Auf geheimer Mission von UrrSharrador (Klassenfahrt nach New York) ================================================================================ Kapitel 1: Allein in New York ----------------------------- Nagito war natürlich fern jeder Verzweiflung. Sein plötzliches Verschwinden hatte sich so abgespielt: Nachdem er mit seinen Klassenkollegen den Duty-Free-Shop besucht hatte, war er auf die Flughafentoilette gegangen. Dort hatte er eine schwarze Katze gesehen. Was ihm aufgefallen war, war weniger, dass sie schwarz war, sondern dass überhaupt eine Katze im Los Angeles International Airport herumlief. Neugierig war er ihr gefolgt und hatte eine Sicherheitstür entdeckt, die offen stand, und dahinter einen ebenfalls offenstehenden Notausgang. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zufälle gemeinsam auftraten, war gleich null, daher hatte Nagito sich überlegt, was für ein unbeschreibliches Glück ihn erwarten würde, wenn er diesem schicksalhaften Pfad folgte. Und wirklich; er folgte der Katze fort vom Flughafengelände und bis zu einer überdachten Bushaltestelle. Dort lag, eingeklemmt zwischen einem Abfalleimer und der Wand, ein Portemonnaie mit viertausend Dollar darin – und ohne einen Ausweis oder einen anderen Hinweis auf seinen eigentlichen Besitzer. Nagito war wirklich ein Glückspilz. Als er jedoch zum Flughafen zurückging, fand er seinen Geheimweg verschlossen vor. Er musste den gewaltigen Komplex einmal umrunden, und ehe er wieder in die Wartehalle zu den anderen gelangte, hob bereits ihr Flugzeug ab. Irgendetwas schien beim Boarding schiefgegangen zu sein, denn es hatte keinen Aufruf gegeben, dass er noch an Bord gehen müsse. Aber eigentlich hatte Nagito so etwas in der Art erwartet: Nachdem sein Glück ihm viertausend Dollar beschert hatte, hatte ein viel größeres Pech zuschlagen müssen – und nun saß er ohne seine Freunde und ohne Gepäck in Los Angeles fest. Der Grund, warum er nicht verzweifelte, war einerseits, dass Nagito immer an die Hoffnung glaubte, und andererseits, dass er wusste, dass dieses Ereignis wieder ein ungleich größeres Glück nach sich ziehen würde. Und er war schon gespannt darauf, was dieses Glück sein würde. So gespannt, dass er vor Aufregung zitterte, als er ziellos und pfeifend durch die Straßen von LA schlenderte.   Das Hotel war nicht sehr groß und mit fünfzehn Schülern beinahe ausgelastet. Und es war alles andere als luxuriös. Obwohl er wohl am erfreutesten war, dass ihnen eine Weile ohne ihre Lehrerin bevorstand, hatte Kazuichi an der Rezeption Radau geschlagen. „Das soll unser Hotel sein? Sensei, es ist eine Frechheit, dass jemand wie Sonia in einem Drei-Sterne-Hotel unterkommen soll!“ „Ich bin allerdings auch etwas anderes gewohnt. In so einem Etablissement bringt man eher gemeines Fußvolk unter“, beschwerte sich auch Byakuya. Sie konnten wohl von Glück sagen, dass die Rezeptionistin kein Wort Japanisch verstand. Sonia lächelte. „Ich danke dir für deine Betroffenheit, Kazuichi, aber ich finde einen derartigen Tapetenwechsel durchaus aufregend.“ „Ist doch ganz toll hier“, meinte Akane. „Es zieht nicht und es hat ‘n Dach. Reicht doch.