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Luminos

In den Schatten
von

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Prolog

Cover (PB): http://wwr.henker.biz/zaubersturm-prolog/

Titel: Luminos - In den Schatten

Teil 1 von (bisher) 2

Autor: Carnifex (ich)

Erstveröffentlichung: wwr.henker.biz

Reviews sind gerne gesehen ;)

¡¡¡Alle Charaktere sind mein Eigentum! Ich möchte nicht, dass jemand sie klaut, kopiert oder ungefragt verwendet¡¡¡
 

*********
 

Die Zukunft gehört denen, die an die Schönheit ihrer Träume glauben. ~Eleanor Roosevelt~
 

Eine klare Vollmondnacht, vor 15 Jahren

Die zwölf Schläge der großen Glocken des Campanile auf der Piazza der Basilica San Marco in Venedig verhallten langsam, stattdessen durchriss der helle Schrei eines Babys die dunkle, kalte Nacht des 17. Dezembers.

~~~
 

„Eine Kugel ist Zerbrochen!“ Ein alter Mann mit einem langen, weißen Bart rannte erstaunlich, flink für sein Alter, in den Konferenz Saal. Der hohe Rat sprang auf.

„Eine Kugel?!“ „Jaja! Zerbrochen, zerstört, zerfallen.“, rief der Alte etwas durcheinander.

„Eine Prophezeiung hat begonnen!“ Er schwenkte einen kleinen Zettel in der Hand. Der hohe Rat fächelte sich etwas Luft zu.

„Lies vor!“ Der alte Mann räusperte sich.

„Punkt Mitternacht geboren,

In klarer Vollmondnacht.

Den Kuss der Hexe wird er spüren,

Der Tod jedoch erwacht.

Die Tore offen zu den Schatten

Und alle Regeln brechen.

Um dort zu retten was ihm lieb

Und dabei Ordnung schaffen.

Ein Preis bezahlt muss werden,

Zu ändern was Verdammt.

Totes wider Erden,

Leben das befreit.“

I


 

Liebe und Mitgefühl sind Notwendigkeiten, kein Luxus. Ohne sie kann die Menschheit nicht überleben.

~Dalai Lama~
 

Eliott starrte seine ältere Schwester wütend an.

„Du bist einfach unmöglich!“, fauchte er, doch Nanine zuckte nur mit den Schultern.

„Und du bist trés naiv!“, antwortete sie und schnippste mit den Fingern. „Tu m’enerve!“ Mit diesen Worten drehte sie sich um, warf ihre langen goldenen Haare zurück und stolzierte davon, ihre Anhängerinnen folgten ihr stumm. Eliott schnaubte entgeistert und drehte sich zu Laura.

„Sorry. Eigentlich war klar, dass sie so reagiert. Ich wollte dich nicht in diesen Konflikt ziehen“ Er sah sie entschuldigend an und kratzte sich verlegen am Kopf, dann lächelte er. „Übrigens, im Gegensatz zu Nanine mag ich wie du dich kleidest.“ Laura wurde rot und betrachtete ihr kurzes, weißes Kleid mit den aufgestickten Erdbeeren.

Es war nicht der teure, modische Schnick-Schnack, den Nanine immer trug, aber es gefiel ihr. Ihre Mutter hatte es selbst genäht. Eliott vergrub die Hände tief in seinen Hosentaschen.

„Alors. Wohin jetzt?“, fragte er leise und sah sich etwas ratlos um.

„Gehen wir doch ein Eis essen!?“, schlug Laura vor. „Die Eisdiele ist gleich da drüben.“ Sie deutete auf den kleinen, bunten Laden am Ende der Straße. Eliott nickte nur und ließ sich von ihr mitziehen.

„Einmal Erdbeere und einmal Vanille bitte.“, sagte Eliott und reichte dem Mann einen 50€ Schein. Einen Moment sah der Verkäufer den 15 Jährigen Jungen misstrauisch an, bevor er ihnen die Eistüten und die 48€ Rückgeld gab. Sie setzten sich auf ein paar Steine, die nicht weit von der Eisdiele entfernt um einen Baum herum lagen.

„Ist deine Schwester immer so?“, fragte Laura und sah Eliott erwartungsvoll an doch der betrachtete nur sein Eis und schwieg. Als Laura schon glaubte, er wollte nicht mehr antworten, sagte er:

„Nicht immer. Erst seit Dad tot ist. Sie kommt damit nicht so richtig klar. Dann auch noch der Umzug nach Deutschland… Es ist für alle etwas schwer.“ Dann schwieg er wieder und auch Laura betrachtete stumm die Umgebung, während sie ihr Eis aß.

Eliott, Nanine und ihre Mutter Lady Evelyn Duchan waren erst vor kurzem nach Deutschland gezogen. Vorher lebten sie in Frankreich, in Paris. Sie sind sehr reich, doch Eliott hasste das. Er wäre am liebsten ein ganz normaler Junge mit einem ganz normalen Leben. Und noch viel mehr wollte er seinen Vater zurück haben. Und während Nanine mit ihrem Reichtum überall angab, versteckte Eliott sich nur.

Überall in den Zeitungen konnte man von Lord Duchans Tod lesen: Erschossen, durch einen glatten Schuss direkt ins Herz. Laura konnte sich vorstellen, wie schwer es für Eliott gewesen sein musste. Er hatte ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Vater gehabt, hatte Lady Duchan gesagt und Laura gebeten, auf ihn Acht zu geben. Sie war eine nette, fürsorgliche Frau, wenn auch ein wenig zerstreut. Laura musterte Eliott nachdenklich.

Die eisblauen Augen hatte er definitiv von seiner Mutter, die kurzen schwarzen Haare fielen ihm sanft ins Gesicht, an seiner Hand konnte man die neuste Schramme vom letzten Hockeyspiel sehen. Er trug ein kurzärmliges, schwarzes Hemd, schwarze Jeans und Lederstiefel, die ihm bis zu den Knöcheln reichten. Laura wusste auch, dass er eine dicke Narbe an der Innenseite seines linken Handgelenks hatte, auch wenn man diese gerade nicht sehen konnte. Er hatte ihr nur nie erzählt, woher er sie hatte und sie ihr auch nie selber gezeigt.

Er sah wie ein normaler Junge aus und nicht wie der Sohn eines toten Milliadärs. Und genau darum bemühte Eliott sich ja auch. Manchmal fragte Laura sich, was in Eliotts Kopf vor sich ging.

Er war sehr schweigsam, erregte niemals viel Aufsehen. Aber wenn er etwas sagte, wählte er seine Worte mit Bedacht und überzeugte alle. Und wenn er etwas anfing, dann mit voller Begeisterung und niemand konnte ihn mehr stoppen. Nur selten öffnete er sich anderen gegenüber, er schien niemandem wirklich zu trauen. In Frankreich hatte er zu Hause einen Privatlehrer, der ihn unterrichtet hatte. Für ihn und seine Schwester war es eine riesige Umstellung gewesen, auf eine öffentliche Schule zu gehen. Nanine hatte sich mit Hilfe ihres Reichtums schnell beliebt gemacht, Eliott stand immer etwas zurück, doch letztendlich hatten sich beide eingefunden.

Laura lief Eis auf die Finger und sie leckte es schnell ab. Eliott aß den Rest seiner Eiswaffel auf und starrte Löcher in die Luft. Als sein Handy klingelte, zuckten sie beide zusammen, bevor er nach einem kurzen Blick auf das Display den Anruf entgegen nahm.

„Oui Maman?“ Laura konnte nicht verstehen, was Eliotts Mutter sagte, aber sie klang aufgeregt. Und aus dem Kontext verstehen konnte sie auch nicht, da Eliott mit seiner Mutter fast nur Französisch sprach. „Arettez, Maman! Restez a la maison! … Oui, je vais. … Oui. .. Quoi?… Oui, Mam! Bye!“ Eliott legte auf und erhob sich matt lächelnd.

„Ich muss nach Hause!“, erklärte er leise. Wieder einmal fiel Laura auf, wie Akzentfrei er Deutsch sprach. Sie nickte betrübt.

„Ok. Dann bis heute Abend.“ Eliott nickte, doch er hatte sich schon halb umgedreht und ging, ohne sich weiter zu verabschieden.

II


 

Es ist mehr wert, jederzeit die Achtung der Menschen zu haben, als gelegentlich ihre Bewunderung.

~Jean-Jacques Rousseau~
 

Eliott lief um die letzte Hausecke und erstarrte kurz. Vor ihrem Haus war eine riesige Menschenmenge versammelt. Journalisten, Schaulustige, alles Mögliche. Er knurrte. Seine Mutter hatte ihn gewarnt, aber er mochte Journalisten und all diese Menschen, die einem alle Geheimnisse entlocken wollten, einfach nicht. Nein, eigentlich hasste er sie!

Nur kurz musste er überlegen, wie er ungesehen ins Haus gelangen sollte. Eine Hintertür hatten sie ja leider nicht. Wie eigentlich jedes Mal entschied er sich für den Apfelbaum im Garten an der Rückseite des Hauses. Es war ein schöner Baum, mit vielen Ästen und sehr leicht zu erklimmen. Eliott turnte zwar nicht gerne auf Bäumen, wenn er ein Hemd trug, doch das war allemal besser, als sich durch die Meute vor der Tür zu kämpfen. Er brauchte nicht einmal zwei Minuten, bis er in dem kleinen, holzverkleideten Flur stand.

Hier waren auch die dunkle Tür zu Eliotts Zimmer, die helle zu Nanines Zimmer, die rote zu dem Schlafzimmer der Mutter und die letzte grüne Tür zu Charles Zimmer. An jeder Tür hing eine kleine Tafel auf der in schön geschwungenen Buchstaben die jeweiligen Namen standen. Am Ende des Flures direkt gegenüber von dem Fenster führte eine Holztreppe nach unten. Unten gab es nur zwei Türen, die Badezimmertür und die schwere Haustür, vor die Eingänge zu der Küche, dem Wohnzimmer und dem ‚Bücherzimmer‘, wie seine Mutter das kleine Zimmer mit dem vielen Bücherregalen liebevoll nannte, hingen dunkelrote Vorhänge. Die Haustür war direkt links neben der Treppe die an der Wand daneben entlang einen sanften Schlenker in den unteren Flur machte. Unter der Treppe stand an der Wand ein mittelgroßer Schrank, in dem Besen, Wischer und all diese nützlichen Hausutensilien aufbewahrt wurden.

Eliott übersprang die letzten beiden Treppenstufen. Der Vorhang zum Wohnzimmer war weit genug zur Seite gezogen, dass er einfach so durch schlüpfen konnte. Seine Mutter saß in dem großen Sessel, der die gleiche Farbe wie die Vorhänge hatte, und begrüßte ihn lächelnd. Auf ihrem Schoß lag ein Buch, in dem sie gerade las.

„Hallo, mein Schatz! Danke, dass du gekommen bist!“ Eliott drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und umarmte sie.

„Ich mag diese Typen nicht!“, murmelte er und sah durch die halb geschlossene Jalousie des großen Fensters, das auf die Straße blickte.

„Ich weiß!“, erwiderte seine Mutter und strich ihm übers Haar. „Aber Charles ist noch nicht wieder da, er holt Nanine von ihrer Freundin ab. Holst du das Album?“ Eliott nickte und ging hinüber zum Fernseher, unter dem ein kleiner, dunkler Schrank stand und aus der er aus einer der Schubladen ein großes, weißes Buch holte. Er gab es seiner Mutter, die ihr Buch, irgendein französisches Liebesdrama, beiseitegelegt hatte, und setzte sich auf die Armlehne des Sessels, um auch in das Album sehen zu können.

Auf der ersten Seite war ein großes Bild von der ganzen Familie, aufgenommen vor zwei Jahren in Österreich auf dem Sommerberg. Sie trugen dicke Winteranzüge, Skistöcke und Mützen, weswegen man die einzelnen Personen nur Anhand der Größe unterscheiden konnte. Und vielleicht noch an den Farben der Winteranzüge: Nanine trug einen rosa-weißen, Eliott einen dunkelblauen, ihre Mutter einen grau-roten, ihr Vater einen grau-grünen und Charles stand etwas Abseits in einem langen schwarzen Mantel, einer schwarzen Pudelmütze und einem schelmischen Grinsen. In der Hand hielt er eine große, dampfende Tasse. Auf den nächsten Seiten waren Babyfotos von Nanine, noch ein paar Urlaubsfotos, auf denen allerdings immer nur ihre Mutter und die nun einjährige oder zweijährige Nanine zu sehen waren. Irgendwann kamen Babyfotos von Eliott dazu und endlich auch erste Urlaubsfotos, auf denen alle zu sehen waren, außer Charles, der die Fotos gemacht hatte. Etliche Geburtstagsfotos waren eingeklebt. Die Zeit verging schnell, während Eliott und seine Mutter die Fotos betrachteten. Gerade als sie über ein Foto von Eliotts fünften Geburtstag lachten, an dem er so doll die Kerzen ausgepustet hatte, dass Nanine der Zuckerstaub vom Kuchen ins Gesicht geflogen war, wurde die Haustür aufgeschlossen, Nanine rauschte hinein, schmiss ihre Designertasche in die Ecke.

„Hallo, Maman!“, rief sie, gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange, ließ sich auf das weiche Sofa fallen und schaltete den Fernseher gerade rechtzeitig zu ihrer neusten Lieblingssendung 'Germany’s Next Topmodel' ein. Ihren Bruder würdigte sie keines Blickes. Mit einem leisen Seufzer stand Eliott auf und ging, den leisen Ruf seiner Mutter ignorierend, hinaus in den Flur. Auf dem Weg die Treppe hoch begegnete ihm Charles, der ihm knapp aber freundlich zunickte, bevor er in seinem Zimmer verschwand.

Charles war der Butler und Bodyguard der Familie. Er hatte schwarze, kurze Haare, ein breites Gesicht, war allgemein ziemlich muskulös und trug einen schwarzen Anzug und eine Sonnenbrille. Kurz gesagt sah er genauso aus, wie man sich eben einen Butler oder Bodyguard vorstellte.
 

Eliott ging in sein eigenes Zimmer, schloss die Tür leise hinter sich und ließ den Blick schweifen. Im Grunde waren alle Zimmer gleich groß, mit kleinen Abweichungen, und sehr geräumig. Das Fenster in seinem Zimmer genau gegenüber der Zimmertür lugte aus dem schrägen Dach und er konnte von seiner Fensterbank aus auf einen kleinen Vorsprung auf dem Dach klettern. Vor dem Fenster stand sein Bett. Zwischen dem Fenster und dem Bett war ein schmaler Spalt, gerade breit genug für einen kleinen, weißen Nachttisch, auf dem eine Lampe, ein Wecker, sein Asthmaspray, das Buch, das er momentan las und ein Foto von seinem Vater. Es war vor einem Jahr in Ägypten aufgenommen worden, als sie da Urlaub gemacht hatten, lagen. Links von der Zimmertür, wenn man das Zimmer betrat, stand an der Wand ein Kleiderschrank und ein Regal war an der freien Wand daneben angebracht, indem einige Bücher (hauptsächlich Krimis und Fantasy-Romane), ein Nintendo und ein paar Spiele, einige Kartenspiele und einige Ringbücher standen. An der anderen, gegenüber liegenden Wand stand ein großes IKEA-Regal, in dem seine Schulsachen und ein CD-Player standen, und sein an das Regal befestigter Schreibtisch. Neben dem Schreibtisch an dem Stuhl gelehnt lag sein dunkler Schulranzen, den er, als er nach der Schule nach Hause gekommen war, da hatte fallen lassen, bevor er direkt weiter zu Laura gelaufen war. Eliott schob sein Fenster auf, kletterte auf das Fensterbrett und von dort hinaus auf den Vorsprung auf dem Dach neben dem Fenster und legte sich auf den Rücken. Vom Dach aus konnte er ein paar Häuser weiter den kleinen Park mit dem anschließenden Wald sehen. Hinter dem Wald war die Schule und dort in der Nähe wohnte auch Laura. Eliott sah in den blauen Himmel, beobachtete die paar Wolken und dachte an seinen Vater…  
 

Er musste eingeschlafen sein, denn als seine Mutter ihn durch das Fenster rufend weckte, war es bereits dunkel. Er kletterte zurück ins Zimmer.

„Es gibt Essen.“, sagte seine Mutter leise und er folgte ihr die Treppe runter in die warme Küche, in deren Eingang er erschrocken stehen blieb. Laura funkelte ihn wütend an.

„Was machst du denn hier?“, fragte er verwirrt und sie hob ungläubig eine Augenbraue.

„Wir hatten eine Verabredung um fünf.“ Eliott sah auf die Uhr: 20:14 zeigte das digitale Blatt an und er biss sich auf die Unterlippe.

„Das habe ich total vergessen, entschuldige bitte!“, sagte er ehrlich. Laura versuchte weiterhin böse zu gucken, musste aber gegen ihren Willen grinsen. „Du hast es schon wieder gemacht. Normale Jugendliche sagen einfach Sorry!“

„Sorry!“, wiederholte Eliott brav und ebenfalls grinsend. „Hast du Hunger? Du kannst hier bleiben und noch was essen-“ Laura stand lächelnd auf.

„Ne. Ich muss jetzt auch nach Hause. Aber danke! Wir sehen uns morgen, El! Tschüss, Lady Duchan“ Laura machte einen angedeuteten Knicks, bevor sie sich von Charles zur Haustür begleiten ließ, kaum eine Minute später kam Charles wieder zurück und setzte sich leise an den Tisch neben Eliott. Lady Duchan lud allen reichlich Essen auf die Teller und Eliott war sich nicht mal sicher, ob er das wirklich alles schaffen würde.

Plötzlich sagte Nanine: „Charles, ich will dass du einen Motorrad Führerschein machst!“ Ihre Mutter sah sie erstaunt an, Eliott erstarrte, die Gabel halb auf dem Weg zum Mund, und Charles zeigte, wie immer, keine wirklich sichtbare Reaktion. Schließlich fing Eliott sich wieder und aß weiter, gespannt, wie Charles reagieren würde. Der Butler jedoch schüttelte nur bedauernd den Kopf.

„Tut mir leid, Miss Nanine. Aber das darf ich nicht entscheiden. Diese Entscheidung liegt ganz allein bei Monsieur Eliott, er verwaltet die Finanzen.“ Eliott verschluckte sich und hustete, seine Mutter klopfte ihm vorsichtig auf den Rücken. Nanine hingegen funkelte Eliott wütend an.

Der wusste, dass seine jetzige Entscheidung Nanines Verhalten in den nächsten Wochen ihm gegenüber bestimmen würde. Er biss die Zähne zusammen. Er konnte es nicht leiden, dermaßen unter Druck gesetzt zu werden. Erst Recht nicht von seiner Schwester! Doch das war wohl sein Los als Familienkopf. Alles war still. Schließlich schüttelte Eliott den Kopf.

„Nanine, wieso willst du solches Aufsehen erregen?“, fragte er gereizt. „Bist du nicht schon auffällig genug?“ Nanine verzog beleidigt das Gesicht.

„Motorräder sind momentan mega IN. Wir müssen einfach dazugehören.“ Eliott kniff verärgert die Augen zusammen.

„Nicht wir, Nanine. Du! Wieso? Hast du keine eigenen Hobbys? Eigene Ideen, was du mit deinem Leben anfangen könntest?“ Zugegeben, das war wirklich etwas gemein, was er gerade gesagt hatte, aber anders schien er seine Schwestern nie wirklich zu erreichen. Nanine sprang entrüstet auf.

„Du kleiner-“ Eliott stand auf, mit erhobenen Händen, er wollte nicht mit ihr streiten, und seine Schwester verstummte, als sie seine wütende Miene sah. In der Tür blieb er noch einmal stehen und sagte, ohne sich umzudrehen: „Mach diesen blöden Führerschein, wenn du möchtest Charles. Ob wir das Motorrad kaufen, kann ich ja immer noch hinterher entscheiden. Guten Appetit!“, fügte er etwas gehässig hinzu. Damit ging er.

III


 

Manchmal reicht eine Kleinigkeit, um einen an der empfindlichsten Stelle im Herzen zu treffen.

~Haruki Murakami~
 

„Was hast du, Eliott?" fragte Laura und folgte seinem besorgten Blick. Nanine und ihre Anhängerinnen kamen auf sie zu. Seine Schwester sah wütend aus. Laura weitete die Augen. „Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?“, fragte sie nervös. Eliott schüttelte nur stumm den Kopf, als wolle er sagen: Misch dich bloß nicht ein! Nanine postierte sich vor ihm und starrte ihren jüngeren Bruder gehässig an. Eliott starrte zurück.

„Was willst du, Nanine?“, fragte Eliott. Nanine schnaubte.

