Neverland von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: lost boy ------------------- Sacht ließ er den Blick durch die Dunkelheit schweifen, vereinzelte Sterne am Firmament und kühle Nachtluft umfing seine dunklen Haare. Sein Blick blieb bei dem hoch am Nachthimmel thronenden Mond hängen. Ob er ihm wohl antworten würde, der Mann im Mond? So oft hatte der Junge ihm von seinen Problemen erzählt. Der Mann im Mond war ein guter Zuhörer, er unterbrach Levi nie und sah ihn nie mit diesem Jetzt-übertreibst-du-es-aber-Blick an, wie es seine Eltern taten, wenn Levi versuchte, mit ihnen zu reden. Doch auch der Mann im Mond ging manchmal fort. Dann war der Junge wieder allein, allein in einer Villa voller Menschen. Als Sohn eines großen Geschäftsmanns musste man sich an viele Regeln halten, eine davon war, dass er sich selten außerhalb der Villa aufhalten durfte oder gar jemanden mit nach Hause bringen durfte, dessen Gesellschaft er sich selbst hatte aussuchen dürfen. Obwohl Levi mit seiner Familie schon seit langen an diesem Ort lebte, war dieser nicht das, was man ein Zuhause nennen wollte.     Seufzend schloss der dunkelhaarige kurz die Augen, um die Ruhe und die Geborgenheit der Nacht zu genießen. Langsam hob er sein Glas an die Lippen und nahm einen Schluck der süßlichen, prickelnd dunklen Flüssigkeit. Leise klirrend stellte sein Glas zurück auf die Balustrade aus Sandstein, die den Balkon des obersten Stockwerks des Hauses umgab. Hier oben war sein bevorzugter Rückzugsort, hoch über dem Garten, der an das riesige Haus seiner Familie anschloss, mit einem Blick auf die Lichter der nächsten Stadt. Auf der Balustrade sitzend, die Beine hinab hängen lassen und den Abgrund, der sich unter seinen Füßen auftat einfach ausblendend. Levi ließ den Blick wieder zum Nachthimmel wendete und erhaschte mit den dunklen Augen einen hochfliegenden Schatten, der auf ihn zu kam. Es war ein Junge etwa in seinem Alter, er lächelte ihn an, ehe er neben Levi auf der Fensterbank landete. Für den Moment war vergessen die Tatsache, dass Menschen nicht fliegen können sollten und auch die Worte seines Vaters, dass er keinem vertrauen sollte. "Hello Lost Boy. Man nennt mich", er legte eine dramatische Pause ein, in der er leicht posierte und sich in Szene warf, "Peter Pan!" Als er seinen Namen nannte ließ er sich grinsend in eine übertrieben tiefe, leicht unbeholfene Verbeugung fallen. Aus dieser erhob er sich mit ausgestreckten Armen und sah Levi an als hätte er gerade ein Weltklasse Kunststück vollbracht und warte nun auf den ihm gebührenden Applaus. "Und du bist?", hakte Peter nach, als er realisiert, dass der erwartete Beifall wohl ausbleiben würde, und ließ sich neben Levi auf den Fenstersims fallen. „Levi. Äh…ich meine mein Name ist Levi Michaelis“, stellte sich der Junge leicht stotternd vor. „Es freut mich dich kennenzulernen, Levi“   Peter blieb bis zum Morgengrauen und erzählte Levi von Dingen, von denen er noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Von einer Insel auf der Meerjungfrauen in einer verborgenen Lagune lebten. Einem Indianerdorf, Feen die für Jahreswechsel sorgten und auf der alle Träume war zu werden schienen. „Ich habe dich vorhin ein bisschen beobachtet, bist du oft so allein?“, fragte Peter als die ersten Vögel ihre Lieder zu sangen begannen. „Ja“ Einsilbige, aber mehr war nicht nötig.  „Dann verspreche ich dir nun, dass du niemals wieder allein sein wirst!“   Peter kam am nächsten Abend wieder. Mit vor Schalk funkelnden Augen schüttelte er den Inhalt eines kleinen Lederbeutels über den Jungen und hüllte ihn damit in eine goldglänzende Staubwolke ein. Feenstaub wie er sagte und gab Levi dann zu verstehen, dass er wirklich daran glauben solle. Levi sollte glauben aus tiefstem Herzen, an Peter und an sich selbst, an die Wunder, die noch vor ihnen lagen. Den dann würden sie zusammen über den Wolken davonfliegen können.   „Sieh“, sagte Peter mit einem erfreuten Grinsen in seinem Gesicht, „du fliegst!“   Der junge Erbe flog. Er flog tatsächlich, jetzt konnte Levi diesem golden Käfig entfliehen, der ihn hier hielt.   Zusammen flogen beide über die nächtlich beleuchtete Stadt hinweg, die Stadt, in der die Familie Michaelis gewohnt hatte, die aber nie ein Zuhause gewesen war. Vorsichtig streckte Levi die Hände nach den Wolken, die an ihnen vorbeiglitten, aus und kicherte leise als seine Hand einfach hindurchfuhr. „Am zweiten Stern rechts vorbei und dann immer geradeaus bis zur Morgendämmerung“, erklärte Peter dem schwarzhaarigen, als er neben Levi herflog, „das ist der Weg nach Neverland.“ Seit diesem Tag gehörte Levi zu den verlorenen Kindern aus Neverland.   