Zum Inhalt der Seite

Momentaufnahmen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Alkohol

Okay, vielleicht hatte er einen oder zwei über den Durst getrunken. Aber wenn es etwas zu feiern gab, dann konnte sowas schon mal passieren. Immerhin hatte Judai dabei sein dürfen, als Yusei sein erstes Rennen gewann. Da hatten sie im Three Harpies dann halt noch gut Party gemacht. Da vergaß man eben, das wievielte Glas man gerade trank, wenn einem immer wieder nachgeschenkt wurde. Man wollte schließlich nicht unhöflich sein und es stehen lassen.

„Trink noch einen! Trink noch einen!“, war es immer wieder von allen Seiten gekommen. Die typische japanische Trinkkultur. Yusei hatte sich gut rausreden können. Der musste immerhin noch fahren. Für jedes Bier der anderen trank er eben einen Softdrink oder etwas anderes nicht-alkoholisches. Amüsiert hatte er sich trotzdem gut.
 

Inzwischen war es an der Zeit die Heimreise anzutreten. Judai leerte sein letztes Glas und stellte es mit einem lauten Klonk auf dem Tisch ab. „So! Schluss für heute!“, lallte er grinsend, aber bestimmt. Beim Aufstehen spürte er, wie seine Beine etwas nachgaben. Hoppla. Wann war das mit dem Gleichgewicht so schwer geworden? Wenn man so dasaß merkte man gar nicht, dass die Welt dezent angefangen hatte, sich zu drehen. Naja, das sollte noch funktionieren. So weit war der Weg ja nicht. Er schob seinen Stuhl heran, wünschte dem Rest eine gute Nacht und wankte Richtung Ausgang.
 

Es tat gut die kühle Nachtluft einzuatmen und so verweilte er eine Weile im Türrahmen. Wie kam er von hier nochmal am besten nach Hause? Wo er so darüber nachdachte fiel ihm auf, dass er noch nie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von hier aus Heim gefahren war. Schon gar nicht um diese Uhrzeit. Fuhr überhaupt noch etwas?
 

Zu seinem Glück tauchte Yusei neben ihm auf und legte behutsam die Hand auf seine Schulter.
 

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er ruhig.
 

Judai nickte. „Jah. Ich… weiß gerade nur nicht, wie ich fahren soll.“
 

„Wenn du magst, kannst du heute wieder mit zu mir“, bot Yusei an. Stimmt, das war definitiv näher und leichter zu erreichen.
 

„Oh, wenn ich darf gerne“, lächelte Judai und versuchte seine Zunge im Zaum zu behalten.
 

Deutlich zu sprechen wurde definitiv zu anstrengend. Da musste man sich ja konzentrieren. Aber er wollte auch nicht hoffnungslos betrunken wirken. Es ging ja noch. Er war nur… ziemlich beschwippst. Wie sich Motorradfahren im Moment auf seinen Magen auswirken würde? Ihm war immerhin noch nicht schlecht geworden. Eigentlich fühlte er sich noch ziemlich fit. Also abgesehen davon, dass er langsam richtig müde wurde. Die wohlige Wärme in ihm war Schuld.
 

Die Fahrt zu Yuseis Wohnung war gut zu überstehen. Bedacht hatte Yusei Rücksicht auf seinen Zustand genommen und war im gemäßigten Tempo gefahren. Gerast war er an diesem Abend eh schon genug. Er wollte nicht provozieren, dass Judai sich in seinen Helm oder sonst wohin übergab. Einen Arm um seinen Freund geschlungen stiegen sie die Treppen hinauf. Im Laufe der Fahrt hatte sich der letzte Rest Alkohol in Judais Blutkreislauf reingeschleust und er wurde noch unsicherer auf den Beinen als er vorher schon war. Außerdem nörgelte er, dass er zu müde war um Treppen zu steigen. Tragen konnte Yusei ihn nicht, also bot er ihm eben an, dass er ihn stützte.
 

In der Wohnung angekommen stolperte Judai aus seinen Schuhen und torkelte ins Wohnzimmer. Die Couch sah bequem aus. Sitzen tat jetzt bestimmt gut. Oder liegen - liegen war besser.

Bei näherer Betrachtung… nein, liegen war schlecht. Da drehte sich alles nur umso mehr. Er lag doch nur waagerecht, wieso wollte die Welt plötzlich über Kopf stehen? So elegant er es konnte - was in diesem Zustand auf einer Skala von 1 bis 10 eine -5 darstelle…. - richtete er sich wieder auf und schnaufte.

Zu warm war ihm auch noch. Judai spürte, wie seine Ohren förmlich glühten. Von seinem Gesicht mal ganz abgesehen. Und sein Hemd roch auch noch nach Schweiß, Bier und Zigarettenqualm. Unangenehm. Ungeschickt versuchte er es über seinen Kopf zu ziehen. Nein, das wäre einfacher, wenn er die Knöpfe vorher öffnete. Aber die wehrten sich auch noch.
 

„Soll ich dir helfen?“, fragte Yusei, der sich nicht weiter ansehen konnte, wie hilflos Judai mit dem Hemd rang. Soweit er wusste war es auch noch Johans. Der würde es bestimmt nicht gutheißen, wenn Judai aus Frust einfach das Hemd aufriss und alle Knöpfe dabei abfallen würden.
 

Matt nickte Judai. Das war schon ein bisschen peinlich. Yusei trat an ihn heran und kniete sich vor ihm hin, um besser an das Hemd zu kommen.

Irgendwie… war das heiß. Also, Judai war heiß… aber… moment. Weitaus geschickter als er selbst knöpfte Yusei ihm das Hemd auf. Irgendwas lief da falsch in ihm. Sein Körper reagierte völlig unangemessen. Ihm wurde in einer Region heiß, die gerade überhaupt nicht anspringen sollte! Oh bitte nicht. Nein. Gott. Von allen unpassenden Situationen. Warum jetzt. Er sollte schleunigst die Toilette aufsuchen.
 

Judai saß ziemlich apathisch da, und war zu sehr damit beschäftigt zu realisieren, was da gerade in und mit seinem Körper passierte. Yusei musste es als eine Art betrunkene Trance oder so etwas gedeutet haben, als er seufzte und ihm kurzerhand einfach selbst das Hemd von den Schultern, die Arme hinunter zog.
 

Fuck. Sein Körper reagierte definitiv über. Bitte lass es Yusei nicht bemerken, dachte Judai inständig. Ihn so nah zu spüren, wie seine Hände den Stoff hinunterzogen. Das war zu viel. Judai biss sich auf die Lippen und unterdrückte so gut er konnte ein Stöhnen, als ein Beben seinen Körper durchfuhr. Oh. Gott. Nein.
 

Judais Gesicht glühte noch mehr. Falls das überhaupt möglich war. Am liebsten wollte er, dass ihn das Sofa verschlang und nie wieder ausspuckte. Oh Gott, war das peinlich. Hatte Yusei es bemerkt? Bestimmt. Wie konnte man das auch nicht bemerken. Fuck. Er hatte keine Worte dafür, wie unangenehm ihm das war.
 

„Ich… muss kurz ins Bad“, entschuldigte er sich und stieß sich von der Couch ab. Plötzlich fiel es ihm viel leichter geradewegs auf ein Ziel zuzulaufen. Vielleicht hatte ihn die Beschämung ernüchtert.
 

Eilig schloss er die Badezimmertür hinter sich und spritzte sich am Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht. Wie bekam er jetzt die Sauerei aus seiner Shorts? Judai rollte sich Klopapier von der Rolle und begann die Innenseite seiner Unterwäsche abzutupfen.
 

Es klopfte sanft an der Tür.

„Ich habe dir frische Schlafklamotten rausgesucht. Soll ich sie dir reinreichen?“, fragte Yusei ruhig.
 

Judai schmiss das gebrauchte Papier ins Klo und öffnete die Türe einen Spalt breit, um die Sachen entgegen zu nehmen. Keiner sah dabei den anderen an. Der eine aus Höflichkeit, der andere aus Scham.
 

Neben einer bequemen Jogginghose und einem, ihm zu großen, T-Shirt fand er auch eine frische Boxershorts in dem Stapel. Yusei war so lieb und diskret. Und dafür war Judai ihm unglaublich dankbar. Er verlor kein Wort aber half ihm in seiner Not. Als Freund war Yusei einfach unersetzlich. Judai schätzte ihn so sehr.
 

Er zog sich die Wechselkleidung an und wusch seine Hose im Waschbecken aus. Warum stand er andauernd hier und musste dafür sorgen, dass seine Klamotten wieder einigermaßen annehmbar aussahen?

Glücklicherweise hatte Judai sogar inzwischen eine Zahnbürste hier, für solche spontanen Übernachtungen. Es tat gut den Alkoholgeschmack loszuwerden.
 

Erschöpft aber sauber - und sich wieder halbwegs menschlich fühlend - verließ er das Bad und torkelte zurück zu Yusei ins Wohnzimmer. Dieser hatte sich bereits ebenfalls bettfertig gemacht.
 

„Besser?“, fragte er ohne dabei spezifisch darauf einzugehen, was er meinte.
 

Judai nickte einfach stumpf.
 

„Na komm, dann legen wir uns schlafen.“
 

Erneutes Nicken. „Hältst du mich wieder fest, damit die Welt sich nicht so krass dreht?“, bat Judai leise.
 

Yusei lächelte. „Natürlich.“
 

Er schlang einen Arm um Judais Tallie und dort blieb sie auch und ließ ihn die ganze Nacht nicht mehr los.

Realisation

Guten Morgen!! Alles gut bei dir? Hast du heute etwas vor?
 

Kurz nachdem Judai aufgewacht war, hatte er sich sein Handy gegriffen und diese Nachricht eingetippt. Nach wenigen Sekunden plöppte das graue Doppelhäkchen neben dem Text auf und verkündete, dass die Nachricht erfolgreich übermittelt wurde. Jetzt musste er nur noch darauf warten, dass Yusei sie las.
 

