Auf geheimer Mission von UrrSharrador (Klassenfahrt nach New York) ================================================================================ Kapitel 4: Wenn Träume (nicht) wahr werden ------------------------------------------ Kazuichi hatte es endlich geschafft, sich einen Traum zu erfüllen. Mehr oder weniger. Er hatte ein Date mit Sonia. Vielleicht war es kein richtiges Date. Sie gingen nur zu zweit die Gänge des Hotels ab und er achtete darauf, Orte aufzusuchen, an dem die anderen nicht waren. Aber immerhin. Er hatte sie ganz für sich allein. Gut, sie suchten nach Gundhams Hamster. Ausgerechnet Gundham … Kazuichi war gar nicht davon erbaut, wie sie immer um ihn herumscharwenzelte. Oder eher, wie Gundham sie mit billigen Tricks dazu brachte, um ihn herumzuscharwenzeln. Denn Sonia würde nicht so einfach um jemanden herumscharwenzeln. Oder eher, er benutzte ausgeklügelte, fiese Tricks. Denn Sonia würde niemals auf billige Tricks hereinfallen. Sie suchten also nach diesem Champignon oder wie auch immer der Hamster hieß. Und Sonias Gedanken galten eindeutig eher diesem winzigen Fellball als dem Jungen, der neben ihr lief und ihr jede Tür öffnete. Okay, vielleicht hatte er sie nicht ganz für sich allein. Immerhin waren ihre Gedanken woanders. Aber immerhin, sie waren ohne Aufsichtsperson in einem fernen Land, es war Nacht und wenn sie die Tür am Ende des Flurs öffneten, würden sie auf dem Dach herauskommen, und im Sternenlicht würde sich dann Kazuichis Idee von romantisch mit der von Sonia decken, garantiert. Es würde also total heimelig und romantisch werden dort oben. Sie öffneten die Tür zum Dach. Gut, es würde wohl doch nicht romantisch werden. Denn es war bereits jemand auf dem Dach. „Haaamster-chaaaan!“, schrie Ibuki eben am Rand des Daches in die Nacht hinaus und schaffte es mühelos, den spätnächtlichen Verkehr zu übertönen. Kazuichi seufzte. Keine Ruhe und sternenlichtgetränkte Zweisamkeit für ihn und Sonia. Immerhin waren die Sterne wirklich schön. „Ibuki ist ja mit wahrem Feuereifer bei der Sache“, stellte Sonia fest. „Wie schön.“ „Ja, weil sie immer mit Feuereifer bei der Sache ist“, knurrte Kazuichi. „Selbst wenn sie nicht bei der Sache ist, ist sie es mit Feuereifer.“ Ein neuerlicher Ruf wurde laut. Vermutlich hatte man als Sängerin ganz schön leistungsfähige Lungen. „Den Hamster findet sie so nie“, sagte plötzlich eine Stimme über Kazuichi und Sonia. Auf dem Dach des Treppenhäuschens saß im Schneidersitz Akane und – richtig, sie aß, und zwar einen von mehreren Hamburgern, die sich neben ihr stapelten. Diesen Essensvorrat hatte sie von einer Burgerbude, die sie auf dem Heimweg vom Supermarkt gesehen hatte. Sie hatte sich von Chiaki Geld geliehen, um sich einen Burger zu kaufen, und dann die anderen geklaut, während der Verkäufer ihr das Wechselgeld herausgesucht hatte. Sie hatte sich aber nicht wegen dem Diebstahl hier verschanzt, sondern aus zweierlei Gründen: Sie hatte nämlich bemerkt, dass die Amerikaner erstens alle ein wenig größer gewachsen waren als der typische Durchschnittsjapaner. Und zweitens hatten sie festgestellt, dass es auch deutlich mehr dicke Menschen hier gab als zuhause. Ergo brauchten die Amerikaner mehr Nahrung als Japaner. Um nicht etwa das Risiko einzugehen, jemand könnte ihr die hart erwirtschafteten Burger aus dem Mund stehlen, hatte sie sich hier auf das Dach zurückgezogen. „Akane, hier bist du also. Ich glaube, Nekomaru sucht dich schon“, sagte Sonia. „Hm. Ich komme, sobald ich fertig bin. Hab schon gehört, ihr sucht einen Hamster? Ibuki kann sich die Rumschreierei sparen“, mampfte Akane mit vollem Mund. Sie schluckte hinunter und fuhr fort: „Der Hamster wird dort sein, wo er was zu fressen findet. Hier bei mir ist er nicht, also rennt er wahrscheinlich verzweifelt durchs Hotel. Mit Schreien kann man ihn sicher nicht anlocken, nur mit Futter. Ich geb aber nichts von meinen Burgern ab!