After the War von Morwen (Geralt x Iorweth) ================================================================================ Geralt wusste nicht, wann er angefangen hatte, Corvo Bianco seine Heimat zu nennen. Es musste irgendwann zwischen der Erkenntnis gewesen sein, dass nie wieder jemand in Kaer Morhen auf ihn warten würde, und dem Tag, an dem er morgens vom Lachen der Kinder seines Stallmeisters geweckt wurde, die im Garten gespielt hatten, und Geralt plötzlich klar geworden war, dass er unbewusst eine neue Familie um sich herum aufgebaut hatte. Der Gedanke hätte ihn beunruhigen sollen, doch er tat es nicht. Im Gegenteil, ein Teil von ihm begrüßte diese Entwicklung, diese neue Beständigkeit in seinem Leben, und mittlerweile sah er jedem Besuch von Corvo Bianco mit einer gewissen Vorfreude entgegen. So auch dieses Mal, als er von einer knapp zweiwöchigen Jagd aus Nazair nach Toussaint zurückkehrte. Geralt war kaum vom Pferd gestiegen und auf den Eingang des Herrenhauses zugetreten, als sich auch schon die Tür öffnete und Barnabas-Basilius ihn mit einem höflichen Lächeln begrüßte. „Willkommen daheim, Herr. Schön, dass Ihr wohlbehalten zu uns zurückgekehrt seid.“ „Gern geschehen“, brummte Geralt und nickte ihm zu, bevor er seine Satteltaschen und seine Schwerter den wartenden Dienern überreichte. Am Anfang hatte er sie noch ignoriert – er konnte seine Sachen schließlich auch alleine tragen, herzlichen Dank – aber mit der Zeit hatte er die Luxusmomente im Alltag auf Corvo Bianco zu schätzen gelernt und seiner Dienerschaft die Arbeiten überlassen, für die er sie, Stolz hin oder her, letztendlich auch bezahlte. Du lässt dich gehen, Junge. Er konnte Vesemirs enttäuschte Stimme förmlich hören, als er wenig später die staubbedeckte Rüstung ablegte. Schweig still, alter Mann, dachte Geralt jedoch nur erschöpft. Du bist tot. Ich bin dir keine Rechenschaft mehr schuldig. Eine Viertelstunde später sank er mit einem zufriedenen Seufzen in das heiße Wasser des Bades, das seine Bediensteten vorbereitet hatten. Oh ja. Allein dafür hatte sich die lange Heimreise nach Toussaint gelohnt. Während sich seine Muskeln in der Wärme langsam entspannten, schloss Geralt die Augen und ließ seine Gedanken schweifen. Seitdem Ciri knapp ein Jahr zuvor die Weiße Kälte besiegt hatte und anschließend nach Nilfgaard gegangen war, hatte die Armee des Imperiums den verbliebenen Widerstand im Norden gebrochen, und nun lag der Krieg in den letzten Zügen. Wen Emhyr nicht mit Waffengewalt hatte bezwingen können, den hatte er mit äußerst lukrativen Handelsabkommen geködert und damit auch politisch unwiderruflich an Nilfgaard gebunden, eine Taktik, mit der er selbst das stolze Novigrad hatte erobern können. (Geralt vermutete, dass Ciri ihre Hände dabei im Spiel gehabt hatte, um weiteres sinnloses Blutvergießen zu vermeiden; er zweifelte nicht daran, dass Emhyr die Stadt sonst mit Waffengewalt eingenommen hätte.) Geralt scherte sich schon längst nicht mehr um das politische Ränkespiel, er war nur froh, dass es endlich vorbei war. Was Kriege anging, war dies einer der längsten und nervenzehrendsten gewesen, die er je erlebt hatte, und er war froh, dass der Norden nun wieder einigermaßen stabil war und er selbst hoffentlich wenigstens für eine Weile seinen wohlverdienten Frieden genießen konnte. Nicht, dass er vorhatte, beim nächsten Krieg erneut den Fehler zu machen, sich in die Ereignisse verwickeln zu lassen, ganz sicher nicht. Aber dasselbe hatte er sich auch bei diesem Krieg gesagt, und Geralt war klug genug, nicht länger Versprechungen sich selbst gegenüber zu machen, die er am Ende nicht einhalten konnte. Denn tief im Inneren wusste er, dass er auf der Stelle alles stehen und liegen lassen würde, sollte Ciri jemals seine Hilfe benötigen. Er grunzte auf, als ihm das Wasser plötzlich in die Nasenlöcher drang; er musste kurz eingenickt und tiefer in die Wanne gerutscht sein. Mit einem Gähnen streckte er sich, dann erhob er sich und stieg aus dem mittlerweile lauwarmen Wasser, um sich abzutrocknen. Warm, sauber und entspannt streifte er sich ein frisches Hemd und eine schlichte Leinenhose über, bevor er sich in sein Zimmer begab und eingeschlafen war, kaum dass sein Kopf das Kissen berührt hatte.   