Inzwischen hatte sich Judai angewöhnt seinen elektronischen Alleskönner überall mit hinzunehmen. Er war immer am Mann. Um bloß keine Rückmeldung zu verpassen. Der Kontakt zu Yusei hatte sich in den letzten Wochen erheblich eingeschränkt. Er hatte viel zu tun mit seinem Praktikum und war quasi Tag und Nacht beschäftigt.

Judai hoffte, dass er an einem Sonntag bestimmt mal Zeit hätte. Für irgendwas.
 

Beim Frühstück lag das Handy neben ihm, im Badezimmer, beim Zocken - egal, wo er war. Ab und zu leuchtete es mit einer neuen Benachrichtigung auf, doch dabei handelte es sich nur um Kommilitonen und dem Gruppenchat für die Filmabende.
 

Die Sonne war inzwischen untergegangen und Judai saß auf seinem Bett und las Comics.

Plötzlich ertönte das altbekannte Pfeifen aus dem elektronischen Gerät an seinen Füßen und löste in Judai eine pavlovsche Reaktion aus. Hastig griff er nach seinem Handy und starrte auf die neue Nachricht.
 

Sorry, Handy lag Zuhause. Alles gut, wollt mich aber jetzt schlafen legen. Gute Nacht.
 

Judai starrte noch eine längere Weile auf das helle Display. Darauf hatte er den ganzen Tag gewartet? Hallo - Tschüss?

Wütend warf er das Handy in seine Decke und schlug ins Kissen. Er war frustriert. Und sauer auf sich selbst.

Er wusste selbst nicht, was er sich erhofft hatte. Je später es wurde, desto unwahrscheinlicher war eine Antwort gewesen. Dass trotzdem eine gekommen war, hatte ihn gefreut. Sie hätten sich zumindest so unterhalten können. Doch dieses Gespräch war zu Ende, bevor es überhaupt angefangen hatte.

Wieso ärgerte ihn das so? Wieso war er so erpicht darauf mit ihm zu reden? Wieso vermisste er ihn so?

Bei keinem seiner anderen Freunde hatte er je dieses Gefühl gehabt. Auch wenn sie sich Wochen nicht gemeldet hatten. Das war immer okay. Und das hier machte ihn fertig?

Plötzlich lief es Judai eiskalt den Rücken hinunter, als er realisierte, was dies wohl zu bedeuten hatte.

Hatte er sich etwa-? Nein, unmöglich. Er war doch nur-… oder?
 

Wie betäubt stand er auf und torkelte rüber ins Wohnzimmer, wo Johan sich gerade eine Serie ansah.
 

„… Johan?“, setzte er leise an.
 

Dieser sah auf, bemerkte den völlig entgeisterten Blick seines Freundes und schaltete den Fernseher augenblicklich auf Standby.
 

„Was ist los?“, fragte er besorgt und klopfte auf den freien Sofaplatz neben ihm, auf dass Judai sich zu ihm setzen solle.
 

Judai folgte seiner stummen Aufforderung und ließ sich in die Polster sinken.
 

„Hast du schonmal so hoffnungsvoll darauf gewartet, dass eine Person sich meldet nur um letztendlich völlig frustriert und enttäuscht zu sein, wenn sie sich nach Stunden meldet und dich gleich wieder abwimmelt?“
 

Johan zog leicht belustigt eine Augenbraue hoch. „So, wie wenn ich dich frage, wo du bist und du abends antwortest ‚vor der Haustür‘ oder wie?“ 
Sein Mitbewohner schaffte es nur zu häufig, sein Handy ständig zu überhören oder vergaß es gar ganz Zuhause, welches ein Erreichen erschwerte.
 

„Nein.“ Judai schüttelte benommen den Kopf. „Ich meine… ‚Guten Morgen! Wie geht’s? - Gut, ich geh jetzt schlafen. Gute Nacht.‘ So halt“, zitierte er grob das heutige Gespräch.
 

Mild hob Johan die Schultern. „Naja, kommt vor. Und deshalb bist du jetzt traurig?“ Er legte einen Arm und Judai und drückte ihn sanft.
 

„Ja. … schon“, nickte Judai matt.

Er wusste ja selbst, dass es normalerweise kein Grund für diesen Stein auf seinem Herzen war. Er zeugte immerhin selbst nicht von einem guten Beispiel, was die zeitnahe Beantwortung von Nachrichten anging. Da warteten Kommilitonen und Kumpanen auch gut und gerne mal ein-zwei, manchmal sogar drei Tage auf Antwort. Besonders wenn sich Judai in einem neuen Spiel festgebissen hatte.
 

„Das nennt sich Liebeskummer“, bemerkte Johan sachlich.
 

Kein Wort ging über Judais Lippen. Johan hatte in den letzten Wochen und Monaten so oft Andeutungen in die Richtung gemacht. Eigentlich, vom allerersten Tag, als Judai im Zug zu Uni seinen Ausstieg verpennt und Yusei getroffen hatte.

War es so deutlich gewesen? Immerhin waren Judai seine Gefühle überhaupt nicht bewusst gewesen. Klar, Yusei war ein guter Freund und er mochte ihn echt gerne. Vom ersten Tag an. Aber es war ihm nie vorgekommen, dass er für Yusei anders empfand, als für Johan. Sie waren nunmal seine besten Freunde. Er wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte. Und sie konnten gemeinsam eine Menge Spaß haben. Deshalb schienen ihm die Sticheleien immer recht haltlos.

Da hätte Johan auch genauso gut behaupten können, Judai würde ihm schöne Augen machen.
 

„Und ich will dich dieses Mal wirklich nicht damit aufziehen“, fügte Johan ruhig hinzu.

 

„Ich war noch nie verliebt“, gestand Judai trocken. „Was mache ich jetzt?“
 

„Noch nie? Warst du letztes Jahr nicht mit diesem einen Mädel zusammen?“, hakte Johan unsicher nach.


 

„Ja, schon. Ich dachte aber man verliebt sich erst danach… während man in der Beziehung ist.“
 

Johan nickte knapp. „Das erklärt, warum sie so schnell wieder vorbei war.“
 

Tatsächlich hatte dieser Versuch einer Beziehung gerade einmal knapp vier Wochen überlebt, bevor sie sich ächzend selbst in die Grabstätte legte. Das Mädchen hatte Judai mutig, das musste man ihr lassen, ihre Liebe gestanden und im selben Atemzug gefragt, ob er mit ihr gehen wollen würde.

Das Problem war allerdings, dass Judai nicht so recht wusste, was dies beinhaltete und was denn überhaupt die allgemeinen Anforderungen an so eine Beziehung waren. Man war halt befreundet, dachte er sich. Und das Mädchen war ihm sehr sympathisch. Also warum nicht?

Er hatte ihr zugesagt und sie damit direkt zu den rosaroten Wolken hoch katapultiert.
 

In den darauffolgenden vier Wochen war das Mädchen - wie konnte man es diplomatisch ausdrücken - sehr motiviert. Äußerst bestrebt. Sie hing an Judai und textete ihm ansonsten in jeder freien, wachen Minute. Es störte Judai nicht. Allerdings hatte er keine großartige Lust eine ähnliche Motivation an den Tag zu legen.
 

Es war für sie beide die erste Beziehung. Judai hatte keine Ahnung, was man da machte. Dafür hatte das Mädchen eine lange Liste an Dingen, die sie abarbeiten wollte. 

 

Da wurde in den ersten Tagen schon Händchen gehalten und gemeinsam viel Zeit verbracht, gezockt und gequatscht und gelacht. Alles nicht so wild.
 

In der zweiten Woche wollte sie das mit dem Küssen ausprobieren. Also taten sie es. Judai verstand den Hype darum nicht. 

 

In der dritten Woche war sie umso anhänglicher, teilweise im wahrsten Sinne des Wortes, klebte an seinem Arm und wollte im Grunde die ganze Zeit nur kuscheln und rumschmußen. Judai stellte heraus, dass es dabei schwierig war zu zocken.

 

In der vierten Woche fragte sie Judai immer wieder, ob er nicht zu ihr wolle. Ihre Eltern seien nicht da, sie könnten sich einen Film angucken, er könnte bei ihr übernachten und… naja, sie erzählte irgendwas von einer Pille, die sie jetzt jeden Tag nahm und er sich keine Sorgen machen müsste.
 

Zwar verstand Judai nicht alles, aber eins wurde ihm definitiv bewusst: Das war alles nicht so schön, wie er immer von anderen hörte. Es schien ihm, als sei er verpflichtet diese Dinge mit ihr zu tun, weil es sich so gehörte und nicht, weil er Lust darauf hatte. Und das machte ihm keinen Spaß.

Also beendete Judai die Beziehung nach einem Monat mit einer wortkargen Erklärung.

Er wollte keine haben, wenn die immer so unbehaglich waren.
 

„Also?“ Judai sah ratsuchend zu Johan auf. „Wie… wie geht es jetzt weiter?“
 

Der Angesprochene wiegte nachdenklich den Kopf. „Das kann ich nicht vorhersehen. Wirst du es ihm sagen?“
 

Judai stieß einen Schwall Luft aus. Sollte er es Yusei sagen? Er war überfragt. Eigentlich wusste er gerade überhaupt nichts mehr.
 

„Was, wenn ich es tue?“, fragte er kleinlaut nach.
 

„Das hängt ganz von euch ab.“

Geständnis

Mit zittrigen Knien stand Judai vor der Haustüre zu Yuseis Wohnung. Noch hatte er die Möglichkeit die Sache abzublasen und wieder Heim zu fahren. Nein, dafür war er so weit gekommen. Den Weg hätte er nicht auf sich nehmen müssen, nur um jetzt den Schwanz einzuziehen.
 