“, fügte sie empört hinzu, als sie Kazuichis Blick bemerkte. Den hatte er ihr aber aus einem anderen Grund zugeworfen. Hatte er wirklich für einen Moment geglaubt, Akane hätte richtigerweise den Schluss gezogen, dass es sinnlos war, auf dem Dach eines Hotels „Hamster-chan“ auf die nächtlichen Straßen von New York hinab zu schreien? Vermutlich war Ibuki selbst schon auf diesen Sachverhalt gekommen und suchte nur nach einem Vorwand, um laut zu sein. „Oh, hallo Sonia, Kazuichi“, ertönte Chiakis wie immer etwas verschlafene Stimme, als sie aus der Dunkelheit trat. Sie hatte den Boden und den Sicherheitszaun des Daches gründlich abgesucht. „Keine Spur von Cham-P. Hattet ihr mehr Erfolg?“ Sonia schüttelte traurig den Kopf, und Kazuichi seufzte. Von wegen, auf dem Dach wären sie ungestört.   Hajime wurde immer müder, je mehr sich in ihm der Verdacht erhärtete, dass sie Cham-P noch die ganze Nacht lang suchen würden. Und auch, wenn er verstand, dass Gundham sich ernsthafte Sorgen machte – obwohl er das natürlich nur auf seine ganz spezielle Weise zeigte –, fragte sich Hajime wiederholt, warum es denn so wichtig war, diesen Hamster jetzt zu finden. Sicherlich würde er spätestens morgen beim Frühstück wieder auftauchen, oder eben, sobald er Hunger hatte. Und wenn Cham-P es schaffte, sich derart vor ihnen zu verstecken, dann konnte er wahrscheinlich wirklich seine dämonischen Fähigkeiten ausspielen und durch Wände gehen … oder so. Und morgen früh würde er, an Gundham gekuschelt, in seinem Bett liegen. Fuyuhikos Gemurmel wurde ebenfalls mit jeder Minute unflätiger und hob die allgemeine Stimmung auch nicht gerade. Sie stellten noch einmal das ganze Hotel vom Erdgeschoss bis in den obersten Stock auf den Kopf. Schließlich blieb nur noch das Dach übrig. Der Gang, der dorthin führte, war nur schlecht beleuchtet, und es gab einige dunkle Nischen. Hajime wünschte fast, sie hätten seine Taschenlampe dabei. Als sie auf die metallene Tür zutraten, die auf das Dach führte, öffnete sich diese eben, und vor dem tiefblauen Nachthimmel wurden Sonia und Kazuichi sichtbar, die wohl hier gesucht hatten. „Gundham!“, rief die Prinzessin erfreut und trat ein paar Schritte auf ihn zu. „Hatte die Suche bereits Erfolg?“ Ehe Gundham etwas erwidern konnte, löste sich plötzlich aus einer der schattigen Nischen eine pelzige Kugel und rollte – nein, lief mit kleinen Hamsterbeinchen zwischen Sonia und Kazuichi hindurch aufs Dach. „Da ist der kleine Bastard!“, knurrte Fuyuhiko und stürmte los. Die ganze Wut, die sich in ihm aufgestaut hatte, weckte unglaubliche athletische Kräfte in ihm. Sonia sprang mit einem spitzen Schrei aus dem Weg. Kazuichi schrie noch mädchenhafter, als der Yakuza ihn beinahe umrannte. Sekunden später waren auch Gundham und Hajime auf dem Dach. Letzterer warf die Tür zu. „Wo ist er?“, rief er atemlos. Gundhams Hand zuckte nach rechts. „Mein dämonischer Arm spürt das dunkle Blut meines Devas kochen. Ich bin sicher, dass er ganz aufgewühlt vom Hunger auf sterbliches Fleisch ist. Er scheint nicht ohne Beute zu seinem Meister zurückkehren zu wollen.“ „Dann sag ihm, dass ohne Beute auch gut ist“, blaffte Fuyuhiko. Die Richtung, in die Gundham gezeigt hatte, stimmte aber. Ziemlich an der Dachkante, dort, wo der Maschendrahtzaun vor dem Fallen bewahrte, hockte das kleine Tier und kratzte sich hinter dem Ohr. „Okay, ganz langsam jetzt“, sagte Hajime. „Von wegen ganz langsam, den kauf ich mir!