“ „Fürwahr, verglichen mit den Baracken in dem äußeren Kreis der Hölle ist dieser Ort hier geradezu paradiesisch“, stellte Gundham fest. Während die Schüler durcheinanderredeten, teilte Usami die Zimmerschlüssel aus und versuchte ihren Schützlingen ein paar Benimmregeln einzubläuen. Die wenigsten hörten ihr zu. „Es gibt Zwei- und Vierbettzimmer. Die Mädchenzimmer sind für die Jungen tabu und umgekehrt! Um zehn Uhr ist Bettruhe, und belästigt die anderen Gäste nicht!“ „Was ist mit dem Abendessen?“, fragte Akane. „Oh, ah …“ Usami begann stärker zu schwitzen. „Ich wollte eigentlich mit euch allen in ein Bistro gehen zur Feier unserer Ankunft … Ähm … Wir holen das nach.“ „Was?“ Akanes Augen weiteten sich entsetzt. „Kein Abendessen? Aber ohne Abendessen sterbe ich!“ „Wäre ja gar nicht so schlecht“, meinte Hiyoko schnippisch. Auch die anderen wurden nun aufmerksam. „Hä? Ohne Essen geht ja wohl gar nichts“, beschwerte sich Kazuichi. „Der Mensch muss essen, wenn er was leisten will!“, brüllte Nekomaru die halbe Hotellobby zusammen. „Ohne regelmäßige Mahlzeiten kann man nicht ordentlich sch…“ „In Ordnung!“, unterbrach ihn Usami. „Sensei gibt euch die Erlaubnis, euch in einem Supermarkt oder so etwas zu kaufen! Aber geht dann auf direktem Weg wieder hierher und bummelt nicht. Um zweiundzwanzig Uhr ist Bettruhe! Ich … ich muss den Flug erwischen!“ Damit eilte sie davon und ließ die fröhliche Gruppe in der Lobby stehen. „Ist irgendwas nicht in Ordnung, Gundham?“, fragte Hajime. Sein Klassenkamerad starrte seit geraumer Weile eine Familie an, die auf der zerschlissenen Couch in der Lobby saß – Vater, Mutter und ein kleines Mädchen. Die wiederum musterten die Neuankömmlinge ebenso misstrauisch. „Ich spüre dunkle Schwingungen von diesen Unholden“, erklärte Gundham. „Ihre stechenden Blicke schweifen des Öfteren über uns wie die kalten Finger des Nordwinds.“ Für Hajime waren diese Leute ganz normale Hotelgäste. „Naja, das ist wohl kein Wunder“, meinte er. „Wir fallen eben auf. Wir sind hier Ausländer, und wir haben nicht nur einen bunten Hund, sondern gleich mehrere.“ „Ooookay! Auf zum Essenfassen!“, rief eben Akane gut gelaunt aus und stieß die Faust in die Luft. „Hast du überhaupt Geld mit?“, fragte Hiyoko. „Wieso Geld? Das ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, hab ich gedacht.“ Akane grinste. „Du bist echt so hohl, dass es weh tut!“, stöhnte die Kleinste der Gruppe. „Heißt das, ich kann mir doch nichts zu essen kaufen?“, fragte die Sportlerin ängstlich. „Natürlich nicht, du Genie!“, knurrte Fuyuhiko gereizt. „Hört sofort auf zu streiten!“, sagte Mahiru forsch. „Ruhe!“, brüllte Nekomaru. „Ihr stört die anderen Hotelgäste!“ Hajime seufzte. Das konnte ja heiter werden.   