Er hatte in der Bahn so gut wie möglich versucht, sich seine Worte zurecht zu legen. Aber sie wollten und wollten nicht richtig klingen. Und jetzt entfielen sie ihm alle. Gott, warum war das alles so schwer?! So etwas dämliches. Warum konnte nicht einfach alles so bleiben, wie es war? Aber irgendetwas in seinem Inneren schrie jedes Mal, wenn er mit Yusei unterwegs war und er nicht das tat, was er so sehnlich wünschte. Tu es! Tu es! Tu es! Ich kann nicht! Ich kann nicht! Ich kann nicht! Es war zermürbend! Und früher oder später würde ihre Freundschaft sowieso darunter leiden. Er musste es ihm sagen! Auch wenn er es nicht erwiderte. Dann wusste er es zumindest. Und dann? Tja, wer konnte das schon sagen. Judai hatte Angst darüber nachzudenken. Was, wenn es ihm unangenehm war und er ihren Kontakt abbräche? Was, wenn für immer diese merkwürdige Verlegenheit über ihnen hängen würde? Es würde nichts mehr so sein wie früher! Aber das war es jetzt ohnehin auch nicht mehr.
 

Judai atmete tief durch und rang mit sich. Los, drück die Klingel. Drück sie. Steh deinen Mann! Doch kein Muskel bewegte sich. Er stand weiterhin regungslos vor der Türe. Konnte er etwas in der Wohnung hören? Vielleicht war er gar nicht Zuhause? Dann könnte er wirklich einfach wieder heimfahren. Wozu die Mühe. Er sammelte mit Sicherheit gerade seinen ganzen Mut, nur um in einer leeren Wohnung zu schellen.
 

In diesem Moment drang ein dumpfes Lachen an seine Ohren. Mist. Er war da. Und Bruno war bestimmt bei ihm. Doppel-Mist.

Sein Innerstes schrie erneut auf. Nun mach schon!!
 

Judai kniff die Augen zu, hielt den Atmen an und betätigte die Klingel. Das Geräusch ließ ihn erschüttern. Er hatte es getan. Nun gab es kein zurück mehr. Sein Herz pochte, als wollte es ihm auf der Brust springen.

Komm schon, beruhig dich. Es ist doch nichts. Du gestehst ihm nur deine Gefühle. Du hast ihm doch so oft gesagt, wie super du ihn findest. Es war doch beinahe offensichtlich— war es das? Vielleicht ahnte Yusei es ja schon? Machte es das einfacher? Schwer zu sagen. Vielleicht hoffte er auch nur inständig, dass dem nicht so war.

Judai hörte Schritte, die sich der Tür näherten. Oh shit, oh shit! Er spürte, wie seine Knie nachgeben wollten. Reiß dich zusammen, Mann!
 

Die Tür öffnete sich und ein überraschter Yusei blickte ihn an.

„Judai! Ich hab gar nicht mit dir gerechnet. Möchtest du reinkommen? Bruno ist auch da.“
 

Natürlich war er das.
 

Judai verzog keine Miene. Er starrte Yusei an und rang mit sich einen Ton von seinen Lippen zu bekommen. Aber er biss seine Zähne zusammen. Seine Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug.
 

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Yusei besorgt.
 

Los! Jetzt oder nie! Mach dich nicht noch lächerlicher als du dich eh machen wirst!

Er ballte die Hände zu Fäusten. Wahrscheinlich zitterte er gerade am ganzen Leib, aber darauf konnte er nicht mehr achten.
 

„Ich- … ich mag dich wirklich gerne! Sehr-sehr gerne!“, platzte er schließlich hervor.

Judai konnte Yusei nicht ansehen. Er wusste nicht, ob er seine Reaktion ertragen könnte. Stattdessen starrte er auf den Boden.

„Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt!“ Es war raus. Verdammt. Oh Gott. Er hatte es gesagt. Fuck. „Es tut mir Leid!!“
 

Er drehte sich um und nahm die Beine in die Hand. Er brauchte Yuseis Antwort nicht sofort. Er wollte sie gerade überhaupt nicht wissen. Die Flucht ergreifend nahm er zwei Stufen auf einmal.
 

„Judai!“, hörte er Yusei noch hinter ihm her rufen. „Warte!“
 

---
 

Niedergeschlagen saß Judai auf seinem Bett. Er hatte es vermasselt, nicht wahr? Ohne stehen zu bleiben war er nach Hause gerannt. Er hatte Yuseis Rufen einfach ignoriert. Er hätte warten sollen. Oder? Selbst an Johan war er schnurstracks vorbei gerauscht. Als er die Tür aufschloss hatte er nur ein erwartungsvolles „Wie lief’s?“ von ihm mitbekommen. Jetzt saß er hier. Allein. Von der Stille eingehüllt. Und doch war es in seinem Kopf unglaublich laut. Was hatte er getan? Blödmann. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Vollidiot! Zu welchem Preis?! Es war eine dämliche Idee gewesen. Jetzt hatte er sich endgültig alles kaputt gemacht.
 

Selbst der Motorradhelm auf der Kommode wirkte, als würde er ihn enttäuscht und missmutig ansehen. Judai fuhr sich durch die Haare. So ein Scheiß. Das Licht seines Handys blinkte wie verrückt. Er wusste, dass es ihn über verpasste Anrufe und eingegangene Nachrichten informieren wollte. Natürlich hatte es den ganzen Weg nach Hause immer wieder geklingelt. Und er Idiot ging nicht ran. Würde er wenigstens aufhören, dumme Sachen zu machen!
 

Es klopfte vorsichtig an seiner Zimmertüre. Mit Sicherheit Johan, der nach dem Rechten sehen wollte.
 

„Herein“, murmelte er.
 

Langsam öffnete sich die Türe und ein Schopf schwarzer Haare schob sich durch den Spalt. Sie öffnete sich weiter und Judai blickte auf. Ohne ein Wort zu sagen trat Yusei in sein Zimmer. Dieses Mal war es an Judai überrascht zu schauen. War Yusei ihm gefolgt? Hatte er extra— Judai schluckte den Kloß in seinem Hals runter.
 

Für eine Weile sahen sich beide schweigend an.
 

„Ich mag dich auch sehr gern“, sagte Yusei schließlich ruhig.
 

Judai wartete auf das Aber. Aber lass uns einfach Freunde bleiben? Aber ich bin mit Bruno zusammen? Aber ich habe eine Verlobte, von der du nichts weißt?
Doch es kam nichts. Seine Aussage schwebte stand im Raum. Ohne Wenn und ohne Aber.
 

Allmählich realisierte Judai, was er gesagt hatte. Was es bedeutete. Und mit einem Mal fiel ihm ein gigantischer Stein vom Herzen. Ein Lächeln zog an seinen Lippen. Erst war es ein zittriges Schmunzeln und dann ein erleichtertes, glückliches Lachen.

Judai sprang von seinem Bett, durchquerte den Raum mit einem Satz und warf seine Arme um Yuseis Hals.
 

In diesem Moment zerschellten all seine schrecklichen Gedanken und lösten sich in Luft auf. Er war einfach nur froh und glücklich und umarmte Yusei mit all den Gefühlen, die er so lange unter Verschluss gehalten hatte.

Er murmelte ein „Danke“ in seine Schulter und machte keinerlei Anstalten die Umarmung so früh schon zu lösen.

Es war ein wundervolles Gefühl. Yuseis Arme um ihn geschlungen. Seine Wärme. Und das Klopfen ihrer beider Herzen.
 

Nach einer halben Ewigkeit lösten sie sich langsam voneinander. Judai grinste Yusei mit seinen strahlenden Augen an.

Er hob seine Hand und tippte sanft mit Zeige- und Mittelfinger auf Yuseis Brust.

„Gotcha.“

Anstandsbesuch

War Judai nervös, dass der Tag gekommen war, an dem seine Eltern nun endlich seinen Freund kennen lernen würden? Nein. Er wusste, dass seine Eltern großartig und locker waren.

War er nervös, dass der Tag gekommen war, an dem Yusei seine Eltern kennen lernen würde? Genau genommen: Ein bisschen.
 

Eigentlich waren der Kontakt zu den Eltern kein Problem. Nur alles, was ein gemeinsames Treffen in den eigenen vier Wänden mit sich bringen würde: Die Kinderfotos, welche eingerahmt an den Wänden hingen, unmöglich um sie zu übersehen. Die uralten, peinlichen Geschichten, welche plötzlich auf den elterlichen Zungen lagen.
 

Und dieses komische Gefühl hier ohnehin nicht mehr richtig Zuhause zu sein, seitdem die Mutter das frühere Kinderzimmer in einen Feng-Shui-Zen-Yoga-Näh Tempel verwandelt hatte.

Das war doch der Moment, auf den alle Eltern insgeheim warteten: Diesen einen Raum endlich wieder für sich selbst nutzen zu können, nachdem sie ihn ungefähr achtzehn Jahre lang vermietet hatten.
 

Judai wägte ab, ob er Yusei nicht im Vorhinein schon selbst die schlimmsten und peinlichsten Geschichten erzählen sollte. Dann erfuhr er sie wenigstens aus seinem Mund. Andererseits bestand immer noch die Möglichkeit, dass seine Eltern gnädig zu ihm waren. Und wenn er so darüber nachdachte, könnte es doch vielleicht ganz lustig werden?
 

Um Punkt 16 Uhr standen sie auf der Matte und Judai betätigte die Klingel.
 

„Bereit?“, fragte er nach einem kurzen Durchatmen.
 

„Das hättest du fragen soll, bevor du geklingelt hast“, entgegnete Yusei trocken.
 

„Jupp. Kein Zurück mehr“, lachte sein Freund.
 

Die Tür öffnete sich und Frau Yuuki strahlte ihnen entgegen.
 

„Judai, mein Schäfchen! Hallo!“ Herzlich schloss sie ihren Sohn in den Arm.
 

„Und du musst Yusei sein. Freut mich dich endlich kennen zu lernen“, fuhr sie genauso herzlich fort und streckte ihm die Hand entgegen.
 