„Das weißt du genau, kleiner Schisser!“ Eliott schüttelte den Kopf.

„Ich habe bereits gesagt, was ich davon halte.“ Laura sah verwirrt zwischen Eliott und Nanine hin und her.

„Und du denkst wirklich, ich würde das auf mir sitzen lassen?“, fragte Nanine knurrend.

„Das hatte ich ehrlich gehofft“, erwiderte Eliott im gleichen Tonfall. Nanine schnaubte.

„Dann bist du naiver als ich dachte, petit frére.“ Sie sah ihn abwartend an, aber Eliott reagierte nicht. „Du glaubst, du kannst alles bestimmen, nur weil Dad tot ist?“, fragte sie und Eliott knirschte mit den Zähnen.

„Nun, Schwesterherz. So leid es mir tut, aber das ist meine Aufgabe.“, antwortete Eliott gleichgültig und versuchte sich seine Wut nicht anmerken zu lassen.

„Dann kommt sein Tod dir ja sehr recht!“, fauchte Nanine. Eliott kniff die Augen zusammen.

„Glaubst du das, ja? So denkst du also von mir. Soll mir recht sein! Doch ich habe die Entscheidung bezüglich Führerschein Charles überlassen. Das heißt nicht, dass du alles bestimmst. Und ebenso wenig ich.“ Nanine riss gespielt entsetzt die Augen auf.

„Der Butler ist dir also mehr wert als ich? Er ist nichts als ein dummer Bediensteter. Ich hingegen bin deine Schwester. Was soll so schlimm daran sein?“, rief sie.

„Für dich“, erwiderte Eliott, „ist er nur ein dummer Bediensteter, aber für mich ist Charles ein Freund und ein Teil meiner Familie. Ein Teil unserer Familie! Und du benimmst dich nicht so, wie sich eine Familie benimmt. Sieh es ein!“ Nanine hob die Hand und wollte ihn schlagen, aber Eliott hielt ihr Handgelenk fest. Ganz nah trat er an sie heran.

„Ich sehe es nicht mehr ein!“, zischte er. „Ich sehe es nicht ein, dass du Charles behandelst, wie ein Stück Dreck. Ich sehe es nicht ein, dass du mich behandelst wie ein Stück Dreck. Aber am allerwenigsten sehe ich es ein, dass du Mum behandelst wie ein Stück Dreck!“, fauchte er und wurde mit jedem Wort lauter. Nanine riss erschrocken die Augen auf. Sie wollte widersprechen und ihre Hand aus Eliotts Griff befreien, doch er hielt sie fest und sprach einfach weiter. „Ich bin es leid, mit anzusehen, wie du mit Dads Reichtum angibst. Dad hat sich alles mühsam erarbeitet und du gibst alles aus, gibst an, baust dir eine schöne Zukunft, kaufst dir Freunde. Was sind das für Freunde? Sag es mir. Kannst du ihnen vertrauen? Ohne weiteres und ohne zu überlegen? Stehen sie zu dir, egal was du tust? Sind sie immer für dich da? Denn genau das sind richtige Freunde! Ich bin es leid, das mit anzusehen. Und egal was du sagst, ich werde mich nicht weiter von dir schikanieren lassen. Ich lasse mich nicht-“

Eliott brach hustend ab und ließ Nanines Arm los, als er auf die Knie sank. Nanines Anhängerinnen lachten, vermutlich dachten sie, Nanine hätte ihren Bruder irgendwie erwischt, doch Nanine ging mit erschrockenem Gesicht und ängstlich aufgerissenen Augen neben Eliott in die Hocke

„El?“, fragte sie heiser. Eliott schüttelte den Kopf und keuchte. Nanine fing an in seiner Tasche zu wühlen, vergeblich. Sie fluchte.

„Hast du ihn nicht mit? Du weißt doch, dass du ihn immer mitnehmen sollst.“ Eliott presste sein Gesicht an ihre Schulter. Er zitterte und atmete unregelmäßig. „Gott!“ Nanine zog ihr Handy raus, wählte eine Nummer, legte auf und schmiss das Handy fluchend auf den Asphalt. Dass das Display dabei sprang und der Akku raus rutschte, störte sie nicht. „Kann einer von euch einen Krankenwagen rufen? Ich weiß die Nummer in Deutschland nicht!“, rief sie und hielt ihren Bruder fest umklammert.

„Atmen!“ , flüsterte sie panisch. „Atmen. Ein, Aus. Los, Kleiner.“ Laura wusste zwar nicht, was los war, doch sie wählte mit zitternden Fingern die Nummer vom Notdienst. Aufgeregt erklärte sie dem Mann am Telefon wer sie war, wo sie war und was überhaupt passiert war.

„Sag ihm, dass Eliott Asthmatiker ist.“, rief Nanine ihr zu und Laura gab diese Info schnell weiter. Dann war die Verbindung unterbrochen. Eliott hatte die Augen geschlossen und lehnte an seiner Schwester, seine Hand hatte sich in ihre Jacke gekrallt, als wolle er sich festhalten. Er atmete kaum und sein Gesicht war Schweißnass.

„Er hatte seit drei Jahren keinen Anfall mehr. Ich glaube er hat nicht mehr groß dran gedacht. Und dann der Vortrag eben war wohl etwas zu viel.“, erklärte Nanine unter Tränen. Sie hörten den Krankenwagen schon von weiten und schließlich fuhr er mit Martinshorn und Blaulicht auf den Hof vor der Schule. Sie hoben Eliott sofort auf eine Trage und brachten ihn in den Wagen. Nanine kletterte mit in den Wagen und das Letzte, was Laura sah, bevor der Wagen losfuhr, war der Arzt der Eliott eine Atemmaske aufsetzte und schließlich die Türen hinter sich schloss.

IV


 

Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen.

~Arthur Schoppenhauer~
 

Allgemeine Zeitung

Die Familie Duchan ist am zerreißen

Vier Wochen ist es nun her, dass Monsieur Olliver Duchan ermordet wurde. Nun kämpft sein Sohn Eliott P. Duchan (14) ebenfalls mit dem Leben. Vor drei Wochen ist er nach einem Streit mit seiner Schwester Nanine A. Duchan (17) Aufgrund eines heftigen Asthmaanfalls zusammen gebrochen. Seitdem liegt er in einem sehr tiefen Koma. Eliott ist seit seiner Geburt Asthmatiker und hatte vor dem Anfall vor drei Wochen keinen Anfall mehr gehabt, weswegen alle Anwesenden mit der Situation ziemlich überfordert waren. Laura M., eine Schulkameradin von Eliott, hat zwar sofort den Krankenwagen gerufen, trotzdem ist die Hoffnung auf ein Aufwachen kaum mehr vorhanden.
 

Der Mann in einem langen, dunklen Trenchcoat klappte die Zeitung lächelnd zu.

"Du schaffst das, Eliott. Ich glaube an dich!", murmelte er. Ein Zischen, dann war er in einer kleinen Rauchwolke verschwunden. Die Zeitung glitt langsam zu Boden und blieb aufgeschlagen auf dem regennassen Boden liegen.

 

 

"Wie geht es ihm?", fragte Lady Duchan Dr. Raiken, den zuständigen Arzt für Station drei. Station drei war die Sonderstation. Der Doktor schüttelte betrübt den Kopf.

"Unverändert.", meinte er und führte sie in Eliotts Zimmer. Eliott lag genauso da, wie die letzten drei Wochen auch schon. Nanine lachte trocken, was hatte sie auch anderes erwartet. Eliott trug eine Atemmaske und an seinem Arm war ein Tropf befestigt. Lady Duchan strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn.

"Sie glauben nicht, dass er aufwacht, oder? Sagen Sie mir die Wahrheit, Doktor." Dr. Raiken zögerte, dann nickte er.

"Der Sauerstoffmangel hielt einfach zu lange an. Teile seines Gehirns wurden überhaupt nicht mehr versorgt. Selbst wenn er aufwachen sollte, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er immer noch der Selbe wie vorher ist, sehr gering. Höchstwahrscheinlich würden durch den Sauerstoffmangel Behinderungen auftreten. Es gab ein paar Anzeichen auf Besserung, erst heute Morgen sah es so aus, als würde er aufwachen, aber wie gesagt, er liegt in einem sehr tiefen Koma. Es tut mir leid das sagen zu müssen, Lady Duchan", der Arzt machte eine Pause, "aber die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder aufwacht ist sehr gering." Lady Duchan brach augenblicklich in Tränen aus und Nanine drückte sich an sie. Auch sie weinte. Insgeheim gab sie sich die Schuld an seinem Anfall, auch wenn Dr. Raiken ihr versichert hatte, dass es nicht ihre Schuld war. Dr. Raiken führte ihre Mutter für die üblichen Gespräche in sein Büro, während Nanine bei ihrem Bruder blieb. Sie setzte sich neben seinem Bett auf den Boden und hielt seine Hand fest umklammert. Sie hatte mal gelesen, dass Komapatienten alles um sich herum mitbekamen und auch hörten, wenn man mit ihnen sprach. Also erzählte Nanine ihrem Bruder jedesmal, was so passiert war in der Schule, zu Hause oder beim Einkaufen. Sie erzählte ihm, wie besorgt Laura war und dass sie jeden Tag zu ihnen nach Hause kam. Besuchen durfte sie ihn ja nicht, da sie kein Familienmitglied war.

"Es tut mir leid, El. Dass ich dich immer so schikaniert habe. Und dass du jetzt hier liegst ist auch meine Schuld." Sie schluchzte auf und vergrub ihr Gesicht in seiner Matratze. "Ich bin so eine miese Schwester. Wegen mir liegst du jetzt im Krankenhaus. Das wollte ich nicht. Das wollte ich wirklich nicht!" Man hörte nichts, außer Nanines Schluchzen und das leise Piepen und Summen der Überwachungsgeräte. Nanine hoffte jedes Mal vergeblich, ihr Bruder würde aufwachen und ihr verzeihen. Sie hatte Angst, dass er wirklich nie wieder aufwachen würde. Dass sie ihn nie wieder lachen hören würde, er ihr nie wieder einen Vortrag halten würde, die gemeinsamen Abendessen. Seit er im Krankenhaus war, lief zu Hause alles drunter und drüber. Ihre Mutter sprach nur selten mit ihr, Charles verbrachte so viel Zeit wie möglich im Krankenhaus. Es dauerte, bis Nanine endlich aufhören konnte, zu weinen. Als sie aufstand und sich umdrehte, griff plötzlich jemand nach ihrer Hand. Sie wirbelte herum. Eliott sah sie aus matten Augen an und lächelte schwach.

"Bleib doch noch!", bat er heiser und Nanine fiel ihm schluchzend um den Hals. "Au, au. Nicht so doll!", stöhnte ihr Bruder und machte Anstalten sie weg zu schieben. Nanine rückte ein Stück weg und wischte sich die Tränen vom Gesicht.

"Du bist wach!", sagte sie erleichtert. "Es tut mir so leid, El. Das ist alles meine Schuld! Ich-" Eliott runzelte die Stirn.

"Wieso sollte es deine Schuld sein?", unterbrach er sie.

"Weil es meine Schuld ist, du Idiot.", erwiderte sie verwirrt, doch Eliott schüttelte abwehrend den Kopf.

"Gib dir nicht die Schuld für etwas, was du nicht zu verantworten hast.", sagte er leise.

"Das meine ich aber auch." Dr. Raiken stand am Fußende des Bettes und lächelte sie warm an, Lady Duchan neben ihm. "Hallo Eliott. Willkommen zurück. Wir hatten die Hoffnung ehrlich gesagt schon aufgegeben." Eliott grinste.

"Solange sie ehrlich waren, ist doch alles gut, oder?" Der Doktor lachte.

"Ich denke schon. Nanine, würdest du wohl ein Stück zur Seite gehen, damit ich zu Eliott kann?" Er half Eliott, sich aufzusetzen und überprüfte seinen Puls. Dr. Raiken stellte das Kopfende des Bettes hoch, so dass Eliott sich dagegen lehnen konnte und nahm ihm die Atemmaske ab, dann ließ er Lady Duchan zu ihm.

"Mein Junge!", sagte sie erleichtert und drückte ihn vorsichtig an sich. "Wann darf er wieder nach Hause?", fragte sie den Arzt. Er wog den Kopf hin und her. Schließlich sagte er:

"Wir behalten ihn auf jeden Fall noch ein Woche zur Überwachung hier. Wenn alles gut geht, und Eliott mir verspricht, in Zukunft immer sein Spray dabei zu haben, kann er dann wieder nach Hause." Der Doktor musterte Eliott streng. "Eliott ist wirklich eine sehr starke Natur. Sie können verdammt stolz auf ihren Sohn sein, Madame!" Eliott unterdrückte ein Gähnen. "Aber jetzt sollte er vielleicht schlafen!", meinte der Doktor noch und verließ dann das Zimmer.

V


 

Wer zur Quelle gelangen will, muss gegen den Strom schwimmen.

~Hermann Hesse~
 

Es war dunkel und ruhig im gesamten Krankenhaus. Plötzlich ein Blitz und ein junger Mann im Trenchcoat mit langen schwarzen zu einem Zopf gebundenen Haaren stand in Eliotts Krankenzimmer. Er musterte den Jungen nachdenklich. Eliott schlief unruhig und nur deshalb hatte der Mann ihn finden können. Die Träume von Zauberern waren etwas sehr Machtvolles und die Spezialität dieses Mannes waren eben Albträume. Draußen schlugen die Äste der Eiche gegen das Fenster und schienen ihm etwas sagen zu wollen. Der Mann wusste es. Er durfte hier nicht sein. Er durfte sich in die Geschichte dieses Jungen nicht noch einmal einmischen, erst recht durfte er nicht hier sein, aber er wollte ihn auch nicht einfach so seinem Schicksal überlassen. Schnell malte er einige Zeichen in die Luft. In goldenen Strichen schwebten sie über dem Bett und schwirrten um Eliott herum, bevor sie schließlich in ihm verschwanden. Eliott entspannte sich und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Der Mann sah sich um. Der Schrank in der Ecke, die Überwachungsgeräte neben dem Bett, der Stuhl am Fenster und daneben ein Tisch, vollgestellt mit Büchern, Spielen und Süßkram. Leise ließ er sich auf dem Stuhl nieder und beobachtete den Regen.

"Es ist kein schönes Wetter!", brummte er leise und sein warmer Atem ließ die Scheibe beschlagen. Draußen stürmte es und Blitze zuckten am Himmel. Ein Rascheln ließ ihn plötzlich herum fahren. Eliott starrte ihn finster an. Der Mann schloss leise stöhnend die Augen. Das konnte jetzt kompliziert werden.

"Wer sind Sie?", fragte Eliott kalt und musterte den Mann misstrauisch. "Was machen Sie hier?" Der Mann stand auf und zog etwas aus der Innentasche seines Mantels.

"Ich wollte dir eigentlich nur kurz was vorbei bringen. Habe etwas rum getrödelt dabei." Er legte Eliott das Buch aufs Kissen. "Das war auch alles!" Dann berührte er mit seinem Zeigefinger vorsichtig Eliotts Stirn und murmelte etwas. Augenblicklich schlossen die Augen des Jungen sich und er sank zurück in die Kissen, und der Mann verschwand wieder in einer kleinen Rauchwolke. 
 

Als Eliott am nächsten Morgen aufwachte, war er sich sicher, dass alles nur ein Traum gewesen war. Doch das Buch neben ihm bewies das Gegenteil. Wer war der Mann gewesen? Eliott würde nachher dem Doktor Bescheid sagen. Jetzt interessierte es ihn aber vielmehr, was das für ein Buch war. Er hob es hoch und betrachtete es von allen Seiten. Es war das dickste Buch, das Eliott je in den Händen gehalten hatte. Der lederne Einband war dunkelblau und auf den Buchdeckel standen goldene Buchstaben, die Eliott nicht verstand. Vorsichtig schlug er das Buch auf. Die Buchstaben ergaben keinen Sinn, sie schienen wahllos auf der Seite verteilt worden zu sein. Er blätterte um. Doch auch auf den nächsten Seiten war kein Muster zu erkennen. Die Bilder konnte er nicht richtig erkennen. Sie veränderten sich die ganze Zeit und schienen unscharf. Grimmig klappte er das Buch wieder zu. Er würde schon noch drauf kommen. Er schwang die Beine aus dem Bett. Auf dem Tisch neben den ganzen anderen Sachen stand eine Schale Joghurt, doch das interessierte Eliott herzlich wenig. Er ging zum Fenster und sah hinaus. Draußen war es noch halb dunkel, eine Leuchtuhr an der Apotheke zeigte ihm, dass es erst fünf Uhr war. Kurz glaubte er den Mann von gestern Abend zu sehen, doch als er blinzelte, war die Straße wieder leer. Seltsam, dachte er und drehte sich vom Fenster weg. Er sah sich im Zimmer um und sein Blick fiel auf die Bücher und Spiele auf dem Tisch. Seine Mutter musste sie ihm vorbei gebracht haben, als er schon geschlafen hatte. Er nahm sich seinen Nintendo, dankbar für eine Ablenkung, schob die "Harry Potter und der Feuerkelch" Karte rein und setzte sich aufs Bett. Er hatte kaum mitbekommen, wie die Zeit vergangen war, aber plötzlich kam Dr. Raiken mit einem Tablett auf dem Arm hinein.

"Guten Morgen, Eliott!", sagte er überrascht und stellte das Tablett auf dem Bett ab. "Was spielst du?" Eliott reichte ihm das Nintendo. Er war mitten in einer Aufgabe und kam nicht weiter.

"Ah! Das spielen meine Söhne auch. Du musst den Fußstapfen da folgen, siehst du? Da liegt das Mädchen. Jetzt schickst du das Leuchtfeuer ab und gehst weiter. Genau!" Dr. Raiken stand wieder auf, das Bett knarzte dabei etwas. "Jetzt iss erstmal." Im Hinausgehen sagte er noch: "Und speichern nicht vergessen!" Er zwinkerte ihm zu und ging.

VI

Auf der Welt gibt es nichts, was sich nicht verändert, nichts bleibt ewig so, wie es einst war.

~Zhuangzin~


 

Dr. Raiken blätterte im Ordner herum und schlug ihn schließlich zufrieden zu.

"Du hast alles, Eliott?", fragte er an den Jungen gewandt, der für ein letztes Durchchecken in seinem Büro auf einer Liege saß und ungeduldig mit den Füßen wippte. "Bücher? Spiel? Block? Spray?!" Eliott nickte. "Dann zieh mal dein Hemd aus!", bat Dr. Raiken und griff zu seinem Stethoskop. Die Woche war um und Eliott durfte das Krankenhaus wieder verlassen. Dr. Raiken versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie besorgt ihn diese Tatsache machte. Hier hatte er den Jungen unter Beobachtung gehabt. Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass andere jetzt auf ihn aufpassen würden. Eliott hatte ihn auf den seltsamen Mann angesprochen, doch Dr. Raiken hatte ihn beruhigen können. Trotzdem musste er dringend mit Leonardo reden. Er wusste, warum er den Jungen aufgesucht hatte, aber es gab Vorschriften, die selbst Leonardo einhalten musste. Auch wenn dieses Verhalten äußerst seltsam für ihn war!

"Was ist das?", fragte Dr. Raiken, während Eliott sich wieder das Hemd überzog, und deutete auf das Buch, das auf dessen Schoß lag.

"Ach das..." Eliott sah das Buch mit einem seltsamen Blick an. "Nur ein Buch.", sagte er dann schnell, etwas zu schnell, wie Dr. Raiken fand und er fragte sich, ob der Junge schon hinter das Geheimnis dieses Buches gekommen war. Eliott klemmte sich das Buch unter den Arm und sprang von der Liege.

"Dann Tschau, Dr. Raiken.", sagte er und trat aus der Tür.

"Ähm, Eliott." Der Junge drehte sich noch einmal um. "Pass auf dich auf!" Eliott verdrehte genervt die Augen, nickte aber. Dann fiel die Tür hinter ihm zu.

 

"Es war so langweilig!", erklärte Eliott und zog das O extra lang. Seine Mutter lachte.

"Das kann ich mir gut vorstellen!", meinte sie dann und winkte Charles, der am Auto stand und lächelnd die Tür aufzog.

"Hey, Charles, begrüßte Eliott ihn.

"Schön sie zu sehen, Monsieur!", sagte der Butler lächelnd und half Lady Duchan in das Auto zu steigen, Eliott rutschte neben sie.

"Was hältst du davon, wenn wir Nanine gleich von der Schule abholen?", fragte seine Mutter, als sie auf der Rückbank der Limousine saßen. Eliott nickte.

"Ist gut." Er wandte sich an den Butler.

"Charles, hast du den Führerschein jetzt eigentlich gemacht?", fragte er neugierig. Charles schüttelte stumm den Kopf. Eliott unterdrückte ein fluchen.