Nagitos Glück würde kein Ende nehmen. Gerade war es dabei sich in schwindelerregende Höhen zu schrauben. Das musste so sein, weil er, seit er in LA gestrandet war, ständig Pech gehabt hatte. Zuerst hatte es zu regnen begonnen. Er hatte Zuflucht in einer kleinen Einkaufsmeile gefunden, wo sich Stand um Stand mit Snacks und Fastfood drängten. Bei dem Anblick hatte sein Magen zu knurren begonnen. Da Geld das Einzige war, was er besaß, hatte er seine Englischkenntnisse zusammengekratzt und sich bei einem der Stände einen Hot Dog bestellt. Zu seinem Pech hatte der Verkäufer ihn nicht ganz verstanden, denn irgendwie drückte er ihm nicht nur Unmengen einer Spezialsoße auf das Würstchen, die so scharf war, dass er es kaum essen konnte; er verlangte auch ganze vierzehn Dollar dafür! Vielleich wollte er auch einfach nur einen Touristen abzocken. Nun war Nagito mit einem kaum essbaren, hoffnungslos überteuerten Hot Dog unterwegs, der ihn immerhin aufwärmte. Aber gerade, als er die Schärfe als Mittel gegen das schlechte Wetter zu schätzen gelernt hatte, hörte es auf zu regnen. Es war allmählich dunkel geworden, und Nagito musste sich langsam nach einem Platz zum Schlafen umsehen. Die Straßen, in denen er sich befand, waren breit, die Häuser hoch, er fühlte sich wie in einer Schlucht aus Beton und Glas. In dem Stadtteil, in den er gewandert war, gab es auch wesentlich weniger Etablissements, in denen er die Nacht verbringen konnte – oder die zumindest auf den ersten Blick so aussahen, als böten sie Zimmer an. Während er also die verwaisten Straßen entlang trottete und den Wasserpfützen auswich, kam ihm erneut der Gedanke, dass er wirklich gehöriges Pech hatte und dass das folgende Glück grandios sein musste. Er begann sich bereits auszumalen, worum es sich handeln könnte. Vielleicht war ja der Flieger nach New York abgestürzt, und er war nur knapp dem Tod entronnen. Das wäre zum Beispiel ganz außerordentliches Glück – andererseits hätte die Maschine dann sine Klassenkameraden mit in den Tod gerissen, und deren Leben waren viel mehr wert als seines. Aber vielleicht waren sie ja auch nicht an Bord gewesen … Irgendwie machte sich in Nagitos übermüdeten, chilibenebelten und vom Jetlag geplagten Verstand der Gedanke breit, dass die anderen ebenfalls ihren Flug verpasst haben könnten, weil sie ihn suchen gegangen waren. Das wäre ganz eindeutig mehr, als er verdient hatte, aber bei so viel Pech in letzter Zeit war es gar nicht so unwahrscheinlich. Wenn das der Fall war, dann musste er sie schleunigst finden, um nicht noch mehr von ihrer kostbaren Zeit zu rauben. Es war dumm gewesen, einfach vom Flughafen fortzumarschieren. Er hätte sich gleich einen anderen Flug nach New York leisten sollen. Andererseits war es vielleicht auch gut gewesen, dass er es nicht getan hatte, denn wenn die anderen nun hiergeblieben waren und er allein nach New York geflogen wäre … Erst musste er also feststellen, ob sie ihn in LA suchten. Er versuchte, den Straßenschildern zum Flughafen zurück zu folgen, doch das erwies sich als schwierig. Also fragte er Passanten nach dem Weg. Das Flughafengelände kam irgendwann in Sicht, und er gelangte zu der Überzeugung, dass die amerikanischen Bürger alle hochanständig waren und ihm, der er im Vergleich zu seinen Klassenkollegen ein Nichts war, den richtigen Weg gewiesen hatten. Also beschloss er, sein Glück noch einmal auf die Probe zu stellen. In einer Seitengasse lungerten zwei Männer herum und rauchten. Sie grinsten, als er sich ihnen näherte. „Lost your way, boy?