„Die Freude ist ganz meinerseits“, erwiderte Yusei höflich, setzte automatisch zu einer Verbeugung an, aber ergriff dann doch ihre Hand um sie zu schütteln.
 

„Ach, was für ein richtiger Cavalier. Kommt rein!“
 

Sie trat zur Seite um die beiden Jungs ins Haus zu beten. Ohne Umschweife wurden sie ins Wohnzimmer dirigiert, wo bereits Kaffee und Kuchen auf dem niedrigen Tisch angerichtet waren.
 

Herr Yuuki saß im Sessel versunken und las eine Zeitung, bis er die Jungs das Zimmer betreten sah und eilig aufstand, um sie zu begrüßen.
 

Er wirkte so intellektuell, aber Judai wusste, dass er sich nur die Witzeseite durchgelesen hatte.
 

Ausgiebig schüttelte Herr Yuuki dem etwas verlorenen Yusei die Hand und nutzte die Gelegenheit sich den Jungen gut anzusehen. Dieser versuchte dem prüfenden Blick so würdevoll wie möglich standzuhalten.
 

Nach einigen Sekunden formte sich ein Lächeln auf Herr Yuukis Gesicht und er klopfte Yusei väterlich auf die Schulter.

Hochzeitsbegleitung

„Sag mal“, druckste Judai herum, „würdest du meine Begleitung für die Hochzeit meiner Cousine sein?“
 

Yusei sah seinen Freund ungläubig an.
 

„Bitte, ich kenn da vielleicht sieben Personen und ich bin mit denen allen verwandt! Lass mich da nicht alleine hingehen“, bettelte er.
 

Am Morgen war ein edler cremefarbener Umschlag in seinem Briefkasten gelandet mit der Einladung zu den Feierlichkeiten, welche in gut einem Monat stattfinden sollten.
 

Familienfeste waren schön und gut, aber meistens saß Judai eher teilnahmslos in einer Ecke, während sich der Rest der Familie den Mund fusselig redete. Früher war das in Ordnung gewesen. Da war er einfach irgendwo spielen gegangen. Inzwischen waren er und alle seine Kameraden aus diesem Alter rausgewachsen und man musste sich an Erwachsenengesprächen beteiligen. Öde.
 

Judai war das jüngste Kind in der Familie - noch (sein ältester Cousin erwartete bald Nachwuchs mit seiner Frau). Er hatte bis dato nie eine Freundin, geschweige denn einen Freund, mit nach Hause gebracht und musste sich sowieso immer anhören „wie groß er doch geworden ist“ und „ach nein, wie die Zeit verfliegt“.

Vor allem „na, wann ist es endlich bei dir soweit?“ wurmte ihn. Darauf hatte er nie eine Antwort. Er fand auch nicht, dass das irgendwie wichtig war.
 

Er war das Schäfchen.

Alle seine Cousinen liebten ihn.

Aber geistig waren sie scheinbar auf dem Stand, dass er niemals die Zwölf Jahre überschritten hatte.
 

„Du willst mich als deine Begleitung mitnehmen, obwohl keiner aus deiner Familie mich je gesehen hat?“, stellte Yusei fest.
 

„Naja, meine Mutter hat schon nach dir gefragt. Wenn du willst können wir die Tage bestimmt mal vorbei schauen“, schlug Judai unbekümmert vor.
 

„Besser wäre das.“
 

Erst als Judai begann über das Handy Nachrichten mit seiner Mutter auszutauschen, bemerkte Yusei, was er da überhaupt angezettelt hatte.
 

„Nächsten Donnerstag um 16 Uhr zu Kaffee und Kuchen okay?“, fragte Judai.
 

Yusei schwieg eine Weile, bis er schließlich nachgiebig zustimmte.
 

„Super. Mama sagt, sie freut sich.“
 

Wie war das jetzt passiert?
 

---
 

Die Zeremonie hatte Judai seinem Freund erspart. Sektempfang, Standesamt Gesülze und ganz viel Rumgestehe, danach die Autokolonne zum Hotel, wo die eigentliche Feier stattfand… das zog sich alles ganz schön.

Deswegen hatten sie ausgemacht, dass Yusei später direkt zum Veranstaltungsort kommen sollte.
 

Natürlich hatte er es geschafft eher beim Hotel zu erscheinen, als der Großteil der Hochzeitsgäste, da diese noch fröhlich hupend durch die Gegend getuckert waren.
 

Es war eine unnötig lange und ätzende Fahrt gewesen. Im Schritttempo am Hafen entlang. Yippie.

Umso glücklicher war Judai endlich aus dem Auto zu steigen und Yusei begrüßen zu können.
 

„Ich hatte schon Angst, ich wäre bei der falschen Hochzeitsfeier gelandet“, meinte Yusei, nachdem sie sich in die Arme geschlossen hatten.
 

„Ich hatte schon Angst, wir komme niemals an“, entgegnete Judai und rollte die Augen. Dosen am Auspuff waren eine bescheuerte Idee. Wer war darauf überhaupt gekommen?
 

„Gut siehst du aus“, bemerkte Yusei mit einem Lächeln.
 

Verlegen zupfte sich Judai die Krawatte zurecht. Sein Hemd war dunkelrot, auf ein Jackett hatte er bei diesen Temperaturen verzichtet, dafür trug er eine schwarze Weste, die passende Stoffhose und seine schicksten, schwarzen Schuhe.
 

Yusei hingegen hatte es schlicht gehalten mit einem einfachen schwarzen Anzug inklusive Fliege und einem weißen Hemd.
 

„Du auch“, erwiderte Judai befangen.
 

Dem Jungen stand alles. Aber dass er so gut in einem Anzug aussehen würde, damit hatte Judai nicht gerechnet.
 

Am liebsten hätte er ihm jetzt einen Kuss gegeben. Aber seine Verwandten und die anderen Gäste strömten gerade an ihnen vorbei in den Festsaal.
 

„Wollen wir dann auch rein?“, fragte Judai.
 

Yusei nickte und sie schlängelten sich gemeinsam durch die Masse.
 

Der Saal war reich geschmückt mit Blumengestecken und Tüchern, Luftballons und Lichterketten. Viele Tische bildeten ein großes U in dessen Mitte das Brautpaar Platz genommen hatte.

Zur Seiten der Braut reihten sich ihre Freunde und Familie an, zur Seite des Bräutigams seine. Auf jedem Platz war ein kleines Präsent für die Gäste auslegt.

Gegenüber der Tischkonstellation war am anderen Ende des Saals eine Bühne aufgebaut, deren Aufbau eine Band für den späteren Teil des Abends versprach.

Davor hatte man genügend Platz zum Tanzen und Spielen eingeräumt. Im Moment turnten dort ein paar Kinder herum und Erwachsene standen in kleinen Grüppchen und unterhielten sich.
 

Judais Eltern hatten bereits vier Plätze annektiert und winkten dem jungen Paar zu. Wann waren die denn an ihnen vorbei gelaufen?
 

Zügigen Schrittes gingen sie zu ihnen hin, wo Yusei erst einmal herzlich begrüßt wurde, bevor sich beide Jungs gegenüber von ihnen hinsetzten.
 

„Hast du gut hergefunden?“, fragte Judais Vater.
 

„Ja, war eigentlich gar nicht so schwer“, gab Yusei zu.
 

Ein großes Hotel wie dieses erbaute man schließlich nicht einfach so in einer kleinen Nebengasse. Er kannte die angrenzende Hauptstraße und die belebte Umgebung ganz gut.
 

„Judai! Wie geht’s dir mein Schäfchen? Schön, dich mal wieder zu sehen!“, flötete die Stimme einer jungen Frau hinter ihnen.
 

Es war Judais älteste Cousine, welche ihn kurzerhand umarmte, bevor er überhaupt von seinem Stuhl wieder aufstehen konnte.
 

„Hey“, erwiderte dieser etwas unbeholfen. ‚Bitte nenn mich nicht Schäfchen‘, fügte er in Gedanken hinzu.
 

Cousinchen setzte sich auf den freien Platz neben ihm.
 

„Stimmt es, was ich gehört habe?“ Sie stupste ihn erwartungsvoll mit dem Ellbogen an, als würde das erklären worauf sich ihre unzusammenhängende Frage bezog.
 

Judai sah sie mit großen Augen an und schüttelte unwissend den Kopf.
 

Dann ging ihr Blick an ihrem Lieblingscousin vorbei und traf auf Yusei.
 

„Ist er das?“, hakte sie mit einem breiten Lächeln nach.
 

„Äh, das ist Yusei“, stellte Judai seinen Freund etwas perplex vor.
 

Sie streckte ihre Hand über Judai, um die von Yusei zu schütteln. „Freut mich dich kennen zu lernen!“
 

„Ebenso“, erwiderte dieser höflich.
 

„Mensch, was waren wir überrascht zu hören, dass Judai tatsächlich eine Begleitung mitbringt. So eine richtige.“ Cousinchen war im Plauderton.
 

„Johan ist auch eine Begleitung“, protestierte Judai.
 

„Ja, aber er ist ein Freund. Dein bester Kumpel, oder? Wir hätten uns auch gefreut ihn wieder zu sehen, aber- komm schon. Ich bitte dich. Das hier ist doch ganz was anderes, oder?“
 

Judai wurde ein wenig kleiner auf seinem Stuhl. Cousinchen lachte nur amüsiert, strubbelte ihm durch die Haare, so wie sie es früher immer getan hatte, und stand auf um jemand anderen zu begrüßen.
 

Er spürte Yusei mitfühlend seine Hand tätscheln. Auch wenn dieser ungefähr genauso durch den Wind war, wie er.
 

Judai war froh, das hier nicht alleine durchstehen zu müssen - anscheinend wusste seine gesamte Verwandtschaft bereits von seiner ersten Beziehung - andererseits tat es ihm Leid, Yusei letztendlich da mit reingezogen zu haben.
 