Geralt schlief bis tief in die Nacht und stand nur auf, um das üppige Mahl zu verspeisen, das Marlene in der Zwischenzeit für ihn zubereitet hatte. Sie kannte ihn lange genug, um mit seinem enormen Appetit nach seinen Jagden vertraut zu sein, und stellte stets ein Tablett mit warmen Speisen vor seine Tür, während er schlief. Diese Nacht war keine Ausnahme und kaum hatte er die letzte Schüssel geleert, übermannte ihn erneut Müdigkeit und Geralt sank zurück auf sein Bett, um bis zum nächsten Morgen durchzuschlafen.   Nach einem ausgiebigen Frühstück machte er mit Barnabas einen Rundgang über das Gut und ließ sich von ihm über alle Neuigkeiten in Kenntnis setzen. Die Weinlese stand kurz bevor und sein Verwalter hatte zusätzliches Personal angestellt, um bei der Ernte zu helfen. Zudem hatte er die ersten Flaschen des letzten Jahrgangs an ausgewählte Mitglieder des Adels von Toussaint verschickt und durchweg begeisterte Reaktionen erhalten. „Sobald wir beginnen, den Wein vom letzten Jahr im größeren Umfang zu verkaufen, werdet Ihr einen beachtlichen Gewinn machen, Herr, daran besteht für mich kein Zweifel. Schon jetzt bieten uns die Händler Höchstpreise für einzelne Flaschen an.“ Geralt hatte vom Weinanbau keine Ahnung. Er mochte Wein und schmeckte auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Sorten heraus, aber am Ende war es nur Alkohol, und er würde nie verstehen, wieso man in Toussaint so eine Wissenschaft daraus machte. Doch er glaubte Barnabas und vertraute seinem Urteil. „Klingt gut“, nickte er ihm zu und klopfte dem Mann auf die Schulter. „Du wirst das schon machen.“ Dann kehrte er zum Haus zurück, während Barnabas ihm nur sprachlos hinterherstarrte.   Der größte Vorteil von Corvo Bianco war es, ein Haus zu besitzen, in dem er nichts tun musste. Wenn er sich in Kaer Morher über die Löcher in den Mauern und den Putz, der ihm beim Schlafen auf das Gesicht rieselte, beschwert hatte, hatte Vesemir ihm lediglich einen unbeeindruckten Blick zugeworfen und ihn aufgefordert, sich gefälligst selbst darum zu kümmern. Anders jedoch in Corvo Bianco. Barnabas-Basilius rotierte Tag und Nacht, damit Haus, Hof und Garten einen vernünftigen Eindruck machten. Er kümmerte sich um alle anfallenden Reparaturen und überwachte persönlich den Ausbau des Weinkellers, er gab neue Möbel in Auftrag, um das Haus wohnlicher zu machen, und zahlte den Mägden und Knechten jede Woche pünktlich ihren Lohn aus. Geralt wusste nicht, in welchem Zustand das Haus ohne ihn gewesen wäre, und er war jeden Tag erneut dankbar dafür, ihn zu haben. Doch so angenehm das Leben auf Corvo Bianco auch war, knapp eine Woche nach seiner Rückkehr spürte Geralt wieder das altvertraute Kribbeln in den Händen und eine Unruhe, die ihn früher oder später dazu bringen würde, erneut seine Sachen zu packen und loszuziehen. Selbst wenn er das Geld mittlerweile nicht mehr zum Überleben benötigte, so sehnte er sich doch nach Abwechslung und dem Gefühl, gebraucht zu werden.   Darum kam ihm der plötzliche Besuch des Grafen di Salvaress sehr gelegen, der eines Abends in vollem Galopp auf den Hof preschte, und aus dem Sattel sprang, kaum dass sein Hengst zum Stehen gekommen war. „Herr Geralt!“, rief er, als er Geralt erblickte, und lief auf ihn zu. „Bitte verzeiht mir die späte Störung, aber ich brauche Eure Hilfe!“ Geralt, dem nicht entging, wie aufgelöst der andere Mann war, nickte nur. „Gebt mir fünf Minuten“, erwiderte er und kehrte ins Haus zurück, um seine Rüstung anzulegen und seine Schwerter zu holen. „Es ist Iokaste“, berichtete der Graf, nachdem sie sich beide auf ihre Pferde geschwungen und den Hof verlassen hatten. „Normalerweise jagt sie nicht außerhalb ihres gewohnten Gebietes, doch vor einer Stunde hat sie einen nilfgaardischen Gefangenentransport angegriffen. Sie hat vor wenigen Wochen wieder Eier gelegt, nachdem sie sich mit ihrem neuen Gefährten gepaart hat, darum verteidigt sie die Gegend vermutlich auch so aggressiv.