"Hm. Wie viel Zeit haben wir noch, bevor wir Nanine abholen?", fragte er und sah auf seine Uhr.

"Vier Stunden. Wieso?", fragte seine Mutter, doch Eliott antwortete nicht sondern lehnte sich nach vorne zu Charles und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Charles Mundwinkel zuckte kurz amüsiert, bevor er nickte und die Limousine wendete. Seine Mutter sah Eliott fragend an, doch er sah nur grinsend aus dem Fenster. Seine Mutter wusste nicht, was er vorhatte, aber sie konnte es sich denken als Charles die Limousine kurze Zeit später auf den Hof der Fahrschule fuhr. Eliott sprang aus dem Wagen.

"So, Charles. Wir haben zwei-einhalb Stunden! Sieh zu, dass du deinen Job gut machst!" Er zog Charles in die Schule, es sah seltsam aus, wie der eher kleine Junge den großen, klobigen Mann an der Hand gepackt hatte und hinter sich her zog, und Lady Duchan folgte ihnen neugierig. Eliott ging zum Mann am Empfang und Charles stellte sich hinter ihn.

"Charles möchte jetzt bitte einen Motorrad Führerschein machen!", sagte Eliott grußlos und ernst, und der Mann am Empfang zog eine Augenbraue hoch. Dann sagte er:

"Ich glaube kaum, dass du das bestimmen kannst. Und außerdem dauert es eine Weile einen Führerschein zu machen." Eliott zog grinsend seinen Personalausweis aus der Tasche und schob ihn dem Mann rüber.

"Ich glaube schon, dass ich das bestimmen kann. Und Charles lernt wirklich sehr schnell.", meinte er mit einem sanften Tonfall und lächelte, während er den Mann mit seinem Blick durchbohrte. Der schluckte hart und schob ihnen, nach einigem Suchen, ein Formular zu.

"Füllen Sie das hier bitte vorher aus", sagte er heiser und mit zitternder Stimme. Eliott griff immer noch lächelnd nach dem Kugelschreiber, der in einem Halter auf dem Tresen stand und beantwortete die Fragen. Charles Reysin. 13.09.1982. 1,79 cm. Blond. Charles setzte seine Unterschrift unter das Blatt, dann reichte er dem Mann, der gerade leise telefonierte, das Blatt.

"Sie können gleich anfangen.", murmelte dieser und deutete auf die Tür zum Hinterhof. 

Eliott begleitete Charles zur Tür.

"Bestechung hätte ich Ihnen niemals zugetraut, junger Herr!", sagte Charles verblüfft. Eliott grinste.

"Das war eine Notfall Maßnahme! Viel Glück!" Er schickte Charles alleine weiter und setzte sich zu seiner Mutter im Empfang. Grinsend dachte er an das Gesicht des Mannes, als dieser den Personalausweis gesehen hatte.  

 

Name: Duchan 

Vorname: Eliott Pierre

Geburtstag: 17.07.2001 

Staatsangehörigkeit: Deutsch, Französisch 

Geburtsort: Paris

Gültig bis: 16.11.2021

Unterschrift: E.P. Duchan

VII


 

Nur wer gegen sich selbst milde ist, kann es auch gegen andere sein.

~Antole France~
 


 

"Nanine!" Nanine sah sich verwirrt nach dem Ursprung dieser Stimme um. Eine kleine Gestalt auf einem Motorrad winkte ihr wild zu, sprang schließlich ab und rannte auf sie zu. Eliott nahm grinsend seinen Motorradhelm ab und umarmte sie stürmisch. Dann reichte er ihr den Helm und schubste sie in Richtung Motorrad.

"Charles bringt dich nach Hause." Nanine sah ihn überrascht an.

"Du wolltest doch nicht-" Eliott grinste, als sie sprachlos verstummte.

"Na, ein Motorrad ist auf jeden Fall unauffälliger als eine Limousine!" Er lächelte. "Ich gehe zu Laura."

Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ Nanine alleine stehen. Kopfschüttelnd ging sie zu Charles, setzte sich den Helm auf und schwang sich aufs Motorrad.

"Da geht er wieder.", meinte Charles und startete den Motor. Knatternd fuhr das Motorrad vom Hof. Nanine lachte leise. Ihr Bruder war so ein verdammt liebenswerter Idiot!
 

"Ich finde es wirklich super, dass du mich besuchst!" Laura schob ihm die Tasse Kakao zu und schaltete den Fernseher leiser. Nun flimmerte nur noch das Bild. Eliott sah aus dem Fenster. Es regnete und dunkel wurde es auch schon langsam. Als er bei Laura geklingelt hatte, war sie ihm um den Hals gefallen und hatte vor Freude sogar geweint. Sie hatten unzählige Runden UNO gespielt und schließlich hatte Laura Essen gemacht. Ihre Eltern kamen ja immer erst sehr spät nach Hause. Sie waren Ärzte und arbeiteten immer sehr lange. Ihr Vater musste manchmal sogar nachts aufstehen. Eliott nickte abwesend.

"Es regnet ziemlich stark.", meinte er schließlich. "Vielleicht sollte ich jetzt gehen. Nachher fängt es vielleicht auch noch an zu stürmen." Laura verzog das Gesicht, stand aber auf und reichte ihm seine Jacke.

"Okay. Dann... bis morgen?" Sie sah ihn fragend an. Eliott grinste.

"Morgen komme ich!" Er zog die Haustür auf und trat aus dem Haus.

"Eliott!" Der Junge drehte sich noch einmal um. Laura umarmte ihn.

"Bis morgen!" Eliott nickte lächelnd und drehte sich wieder zur Straße. Kurze Zeit später war er aus ihrem Sichtfeld verschwunden und Laura hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie ihren Freund nicht mehr wiedersehen würde.
 

Eliotts Weg nach Hause war eigentlich nicht lang. Er nahm absichtlich den Umweg durch den Wald. Warum wusste er nicht genau. Unter den Bäumen war es trockener, die Blätter fingen den Regen größtenteils ab. Eliott lief langsam um die Pfützen herum und achtete darauf nicht in Schlamm zu treten. Es war kein großer Wald, man konnte sich unmöglich in ihm verlaufen, doch Eliott hatte mehr und mehr das Gefühl das er Teile des Waldes nicht kannte. Er hätte schon lange wieder raus aus dem Wald sein müssen. Er musste sich einfach verlaufen haben. Eliott schüttelte den Kopf. 'Unmöglich!', dachte er. Ein Knacken aus dem Gebüsch hinter ihm ließ ihn herum fahren. Nichts. Er drehte sich wieder um. Ratlos sah er auf die Bäume vor sich. Wo zur Hölle war der Weg? Eliott drehte sich eine Weile hin und her, bevor er schnaubend nach seinem Handy griff. Ein Blick auf den Orientierungsbalken oben ließ ihn stöhnen. Kein Netz. Wo bitte war er? Ein weiteres Knacken ließ Eliott erneut herum wirbeln. Zwei glühende Punkte starrten ihn aus dem Gebüsch an. Eliott keuchte auf und sprang erschrocken einen Schritt zurück. Ein wildes Knurren ließ ihn weiter in den Wald rennen. Immer weiter hinein, weiter als er glaubte dass es überhaupt möglich war. Mit einem Mal wurde es schlagartig stockdunkel, Eliott stolperte über eine Wurzel und schlug hart auf dem Boden auf. Benommen blieb er liegen. Plötzlich rauschte etwas knapp über ihm vorbei. Ein unmenschliches Lachen ertönte und Eliott hob den Kopf als es direkt vor ihm knackte. Eine schwarze große Gestalt stand vor ihm. Sie war das Hässlichste das er je gesehen hatte und zugleich wunderschön. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, nur das blasse, böse Grinsen. Ganz langsam beugte sich die Gestalt zu dem noch immer am Boden liegenden Eliott hinunter, griff mit eiskalten Fingern nach seinem Kinn und hob es zu sich. Ganz nah. Es schnüffelte an ihm und ließ ihn dann so abrupt los, dass das Gesicht des Jungen beinahe wieder auf dem Boden aufgeschlagen wäre. Eliott stieß die Luft, die er unbemerkt angehalten hatte, wieder aus. Ohne einen Laut stand die Gestalt wieder auf und lief hin und her, zischte unverständliche Dinge. Eliott wagte nicht sich zu rühren.
 

»So,so. Du bist also der Junge von dem alle Welt spricht.« Eliott zuckte zusammen, als eine Welle purer Bosheit ihn überrollte. Die Gestalt hatte ihren Mund nicht bewegt, das Grinsen war die ganze Zeit geblieben.  »Und du sollst so Besorgnis erregend sein? Du bist doch nichts.« Sie sprach eine Sprache, die Eliott nicht kannte und doch verstand er sie. »Oder verheimlichst du mir etwas, kleiner Magistra?« Eliott schwieg, er wusste nicht, was die Gestalt von ihm wollte. Doch jedes Wort schmerzte. Als würde es ihm die Haut aufreißen. »Oder hast du letzten Endes selbst keine Ahnung, wer du bist?« Eine unsichtbare Macht zwang Eliott aufzustehen. Die Gestalt stach ihm mit ihrem spitzen Finger in in Brust.

"Was wollen Sie von mir? Wer sind Sie?", brachte Eliott heraus. Wieder schnüffelte die Gestalt an Eliott herum.

»Lügner!«, knurrte sie plötzlich und sprang zurück. »Lügner! Ich rieche es doch. Er war bei dir. Ich rieche es!« Sie kreischte auf und flog heulend auf ihn zu. »Dieser verfluchte Magier war zu schnell!« Ihre langen Klauen streiften Eliotts Gesicht und hinterließen blutige Striemen auf seiner Wange. Dem nächsten Angriff wich der Junge mit einem Sprung zur Seite aus. Beim übernächsten stürzte er, erneut getroffen zu Boden. Die Gestalt beugte sich wieder zu ihm. Sie setzte ihre Krallen an seinem Ohr an und zog sie langsam zu seinem Auge. Eliott wimmerte leise als sein Ohr langsam aufgeschlitzt wurde. Doch es war nicht nur das Ohr. Die Berührung allein verursachte schon höllische Schmerzen.  Eliott sah nur noch schwarze Punkte und dahinter ein blasses, böses hämisch grinsendes Gesicht. Ein Heulen wie von einem Wolf hallte durch den Wald. Die Gestalt stockte mitten in ihrem Werk und sah auf.

»Ich sollte dich töten, aber nicht heute. Doch vielleicht kannst du mir noch nützlich sein.« Sie musterte Eliott kritisch. »Du bist stark!«, hauchte sie schließlich und kam erneut ganz nah an ihn heran. Mit einer Vorsicht die Eliott ihr nicht zu getraut hätte, küsste sie ihn auf die Stirn. Es war, als würde ein Eisdolch durch seinen Kopf schlagen! Eliott brach endgültig zusammen. Zitternd und keuchend lag er auf dem nassen Waldboden, das Gesicht in die Blätter gedrückt. Erneut heulte es durch den Wald, diesmal ganz nah. Ein Vogel oder etwas Ähnliches schoss aus dem Wald hinter ihm und griff die Gestalt an. Etwas Großes stellte sich über Eliott und schnupperte an ihm. Schließlich stieß es ein langes Heulen aus. Ein Wolf! Doch dann verwandelte der Wolf sich. Das große, massige Gefühl über Eliott verschwand und wich einem jungen Mann in einem Trenchcoat. Eliott sah es nicht wirklich, aber er spürte es. Hände packten ihn an den Schultern und drehten ihn auf den Rücken. Jemand strich ihm vorsichtig über die Wange, entlang den Striemen.

"Ist er das, Leonardo?", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Der Mann über Eliott nickte ohne etwas zu sagen oder aufzusehen. Weitere Menschen kamen auf sie zu. Sie riefen alle durcheinander.

"..seine Stirn.."  

"..Kuss der Hexe.."

"..ist er wirklich?"  

"..Prophezeiung.."

"Leise!", rief der Mann über Eliott, Leonardo, plötzlich. "Er ist noch bei Bewusstsein. Bringt ihn ins Hauptquartier!" Dann verließen Eliott alle Sinne.

VIII


 

Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt.

~Franz Kafka~
 


 

Als Eliott seine Augen öffnete, wusste er nicht wo er war. Sein Kopf brummte, sein Ohr war taub.Er versuchte sich aufzusetzen, sank aber wieder zurück. Sein Blick fiel auf den Mann, der neben dem Bett saß und den Jungen aufmerksam betrachtete. Ein junger Mann mit langen schwarzen zu einem lockeren Zopf gebundenen Haaren in einem grauen Pullover und einer schwarzen Jeans. Als Eliott ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er noch einen Trenchcoat getragen. Erschrocken versuchte er erneut sich aufzurichten, wurde von dem Mann jedoch sanft wieder zurück gedrückt.

"Bleib liegen, Eliott. Ich tue dir nichts!", versicherte er ihm. "Die anderen schlafen noch! Es ist also besser, wir verhalten uns so leise wie nur möglich." Während er im Zimmer umher lief, musterte Eliott ihn misstrauisch. Er kannte den Mann nicht, aber er hatte das Gefühl, dass dieser ihm Fragen beantworten konnte. Fragen, die Eliott sehr beschäftigten.

"Was war das im Wald? Die schwarze Gestalt?", fragte er und  war sich dabei sicher, dass der Angesprochene zusammen gezuckt war.

"Du hast vier Tage geschlafen, Eliott. An was erinnerst du dich überhaupt noch?", fragte der Mann zurück und blieb vor dem Fenster stehen. Eliott blieb ihm die Antwort schuldig. Es war dunkel draußen, kein einziger Stern stand am Himmel und der Raum wurde nur durch das fahle Mondlicht und eine Kerze beleuchtet. Der Mann seufzte.

"Das, was du im Wald gesehen hast, war die Großhexe Raza-ãk. Du bist in ihren Bannkreis geraten. Hätte Fanius dein Blut nicht gefunden, hätten wir dich nicht mehr rechtzeitig retten können!" Eliott starrte den Mann mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an.

"Du warst der Wolf!", stieß er schließlich aus. Der Mann nickte überrascht.

"Wie kommst du jetzt darauf?", fragte er und Sorge klang in seiner Stimme mit. Eliott zuckte mit den Schultern und murmelte irgendwas von Ausstrahlung und so. Es wurde still. Ungemütlich still und Eliott beschloss diese Stille zu brechen.

"Wer sind Sie eigentlich?", fragte er und musterte seinen Gegenüber. Der Mann richtete sich etwas auf.

"Ich bin Leonardo diCoro. Ich bin der fünfzehnte aus dem Geschlecht der diCoros und, Eliott, ich bin der Bruder deiner Mutter und somit dein Onkel!" Eliott blinzelte verwirrt. Es klang etwas einstudiert, was der Mann gesagt hatte und von einem Bruder seiner Mutter hatte er nie was gehört, aber er wusste, dass der Mädchenname seiner Mutter diCoro gelauten hatte. Aber konnte er diesem Mann einfach so glauben? Der Mann, Leonardo, seufzte erneut.

"Du brauchst mir nicht glauben. Fürs Erste reicht es mir, wenn du weißt, dass du hier bei uns in Sicherheit bist." Das sorgte für noch mehr Verwirrung seitens Eliott. "Du musst jetzt auch nicht alles verstehen, Eliott. Versuch noch etwas zu schlafen! Ich ziehe mich jetzt zurück!" Er drehte sich zur Tür. Kurz zögerte er, bevor er sich noch einmal umdrehte und sagte: "Schlaf gut!' Dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Eliott zählte bis zehn, dann sprang er auf und lief zur Tür. Doch sein Versuch, sie zu öffnen, blieb Erfolglos. Abgeschlossen. Auch die Fenster waren nicht zu öffnen. Frustriert knurrend ließ der Junge sich mit schwirrendem Kopf wieder aufs Bett sinken. Eingesperrt, wie ein Gefangener!
 

Leonardo hatte Eliotts Versuch, die Tür zu öffnen, bemerkt. Er wusste, dass diese Maßnahme das Vertrauen seines Neffen nicht gerade steigern würde, aber es war eine Maßnahme, die nötig war. Auch Aufgrund des mangelndem Vertrauens. Einfach Eliotts Sicherheit wegen.

"Du bist schlecht gelaunt, Leo!", ertönte Fanius nervige und überaus fröhliche Stimme neben ihm. Er balancierte einen dreiarmigen Kerzenständer auf dem Kopf und hüpfte auf einem Bein herum. Nicht, dass das schon genug war. Zu allem Verdruss brannten die Kerzen auch noch.

"Lösche wenigstens die Kerzen, wenn du schon solche Hampeleien machen musst! Oder willst du das Hauptquartier in Brand setzten?", zischte Leonardo den gut einen Kopf kleineren wütend an.

"Du bist wirklich sehr schlecht gelaunt!", meinte Fanius fröhlich und hüpfte vor Leonardo den Korridor entlang.

"Ach, geh ein Ei ausblasen, Karnickel!", fluchte Leonardo und verschwand in seinem Zimmer.

"Aber gerne doch!", sagte Fanius mit liebenswerter Stimme, bevor er zu einer lila Wolke wurde. Kurze Zeit später hoppelte tatsächlich ein kleines weißes Kaninchen mit einem Kerzenständer auf dem Rücken durch die Korridore.
 

Als Eliott erneut die Augen aufschlug war es hell im Zimmer. Er kniff die Augen zusammen, um sich langsam an die Helligkeit zu gewöhnen. Immer noch müde stand er schließlich auf. Sein Blick traf auf einen Spiegel, der an der Wand neben der Tür hing. Eliotts Ohr war weitestgehend verbunden, auf seiner Wange zog sich ein Pflaster nach dem anderen und sein Handgelenk war auch verbunden. Er trug nur ein T-Shirt, dass ihm zu groß war. Auf einem Stuhl neben dem Bett fand er aber ordentliche Klamotten. Jeans, ein weißes T-Shirt und ein schwarzes Hemd. Vor dem Bett standen Lederstiefel. Er zog sich blitzschnell um und trat dann unsicher zur Tür. Sie ging ohne Probleme auf. Erleichtert trat er auf den Gang hinaus und wäre beinahe gegen einen kleinwüchsigen Mann mit orange-braunen kurzen Haaren gerannt. Er stand mitten vor seiner Tür, eine Tüte bunter Bonbons in der Hand. Eliott sprang überrascht zurück, der Mann grinste und steckte dem Jungen ohne große Worte eine der Süßigkeiten in den Mund. Eliott sah ihn verwirrt an.

"Ich soll dich in die Mondhalle bringen, sobald du aufgewacht bist!", meinte der Mann und schleifte Eliott praktisch hinter sich her. Er stellte sich als Fanius Break vor, aß für sein Leben gerne Süßigkeiten und redete von noch mehr unverständlichem Zeug, was Eliotts schwirrendem Kopf nicht gerade eine Wohltat war. Gerade als er Fanius sagen wollte, er solle doch bitte etwas leiser sprechen, blieb dieser vor einer großen Tür stehen und verstummte augenblicklich. Mit einem Fuß stieß Fanius die Tür auf und trat ein. Eliott folgte ihm und staunte stumm.

IX


 

Den Garten des Paradieses betritt man nicht mit den Füßen, sondern mit dem Herzen.

~Bernhard von Clairvaux~
 


 

‎Die Halle war riesig. Die Decke bestand komplett aus Glasfenstern. Ein langer Tisch um den viele besetzte Stühle standen war in der Mitte aufgebaut und schien der Mittelpunkt allen Spektakels zu sein. Pakete, Briefe, Papierkram und wichtige Dokumente. Alles Mögliche stand und lag auf dem Tisch und jeder war mit irgendwas beschäftigt. Doch sobald Eliott den Raum betrat, richtete sich alle Aufmerksamkeit auf ihn. Er wand sich unter den neugierigen Blicken und war erleichtert, als Leonardo ihn zu sich rief und ihn aufforderte sich neben ihn zu setzten. Fanius setzte sich auf die andere Seite von Eliott und bot ihm einen Zuckerwürfel an. Eliott schüttelte dankend den Kopf und Fanius wendete sich kopfschüttelnd einigen Dokumenten zu, die vor ihm lagen. Als könnte er nicht verstehen, dass jemand keine Zuckerwürfel so essen wollte. Leonardo stand auf und legte Eliott einen Arm auf die Schulter. ‎

"Das hier", sagte er laut und alle sahen von ihrer Arbeit auf, "Das hier ist Eliott Pierre Duchan. Ihr habt bestimmt schon einiges über ihn gehört." Leonardo wurde unterbrochen, als allgemeines Gemurmel aufkam. Mit einem Schlag auf den Tisch sorgte er für Ruhe. 

