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Auf geheimer Mission

Klassenfahrt nach New York
von

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Klasse, durchzählen!

„So, endlich … War das ein Flug …“ Usami-sensei wirkte noch gestresster als üblich, als die Klasse endlich all ihre Gepäckstücke vom Förderband aufgelesen und sich in der stickig-heißen Abendluft vor dem Flughafen versammelt hatte. „Sind alle da?“

Fünfzehn Augenpaare musterten sich prüfend gegenseitig. Ibuki, deren außergewöhnliche Haarpracht unordentlich in ihren Reisemantel gestopft war, fiel es zuerst auf. „Sensei! Nagito-chan ist nicht da.“

„Ha-wa-wa-was?“, rief ihre Lehrerin aus und zählte rasch ihre Schützlinge durch. „Aber wie kann er nicht da sein?“

„Wir waren so ziemlich die Letzten, die sich die Koffer geholt haben“, meinte Hajime. „Ich glaube kaum, dass er noch in der Ankunftshalle ist.“

„Nagito ist ein Unhold sondergleichen. Er scheint die geheime magische Beschwörung erlernt zu haben, mit der er seine Präsenz verschleiern kann“, stellte Gundham fest.

„Neben wem ist Nagito denn im Flugzeug gesessen?“, fragte Usami und klang mit jeder Silbe panischer.

Erwartungsvolles Schweigen. Neben niemandem, wie es aussah. Byakuya hatte nämlich zwei Plätze im Flugzeug beansprucht. Einerseits, weil er nur erste Klasse gewohnt war und etwas Freiraum nicht missen wollte. Andererseits, weil sich auch niemand neben ihn hatte zwängen wollen. Nagito war somit der Platz hinter ihm zugefallen. „Was für ein Glück“, hatte er noch gesagt, als er seine Bordkarte gemustert hatte. „Vielleicht sitzt niemand neben mir, dann kann ich mich auch ausbreiten.“

„War er überhaupt im Flugzeug?“, fragte Kazuichi. „Ich kann mich nicht erinnern, ihn gesehen zu haben.“

„Also, ich hab ihn gar nicht vermisst“, erklärte Hiyoko mit einem hämischen Grinsen.

Fuyuhiko schnalzte genervt mit der Zunge. „Also wirklich, mit dem hat man nichts als Ärger.“

„Ga-ga-ga-ganz ruhig“, stammelte Usami und wirkte dabei am unruhigsten von allen. „Wir werden der Sache auf den Grund gehen. Wer hat Nagito zuletzt gesehen?“

„In Los Angeles war er noch da“, berichtete Chiaki. „Glaube ich.“

„Da hab ich ihn auch zuletzt gesehen“, sagt Hajime. Sie hatten in LA drei Stunden auf ihren Anschlussflug warten müssen, und im Duty-Free-Shop hatte er Nagito noch gesehen.

„H-h-heißt das, der arme Junge ist immer noch auf der anderen Seite des Kontinents?“, rief Usami verzweifelt.

„Ich könnte ihn durch ein Wurmloch sofort hierher befördern“, verkündete Gundham mit einem listigen Grinsen. „Doch etwas scheint meine Kräfte heute einzudämmen. Es ist dieses Land, in dem Tag und Nacht nicht das sind, was sie zu sein vorgeben.“

Bei diesen Worten fühlte auch Hajime sein Jetlag und gähnte. Zumindest er war so müde, dass er sich keine großen Sorgen um Nagito machen konnte.

Anders als ihre Lehrerin. „Das ist eine Katastrophe!“, rief sie und eilte vor der Gruppe auf und ab. „Der Schulausflug hat gerade erst angefangen und ich habe schon einen Schüler verloren!“

„Rufen wir ihn doch einfach an“, sagte Fuyuhiko.

„Hat denn jemand von euch seine Nummer?“, fragte Mahiru.

Die Jungs sahen einander verdutzt an. Nagitos verschrobene Art ließ ihn ein wenig in die Außenseiterrolle der Klasse abdriften. Das und seine Überzeugung, die Gesellschaft der anderen nicht wert zu sein, ihnen nur die Luft zum Atmen wegzunehmen und überhaupt im Vergleich zu ihren strahlenden Talenten nur ein kümmerlicher Wurm ohne Zukunft zu sein, et cetera, et cetera. Jedenfalls schien er nie jemandem seine Handynummer gegeben zu haben, und es hatte sie auch nie jemand verlangt.

„Jungs“, murmelte Mahiru abfällig, als nach und nach herauskam, dass sich offenbar niemand genug um Nagito geschert hatte.

„Vielleicht ist er ja einem Organhändler in die Finger gefallen und liegt jetzt mit einer Niere weniger in einer dunklen Seitengasse“, kicherte Hiyoko.

„So ein Stuss!“, brüllte Nekomaru. „Wir werden Nagito sicher wiedersehen! Wir müssen nur quer durch die Vereinigten Staaten marschieren, und schon haben wir ihn wieder!“

„Können wir das auch morgen machen?“, fragte Akane. „Ich hab Hunger.“

„Hawawawa …“, murmelte Usami und trottete weiterhin auf dem Bürgersteig hin und her, als wollte sie sich schon für diese fragwürdige Unternehmung aufwärmen. „Ich bringe euch erst mal ins Hotel“, beschloss sie. „Und dann fliege ich zurück nach Los Angeles. Vertraut mir, eure Lehrerin wird Nagito ganz sicher finden!“

Die Begeisterung sowie die Zuversicht der Schüler hielten sich in Grenzen, bis ein paar von ihnen unverhohlen zu grinsen anfingen. Kazuichi klemmte Hajimes Kopf in seinen Ellbogen und zog ihn zu sich. „Ist dir klar, was das heißt?“, flüsterte er ihm ins Ohr. „Wir sind gleich auf einem Schulausflug in New York, in einem schicken Hotel, und ganz ohne Aufpasserin!“

Allein in New York

Nagito war natürlich fern jeder Verzweiflung. Sein plötzliches Verschwinden hatte sich so abgespielt: Nachdem er mit seinen Klassenkollegen den Duty-Free-Shop besucht hatte, war er auf die Flughafentoilette gegangen. Dort hatte er eine schwarze Katze gesehen. Was ihm aufgefallen war, war weniger, dass sie schwarz war, sondern dass überhaupt eine Katze im Los Angeles International Airport herumlief. Neugierig war er ihr gefolgt und hatte eine Sicherheitstür entdeckt, die offen stand, und dahinter einen ebenfalls offenstehenden Notausgang. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zufälle gemeinsam auftraten, war gleich null, daher hatte Nagito sich überlegt, was für ein unbeschreibliches Glück ihn erwarten würde, wenn er diesem schicksalhaften Pfad folgte.

Und wirklich; er folgte der Katze fort vom Flughafengelände und bis zu einer überdachten Bushaltestelle. Dort lag, eingeklemmt zwischen einem Abfalleimer und der Wand, ein Portemonnaie mit viertausend Dollar darin – und ohne einen Ausweis oder einen anderen Hinweis auf seinen eigentlichen Besitzer. Nagito war wirklich ein Glückspilz.

Als er jedoch zum Flughafen zurückging, fand er seinen Geheimweg verschlossen vor. Er musste den gewaltigen Komplex einmal umrunden, und ehe er wieder in die Wartehalle zu den anderen gelangte, hob bereits ihr Flugzeug ab. Irgendetwas schien beim Boarding schiefgegangen zu sein, denn es hatte keinen Aufruf gegeben, dass er noch an Bord gehen müsse.

Aber eigentlich hatte Nagito so etwas in der Art erwartet: Nachdem sein Glück ihm viertausend Dollar beschert hatte, hatte ein viel größeres Pech zuschlagen müssen – und nun saß er ohne seine Freunde und ohne Gepäck in Los Angeles fest. Der Grund, warum er nicht verzweifelte, war einerseits, dass Nagito immer an die Hoffnung glaubte, und andererseits, dass er wusste, dass dieses Ereignis wieder ein ungleich größeres Glück nach sich ziehen würde. Und er war schon gespannt darauf, was dieses Glück sein würde. So gespannt, dass er vor Aufregung zitterte, als er ziellos und pfeifend durch die Straßen von LA schlenderte.

 

Das Hotel war nicht sehr groß und mit fünfzehn Schülern beinahe ausgelastet. Und es war alles andere als luxuriös. Obwohl er wohl am erfreutesten war, dass ihnen eine Weile ohne ihre Lehrerin bevorstand, hatte Kazuichi an der Rezeption Radau geschlagen. „Das soll unser Hotel sein? Sensei, es ist eine Frechheit, dass jemand wie Sonia in einem Drei-Sterne-Hotel unterkommen soll!“

„Ich bin allerdings auch etwas anderes gewohnt. In so einem Etablissement bringt man eher gemeines Fußvolk unter“, beschwerte sich auch Byakuya.

Sie konnten wohl von Glück sagen, dass die Rezeptionistin kein Wort Japanisch verstand.

Sonia lächelte. „Ich danke dir für deine Betroffenheit, Kazuichi, aber ich finde einen derartigen Tapetenwechsel durchaus aufregend.“

„Ist doch ganz toll hier“, meinte Akane. „Es zieht nicht und es hat ‘n Dach. Reicht doch.“

„Fürwahr, verglichen mit den Baracken in dem äußeren Kreis der Hölle ist dieser Ort hier geradezu paradiesisch“, stellte Gundham fest.

Während die Schüler durcheinanderredeten, teilte Usami die Zimmerschlüssel aus und versuchte ihren Schützlingen ein paar Benimmregeln einzubläuen. Die wenigsten hörten ihr zu. „Es gibt Zwei- und Vierbettzimmer. Die Mädchenzimmer sind für die Jungen tabu und umgekehrt! Um zehn Uhr ist Bettruhe, und belästigt die anderen Gäste nicht!“

„Was ist mit dem Abendessen?“, fragte Akane.

„Oh, ah …“ Usami begann stärker zu schwitzen. „Ich wollte eigentlich mit euch allen in ein Bistro gehen zur Feier unserer Ankunft … Ähm … Wir holen das nach.“

„Was?“ Akanes Augen weiteten sich entsetzt. „Kein Abendessen? Aber ohne Abendessen sterbe ich!“

„Wäre ja gar nicht so schlecht“, meinte Hiyoko schnippisch.

Auch die anderen wurden nun aufmerksam. „Hä? Ohne Essen geht ja wohl gar nichts“, beschwerte sich Kazuichi.

„Der Mensch muss essen, wenn er was leisten will!“, brüllte Nekomaru die halbe Hotellobby zusammen. „Ohne regelmäßige Mahlzeiten kann man nicht ordentlich sch…“

„In Ordnung!“, unterbrach ihn Usami. „Sensei gibt euch die Erlaubnis, euch in einem Supermarkt oder so etwas zu kaufen! Aber geht dann auf direktem Weg wieder hierher und bummelt nicht. Um zweiundzwanzig Uhr ist Bettruhe! Ich … ich muss den Flug erwischen!“

Damit eilte sie davon und ließ die fröhliche Gruppe in der Lobby stehen.

„Ist irgendwas nicht in Ordnung, Gundham?“, fragte Hajime. Sein Klassenkamerad starrte seit geraumer Weile eine Familie an, die auf der zerschlissenen Couch in der Lobby saß – Vater, Mutter und ein kleines Mädchen. Die wiederum musterten die Neuankömmlinge ebenso misstrauisch.

„Ich spüre dunkle Schwingungen von diesen Unholden“, erklärte Gundham. „Ihre stechenden Blicke schweifen des Öfteren über uns wie die kalten Finger des Nordwinds.“

Für Hajime waren diese Leute ganz normale Hotelgäste. „Naja, das ist wohl kein Wunder“, meinte er. „Wir fallen eben auf. Wir sind hier Ausländer, und wir haben nicht nur einen bunten Hund, sondern gleich mehrere.“

„Ooookay! Auf zum Essenfassen!“, rief eben Akane gut gelaunt aus und stieß die Faust in die Luft.

„Hast du überhaupt Geld mit?“, fragte Hiyoko.

„Wieso Geld? Das ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, hab ich gedacht.“ Akane grinste.

„Du bist echt so hohl, dass es weh tut!“, stöhnte die Kleinste der Gruppe.