“, fragte der eine. Er hatte dunkle Haut und eine Glatze und trug eine Sonnenbrille, obwohl es längst finster war. Die Straßenlaterne spiegelte sich in den Gläsern. „No … I am looking for someone“, erklärte Nagito lächelnd. Die Männer grinsten breiter, als sie seinen Akzent bemerkten. „Well, you found someone.“ Die beiden Männer flüsterten einander etwas zu und nickten. Nagito wusste natürlich nicht, wer die beiden waren. Sie waren niedere Handlanger des Verbrecherbosses, der die Unterwelt von diesem Teil von Los Angeles beherrschte. Und auch sie suchten jemanden: Ein Kontaktmann der chinesischen Mafia sollte heute mit seiner Maschine landen. Nagitos Glück hatte ihn zu den beiden einzigen Menschen in Los Angeles geführt, die auf einen ihnen unbekannten jungen Mann asiatischer Herkunft warteten. Noch nichts von diesem Glück ahnend, versuchte er ihnen sein Anliegen darzulegen. Müdigkeit und Chili raubten ihm einen Gutteil seiner Englischkenntnisse, also brachte er nur ein Wirrwarr über die Lippen, in dem es um Hoffnung, Verzweiflung, Klassenkameraden, und Glück ging, und irgendwo mittendrin schaffte er es zu erwähnen, dass er aus einem Flieger aus Japan gestiegen war. Die beiden Männer, die wussten, dass ihr Kontaktmann über Tokio fliegen würde, sahen einander an. Dann beschloss der eine, die Sache abzukürzen: „Mafia?“, fragte er schlicht. Wenn dieser Junge nicht ihr erwarteter Kontaktmann war, würde ihn das Wort hoffentlich in die Flucht schlagen. Nagito strahlte. Chili und Müdigkeit ließen ihn sofort an Fuyuhiko denken – die beiden hatten seine Klassenkameraden gesehen! Sie waren tatsächlich hiergeblieben, um ihn zu suchen! „Yes!“, sagte er erleichtert. Wieder nickten sich die Männer zu und reichten ihm eine kleine Straßenkarte. Der Schwarze erklärte ihm, um welche Zeit er an dem eingezeichneten Ort erscheinen sollte. Dann verschwanden sie in den Schatten der Gasse und Nagito war froh, eine Spur gefunden zu haben, die ihn wieder mit seinen Freunden zusammenführen würde.   Nagitos Klassenkameraden hatten es sich einstweilen im Hotel gemütlich gemacht. Usami war abgereist, sie hatten sich typisch amerikanische Snacks gegönnt – vor allem Sonia hatten die vor Fett triefenden Burger, Hot Dogs und Pommes es angetan, sodass Kazuichi Hajime schon seine Bedenken wegen ihrer Figur ins Ohr geflüstert hatte – und nun hatten sie es sich in ihren Hotelzimmern gemütlich gemacht. Das Hotel hatte drei Stockwerke, sah man vom Erdgeschoss ab, in dem es keine Gästezimmer gab. Ihnen gehörte der zweite Stock allein, und Gundham und Teruteru schliefen in einem Zimmer im ersten Stock. Gegenwärtig hatten sich die meisten von ihnen im Viererzimmer von Hajime, Kazuichi und Fuyuhiko versammelt. Da sie es ursprünglich nur zu dritt hätten bewohnen sollen, hatte Byakuya darauf bestanden, ein Zweibettzimmer für sich zu bekommen, und Nekomaru wurde zwangsläufig zu ihrem Zimmergenossen. Momentan aßen sie Snacks und spielten ein Kartenspiel. Auch Chiaki hatte sich bereits zu ihnen gesellt, als sie das Wort Spiel gehört hatte. Es klopfte zaghaft. „Herein!“, rief Nekomaru. „Hey, tu nicht so, als wär das dein Zimmer. Du bist nur zwangsversetzt worden“, erinnerte ihn Fuyuhiko. Die Tür öffnete sich und Mahiru steckte den Kopf herein. In Händen trug sie ein Brettspiel und ebenfalls mehrere Packungen Chips. Sie rümpfte die Nase. „Hier müffelt es.