"Er wird hier bleiben bis die Lage in Deutschland sich etwas beruhigt hat. Vaia? Führst du Eliott nach dem Essen herum und zeigst ihm alles?" Ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren nickte und musterte Eliott unauffällig. Leonardo setzte sich und auf einen Wink von ihm hin verschwanden die Unterlagen und wichen riesigen Platten mit den unterschiedlichsten Gerichten. Eliott sank sprachlos auf den Stuhl und griff wie die anderen ordentlich zu. 
 

"Das hier ist das Laboratorium.", sagte Vaia und schloss die Tür wieder bevor Eliott richtig rein sehen konnte. "Sie machen gerade ein wichtiges Experiment!", erklärte sie auf Eliotts fragenden Blick hin und zog ihn weiter nach draußen. Vor einem riesigen Gewächshaus blieb sie stehen.

"Dies ist unser Gewächshaus, mein persönlicher Lieblingsort." Sie lächelte schüchtern und zog die Tür auf. Eliott und sie traten in den stickigen Blumengarten. "Wir ziehen hier hauptsächlich Heilpflanzen." Sie zeigte ihm einige Pflanzen und erklärte deren Wirkung. Eliott musterte sie. Vaia war voll in ihrem Element, das konnte sogar jeder Blinde sehen. Er lächelte leicht, als Vaia über einen Schlauch stolperte, sich aber schnell wieder fing. Sie kicherte verlegen und wurde rot, bevor sie sich schnell wieder von ihm weg drehte und auf den Ausgang zu steuerte. Fanius stand dort und wartete bereits auf sie.

"Ich soll dich holen, hat Leo gesagt", nuschelte er zwischen zwei Lutschern, die er im Mund hatte, durch. In Vaias Augen blitzte kurz Enttäuschung auf, bevor sie sich lächelnd verabschiedete und zurück ins Gewächshaus ging. Eliott folgte Fanius in einigem Abstand, immer noch etwas verwirrt. Fanius führte Eliott durch die vielen Gänge des Hauptgebäudes des Magister-Ordens, bis sie schließlich vor Leonardos Büro standen. Fanius klopfte kurz, wartete die Antwort allerdings nicht ab, sondern trat gleich ein. Leonardo stand am Fenster und als Fanius sich räusperte, drehte er sich erschrocken um. Als er Eliott sah, lächelte er.

"Danke, Fanius. Du kannst gehen!", sagte er freundlich und warf dem Kleineren eine Tüte Weingummi zu. Fanius fing sie geschickt auf, salutierte knapp und verschwand. Eliott stand alleine in der offenen Tür vor dem Mann, der sich seinen Onkel nannte.

"Komm rein und schließ die Tür hinter dir!", forderte Leonardo ihn auf. Eliott tat wie ihm gesagt und trat unsicher an den Schreibtisch heran, hinter dem Leonardo mit einem erschöpften Seufzer Platz genommen hatte und ihn aufforderte, sich ebenfalls zu setzen. Eliott ließ sich auf den Stuhl neben sich fallen.

"Ich weiß, dass du Antworten verlangst!", fing Leonardo an und warf Eliott einen beinahe unsicheren Blick zu, bevor er weiter sprach. "Ich weiß, dass Vieles hier ungewohnt ist, du nicht weißt was passiert ist, geschweige denn warum. Und ich bin mir sicher, dass dir Einiges auch Angst macht!" Eliott wollte widersprechen, doch was Leonardo gesagt hatte, stimmte ja auch irgendwie. Also nickte er nur.

"Ich möchte dir gerne auf deine Fragen antworten, Eliott. Die Ängste zumindest kleiner machen und dir etwas Gewissheit geben!" Eliott kniff misstrauisch die Augen zusammen. Leonardo sah das zwar, ging allerdings nicht weiter darauf ein. "Ich habe dir bereits erklärt, was das im Wald war, die Gestalt, die du gesehen hast. Die Großhexe Raza-ãk, der wahrscheinlich größte Feind des Orden der Magistra." Er machte eine Pause und schien zu überlegen, bevor er sich eine Haarsträhne hinter das Ohr schob. "Ich weiß nicht genau, wie ich dir das alles erklären soll.", sagte er schließlich und sah Eliott mit einem leicht verunsicherten Gesichtsausdruck an. 

"Fang einfach irgendwo an!", schlug Eliott vor. Gespannt auf die Antworten rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Leonardo lachte kurz auf, bevor er wieder ernst wurde. 

"Dein Vater, Eliott, war ein Magier im Orden der Magister. Von Geburt an besaß er magische Fähigkeiten, die er an seine Kinder weiter vererbt hat. An dich und Nanine." Eliott blinzelte verwirrt.

"Magie existiert nicht.", meinte er dann vorsichtig und Leonardo lächelte gequält. 

"Eure Eltern haben euch nichts erzählt, oder?" Eliott wusste nicht, was er erwidern sollte, also schwieg er einfach. Leonardo seufzte tief. "Dann dauert die Einführung länger, als gedacht", murmelte er, stand auf, zog einige Bücher aus dem Regal und ließ sie geräuschvoll auf den Tisch fallen. 

"Wollen wir anfangen!"

X


 

Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.

~Albert Schweitzer~
 


 

"Nein, nein, nein. Halt den Arm so, El." Eliott hob den rechten Arm etwas höher. "Ja, so siehts gut aus!" Leonardo betrachtete Eliott prüfend. Er hatte ihn den Verband wieder abgenommen mit der Begründung, er müsse die Magie am ganzen Körper spüren können. Jetzt sah man einen dünnen, roten Striemen von Eliotts Ohr hinunter bis zu seinem Kinn quer über die Wange verlaufen. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aufschauen. "Herein." Die Tür öffnete sich langsam und ein großer Mann trat ein. Seine kurzen blonden Haare waren mit Gel ordentlich nach hinten gekämmt und seine blauen Augen sahen ernst durch eine graue, eckige Brille. Als er Eliott sah, der einbeinig und mit erhobenen Armen auf einem Stuhl stand und einen  Stapel Bücher auf dem Kopf balancierte, trat kurzzeitig ein verwirrter Ausdruck in seine Augen.

"Ah, Julius. Was führt dich zu uns?", fragte Leonardo und trat näher an den jungen Mann ran.

"Die Läufer lassen ausrichten, dass der Weg nach Deutschland wieder frei ist.", erwiderte Julius kurz, immer noch ruhte sein Blick auf Eliott, der jetzt vom Stuhl sprang, die Bücher fielen krachend auf den Boden. Noch während er sich bückte, um sie aufzuheben, fragte er:

"Dann können wir wieder zurück?" Leonardo legte den Kopf schräg.

"Um deiner Mutter Bescheid zu sagen, wo du bist. Unterricht in Magiekunde und so weiter musst du trotzdem kriegen." Eliott verdrehte die Augen.

"Klar! Wann geht's los?" Die Bücher im Arm sprang er aufgeregt zu Leonardo.

"Sofort, El.", versprach Leonardo irgendwie angestrengt wirkend und nahm ihm die Bücher ab. "Julius, bereitet doch bitte schon mal das Tor vor." Julius verbeugte sich knapp und ging. Eliott zog verwundert die Stirn kraus.

"Tor?"
 

Ein Strudel öffnete sich im Wald und Eliott und Leonardo traten heraus.

"Von hier aus ist es nicht mehr weit bis nach Hause.", erklärte Eliott erfreut. Leonardo nickte und folgte Eliott, der sich hier eindeutig besser aus kannte als er. Auf der Straßenseite gegenüber des Hauses hielt Leonardo seinen Neffen noch einmal zurück.

"Bleib bei mir, ja?" Es war keine Bitte, sondern eine Aufforderung. Leonardo hatte ein ungutes Gefühl, schon seit Julius verkündet hatte, dass der Weg nach Deutschland wieder frei sei. Eliott verdrehte die Augen und lief vor Leonardo über die Straße. An der Tür zögerte er, schließlich zog er den Ersatzschlüssel unter der Fußmatte hervor und schloss die Tür auf. Beide zogen gleichzeitig scharf die Luft ein.

"Was ist denn hier passiert?", fragte Eliott fassungslos. Der ganze Hausflur war verwüstet, Gemälde von den Wänden gerissen, Schränke lagen in Trümmern auf dem Boden, alles war zerstört. Eliott trat langsam über den Schutt ins Haus.

"Mom?", rief er.

"Evelyn?" Leonardo zog Eliott etwas zurück, als keine Antwort kam. Doch Eliott rannte schon vor. Im Wohnzimmer war niemand, nur völlige Verwüstung. Auch in der Küche war niemand zu finden.

"Mom?", rief Eliott noch einmal, mit etwas Panik in der Stimme, und lief langsam die Treppe hoch. Er lief geradewegs auf ihr Schlafzimmer zu. Bevor er die Tür öffnen konnte, legte Leonardo seine Hand auf die Türklinke.

"Nicht.", bat er, denn auf sein Bauchgefühl zu achten, hatte er schon lange gelernt. Eliott schüttelte den Kopf.

"Lass mich durch, Leo!", befahl er eintönig. Nur widerwillig gab dieser den Weg frei und Eliott riss schwungvoll die Tür auf. Auf den ersten Blick sah man nichts Besonderes, nur die Verwüstung, die im ganzen Haus anzufinden war. Um zerstörte Einrichtungsgegenstände herum balancierend bahnte Eliott sich mit zittrigen Knien einen Weg zum Bett. Da lag sie und hätte Leonardo ihn nicht gehalten, wäre Eliott gestürzt. Mit aufgeschlitzter Kehle, die nackte Angst in den Augen, die weißen Bettlaken und ihr Kleid waren Blut verschmiert. Leonardo verstärkte den Griff um Eliott, als dessen Beine nachgaben, während er seine Mutter geschockt anstarrte. Schließlich schloss Eliott kurz die Augen und wandt sich aus Leonardos Griff. Ohne auf Leonardos Proteste zu hören, setzte er sich auf das Bett neben seiner Mutter, griff nach ihrer Hand. Er ließ seinen Kopf gegen ihre kalte Hand sinken und kniff die Lippen zusammen. Er wollte nicht weinen, nicht vor Leonardo. Nicht vor einem Mann, den er kaum kannte. Als Leonardo ihm eine Hand auf die Schulter legte, zuckte er zusammen.

"Du solltest ihr die Augen schließen.", sagte Leonardo leise, betreten. Eliott glaubte, sein Herz setze einen Moment aus, dann beugte er sich langsam vor und legte seine Hand über ihre Augen. Als er seine Hand weggezogen hatte, stand er abrupt auf und rannte beinahe aus dem Zimmer. Leonardo folgte ihm besorgt.

"El-?"

"Nanine!", rief Eliott und rannte die Treppe runter. Sie musste doch noch irgendwo sein. Hoffentlich! "Nanine!" Er erhielt keine Antwort, doch in der Besenkammer stieß jemand immer wieder gegen die Tür. Eliott zog mühsam den Sessel weg, der die Tür versperrte. Beim nächsten Stoß sprang sie auf und Eliott wurde in zwei kräftige Arme gezogen.

"Es tut mir so leid, Junger Herr!", flüsterte Charles. "Ich war nicht schnell genug." Eliott vergrub sein Gesicht in Charles breiter Brust und schüttelte den Kopf.

"Wo ist Nanine?", fragte er gedämpft.

"Weg. Sie haben sie mitgenommen.", erklärte Charles tonlos. Schluss! Er konnte nicht mehr. Eliott sackte zusammen und Charles fing ihn gerade noch auf, bevor sein Kopf auf den Boden knallte.

XI


 

Die Kunst ist es, immer einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wurde.

~Oscar Wilde~
 


 

Mit einem lauten Schrei fuhr Eliott hoch, seine Hände krallten sich in die Bettdecke und er kniff wegen der Helligkeit und um den Schreck los zu werden die Augen zu. Er zitterte und da sein Atem viel zu schnell ging, versuchte er die Luft anzuhalten.

"Nicht, Eliott. Langsam weiter atmen." Eliott zuckte zusammen, als jemand eine Hand auf seinen Rücken legte, konnte aber nicht nachsehen, wer es war. "Ein... Aus... Ein...", murmelte die Stimme neben seinem Ohr und Eliott folgte ihr, die Augen immer noch zu gekniffen. Ohne, dass er es wirklich merkte, liefen die Tränen über seine Wangen, welche langsam in hemmungsloses Schluchzen übergingen. Er hielt die Augen immer noch geschlossen, auch als ihn jemand in die Arme zog. Er vergrub das Gesicht an Charles Schulter.

"Schht.", flüsterte Charles leise und strich Eliott beruhigend über den Rücken. "Lasst es einfach raus, junger Herr." Und das tat Eliott. Es einfach raus lassen, alles was sich aufgestaut hatte, alles was ihm so Angst gemacht hatte, alles was ihn verzweifeln ließ. Der Tod seiner Mutter, der Verlust seiner Schwester, die Veränderung die alles einberufen hatte. Er brauchte lange, bis er sich beruhigt hatte, während er einfach hilflos in Charles Armen lag und nicht wusste, was er tun sollte, doch schließlich schob er den Butler von sich weg und wischte sich mehrmals trotzig mit dem Ärmel übers Gesicht.

"Ich habe nicht geheult!", sagte er und es klang wie ein Befehl.

"Ihr braucht euch dessen nicht zu schämen.", erwiderte Charles. Eliott funkelte ihn an.

"Heulen ist ein Zeichen der Schwäche."

"Heulen ist ein Zeichen von Menschlichkeit!", widersprach Charles. Eliott ließ den Kopf sinken und starrte die Bettdecke an.

"Habt ihr nach ihr gesucht?", fragte er leise. Charles seufzte nur. "Ihr habt sie nicht gefunden.", interpretierte Eliott. Charles schwieg.

"Nein. Nur eine Fährte.", sagte er schließlich. Eliott horchte auf.

"Fährte?"

"Sie ist ohne Zweifel in den Schatten." Eliotts Schultern sanken hinab, und auch wenn er nicht wusste, was die 'Schatten' waren, hörte es sich gefährlich an und nicht gerade, wie der Ort wo er gerne Ferien machen würde.

"Wir können ihr aber noch helfen, oder?!", fragte er verzweifelt.

"..."

"Charles?"

"Ich weiß es nicht. Aber ihr solltet trotzdem nicht aufgeben." Eliott kniff die Augen zusammen.

"Hör auf damit!" Verwundert sah sein Gegenüber ihn an.

"Womit?"

"Mich zu Siezen. Ich bin 14, verdammt! Nur weil Dad-" Er brach ab.

"Ich lasse es, junger-- Eliott.", beeilte Charles sich und grinste schief, was in seinem breiten Gesicht seltsam, aber vertraut aussah. "Wir sollten jetzt vielleicht trotzdem los. Leonardo erwartet uns in der Mondhalle, sobald du aufgewacht bist." Er stand auf und wandte sich der Tür zu.

"Charles." Er drehte sich noch einmal um. "Danke.", sagte Eliott schwach lächelnd. Charles zwinkerte und ging.
 

Als die Tür sich klackend schloss, ließ Eliott sich zurück ins Kissen sinken. Er sollte sich beeilen, das war ihm klar. Doch sein Kopf tat einfach furchtbar weh. So viele Informationen, zu viel Chaos. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Er musste sich dringend bei Laura melden. Stöhnend kabelte er aus dem Bett, schleppte sich ins Bad und wusch sich das Blut von den Armen. Nicht sein Blut, sondern das seiner Mutter. Wieder liefen Tränen über seine Wangen, die er energisch und beinahe wütend weg wischte. Auf dem Tisch neben dem Waschbecken lagen eine saubere Hose und ein Hemd, die er schnell überzog, bevor er sein Zimmer leise verließ. Charles lehnte an der Wand gegenüber seiner Tür und übernahm sofort die Führung.

"Woher weißt du denn, wo wir lang müssen?", fragte er, als Charles zielstrebig um Ecken, Treppen hoch und runter ging.

"Ich weiß mehr, als du denkst.", erwiderte er nur geheimnisvoll. Eliott musterte ihn.

"Bist du auch ein Magier?", fragte er schließlich. Charles drehte sich kurz zu ihm um, antwortete aber nicht. Eliott biss sich trotzig auf die Lippe und folgte dem Butler, bis sie wieder vor der wohl bekannten Mondhalle standen.

"Eliott!", rief Leonardo, lief auf ihn zu, umarmte ihn und vergrub das Gesicht in Eliotts Haaren. "Wie geht es dir?", fragte er schließlich, als er seinen Neffen wieder losgelassen hatte. Eliott zuckte scheinbar unberührt mit den Schultern. Viel mehr interessierte ihn der Mann hinter Leonardo. Dieser kam jetzt auf Eliott zu und reichte ihm die Hand.

"Wie schön, dich zu sehen. Ist nicht allzu lange her!"

"Was tun sie hier, Dr. Raiken?", fragte Eliott schroffer als beabsichtigt. Der Arzt zog eine Augenbraue hoch und wirkte ob Eliotts ablehnender Art etwas verwirrt.

"Das gleiche wie die anderen Magier. Ich lerne, lehre und lebe hier. Aber hergekommen bin ich eigentlich, um zu sehen wie es dir geht und dich noch mal durch zu checken. Der Tag gestern war ja nicht so schön.", sagte er und versuchte wahrscheinlich, Eliott ein kleines Lachen zu entlocken. Eliotts Blick verfinsterte sich schlagartig.

"Mir geht's super!", fauchte er und rannte direkt wieder aus dem Raum. Natürlich ging es ihm super. Seine Mutter war brutal ermordet worden, seine Schwester verschwunden und sein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Es ging ihm einfach wunderbar!

XII


 

Alles Wissen ist vergeblich ohne die Arbeit. Und alle Arbeit ist sinnlos ohne die Liebe.

~Khalil Gibran~‎
 


 

"Haben Sie Bücher über... ehm.. Schatten?" Die Bibliothekarin sah ihn misstrauisch an.

"Über Schatten? Natürlich. Aber wofür brauchst du das denn?" Eliotts Mundwinkel zuckte.

"Für den Unterricht.", log er. Die Bibliothekarin, auf ihrem Namensschild konnte man Alyson Riordan entziffern, hob ungläubig eine Augenbraue hoch.

"Ich habe dich hier noch nie gesehen. Hast du überhaupt einen Ausweis?" Eliott druckste etwas herum, bevor er schließlich sagte:

"Ich bin erst seit ein paar Tagen hier." Ihr Blick wurde etwas sanfter.

"Dann musst du Eliott sein. Für dich wurde bereits ein Antrag auf einen Ausweis erstellt. Er ist bereits fertig, du kannst ihn gerne haben." Sie reichte Eliott nun freundlich lächelnd ein breites Leder-Armband, an dem ein kleiner,  Bronzestein steckte. Als er erst verwirrt das Armband und dann sie ansah, lachte sie. "Je höher du im Schuljahr steigst, desto mehr Steine bekommst du.", erklärte sie, "Jeder Stein steht für einen bestimmten Abschnitt der Bibliothek, den du besuchen darfst und zeichnet sich gleichzeitig als Schüler der Akademie aus. Oder eben als ehemaliger Schüler." Sie zeigte ihm sein Armband, bestückt mit fünf verschiedenen Steinen und drei Metallstreifen. "Im Bronzejahr zählt der Abschnitt, in dem die Bücher über die Schattenwelt stehen, allerdings nicht als frei gegeben. Er ist allgemein gesperrt, bis die Ausbildung abgeschlossen ist." Sie sah ihn mitleidig an, bevor sie aufstand und ihren Stuhl ran schob.

"Komm, Eliott. Ich erkläre dir unser System." Eliott folgte ihr, während sie die Gänge entlang ging. Der Teil, der für ihn freigegeben war, war hauptsächlich ein großer Teil Belletristik und Grundkurs-Lehrbücher für die Akademie-Schüler. Vor einem Abschnitt blieb sie stehen. Der Eingang war von einem Silber schimmernden Kraftfeld versperrt.

"Dieser Abschnitt ist ab dem Silberjahr freigegeben." Sie griff nach seinem Arm und hob ihn vor einen Scanner. Ein rotes Kreuz leuchtete über dem Eingang auf. "Du darfst noch nicht hindurch. Das Armband registriert so auch jedes Buch das du ausleihst und fungiert außerdem als Symbol für andere Jahrgänge, in welchem Jahr du bist." Sie führte ihn weiter zu den Abschnitten der Gold-, Diamant- und Obsidian Jahrgänge. Über die Bücher, die sich hinter den Toren befanden, durfte sie allerdings keine Auskunft geben. Als sie langsam wieder zurück zum Ausleih Tresen gingen, fragte sie: "Wann kommst du eigentlich in die Akademie, weißt du das? Leonardo sagte ja, er würde dich erst einmal selber unterrichten, aber irgendwann musst du ja dem normalen Unterricht beitreten." Eliott zuckte mit den Schultern, er hatte bisher ja nicht einmal gewusst, dass es eine Akademie im Orden gab. Die Bibliothekarin hackte nicht weiter nach und setze sich wieder hinter den Tresen. Als sie nach einer Weile merkte, dass er immer noch da stand, sah sie auf.