„Heißt das, ich kann mir doch nichts zu essen kaufen?“, fragte die Sportlerin ängstlich.

„Natürlich nicht, du Genie!“, knurrte Fuyuhiko gereizt.

„Hört sofort auf zu streiten!“, sagte Mahiru forsch.

„Ruhe!“, brüllte Nekomaru. „Ihr stört die anderen Hotelgäste!“

Hajime seufzte. Das konnte ja heiter werden.

 

Nagitos Glück würde kein Ende nehmen. Gerade war es dabei sich in schwindelerregende Höhen zu schrauben. Das musste so sein, weil er, seit er in LA gestrandet war, ständig Pech gehabt hatte.

Zuerst hatte es zu regnen begonnen. Er hatte Zuflucht in einer kleinen Einkaufsmeile gefunden, wo sich Stand um Stand mit Snacks und Fastfood drängten. Bei dem Anblick hatte sein Magen zu knurren begonnen. Da Geld das Einzige war, was er besaß, hatte er seine Englischkenntnisse zusammengekratzt und sich bei einem der Stände einen Hot Dog bestellt. Zu seinem Pech hatte der Verkäufer ihn nicht ganz verstanden, denn irgendwie drückte er ihm nicht nur Unmengen einer Spezialsoße auf das Würstchen, die so scharf war, dass er es kaum essen konnte; er verlangte auch ganze vierzehn Dollar dafür! Vielleich wollte er auch einfach nur einen Touristen abzocken.

Nun war Nagito mit einem kaum essbaren, hoffnungslos überteuerten Hot Dog unterwegs, der ihn immerhin aufwärmte. Aber gerade, als er die Schärfe als Mittel gegen das schlechte Wetter zu schätzen gelernt hatte, hörte es auf zu regnen.

Es war allmählich dunkel geworden, und Nagito musste sich langsam nach einem Platz zum Schlafen umsehen. Die Straßen, in denen er sich befand, waren breit, die Häuser hoch, er fühlte sich wie in einer Schlucht aus Beton und Glas. In dem Stadtteil, in den er gewandert war, gab es auch wesentlich weniger Etablissements, in denen er die Nacht verbringen konnte – oder die zumindest auf den ersten Blick so aussahen, als böten sie Zimmer an. Während er also die verwaisten Straßen entlang trottete und den Wasserpfützen auswich, kam ihm erneut der Gedanke, dass er wirklich gehöriges Pech hatte und dass das folgende Glück grandios sein musste. Er begann sich bereits auszumalen, worum es sich handeln könnte.

Vielleicht war ja der Flieger nach New York abgestürzt, und er war nur knapp dem Tod entronnen. Das wäre zum Beispiel ganz außerordentliches Glück – andererseits hätte die Maschine dann sine Klassenkameraden mit in den Tod gerissen, und deren Leben waren viel mehr wert als seines. Aber vielleicht waren sie ja auch nicht an Bord gewesen … Irgendwie machte sich in Nagitos übermüdeten, chilibenebelten und vom Jetlag geplagten Verstand der Gedanke breit, dass die anderen ebenfalls ihren Flug verpasst haben könnten, weil sie ihn suchen gegangen waren. Das wäre ganz eindeutig mehr, als er verdient hatte, aber bei so viel Pech in letzter Zeit war es gar nicht so unwahrscheinlich.

Wenn das der Fall war, dann musste er sie schleunigst finden, um nicht noch mehr von ihrer kostbaren Zeit zu rauben. Es war dumm gewesen, einfach vom Flughafen fortzumarschieren. Er hätte sich gleich einen anderen Flug nach New York leisten sollen. Andererseits war es vielleicht auch gut gewesen, dass er es nicht getan hatte, denn wenn die anderen nun hiergeblieben waren und er allein nach New York geflogen wäre … Erst musste er also feststellen, ob sie ihn in LA suchten.

Er versuchte, den Straßenschildern zum Flughafen zurück zu folgen, doch das erwies sich als schwierig. Also fragte er Passanten nach dem Weg. Das Flughafengelände kam irgendwann in Sicht, und er gelangte zu der Überzeugung, dass die amerikanischen Bürger alle hochanständig waren und ihm, der er im Vergleich zu seinen Klassenkollegen ein Nichts war, den richtigen Weg gewiesen hatten. Also beschloss er, sein Glück noch einmal auf die Probe zu stellen.

In einer Seitengasse lungerten zwei Männer herum und rauchten. Sie grinsten, als er sich ihnen näherte. „Lost your way, boy?“, fragte der eine. Er hatte dunkle Haut und eine Glatze und trug eine Sonnenbrille, obwohl es längst finster war. Die Straßenlaterne spiegelte sich in den Gläsern.

„No … I am looking for someone“, erklärte Nagito lächelnd. Die Männer grinsten breiter, als sie seinen Akzent bemerkten.

„Well, you found someone.“ Die beiden Männer flüsterten einander etwas zu und nickten.

Nagito wusste natürlich nicht, wer die beiden waren. Sie waren niedere Handlanger des Verbrecherbosses, der die Unterwelt von diesem Teil von Los Angeles beherrschte. Und auch sie suchten jemanden: Ein Kontaktmann der chinesischen Mafia sollte heute mit seiner Maschine landen. Nagitos Glück hatte ihn zu den beiden einzigen Menschen in Los Angeles geführt, die auf einen ihnen unbekannten jungen Mann asiatischer Herkunft warteten.

Noch nichts von diesem Glück ahnend, versuchte er ihnen sein Anliegen darzulegen. Müdigkeit und Chili raubten ihm einen Gutteil seiner Englischkenntnisse, also brachte er nur ein Wirrwarr über die Lippen, in dem es um Hoffnung, Verzweiflung, Klassenkameraden, und Glück ging, und irgendwo mittendrin schaffte er es zu erwähnen, dass er aus einem Flieger aus Japan gestiegen war.

Die beiden Männer, die wussten, dass ihr Kontaktmann über Tokio fliegen würde, sahen einander an. Dann beschloss der eine, die Sache abzukürzen: „Mafia?“, fragte er schlicht. Wenn dieser Junge nicht ihr erwarteter Kontaktmann war, würde ihn das Wort hoffentlich in die Flucht schlagen.

Nagito strahlte. Chili und Müdigkeit ließen ihn sofort an Fuyuhiko denken – die beiden hatten seine Klassenkameraden gesehen! Sie waren tatsächlich hiergeblieben, um ihn zu suchen! „Yes!“, sagte er erleichtert.

Wieder nickten sich die Männer zu und reichten ihm eine kleine Straßenkarte. Der Schwarze erklärte ihm, um welche Zeit er an dem eingezeichneten Ort erscheinen sollte. Dann verschwanden sie in den Schatten der Gasse und Nagito war froh, eine Spur gefunden zu haben, die ihn wieder mit seinen Freunden zusammenführen würde.

 

Nagitos Klassenkameraden hatten es sich einstweilen im Hotel gemütlich gemacht. Usami war abgereist, sie hatten sich typisch amerikanische Snacks gegönnt – vor allem Sonia hatten die vor Fett triefenden Burger, Hot Dogs und Pommes es angetan, sodass Kazuichi Hajime schon seine Bedenken wegen ihrer Figur ins Ohr geflüstert hatte – und nun hatten sie es sich in ihren Hotelzimmern gemütlich gemacht. Das Hotel hatte drei Stockwerke, sah man vom Erdgeschoss ab, in dem es keine Gästezimmer gab. Ihnen gehörte der zweite Stock allein, und Gundham und Teruteru schliefen in einem Zimmer im ersten Stock.

Gegenwärtig hatten sich die meisten von ihnen im Viererzimmer von Hajime, Kazuichi und Fuyuhiko versammelt. Da sie es ursprünglich nur zu dritt hätten bewohnen sollen, hatte Byakuya darauf bestanden, ein Zweibettzimmer für sich zu bekommen, und Nekomaru wurde zwangsläufig zu ihrem Zimmergenossen. Momentan aßen sie Snacks und spielten ein Kartenspiel. Auch Chiaki hatte sich bereits zu ihnen gesellt, als sie das Wort Spiel gehört hatte.

Es klopfte zaghaft. „Herein!“, rief Nekomaru.

„Hey, tu nicht so, als wär das dein Zimmer. Du bist nur zwangsversetzt worden“, erinnerte ihn Fuyuhiko.

Die Tür öffnete sich und Mahiru steckte den Kopf herein. In Händen trug sie ein Brettspiel und ebenfalls mehrere Packungen Chips. Sie rümpfte die Nase. „Hier müffelt es.“

„Kann doch gar nicht sein, wir sind ja eben erst hier eingezogen“, beschwerte sich Kazuichi.

An Mahiru vorbei drängte sich Ibuki. „Jahallo!“, begrüßte sie die anderen gut gelaunt. „Was habt ihr zu naschen gekauft?“

Auch Hiyoko ließ sich dazu herab, das Zimmer zu betreten. „Gummibären und so sind für mich!“, verkündete sie freudestrahlend.

Schließlich schlich auch Mikan wie ein scheues Reh ins Zimmer. „D-d-darf ich wirklich auch dabei sein?“

„Du verschwinde“, sagte Hiyoko. „Hier ist eh schon so wenig Platz.“

„Na, na, sei mal nicht so“, lachte Nekomaru. „Tritt ein, Mikan! Machen wir uns einen schönen Abend!“

„Ähm … okay … Aber wenn ich störe … dann sagt es bitte sofort …“ Mikan trottete schon jetzt wie ein getretener (und nasser) Pudel ins Zimmer, in dem nun wirklich allmählich der Platz ausging.

Mahiru, die als Einzige noch in der Tür stand, seufzte. „Ihr wisst schon, dass wir dafür richtig großen Ärger kriegen können? Usami-sensei hat gesagt, wir Mädchen dürfen nicht in ein Jungenzimmer.“

„Sei nicht so eine Oberstreberin“, motzte Kazuichi. „So was gehört doch zu jedem Schulausflug. Das tun Schüler überall auf der ganzen Welt, hab ich nicht recht?“

„Sehe ich auch so“, erklärte Hajime. „Außerdem wird sie es nie erfahren.“

Mahiru seufzte, trat dann aber doch ein und warf ihre Snacks auf den Haufen mit dem Essen.

„Okay, okay, okay, was spielen wir? Was spielt ihr denn gerade?“ Ibuki beugte sich interessiert über Hajimes Blatt.

„Da fällt mir ein, kommt Sonia nicht?“, fragte Kazuichi etwas enttäuscht.

„Keine Ahnung. Ich hab ihr Bescheid gesagt, aber sie hat gemeint, sie wolle Gundham bei etwas helfen“, meinte Mahiru schulterzuckend.

„Was? Wieso? Was will sie denn bei schon wieder bei dem?“, ereiferte er sich.

„Setzt dich wieder hin, du Bastard“, schimpfte Fuyuhiko, „und schau mir nicht in die Karten!“

„Ich gehe sie suchen!“

„Ganz ruhig, Kazuichi“, versuchte Hajime ihn zu beruhigen. „Die werden schon nichts anstellen.“

„Anstellen?“, quiekte er. „Was meinst du mit anstellen?“

„Ich hab gesagt, sie werden nichts …“

„Was stellst du dir unter anstellen vor?“, schnappte Kazuichi.

„Du klingst wie ein kleines Ferkel“, kicherte Hiyoko und mampfte Gummibären. Sie lag bäuchlings auf Kazuichis Bett und ließ die Beine schaukeln, als amüsierte sie sich königlich.

„Wahrscheinlich spannt er sie für ein dämonisches Ritual oder so ein. Können wir jetzt weiterspielen?“, fragte Fuyuhiko.

„Niemals! Ich gehe sie sofort suchen!“

„Na, wenn’s nicht anders geht.“ Hajime seufzte und sammelte die Karten ein. „Wir spielen einstweilen was anderes. Du kannst Sonia und Gundham ja auch gleich einladen.“

„Solange ihr Akane nicht auch einladet“, murmelte Hiyoko. „Die frisst uns sonst wieder die ganzen Snacks weg.“

Nachdem Kazuichi aus dem Raum gestürmt war, ging Fuyuhiko nach draußen auf den Balkon, weil es ungeheuer stickig in dem Zimmer geworden war. Dort betrachtete er die Sterne – oder zumindest das, was er gegen die Stadtlichter davon sah. Betrachtete man die Stadtlichter selbst, sah New York bei Nacht ja gar nicht sooo viel anders aus als Tokio.