“ „Kann doch gar nicht sein, wir sind ja eben erst hier eingezogen“, beschwerte sich Kazuichi. An Mahiru vorbei drängte sich Ibuki. „Jahallo!“, begrüßte sie die anderen gut gelaunt. „Was habt ihr zu naschen gekauft?“ Auch Hiyoko ließ sich dazu herab, das Zimmer zu betreten. „Gummibären und so sind für mich!“, verkündete sie freudestrahlend. Schließlich schlich auch Mikan wie ein scheues Reh ins Zimmer. „D-d-darf ich wirklich auch dabei sein?“ „Du verschwinde“, sagte Hiyoko. „Hier ist eh schon so wenig Platz.“ „Na, na, sei mal nicht so“, lachte Nekomaru. „Tritt ein, Mikan! Machen wir uns einen schönen Abend!“ „Ähm … okay … Aber wenn ich störe … dann sagt es bitte sofort …“ Mikan trottete schon jetzt wie ein getretener (und nasser) Pudel ins Zimmer, in dem nun wirklich allmählich der Platz ausging. Mahiru, die als Einzige noch in der Tür stand, seufzte. „Ihr wisst schon, dass wir dafür richtig großen Ärger kriegen können? Usami-sensei hat gesagt, wir Mädchen dürfen nicht in ein Jungenzimmer.“ „Sei nicht so eine Oberstreberin“, motzte Kazuichi. „So was gehört doch zu jedem Schulausflug. Das tun Schüler überall auf der ganzen Welt, hab ich nicht recht?“ „Sehe ich auch so“, erklärte Hajime. „Außerdem wird sie es nie erfahren.“ Mahiru seufzte, trat dann aber doch ein und warf ihre Snacks auf den Haufen mit dem Essen. „Okay, okay, okay, was spielen wir? Was spielt ihr denn gerade?“ Ibuki beugte sich interessiert über Hajimes Blatt. „Da fällt mir ein, kommt Sonia nicht?“, fragte Kazuichi etwas enttäuscht. „Keine Ahnung. Ich hab ihr Bescheid gesagt, aber sie hat gemeint, sie wolle Gundham bei etwas helfen“, meinte Mahiru schulterzuckend. „Was? Wieso? Was will sie denn bei schon wieder bei dem?“, ereiferte er sich. „Setzt dich wieder hin, du Bastard“, schimpfte Fuyuhiko, „und schau mir nicht in die Karten!“ „Ich gehe sie suchen!“ „Ganz ruhig, Kazuichi“, versuchte Hajime ihn zu beruhigen. „Die werden schon nichts anstellen.“ „Anstellen?“, quiekte er. „Was meinst du mit anstellen?“ „Ich hab gesagt, sie werden nichts …“ „Was stellst du dir unter anstellen vor?“, schnappte Kazuichi. „Du klingst wie ein kleines Ferkel“, kicherte Hiyoko und mampfte Gummibären. Sie lag bäuchlings auf Kazuichis Bett und ließ die Beine schaukeln, als amüsierte sie sich königlich. „Wahrscheinlich spannt er sie für ein dämonisches Ritual oder so ein. Können wir jetzt weiterspielen?“, fragte Fuyuhiko. „Niemals! Ich gehe sie sofort suchen!“ „Na, wenn’s nicht anders geht.“ Hajime seufzte und sammelte die Karten ein. „Wir spielen einstweilen was anderes. Du kannst Sonia und Gundham ja auch gleich einladen.“ „Solange ihr Akane nicht auch einladet“, murmelte Hiyoko. „Die frisst uns sonst wieder die ganzen Snacks weg.