---
 

Die Feierlichkeiten waren gut im Gange, die Gäste gesättigt und die Musik angeschmissen. Es war wurde Zeit für den ersten echten Programmpunkt des Abends. Nach dem Anschneiden der Hochzeitstorte (das gute Stück war wenigstens in Mündern gelandet und nicht in Gesichtern) stand nun der Tanz des Brautpaares an.
 

Die Musik wechselte vom lässigen Jazz, welcher fromm im Hintergrund herumgedüdelt hatte, zu einer schönen, langsamen Rumba.
 

Verträumt schunkelten die frisch Vermählten zum Takt, während die Gäste dabei zusahen und sich eventuell ein Tränchen verdrücken mussten. Der Fotograf ging herum und schoss einige Bilder, während in einer anderen Ecke die romantische Szene brav gefilmt wurde.
 

Judai ging währenddessen die Sause. Gleich müssten Yusei und er zusammen mit den anderen Paaren und Pärchen beim nächsten Lied einstimmen, nicht wahr?
 

Sein Vater hatte ihnen das zumindest bei ihrem Besuch vor ein paar Wochen erzählt. Das war ein ziemlicher Schock gewesen. Dafür hatten sie extra Standardtänze gelernt. Widerwillig, aber sie wollten sich schließlich nicht komplett blamieren.
 

Als der romantische Moment zusammen mit dem Ende des Liedes verklang, klatschten die Gäste wohlwollend. Es folgte sogleich das nächste Stück, ein langsamer Walzer.
 

Eilig erhoben sich Yusei und Judai, ihre Bewegungen hölzern und ihre Gesichter errötet.
 

Moment. Warum standen Judais Eltern nicht auf? Beide warfen einen verwirrten Blick auf ihre Tischnachbarn.
 

Judais Vater sah sie mit einem schiefen Blick, aber einem wissenden Lächeln an.
 

„Wollt ihr tanzen gehen?“, fragte er sie besonnen.
 

„Du hast doch gesagt, dass—“, setzte Judai an.
 

„Och, eigentlich war das nur ein Scherz gewesen“, gab der Vater grinsend zu.
 

„Ernsthaft?! Wir haben dafür extra— Oh Mann!“, stöhnte Judai.
 

„Dann können wir jetzt auch tanzen“, meinte Yusei trocken und nahm Judais Hand.
 

„Eh?“
 

Yuseis Blick war wie versteinert, aber seine Entschlossenheit war ihm in die Augen geschrieben. Wenn sie sich schon die Mühe gemacht hatten, dann sollte das nicht umsonst gewesen sein. Egal, wie peinlich das nun war. Egal, wie sehr er sich genierte. Egal, wie die anderen sie ansehen würden.
 

Mit gezielten Schritten führte er Judai zu den wenigen anderen Paaren auf die Tanzfläche und legte seinen Arm um ihn.
 

Judai errötete noch mehr. Yusei zog das tatsächlich durch. Seine freie Hand fasste an Yuseis Schulter. Sie zählten die Takte ein, wie sie es gelernt hatten, und wogen sanft umher, bevor Yusei in den Grundschritt überging.
 

Ja, Yusei führte. Und darin war er gut. Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als darin geübt zu werden, da Judai einfach grausig im Sich-Führen-Lassen war.
 

Timaeus hatte ihm beigebracht, wie er mit der richtiger Haltung und dem Impuls zur richtigen Zeit, den kleinen Chaoten durch die Schritte und über die Tanzfläche lotsen konnte.

Wieso konnte er das so gut? Er musste wissen, wie man Hermos und Critias im Zaum hielt.
 

„Du hast geschafft, dass der Junge Walzer lernt“, bemerkte Judais Mutter anerkennend, während sie das junge Paar versonnen beobachtete.
 

„Alles eine Frage der Motivation“, entgegnete der Vater faktisch und ein wenig stolz auf sich und seinen Sohn.
 

Das blaue Licht war gedimmt und die Discokugel warf atmosphärische Schimmer an die Wände. Die Gespräche hatten wieder begonnen, doch waren sie durch die Musik aus den Lautsprechern kaum auf der Tanzfläche zu hören.
 

Judai konnte den Blick nicht von Yusei abwenden und sich das Lächeln nicht aus dem Gesicht wischen, als sie langsam ihre Kreise durch den Saal zogen.
 

Yusei ging es nicht anders. Er war sich nicht sicher, ob das Leuchten in Judais Augen von der Discokugel herrührte, oder ob es gänzlich von ihm selbst kam. Nichtsdestotrotz verlor er sich gerne in ihrem tiefen Braun.
 

Die Zeit schien fast still zu stehen, während sie so Arm in Arm tanzen. Und doch neigte sich das Lied viel zu schnell dem Ende entgegen.
 

Auch nachdem die letzten Noten verklungen waren, hielten sie sich für einen Moment und strahlten sich glücklich und verliebt an.
 

„Sie sind so süß“, hauchte Cousinchen und war die erste, die Beifall klatschte.
 

Die Paare um sie herum und einige andere Gäste stimmten dem Applaus bei. Sogar das Brautpaar.
 

Überfordert blinzelten Judai und Yusei in die Runde. Wieso sahen sie alle an? Wieso klatschten sie? Die Röte schoss ihnen wieder zurück ins Gesicht, als sie sich verlegen sowas wie verbeugten und dann zusahen, dass sie schleunigst wieder auf ihre Plätze kamen.
 

---
 

,,Oh, hätten wir früher gewusst, dass du auf Kerle stehst! Ich hätte dich ein paar meiner Freunde vorstellen können!“, bedauerte Judais jüngste Cousine, die Braut.
 

Die Gespräche waren wieder in voller Fahrt und wurden mit steigendem Alkoholpegel immer ausgelassener.
 

Inzwischen hatten sich alle Cousins an ihrem Tisch versammelt. Sie hatten sich Stühle herangezogen oder die Plätze von Judais Eltern geschnappt, da diese gerade auf Wanderschaft waren.
 

„Ich stand auch nie auf Kerle… also… mir war das auch nicht bewusst?“, entgegnete Judai unsicher und wollte eigentlich gar nicht Teil, geschweige denn Thema dieser Unterhaltung sein.
 

„Ich hab es immer gewusst“, tönte sein einziger Cousin. „Beim Babysitten hat er die männlichen Puppen immer ein bisschen liebevoller behandelt.“
 

„Jetzt komm schon!“, protestierte Judai mit einem jammernden Unterton.
 

Er war der älteste von seinen Cousins und als einziger Junge Judais Anlaufpunkt Nummer Eins, wenn es ihm mit seinen Cousinen zu viel wurde. Bei ihm hatte er immer Schutz gefunden. Wie konnte er ihm jetzt so in den Rücken fallen?!
 

„Was denn? Ist doch voll okay. Komm, trink ein Bier. Und lass dich von den Mädels nicht zuquatschen.“
 

Generös goss er seinem kleinen Cousin ein großes Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit ein.

Dann sah er zu Yusei, der in Schockstarre auf seinem Stuhl saß und auf den Tisch starrte.
 

„Soll ich ihm auch eins einschütten? Er sieht aus, als könne er eins gebrauchen“, bemerkte er.
 

„Wirf den Brautstrauss nachher nicht!“, riet Cousinchen der Braut. „Gib ihn lieber gleich Judai!“
 

Am anderen Ende des Tisches hörte man Judais Mutter mit ihrer Schwester diskutieren:

„Hm, Judai Fudou? Andersherum wäre es eine Alliteration! Yusei Yuuki!“
 

„Hey, das ist ein schöner Song. Komm, wir tanzen noch mal!“, stieß Yusei plötzlich aus, erhob sich und schnappte sich Judais Hand.
 

„Äh? Was? Okay“, stammelte dieser und folgte ihm überrumpelt auf die Tanzfläche.
 

Das Lied war eine gemütliche Rumba. Die anderen Paare nutzten sie zum Kuscheln.
 

Erleichtert seufzte Yusei auf, nachdem sie eher flapsig in die Schritte einstiegen. Endlich Ruhe. Weg von diesen merkwürdigen Gesprächen.
 

Judai ahnte, wie er sich fühlte.
 

„Tut mir Leid, dass sie so aufdringlich sind“, entschuldigte er sich für das Benehmen seiner Verwandtschaft.
 

Yusei schüttelte mit dem Kopf und lächelte leicht. „Ich hab’s nur nicht erwartet. Aber sie scheinen sich alle sehr für dich zu freuen.“
 

„Ich freue mich ja auch“, entgegnete Judai lächelnd und schlang seine Arme um Yuseis Hals.
 

„… Ich mich auch“, erwiderte er warmherzig.
 

Eine Neigung keimte ihn ihm auf, sein Gesicht näher an das von Judai zu beugen und ihm einen Kuss von den weichen Lippen zu stehlen.
 

„Ich würde zwar echt gerne - … aber unter gegeben Umständen halte ich mich lieber zurück“, murmelte er stattdessen.
 

Judai nickte verstehend. „Das ist okay. Ich stelle es mir einfach vor.“
 

---
 

Nach einigen Cha-Cha-Chas, Quicksteps, Sambas und Discofoxes legte die Musik nach langer Zeit eine Pause ein.
 

„Meine lieben Gäste! Ich hoffe, ihr habt euch alle genug Mut angetrunken und seid fit und munter. In wenigen Minuten legen wir mit den Spielen los!“, verkündete der Bräutigam über das Mikrofon auf der Bühne.
 

Die Menge gröhlte freudig zur Antwort. Dann spielte wieder beschwingliche Musik an.
 

„Oh Gott, ich glaube das ist unser Zeichen die Biege zu machen“, stellte Judai ächzend fest.
 

Seine Cousinen hatten schon gut einen im Tee und er konnte bereits erahnen, auf was für Ideen sie kamen, wenn sie noch länger blieben.
 

„Ihr solltet lieber nicht fahren. Yusei hat doch Alkohol getrunken“, warf der Cousin ein.
 

„Du warst es, der ihm das Glas immer wieder aufgefüllt hat!“, entrüstete sich Judai.
 