Ein Geräusch neben ihm ließ ihn herumfahren. „Du bist es“, seufzte er erleichtert. Seine angeborenen Yakuza-Instinkte hatten ihn schon sonst was vermuten lassen.

Neben seinem Zimmer lag das von Peko und Akane. Ihr Balkon ging in dieselbe Richtung, und nun stand seine Kindheitsfreundin nur ein paar Armlängen von ihm entfernt.

„Habe ich dich erschreckt, Junger Herr?“, fragte sie in ihrer üblichen, ruhigen Tonlage. „Du brauchst dich vor nichts zu fürchten. Sollte dir Gefahr drohen, werde ich an deiner Seite sein, auch in diesem Land.“

„Hör schon auf mit dem Gefasel“, schnauzte Fuyuhiko sie an. „Was soll denn hier passieren?“ Dann räusperte er sich und fummelte an seiner Krawatte rum. „Was das angeht mit dem An-meiner-Seite-sein … Also, Hajime und Kazuichi haben gemeint, wir sollten dich auch einladen.“

„Einladen? Wofür?“, fragte Peko.

Hatte sie denn gar nicht mitbekommen, dass in ihrem Zimmer eine kleine Fete stieg? Die Versammlung müsste eigentlich laut genug sein, um durch drei Wände zu hören zu sein. „Wir spielen Spiele. Das heißt, es sind natürlich banale Kindereien. Also falls du keine Lust hast, kann ich es verstehen. Aber ich dachte nur, ich sollte es dir gleich sagen, wenn ich dich schon zu Gesicht bekomme.“ Fuyuhiko schaffte es bei diesen Worten nicht, in ihr Gesicht zu sehen.

„Die Einladung ist zu freundlich, Junger Herr“, sagte sie, „aber ich habe meine Kendo-Übungen noch nicht abgeschlossen. Wenn die Einladung danach noch aktuell ist, würde ich ihr gern nachkommen.“

„Gut. Mach das“, sagte er. „Ich meine, es ist wirklich nichts Besonders. Wir wollen dich auch nicht vom Trainieren abhalten.“

„Schon in Ordnung. Ich werde dann also in euer Zimmer kommen, sobald ich mit den Übungen fertig bin. Ich mache nur eben eine Pause, darum bin ich auf dem Balkon – falls du dich gewundert hast.“

„Okay. Alles klar. Also bis dann.“ Er wollte schon wieder ins Zimmer gehen, als ihm noch etwas einfiel. „Ach ja, Peko …“

„Ja?“

„Es ist hier … Also … Wie soll ich sagen?“ Wieder juckte sein dämlicher Kragen furchtbar. Und wieder waren die Stadtlichter einfacher anzusehen als ihr Gesicht. „Also, ich habe meine Meinung geändert. New York ist ein gefährliches Pflaster. Du darfst dein Training auf keinen Fall zu lasch angehen.“

„Das habe ich nicht vor.“

„Deswegen will ich, dass du richtig schnell trainierst“, erklärte er. „Mach deine Übungen so schnell wie noch nie zuvor. Das wird deine … äh … Reflexe verbessern. Und die Pausen vergiss am besten auch. Also, man sieht sich später.“

Er trat eilig ins Zimmer zurück, schon weil er merkte, dass die üblicherweise recht spontane Antwort Pekos auf diesen Befehl hin ausblieb und von einem milde überraschten Blick abgelöst wurde.

 

Keine zehn Minuten später flog die Tür auf. Fuyuhikos Herz macht eine Hüpfer, weil er dachte, dass Peko sich wirklich wahnsinnig beeilt hätte, aber es war Sonia, die eintrat. „Es ist schrecklich!“, rief sie aus. Im Schlepptau hatte sie Gundham, der mit verschränkten Armen den Raum musterte.

„Was ist passiert?“, fragte Hajime.

„Seid ihr gar nicht in Kazuichi gelaufen?“, fragte Ibuki, die eben den Schwarzen Peter von Mikan gezogen hatte.

„Einer von Gundhams Hamstern ist verschwunden!“, rief Sonia aufgelöst.

„Sag bloß, du hast sie auf den Schulausflug mitgenommen?“, fragte Fuyuhiko.

„Ein wahrer Gebieter über die Finsternis lässt seine Untergebenen niemals zurück, wenn er sich auf eine Mission begibt“, brummte Gundham in seinen Schal.

„Wir haben schon in der Lobby nachgesehen und im Treppenhaus“, berichtete Sonia.

„Und die anderen drei sind noch da?“, fragte Chiaki.

„Nur der Schwarze Invasorendrache Champ-P ist verschwunden“, sagte Gundham und ballte die Faust. „Ich hätte besser achtgeben müssen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, welche Verwüstungen er anrichten kann, wenn ich nicht da bin, um ihn zu zügeln.“

„Okay, ganz ruhig“, sagte Hajime. „Er ist also nicht in deinem Zimmer, im Treppenhaus und in der Lobby? Vielleicht hat er irgendwo ein Mäuseloch gefunden und ist da hinein gelaufen?“

„Würd mich auch nicht wundern, wenn es hier in dieser Bude Mäuse gebe“, meinte Hiyoko.

„A-a-also ich h-hab noch kein Mäuseloch entdeckt“, berichtete Mikan.

„Wo waren die Hamster denn im Flugzeug?

„Gundham hatte sie alle in seinem Schal, bis wir hier im Hotel eingecheckt haben“, berichtete Sonia. „Das Tierchen muss ihm irgendwann danach entfleucht sein.“

„Ihr wollt doch nicht etwa sagen, dass wir jetzt das ganze verdammte Hotel nach dem kleinen Biest absuchen sollen, oder?“, stöhnte Fuyuhiko.

„Mir scheint, das ist die einzige Option, die uns offensteht“, sagte Sonia entschlossen.

„Au ja! Eine Suchaktion!“, rief Ibuki glücklich aus. „Kommt, stellen wir das Hotel auf den Kopf! Das wird toll!“

„W-wi-wir können doch nicht … Sensei wird mit uns schimpfen“, meinte Mikan, aber Ibuki war schon halb zur Tür hinaus.

„Sei kein Frosch, Mikan-chan! Das ist aufregend! Als ob wir auf geheimer Mission wären!“

„Auf geheimer Mission, um einen Nager zu finden“, brummte Fuyuhiko.

„Sei nicht so unkollegial“, ermahnte ihn Nekomaru. „Einer unserer Klassenkollegen braucht Hilfe! Und ein bisschen Treppensteigen ist ein gutes Training! Ich werde Akane suchen gehen, sie ist sicher dabei.“

„Sicher, dass sie den Hamster nicht einfach gefressen hat?“, frotzelte Hiyoko.

„Was sagst du da?“, entfuhr es Gundham.

„Ich verbitte mir derartig derbe Späße in Zeiten der Not!“, sagte Sonia mit ihrer üblichen, einmaligen Prinzessinnenautorität.

„Leute, habt ihr irgendwo … Ah, Sonia!“ Kazuichi war eben von seiner offensichtlich erfolglosen Suche zurückgekehrt und strahlte. „Kommst du auch zum Spielen?“

„Schweig, du Unhold“, sagte Gundham finster. „Haben deine sterblichen Augen irgendwo meinen Champ-P erblickt?“

„Cham-P? Was ist das?“

„Gundhams Hamster“, sagte Hajime schnell, ehe der Tierzüchter Kazuichi eine verbale Schelle verpassen konnte. Obwohl es bei Gundham üblicherweise schwer zu sagen war, sah er heute wirklich gereizt aus. Er musste sich sehr um seinen Hamster sorgen.

„Dann ist es beschlossen. Wir teilen uns auf und suchen Gundhams Hamster“, bestimmte Sonia.

Und so begann die von Ibuki so titulierte geheime Mission zur Suche nach einem winzig kleinen Schwarzen Invasorendrachen.

 

Der Geist der Toilette

Bevor Nekomaru sich auf die Suche nach dem Hamster machen konnte, galt es zuerst, sich auf die Suche nach zwei anderen Dingen zu machen. Zum einen wollte er Akane darüber in Kenntnis setzen, was sie vorhatten. Zum anderen suchte er eine Toilette. Die im Zimmer war bei so vielen Leuten, die mitgespielt hatten, ständig besetzt gewesen, und letzten Endes hatte sie irgendwer – vermutlich Hiyoko, nur so aus Spaß – mit Toilettenpapier verstopft und unbrauchbar gemacht.

Während Nekomaru also abwägte, welche von beiden Sachen dringender war, kam er bei Akanes und Pekos Zimmertür vorbei und entschied, zuerst seiner Erzrivalin und Trainingspartnerin Bescheid zu sagen. Da er es nicht so mit Anklopfen hatte, stieß er einfach die Tür auf. „Akane!“

Im Zimmer fand er den Gymnastikchamp nicht vor, dafür aber eine reichlich seltsam anmutende Szene.

Auf dem Boden zwischen den zwei Betten lag auf einer Schilfmatte Peko Pekoyama, mit Blick auf die Balkontür, alle Viere von sich gestreckt, ihr Bambusschwert in der einen Hand und den Schwertsack in der anderen. Sie rührte sich nicht, aber ein leises Stöhnen entrang sich ihren Lippen.

„Peko! Was ist passiert?“, rief Nekomaru und hechtete zu ihr.

„Kann nicht …“, murmelte sie wie benebelt.

„Was ist los? Was kannst du nicht?“

„Kann … mich … nicht … bewegen“, brachte sie durch zusammengebissene Zähne hervor. „Zu … hart … trainiert … Alle … Muskeln … entweder erledigt oder … verkrampft.“

„Peko, ich bin stolz auf dich!“, lobte Nekomaru sie inbrünstig. „Wer hoch hinaus will, muss hart trainieren! Aber es ist trotzdem auch wichtig, sich zu schonen.“

„Kann … mich nicht … bewegen“, presste sie erneut hervor.

„Nur keine Panik! Du bist genau an den Richtigen geraten! Ich zeige dir die Spezial-Massagetechnik von Nekomaru Nidai!“ Er rieb seine Fingerspitzen aneinander, um sie aufzuwärmen.

Zwei Minuten später war Peko wieder auf den Beinen und topfit, Nekomaru hatte ihre Toilette benutzen dürfen, und die beiden machten sich auf die Suche nach Akane, um sich auf die Suche nach Gundhams Hamster machen zu können.

 

„Ich halte das für keine gute Idee“, sagte Hajime.

„Halte den Mund, Unglückseliger“, knurrte Gundham. Die beiden lugten um die Ecke in den zweiten Flügel des Hotels. Die Familie, die sie unten in der Lobby gesehen hatten, kam eben vom Abendessen und schloss die Tür auf. Gundham hatte sich erinnert, dass sie ihn in beim Einchecken so komisch angestarrt hatten. Er meinte, sie könnten für Cham-Ps Verschwinden verantwortlich sein. „Das kleine Mädchen muss ein Gnom sein, der sich als Mensch getarnt hat“, war er überzeugt. „Ich spüre seine Boshaftigkeit bis hierher.“

„Selbst ich glaube langsam, dass wir einen Riesenärger kriegen, wenn Usami-sensei dahinterkommt, dass wir den anderen Gästen nachspionieren“, meinte Hajime unglücklich.

„Wem sagst du das“, brummte Fuyuhiko, der hinter ihnen wartete und sich nicht dazu herabließ, wie in einem schlechten Film um die Ecke zu spähen. „Schlimm genug, dass Mahiru euer Vorhaben mit angehört hat. Die verpetzt uns garantiert.“

„Seid unbesorgt“, sagte Gundham mit einem heiseren, listigen Kichern. „Ich habe mir eine Möglichkeit überlegt, ihre verräterische Aura zu bannen. Sie wird den Fängen der Dunklen Königin nicht entkommen.“

 

„Was soll ich hier? Ich dachte, wir helfen diesen Kindsköpfen beim Suchen?“, fragte Mahiru, während Sonia sie auf eine Tür am Ende des Flurs zuschob.

