihm. Roberts Nackenhaare sträuben sich, als schnelle Schritte auf ihn zu kommen und er keinen Plan hat, wie er damit umgehen soll. „W-Warte“, zögert er und dann spürt er zwei Arme um sich. Sie haucht: „Ich habe so lange gewartet, dass ihr heim kommt und sagt, wie schön es ist, mich zu sehen. Dabei wusste ich weder den Aufenthaltsort meines…unseres Vaters und dass es dich überhaupt gibt.“ Trotz ihrer kalten Aura strahlt ihre Umarmung eine Wärme aus, die er durch die Haut spürt und sein Herz passt sich dem Rhythmus ihres Herzens an. Rosalind hat nicht umsonst das Klavierspielen gelernt. Berühmt zu werden, bleibt nur auf dem zweiten Platz. Als erfolgreiche Person, dachte sie sich, besser an verschiedene Orten und Informationen zu kommen, damit vielleicht eines Tages ein Teil ihrer Familie sie wiederfindet. Und es hat geklappt. Ihr Bruder ist hier. Er steht vor ihr. Jemand, der wie sie denkt. „Tut mir leid. Weinst du wieder?“ Roberts warme Stimme erreicht ihre Gedanken. Die Umarmung löst sie schleppend und schüttelt den Kopf. „Nein, wie kommst du darauf. Ich...“, fängt sie an zu reden. Etwas verhält sich Robert seltsam, nimmt die Hände seiner Schwester und beide sehen sich an. Auf der Stelle schätzt sie ein, dass etwas nicht bei ihm stimmt. Sorgsam berührt ihre Hand seine Wange. Die Berührung erwischt ihn wie aus dem Nicht, zeigt seine Verwunderung, dies nicht geahnt zu haben. Ab da fasst er den Mut , ihr die Wahrheit zu sagen. „Rosalind." Seine Schwester drückt ihre Handfläche auf seinen Mund. „Du darfst ruhig Schwester zu mir sagen, auch wenn alles neu für mich ist.“ Bei dieser Gelegenheit wirkt sie selbstsicher, scheint den ersten Schock einigermaßen überwunden zu haben, nicht mehr alleine zu sein. Das Gefühl der Erleichterung schwindet. „Schwester. Ich kann dich nicht sehen, aber ich spüre deine Gefühle stärker als normalerweise“, erklärt er und die Hand an seinem Gesicht zittert. Im ersten Moment versteht sie nur Bahnhof, dann dämmert es in ihr langsam und Panik keimt in ihr auf. „Du bist blind und kannst mich nicht sehen? Niemanden?“, hackt sie nach und umarmt in nochmals. Das schmerzt. Sie trauert, doch er lebt und beide wissen, das ihre Verbindung mehr als Blut ist. Plötzlichruft jemand nach ihm. „Robert? Wo steckst du?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)