“ Fuyuhiko stürmte wieder los. Es war schon interessant: Fuyuhiko war ja selbst ziemlich klein, und somit zumindest im Sport immer ein wenig langsamer als seine Klassenkollegen mit den längeren Beinen. Der Hamster war noch um so vieles kleiner, aber trotzdem um so vieles schneller. Gundham hatte sicher eine fantastische Erklärung, warum das so war. Jedenfalls gelang es Fuyuhiko nicht, den Pelzball zu schnappen. Der Hamster entwischte seinen zupackenden Händen und lief am Zaun entlang. „So wird das nichts“, sagte eine verträumte Stimme über ihnen. Hajime blickte auf. Auf dem Dach des Treppenhäuschens stand Chiaki, neben Akane, die eben ihren letzten Burger verdrückte. „Wir müssen ihn einkreisen“, sagte die Gamerin. „Fuyuhiko, du gehst am Zaun entlang und folgst ihm. Hajime, du gehst parallel zum Zaun mit dem Hamster mit. Kazuichi und Sonia, ihr geht Cham-P von vorne in einer Zangenbewegung entgegen.“ Die Freunde stellten nicht viele Fragen, sondern teilten sich auf. Gundham nickte Chiaki noch kurz zu. „Mögen die Magischen Säulen der Unterwelt dir die Kraft geben, eine Strategie zu ersinnen, die selbst meinen Dunklen Deva der Zerstörung in seine Schranken weisen kann.“ Hajime sah, dass auch Ibuki auf dem Dach war. Chiaki kommandierte sie in den Bereich des Daches, in dem noch niemand war, damit sie den Hamster vielleicht fangen konnte, sollte er ihnen wieder ausbüxen. Und der Hamster büxte aus. Kazuichi griff ein paar Sekunden zu früh zu, als Cham-P direkt vor ihm war. Er wollte Sonia beeindrucken und den Hamster selbst fangen, und das wurde ihm zum Verhängnis. Cham-P schlüpfte zwischen seinen Beinen hindurch, drehte dann, wie um ihn zu verhöhnen, einen Kreis um ihn herum, sodass Kazuichi fast über seine eigenen Beine stolperte bei dem Versuch, ihn zu verfolgen. Dann sauste er wie der Blitz auf die Tür zu. „Akane!“, sagte Chiaki. „Schon zur Stelle!“ Die Gymnastikerin sprang vom Dach des Häuschens und landete direkt vor der Tür. Der Hamster zuckte regelrecht zurück. Sein Fell sträubte sich, als sie urplötzlich vor ihm auf dem Boden aufkam. Er machte wieder kehrt. „Kazuichi, bleib stehen, wo du bist“, rief Chiaki ihm zu. „Du bist unser Tank. Hajime, drei Felder nach links! Ibuki, spawne irgendwo im Neunzig-Grad-Winkel zur Tür! Akane, halte das Portal zu, nicht dass jemand es von drinnen aufmacht! Sonia und Gundham, macht eine Rochade, schnell!“ „Warum kann ich das nicht mit Sonia machen?“, schrie Kazuichi, blieb aber brav auf der Stelle stehen. „Spielst du hier etwa ein Spiel mit uns, Chiaki?“, rief Fuyuhiko aufgebracht. Der Hamster entkam sowohl Sonia als auch Ibuki, die nach ihm greifen wollten, und huschte quer über das Dach. „Jetzt, Fuyuhiko!“, sagte Chiaki. „Fall ihm in die Flanken!“ Fuyuhiko hechtete los, aber Chiaki war es gewohnt, nur eine Taste zu drücken, damit ihre Spielfiguren sich bewegten. Die Zeit, die es dauerte, bis sie ihren Befehl formuliert und über das Dach gerufen hatte, gepaart mit ihrer stets etwas träumerischen, langsamen Stimme, addiert mit der Zeit, die Fuyuhiko zum Reagieren brauchte, zerstörte das Timing total. Ehe der Yakuza zur Stelle war, war Cham-P in einem weiten Bogen davongesaust und hielt wieder auf die Tür zu, deren Klinke Akane fest gepackt hielt. Selbst wenn Gundhams Hamster dämonische Kräfte haben sollte, dachte Hajime, dort kam er nicht durch. Dann geschah etwas Unerwartetes. Plötzlich erbebte die Tür zum Dach unter einem Stoß von innen und fegte Akane weg, der die Klinke einfach entglitt. Das Mädchen flog regelrecht über das Dach, mit einem verdutzten Gesichtsausdruck und die Hand immer noch so ausgestreckt, als würde sie die Tür noch zuhalten. Es gab in der ganzen Klasse nur einen, der Akane im Kräftemessen derart überrumpeln konnte. Und eine Sekunde später hörten sie auch seine Stimme. „Akane? Bist du hier auf dem Dach?“, brüllte Nekomaru. Hinter ihm stand Peko. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten zuckte der Hamster zu Tode erschrocken zusammen. Er huschte davon, krabbelte an Gundhams Bein hoch und flüchtete sich in dessen Schal. „Du Unhold“, knurrte Gundham. „Du hast Cham-P erschreckt. Weißt du nicht, wie gefährlich es ist, einen Invasorendrachen derart zu reizen?“ „Was?“ Nekomaru blickte sich verdutzt um. „Ihr seid alle hier?“ „Es ist alles in Ordnung“, sagte Sonia lächelnd. „Gundham hat seinen Cham-P wieder, dank eurem beherzten Eintreten.