„So ist es. Und ich muss darauf bestehen, dass du da drin suchst.“ Die Prinzessin schob einen Schlüssel ins Schloss.

„Wieso?“

Sonia zog die Tür auf und beförderte Mahiru in die Besenkammer. „Verzeih mir, Mahiru, aber es ist am besten so.“

„Was soll das – hey!“

Aber Sonia hatte schon die Tür zugeschlagen und mit dem Schlüssel, den Gundhams andere Hamster vom Haken hinter dem Empfangstresen stibitzt hatten, abgesperrt.

 

„Die Zeit ist reif“, verkündete Gundham, als die Familie in ihr Zimmer ging. Er ließ Maga-G zu Boden, der durch den Flur huschte und einen dünnen Nagel in den Türrahmen legte, gerade als das Mädchen die Tür zuzog.

Die drei Hope’s-Peak-Schüler schlichen dem Hamster hinterher, warteten, bis die Geräusche im Vorraum verstummt waren, und zogen dann die Tür auf, die sich nicht richtig geschlossen hatte. Maga-G bekam einen Sonnenblumenkern und versteckte sich wieder in Gundhams Kleidung.

„Scheiße, ich kann immer noch nicht glauben, was ich hier mit euch mache“, brummte Fuyuhiko. „Ich fühl mich wie im falschen Film.“

„Schweig, Gnom“, befahl Gundham.

„Wenn du mich noch einmal Gnom nennst, reiß ich dir deine verdammte …“ Hajime musste seinem Freund die Hand auf den Mund pressen, ehe dieser wirklich laut werden konnte.

Sie standen in einem kleinen Vorraum, von dem mehrere Türen abzweigten – das Zimmer der Familie war ein wenig größer als jene, die die Schulklasse erhalten hatte.

„Liebling, hast du auch die Tür zugesperrt?“, drang aus dem mittleren Raum die Stimme der Mutter. Sie redete englisch, aber die Freunde verstanden sie gut.

„Ja-ha“, hörte man das kleine Mädchen.

„Sieh lieber nochmal nach.“

Die Kleine stöhnte genervt, und die drei Eindringlinge zuckten zusammen. Hajime war es, der den Geistesblitz hatte – er bugsierte die anderen beiden zu der Tür auf der rechten Seite. Ein blitzweißes Badezimmer offenbarte sich dahinter. Sie schlossen die Tür und atmeten tief durch. Von draußen hörten sie, wie der Schlüssel zur Wohnung herumgedreht wurde.

Sie hatten es geschafft und waren dem Entdecktwerden noch einmal entkommen.

„Papa, hat der Mann von der Rezeption das Klo schon repariert?“

Oder doch nicht.

„Ja, mein Schatz. Die haben gesagt, dass die Spülung wieder funktionieren sollte, wenn wir heimkommen.“

„Okay!“

Die drei suchten gleichzeitig einen Fluchtweg aus ihrem aufkeimenden Dilemma. Wer fragte schon nach der Klospülung, wenn er nicht vorhatte, sie in den nächsten Momenten zu benutzen? Sie rannten sich gegenseitig fast über den Haufen auf der Suche nach einem Ausweg. Die Dusche hatte einen milchigen Sichtschutz, aber ob jemand drin stand, würde man trotzdem sehen. Fuyuhiko streckte schon die Hand nach dem Schlüssel aus, aber Hajime zerrte ihn weg.

„Bist du verrückt?“, zischte er. „Wenn die Tür nicht aufgeht, obwohl offensichtlich niemand drin ist, holen sie den Hausmeister!“

„So gewinnen wir immerhin Zeit“, zischte der Yakuza zurück.

„Rasch“, sagte Gundham und zerrte ein großes Handtuch – nein, ein Badetuch, weiß und plüschig – aus dem Schrank.

Die Schritte des Mädchens erreichten die Tür. Es blieb keine Zeit mehr, sich etwas anderes zu überlegen. Als die Türklinke sich neigte, kauerten sich Hajime und Fuyuhiko links und rechts neben die Kloschüssel; auf dem heruntergeklappten Klodeckel hockte Gundham und zog das Badetuch über sie drei, das gerade groß genug war, um von vorne einen dichten, weißen Schleier zu bilden.

Das Tuch war außerdem dünn genug, dass man hindurchsehen konnte. Die Tür ging auf, das Mädchen trat ein und starrte den großen, weißen Höcker an, der wie eine Beule anstelle der Toilette prangte. Die Kleine machte große Augen, aber anstatt zu schreien, schloss sie die Tür hinter sich. „Bist du ein Geist?“, fragte sie interessiert, so als wäre es gar nichts allzu Ungewöhnliches, Gespenster in fremden Häusern anzutreffen.

„Du wagst es, mich einen Geist zu nennen?“, schnarrte Gundham, ehe sich Hajime etwas Besseres einfallen lassen konnte. „Ich bin der Höchste Oberherr des Eises, Gebieter über die Dunkelheit, Meister der Devas der Vernichtung und Erhabener Herrscher der Unterwelt!“ Immerhin waren seine Englischkenntnisse hervorragend.

„Ist das viel anders als ein Geist?“, fragte die Kleine unschuldig.

„Du zwergwüchsiger Dämon …“

Fuyuhiko hieb Gundham kräftig in die Rippen, sodass er aufächzte. Die ganze Konstruktion ihres Geisterkörpers geriet für einen Moment ins Wanken. Es musste einigermaßen seltsam ausgesehen haben.

Das Mädchen legte fragend den Kopf schief. „Was machst du hier?“

„Ich wohne hier“, behauptete Hajime. „Ich bin der Geist der Toilette. Weil die Spülung nicht richtig funktioniert hat, habe ich überlegt, ob ich, äh, ausziehen soll. Aber jetzt geht sie wieder und ich bin zurückgekommen.“ Er warf seine Arme in die Höhe und setzte ein „Buhuu“ dazu – was keine sehr schlaue Idee war, da er ja nur ein Drittel des scheinbaren Geistes ausmachte und die Geste daher recht einseitig wirkte.

„Aha“, sagte die Kleine. „Kannst du nicht auch woanders wohnen? Ich muss mal.“

„Wir … Ich meine, ich gehe, sobald ich meinen Freund gefunden habe.“ Hajime fand, er könnte Kindergärtner werden – seiner Meinung nach hatte er es total drauf, mit dem Mädchen zu reden.

„Was denn für ein Freund? Noch ein Geist?“

„Nein, ein Hamster.“

„Ah! Wie niedlich!“ Das Mädchen klatschte begeistert in die Hände. „Wo ist er denn?“

„Das weiß ich nicht“, gestand Hajime. „Deshalb bin ich ja hier. Um ihn zu suchen.“

„Ich dachte, du bist hier, weil du hier wohnst?“

„Ja, das auch, aber im Moment suche ich ihn und dann kann ich ausziehen“, beeilte er sich zu sagen. Fuyuhiko konnte ein Seufzen nicht unterdrücken.

Gundham schaltete sich ein. „Wenn du weißt, wo sich mein Deva aufhält, sag es, und du wirst verschont.“

Das Mädchen legte den Kopf auf die andere Seite. Sie sah aus wie ein kleiner Vogel, der eine Brotkrume auf der Straße abschätzig mustert. „Wieso klingt deine Stimme plötzlich anders?“

„Das ist, weil ich … gerade im Stimmbruch bin“, behauptete Hajime.

„Was ist ein Stimmbruch?“

Scheiße!, fuhr es ihm durch den Kopf.

„Bist du jetzt endlich fertig mit Herumblödeln?“, kam es genervt von Fuyuhiko, der nicht mehr an sich halten konnte „He, Kleine. Wir suchen einen Nager, hast du einen gesehen?“

Das Mädchen stand nur mit offenem Mund da und versuchte wahrscheinlich zu begreifen, warum nun eine dritte Stimme aufgetaucht war.

„Schatz, mit wem redest du da?“, hörte man nun zu allem Überfluss die Mutter, die in den Vorraum getreten war – wohl um nachzusehen, ob die Eingangstür tatsächlich richtig abgesperrt war.

„Ich unterhalte mich nur mit dem Geist der Toilette“, sagte sie. „Er sucht seinen Freund, einen Hamster.“

Einen Moment fürchtete Hajime schon, jetzt würde auch noch die Mutter hereinplatzen – aber sie schien die fantasievollen Eskapaden ihrer Tochter gewohnt zu sein. „Ach so. Beeil dich, wir wollen schlafen gehen.“

„Jaha!“ Sie wandte sich wieder an die drei, als hätte das vorige Gespräch nicht stattgefunden. „Kannst du da weggehen? Ich muss wirklich aufs Klo.“

„Sie erinnert mich gerade an Nekomaru“, flüsterte Fuyuhiko.

„Seid still, beide, ich regle das“, zischte Hajime ihnen zu. „Ähm, ja, kein Problem! Sag uns nur schnell, ob du einen Hamster gesehen hast, irgendwo hier im Hotel.“

„Hab ich!“, verkündete die Kleine strahlend.

„Wo?“ Gundham sprang auf, sodass das Badetuch wehte und Hajime fühlte, wie seine und Fuyuhikos Beine kurz sichtbar wurden, ehe der Yakuza ihn wieder zu Boden ziehen konnte.

„Ganz unten, wo man in das Hotel reingeht. Bei der Sitzecke, in der Schachtel mit den Bilderbüchern“, erklärte sie.

„Danke“, seufzte Hajime. „Dann werden wir, ich meine, ich werde jetzt von hier ausziehen. Aber ich bin ein Geist, darum muss ich dabei zaubern.“ Die Augen des Mädchens begannen zu leuchten. „Und während dem Zaubern darf mir kein Mensch zuschauen.“ Die Augen des Mädchens wurden traurig. „Dreh dich bitte um und mach die Augen zu. Und zähl bis zehn – nein, besser bis hundert. Am besten, du stellst dich dafür in die Dusche. Dann kann ich verschwinden.“

„Bis hundert kann ich es aber nicht mehr halten“, klagte die Kleine.

„Willst du heute noch auf die Toilette oder nicht?“, blaffte Fuyuhiko sie an.

Das Mädchen schluckte, unterdrückte tapfer die Tränen des Schocks, plötzlich so angeschrien zu werden, und trat folgsam in die Dusche. Sie verdeckte die Augen mit den Händen. „Eins, zwei, drei …“

Als sie sicher waren, dass sie nicht hersah, wabbelte der dreiköpfige Geist unter dem Badetuch zur Tür. „Deine erstickende Aura hat das Mädchen zum Weinen gebracht“, stellte Gundham fest, als sie sahen, dass ihr nun doch Tränen über die Wangen kullerten, während sie brav weiterzählte.

„Halt die Klappe! Vergiss nicht, für wen wir das hier alles tun! Außerdem hast du sie noch vor zehn Minuten einen Gnom genannt!“

„Ich habe mich geirrt. Sie mag von einem Irrlicht besessen sein, aber ein böser Gnom ist sie nicht.“

„Verschieben wir das auf später“, sagte Hajime. „Seid leise.“

Der Geist entschwand durch die Badezimmertür, vergewisserte sich kurz, dass die Eltern des Mädchens nicht in der Nähe waren, schloss die Tür wieder auf und schlüpfte auf den Gang.

Dort erschreckte er noch eine alte Frau fast zu Tode, die eben in ihr Zimmer gehen wollte und augenblicklich anfing, an Geister zu glauben, und später am Abend, als die Mutter des Mädchens routinemäßig ein zweites Mal die Tür kontrollierte, fand sie sie mit einem Mal unverschlossen vor und überlegte, ob sie nicht auch an Geister glauben sollte.

Lost in Translation

Die Mafiosi hatten Nagito in ein altes Fabriksgebäude bestellt, das zu einem gemütlichen Versammlungsort umfunktioniert worden war. Männer in schwarzen Anzügen geleiteten ihn eine Stahltreppe hoch bis in das Büro der vier Bosse, die sich die LA-sche Unterwelt teilten.