„Ich konnte ja nicht ahnen, dass ihr mitten in der Nacht aufbrechen wollt“, verteidigte er sich.
 

Na großartig. Wehmütig sah er Yusei an, welcher einerseits verzweifelt und andererseits schuldbewusst dreinblickte.
 

Judais Mutter berührte ihren Sohn sanft an der Schulter und steckte ihm etwas zu. Irritiert befühlte dieser den Gegenstand in seiner Hand. Es handelte sich um einen Schlüssel welcher an einem dicken Anhänger befestigt war. Dieser trug eine dreistellige Nummer. Er war für ein Zimmer im Hotel, stellte Judai fest.
 

„Verzieht euch lieber schnell“, zwinkerte sie ihm und Yusei zu.
 

Erleichtert umschloss Judai den Schlüssel fester und sah seine Mutter voller Dankbarkeit an.
 

„Du bist die Beste“, flüsterte er glücklich.
 

„Vielen lieben Dank“, pflichtete Yusei mit einer kleinen Verbeugung bei.
 

„Das kann man euch ja auch nicht weiter zumuten. Es gibt ein Limit, was erste Familientreffen angeht: Betrunkene Verwandtschaft. Das solltest du erst zu Weihnachten durchstehen, wenn es so weit kommt. Habt noch einen schönen, ruhigen Abend“, verabschiedete die Mutter sie beide und sah zu, wie sie aus dem Festsaal verschwanden.
 

„Du musst nicht zur Weihnachtsfeier. Nur, wenn du wirklich, wirklich willst“, warf Judai auf dem Weg durch das Foyer ein.
 

Im Zimmer angekommen, machten sie das Licht an und lockerten ihre Halsschlingen, bevor die Tür überhaupt wieder ins Schloss gefallen war.

Es tat so gut den obersten Hemdenknopf zu öffnen und endlich frische Luft an die Haut zu lassen.
 

Geschafft schmiss sich Judai aufs weiche Bett und atmete erst einmal tief durch.
 

Yusei beschäftigte sich noch damit die Fliege ordentlich abzunehmen und sie auf eine Kommode zu legen.
 

Lächelnd setzte sich Judai auf und winkte Yusei zu sich: „Komm her. Ich hab darauf den ganzen Tag gewartet.“
 

Noch bevor Yusei ganz an das Bett herangetreten war, hatte ihn Judai links und rechts am Reverskragen seiner Anzugjacke gepackt und zog seinen Freund in einen lang ersehnten, innigen Kuss.

Entdeckung

Zwar waren Judai und Yusei nun schon seit acht Monaten zusammen und hatten sich seitdem öfters schöne Tage und Abende zu zweit gegönnt, jedoch fühlte es sich für Judai dieses Mal ganz besonders an.

Sie nutzten die vorlesungsfreie Zeit im Dezember und waren unter der Woche für ein paar Tage nach Tokyo gekommen. Genauer gesagt, über die Weihnachtstage.

Da Judais Familie japanische und amerikanische Traditionen zu guten Teilen vermischte, kannte er Weihnachten als ein Familienfest. Mit Baum, Braten und Geschenken. Dass er damit zumindest außerhalb der Schaufensterlandschaften eine Ausnahme bildete, erfuhr er erst später. Weihnachten war ein Fest für Paare geworden. Das war ihm schlicht und ergreifend weder bewusst gewesen, noch aufgefallen. Bis jetzt.
 

Es kam einen vor wie tiefste Nacht, dabei war es gerade 18 Uhr. Wie gewöhnlich ging die Sonne zu den frühen Abendstunden innerhalb kurzer Zeit unter und eine kühle Nachtatmosphäre bereitete sich aus. Es war die perfekte Leinwand für das bunte Lichtermeer welches die Einkaufsstraße erfüllte und noch mehr funkeln ließ als es die teuren Geschäfte sonst schon taten.
 

Viele Leute kamen um sich dieses Spektakel anzusehen. Am meisten waren es Paare, welche nah beieinander die bunt erleuchteten Wege entlang schlenderten. Manche furchtlosen hielten sich dabei sogar an den Händen.
 

Judai wollte die Lichter ebenfalls genießen. Die in rotes Licht getauchten Büsche, welche den Weg zierten, die warmen Lampen am Rande, die erleuchteten Bürogebäude und gut erkennbar in gar nicht allzu weiter Ferne, der Tokyo Tower, welcher ebenfalls in passenden Farben erstrahlte und einem riesigen Weihnachtsbaum glich.

Und dann fiel ihm auf, dass sie ein kleines bisschen anders waren, als die Paare um sie herum.

Natürlich waren sie das. Generell war es ihm auch gar nicht so bewusst, dass sie hinausstechen konnten. Aber wie viele andere Paare sparten sie sich ihre Zärtlichkeiten für Zuhause auf. Sie machten nie einen Hehl daraus. Aber jetzt waren sie quasi wie ein Teil des Ganzen. Ein Pärchen unter vielen und doch anders. Und irgendwie machte es Judai stolz.

Es war als hätte er eine neue Welt entdeckt und wäre direkt dazu eingeladen worden.
 

Begeistert erkundete er mit Yusei die ganzen kleinen Wege, hoch zu einem kleinen Pavillion mit direktem Blick zum Tokyo Tower, eine Runde um einen kleinen See, die nicht so kleine Allee mit den kahlen Bäumen, die glitzerten als seien sie mit Edelsteinen besetzt.

Fast wollte er Yusei von einem Blickfang zum nächsten Ziehen um ihm alles zu zeigen, was er entdeckte. Aber Judai konnte sich bremsen. Yusei bemerkte das begeisterte Funkeln in Judais Augen ja trotzdem und nichts konnte ihn seliger stimmen.

First Night

Beschützend lag Johans warmer, starker Arm um Judai geschlungen, als dieser in der Nacht aufwachte. Wie aus einem Nickerchen erwacht blinzelte Judai und versuchte die Umrisse im dunklen Zimmer zu erkennen. Stimmt, es war Johans Zimmer. Und auch Johans Bett. Es war auch definitiv Johans Geruch, der ihn umgab und direkt wieder einlullte.
 

Langsam dämmerte es Judai, was sie gemacht hatten, bevor er weggedöst war. Das leichte Pochen in seinem Unterrücken bestätigte seine Erinnerung. Sie hatten es heute Abend mit allem Drum und Dran durchgezogen. Ein wenig errötete Judai bei dem Gedanken. Im Nachhinein war es ein komisches Gefühl mit seinem besten Freund geschlafen zu haben. Aber es war echt aufregend gewesen. Es hatte aufrichtig Spaß gemacht!
 

Ja, es war eine neue Erfahrung, ganz anders als mit Yusei. Viel leichtherziger, so kam es Judai vor. Also nicht, dass es weniger Bedeutung hätte. Es war eine wunderschöne Verbindung, aber beides auf seine ganz eigene Art.
 

Judai war glücklich – bis die Schuldgefühle in ihm aufkeimten. Dabei hatten sie es so vereinbart. Es war okay. Deshalb hatten sie diese Beziehungspause eingeräumt. Und trotzdem fühlte er sich schlecht. Es kam ihm trotzdem so vor, als würde er Yusei betrügen. Genau das hatte er eigentlich vermeiden wollen. Aber den Vorschlag eines Dreiers hatte Yusei abgelehnt. Was Judai auch verstehen konnte. Und vielleicht wäre es absolut seltsam und peinlich gewesen, dann wären sie auch nirgendwohin gekommen. So wie es jetzt war, brachte es Judai aber nur gemischte Gefühle ein.
 

Vor allem gefiel es Judai nicht, dass sie während der Beziehungspause keinen Kontakt haben sollten. Er wollte gerne mit Yusei reden, mit ihm kuscheln. Doch das ging nicht. Er war nicht da und er würde auch nicht herkommen. Unsicher kaute Judai auf seiner Unterlippe herum und kuschelte sich stattdessen enger an Johan.
 

Auch unterbewusst schien Johan die Nähe zu gefallen, er schmiegte und drückte Judai an sich und ein zufriedenes Lächeln zierte seine Lippen. Johans Schlaf war ruhig. Gleichmäßig hob und senkte sich sein Brustkorb bei jeder Atembewegung.

Ihm zuzusehen und ihn bei sich zu haben war entspannend. Nach einem tiefen Seufzer beruhigte sich auch Judais Herz und er wandte sich seinem Freund weiter zu.
 

Schon als sie sich bei der Wohnungsbesichtigung das erste Mal getroffen hatten, fand Judai, dass Johan durchaus gutaussehend war. Er war gepflegt und seine positive Ausstrahlung steckte einfach jeden direkt an. Seine Anwesenheit machte glücklich. In den letzten Monaten war Johan noch hübscher geworden. Er hatte nichts verändert, aber Judai hatte ihn immer attraktiver gefunden. Seitdem Judais Berührungsängste dank Yusei abgeflacht waren, lag er in Gewitternächten näher an Johan.
 

Sanft hauchte Judai seinem Freund einen Kuss auf die weichen Lippen. Er genoss es endlich seine Zuneigung zeigen zu können, dass er die Gefühle, die in ihm aufkeimten, zum Ausdruck bringen konnte. Es hatte sich über Monate so viel angestaut, dass Judai das Gefühl hatte zu platzen, weil er nicht wusste wohin mit sich. Sich ausleben zu können war wundervoll befreiend. So erging es ihm auch bei seinem ersten Kuss mit Yusei, oder ihrem ersten Mal…
 

Eine Realisation überkam Judai und er schlug erneut die Augen auf. Die längste Zeit hatte er gedacht, dass er für Yusei und Johan gleich empfand. Er hatte sie gern und sie waren seine besten Freunde. Dann stellte sich heraus, dass er sich in Yusei verliebt hatte. Aber wo er in diesem Moment so darüber nachdachte, bemerkte Judai, dass er für Johan immer noch ähnlich empfand wie für Yusei. Liebte er also beide?