Zusammen mit Peter Pan und den anderen verlorenen Kindern verbrachte er viel Zeit in den Wäldern, den Stränden oder den Berglandschaften, die die Insel zu bieten hatte, anstatt in dem ihm zugeteilten Zimmer in dem Haus seiner Familie allein zu sein. Wenn sich die Kinder mal langweilten, streiften sie über die Insel und spielten in den Wäldern mit den Tieren, tanzten mit den Indianern oder schwammen mit den Nixen. Doch immer mussten sie auf der Hut vor Captain Hook sein.   Captain Hook war ein Pirat, wie aus einem der vielen Bücher, die Levi gelesen hatte. Er hatte eine Hakenhand, da er seine im Kampf mit Peter verloren hatte und eigene Schiffscrew. Das Lebensziel des Captains war es die verlorenen Kinder, aber vor allem Peter zu fangen und über die Planke seines Schiffes gehen zu lassen. Peter Pan, seine Feen Freundin Tinker Bell, die verlorenen Kinder und sogar Captain Hook, sie alle waren nun irgendwie zu Levis Familie geworden. Eine ungewöhnliche Familie, das musste er zugeben, aber es ist eine Familie. Peter und die anderen Kinder waren seine Geschwister, Tinker Bell ihre kleine Cousine und Captain Hook der Onkel, den keiner eigentlich mochte und man hoffte, dass er an Weihnachten nicht zu Besuch kam. Damit war Neverland sein Zuhause. Ein Ort, an dem er sich geborgen fühlte, an dem Levi zum ersten Mal in seinem Leben wirkliche Freunde hatte. Es fiel ihm immer schwerer nachhause zurückzukehren, für immer wollte er indessen ein verlorener Junge sein. „Lauf, verlorener Junge“, raunten seine Brüder und Schwestern ihm nachts ins Ohr, „Lauft weg von dieser so düsteren Realität.“ Und Levi lief, immer wenn er zurückmusste, in das Haus seiner Eltern. Er flüchtete sich tief in seine Fantasie, dort konnte er weiter in Neverland sein, ohne dass jemand etwas dagegen tun konnte. Mit der Zeit verlor Levi sich so sehr in den fantastischen Gebilden, dass es seinen Eltern auffiel. Sie bemerkten, dass der Junge mit dem Kopf in einer ganz anderen Welt hing. Sein Vater ließ deswegen einen Psychologen kommen, oder wie Levi den Mann beinah liebevoll nannte "Kopfdoctor". Der Mann versuchte mit dem Jungen zu reden, doch Levi schwieg. Er war wirklich freundlichen, versuchte eine Bindung zu ihm aufzubauen, doch wollte Levi ihm nichts von all dem erzählen, das in seinem Kopf herumschlich. Der Familienerbe wollte ihm nicht von Peter und Neverland erzählen aus Angst der Psychologe könnte den Jungen daran hindern dahin zurückzukehren. Ein Umstand, den Levi nicht hätte ertragen können und unbedingt zu verhindern versuchte.   Neverland war das Zuhause der verlorenen Kinder. Verlorene wie er einer war, bevor Peter in rettete. Verlorene Kinder wie der schwarzhaarige waren dort auf der Insel im Nirgendwo zu ersten Mal frei.                                                        In Neverland hatte sich eine Familie zusammengefunden und diese würde er, der er ein Teil davon war, vor allem und jedem verteidigen, wenn es dann sein müsste. Er redete nicht oft mit dem Kopfdoctor über die Dinge, die ihm wichtig waren. Oft waren es nur belanglose Sachen, die er sich aus den Fingern sog oder Filmhandlungen, wenn auch etwas verdreht in den Sitzungen nacherzählte. Bei ihrer letzten Sitzung hatte er, wenn auch nur kurz Neverland erwähnt. „Ich versteh ihr Bemühen, mit mir hier etwas zu erreichen und sie scheinen ein guter Mensch zu sein, aber denke ich gehöre hier nicht her. Dieser Ort fühlt sich nicht wie ein Zuhause an. Dieses Haus ist keine sichere Zuflucht für ein Kind, es ist es jetzt nicht und wird es nie sein. Es ist ein Goldner Käfig, aus dem ich einen Ausweg gefunden habe. Ich denke sie haben bereits einmal von dem Ort Neverland oder Nimmerland gehört. Eine Insel verborgen hinter dem zweiten Stern von rechts. Neverland soll unter anderem das Zuhause der verlorenen Kinder. Diese Kinder leben dort frei von allem, was sie hält. Es sind Kinder wie ich und ich möchte so gern zu ihnen, meiner Familie, nachhause gehen.“ Das war an dem Tag, an dem ich beschloss nach Neverland zu gehen und dieses Mal sollte es für immer sein. Peter manchmal mit ihm darüber gesprochen, ihm vorgeschlagen, dass er doch einfach für bei ihnen bleiben könnte, wenn es ihm außerhalb der Insel doch eh nicht so gut ging. Ein verlockendes Angebot, doch hatte Levi sich nie dazu durchringen können. Allein stand Levi auf der Balkon Balustrade im Haus seiner Eltern und schaute in das mit Sternen besetzte Himmelszelt. Peter kam nicht, es war das erste Mal, dass Peter nicht kam. Vielleicht verspätete er sich nur? Levi erinnerte sich daran das sein Freund oft gesagt hatte er - Levi - könne, wann immer ihn der Sinn danach stand, zurück nach Neverland kommen und für immer bleiben, wenn das war, was er wollte. Noch nie war er ohne Peter an seiner Seite geflogen und ohne den golden glitzernden Feenstaub, aber heute wollte er es versuchen. Die Augen schließend, streckte er die Arme aus, ging noch einen Schritt weiter, verlor den Boden unter den Füßen und flog. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)