Sie sahen alle vier nicht sonderlich gefährlich aus, weswegen Nagito zunächst gar nicht vermutete, dass sie Verbrecher sein könnten. Gut, es war ein wenig ungewöhnlich, ihn um Mitternacht in ein unbewohntes Gebäude zu locken, aber niemand der Männer hier trug offen eine Waffe und sie waren auch alle sehr zuvorkommend, also machte er sich nicht zu viele Gedanken. Egal, was passierte, sein Glück würde ihn schon vor Schaden bewahren.

Man bot ihm einen Drink und einen Sitzplatz in einem durchgesessenen Fauteuil an. Dann begannen die Mafiabosse, ihn auf Englisch über die Lage in Asien zu befragen.

Nagitos Englisch war nicht sonderlich gut. Wenn er mit Ausländern zu tun hatte, verließ er sich üblicherweise auf sein Glück – und bisher hatte das gereicht, um gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Dieses Mal verstand er immerhin etwas wie „Wie läuft es in Asien?“ Da die Bosse, so glaubte er, wussten, wo seine Klassenkameraden waren, vermutete er, dass das es eine ganz normale Einstiegsfloskel war und sich auf sein Schulleben bezog.

Also versuchte er in schauerlichem Engrish, ihnen die Fakten darzulegen. Wie strahlend hell die Talente der anderen doch leuchteten, wie viel Glück er hätte, mit ihnen in derselben Klasse sein zu dürfen, welche Hoffnung sie für die Zukunft der Welt bedeuteten und was für ein wertloses, nichtssagendes, verkümmertes, niederes Wesen ohne spezielle Daseinsberechtigung er im Vergleich dazu doch wäre.

Die Bosse verstanden nur verstanden nur die Eckpunkte von seinem Kauderwelsch, aber wenn ein Mensch schon eine gewisse vorgefertigte Meinung hat, interpretiert er ja gerne unvollständige neue Information zugunsten dieser. Sie glaubten, er priese die chinesische Mafia gerade in höchsten Tönen; wie glorreich ihre Zukunft doch wäre, wie grandios ihre Leute wären, und Nagitos Selbstverachtung deuteten sie einfach als fremdländischen Ausbund von Höflichkeit und Zurückhaltung.

„Und wie geht es deinen Vorgesetzten?“, fragte einer der Bosse nun etwas konkreter.

Vorgesetzte? Sicher meinte er die Klassenlehrerin. „Ach, Sie haben also auch schon Usami-sensei kennengelernt?“, fragte er lächelnd. „Bestens, denke ich.“

Einer der Bosse kannte das Wort „Sensei“ zufällig nur aus den Karate-Kid-Filmen und nahm prompt an, Nagito wäre ein Kampfsportschüler bei einem ehrwürdigen Meister mit langem, grauem Bart. Er war schwer beeindruckt. „Welcher Kampfsport?“, erkundigte er sich – darauf bedacht, seine Sätze so prägnant und einfach wie möglich zu halten.

In Nagitos Kopf, in dem neben Glück und Hoffnung nur wenig Platz für etwas anderes als seine Klassenkameraden war, glaubte bei der Erwähnung des Kampfsportes sofort, dass es nun um Peko ginge. „Sie ist die beste Kendo-Kämpferin, die es gibt“, erklärte er. „Nicht umsonst ist sie die Ultimative Schwertkämpferin.“

Nun waren auch die anderen beeindruckt.

Es folgten noch ein paar interessierte Fragen, wie denn die Geschäfte gingen. Die vereinfachte Form, die bei Nagito ankam, war: Wie läuft es in den anderen Angelegenheiten?“

Er war zwar etwas verwundert, dass sich diese Männer in den feinen Anzügen so sehr für seine Klasse interessierten, wo sie doch die einzelnen Schüler ohnehin schon kannten, aber er war glücklich, darüber erzählen zu können. Nach weiteren fünfzehn Minuten waren die Mafia-Bosse tonnenschwer beeindruckt. Nagito erzählte von Kazuichi, der schon darauf hinarbeitete, seinen eigenen Raketenantrieb zu konstruieren – Ein einziger Mann plante und baute Militärraketen für die chinesische Mafia! –, Sonia, die eine ausgemacht wunderbare Prinzessin war – Die chinesische Mafia zog sogar die Fäden hinter einem bekannten europäischen Königreich! –, Byakuya, der ein Genie und reich war und als Erbe der Togami-Firma eine glänzende Zukunft vor sich hatte – Die chinesische Mafia hatte sogar die weltweit bekannte Togami-Firma unterwandert! –, Mahiru, die mit der Kamera umgehen konnte wie keine zweite – Die chinesische Mafia besaß ihren eigenen Nachrichtendienst, der ihre Feinde ausspionierte! –, und Nekomaru, der der beste Trainer aller Zeiten war – Die Ausbildung ihrer Mitglieder war beinhart, aber hinterher waren die Leute unbesiegbar (und außerdem, so glaubte der eine Boss, beherrschten sie, wie alle Asiaten, mindestens eine Kampfkunst und konnte mit dem Schwert umgehen).

Nagito fand es schließlich an der Zeit, nach dem Aufenthaltsort seiner Klasse zu fragen, aber da man ihm so nett zugehört hatte – mehr eigentlich, als er ja verdiente – und er im Ausland war, wollte er es nicht an Höflichkeit mangeln lassen und stellte seinerseits eine möglichst interessiert klingende Frage: „Und wie läuft es bei euch so?“

Nun wurden die Mafiosi nervös. Nachdem sie in den schillerndsten Farben die Grandiosität ihrer chinesischen Partner geschildert bekommen hatten, durften sie nur das Beste von ihrer eigenen Organisation preisgeben, und das am besten auch noch dreimal so dick aufgetragen. So ging das Spiel eine Weile weiter, die Amerikaner verhaspelten sich fast und widersprachen einander gegenseitig in dem Versuch, sich in gutem Licht erscheinen zu lassen, und irgendwann währenddessen ging sogar Nagito auf, dass er es hier mit einer organisierten Bande von Berufsverbrechern zu tun hatte.

 

„Wa-was machen wir denn hier? Ich dachte, wir wollten Gundhams Hamster suchen, und …“, stammelte Mikan.

„Ach, halt endlich den Mund, oder ich lass dich auf allen Vieren durch das Hotel krabbeln“, blaffte Hiyoko sie an. Die beiden gingen durch den Keller des Hotels. Der kahle Gang war gar nicht sooo hässlich und auch kaum schimmelig, aber sie hatten, um hierher zu gelangen, eine Tür mit einem Staff-Only-Schild durchqueren müssen, die Gundhams Hamster vermutlich nicht zwingend durchschritten hatte.

Hiyoko schnupperte. „Ich muss wissen, was Fettpfötchen und dieser dämliche Koch hier machen! Ich hab sie vorher durch den Keller schleichen sehen! Und hier riecht es ganz eindeutig nach Essen!“

„A-aber der Hamster …“, meinte Mikan.

Hiyoko kicherte böse. „Vielleicht kochen die ihn ja gerade, dann haben wir auch die Suche damit beendet.“

„Und wa-warum m-muss ich vorne gehen?“

Hiyoko schubste sie zwar ständig in die Richtung, in die sie gehen wollte, aber sie vermied es, aus dem Schatten von Mikans Zittern zu treten.

„Ist doch ganz klar. Was wir hier machen, ist sicherlich verboten, und wenn uns jemand hier sieht, kriegen wir Ärger, und darum gehst du als Erste, damit mich hinter dir keiner entdeckt und ich am schnellsten davonlaufen kann“, erklärte Hiyoko fröhlich.

Mikans Zittern nahm sowohl in der Frequenz als auch in der Amplitude zu.

Ihre Sorge war jedoch unbegründet. Als sie um die nächste Ecke bogen, sahen sie Byakuyas massigen Leib, der fast eine kleine Tür verstopfte. Der reiche Junge schien Schmiere zu stehen – etwas, das ganz und gar ungewöhnlich für ihn war. Generell war es ungewöhnlich für ihn, einen Keller wie diesen überhaupt zu betreten.

„Ihr seid es“, brummte er. „Natürlich, hier ist man ja nirgendwo vor gemeinem Volk sicher.“

„Was macht ihr da, Fettpfötchen?“, fragte Hiyoko mit kindlicher Neugier.

„Hm.“ Byakuya schob sich wichtigtuerisch die Brille zurecht (die danach genau wie vorher auf seinem Nasenrücken lag). „Teruteru hat mir einen Vorschlag gemacht, den ich nicht ablehnen konnte.“

„Mit wem redest du da?“ Der kleine Koch steckte den Kopf durch den Türrahmen und lächelte erfreut, als er Mikan sah. „Sieh an, da hat noch jemand eine feine Nase bewiesen! Komm nur her, Mikan, du darfst gerne mal an meinem prachtvollen Stück Fleisch lecken.“

„Äh-äh-äh …“ Mikan wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, und begann zu stottern, Byakuya schnaubte, und Hiyoko rief: „Hey, ich bin auch noch da! Also, was macht ihr hier ganz allein im Keller?“

„Das ist doch offensichtlich“, sagte Byakuya gedehnt. „Wir zeigen diesem prachtvollen Land mit seinem grandiosen Fast Food die Küche aus Japan.“

„Hmhm“, machte Teruteru wichtigtuerisch. „Auch wenn es vermutlich gar nicht so untypisch für die USA ist, aber in dieser Qualität ist es das kulinarische Ereignis des Jahrhunderts.“

Jetzt erst hörten Mikan und Hiyoko das Prasseln, und auch Mikan roch nun den verführerischen Duft. „Ihr … bereitet da wirklich Fleisch zu?“, fragte sie vorsichtig.

„Offensichtlich“, sagte Byakuya überheblich.

„Lass sehen!“ Hiyoko schob sich an Byakuyas Wanst vorbei – was gerade so ging; jeder andere aus ihrer Klasse wäre vermutlich neben ihm im Türrahmen stecken geblieben – und fand sich in einer Gerümpelkammer wieder. Teruteru stand vor einem Reisegriller, der, bis auf das Gestell, von Staub befreit worden war und vermutlich das ganze Jahr über hier stand. Fleisch aus dem Supermarkt brutzelte dort über Kohle aus einem Baumarkt, und kleine Päckchen Gewürze waren wohldosiert auf den saftigen Braten aufgetragen worden. Durch das geöffnete Oberlicht zog der Rauch ab.

Den beiden Mädchen lief allein beim Anblick das Wasser im Mund zusammen. „Also so wie ich das sehe“, meinte Hiyoko sabbernd, „muss sich Gundham seinen dämlichen Hamster allein suchen.“

 

Das kleine Mädchen hatte erzählt, sie hätte einen Hamster bei der Sitzecke in der Lobby gesehen. Hajime, Fuyuhiko und Gundham begaben sich also schnurstracks dorthin. Die Empfangsdame saß allein hinter ihrem Schalter und vertrieb sich ihre Zeit damit zu versuchen, mit minimalen Bewegungen ihres dicken Körpers eine Fliege zu erschlagen, die auf der Tischplatte rumtanzte. Hajime wusste nicht genau, wie Gundham zu Insekten stand, aber sicherheitshalber ging er so, dass der Tierzüchter die nachlässigen Schwünge mit der Fliegenklatsche nicht sah.

„Das muss die Kiste sein.“ Fuyuhiko deutete auf eine ausgediente Plastik-Einkaufstrage, die zwischen den Sofas stand. Sie war mit Kinderspielzeug und Bilderbüchern vollgeräumt, als wäre das hier das Wartezimmer einer Arztpraxis und keine Hotellobby, in der man (hoffentlich) nach wenigen Minuten drankam und nicht verzweifelt nach einer Beschäftigung für Kleinkinder suchte. Zumindest war ihr eigener Check-in recht schnell vonstattengegangen. Wenn Hajime jedoch bedachte, wie lethargisch die Rezeptionistin ihre Fliege jagte, dann schien ihre Energie wohl mit voranschreitender Tages- beziehungsweise Nachtzeit exponentiell zu fallen.

„Champ-P, komm!“, sagte Gundham herrisch und streckte die Hand vor der Kiste aus. Nichts rührte sich.

„Der wird kaum von allein kommen, wenn er schon ausgebüxt ist.“ Fuyuhiko rollte mit den Augen, und ehe Hajime ihm in den Arm fallen konnte, packte er die Kiste und drehte sie um. Bücher, Matchboxautos, Bauklötzchen und sogar ein Rubik‘s Cube purzelten zu Boden. Von einem Hamster war nichts zu sehen.