"Ist sonst noch etwas?"

"Es ist nur... wenn Leonardo kommt, können Sie ihm vielleicht sagen, dass ich nicht hier bin?"

"Wieso das denn?", fragte sie interessiert und legte den Kopf leicht schräg.

"Nun, wir haben uns gestritten, gewissermaßen.", murmelte er. Sie lächelte warm.

"Natürlich." Als Eliott sich dem Weg zurück zur Bibliothek zuwandte, rief sie ihm noch hinterher. "Ach übrigens, du kannst mich Alyson nennen. Das tun alle hier!" Eliott nickte und ging die langen Gänge des Bereichs des Bronzejahrs ab. Es sah so aus, als würde er ein bestimmtes Buch suchen, doch eigentlich grübelte er darüber nach, wie er in die gesperrte Abteilung kommen sollte. Als er so mit gesenktem Kopf die Bücherregale abging, stieß er plötzlich gegen jemanden, der vor einem Regal der Lehrbücher stand. Die Bücher fielen krachend zu Boden.

"Pass doch auf!", schnauzte das Mädchen und durchbohrte ihn mit ihren stechend grünen Augen. Sie trug enge Jeans und ein hellblaues Top, darüber eine schwarze, enge Lederjacke. Ihre Fingernägel waren genauso blau wie ihr Top. Geschminkt war sie nicht, aber sie war auch so wirklich schön. Sie trug an jedem Ohr drei Ohrstecker und an ihrem Arm sah Eliott das Lederarmband der Akademie.

"Tschuldige", murmelte Eliott nachdenklich und wollte sich bücken, um die Bücher auf zusammen, als das Mädchen eine wegwerfende Handbewegung machte.

"Lass es, ist nicht schlimm." Sie machte eine kurze Hand Geste und die Bücher stapelten sich in der Luft wieder aufeinander. Sie strich sich eine rostbraune Locke hinter ihr Ohr und lächelte. "Ich bin Jenette Locksley. Du bist der Neuling, oder?" Eliott nickte immer noch etwas Geistes abwesend und schüttelte die makellose, sanfte Hand, die sie ihm anbot. Ein schneller Blick auf ihr Armband sagte ihm, dass sie bereits im Goldjahr war.

"Eliott", sagte er knapp und sie nickte.

"Na? Flirtest du wieder, Jenni?", ertönte eine spöttische Stimme hinter Eliott und er drehte sich um. Ein Junge, etwa in Eliotts Alter, aber etwas größer als er, balancierte ebenfalls einen Stapel Bücher auf den Armen. Er hatte die gleichen rostbraunen lockigen Haare und grünen Augen wie Jenette. Er trug ein T-Shirt mit Aufdruck zu irgendeinem undefinierbaren Comic, durchgewetzte Jeans und Sportschuhe. An seinem rechten Handgelenk hingen dutzend verschieden farbige Stoffbänder. Auch er trug das Lederarmband der Akademie, an diesem hing lediglich ein bronzefarbener Stein.

"Halt den Mund, Nathan!", fauchte sie, musste aber unwillkürlich grinsen. "Ich flirte nicht. Das ist der Neue. Er hat mich angerempelt."  

"Aus Versehen.", ergänzte Eliott schnell. Nathan grinste.

"Is klar." Mit deutlich größerem Interesse wandte er sich Eliott zu. "Du bist also der Neuling. Wann kommst du in die Akademie?" Eliott zuckte mit den Schultern.

"Ich weiß es doch nicht!", erklärte er genervt. "Viel wichtiger ist eigentlich: Hat einer von euch ein Handy oder so? Ich habe meins in meinem Zimmer vergessen und muss dringend jemanden anrufen." Nathan grinste spöttisch.

"Wen denn? Etwa deine Mami? Ihr sagen, dass du heile angekommen bist?" Eliott kniff die Augen zusammen.

"Meine Mutter ist tot!", erwiderte er kalt. Jenette zog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein und Nathans Gesicht verzog sich reuevoll.

"Sorry.", nuschelte er dann und holte sein Handy aus der Hosentasche. Mit einem entschuldigenden Blick reichte er es Eliott. "Beeil dich aber!"

XIII


 

Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern.

~Aristoteles~‎
 


 

Während er wartete, dass Laura den Anruf entgegen nahm, tigerte Eliott zwischen den Sitzbänken, die in einem Viereck zwischen den Regalen angeordnet waren, herum. Still stehen konnte er auf keinen Fall, dazu war er viel zu nervös.

»Ja bitte?« Das war nicht Laura.

"Hey, Frau Spencer. Hier ist Eliott. Ist Laura da?"

»Laura?«, sie klang fassungslos und müde. »Sie ist nicht da! Eliott, sie ist verschwunden. Ich dachte, du wüsstest, wo sie ist!« Eliott wurde bleich und blieb stehen.

"Wie? Sie ist verschwunden?"

»Sie hat dich gesucht, nachdem du solange weg warst und ist dann nicht wieder zurück gekommen.«

"Wieso hat sie mich gesucht? Ich bin doch gar nicht mehr in Deutschland?" Eliott war verwirrt.

»Nicht? Wo bist du denn? Eliott, deine Mutter... und...«

"Ich bin in Venedig bei meinem Onkel. Und das mit Mom weiß ich bereits.", sagte er betreten.

»Also ist Laura nicht bei dir. Hast du eine Ahnung, wo sie sein könnte?« Eliott nickte grimmig.

"Nein.", sagte er dann aber, obwohl er sehr wohl eine Ahnung hatte. "Ich muss auflegen. Mein Onkel ruft mich.", log er. "Ich werde Augen und Ohren offen halten. Versprochen!" Dann legte er ohne ein weiteres Wort auf. Einen Moment stand er einfach nur fassungslos da, dann lehnte er sich leise stöhnend gegen das Regal hinter sich.

"Scheiße!", fluchte er.

"Hm?" Nathans Gesicht tauchte direkt vor Eliotts auf und er streckte die Hand nach seinem Handy aus. "Was ist los?"

"Nichts.", winkte Eliott ab, stieß sich von dem Regal ab und ging zurück zu der Ecke, in der er eben auf Jenette gestoßen war und einen super Blick auf die verbotene Abteilung hatte. Er musste da unbedingt reinkommen, irgendwie. Koste es, was es wolle.

"Klar! Irgendetwas hast du doch!", hackte Nathan nach. Eliott drehte sich zu ihm um.

"Hey! Danke, dass du mir dein Handy geliehen hast, aber ich will dich da wirklich nicht mit rein ziehen." Er wandte sich wieder dem Regal zu und tat, als sei dieses plötzlich furchtbar interessant.

"Ist es gefährlich?" In Nathans Blick lag etwas Unberechenbares.

"Ja, sehr."

"Ich bin dabei!", rief Nathan laut und als Jenette ihm ein "Leise!" zu zischte wiederholte er es noch einmal flüsternd. "Ich bin dabei!"

"Nein!", erwiderte Eliott energisch. "Du weißt doch gar nicht, worum es geht!" Nathan zuckte nur mit den Schultern.

"Na und? Muss ich das?!"

"Wäre besser."

"Man sollte immer wissen, worum es geht.", ließ sich Jenette vernehmen. "Also los, Kleiner. Spucks aus!"

"Ich bin nicht klein!", protestierte Eliott beleidigt. Jenette winkte ab.

"Erzähl schon!"

"Aber-" Jenette bedachte ihn mit eine bösen Blick.

"Mach einfach!" Eliott schluckte, fing aber an zu erzählen. Als er geendet hatte, nickten beide bedächtig.

"Du musst also in die verbotene Abteilung.", hackte Nathan nach. Eliott nickte abwesend. "Und willst dich dort informieren, wie du in die Schattenwelt kommst. Weil du denkst, dass Raza-ãk irgendetwas von dir will?" Wieder nickte der Franzose. "Bist du eigentlich bescheuert?!" Nathan starrte ihn fassungslos an, grinste aber aus irgendeinem schrägen Grund. Eliott zuckte mit den Schultern.

"Schätze.", erwiderte er ausdruckslos.

"Cool!" Nathan gab Jenette einen High-Five.

"Hilft mir aber nicht!", erwiderte Eliott gereizt. "Ich komme nun einmal nicht in die Abteilung!"

"Klar!", erwiderte Jenette erstaunt.

"Wir nehmen einfach den Ausweis von Paps, damit kommen wir überall rein!", ergänzte Nathan.

"Ihr könnt doch nicht einfach-" Eliott brach kopfschüttelnd ab.

"Es ist deine einzige Möglichkeit!" Nathan formte mit den Fingern eine Pistole und tat, als würde er auf den Anderen schießen wollen. Eliott stöhnte, musste aber unweigerlich ebenfalls grinsen. Als er gerade etwas sagen wollte, stützte sich jemand von hinten auf seine Schultern und raunte ihm mit tiefer, verstellter Stimme ins Ohr:

"Naaaaaa? Wer bist denn duuuuu?" Eliott fuhr herum und starrte den nun vor Lachen am Boden liegenden Mann erschrocken an. Er trug einen bodenlangen, schwarzen Mantel mit einer spitzen Kapuze, ein schwarzer Regenschirm lag neben ihm auf dem Boden. Er hatte kurze, braune Locken, trug einen drei-Tagebart und seine stechend grünen Augen blitzten schelmisch.

"Paps! Leise!", fuhr Jenette ihn an und wollte ihn am Arm wieder auf die Beine ziehen. "Was sollte das überhaupt? Musste das unbedingt sein?" Er schüttelte nur den Kopf und blieb japsend auf dem Boden liegen. Eliott blinzelte, dann beugte er sich etwas zu Nathan rüber.

"Das ist dein Vater?", fragte er skeptisch.

"Jupp. Was dagegen?"

"Äh.. Nein, gar nicht. Äh.. Hat er ... was genommen?", fragte er unsicher. Nathan zuckte mit den Schultern.

"Vielleicht hat er dich ja verstört. Du wärst nicht der Erste. Und Nein, er hat keine Drogen genommen. Er ist immer so!" Eliott sah ihn etwas unsicher an.

"Hör nicht auf ihn! Mein Sohn labert Mist!" Der Mann, Nathans und Jenettes Vater, wie Eliott jetzt wusste, hatte sich aufgerichtet und stand grinsend vor ihnen, breitbeinig und die Hände in die Hüfte gestemmt. "Und? Wer bist du jetzt?"

"Er ist der Neuling, Paps. Das ist Eliott.", erklärte Jenette.

"Eliott! Freut mich, dich kennenzulernen! Ich bin Timothy Locksley." Nur zögernd nahm Eliott die ihm dargebotene Hand an und schüttelte sie. "Nenn mich einfach Timothy, ja!? Alles andere hört sich so unpersönlich an!" Jenette verdrehte die Augen, während Eliott sich verwirrt übers Gesicht strich.

"Ja, gleichfalls erfreut. Eliott Pierre Duchan.", stellte er sich selbst noch einmal vor.

"Weiß ich doch." Timothy winkte unwirsch ab, wobei der weite Ärmel seines langen, schwarzen Mantels Nathan fast ins Gesicht schlug. "Ich habe gerade entschieden, dich zum Abendbrot einzuladen!" Eliott riss erstaunt die Augen auf.

"Du siehst wie vom Zug überfahren aus!", kicherte Nathan ungehalten. Eliott starrte ihn mit einem finsteren Blick an.

"Du solltest dich dran gewöhnen!" Jenette schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter, während sie Timothy aus der Bibliothek folgten. "Paps ist für seine Spontanität bekannt!"

XIV


 

Das Lachen ist ein wetterleuchtendes Aufblitzen der Seelenfreude, ein Aufzucken des Lichts nach draußen, sowie es innen strahlt.

~Dante Alighieri~
 


 

"Tim, Jenni, Nath! Genau pünktlich und wie ich sehe, habt ihr noch jemanden mitgebracht!" Eine mollige Frau in einem orangenen Woll-Poncho zog Eliott an sich und wuschelte ihm durch die ohnehin schon unordentlichen Haare. Sie hatte lange, rotblonde Haare und die gleichen grauen Augen wie ihre Kinder. Als sich Eliott endlich befreit hatte flitzte jemand an ihm vorbei und sprang Timothy an.

"PAPI!", brüllte ein kleiner Junge in einem dunkelblauen Schlafanzug mit weißen und grünen Gespenstern. Er hatte rote Haare und grüne Augen. Als Timothy ihn hoch hob und im Kreis herum wirbelte, lachte er.

"Das ist Mick.", raunte Jenette ihm zu und lächelte. "Er ist erst fünf und freut sich jedesmal riesig wenn Paps nach Hause kommt, selbst wenn er uns nur kurz zum Essen abholt wie eben!" Eliott folgte ihr ins Haus und setzte sich in der Küche neben Nathan und Jenette an den Tisch, an den sich kurze Zeit später auch Mick und die Eltern setzten.

"Du bist also Eliott." Emily Locksley stellte den dampfenden Topf mitten auf den Tisch und noch bevor sie wieder saß, hatte Mick sich seinen Teller bereits reichlich beladen.

"Guten Appetit!", rief er und ohne die anderen weiter zu beachten, fing er an zu essen. Eliott nickte etwas irritiert.

"Das muss furchtbar für dich sein.", meinte Emily plötzlich. "Ich meine, erst wurde dein Vater ermordet, dann deine Mutter, und deine Schwester wurde auch noch entführt."

"Und seine Freundin ist auch verschwunden!", ergänzte Jenette.

"Dein Vater ist tot?!", fragte Nathan fassungslos. Jenette stöhnte.

"Du bist auch doof, Nath!"

"Genau! Das stand doch vor gut einem halben Jahr im Magier-Kurier!", rief Mick dazwischen und Emily brachte ihn schnell mit einem strengen Blick zum Schweigen. Jenette hatte bereits zu ihrem Handy, das neben ihrem Teller lag, gegriffen hatte und mit flinken Fingern darauf rum tippte.

"Hier.", sagte sie. "Ich lese vor:»Nachdem vor etwa einer Woche der Schleicher und Millionär Olliver Duchan, lange wohnhaft in Frankreich, ermordet wurde, haben Forschungen des GgmK (Geheimdienst globaler magischer Kulturen) ergeben, dass sein Tod nicht durch magisch begabte Wesen herbeigeführt wurde, sondern durch den Normalsterblichen Nick W. Allerdings steht nach wie vor der Verdacht auf Manipulation zur Debatte. Da von Seiten der Sterblichen bereits ein Verfahren eingeleitet wurde, hält der SmWK (Staat magischer Wesen und Kulturen) es nicht für nötig, sich weiter um diesen Fall und den Schuldigen zu kümmern. Die Ermittlungen bezüglich des Verdachts auf Manipulation werden weiter verfolgt. Ollivers Frau und seine Kinder haben beschlossen, nach Deutschland, den Geburtsort der Mutter, zurück zu kehren. Der Titel des Familienoberhaupts wird gemäß der Tradition der Familie Duchan an das nächste männliche, und somit jüngste,  Familienmitglied Eliott Pierre Duchan weitergegeben. Der SmWK hält ihn für fähig, diesen Titel beizubehalten und zu tragen.« Das stand vor gut einem halben Jahr im Kurier, alle Magier wissen es eigentlich." Schweigen hing lange Zeit zwischen ihnen. Dann fragte Eliott:

"Was ist ein Schleicher?"

"Jemand der nicht mit magischen Fähigkeiten geboren wurde, sondern auf unnatürlichen Weg seine magischen Kräfte erhalten hat.", erklärte Timothy schnell. "Und diese Fähigkeit wird dann auch nicht weiter vererbt, das heißt, dass du und Nanine eure Magie von eurer Mutter habt." Eliott zog verwundert die Stirn kraus.

"Leonardo sagte, ich hätte meine Magie von Dad. Mom ist gar keine Magierin!" Timothy zuckte mit den Schultern.

"Vielleicht-" Er sprach nicht weiter sondern starrte nur nachdenklich auf seinen Teller.

"Was?"

"Ach." Er schüttelte den Kopf. "Vergiss es einfach!"

"Paps!", protestierten Jenette und Nathan.

"Nein! Das ist nichts für euch Kinder!"

"Wir sind keine Kinder mehr!", rief Mick laut. Seine Geschwister betrachteten ihn skeptisch.

"Du schon!", entschied Nathan schließlich. "Komm sag schon, Paps!" Doch Timothy schüttelte nur ein weiteres Mal den Kopf und stand auf.

"Ich muss noch arbeiten. Entschuldigt mich bitte!" Mit diesen Worten verließ er die Küche. Nathan stöhnte frustriert auf.

"Wir waren so nah dran!" Eliott schwieg nur und starrte seinen Teller an. Wie sollte er in die verbotene Abteilung gelangen? Er konnte doch nicht einfach... Er schüttelte den Kopf, bevor er weiter grübeln konnte. Vergiss es, sagte er sich selbst und aß weiter.

"Mom, kann Eliott vielleicht über Nacht bleiben.", fragte Nathan plötzlich. Seine Mutter sah ihn genauso überrascht an, wie Eliott und Jenette. Nur Mick rührte ungerührt in seinem Essen rum.

"Heute?" Emily sah ihren Sohn skeptisch an. "Wieso das denn?"

"Naja, gute Freunde kann man doch mal zum Übernachten einladen, oder?" Gute Freunde? Nun, sie kannten sich seit nicht ganz einem halben Tag. Eliott hätte sie nicht als "gute Freunde" bezeichnet, aber Nathan schien das anders zu sehen. "Und außerdem hat sich Eliott mit Leonardo gestritten, er wollte gerne etwas Abstand halten." Eliott konnte sich nicht erinnern, ihm das gesagt zu haben, aber er protestierte nicht. Er hatte wirklich keine große Lust, Leonardo und Dr. Raiken zurück zu begegnen.

"Und wo stellst du dir vor, soll er schlafen?"

"Na, bei mir. Is doch klar. Wir bauen schnell das Reisebett auf und fertig!" Nathan sagte das, als wäre es eine Selbstverständlichkeit und seine Mutter nahm es hin.

"Willst du das denn, Eliott?" Eliott hob abschätzend die Schultern.

"Warum denn nicht?" Emily nickte.

"Dann ab mit euch!", sagte sie und scheuchte die Kinder aus der Küche. "Sorgt dafür, dass Mick rechtzeitig ins Bett kommt. Und denkt daran, dass morgen Schule ist, geht also nicht zu spät ins Bett!"

"Ja-ha!", riefen Jenette und Nathan noch, bevor sie Eliott aus der Küche zogen. Zur Kriegsbesprechung in Nathans Zimmer!

XV

Das Gelingen ist manchmal das Endresultat einer ganzen Reihe missglückter Versuche.

~Vincent van Gogh~


 

"Also!" Nathan fegte einige Schulmaterialien von seinem kniehohen, schwarzen Tisch achtlos auf den Fußboden und zog ihn in die Mitte des Zimmers. "Wie stellen wir es an?" Jenette zog die Sitz Kissen an den Tisch und ließ sich auf eines fallen. Eliott zuckte mit den Schultern und setzte sich neben Nathan ebenfalls auf eines der Sitz kissen.

"Wie kommen wir an Paps Armband?", überlegte Jenette laut und stützte ihr Kinn auf ihre Hand. "Wann legt er es immer ab?"

"Zum Schlafen."

"Das wird aber schwierig. Zum Duschen!", erwiderte Jenette. Eliott runzelte die Stirn.

"Das ist nicht euer Ernst. Ihr wollt das echt durchziehen?" Eliott starrte die Beiden fassungslos an.

"Klar! Oder hast du etwa Muffensausen gekriegt?" Ein Klopfen an der Tür ließ Nathan verstummen. Emily trat vorsichtig ein und stellte einen Teller Kekse und drei Tassen Milch auf den Tisch.

"Ich möchte ja nicht stören-"

"Dann tu's nicht!", warf Nathan ein.

"-aber Jenni, bringst du bitte Mick ins Bett? Er möchte, dass du ihm eine Geschichte vor liest!", sprach Emily unbeirrt weiter. Jenette lächelte.

"Entschuldigt mich kurz Jungs, ja?!" Damit fegte sie aus dem Zimmer und Nathan sah ihr genervt nach.

"Werden wir heute irgendwann noch einmal fertig?", nölte er.

"Die Kekse sind echt gut, Frau Locksley!", sagte Eliott. Sie lachte.