“ Geralt hob eine Braue. „Sollten sich die nilfgaardischen Soldaten nicht gegen sie zur Wehr setzen können?“ Doch der Graf schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn sie um das Wohl ihrer Brut fürchtet.“ Er schauderte. „Ich schwöre, die Schreie dieser Männer werden mich noch bis in meine Träume verfolgen...“ „Was genau erhofft Ihr Euch dann von mir?“, fragte Geralt. „Wir hatten eine Abmachung, gewiss, aber ich weiß nicht, wie ich diesen Männern helfen kann, ohne Iokaste dabei zu verletzen.“ „Vielleicht findet Ihr einen Weg, um sie für den Moment zu vertreiben?“, erwiderte der Graf verzweifelt. „Ich weiß, es ist eine ungewöhnliche Bitte, aber ich wusste nicht, wen ich sonst fragen sollte. Ihr seid einer der wenigen, dem ich in dieser Sache vertraue.“ Geralt seufzte leise auf. „Na schön. Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Als sie den Ort von Iokastes Überfall erreichten, hatte sich das Problem jedoch mittlerweile von selbst erledigt. Von dem Basiliskenweibchen fehlte jede Spur, doch dafür war der Beweis seines Zorns nur umso deutlicher. Das halbe Dutzend Soldaten hatte keine Chance gehabt. Iokaste war durch die Männer gepflügt, wie eine Sense durchs Kornfeld. Ihre scharfen Krallen hatten sogar die Rüstungen der Soldaten aufgerissen, deren ungeschützte Körper sie dann anschließend zerschmettert hatte – nicht um sie zu fressen, wie Geralt schnell erkannte, sondern um sie schlicht und ergreifend unschädlich zu machen. Der Graf war wie erstarrt und sah mit leichenblassem Gesicht zu, wie Geralt von einem der Männer zum nächsten ging und den Puls prüfte. Schließlich erhob er sich wieder und schüttelte den Kopf. „Keine Überlebenden“, erwiderte er. „Was...“ Der Mann schluckte nervös, bevor er erneut zu sprechen begann. „Was sollen wir jetzt tun?“ Geralt sah ihn an. „Ich schlage vor, Ihr macht Euch unverzüglich auf nach Beauclair und informiert die nilfgaardische Botschaft über den Vorfall, damit sie Abgesandte schicken können, um die Leichname zu bergen.“ Der Graf nickte und stieg mit zitternden Gliedern wieder auf sein Pferd. „Und was werdet Ihr tun?“, fragte er, während er nach den Zügeln griff. Geralt sah zu dem Käfig hinüber, dessen Räder halb im Matsch der Straße versunken waren und dessen Tür schief in den Angeln hing. „Ich werde mich noch ein wenig umsehen“, erwiderte er. „Gebt gut auf Euch Acht“, sagte di Salvaress, dann lenkte er sein Pferd gen Westen und war bald darauf in der Dunkelheit verschwunden. Sobald Geralt wieder allein war, ging er zu dem Gefangenenwagen hinüber und ließ sich davor in die Hocke sinken. „Ich weiß, dass du dich versteckt hast“, sagte er leise. „Du hast von mir nichts zu befürchten. Deine Wächter sind tot und der Basilisk ist fort. Du kannst wieder hervorkommen.“ Ein leises Stöhnen drang aus dem schmalen Hohlraum zwischen dem Boden des Käfigs und der nassen Straße. Doch das war auch die einzige Reaktion, die Geralt bekam. Er runzelte die Stirn, dann erhob er sich wieder und trat auf die Vorderseite des Wagens zu. Der Kadaver des Pferdes, das den Käfig gezogen hatte, machte es unmöglich, den Wagen zu bewegen, also zog Geralt sein Schwert und durchtrennte die Gurte und Lederriemen, die den Körper des Tieres mit dem Käfig verbanden. Sobald er alle gekappt hatte, schloss er seine Hände um die Eisenstangen und schob den Wagen mit ganzer Kraft ein Stück nach hinten. Nun kam auch endlich der Gefangene zum Vorschein, der sich unter dem Wagen versteckt hatte, nachdem Iokaste seinen Käfig zerstört hatte. Geralts Augen weiteten sich, als er den verletzten Elf erkannte, der sich auf dem Boden zusammengerollt hatte. „... ich glaube es nicht“, murmelte er. Iorweth. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)