„Was treibt ihr da?“ Die Energie war in die dicke Frau an der Rezeption zurückgekehrt. Sie hatte sich von ihrem Sessel hochgestemmt und funkelte in ihre Richtung.

„Schweig, Sterbliche!“, befahl Gundham eiskalt. Sein Blick schwirrte durch den Sauhaufen, den Fuyuhiko auf dem Boden verursacht hatte. „Champ-P ist nicht hier. Dieser kleine Kobold hat es gewagt, uns zu belügen!“

„Seht mal. Ich glaube, das hat sie gemeint.“ Hajime deutete auf eines der Bilderbücher, das bei seinem Sturz aufgeklappt war. Es zeigte einen gemalten Hamster auf der Suche nach … nun, wonach auch immer Hamster in Bilderbüchern für Kinder suchen.

Gundham ballte die Fäuste. „Dieses hinterhältige Irrlicht! Es hat versucht, uns mit Blendwerk zu täuschen! Ich sollte sie auf die Dämonische Streckbank des Verschlingenden Berserkerungeheuers spannen!“

„Hey, ihr! Ihr seid diese Schulklasse. Wo ist eure Lehrerin?“ Die Rezeptionistin trat näher.

Da Gundham noch zornig grummelte und sich Fuyuhiko natürlich zu fein dafür war, oblag es Hajime, sich unter schwindelerregend hochfrequentem Verbeugen – was die Amerikanerin natürlich nicht als unterwürfige Geste wahrnahm; sie sah sich vielmehr in ihrem Verdacht bestärkt, sich hier ein paar rabiate, headbangende Teilzeitjugendstraftäter eingefangen zu haben – für den ausgekippten Spielzeugkorb zu entschuldigen. Er war es dann auch, der das Zeug allein wieder einsammelte und hoffte, dass die Frau kein Wort Japanisch sprach und somit nichts von den Flüchen, mit denen Gundham das kleine Mädchen und das Hotel – die so titulierte Verfluchte Unterweltlerherberge – bedachte.

Und nebenbei überlegte Hajime, wo sie nun suchen sollten, da ihre einzige Spur in einem Missverständnis verpufft war.

 

Gestärkt von seinem ergiebigen Toilettenbesuch, war Nekomaru hochmotiviert. Er und Peko suchten immer noch nach Akane. Sie waren fast das gesamte Hotel abgekommen, hatten aber keine Spur von ihrer Klassenkameradin entdeckt.

„Seltsam.“ Nekomaru hatte die Arme verschränkt und grübelte. „Wo kann sie nur sein? Es gibt in diesem Hotel kein Restaurant oder einen anderen Ort, wo man etwas essen könnte. Haben wir sie etwa in dem Supermarkt vergessen?“

„In dem Fall dürfte der Supermarkt bereits leergeräumt sein“, meinte Peko trocken.

Sie traten um die Ecke im vierten Stock und Peko prallte zurück. „Da!“, rief sie.

Mitten im Flur saß Gundhams Hamster und schnupperte. Er bemerkte sie im selben Moment, sah auf und in ihre Richtung.

„Haben wir ihn!“, brüllte Nekomaru.

Der Hamster sauste davon.

„Lass ihn nicht entkommen!“ Mit einem Kampfschrei trampelte Nekomaru den Flur entlang. Peko stürmte ebenfalls los und verfluchte den Lärm, den er veranstaltete. Er war im ganzen Hotel zu hören und schreckte sicherlich nicht nur die anderen Gäste, sondern auch den Nager gründlich auf.

Cham-P huschte um die Ecke. „Da vorn kommt er nicht weit!“, rief Nekomaru. Peko gab ihm recht – wenn dieses Stockwerk so aufgebaut war wie die anderen, waren dort vorne nur Zimmertüren und ansonsten eine Sackgasse. Kurz bevor sie die Ecke erreichte, schwang plötzlich eine Tür auf, begleitet von einem englischen „Was ist das für ein Krach?“

Nekomaru stieß einen überraschten Ruf aus, konnte der Tür nicht ganz ausweichen und streifte sie mit der Schulter. Von seinem eigenen Schwung übertölpelt, kreiselte er kurz auf einem Beim um die eigene Achse, ehe er mit dem Getöse eines Gebirgsmassivs zu Boden ging. Peko war wendiger; sie wich sowohl der Tür als auch dem verdutzten Zimmerbewohner aus und sprang leichtfüßig über den am Boden liegenden Nekomaru hinweg.

Dieser biss die Zähne zusammen wie ein Anime-Nebencharakter, der den Endgegner nur eine Weile hatte hinhalten können und nun die endlich erschienene Hauptfigur anfeuerte. „Ich überlasse ihn dir, Peko!“

Die Schwertkämpferin schnellte um die Ecke. Da war der Hamster! Er hockte in der Sackgasse und blickte sie aus großen, süßen Hamsteraugen an. Peko trat langsam auf ihn zu, ging leicht in die Knie und streckte die Hände wie Klauen nach ihm aus. Der Hamster kratzte sich mit seinen süßen Pfoten seine süße Backe. Seine süßen Zähne schienen süß zu lächeln. Seine süßen Schnurrhaare zitterten süß.

Peko schluckte. Kurz bevor sie zupackte, hielt sie inne, denn ihr wurde heiß. Gleich würde sie das flauschige, weiche Fell dieses süßen Tieres berühren, und wenn sie es hatte, konnte sie es streicheln und an sich drücken und …

Sie zögerte zu lange. Der Hamster huschte los, zwischen ihren Beinen hindurch und zurück über den Flur. „Woah!“, ertönte ein Ruf, der ebenso den Verhältnissen unangemessen laut war wie alles andere, was Nekomaru von sich gab. Peko wirbelte herum. Ihr Klassenkamerad hatte sich aufgerappelt und war ihr gefolgt, aber als der Hamster plötzlich aus seiner Sackgasse geschossen kam wie ein befellter Kanonenball, sprang er aus dem Weg, verlor wieder das Gleichgewicht – und stürzte genau auf Peko.

Und wenn man mit Nekomaru Nidai in eine Klasse geht, weiß man, wie schwer er ist.

Das Gebirgsmassiv begrub Peko bei lebendigem Leibe, und der Schwarze Eroberungsdrache war rechtzeitig entkommen.

Wenn Träume (nicht) wahr werden

Kazuichi hatte es endlich geschafft, sich einen Traum zu erfüllen. Mehr oder weniger. Er hatte ein Date mit Sonia.

Vielleicht war es kein richtiges Date. Sie gingen nur zu zweit die Gänge des Hotels ab und er achtete darauf, Orte aufzusuchen, an dem die anderen nicht waren. Aber immerhin. Er hatte sie ganz für sich allein.

Gut, sie suchten nach Gundhams Hamster. Ausgerechnet Gundham … Kazuichi war gar nicht davon erbaut, wie sie immer um ihn herumscharwenzelte. Oder eher, wie Gundham sie mit billigen Tricks dazu brachte, um ihn herumzuscharwenzeln. Denn Sonia würde nicht so einfach um jemanden herumscharwenzeln. Oder eher, er benutzte ausgeklügelte, fiese Tricks. Denn Sonia würde niemals auf billige Tricks hereinfallen.

Sie suchten also nach diesem Champignon oder wie auch immer der Hamster hieß. Und Sonias Gedanken galten eindeutig eher diesem winzigen Fellball als dem Jungen, der neben ihr lief und ihr jede Tür öffnete. Okay, vielleicht hatte er sie nicht ganz für sich allein. Immerhin waren ihre Gedanken woanders.

Aber immerhin, sie waren ohne Aufsichtsperson in einem fernen Land, es war Nacht und wenn sie die Tür am Ende des Flurs öffneten, würden sie auf dem Dach herauskommen, und im Sternenlicht würde sich dann Kazuichis Idee von romantisch mit der von Sonia decken, garantiert. Es würde also total heimelig und romantisch werden dort oben.

Sie öffneten die Tür zum Dach.

Gut, es würde wohl doch nicht romantisch werden. Denn es war bereits jemand auf dem Dach.

„Haaamster-chaaaan!“, schrie Ibuki eben am Rand des Daches in die Nacht hinaus und schaffte es mühelos, den spätnächtlichen Verkehr zu übertönen. Kazuichi seufzte. Keine Ruhe und sternenlichtgetränkte Zweisamkeit für ihn und Sonia. Immerhin waren die Sterne wirklich schön.

„Ibuki ist ja mit wahrem Feuereifer bei der Sache“, stellte Sonia fest. „Wie schön.“

„Ja, weil sie immer mit Feuereifer bei der Sache ist“, knurrte Kazuichi. „Selbst wenn sie nicht bei der Sache ist, ist sie es mit Feuereifer.“

Ein neuerlicher Ruf wurde laut. Vermutlich hatte man als Sängerin ganz schön leistungsfähige Lungen.

„Den Hamster findet sie so nie“, sagte plötzlich eine Stimme über Kazuichi und Sonia. Auf dem Dach des Treppenhäuschens saß im Schneidersitz Akane und – richtig, sie aß, und zwar einen von mehreren Hamburgern, die sich neben ihr stapelten.

Diesen Essensvorrat hatte sie von einer Burgerbude, die sie auf dem Heimweg vom Supermarkt gesehen hatte. Sie hatte sich von Chiaki Geld geliehen, um sich einen Burger zu kaufen, und dann die anderen geklaut, während der Verkäufer ihr das Wechselgeld herausgesucht hatte. Sie hatte sich aber nicht wegen dem Diebstahl hier verschanzt, sondern aus zweierlei Gründen: Sie hatte nämlich bemerkt, dass die Amerikaner erstens alle ein wenig größer gewachsen waren als der typische Durchschnittsjapaner. Und zweitens hatten sie festgestellt, dass es auch deutlich mehr dicke Menschen hier gab als zuhause. Ergo brauchten die Amerikaner mehr Nahrung als Japaner. Um nicht etwa das Risiko einzugehen, jemand könnte ihr die hart erwirtschafteten Burger aus dem Mund stehlen, hatte sie sich hier auf das Dach zurückgezogen.

„Akane, hier bist du also. Ich glaube, Nekomaru sucht dich schon“, sagte Sonia.

„Hm. Ich komme, sobald ich fertig bin. Hab schon gehört, ihr sucht einen Hamster? Ibuki kann sich die Rumschreierei sparen“, mampfte Akane mit vollem Mund. Sie schluckte hinunter und fuhr fort: „Der Hamster wird dort sein, wo er was zu fressen findet. Hier bei mir ist er nicht, also rennt er wahrscheinlich verzweifelt durchs Hotel. Mit Schreien kann man ihn sicher nicht anlocken, nur mit Futter. Ich geb aber nichts von meinen Burgern ab!“, fügte sie empört hinzu, als sie Kazuichis Blick bemerkte.

Den hatte er ihr aber aus einem anderen Grund zugeworfen. Hatte er wirklich für einen Moment geglaubt, Akane hätte richtigerweise den Schluss gezogen, dass es sinnlos war, auf dem Dach eines Hotels „Hamster-chan“ auf die nächtlichen Straßen von New York hinab zu schreien? Vermutlich war Ibuki selbst schon auf diesen Sachverhalt gekommen und suchte nur nach einem Vorwand, um laut zu sein.

„Oh, hallo Sonia, Kazuichi“, ertönte Chiakis wie immer etwas verschlafene Stimme, als sie aus der Dunkelheit trat. Sie hatte den Boden und den Sicherheitszaun des Daches gründlich abgesucht. „Keine Spur von Cham-P. Hattet ihr mehr Erfolg?“

Sonia schüttelte traurig den Kopf, und Kazuichi seufzte. Von wegen, auf dem Dach wären sie ungestört.