"Ach, nenn mich doch Emily, mein Schatz." Sie drehte sich lächelnd um. "Ich lass euch dann mal wieder alleine Geheimnisse krämern!" Es war nicht zu leugnen, dass Eliott sie mochte. eigentlich wünschte er sich sogar, seine Mutter wäre auch öfter so offen gewesen. So offen und... Jenette riss mit bleichem Gesicht die Tür auf.

"Wir haben ein Problem!", sagte sie hastig und schloss die Tür.

"Hast du Mick echt schon vorgelesen?" Jenette winkte ab.

"Ich habe ihm gesagt, wenn ich ihm jetzt nichts vorlesen muss, dann verraten wir ihm, worüber wir gesprochen haben und er kriegt Kekse."

"Spinnst du? Wir können ihm doch nicht verraten, wovon wir hier sprechen. Das würde er nur petzen!", stieß Nathan aus.

"Naja, genau das hat er aber verlangt. Ich bringe ihm gleich ein paar Kekse und morgen erzählen wir ihm einfach irgendein total unsinniges Geheimnis!"

"Von irgendeinem Picnic zum Beispiel. Oder wir gehen schwimmen.", schlug Eliott vor, was bei den Geschwistern allerdings nur für einen Lacher sorgte.

"In Venedig kann man so gut wie überall schwimmen, Kleiner. Ist zwar nicht sonderlich sauber, das Wasser, aber wem es gefällt?!", prustete Nathan. Jenette killte die Stimmung ziemlich schnell wieder.

"Ich bringe Mick jetzt die Kekse und danach müssen wir dringend eine Plan Änderung vornehmen!" Sie schnappte sich ein paar Kekse und war schon wider weg.

"Ich frage mich echt, was das für ein Problem sein soll!", grübelte Nathan.
 

Seine Antwort bekam er recht bald.

"Was?!" Nathan sah seine Schwester fassungslos an.

"Sie haben gerade in der Küche gesprochen. Er fährt morgen schon um vier Uhr los.", erwiederte Jenette düster.

"Und wie sollen wir dann an das Armband kommen?", fragte Eliott.

"Gar nicht!", antwortete Nathan murrend. Eliott starrte die Tischplatte an.

"Ey, kommt schon, Jungs. So schnell könnt ihr doch nicht aufgeben! Wir haben doch immer noch heute Abend." Sie überlegte kurz. "Naja, und morgen früh." Nathans Gesicht hellte sich etwas auf.

"Wir können mitten in der Nacht in ihr Schlafzimmer und das Armband holen!", flüsterte er halb laut. Eliott rümpfte die Nase. Er konnte sich immer noch nicht wirklich mit dem Gedanken anfreunden, dass er einen Diebstahl begehen sollte.

"Seid ihr sicher, dass es keine andere Möglichkeit gibt?", fragte er. Jenette zuckte mit den Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

"Nein. In die Abteilungen kommt man nur mit den Armbändern und mir fällt jetzt nur Dads Armband ein, mit dem man überall rein kommt."

"Ihr wollt wirklich euren Vater bestehlen? Fällt da nicht zu allererst der Verdacht auf euch?"

"Oder auf dich!", erwiderte Nathan grinsend. "Wir müssen das einfach noch diese Nacht machen. In die Bibliothek einbrechen und hinterher das Armband wieder hinlegen. Und keiner merkt etwas!" Die Geschwister sahen Eliott erwartungsvoll an. Er rang etwas mit sich.

"Okay!", sagte er schließlich.

"Prima!" Nathan erklärte mit wenigen Worten den Plan. Sie alle blieben wach, bis Timothy und Emily Locksley ins Bett gehen würden. Nathan würde sich dann ins Schlafzimmer schleichen und das Armband nehmen, während Jenette einen Rucksack für die Bücher holen würde. Hörte sich ziemlich einfach an und das war es letztendlich auch. Als sie schließlich vor der Haustür standen, atmete Eliott erleichtert auf.

"Los jetzt! Wir müssen uns beeilen!", flüsterte Jenette und rannte durch den Regen über die nassen Straßen runter zur Piazza der Basilica San Marco, dicht gefolgt von Nathan und Eliott.

XVI

Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, dass man einen Fehler macht.

~Bernd Leno, Deutsche 11~


 

"Sicher, dass das klappt?" Eliott sah Nathan skeptisch an.

"Klaro!" Nathan grinste. "Wieso auch nicht?!"

"Wir könnten erwischt werden!", schlug Eliott vor. Jenette schüttelte den Kopf.

"Kann es sein, dass du ein echter Pessimist bist?" Eliott knurrte.

"Nein, ich würde eher sagen, dass ich ein Realist bin. Und ich halte mich lieber an Regeln, als Ärger zu kriegen!" Nathan lachte, wurde aber durch einen schnellen Blick von Jenette schnell zum Schweigen gebracht.

"Regeln sind doch dazu da, um gebrochen zu werden!", erwiderte er. Eliott sagte nichts, sie standen vor der Tür zur Bibliothek. Sie erhob sich schwerfällig in die Höhe.

"Wie kriegen wir die auf? Das geht ja wohl kaum mit dem Armband."

"Nein, das geht mit einem simplen Zauber.", erwiederte Jenette und hob die Hände. Sie starrte hoch konzentriert die Tür an, dann stieß sie ganz plötzlich die Hände nach vorne. Die Tür knackte, dann ging sie langsam auf. Jenette lächelte zufrieden.

"Nach euch."

"War das nicht etwas zu einfach?, warf Eliott ein, doch Jenette winkte ab.

"Ach komm schon. Je eher wir fertig sind, desto eher können wir das Armband zurück legen!" Sie schob Eliott hinter Nathan in die Bibliothek und schloss die Tür wieder leise hinter ihnen. Sie liefen direkt zur schwarzen Abteilung und Nathan legte das Armband unter den Scanner. Ein grüner Haken tauchte auf dem Bildschirm auf und Nathan packte Jenette und Eliott und zog sie in die Abteilung. Einen Meter vor ihnen war eine weitere Tür, ein Totenkopf war in des Holz eingelassen und starrte sie aus leeren Augen an.

"Was ist das?", stieß Jenette aus.

»Ein Räääätsel!«, kreischte der Kopf. Die Kinder sprangen erschrocken zurück.

"Was zum-" Nathan trat auf die Tür zu und wollte sie aufschieben, doch er wurde von etwas Unsichtbarem zurück geschleudert.

»Erst das Räääätsel!«, kicherte der Totenkopf. Eliott verzog das Gesicht und zog Nathan wieder auf die Füße.

"Wie lautet das Rätsel?", fragte er hörbar genervt. Der Totenkopf klapperte mit seinem Kiefer.

»Hör zu, hör zu!«, krächzte er. »Du bist nicht stark genug. Wie lautet die Antwort?«

"Was?" Nathan starrte den Kopf wütend an. "Das ist kein Rätsel!" Doch Eliott legte ihm eine Hand auf den Arm und deutete auf die Wand. Er rutschte daran runter zu Boden und stütze den Kopf auf die Knie.

"Lass mich nachdenken!", kam es dumpf und Nathan und Jenette ließen sich rechts und links neben ihm nieder. Sie hörten dem Franzosen gespannt zu, während er kaum hörbar vor sich hin murmelte. Der Kopf klapperte er noch eine Weile herum, bevor auch er den Jungen aufmerksam betrachtete.

»Wisst ihr es? Wisst ihr es? Ich gebe euch einen Tipp. Du Junge, dein Hobby ist doch-«, krähte er und Eliott fuhr ihn erstaunlich grob an, die Klappe zu halten, wobei er von Erkenntnis getroffen die Augen auf riss. Der Totenkopf verdrehte die schwarz glühenden Augen. Er zuckte kaum merklich zusammen, als Eliott plötzlich aufsprang. Dieser stellte sich direkt vor den Kopf.

"Meine Kraft ist wie die von zehn Männern, denn mein Herz ist rein!" Der Kopf nickte klappernd.

»Stimmt das denn auch?« Er sperrte den Mund auf. Eliott zog irritiert die Stirn kraus. Der Kopf nickte aufmunternd. »Rein da, die Hand!« Zögernd streckte Eliott seine Hand aus, und der Kopf biss herzhaft hinein. Eliott unterdrückte dem Drang, aufzuschreien. Er biss sich auf die Unterlippe, als der Totenkopf seine Zähne wieder aus Eliotts Hand zog.

»Rein!«, grummelte der Totenkopf und die Tür gab ein Klicken von sich.

"Meinst du damit jetzt, dass wir rein sollen oder dass Eliott rein ist?", hackte Nathan nach.

»Wurscht!«, brüllte der Kopf. »Es läuft aufs Gleiche hinaus!« Sein Grinsen schien noch breiter zu werden. »Doch es geht noch weiter!« Dann verstummte er endgültig. Jenette schob mit einer Gänsehaut auf den Armen die Tür auf und nach ein paar Metern standen sie vor einer weiteren Tür, vor der ein Tisch stand. Sie begutachteten den Tisch und die Tür genauer. In der Tür waren Einkerbungen, Löcher und Erhebungen von bunt leuchtenden, seltsam aussehenden Steinen. Auf dem Tisch lagen die gleichen Steine. In das dunkle, alte Holz des Tisches war etwas rein geritzt, was nur schwer zu entziffern war.
 

"Nimm an, was nützlich ist.

Lass weg, was unnütz ist.

Und füge das hinzu,

was dein eigenes ist."

Das Trio stand etwas unschlüssig vor dem Tisch.

"Die habens echt mit seltsamen Sprüchen, oder?", fragte Nathan frustriert. Eliott fuhr mit dem Finger die verschnörkelte Schrift nach. Nathan und Jenette untersuchten die bunten Steine.

"Was soll das hier?", fragte Jenette ratlos. Auch die Jungen zuckten nur mit den Schultern.

"Ich werde nicht schlau aus diesem Rätsel. Du, El?" Nathan sah Eliott erwartungsvoll an.

"Ich... bin mir nicht sicher.", murmelte dieser und drehte einige der Steine auf dem Tisch hin und her.

"Du bist dir nicht sicher?!", wiederholte Nathan. "Aber du hast eine Vermutung?" Eliott trat ein Stück vom Tisch zurück und ließ seinen Blick noch einmal über den Tisch und die Tür gleiten.

"Sag schon!", drängte Jenette. Eliott runzelte die Stirn.

"Naja, wir sollen lassen, was nützlich ist und weglassen, was unnütz ist. Wahrscheinlich müssen wir-"

"Die Tür!", stießen Nathan und Jenette gleichzeitig aus. Eliott nickte.

"Wir sollen in die Lücken die Steine stecken, die wir brauchen und die wegnehmen, die wir halt nicht brauchen. Nur das mit dem 'hinzufügen was dein eigenes ist' verstehe ich nicht."

"Wir sollen irgendetwas von uns mit in die Tür stecken.", rief Jenette.

"Aber was? Und wo?", fragte Nathan beinahe verzweifelt. Eliott zuckte mit den Schultern.

"Egal, lass uns erst einmal das mit den Steinen erledigen!"

XVII

Fire wants to burn,

Water wants to flow,

Air wants to rise,

Earth wants to bind,

Chaos wants to devour.

~aus: Magisterium- Der Weg ins Labyrinth; Cassandra Clare & Holly Black~


 

Immer wieder murmelten sie das Rätsel vom Tisch vor sich hin, während sie die Tür und die Steine untersuchten.
 

"Nimm an, was nützlich ist.

Lass weg, was unnütz ist.

Und füge das hinzu,

was dein eigenes ist."

"Ich habe echt keine Ahnung, was das hier soll. Mir war ja klar, dass wir nicht ohne irgendwelche Hindernisse in die schwarze Abteilung kommen, aber was soll das hier bitte sein?! Ein Puzzle für hochbegabte Kindergarten-Kinder?", grummelte Nathan. Jenette kicherte und sie steckte Eliott und Nathan damit an.

"Los, Leute!", prustete Eliott irgendwann. "Wir müssen heute noch fertig werden!" Sie fingen sich und schoben die Steine wieder auf dem Tisch zusammen.

"Lasst uns einfach irgendwelche Steine rein stecken!", sagte Nathan. Eliott protestierte.

"Wir haben bestimmt nicht viele Versuche und wir wissen auch nicht, was passiert, wenn wir ein falsches Muster wählen."

"Aber es muss doch irgendetwas darstellen!", knurrte Jenette frustriert und fing an, die Steine nach Farben zu sortieren. Eliott zuckte zusammen, als sie einige der Steine aus Versehen mit ihrem Ärmel auf den Boden fegte. Er riss die Augen auf, als er das Muster erkannte.

"Halt!", rief er, stieß Jenette, die die Steine gerade aufheben wollte, zurück und hockte sich daneben.

"Ein Pentagramm!", stellte Jenette überrascht fest.

"Und was ist damit?" Nathan sah sie ratlos an.

"Ein Pentagramm ist ein Hexen Symbol, oder auch Drudenstern genannt. Es ist sehr förderlich zum Ausführen von Magie. Quasi ein Leiter, nur halt für Magie.", erklärte Eliott.

"Genau! Aber woher weißt du das?", fragte Jenette erstaunt und Eliott grinste.

"Ich habe ein wenig in Leonardos Büchern gestöbert als mir langweilig war." Nathan sah ihn verstört an.

"Also... Ich würde niemals irgendwelche Sachbücher lesen, wenn mir langweilig ist." Eliott hob eine Augenbraue, wandte sich aber wieder den Steinen zu.

"Es muss einen Grund geben, dass sie alle unterschiedliche Farben haben!"

"Vielleicht muss jede Spitze eine andere Farbe haben.", schlug Nathan vor.

"Dafür gibt es zu viele Farben, es sind nur fünf Spitzen und man könnte nicht erschließen, in welcher Reihenfolge die Farben liegen!", erwiderte Jenette. Plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf. Sie griff zielstrebig nach jeweils einem blauen, grünen, roten, grauen und purpurnen Stein und setzte sie ohne ein weiteres Wort in die Tür.

"Warte, Jenni!", rief Nathan noch, doch sie hatte bereits alle fünf Steine in den Versenkungen verschwinden lassen und die überflüssigen 'unnützen' Steine raus geholt. Aus den Löchern, in die sie die Steine gelegt hatte, schossen leuchtende Strahlen, verbanden sich mit den anderen Steinen und bildeten so ein fünf farbiges Pentagramm, dass in der Mitte der Tür thronte.

"Woher wusstest du das?", stieß Eliott schließlich aus, erleichtert, dass nichts schlimmes passiert war, zum Beispiel die Tür explodiert oder der Boden unter ihren Füßen aufgerissen war.

"Es ist das Wappen des Ordens. Ich sehe es jedes Mal, wenn ich die Bibliothek oder das Foyer der Akademie betrete.", erklärte Jenette ruhig.

"Logisch.", schloss Nathan. "Und was sollen wir eigenes dazu tun?"

"Das weiß ich, glaube ich, auch.", meinte Jenette. "Die fünf Farben stehen für die Elemente. Grün für Erde, Blau für Wasser, Rot für Feuer, Grau für Luft und Purpur für Chaos. Vielleicht müssen wir Elementarmagie in die Lücken in der Mitte des Pentagramm leiten." Das hörte sich für Eliott ziemlich kompliziert, aber dennoch logisch an.

"Und wie?", fragte er. Die Geschwister sahen ihn an.

"Du hattest noch kein Magie Training?!", hauchte Jenette schließlich fassungslos.

"Nein!", antwortete Eliott etwas forsch. "Hatte ich nicht."

"Wir haben zu zweit aber nur vier Hände, das reicht nicht für alle fünf Elemente. Und Chaos Magie ist sehr schwer zu kontrollieren." Jenette nickte niedergeschlagen.

"Ich kann es ja versuchen.", bot Eliott an.

"Crash Kurs in Magie", feixte Nathan und grinste schwach.

"Okay!", sagte Jenette entschieden. "Ich erkläre es dir! Streck deinen Arm aus! ... Gut. Und jetzt mach die Augen zu und konzentriere dich. Achte auf ein Kribbeln in deinen Fingern, du musst dich wirklich konzentrieren. Am Besten konzentrierst du dich erst einmal nur auf ein Element. ... Du stellst dir vor, was es alles machen kann. Was du damit machen kannst." Eliott tat, was sie sagte und stellte sich genau vor, was die Elemente vorlebten, was sie schaffen und zerstören konnten, sah ihr wahres Wesen. Die wilde Sturmkraft der Luft, die alles nach belieben schweben und wieder fallen lassen konnte. Das Wasser, mit seiner riesigen Gewalt, den Strudeln, Tsunamis und Wellen, aber auch dem schönen Kühlen. Die Erde mit ihrer unglaublichen Schlagkraft, und auf der sie alle lebten, die alles verband. Das Feuer, dass hell brannte, wärmte und lebte. Und zum Schluss das Chaos mit der einzigen Aufgabe, zu zerstören.

"Stop! El, hör auf!" Eliott riss die Augen auf, als ihm jemand verzweifelt ins Gesicht schlug. Jenette und Nathan sahen ihn erschrocken an.

"Was war denn das? Ich dachte, du hattest noch nie Magiekunde!", flüsterte Jenette. Eliott sah sie verwirrt und etwas verlegen an.

"Wieso? Was ist denn passiert?", fragte er.

"Alle Elemente auf einmal, sogar Chaos. Sie sind wie in einem Strudel um dich herum gewirbelt!", erklärte Nathan nicht ohne Bewunderung. Eliott schluckte.

"Ist euch etwas passiert?", fragte er und Nathan lachte.

"Du hast gerade im Null Komma Nichts gelernt, alle fünf Elemente zu beherrschen und das Einzige, was dir Sorgen macht, ist, ob du uns verletzt hast?" Eliott zuckte verlegen mit den Schultern und Nathan schüttelte lachend den Kopf.

"Egal! Lass uns das hier schnell erledigen.", unterbrach Jenette sie. "Kannst du das noch mal machen, El? Also nicht alle Elemente, eines nur. Zum Beispiel Chaos, das beherrsche ich nur mühsam und Nathan noch gar nicht." Eliott nickte.

"Und wie?", fragte er unsicher.

"Stell dir diesmal nur das Chaos vor und versuch diese Magie dann über deinen Finger in den Stein zu leiten. Nathan und ich übernehmen die anderen Elemente. Versuche es erst einmal, ohne den Stein zu berühren." Eliott streckte wieder den Arm aus und stellte sich die Zerstörungswut des Chaos vor. Diesmal ließ er die Augen offen, so dass er sah, wie die Chaos Magie sich in Schlangenlinien seinen Arm runter wandt und an seinem Finger sammelte. Eine kleine purpurne, fast schwarze Kugel der Zerstörung. Eliott ließ sie wieder verschwinden.

"Cool!", stieß Nathan aus.

"Okay, los!" Jenette legte ihre Finger jeweils auf den blauen und roten Stein, Nathan auf den grauen und grünen und Eliott schließlich auf den purpurnen Stein. Kaum war ihre Magie in den Steinen, schossen aus der Mitte heraus über die Steine bunte Strahlen und weiteten sich über die ganze Tür Seite aus.

XVIII


 

Der Mensch trägt immer seine ganze Geschichte und die Geschichte der Menschheit mit sich.

~Carl Gustav Jung~
 

Vor ihnen erstreckte sich ein mittelgroßer, dunkler Raum, der nur von ein paar Kerzen erleuchtet wurden, die sich selbst entzündet hatten, als sie eingetreten waren. Stumm liefen die drei an den Regalwänden entlang und musterten die Bücher.

"Das verstehe ich nicht.", sagte Eliott plötzlich.

"Hm?" Nathan und Jenette blieben stehen und sahen ihn erwartungsvoll an.

"Ich dachte wir sind in Venedig? Wieso sind hier dann alle Titel auf Französisch. Oder auf Deutsch?" Nathan kicherte.

"Das hätte dir auch in der Bibliothek auffallen müssen!" Eliott sah ihn verwirrte an.

"Jeder sieht das Buch in der Sprache, die er versteht. Bei dir also Deutsch oder Französisch, wir sehen die Titel auf Italienisch, Deutsch, Japanisch, Englisch oder Russisch. Zumindest soweit unser Sprachgebrauch reicht.", fügte Jenette ihrer Erklärung schnell an.

"So viele Sprachen sprecht ihr?"

"In der Akademie muss jeder diese fünf Sprachen lernen."

"Wieso?"

"In Venedig, also Italien, liegt eines der sechs Hauptquartiere, die anderen sind in Deutschland, Japan, England, Amerika und Russland. Und dann gibt es noch einige kleinere Quartiere, aber die sind ziemlich verstreut."

"Ihr müsst all diese Sprachen lernen?" Eliott war einigermaßen entsetzt. Nathan schnaubte.