Chaos

Vorsichtig öffnete Johan die Tür zum Zimmer seines Mitbewohners.
 

Dort lag er, auf seinem Bett, die Arme verschränkt und starrte an die Decke.
 

„Hier bist du.“ Johan blies einen erleichterten Seufzer aus.
 

Er hatte ihn nicht, wie gewöhnlich, auf dem Campus getroffen, damit sie gemeinsam nach Hause fuhren. Und als er die Haustüre aufschloss, war er auch nicht, wie üblich, auf der Couch vorzufinden gewesen.
 

Sein Blick wanderte durch den Raum.
 

Es war recht dunkel, da die Vorhänge zugezogen vor den Fenstern hingen. Trotzdem erkannte er das Chaos. Judais Zimmer unordentlich und unaufgeräumt vorzufinden, war bei weitem nichts neues.
 

Doch es schienen Sachen von den Regalen gefallen zu sein, die kleinen Figuren lagen verteilt auf dem Boden. Die große, schwarze Stoffkrabbe leistete ihnen Gesellschaft.
 

Auf der Kommode sah es nicht besser aus. Dort schien der kleine, hellblaue Plüschhund einige Sachen herunter gefegt zu haben.
 

Allmählich dämmerte es Johan, was hier vorgefallen war. Eigentlich wollte er es kaum wahr haben.
 

„Judai?“
 

Vorsichtig trat er näher, doch sein Freund würdigte ihn keines Blickes. Er starrte weiterhin stur an die Decke.
 

Es schmerzte, so eine Reaktion zu bekommen. Langsam sanken seine Schultern.
 

„Es tut mir wirklich Leid“, wiederholte er bekümmert die Worte seiner Nachricht von vorhin.
 

Immer noch keine Reaktion von Judai.
 

Johan hatte das Gefühl, sein Magen versuchte sich umzudrehen und er presste die Lippen aufeinander.
 

Was sollte er sonst sagen? Er wusste, dass er ihn mit seiner Aktion enttäuscht hatte. Und das ließ Judai ihn nun spüren.
 

„Ich hab ihn gefragt, wie’s ihm geht“, brach Judai schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit das unangenehme Schweigen. „Er meint, er versteht dich.“
 

Johan hob den Blick. Hatte sein Ausrutscher dann also wenigstens etwas bewirkt?
 

„Der Eine durchdenkt alles analytisch tot, der Andere hört zu sehr auf sein Bauchgefühl. Ein Wort kriegt keiner von beiden heraus. Alles Idioten“, sagte Judai bitter.
 

Betroffen verzog Johan das Gesicht und sein Mund wurde noch schmaler.
 

„Was soll dieser Quatsch eigentlich? Können wir uns nicht einfach zusammen setzen und die Sache vernünftig klären? Warum den Scheiß aussitzen? Wer ist denn damit glücklich oder zufrieden? Niemand!“
 

Mit einem Ruck setzte sich Judai auf, doch er ließ seinen Blick immer noch nicht auf Johan treffen.
 

„Der Grundgedanke war ja nicht komplett bescheuert. Aber letztendlich würde ich lieber die scheiß Schuldgefühle akzeptieren als diese beschissene Scharade noch weiter aufrecht erhalten zu müssen. Was bringt das? Es tut ohnehin weh! Und wenn er damit einverstanden ist, was macht das jetzt noch für einen Unterschied?“
 

Das dritte Kuscheltier, der alte, braune Kuriboh, bekam einen Schlag ins Gesicht versetzt und schleuderte zu Boden.
 

Fassungslos starrte Johan ihn an.
 

So hatte er seinen Freund noch nie erlebt. Er hatte bis dato das Gefühl gehabt, dass Judai überhaupt nicht wirklich auf etwas oder jemanden wütend sein konnte.
 

Judai vermisste Yusei. Seine Nähe, seine Art, seine Stimme, seinen Duft. Und er vermisste es, dass sie nicht mehr zu dritt herum albern konnten.

Die Zeit mit Johan war toll, ohne Frage. Es stärkte ihr Band, ihr Vertrauen, ihr Wissen übereinander. Und er wollte diese Möglichkeit der Erfahrung nicht eintauschen - aber wozu war es noch nötig diesen Preis zu zahlen?
 

Dass Yusei jeglichen Kontakt mit ihm vermied tat ihm weh. Besonders, wo sie jetzt im Sommer so vieles vorgehabt hatten. Aber Judai konnte ihm nicht böse sein. Die Intention war doch schließlich gut. Oder vielmehr gut gemeint. Worin letztendlich der entscheidende Unterschied lag.
 

Judai wiederum so leiden zu sehen, machte Johan wütend. Er bekam die Launen seines Freundes aus erster Hand mit. Tröstete ihn so gut er konnte. Für ihn war Yusei daran Schuld. Deshalb war es mit ihm durchgegangen, als er ihn vor einigen Stunden zufällig gesehen hatte.
 

Und Yusei? Er hatte keinen an seiner Seite. Niemand, der ihn tröstete. Nur seine Arbeit lenkte ihn ab. Ihm musste das doch ebenfalls schwer fallen und weh tun. Und er konnte nur sich selbst daran die Schuld geben. Bekam dafür sogar noch die Lippe blutig geschlagen.
 

„Das tut am Ende jedem von uns weh“, hatte Judai gesagt, als er Johan darum bat Yusei nicht zu schlagen.
 

Und da war es nun.

Wiedersehen

Das Haustürschloss klickte, als ein Schlüssel sich draußen in ihm herum drehte. Das Geräusch ließ Judai aufhorchen und er setzte sich augenblicklich gerade auf, war er doch gerade noch über sein DS-Spiel gebeugt. Eilig speicherte er und legte das Handheld beiseite.
 

„Na, wurde aber auch langsam Zeit!“, verkündete er laut, damit die Person auf der anderen Seite der Türe es auch hören konnte.
 

Sein Magen grummelte schon seit geraumer Weile und er hatte sich darauf gefreut mit Johan Essen zu gehen. Judai erhob sich von der Couch und huschte in sein Zimmer, um die ultra-bequeme Jogginghose gegen eine Jeans einzutauschen. Da er noch warten musste, hatte er sich vorher nicht die Mühe gemacht, sich aus den Klamotten zu schälen.
Er schlüpfte also auf seine üblich umständliche Art in seine Hose, zog sie über die Hüften und knöpfte sie zu. So, er war bereit. Geduscht hatte er schon und ein frisches Shirt trug er ebenfalls.
 

„Jetzt können wir aber endlich“, sagte Judai mehr zu sich selbst und trat aus seinem Zimmer.
 

Sein Lächeln wich ihm aus dem Gesicht, als er nicht den vertrauten blauen Haarschopf vor sich sah. Etwas verloren stand da ein schwarzhaariger junger Mann und sah ihn unsicher an.
 

„Hey“, grüßte Yusei ihn leise.
 

In dem Moment wurde Judais Kopf leer. Er wusste, er sollte sich freuen. Immerhin hatten sie sich so lange nicht mehr gesehen. Doch da war nichts. Dumpf pochte der Schmerz der letzten Monate in seinem Hinterkopf. Es kam alles wieder hoch. Der Kummer, die Angst, all die Momente, in denen er am Boden und traurig gewesen war.

Alles nur, wegen seiner dummen Neugier. Und Yuseis grandioser Idee einer Beziehungspause. Er hatte ihn so scheiße vermisst. Wenn sie sich ausnahmsweise gesehen hatten, konnten sie nicht anders als reserviert gegenüber dem anderen zu sein. Es hatte sich so falsch angefühlt und Judai immer wieder den Magen zusammengezogen.

Auch jetzt spürte er einen Schmerz in seiner Brust pochen.
 

„Judai?“
 

Er stand da wie angewurzelt. Seine Schultern zitterten, doch das war ihm nur dumpf am Rande bewusst. Vorsichtig ging er ein paar Schritte auf Yusei zu, obwohl in seinem Körper alles nach Rückzug schrie. All die Wochen hatte Judai sich bemühen müssen, nicht an ihn zu denken. Sich von ihm fern zu halten. Wenn er ihn zufällig in der Uni gesehen hatte, nahm er reiß aus und versteckte sich oder machte einen extra weiten Bogen.
Doch, wenn er hier war, dann bedeutete das doch, dass all der Abstand und die Quälerei nun ein Ende hatten. Oder?
 

„Komm her.“
 

Yusei breitete seine Arme aus und ohne darüber nachzudenken stolperte Judai hinein. Seine Finger krallten sich in sein Oberteil und Yusei drückte ihn fest an sich. Judai drückte noch fester zurück. Als würde er drohen in die Tiefe zu stürzen, wenn er auch nur für den kürzesten Moment locker ließ.
Ein schwacher Damm brach in ihm und mit einem Mal liefen die ersten Tränen seine Wangen hinab.
 

Es war alles wieder in Ordnung. Oder? Es fühlte sich gut an, seine Nähe zu spüren. Nach all der Zeit, seinen Geruch wieder wahrzunehmen. Er sollte sich erleichtert fühlen, und doch spürte er weiterhin diese Leere.
 

Zitternd gaben Judais Knie langsam nach. Yuseis Griff festigte sich umso mehr und vorsichtig ließ er sie gemeinsam zu Boden sinken. Beruhigend streichelte Yuseis Hand über seinen Rücken.
 

„Ich hab dich vermisst“, nuschelte Judai heiser gegen seine Brust. Ein dicker Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet, welcher sich auch mit großer Mühe nicht herunterschlucken ließ.
 

Judai spürte, wie Yusei zustimmend nickte.
 

„Ich hab dich auch vermisst“, erwiderte er ruhig.
 

Wieder einmal bewies Yusei, dass er ein unerschütterlicher Ruhepol war. Ein Fels in der Brandung.
 

Eine Weile lagen sie sich nur stumm in den Armen und ließen die Nähe des anderen auf sich einwirken. Die Wärme, welche sie so lange nicht mehr schätzen konnten.