 

Hajime wurde immer müder, je mehr sich in ihm der Verdacht erhärtete, dass sie Cham-P noch die ganze Nacht lang suchen würden. Und auch, wenn er verstand, dass Gundham sich ernsthafte Sorgen machte – obwohl er das natürlich nur auf seine ganz spezielle Weise zeigte –, fragte sich Hajime wiederholt, warum es denn so wichtig war, diesen Hamster jetzt zu finden. Sicherlich würde er spätestens morgen beim Frühstück wieder auftauchen, oder eben, sobald er Hunger hatte. Und wenn Cham-P es schaffte, sich derart vor ihnen zu verstecken, dann konnte er wahrscheinlich wirklich seine dämonischen Fähigkeiten ausspielen und durch Wände gehen … oder so. Und morgen früh würde er, an Gundham gekuschelt, in seinem Bett liegen.

Fuyuhikos Gemurmel wurde ebenfalls mit jeder Minute unflätiger und hob die allgemeine Stimmung auch nicht gerade.

Sie stellten noch einmal das ganze Hotel vom Erdgeschoss bis in den obersten Stock auf den Kopf. Schließlich blieb nur noch das Dach übrig. Der Gang, der dorthin führte, war nur schlecht beleuchtet, und es gab einige dunkle Nischen. Hajime wünschte fast, sie hätten seine Taschenlampe dabei.

Als sie auf die metallene Tür zutraten, die auf das Dach führte, öffnete sich diese eben, und vor dem tiefblauen Nachthimmel wurden Sonia und Kazuichi sichtbar, die wohl hier gesucht hatten.

„Gundham!“, rief die Prinzessin erfreut und trat ein paar Schritte auf ihn zu. „Hatte die Suche bereits Erfolg?“

Ehe Gundham etwas erwidern konnte, löste sich plötzlich aus einer der schattigen Nischen eine pelzige Kugel und rollte – nein, lief mit kleinen Hamsterbeinchen zwischen Sonia und Kazuichi hindurch aufs Dach.

„Da ist der kleine Bastard!“, knurrte Fuyuhiko und stürmte los. Die ganze Wut, die sich in ihm aufgestaut hatte, weckte unglaubliche athletische Kräfte in ihm. Sonia sprang mit einem spitzen Schrei aus dem Weg. Kazuichi schrie noch mädchenhafter, als der Yakuza ihn beinahe umrannte.

Sekunden später waren auch Gundham und Hajime auf dem Dach. Letzterer warf die Tür zu. „Wo ist er?“, rief er atemlos.

Gundhams Hand zuckte nach rechts. „Mein dämonischer Arm spürt das dunkle Blut meines Devas kochen. Ich bin sicher, dass er ganz aufgewühlt vom Hunger auf sterbliches Fleisch ist. Er scheint nicht ohne Beute zu seinem Meister zurückkehren zu wollen.“

„Dann sag ihm, dass ohne Beute auch gut ist“, blaffte Fuyuhiko.

Die Richtung, in die Gundham gezeigt hatte, stimmte aber. Ziemlich an der Dachkante, dort, wo der Maschendrahtzaun vor dem Fallen bewahrte, hockte das kleine Tier und kratzte sich hinter dem Ohr.

„Okay, ganz langsam jetzt“, sagte Hajime.

„Von wegen ganz langsam, den kauf ich mir!“ Fuyuhiko stürmte wieder los.

Es war schon interessant: Fuyuhiko war ja selbst ziemlich klein, und somit zumindest im Sport immer ein wenig langsamer als seine Klassenkollegen mit den längeren Beinen. Der Hamster war noch um so vieles kleiner, aber trotzdem um so vieles schneller. Gundham hatte sicher eine fantastische Erklärung, warum das so war. Jedenfalls gelang es Fuyuhiko nicht, den Pelzball zu schnappen. Der Hamster entwischte seinen zupackenden Händen und lief am Zaun entlang.

„So wird das nichts“, sagte eine verträumte Stimme über ihnen. Hajime blickte auf. Auf dem Dach des Treppenhäuschens stand Chiaki, neben Akane, die eben ihren letzten Burger verdrückte. „Wir müssen ihn einkreisen“, sagte die Gamerin. „Fuyuhiko, du gehst am Zaun entlang und folgst ihm. Hajime, du gehst parallel zum Zaun mit dem Hamster mit. Kazuichi und Sonia, ihr geht Cham-P von vorne in einer Zangenbewegung entgegen.“

Die Freunde stellten nicht viele Fragen, sondern teilten sich auf. Gundham nickte Chiaki noch kurz zu. „Mögen die Magischen Säulen der Unterwelt dir die Kraft geben, eine Strategie zu ersinnen, die selbst meinen Dunklen Deva der Zerstörung in seine Schranken weisen kann.“

Hajime sah, dass auch Ibuki auf dem Dach war. Chiaki kommandierte sie in den Bereich des Daches, in dem noch niemand war, damit sie den Hamster vielleicht fangen konnte, sollte er ihnen wieder ausbüxen.

Und der Hamster büxte aus.

Kazuichi griff ein paar Sekunden zu früh zu, als Cham-P direkt vor ihm war. Er wollte Sonia beeindrucken und den Hamster selbst fangen, und das wurde ihm zum Verhängnis. Cham-P schlüpfte zwischen seinen Beinen hindurch, drehte dann, wie um ihn zu verhöhnen, einen Kreis um ihn herum, sodass Kazuichi fast über seine eigenen Beine stolperte bei dem Versuch, ihn zu verfolgen. Dann sauste er wie der Blitz auf die Tür zu.

„Akane!“, sagte Chiaki.

„Schon zur Stelle!“

Die Gymnastikerin sprang vom Dach des Häuschens und landete direkt vor der Tür. Der Hamster zuckte regelrecht zurück. Sein Fell sträubte sich, als sie urplötzlich vor ihm auf dem Boden aufkam. Er machte wieder kehrt.

„Kazuichi, bleib stehen, wo du bist“, rief Chiaki ihm zu. „Du bist unser Tank. Hajime, drei Felder nach links! Ibuki, spawne irgendwo im Neunzig-Grad-Winkel zur Tür! Akane, halte das Portal zu, nicht dass jemand es von drinnen aufmacht! Sonia und Gundham, macht eine Rochade, schnell!“

„Warum kann ich das nicht mit Sonia machen?“, schrie Kazuichi, blieb aber brav auf der Stelle stehen.

„Spielst du hier etwa ein Spiel mit uns, Chiaki?“, rief Fuyuhiko aufgebracht.

Der Hamster entkam sowohl Sonia als auch Ibuki, die nach ihm greifen wollten, und huschte quer über das Dach.

„Jetzt, Fuyuhiko!“, sagte Chiaki. „Fall ihm in die Flanken!“

Fuyuhiko hechtete los, aber Chiaki war es gewohnt, nur eine Taste zu drücken, damit ihre Spielfiguren sich bewegten. Die Zeit, die es dauerte, bis sie ihren Befehl formuliert und über das Dach gerufen hatte, gepaart mit ihrer stets etwas träumerischen, langsamen Stimme, addiert mit der Zeit, die Fuyuhiko zum Reagieren brauchte, zerstörte das Timing total. Ehe der Yakuza zur Stelle war, war Cham-P in einem weiten Bogen davongesaust und hielt wieder auf die Tür zu, deren Klinke Akane fest gepackt hielt. Selbst wenn Gundhams Hamster dämonische Kräfte haben sollte, dachte Hajime, dort kam er nicht durch.

Dann geschah etwas Unerwartetes.

Plötzlich erbebte die Tür zum Dach unter einem Stoß von innen und fegte Akane weg, der die Klinke einfach entglitt. Das Mädchen flog regelrecht über das Dach, mit einem verdutzten Gesichtsausdruck und die Hand immer noch so ausgestreckt, als würde sie die Tür noch zuhalten.

Es gab in der ganzen Klasse nur einen, der Akane im Kräftemessen derart überrumpeln konnte. Und eine Sekunde später hörten sie auch seine Stimme. „Akane? Bist du hier auf dem Dach?“, brüllte Nekomaru. Hinter ihm stand Peko.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten zuckte der Hamster zu Tode erschrocken zusammen. Er huschte davon, krabbelte an Gundhams Bein hoch und flüchtete sich in dessen Schal.

„Du Unhold“, knurrte Gundham. „Du hast Cham-P erschreckt. Weißt du nicht, wie gefährlich es ist, einen Invasorendrachen derart zu reizen?“

„Was?“ Nekomaru blickte sich verdutzt um. „Ihr seid alle hier?“

„Es ist alles in Ordnung“, sagte Sonia lächelnd. „Gundham hat seinen Cham-P wieder, dank eurem beherzten Eintreten.“

„Eher Auftreten“, flüsterte ihr Hajime zu, was wohl das war, was Sonia gemeint hatte, gleichwohl aber so oder so nicht ganz hinkam.

Nekomaru blickte sie einen Moment lang fragend an, dann kratzte er sich lachend im Nacken. „Ah, das haben wir doch gern gemacht.“

Sein lautes Lachen übertönte ebenfalls den Verkehrslärm des nächtlichen New York.

 

Wäre Usami ein Schneemann, dann wäre sie jetzt wohl nur noch eine Pfütze. Ihr war abwechselnd heiß und kalt, und obwohl sie zitterte, schwitzte sie aus allen Poren. Während sie in konzentrischen Kreisen die Umgebung des LA-schen Flughafens absuchte, drehten sich ihre Gedanken ebenfalls im Kreis und durchliefen immer wieder das Spektrum von Scham, Furcht, Selbstmitleid bis Trauer.

Sie war die schlechteste Lehrerin der Welt, das stand fest. Und Nagito der unglücklichste ihrer Schützlinge, ganz gleich, was sein Talent besagte! „Oh, der arme Junge, der arme Junge …“, murmelte Usami immer wieder sich her, und wer sie bei ihrem Tun beobachtete – und vielleicht auch ihre durchdringend negative Aura spürte –, hielt sie womöglich für geisteskrank.

Als ihr Stimmungsbarometer gerade wieder die Kurve zwischen Furcht und Selbstmitleid kratzte, klingelte plötzlich ihr Handy und ließ sie zusammenzucken. Sie wusste nicht, ob dieses unerwartete Geräusch nun etwas Gutes bedeutete oder eher das Omen für etwas noch Schrecklicheres war. Etwas Gutes schien in dieser düsteren Nacht voller finsterer Gedanken und Geschehnisse wohl kaum möglich. Andererseits konnte es ja wohl auch nicht mehr schlimmer werden …

Kurz entschlossen hob sie ab.

 

Nachdem er das Pech gehabt hatte, auf einem fremden Kontinent von seinen Klassenkameraden getrennt zu werden, die ohne ihn dann noch einmal den halben Kontinent überquert hatten, außerdem keine Möglichkeit hatte, sie zu kontaktieren, und zu guter Letzt noch in ein Wespennest aus gefährlichen Mafiosi geraten war, schlug Nagitos Glück mal wieder zu und ließ ihn selbiges verlassen, ohne gestochen zu werden.

Die Mafia-Bosse baten ihn, seinen Vorgesetzten die besten Grüße zu bestellen, und händigten ihm eine CD mit sämtlichen Plänen aus, die sie künftig gern in Kooperation mit der chinesischen Mafia umsetzen wollten. Nagito beschloss, sie Fuyuhiko zu schenken, der konnte sicher etwas damit anfangen.

Als er so, spät nachts, wieder allein durch die Straßen trottete, entdeckte er eine Telefonzelle. Er beschloss, seinem ziellosen Herumschlendern ein Ende zu machen und erneut sein Glück herauszufordern. So warf er eine Münze in den Automat, schloss die Augen und tippte eine zufällige Telefonnummer ein. Dann wartete er auf das Freizeichen.

„Hawa-Hallo?“, meldete sich eine Stimme.

„Usami-sensei“, rief Nagito gut gelaunt. „Sind Sie das?“

„Hawawawa“, tönte es durch den Hörer. „Nagito, bist du das?“

„Was für ein Glück“, lächelte er.

„A-aber woher hast du meine Handynummer? Habe ich sie euch am Anfang des Jahres gegeben? Bin ich doch keine so schlechte Lehrerin?“, überlegte Usami hoffnungsvoll.