“ „Eher Auftreten“, flüsterte ihr Hajime zu, was wohl das war, was Sonia gemeint hatte, gleichwohl aber so oder so nicht ganz hinkam. Nekomaru blickte sie einen Moment lang fragend an, dann kratzte er sich lachend im Nacken. „Ah, das haben wir doch gern gemacht.“ Sein lautes Lachen übertönte ebenfalls den Verkehrslärm des nächtlichen New York.   Wäre Usami ein Schneemann, dann wäre sie jetzt wohl nur noch eine Pfütze. Ihr war abwechselnd heiß und kalt, und obwohl sie zitterte, schwitzte sie aus allen Poren. Während sie in konzentrischen Kreisen die Umgebung des LA-schen Flughafens absuchte, drehten sich ihre Gedanken ebenfalls im Kreis und durchliefen immer wieder das Spektrum von Scham, Furcht, Selbstmitleid bis Trauer. Sie war die schlechteste Lehrerin der Welt, das stand fest. Und Nagito der unglücklichste ihrer Schützlinge, ganz gleich, was sein Talent besagte! „Oh, der arme Junge, der arme Junge …“, murmelte Usami immer wieder sich her, und wer sie bei ihrem Tun beobachtete – und vielleicht auch ihre durchdringend negative Aura spürte –, hielt sie womöglich für geisteskrank. Als ihr Stimmungsbarometer gerade wieder die Kurve zwischen Furcht und Selbstmitleid kratzte, klingelte plötzlich ihr Handy und ließ sie zusammenzucken. Sie wusste nicht, ob dieses unerwartete Geräusch nun etwas Gutes bedeutete oder eher das Omen für etwas noch Schrecklicheres war. Etwas Gutes schien in dieser düsteren Nacht voller finsterer Gedanken und Geschehnisse wohl kaum möglich. Andererseits konnte es ja wohl auch nicht mehr schlimmer werden … Kurz entschlossen hob sie ab.   Nachdem er das Pech gehabt hatte, auf einem fremden Kontinent von seinen Klassenkameraden getrennt zu werden, die ohne ihn dann noch einmal den halben Kontinent überquert hatten, außerdem keine Möglichkeit hatte, sie zu kontaktieren, und zu guter Letzt noch in ein Wespennest aus gefährlichen Mafiosi geraten war, schlug Nagitos Glück mal wieder zu und ließ ihn selbiges verlassen, ohne gestochen zu werden. Die Mafia-Bosse baten ihn, seinen Vorgesetzten die besten Grüße zu bestellen, und händigten ihm eine CD mit sämtlichen Plänen aus, die sie künftig gern in Kooperation mit der chinesischen Mafia umsetzen wollten. Nagito beschloss, sie Fuyuhiko zu schenken, der konnte sicher etwas damit anfangen. Als er so, spät nachts, wieder allein durch die Straßen trottete, entdeckte er eine Telefonzelle. Er beschloss, seinem ziellosen Herumschlendern ein Ende zu machen und erneut sein Glück herauszufordern. So warf er eine Münze in den Automat, schloss die Augen und tippte eine zufällige Telefonnummer ein. Dann wartete er auf das Freizeichen. „Hawa-Hallo?“, meldete sich eine Stimme. „Usami-sensei“, rief Nagito gut gelaunt. „Sind Sie das?“ „Hawawawa“, tönte es durch den Hörer. „Nagito, bist du das?“ „Was für ein Glück“, lächelte er. „A-aber woher hast du meine Handynummer? Habe ich sie euch am Anfang des Jahres gegeben? Bin ich doch keine so schlechte Lehrerin?“, überlegte Usami hoffnungsvoll. „Ich habe einfach irgendwelche Tasten gedrückt und gehofft, dass ich Sie damit erreiche. Sogar die Vorwahl hat gestimmt!“ „Oh“, machte sie. „Nagito, wo bist du gerade?“ Er beschrieb ihr ungefähr seinen Aufenthaltsort. Wie es der Zufall – oder das Glück – so wollte, war ganz in der Nähe ein hohes Krankenhausgebäude, das aus zwei Türmen bestand. Diese Landmarke reichte schließlich aus, dass Usami-sensei ihn kurze Zeit später fand. Sie war so erleichtert, dass sie beinahe in Tränen zerfloss. Nagito, der sich während des ganzen Abenteuers natürlich keine Sorgen hatte machen müssen, lächelte nur. Das Pech, das folgte, war, dass sie an diesem Tag keinen Flug mehr nach New York erwischten und in irgendeinem schmierigen Hotel übernachten mussten, um am nächsten Morgen schließlich zu den anderen zu fliegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)