"Jupp. Aber freu dich nicht zu früh, sobald du in die Akademie kommst, musst du sie auch lernen. Du hast nur noch den Vorteil, dass Deutsch für dich fast Muttersprache ist und Italienisch dem Französischen sehr ähnlich kommt." Eliott schluckte.

"Englisch kann ich auch, wir haben eine Weile in England gewohnt. Aber lernt ihr noch irgendetwas anderes? Außer Sprachen, meine ich?" Nathan lachte und drehte sich wieder zurück zum Regal.

"Klar!", ertönte Jenettes Stimme von der anderen Seite des Regals. "Kommt mal her, Jungs. Das sind, glaube ich, genau die richtigen Bücher!" Eliott und Nathan rannten auf die andere Seite, wo Jenette auf einige Bücher deutete. Eliott nahm ein Buch mit dem Titel 'Eintritt in die Schattenwelt' in die Hand und blätterte etwas darin herum. Er stöhnte.

"Das kann doch nicht wahr sein!" Genauso wie in dem Buch, dass ihm Leonardo im Krankenhaus gegeben hatte, waren diese Buchstaben wahllos auf der Seite verteilt worden. Es ergab einfach keinen Sinn, was da stand. Nathan lugte ihm über die Schulter.

"Was ist denn das?", fragte er irritiert und riss Eliott das Buch aus der Hand.

"Keine Ahnung, ich dachte ihr wüsstet das vielleicht. Aber ich habe in meinem Zimmer noch so ein Buch liegen. Hat Leonardo mir im Krankenhaus gegeben."

"Krankenhaus?", fragte Jenette und Eliott winkte ab.

"Unwichtig."

"Hat Leonardo irgendetwas zu dem Buch gesagt?" Eliott schüttelte den Kopf.

"Es war allgemein total schräg. Er ist sofort wieder verschwunden."

"Hm." Jenette legte den Kopf schief. "Ich glaube, wir sollten den mal ein wenig hinterher spionieren. Ich habe nämlich gestern ein Gespräch zwischen Leonardo und einem Mann namens Julius Raiken belauscht, vor Leonardos Büro." Sie bedachte die Jungen kurz mit einem entschuldigenden Blick. "Ich weiß, macht man nicht. Aber sie hatten über dich gesprochen, El, und auch über irgendein Buch. Ich meine, ich kannte dich noch nicht, aber sie klangen total aufgebracht-"

"Mich?", unterbrach Eliott sie überrascht. "Was haben sie denn gesagt?"

"Naja, dieser Raiken hat Leonardo gefragt, wieso er dir das Buch schon gegeben habe und Leonardo meinte, dass er das gar nicht hätte, es läge immer noch bei ihm im Schrank. Der Raiken meinte aber, Eliott, also du, hättest mit dem Buch auf dem Schoß in seinem Büro im Krankenhaus gesessen und erzählt, dass Leonardo es ihm gegeben habe. Leonardo hat in seinem Schrank nachgeschaut, aber es war wirklich nicht mehr da. Und jetzt, haltet euch fest! Leonardo hat einen Zwillingsbruder und sie vermuten, dass also gar nicht Leonardo dir das Buch gegeben hat, sondern dieser Zwilling. Doch das seltsamste ist, dass dieser Zwillingsbruder schon seit vierzehn Jahren in Russland im Hochsicherheits Gefängnis sitzt!" Nathan sog scharf die Luft ein und Eliott riss ungläubig die Augen auf.

"Krass!", entfuhr es ihnen.

"In der Tat. Und noch seltsamer ist eigentlich... El, sie haben den Namen von diesem Bruder gesagt. Theodor Duchan, aber dass ist gar nicht Leonardos Nachname, so...-"

"Sondern meiner!", murmelte Eliott. Ihm war schwindelig von diesem ganzen Hin und Her. "Aber wie kann das sein? Leonardo heißt diCoro und ich habe meinen Namen von meinem Vater, Olliver Duchan. Dad hat keine Geschwister und Leonardo hat gesagt, er sei der Bruder meiner Mutter."

"Also dein Onkel!", schlussfolgerte Nathan. Eliott nickte irritiert.

"Und was ist, wenn Leonardo gar nicht der Bruder deiner Mutter ist, sondern der von deinem Vater?", schlug Jenette vor, doch Eliott schüttelte den Kopf.

"Wieso sollte er dann sagen, er sei ihr Bruder? Und außerdem weiß ich ganz sicher, dass Dad keine Geschwister hatte!"

"Stimmt. Und wenn Leonardo gar nicht diCoro heißt, sondern Duchan?"

"Aber wieso?" Eliott fuhr sich durchs dunkle Haar. "Das ergibt doch keinen Sinn!" Ein Piepen ließ sie alle zusammen zucken. Es kam von Jenettes Uhr.

"Schon drei! Wir müssen uns beeilen. Wir reden zu Hause weiter!", rief Jenette erschrocken und zog einige Bücher aus dem Regal, die sie in den Rucksack stopfte.

"Und da erklärst du dann auch die Sache mit dem Krankenhaus, Eliott.", fügte Nathan hinzu. Sie liefen zurück zur Tür, schlossen sie wieder, zogen die Steine heraus und legten sie auf den Tisch. Dann liefen sie weiter zu der Tür mit dem Totenkopf und schlossen auch diese hinter ihnen.

»Schon fertig, die Herren und Dame?", fragte er mit seiner schnarrenden Stimme.

"Ihnen auch noch eine schöne Nacht!", rief Eliott. Jenette stellte den Rucksack auf dem Scanner, damit dieser die Bücher erfassen konnte, riss ihn nach dem Piepen sofort wieder runter und sie rannten weiter.

"Was sollte das denn?", erkundigte sich Nathan.

"Sorry, bin etwas irritiert."

"Hört auf zu labern!", kommandierte Jenette. Sie standen auf der Piazza. "Da lang! Los! Dad fährt in einer Stunde ab, wir müssen das Armband rechtzeitig zurück bringen!" Sie rannten zurück zu dem Haus der Locksleys, schlichen unbemerkt rein und Nathan legte das Armband wieder an den alten Platz zurück. Als sie schließlich wieder in ihren Betten lagen, seufzten sie alle erleichtert auf. Der Rucksack war in Nathans Schrank versteckt.

"Das mit dem Krankenhaus und dem anderen Mysterium klären wir morgen!", hatte Jenette geflüstert, bevor sie in ihrem Zimmer verschwunden war. Jetzt musterte Eliott tot müde die Zimmerdecke über sich, dann schloss er die Augen und schlief sofort ein.

XIX

Wenn das Leben grau und trostlos ist, sei wie eine handvoll Bonbons- bunt und süß.

~Lewis Black~


 

"El! Hey, El!" Eliott konnte nur mühsam die Augen öffnen. Mit einem Brummen drehte er sich auf die andere Seite. "Komm schon, El. Mom hat Frühstück gemacht. Jenni und ich müssen gleich zur Akademie und du musst auch zurück zum Orden." Nathan riss ihm mit einem Ruck die Decke weg. Mit einem Schlag fiel Eliott alles wieder ein. Das seltsame Abendessen, der nächtliche Raubzug, der Magie Crash-Kurs und die seltsamen Geheimnisse über Leonardo und dessen Zwillingsbruder. Er setzte sich auf und starrte Nathan finster an.

"Hey, ich bin ja auch müde!", verteidigte dieser sich. Er hatte Augenringe. "Aber mein Schlafanzug steht dir wirklich gut. Zwar etwas groß, aber das sieht ja keiner." Eliott knurrte erneut und schwand sich aus dem Bett. "Du weißt ja, wo Bad und Küche sind." Mit diesen Worten verließ Nathan das Zimmer. Eliott ging ins Bad, duschte kurz, zog sich seine Klamotten an und musterte sich dann im Spiegel. Es war fünf Uhr morgens und er war bei weitem kein Frühaufsteher. Außerdem hatte er gerade einmal zwei Stunden geschlafen. Auch er hatte Augenringe, die nicht zu übersehen waren. Er spritzte sich noch etwas eiskaltes Wasser ins Gesicht, dann verließ er das Bad und ging runter in die Küche. Der Duft von Pfannkuchen verteilte sich im ganzen Haus.

"Ah! Guten Morgen, Eliott!" Emily Locksley zog ihn in eine sanfte Umarmung und drückte ihn dann auf einen der Stühle. "Iss soviel du kannst!", befahl sie und stellte sich wieder an den Herd. Nathan schlang die Pfannkuchen förmlich in sich hinein, während Jenette geistesabwesend in einem Buch mit dem Titel 'Magie für Fortgeschrittene - Jahrgang Gold' blätterte und mit ihrer Gabel lustlos herum stocherte.

"Alles okay?", fragte Eliott vorsichtig. Nathan nickte fröhlich, während Jenette trostlos den Kopf schüttelte.

"Sie schreibt heute eine Arbeit und hat vergessen zu lernen." Er lachte leise.

"Das ist nicht witzig, du Volltrottel! Ich habe einmal vergessen zu lernen. Du lernst nie! Ich frage mich wirklich, wie du die Tests trotzdem bestehen kannst" Es war ihnen nichts von der gestrigen Aktion an zu merken.

"Hört auf zu streiten, Kinder, und beeilt euch lieber. Ihr kommt sonst noch zu spät!" Sie schob Nathan, Jenette und Eliott jeweils eine Brottüte und einen Apfel zu. "Für zwischendurch", flüsterte sie verschwörerisch "Und jetzt hopp!"

"Moment, Eliotts Rucksack steht noch in meinem Zimmer.", rief Nathan und sprang auf. Der Rucksack mit den Büchern.

"Aber er hatte doch keinen Rucksack dabei!", sagte Mick und Jenette warf ihm schnell einen strengen Blick zu.

"Das hast du doch gar nicht gesehen. Du hast dich ja gleich auf Paps gestürzt!" Nathan kam mit der schweren Tasche zurück und ließ sie im Flur erstaunlich leise auf den Boden sinken.

"Nun, Eliott." Emily Locksley zog ihn wieder an sich. "Es war mir eine Freude, dich bei uns zu haben! Besuch uns doch bald wieder! Aber jetzt, ab die Post. Sonst kommt ihr wirklich noch zu spät." Jenette verdrehte die Augen, schnappte sich ihre Brottüte und ging mit Eliott und Nathan zur Haustür.

"Tschau, Mom und Mick!", riefen die Geschwister. Und ein zweistimmiges "Tschüss!" kam zurück.
 

Eine Weile lief das Trio stumm die noch immer nassen Straßen entlang. Eliott betrachtete die Gondeln, die auf dem Wasser schwankten. Das Gewicht des Rucksacks drückte schwer auf seine Schultern. Es war Jenette, die ihn schließlich aus seiner Träumerei riss.

"Wie war das jetzt mit dem Krankenhaus und woher ist diese grässlich Wunde in deinem Gesicht?" Eliott seufzte. Sie hatten es nicht vergessen. Leider!

"Ich hatte einen Asthmaanfall. Und das Teil hat Raza-ãk mir im Wald verpasst kurz bevor ich hier her gekommen bin.", erklärte er knapp und mehr wollte er eigentlich auch nicht sagen.

"Du bist Asthmatiker?", fragte Nathan erstaunt. Eliott antwortete nicht.

"Hm." Nathan sah seinen Freund von der Seite an. Eliotts Blick war starr nach vorne gerichtet und seine Mundwinkel zuckten. "Weißt du, ich habe auch ein Geheimnis, dass mir irgendwie ziemlich unangenehm ist. Naja, also eigentlich ist es garnicht mehr so geheim, fast die ganze Schule weiß es, aber...-"

"Was er eigentlich sagen wollte, war, dass er schwul ist, Eliott.", unterbrach Jenette Nathans herum Gedruchse. Er sah sie empört an, doch sie ignorierte das gekonnt. "Und ich habe mich früher immer mit jedem geprügelt, der mir blöd kam." Erstaunlich, für ein Mädchen.

"Paps hat ADHS, oder zumindest könnte man das denken. Mom... Ja, Mom ist eigentlich perfekt. Und Mick ist eine totale Nervensäge. Du siehst, wir sind so gut wie alle total komisch und seltsam. Da hingegen bist du harmlos!", ergänzte Nathan. Eliott lächelte.

"Ich bin Erbe eines Millionenreichen, toten Franzosen!" Sie lachten.

"Du hast recht, das toppt alles!", rief Jenette lachend.

"Und ich habe eine Schwäche für Zitate.", fügte Eliott noch hinzu. Nathan sah ihn interessiert an.

"Zitate?"

"Unterschätze nicht die Macht der Worte. Sie können schlimme Dinge meinen, aber sie können dich genauso dorthin tragen, wo du glücklich bist. Von Lewis Black. Ich habe ein Heft, in dem ich Zitate sammel."

"Okaaaaay?! Das IST schräg!", entschied Nathan und Jenette nickte zustimmend. "Und die lernst du alle auswendig?"

"Mache Zitate sind sehr aufbauend. Ich lese sie gerne und irgendwann haben sie sich halt eingeprägt." Eliott zuckte mit den Schultern. "Wollt ihr noch mehr peinliche Sachen hören?"

"Das ist doch nicht peinlich!", protestierte Jenette. "Eher... niedlich!" Eliott lächelte.

"Ich kaue an den Fingernägeln, wenn ich nervös bin.", gab Nathan preis.

"Ich auch!", lachte Eliott. "Macht das nicht jeder?"

"Ich nicht!" Jenette zeigte ihnen ihre langen, rosa lackierten Fingernägel. Im Gegensatz zu ihren schwarzen Jeans und der schwarzen Lederjacke war das ein krasser Kontrast, passte aber gut zu ihrem rosa Top. Eliott und Nathan streckten ihre Hände vor und zeigten ihr die ab geknabberten Fingernägel. Jenette lachte und zog die zwei in das große Gebäude der Basilica San Marco, dessen orientalisch anmutender Stil jetzt im Sonnenlicht sehr gut zu sehen war. Als die schweren Tür hinter ihnen zu fiel, blieb Eliott abrupt stehen.

"Guten Morgen, Eliott.", begrüßte Leonardo ihn scharf. "Ich glaube, wir haben etwas zu besprechen." Nathan und Jenette lösten sich langsam von ihrem Freund und lächelten aufmunternd, während Leonardo Eliott hinter sich her zog.

XX

Mach dir nicht die Mühe, besser zu sein als deine Zeitgenossen oder deine Vorfahren. Versuche nur, besser zu sein, als du selbst.

~Wiliam Faulkner~


 

"Wo warst du?", fragte Leonardo scharf und schlug die Tür hinter sich zu.

"Bei den Locksleys.", antwortete Eliott knapp. Als Leonardo sich hinter seinen Schreibtisch setzte und Eliott bedeutete, ebenfalls Platz zu nehmen, blieb dieser jedoch stehen.

"Und wieso?" Leonardo durchbohrte ihn fast mit seinen Blicken. "Du schleichst dich einfach davon, bist dann die ganze Nacht weg, ohne eine Nachricht zu hinterlassen-"

"Du bist nicht mein Vater!", platze es aus Eliott heraus. Leonardo verzog das Gesicht, was von Eliott nicht unbemerkt blieb.

"Aber nach dem Tod deiner Eltern bin ich als dein Onkel nun für dich zuständig."

"Bist du überhaupt nicht! Ich kann gut auf mich alleine aufpassen!", rief Eliott laut. "Du hast mir gar nichts zu sagen!"

"Und ich habe mir trotzdem Sorgen gemacht!" Nun wurde auch Leonardo ziemlich laut und er sprang auf. "Und ich bin sehr wohl für dich zuständig, auch wenn es rechtlich noch nicht geklärt wurde!" Eliott schnaubte, erwiderte aber nichts mehr. Langsam setzte sein Onkel sich wieder. "Entschuldige bitte." Eliott nickte und setzte sich nun doch.

"Ich habe Nathan und Jenette in der Bibliothek kennengelernt.", erklärte er. Leonardo sah überrascht aus.

"Dann hast du also schon dein Armband!" Eliott zeigte ihm das breite Lederband mit dem Bronzestein an seinem Handgelenk. "Komisch. Alison meinte, du wärst nicht in der Bibliothek gewesen."

"Ich war sauer auf dich.", erwiederte Eliott nüchtern. "Ich habe sie gebeten, nichts zu sagen. Sie hat mir alles über die Bibliothek erzählt und dann kam Timothy und hat mich zum Essen eingeladen." Er war immer noch etwas verwundert über diese Aktion, doch Leonardo lachte nur, als würde ihm das ziemlich bekannt vorkommen.

"Jaja. Timothy und seine Spontanität. Daran wirst du dich gewöhnen müssen, wenn du dich mit den Locksleys angefreundet hast!"

"Das hat Jenni- Jenette auch gesagt." Eliott versuchte das Thema von der vergangenen Nacht abzulenken. "Sie haben auch gefragt, wann ich in die Akademie komme. Wieso hast du mir davon nichts gesagt?" Leonardo seufzte.

"Eliott, du bist ohne jegliche Magie Kenntnisse aufgewachsen. Ich wollte dich nicht in den Unterricht stecken, in dem du möglicherweise ewig hinterher hängen wirst. Aber es freut mich zu hören, dass du das Thema Magie nicht mehr so ablehnst!" Eliott zog verärgert die Stirn kraus und konzentriere sich auf den Bücherstapel auf Leonardos Schreibtisch. Ganz langsam erhob sich der Stapel in die Luft und wankte zum Regal. Etwas unsicher flog ein Buch nach dem anderen in entsprechende Lücken. Nur das letzte Buch knallte mit einem leisen Seufzer schließlich auf den Boden. Leonardos Mund stand offen und sein Blick wanderte zwischen Eliott, dem Schreibtisch und dem Regal hin und her.

"Jenette hat mich einem Magie Crash-Kurs unterzogen.", erklärte Eliott etwas erschöpft, aber trotzig. Es war doch anstrengender, Magie zu verwenden, als er gedacht hatte. Letzte Nacht hatte er es kaum gemerkt, doch jetzt...

"Erstaunlich!", murmelte Leonardo. "Habt ihr nur mit Luftmagie geübt oder-"

"Mit allen."

"Mit allen?! Auch Chaos?"

"Ja."

"Erstaunlich!", sagte Leonardo erneut. Er schmunzelte. "Ich denke mal, sie wollen, dass du schnell in die Akademie kommst, oder?" Eliott nickte schulterzuckend. "Wie gut beherrschst du die Elemente?"

"Ich weiß es nicht. Aber Nathan und Jenette waren ziemlich erstaunt, dass ich gleich beim ersten Mal alle fünf geschafft habe." Leonardo runzelte die Stirn.

"Mach es noch einmal!", forderte er. Eliott war irritiert.

"Was?"

"Beschwöre noch einmal die Elemente. Alle fünf!" Eliott blinzelte verwirrt, stand aber auf, streckte seinen Arm aus und versank erneut in Gedanken und der Vorstellung, wie die Elemente wirkten. Er hatte die Augen wieder offen und sah, wie sich die Elemente in Schlangenlinien um ihn herum wanden und immer schneller wurden, um schließlich in einem bunten Strudel um ihn herum zu wirbeln. Ein Schweißtropfen rann ihm über die Stirn, doch er ignorierte ihn und hielt den Strudel aufrecht. Erst als Leonardo sanft "Es reicht jetzt, El." sagte, brach der Magiestrom ab. Er fiel zurück auf den Stuhl.

"Es ist anstrengend, oder?", fragte Leonardo, als Eliott wieder zu Atem gekommen war. "Aber daran gewöhnt der Körper sich nach einigen Übungen." Eliott antwortete nicht und Leonardo musterte seinen Neffen. Das dunkle Haar klebte ihm in der Stirn, er hatte Augenringe und Leonardo fragte sich, ob er blasser als sonst war.

"Geht es dir gut?", fragte Leonardo und Eliott nickte energisch. Eine Weile hing Schweigen zwischen ihnen.

"Kann ich dann jetzt auf die Akademie?", fragte Eliott endlich. Leonardo kniff die Augen zusammen.

"Heute noch nicht, es ist sowieso Donnerstag. Ab Montag!", sagte er nachdenklich. "Aber ich möchte, dass du vorher noch einmal zu Dr. Raiken gehst." Wut blitzte in Eliotts Augen auf.

"Wieso?"

"Nur für einen kleinen Check. Ganz harmlos.", beruhigte Leonardo ihn. "Doch El, wenn du auf die Akademie möchtest, wirst du dort einem Haus zugeteilt und dir dort auch mit jemanden ein Zimmer teilen. Du bist dann nur an dem Wochenenden zu Hause." Er wollte eigentlich nicht, dass Eliott schon in die Akademie ging. So lange hatten sie sich nicht gesehen, solange waren sie voneinander getrennt. Für Eliott bedeutete es nichts, aber Leonardo...