“ Nachdem Kazuichi aus dem Raum gestürmt war, ging Fuyuhiko nach draußen auf den Balkon, weil es ungeheuer stickig in dem Zimmer geworden war. Dort betrachtete er die Sterne – oder zumindest das, was er gegen die Stadtlichter davon sah. Betrachtete man die Stadtlichter selbst, sah New York bei Nacht ja gar nicht sooo viel anders aus als Tokio. Ein Geräusch neben ihm ließ ihn herumfahren. „Du bist es“, seufzte er erleichtert. Seine angeborenen Yakuza-Instinkte hatten ihn schon sonst was vermuten lassen. Neben seinem Zimmer lag das von Peko und Akane. Ihr Balkon ging in dieselbe Richtung, und nun stand seine Kindheitsfreundin nur ein paar Armlängen von ihm entfernt. „Habe ich dich erschreckt, Junger Herr?“, fragte sie in ihrer üblichen, ruhigen Tonlage. „Du brauchst dich vor nichts zu fürchten. Sollte dir Gefahr drohen, werde ich an deiner Seite sein, auch in diesem Land.“ „Hör schon auf mit dem Gefasel“, schnauzte Fuyuhiko sie an. „Was soll denn hier passieren?“ Dann räusperte er sich und fummelte an seiner Krawatte rum. „Was das angeht mit dem An-meiner-Seite-sein … Also, Hajime und Kazuichi haben gemeint, wir sollten dich auch einladen.“ „Einladen? Wofür?“, fragte Peko. Hatte sie denn gar nicht mitbekommen, dass in ihrem Zimmer eine kleine Fete stieg? Die Versammlung müsste eigentlich laut genug sein, um durch drei Wände zu hören zu sein. „Wir spielen Spiele. Das heißt, es sind natürlich banale Kindereien. Also falls du keine Lust hast, kann ich es verstehen. Aber ich dachte nur, ich sollte es dir gleich sagen, wenn ich dich schon zu Gesicht bekomme.“ Fuyuhiko schaffte es bei diesen Worten nicht, in ihr Gesicht zu sehen. „Die Einladung ist zu freundlich, Junger Herr“, sagte sie, „aber ich habe meine Kendo-Übungen noch nicht abgeschlossen. Wenn die Einladung danach noch aktuell ist, würde ich ihr gern nachkommen.“ „Gut. Mach das“, sagte er. „Ich meine, es ist wirklich nichts Besonders. Wir wollen dich auch nicht vom Trainieren abhalten.“ „Schon in Ordnung. Ich werde dann also in euer Zimmer kommen, sobald ich mit den Übungen fertig bin. Ich mache nur eben eine Pause, darum bin ich auf dem Balkon – falls du dich gewundert hast.“ „Okay. Alles klar. Also bis dann.“ Er wollte schon wieder ins Zimmer gehen, als ihm noch etwas einfiel. „Ach ja, Peko …“ „Ja?“ „Es ist hier … Also … Wie soll ich sagen?“ Wieder juckte sein dämlicher Kragen furchtbar. Und wieder waren die Stadtlichter einfacher anzusehen als ihr Gesicht. „Also, ich habe meine Meinung geändert. New York ist ein gefährliches Pflaster. Du darfst dein Training auf keinen Fall zu lasch angehen.“ „Das habe ich nicht vor.“ „Deswegen will ich, dass du richtig schnell trainierst“, erklärte er. „Mach deine Übungen so schnell wie noch nie zuvor. Das wird deine … äh … Reflexe verbessern. Und die Pausen vergiss am besten auch. Also, man sieht sich später.“ Er trat eilig ins Zimmer zurück, schon weil er merkte, dass die üblicherweise recht spontane Antwort Pekos auf diesen Befehl hin ausblieb und von einem milde überraschten Blick abgelöst wurde.   Keine zehn Minuten später flog die Tür auf. Fuyuhikos Herz macht eine Hüpfer, weil er dachte, dass Peko sich wirklich wahnsinnig beeilt hätte, aber es war Sonia, die eintrat. „Es ist schrecklich!“, rief sie aus. Im Schlepptau hatte sie Gundham, der mit verschränkten Armen den Raum musterte. „Was ist passiert?“, fragte Hajime. „Seid ihr gar nicht in Kazuichi gelaufen?