Remember von April_Jones ================================================================================ Kapitel 1: Berührungspunkt -------------------------- "Out of suffering have emerged the strongest souls. The massive characters are seared with scars." Khalil Gibran   Schwere Schritte auf den Dielen, das Geräusch eines betätigten Lichtschalters, der dumpfe Aufschlag einer Tasche auf den Boden. Er war wieder zuhause. Die Jagd war vorüber. Erschöpft rieb sich Dean seinen schmerzenden Nacken. Wie schon so oft hatte er in der zurückliegenden Nacht kaum geschlafen. Die Strapazen der vergangenen Monate hatten an ihm gezehrt, nicht nur körperlich. Er war so müde. Gedankenverloren zog sich Dean das blutverschmierte T-Shirt aus. Er hatte nicht bemerkt, wie der Engel in sein Zimmer getreten war. Man sagt, wenn du immer die Dämonen hinter dir beobachtest, wirst du nie die Engel vor dir sehen. Nur verfolgten Dean in diesem Moment keine Dämonen mehr, nicht wortwörtlich. Viel mehr waren es seine inneren Dämonen, die ihn quälten, ihn immer wieder heimsuchten: Erinnerungen aus seiner Kindheit, die ihn einholten, das Gefühl die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern zu tragen und die nagende Schuld, wenn er das Gewicht nicht mehr tragen konnte. Nie hatte er sich selbst lieben können. Das spärliche Licht der alten Nachttischlampe, die das Zimmer nur unzureichend ausleuchtete, fiel dem Engel nicht auf, denn Deans Seele hüllte den gesamten Raum in ihren gleißenden Schein, sichtbar allein für ihn. Sie erstrahlte allen Widrigkeiten trotzend noch so kraftvoll und klar wie am ersten Tag, wunderschön trotz oder gerade wegen all der tiefen Narben, machten sie Dean doch zu dem, der er war. Jede von ihnen erinnerte an all das, was sie bereits gemeinsam durchgestanden hatten. Fasziniert sah Castiel auf seinen Handabdruck auf Deans linker Schulter. Zwar hatte er seine Haut, seinen Körper, geheilt, aber das Brandmal war auch nach so langer Zeit noch immer da, auf seiner Seele. Mit der Zeit war es fast zu einer Art Ritual für den Engel geworden seine Hand auf eben jene Schulter zu legen, aber immer waren mindestens zwei Lagen Stoff dazwischen gewesen. Das Mal nun so offensichtlich vor sich zu sehen war ungewohnt für ihn. Dean zog die Augenbrauen zusammen, als er ihn entdeckte. Unter dem indiskret starrenden Blick des Blauäugigen fühlte er sich unwohl. „Ich mache dich nervös.“, stellte der Engel fest. Dean schluckte und antwortete mit einem überspielenden Lachen: „Nein, ich stehe doch nicht auf Männer, Cas!“ Seine Stimme klang belustigt, doch Castiel wusste, dass er log. Wenn nicht mutwillig, dann zumindest zu sich selbst. Denn er wusste von Deans Schmerz als er gegen einen Tisch gelaufen war, weil er einen attraktiven Mann gesehen hatte, von Deans unverhohlenem Blick auf das Hinterteil eines Matrosen im Jahr 1944 und Deans Blicken auf des Engels Mund. Er wusste von Deans Schwärmerei für den Seriencharakter Dr. Sexy, von Deans Flirt mit einem männlichen Cop als er betrunken war und von Deans Erklärungen für die lesbische Charlie, wie man einen Mann umgarnt. Er wusste von Deans einstiger ‚Liaison‘ mit einer männlichen Sirene und von Deans körperlicher Reaktion auf Castiels Anblick, als er sich nach dem Fegefeuer wieder hergestellt hatte. Aber er wusste auch von dem Vorfall als Dean gerade mal 16 Jahre alt gewesen war. Damals hatte er versucht seinem Vater zu erklären, dass er zwar auf Frauen stand, aber eben nicht nur. Drei Wochen lang hatte John nicht mehr mit seinem ältesten Sohn gesprochen, bis die Streitigkeiten mit Sam wegen dieser Angelegenheit ausgeartet waren. Doch seither waren für Dean seine „abartigen Neigungen“ nie wieder ein Thema gewesen. Anstatt seine Abwehr zu durchbrechen, erwiderte Castiel schlicht: „Ich bin kein Mann, Dean, ich bin ein Engel.“ Dean öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte, also fragte er das, was ihm gerade durch den Kopf ging: „Stehst du etwa auf Männer?“ Wieder einmal hatte er gesprochen ohne vorher darüber nachzudenken. Oder waren seine Gedanken schneller aus seinem Mund geflüchtet, als er sie hätte verhindern können? Ärgerlich auf sich selbst biss er sich auf die Unterlippe. Diese Unterhaltung driftete in eine Richtung ab, die ihm gar nicht gefiel, und er war auch noch selbst schuld daran. „Nein Dean, ich habe keine Präferenz in Bezug auf das Geschlecht. Für mich ist die Seele wichtiger als der Körper.“ Dean sah aus als hätte Castiel ihn geschlagen. Beschämt wandte er sich ab, wusste er doch, dass sein Körper anziehend war, seine Seele aber musste einen scheußlichen Anblick bieten. Doch der Engel spürte beklommen, was Dean fühlte. Also packte er ihn am Arm und drehte ihn wieder zu sich. Deans beschleunigter Atem streifte seine Haut und ihre Blicke begegneten sich. Blau wie der Horizont am Abend in Grasgrün, der Himmel traf auf die Erde. Dean konnte sich erst wieder von dem Anblick seines Gegenübers losreißen als er bemerkte wie der Blauäugige langsam die Hand hob. Angespannt folgten ihr die Augen des blonden Mannes mit den unzähligen Sommersprossen. Castiel sah ihn an, bat um Erlaubnis. Dean schluckte schwer und nickte. Dann hielt er den Atem an und versenkte seinen Blick tief in den blauen Augen. Vorsichtig, als fürchtete er, er könnte ihn von sich stoßen -Menschen waren so zerbrechlich-, legte der Engel seine Hand auf die Schulter, auf das Mal. Haut berührte Haut, und es traf ihn wie ein Schlag. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten, so unvorstellbar stark reagierte seine Gnade auf die Seele dieses Menschen. Das hatte er nicht vorhergesehen. Dean zuckte zusammen, sein Atem ging flach. Es tat weh…, nicht verletzend, sondern eher so, als ob etwas wieder an seinen Platz zurückkehrte, was schon zu lang gefehlt hatte. Hinter seinen geschlossenen Augen breitete sich ein helles Licht aus. Er konnte es fühlen… Alles strömte auf ihn ein, er konnte alles fühlen…   "You don‘t have a soul. You are a Soul. You have a body.“ C. S. Lewis Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)