„Ich habe einfach irgendwelche Tasten gedrückt und gehofft, dass ich Sie damit erreiche. Sogar die Vorwahl hat gestimmt!“

„Oh“, machte sie. „Nagito, wo bist du gerade?“

Er beschrieb ihr ungefähr seinen Aufenthaltsort. Wie es der Zufall – oder das Glück – so wollte, war ganz in der Nähe ein hohes Krankenhausgebäude, das aus zwei Türmen bestand. Diese Landmarke reichte schließlich aus, dass Usami-sensei ihn kurze Zeit später fand. Sie war so erleichtert, dass sie beinahe in Tränen zerfloss. Nagito, der sich während des ganzen Abenteuers natürlich keine Sorgen hatte machen müssen, lächelte nur.

Das Pech, das folgte, war, dass sie an diesem Tag keinen Flug mehr nach New York erwischten und in irgendeinem schmierigen Hotel übernachten mussten, um am nächsten Morgen schließlich zu den anderen zu fliegen.

Situation normal, all fucked up

Auf dem Weg vom Dach nach unten kam ein wenig gute Laune zutage wie die Sonne, die sich nach einem verregneten Nachmittag endlich mal wieder hinter den Wolken hervorwagt. Die Freunde hatten ihre – selbst auferlegte – Pflicht erfüllt und konnten wieder in die Situation zurückkehren, aus der sie Cham-Ps Verschwinden so abrupt gerissen hatte: eine sturmfreie Bude ohne ihre Lehrerin.

Alles war wieder in schönster Ordnung. Cham-P kuschelte sich an Gundham, so wie es sein sollte. Kazuichi ärgerte sich, dass er sich nicht an Sonia kuscheln konnte; was ebenfalls ganz dem Normalzustand entsprach. Hajime fühlte sich zwar müde und ausgelaugt, war aber mit dem Ergebnis ihrer Suchaktion zufrieden. Zwischen ihm, Fuyuhiko und Nekomaru hatte sich so etwas wie eine stumme Verbrüderung eingestellt, als wären sie Kampfgefährten, Veteranen aus der Sengoku-Ära, die nach einer gewonnenen Schlacht gemeinsam heimkehrten. Vor allem Letztere sprachen nicht viel, aber wem das subtile soziale Gefüge auffiel, das sie wie ein filigranes Spinnennetz umgab, der konnte den Unterschied bemerken.

Der vermutlich nur so lange anhalten würde, bis Nekomaru wieder in alter Manier herumbrüllen würde und Fuyuhiko etwas Neues fand, worüber er fluchen konnte.

Chiaki war ungewöhnlich munter nach ihrem Spiel, aber nicht halb so munter wie Ibuki, die auf dem Weg nach unten fröhlich drauflos plapperte und sicher dazu beitrug, dass die Hälfte der Gäste in dem Hotel sich unruhig im Bett herumwälzte, weil sie etwas nicht schlafen ließ – diese typische Urlauberstimme, die vom Flur her weht und die man wegen der dünnen Wände und des fremden Bettes dreimal so laut hört.

Peko schritt feierlich hinter Fuyuhiko her und genoss den zufriedenen Gemütszustand ihres jungen Herrn voll und ganz. Und Akane hatte ihre Burger verdrückt und beklagte sich gerade, dass sie Hunger habe. Totaler Normalzustand also.

Auf dem Weg in das Jungenzimmer – es würde dort jetzt wohl noch enger werden, denn Ibuki hatte sich kurzerhand selbst eingeladen, mit den anderen zu spielen – trafen sie ein recht missmutiges Quartett: Byakuya, Teruteru, Mikan und Hiyoko waren ebenfalls gerade auf dem Weg in ihre Zimmer. Der Kimono von Letzterer war geschwärzt, Teruterus Gesicht verrußt und Mikan sah aus, als würde sie jeden Moment zerfließen.

„Was ist denn mit euch passiert?“, platzte Hajime heraus.

„Mich würde eher interessieren, wo sie waren, während wir uns den Arsch aufgerissen haben“, stellte Fuyuhiko fest – der in den nächsten Momenten den erwähnten Samurai-Status wieder abwerfen würde.

„Hm“, mache Byakuya nur überheblich und wandte den Blick ab.

„Das dumme Schwein ist schuld!“ Hiyoko hatte die Fäuste geballt und Tränen in den Augen.

„Ist es angebrannt?“, fragte Chiaki, die gewusst hatte, dass Teruteru und Byakuya im Keller eine kleine Grillparty geplant hatten.

„Schön wär‘s!“, blaffte die Kleine und Mikan duckte sich, als hätte sie jemand geschlagen.

„Oh“, machte Hajime, der plötzlich wusste, wen Hiyoko eigentlich meinte.

„Ach je, wie das nur wieder passieren konnte …“ Teruterus Blick glitt verträumt in die Vergangenheit – er war der Einzige, der nicht nur aus Sauerteig gemacht schien.

„Hm? Hiyoko-chan, was ist denn, hast du einen Feuertanz probiert?“, fragt Ibuki erstaunt. „Klasse! Das ist so richtig extrem! Das nächste Mal mach das nicht ohne mich, ja?“

Akane schlich näher und schnupperte an Hiyoko. „Du riechst … wie frisch vom Grill …“ erklärte sie und begann zu sabbern.

„Weg von mir, du Freak!“ Die Kleine verpasste ihr einen Faustschlag, da Akane sie musterte, als würde sie sie gleich anbeißen wollen.

„Kann mir mal jemand erklären, was eigentlich los war?“, fragte Hajime.

„Diese Unholde wurden durch kosmischen Zuspruch für die Verweigerung ihrer Hilfeleistung bestraft“, war Gundham überzeugt. „Solcherart passiert gemeinem Fußvolk, das dem Ruf ihres Herrn nicht zu folgen bereit ist.“

„Es sieht mir eher so aus, als hätte es einen Unfall gegeben. Wahrscheinlich“, meinte Chiaki.

Nach und nach kam die ganze Sache heraus. Die vier hatten sich bereits auf die erste Ladung saftiger Steaks gefreut, die unter Teruterus Kochkünsten garantiert das Edelste geworden wären, was ein einfacher Reisegriller zustandebringen konnte. Dann hatte Mikan – ohne ersichtlichen Grund und ohne, dass sie irgendetwas Gefährliches getan hätte – es geschafft, auszurutschen und dabei den Griller umzustoßen. Glut und Fett waren auf Hiyokos Kimono gespritzt, die wie am Spieß losgebrüllt hatte. Byakuya war mit einem genau bemessenen Schritt ausgewichen, der ihn nur minimale Kalorien gekostet hatte, und hatte die Bescherung herablassend und missmutig betrachtet. Mikan war dann um Verzeihung wimmernd am Boden gelegen – natürlich in einer äußerst unglücklichen Pose, die wiederum Teruteru für alles entschädigt hatte, was eben geschehen war.

Und dann war die Empfangsdame in Begleitung des Hausmeisters herein gerauscht, die Hiyoko schreien gehört hatten. Es hatte ein mächtiges Donnerwetter gegeben, sie hatten sich beide darüber ausgelassen, wie unmöglich sich Schüler – und vor allem ausländische Schüler – doch immer benahmen, und dass ihre Lehrerin garantiert etwas zu hören bekäme. Byakuya hatte der Tirade mit so viel Würde standgehalten, wie es jemandem in dieser Situation nur möglich war, und wenn man bedachte, dass hinterher niemand auch nur ein Sterbenswörtchen zu Usami sagte, dann war sein Verhalten offenbar zutiefst beeindruckend gewesen.

Man könnte also sagen, selbst diese Sache war glimpflich ausgegangen.

Auch der Rest des Abends ging in gewohnter Normalität vonstatten. Gundham war zufrieden, weil die vier, die ihm nicht bei der Suche nach seinem Hamster geholfen hatten, ihre göttliche Bestrafung erhalten hatten. Akane war traurig, dass es kein Grillgut gab, obwohl sie bisher gar nicht gewusst hatte, was die vier im Keller trieben. Teruteru versicherte ihr, sie könne immer noch das Fleisch in seiner Hose haben. Hajime und Fuyuhiko herrschten ihn daraufhin an, den Mund zu halten.

Hiyoko war dermaßen angepisst, dass Fuyuhiko ihr wütendes Getue bald nicht mehr aushielt und ebenso angepisst war. Peko machte sich ganz leichte Vorwürfe, dass sie das Unglück im Keller, welches ihren Meister nun in Rage versetzte, nicht hatte verhindern können. Dass es für sie schier unmöglich gewesen war, Mikan vom Stürzen abzuhalten, verstärkte das Gefühl nur noch. Nekomaru lachte laut auf und erklärte, dass doch nun alles in Ordnung sei. Daraufhin öffnete sich irgendwo in der Etage eine Tür und eine Stimme brüllte sie an, endlich ruhig zu sein.

Schließlich verzogen sich die meisten wieder in Hajimes Zimmer. Hiyoko weigerte sich, den verbrannten Kimono zu wechseln, und aß zum Trost den Rest ihrer Gummibären. Byakuya ging in sein eigenes Zimmer, um zu schmollen. Der Rest quetschte sich in das Jungenzimmer, in dem nun so wenig Platz war, dass Kazuichi sogar fand, er wäre Sonia unverhofft nahe gekommen (obwohl Ibuki und Gundham noch zwischen ihnen saßen).

Nach und nach ermüdete sie das Kartenspielen. Chiaki schlief an Ort und Stelle ein und schaffte es gerade noch, ihren Kopf auf Hajimes Schoß zu legen, der sich daraufhin nicht mehr zu bewegen wagte und wie ein steinerner Wasserspeier wirkte. Die anderen trollten sich auf ihre Zimmer.

Schließlich waren (fast) nur noch die geplanten Insassen des Jungenzimmers hier – Hajime, Kazuichi und Fuyuhiko, denn Nekomaru besetzte gerade die Toilette. Chiaki war noch nicht aufgewacht.

„Was für ein Tag“, seufzte Fuyuhiko und streckte sich auf seinem Bett aus.

„Du sagst es.“ Kazuichi gähnte. „Hey, Hajime, wie lange willst du noch da sitzen bleiben?“

„Psst!“, zischte Hajime, der immer noch im Schneidersitz auf dem Boden vor den hingeworfenen Karten saß und dessen Beine langsam zu kribbeln begannen.

„Lass ihn.“ Fuyuhiko starrte zur Zimmerdecke. „Mit euch Schwerenötern wird einem echt nie langweilig“, meinte er dann in einem seltsamen Anfall von Melancholie. „Sogar wenn wir im Ausland sind …“

„Also dafür, dass es das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist, war der Ausflug ja doch relativ normal“, meinte Kazuichi.

Hajime überlegte sich, dass der Ausflug genau genommen erst begonnen hatte, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie den aufregendsten Part hinter sich hatten. Bald würden Usami und Nagito ankommen, und das Sightseeing würde wie geplant ablaufen. (In Wahrheit versuchten diese beiden gerade ebenfalls zu schlafen, und zwar in viel billigeren, schäbigeren Betten. Sie hatte nur mehr ein Zimmer zu zweit bekommen, weswegen Usami einen Riesenaufstand von wegen Lehrer-Schüler-Beziehungen machte, aber Nagito war so müde, dass er mitsamt seiner Klamotten einschlief, kaum dass er sich in sein Bett gelegt hatte.)

Hajime bedachte Chiaki mit einem sanften Blick und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. Irgendwie war er froh über Nagitos kleinen Abstecher. Es war immerhin ein ganz schöner Abend geworden.

„Sagt mal, haben wir nicht was vergessen?“, fragte Kazuichi plötzlich.

„Hm“, überlegte Fuyuhiko. „Ja, jetzt wo du es sagst – irgendwas ist da bei mir im Hinterkopf. Oder irgendwer …“

Hajime zuckte so sehr zusammen, dass Chiakis Kopf auf seinem Schoß einen Hüpfer machte. „Mahiru! Wir haben Mahiru vergessen!“

In der Besenkammer ein Stockwerk tiefer hämmerte ein gewisses rothaariges Mädchen von innen gegen die Tür und verlangte erbost, endlich herausgelassen zu werden.

 

The End.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Soweit mal der Prolog :) Ich habe Usami bewusst so dargestellt, dass sie nicht zwingend ein Häschen sein muss und man sie sich auch als Menschen vorstellen kann, aber ich wollte ihre Persönlichkeit drin haben^^ Ach ja, und wie zu lesen war, imitiert der Ultimative Hochstapler in dieser FF Byakuya. Komplett anzeigen

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