“, fragte Ibuki, die eben den Schwarzen Peter von Mikan gezogen hatte. „Einer von Gundhams Hamstern ist verschwunden!“, rief Sonia aufgelöst. „Sag bloß, du hast sie auf den Schulausflug mitgenommen?“, fragte Fuyuhiko. „Ein wahrer Gebieter über die Finsternis lässt seine Untergebenen niemals zurück, wenn er sich auf eine Mission begibt“, brummte Gundham in seinen Schal. „Wir haben schon in der Lobby nachgesehen und im Treppenhaus“, berichtete Sonia. „Und die anderen drei sind noch da?“, fragte Chiaki. „Nur der Schwarze Invasorendrache Champ-P ist verschwunden“, sagte Gundham und ballte die Faust. „Ich hätte besser achtgeben müssen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, welche Verwüstungen er anrichten kann, wenn ich nicht da bin, um ihn zu zügeln.“ „Okay, ganz ruhig“, sagte Hajime. „Er ist also nicht in deinem Zimmer, im Treppenhaus und in der Lobby? Vielleicht hat er irgendwo ein Mäuseloch gefunden und ist da hinein gelaufen?“ „Würd mich auch nicht wundern, wenn es hier in dieser Bude Mäuse gebe“, meinte Hiyoko. „A-a-also ich h-hab noch kein Mäuseloch entdeckt“, berichtete Mikan. „Wo waren die Hamster denn im Flugzeug? „Gundham hatte sie alle in seinem Schal, bis wir hier im Hotel eingecheckt haben“, berichtete Sonia. „Das Tierchen muss ihm irgendwann danach entfleucht sein.“ „Ihr wollt doch nicht etwa sagen, dass wir jetzt das ganze verdammte Hotel nach dem kleinen Biest absuchen sollen, oder?“, stöhnte Fuyuhiko. „Mir scheint, das ist die einzige Option, die uns offensteht“, sagte Sonia entschlossen. „Au ja! Eine Suchaktion!“, rief Ibuki glücklich aus. „Kommt, stellen wir das Hotel auf den Kopf! Das wird toll!“ „W-wi-wir können doch nicht … Sensei wird mit uns schimpfen“, meinte Mikan, aber Ibuki war schon halb zur Tür hinaus. „Sei kein Frosch, Mikan-chan! Das ist aufregend! Als ob wir auf geheimer Mission wären!“ „Auf geheimer Mission, um einen Nager zu finden“, brummte Fuyuhiko. „Sei nicht so unkollegial“, ermahnte ihn Nekomaru. „Einer unserer Klassenkollegen braucht Hilfe! Und ein bisschen Treppensteigen ist ein gutes Training! Ich werde Akane suchen gehen, sie ist sicher dabei.“ „Sicher, dass sie den Hamster nicht einfach gefressen hat?“, frotzelte Hiyoko. „Was sagst du da?“, entfuhr es Gundham. „Ich verbitte mir derartig derbe Späße in Zeiten der Not!“, sagte Sonia mit ihrer üblichen, einmaligen Prinzessinnenautorität. „Leute, habt ihr irgendwo … Ah, Sonia!“ Kazuichi war eben von seiner offensichtlich erfolglosen Suche zurückgekehrt und strahlte. „Kommst du auch zum Spielen?“ „Schweig, du Unhold“, sagte Gundham finster. „Haben deine sterblichen Augen irgendwo meinen Champ-P erblickt?“ „Cham-P? Was ist das?“ „Gundhams Hamster“, sagte Hajime schnell, ehe der Tierzüchter Kazuichi eine verbale Schelle verpassen konnte. Obwohl es bei Gundham üblicherweise schwer zu sagen war, sah er heute wirklich gereizt aus. Er musste sich sehr um seinen Hamster sorgen. „Dann ist es beschlossen. Wir teilen uns auf und suchen Gundhams Hamster“, bestimmte Sonia. Und so begann die von Ibuki so titulierte geheime Mission zur Suche nach einem winzig kleinen Schwarzen Invasorendrachen.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)