"Das ist okay. Ich habe eh kein zu Hause mehr." Eliott stand auf und ging zur Tür. Doch er öffnete sie noch nicht. Das Gespräch zwischen Dr. Raiken und Leonardo war ihm wieder eingefallen. Das, das Jenette belauscht hatte. Er drehte sich noch einmal um. "Wie heißt du nochmal mit Nachnamen, Leonardo?", fragte er. Leonardo schwieg einen Moment.

"Mein Familienname lautet diCoro.", antwortete er trocken. "Und jetzt geh bitte."

XXI


 

Wenn der Mensch verliebt ist, zeigt er sich so, wie er immer sein sollte.

~Simone de Beauvoir~
 

"Und?" Nathan und Jenette sahen Eliott erwartungsvoll an. Er war nach dem Gespräch direkt zum Eingang der Bibliothek gegangen, noch nicht hinein, da er sich nicht sicher war, ob sie mit dem Rucksack, den Jenette hatte, rein konnten. Jetzt war es kurz nach zwölf, der Unterricht war zu Ende und auch sie waren direkt zur Bibliothek gekommen.

"Alles okay.", winkte dieser ab. "Er weiß nichts." Die Geschwister atmeten erleichtert auf. "Ich habe ihn übrigens auch wegen den Akademie gefragt. Ich darf erst Montag." Es war Donnerstag, er musste also nicht mehr allzu lange warten.

"Yeah!", jubelte Nathan. Auch Jenette lächelte, drückte ihm aber den Rucksack in die Hand, den sie ihm in der Basilica schnell abgenommen hatte, als sie Leonardo gesehen hatten.

"Wir können die Bücher nicht mitnehmen.", erklärte sie. "Mum oder Mick könnten etwas mitkriegen." Eliott nickte, das war verständlich. Natürlich lief er auch Gefahr, dass Leonardo oder irgendein anderer Magier die Bücher fand, aber erstens hatte er ein eigenes Zimmer (vorerst noch) und zweitens kannte er kaum jemanden. Ob es umgekehrt genauso aussah, war er sich jedoch nicht so sicher.

"Gehen wir in mein Zimmer? Da können wir ungestört reden!", schlug Eliott vor. Er fand sich jetzt viel besser zurecht in dem riesigen Gebäude und lotste seine Freunde ohne Probleme durch die Gänge. Sie ließen sich auf sein Bett fallen und Eliott legte die Bücher aus dem Rucksack neben sie.

"Hol mal dein Buch, Eliott!", wies Jenette an und nahm sich eines der Bücher. Sie waren alle auf diese seltsame Art geschrieben: die Buchstaben scheinbar wahllos auf der Seite verteilt. Eliott reichte ihr das Buch mit dem blauen Leder Umschlag.

"Ich habe keine Ahnung, wie man das lesen soll!", gab sie nach einiger Grübelei schließlich auf.

"Gib mal her!" Nathan riss ihr die Bücher aus der Hand, doch auch er wusste nicht weiter. Doch er hatte eine andere Idee. "Lasst uns noch einmal in die Bibliothek gehen! Vielleicht finden wir ja ein Buch über Geheimschrift."

"Nath, wir kommen nicht wieder in die Abteilung. Wir kommen höchstens in die Gold Abteilung. Wir haben nur unsere Armbänder!" Sie fuchtelte mit ihrem Armband vor seinem Gesicht rum. Bronze, Silber und Gold.

"Aber wir können drei Abteilungen durch forsten!", sagte Eliott und Nathan nickte.

"Genau das meine ich!", rief Nathan. Jenette blinzelte.

"Dann los!", rief sie. "Aber der Rucksack bleibt hier."
 

Sie liefen möglichst unauffällig in der Bronze Abteilung herum und als Jenette sicher war, dass keiner sie sah, packte sie die Jungs und zog sie in die Silber Abteilung. Dadurch, dass sie direkten Körperkontakt zu den Jungs hatte, konnte sie sie in die Abteilung 'schmuggeln', wie Nathan sie am Abend zuvor alle in die verbotene Abteilung gezogen hatte. Es standen einige Schüler in dem Gang, doch die hatten ihr Kommen garnicht bemerkt.

"Math hat gesagt, hier gäbe es Bücher über Geheimschriften.", flüsterte Jenette.

"Math? Wer ist das?"

"Mathew Kleratis. Jenni ist total in ihn verschossen!", feixte Nathan. Jenette wurde rot.

"Konzentration.", murmelte Eliott unbeteiligt und entfernte sich von den Beiden. Es dauerte nicht lange, bis sie sich alle wieder gefunden hatten. Sie standen vor einem eher kleinen Regal mit der Überschrift 'Geheimschriften und Altschrift'.

"Da wären wir." Eliott zog eines der Bücher aus dem Regal und blätterte. "Es wird ewig dauern, bis wir das richtige Buch haben!"

"Nehmen wir einfach alle mit!", rief Nathan munter, doch Jenette schüttelte den Kopf.

"Maximal zehn Bücher, das weißt du doch, Nath!" Es waren genau dreizehn Bücher. Und sie liefen Gefahr, genau die zu erwischen, in denen die Schrift, die sie brauchten, nicht stand.

"Hey Jenni!" Die drei fuhren herum, während Jenette rot anlief. Vor ihnen stand ein ungefähr 1,75 großer, muskulöser Junge mit wirren, blonden Haaren und einem ziemlich verwegenen Grinsen. Er sah aus, als würde er jedem Moment einen Rückwärtssalto machen, es war ihm zu zutrauen.

"H-h-hey Math!", brachte sie heraus. "Was machst du denn hier?" Sie schob sich mit zitternder Hand eine Haarsträhne hinters Ohr, während Eliott und Nathan genervt die Augen verdrehten.

"Hab euch reinkommen sehen und da dachte ich, ich frage dich mal, ob ich mir dein Russisch Heft leihen kann. Ich war ja letzte Stunde nicht da."

"Klar, aber ich habe mein Heft im Spind. Ich bringe es dir nachher vorbei." Sein Grinsen wurde noch breiter.

"Klar. Weißt ja, Zimmer 6."

"Hm-hm." Nathan stieß sie etwas an und deutete mit einer kleinen Kopfbewegung auf das Bücherregal. Jenette blinzelte. "Math?"

"Ja?" Er legte den Kopf schief.

"Kannst du mir einen Gefallen tun und fünf Bücher für mich ausleihen? Ich gebe sie dir auch rechtzeitig zurück, aber ich habe bereits zwei Bücher zu Hause und brauche diese Bücher auch noch alle." Sie ließ ihren Finger über die dreizehn Buchrücken gleiten.

"Ich tue der Prinzessin furchtbar gerne ein Gefallen." Er zog mit einer geschmeidigen Bewegung fünf der Bücher aus dem Regal. "Ich warte am Spind auf dich.", hauchte er und ging. Jenette starrte ihm noch eine ganze Weile hinterher.

"Also echt. Und du hast Angst, dass er dich nicht mag? Er ist dir verfallen, Jenni. Mit Herz und Seele!", sagte Nathan. "So ein Affe!" Seine Schwester funkelte ihn böse an.

"Halt den Mund, Nathan!"

"Wir sollten vielleicht wirklich etwas netter zu ihn sein, Nath.", fügte Eliott trocken hinzu. "Immerhin hat sich dank ihm gerade unser kleines Problem gelöst."

XXII

Du bekommst niemals eine zweite Chance, um einen ersten Eindruck zu hinterlassen.

~Skodran Mustafi, Deutsche 11~

Es war mitten in der Nacht. Eliott saß auf seinem Bett, umgeben von den Büchern, die sie ausgeliehen hatten, doch er befasste sich gar nicht mit ihnen. Er dachte nach. Er machte sich Sorgen um Nanine. Seit ihrer Entführung und dem Tod seiner Mutter waren jetzt drei Tage vergangen. Und dann war ja auch noch Laura verschwunden. Er musste unbedingt in die Schattenwelt gelangen, koste es, was es wolle. Mit einem Seufzer wandte er sich dann doch den Büchern zu und schlug das erste auf.

"Das griechische Alphabet. Zählt das ernsthaft als Geheimschrift?", sagte er zweifelnd zu sich selbst. Müde rieb er sich die Augen, blätterte aber wieder in dem Buch. "Zaren Alphabet, Dynamik Fingerlesen..." Er griff zum nächsten Buch, blätterte es kurz durch und griff wieder nach einem anderen. Er gähnte wieder und sein Handy erinnerte ihn daran, dass es bereits wieder ein Uhr morgens war. Schon halb am Schlafen stopfte er alle Bücher zurück in den zweiten Rucksack und schob ihn zu dem anderen in seinem Kleiderschrank, bevor er sich ins Bett legte und innerhalb von wenigen Sekunden eingeschlafen war.
 

"Was willst du? Hör auf!" Eliott drehte sich um, als er Lauras Stimme hörte. Er stand in einer großen, dunklen Höhle, überall hingen Stalagmiten von der Decke und ragten aus den Wänden. "Wer bist du überhaupt?" Lauras Stimme schien von überall zu kommen, doch Eliott folgte dem einzigen Gang, den es gab. Dieser führte ihn in eine noch größere Höhle, die wie ein Thronsaal aussah. Ein riesiger Stein in der Mitte war zu einem imposanten Stuhl geschlagen und ihm saß Raza-ãk. Vor ihren Füßen lag Nanine, sie bewegte sich nicht. Eliott rannte zu ihr.

»Wir haben ja Besuch.«, hörte er Raza-ãk in seinem Kopf zischen. »Hallo mein Kleiner.« Eliott funkelte Raza-ãk böse an.

"Was hast du mit ihr gemacht? Und wo ist Laura?", brüllte er. Er drehte Nanine auf den Rücken, sie atmete.

»Oh, deine Schwester schläft nur. Sie bereitet sich vor. Und deine Freundin...« Sie winkte einem ihrer seltsamen, fast Menschlich aussehendes Schattenwesen, der Laura über der Schulter trug. Vor dem Thron ließ er sie fallen. Sie rappelte sich schnell wieder auf und funkelte Raza-ãk genauso böse an, wie Eliott es tat.

»Dein kleiner Freund besucht uns.« Die Hexe deutete auf Eliott und Laura sah verwirrt in seine Richtung. »Du kannst ihn nicht sehen oder hören, er träumt nur, er ist nicht wirklich hier.« Laura fauchte.

"Ich verstehe dich nicht, du blödes Miststück!"

»Nein, das tut sie wahrlich nicht.« Raza-ãk wandte sich wieder ihm zu. »Und jetzt verschwinde, Kleiner. Du hast lange genug spioniert!« Eliott jedoch schüttelte den Kopf.

"Worauf bereitet Nanine sich vor?" Raza-ãk zischte, sichtlich wütend, dass er nicht verschwand.

»Das geht dich nichts an!«, knurrte sie. Sie krümmte die Hand vor der Brust und zog sie dann schnell nach Vorne, als würde sie etwas wegscheuchen. »Wieso verschwindest du nicht?«, kreischte Raza-ãk. »Wieso bist du immer noch da?« Sie sprang von ihrem Thron auf. Eliott wich zurück, doch sie hatte schon seinen Hals gepackt und schüttelte ihn. »Verschwinde!« Und plötzlich fiel Eliott, in unendliche Dunkelheit...
 

Mit einem lauten Schrei fuhr Eliott hoch. Gehetzt sah er sich um, er war wieder in seinem Zimmer. Mit einem erleichterten Seufzer befreite er sich aus seiner Decke, die sich auf eine sehr seltsame Weise um ihn gewickelt hatte, und ging zum Fenster. Wie spät mochte es wohl sein. Er drehte sich um, um nach einer Uhr zu suchen.

"Zwei Uhr siebenundvierzig.", sagte plötzlich eine tiefe Stimme von der anderen Seite des Zimmers aus Richtung der Tür. Eliott machte erschrocken einen Satz zurück. "Du brauchst dich nicht zu erschrecken!" Jetzt trat die Person in das schmale Mondlicht. Der Mann trug einen dunklen Trenchcoat und hatte einen schwarzen Filzhut auf. Seine langen, dunklen Haare waren zu einem Zopf gebunden. Er sah Leonardo zum verwechseln ähnlich.

"Theodor Duchan.", sagte Eliott.

"Du hast von mir gehört." Der Mann klang überrascht.

"Allerdings. Sie haben mir im Krankenhaus das Buch gegeben, nicht wahr?" Theodor nickte.

"Das habe ich. Aber wie ich sehe, bist du noch nicht wirklich weiter gekommen."

"Wieso sind sie hier? Sollten Sie nicht in Russland im Gefängnis sitzen?" Theodor hüstelte und kratzte sich verlegen am Kopf.

"Sagen wir so... ich habe mich entlassen." Eliott zog ungläubig eine Augenbraue hoch.

"Und was wollen sie von mir? Schon wieder übrigens?", fügte er hinzu. "Und wie haben sie mich überhaupt gefunden?" Theodor sah Eliott lange und nachdenklich an, mit leicht schief gelegtem Kopf, als wäre er eine Katze und Eliott seine Beute und er würde überlegen, wie er sie töten solle.

"Du hattest einen Albtraum. So habe ich dich gefunden. Ich habe eine gewisse Neigung zu Albträumen, ich hab mich in Magiekunde eher mit Träumen beschäftigt und Albträume sind die stärkste und mächtigste Traum Art, die es gibt. Deswegen kann man damit ziemlich gut Leute aufspüren." Er stieß sich von der Wand ab. "Und hier bin ich, weil ich dachte, dass du vielleicht meine Hilfe brauchst."

XXIII

Wer die Geduld verliert, verliert die Kraft.

~Jérôme Boateng, Deutsche 11~

"Hilfe? Wie wollen Sie mir denn helfen?" Eliott beobachtete Theodor, während er sein Handy von Nachttisch nahm. Eine neue Nachricht von... Nathan.

"Wie weit bist du mit den Büchern?"

Eliott tippte schnell eine Antwort.

"Habe einen Nächtlichen Besucher, Theodor ist hier. Kommt ihr rum?"

"Du weißt wahrscheinlich nicht, wie du die Bücher, die ihr aus der Verbotenen Abteilung geklaut habt, lesen sollt.", antwortete Theodor, öffnete Eliotts Kleiderschrank und holte die beiden Rucksäcke heraus.

"Was? Heh! Lassen Sie das!", rief Eliott und machte einen Satz auf das Bett zu, doch Theodor packte seelenruhig weiter die Bücher auf das Bett. "Woher wissen Sie überhaupt, dass wir in der Verbotenen Abteilung waren? Und was soll das bitte?"

"Ich suche dein Buch."

"Das ist da garnicht drin!" Theodor sah auf.

"Nicht?"

"Nein, das muss ich ja nicht verstecken!" Theodor schmunzelte.

"Nein, wohl nicht. Aber wie wäre es, wenn du einfach Du zu mir sagst?" Eliott verzog das Gesicht und sammelte die Bücher wieder ein. Plötzlich wurde die Zimmertür aufgerissen und zwei Schatten stürzten sich auf Theodor und rangen ihn lautlos zu Boden. Eliott ging langsam zur Tür und schloss sie.

"Hey. E-Ey!", Theodors Stimme drang dumpf unter dem Wirrwarr aus Armen und Beinen hervor. Nach einiger Zeit lag Theodor gefesselt und geknebelt auf dem Boden.

"War das wirklich nötig, Nath?", fragte Eliott genervt. "Hätte es nicht gereicht, wenn ihr ganz normal durch die Tür gekommen wärt?" Nathan riss sich die Mütze vom Kopf und seine braunen Locken kamen zum Vorschein.

"Man, du kannst dem Gegner doch nicht einfach den Namen deines Komplizen verraten?!" Auch Jenette nahm sich nun ihre Mütze ab und kniete sich vor Theodor.

"Wir wollen alles wissen, klar? Alles!", sagte sie scharf und riss Theodor mit einem Ruck das Klebeband vom Mund. Doch der lachte nur.

"Hätte ich gewusst, dass Eliott so ruppige Freunde hat, hätte ich mich besser vorbereitet!" Jenette starrte ihn finster an.

"Wieso heißt du Duchan?" fragte sie. Theodors Gesicht verfinsterte sich schlagartig. "Wo du doch Leonardos Zwillingsbruder bist!"

"Wie viel wisst ihr, Kinder?", fragte er und versuchte sich aufzusetzen, wurde aber von Nathan wieder zurück gedrückt, als dieser sich auf ihn setzte.

"Genug!", antwortete Eliott an Jenettes Stelle und er bedeutete ihr, ihm das Reden zu überlassen. "Jenette hat ein Gespräch zwischen Leonardo und Julius Raiken belauscht, in dem es darum ging, wieso Leonardo mir das Buch bereits gegeben habe, ich habe dich im Krankenhaus nämlich für Leonardo gehalten.", erklärte er. "Allerdings hatte Leonardo mir das Buch garnicht gegeben, sie sind zu dem Schluss gekommen, dass du es mir gegeben haben musst."

"Das habe ich befürchtet!", sagte Theodor geknickt. Eliott schnaubte.

"Als ob das nicht von Anfang an klar war! Wieso heißt du Duchan? Das ist der Name meines Vaters!" Theodor nickte.

"Ja, das ist der Name deines Vaters. Aber vielleicht solltest du Leonardo selber fragen, der kann dir zu dem Thema bessere Antworten geben ans ich."

"Was machst du in meinem Zimmer?", fragte Eliott stattdessen und überging Theodors spöttischen Tonfall.

"Ich möchte euch helfen!"

"Wieso glaube ich dir bloß nicht." Eliott sah ihn finster an. "Liegt vielleicht daran, dass du mitten in der Nacht einfach in mein Zimmer kommst, uns möglicherweise schon länger hinterher spioniert hast und eigentlich in einem Hochsicherheits Gefängnis sitzen solltest?" Theodor biss sich auf die Lippe und nickte.

"Und was willst du jetzt machen?", fragte Nathan. Eliott schüttelte müde den Kopf.

"Ich schmeiße ihn raus. Und ihr geht bitte nach Hause." Nathan und Jenette protestierten.

"Wir müssen ihn noch weiter ausfragen!"

"Leute, ich glaube nicht dass eure Mutter sehr erfreut ist, wenn sie merkt, dass ihr nicht zu Hause seid!" Nicht ohne Grummeln verabschiedeten die Geschwister sich von Eliott, während der Theodor von seinen Fesseln befreite.

"Du willst mich einfach rausschmeißen?", fragte Theodor fassungslos.

"Ich bin müde!"

"Aber-"

"Und außerdem kannst du froh sein, dass ich dich nicht bei Leonardo abliefere.", zischte Eliott. "Wenn du uns wirklich helfen willst und wir deine Hilfe brauchen, kontaktieren wir dich. Irgendwie."Theodor stand auf.

"Dann sehen wir uns." Er machte eine knappe Verbeugung und verschwand in einer Rauchwolke. An seiner Stelle lag eine kleine, schwarze Visitenkarte. Eliott hob sie auf und sah zur Tür, wo immer noch Nathan und Jenette standen.

"Ich fasse es nicht, dass du uns einfach raus schmeißt!", meinte Jenette. Eliott runzelte die Stirn.

"Wir sehen uns morgen, aber ich muss jetzt nachdenken, ja? Gute Nacht, Leute."
 

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Eingesendete Charaktere:

Shiori Lunarit (16 Jahre), Silber Jahrgang im Hauptquartier von Venedig; von Shadowluna96


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hi *wink*
Ich bin noch neu hier und muss mich erstmal zurecht finden, vor allem mit der Formatierung.
Das Kapitel sieht doof aus... Ich hoffe, ihr versteht es trotzdem :3
Kann mir wer helfen?
Ich finde keine Anleitung! *help!* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Alle Kapitel werden von der Formatierung her Nathan noch einmal nach bearbeitet!
Nur ist die Geschichte eigentlich schon fertig (ich arbeite schon an Teil 2), also möchte ich mich etwas beeilen mit hoch laden :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hi nochmal ich :)
Ich wollte kurz sagen:
Wenn euch irgendwas an meiner Geschichte stört, besonders die Altersfreigabe, dann sagt mir das bitte sofort! Wann eine Geschichte zu brutal ist oder Andeutungen zu stark sind, weiß ich nicht. Daher bin ich immer etwas unsicher, wann 'Adult'
Also wendet euch da bitte zuerst an mich.
Keine Angst, ich beiße nicht! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das ist ausnahmsweise mal auf Adult, da ich unsicher bin, ob es als Gewalt zählt. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wie findet ihr die Zitate bisher?
Passend? Ja? Nein? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Bitte stellt die Frage! BITTEEEEEE Komplett anzeigen

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