Judai hing wie gelähmt an seinem Freund und ließ die Tränen ungehindert laufen und Yuseis Oberteil benetzen.
 

Yusei blieb weiterhin still und hoffte, dass er Judai damit weiterhin beruhigen konnte. Das Schniefen des Brünetten wurde allmählich seltener und auch die Tränen rollten nur noch vereinzelt. 
Als Yusei nur ein bisschen Abstand zwischen sie bringen wollte, um Judai ansehen zu können, musste er überrascht feststellen, dass sich dessen Umklammerung nicht das geringste Stück löste. Stattdessen entschloss Yusei sich, seinem Freund zärtlich durch die Haare zu streichen.
 

„Möchtest du gleich noch Essen gehen?“, fragte Yusei an sein Ohr murmelnd.
 

Wollte er? Das hieße, er müsste sich von ihm lösen und in der Öffentlichkeit einen Anstandsabstand halten. Er hatte sich zwar auf das Essen gefreut, aber nicht unter diesen Bedingungen.
 

Judai schüttelte zaghaft den Kopf. Er spürte erneut ein verständnisvolles Nicken an seinem Kopf.
 

„Sollen wir uns dann auf die Couch setzen?“, hakte der Schwarzhaarige leise weiter nach.
 

Dieses Mal entschloss sich der Angesprochene etwas schneller.
 

„Wir können uns auf mein Bett setzen“, murmelte Judai.
 

Das war ein Ort, an dem er in den letzten drei Monaten äußerst selten verweilt hatte. Es war nur richtig, sich dort wieder etwas einzufinden, nicht wahr?
 

„Gute Idee“, stimmte der Andere zu. „Na, komm.“
 

Kräftig wie er war, zog er Judai wieder mit sich auf die Beine. Vorsichtig geleitete Yusei ihn in sein Zimmer.
 

Es war schwierig auszumachen, wie viel Zeit sie Arm in Arm liegend im Bett verbrachten. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein und doch war es nicht genug. Nicht genug, um die verlorenen Monate wiedergutzumachen. Nicht genug, um sich an diese Berührung wieder zu gewöhnen.
 

Leise grummelnd meldete sich Judais Magen. Er presste die Lippen zusammen und drückte sein Gesicht fester an Yuseis Brust.
 

„Hast du Hunger?“
 

Judai atmete tief durch und bemühte sich endlich ein paar mehr Worte über die Lippen zu bringen.
 

„Hab noch nichts gegessen heute, weil wir ja ausgehen wollten. … Und weil auch nichts im Kühlschrank ist“, erklärte er.
 

„Oh.“ Yusei sah sich etwas ratlos um.
 

„Wir könnten etwas bestellen“, schlug Judai schließlich vor. Wie sie es so oft taten, wenn sie hier waren.
 

„Hast du auf etwas bestimmtes Lust?“
 

Irgendwie war es schön, dass sich endlich ein kleines Gespräch aufbaute.
 

Judai ging im Kopf kurz einige Möglichkeiten durch.
 

„Pizza?“
 

Vorsichtig kramte Yusei sein Handy aus der Hosentasche.
 

„Das Übliche?“, hakte er nach.
 

„Können uns auch ne Große teilen.“
 

„Klingt gut.“ Yusei lächelte andeutend und tippte auf dem hell erleuchteten Handy-Bildschirm herum.

Beide

Zärtlich verweilten immer wieder viele sanfte Küsse auf den weichen Lippen seines Geliebten. Erwidert wurden sie zaghaft und bei weitem nicht so gefühlvoll wie sonst. Der brünette Empfänger der Zärtlichkeiten schien mit etwas beschäftigt zu sein.
 

Langsam löste sich Yusei einige wenige Zentimeter von Judai, um ihn eingehend zu betrachten.
 

Er wirkte ein wenig apathisch. Auch brauchte er einige Sekunden, bis er den Blick hob, um Yusei aufmerksam anzusehen, weshalb er die Zuwendung pausierte.
 

Es war bei weitem kein unbekannter Zustand, den sein Lieblingsmensch aufwies. Judai hatte diese Phasen immer mal wieder. Mal stärker, mal schwächer. Sie trübten nicht seine Liebe zu ihm, aber sie verunsicherten Yusei. Wenn er es nicht schaffte, dass Judai glücklich war, konnte er dann überhaupt der richtige für ihn sein?

Judai vergewisserte es ihm häufig. Er liebte ihn, er brauchte ihn, er war ihm so wichtig. Aber er war nicht der einzige. Für Johan empfand Judai ebenfalls viel Liebe. Er brauchte sie beide, das war Judai inzwischen bewusst geworden.
 

„Brauchst du Johan?“, fragte Yusei leise.
 

Judai sah ihn ertappt an und wand dann den Blick schuldbewusst ab. Seine Arme schlangen sich fester um Yusei. Aber es war ein Klammern.
 

„Sollen wir zu dir?“, hakte Yusei ruhig nach.
 

Er wollte nicht, dass sich Judai zurücknahm. Er tat es viel zu oft und meistens ohne es selbst zu bemerken. Dabei ließ er völlig außer Acht, was er selbst wollte und gab sich mit immer weniger zufrieden. Hauptsache, ihm blieb etwas. Hauptsache, ihm blieb Yusei. Es war nicht zu übersehen, dass es ihn kaputt machte. Dass es ihm nicht ermöglichte, seine Seele zu heilen.
 

Für einen kurzen Moment sah Judai aus, als würde er an seinen Schuldgefühlen zerbrechen. Die Zähne versenkten sich in seine Lippe. Dann nickte er leicht.
 

Yusei gab ihm einen versöhnenden Kuss auf die Schläfe. Judai sollte nicht denken, dass er ihm damit wehtat oder enttäuschte. Es war auch nicht so, dass Judai im Moment Johan bevorzugte. Nein, ihm fehlte Johan nur. In solchen Phasen reichte es nicht, nur einen von ihnen bei sich zu haben.
 

„Dann fahren wir.“
 

Judai fühlte sich schlecht. Unter ihm vibrierte das Motorrad, welches geschwind über die Straßen sauste. Fest hielt er sich an Yusei geklammert, der das Gefährt geschickt durch den Verkehr manövrierte.
 

Eigentlich hatten sie sich auf das Wochenende gefreut. Judai wollte Freitag bis Montag bei Yusei übernachten. Nun war es Samstagmittag und sie waren wieder auf dem Weg zur WG. Plötzlich hatte sich in Judais Kopf diese schreckliche bekannte Leere ausgebreitet. Es tat ihm so leid. Sie wollten ein paar schöne Tage zu zweit verbringen. Faulenzen, kuscheln – Dinge die Pärchen so taten. Und dann das. Er hatte das Gefühl Yusei zu enttäuschen. Dass er Yusei das Gefühl gab, er würde ihm nicht genügen, sei auf Dauer nicht aushaltbar oder langweilig.
 

Dabei war Yusei immer so lieb und verständnisvoll. Auch gerade. Bestimmt wollte er auch lieber mit Judai alleine Zeit verbringen. Aber er hatte sofort angeboten, dass sie zur WG fuhren, damit Judai auch bei Johan sein konnte.
 

Dankbar umarmte Judai seinen Freund noch etwas fester.
 

Die Tür fiel leicht ins Schloss, als Yusei sie nach dem Eintreten hinter sich zu schob.
 

„Judai? Bist du schon wieder da?“, tönte es fragend aus dem einen Schlafzimmer.
 

Traurigerweise war es nicht das erste Mal, dass Judai seinen Besuch aus heiterem Himmel abgebrochen hatte. Und es war nie ein gutes Zeichen, wenn er es tat.
 

„Wir sind da“, bestätigte Yusei und schlüpfte aus seinen Schuhen.
 

Eilig kam Johan aus seinem Zimmer, um die Heimgekehrten zu beobachten.
 

„Hey. Sieht aus, als müssen wir nochmal einkaufen fürs Essen“, bemerkte Johan mit einem Lächeln.
 

Sobald Judai aus seinen Schuhen und der Motorradjacke raus war, nahm er Yuseis Hände und zog ihn mit sich, um Johan zu umarmen. Instinktiv schloss Yusei seinen Freund in die Arme. Johan tat es ihm gleich, umarmte Judai sorgsam und kuschelte ihn liebevoll.
 

„Hast du mich so sehr vermisst?“, murmelte Johan gegen Judais braunes Haar.
 

Judai blieb still. Aber er genoss die Nähe und die Ruhe, die dadurch in ihn einkehrte. Die Leere füllte sich mit Wärme.
 

„Können wir das Wochenende alle zusammen verbringen?“, nuschelte Judai leise.
 

Sanft drückte Yusei seinem Freund einen Kuss ins dichte, weiche Haar.
 

„Gerne.“

Weltreise

Stetiges Brummen erfüllte Judais Ohren, seit Stunden sein beständiger Begleiter. Trotz In-Ear Kopfhörer und lauter Musik war es nicht möglich das Geräusch völlig auszublenden. Es war anstrengend, aber man gewöhnte sich daran.
 

Das Licht in der Flugzeugkabine war abgedunkelt, lediglich die trübe Nachtbeleuchtung und das Flackern der vielen gedimmten Monitore spendete Licht.
 

Mühsam versuchte Judai sein Gewicht anders zu verteilen, sich etwas aufzurichten und eine neue bequeme Sitzposition zu finden. Er zog die dünne Decke, welche sorgsam von den Mitarbeitern der Fluggesellschaft für jeden Gast bereitgestellt wurde, bis an die Brust hoch und warf einen neugierigen Blick auf sein Handy, um die ihm derzeit deutlich relativ vorkommende Uhrzeit zu lesen.
 

16:43 Uhr. Das war japanischer Zeit. Judai überlegte kurz, der Abflug war für 11:50 Uhr vorgesehen gewesen. Also befanden sie sich inzwischen seit gut fünf Stunden in der Luft. Laut Flugplan sollte die Reisedauer elf Stunden und zwanzig Minuten betragen. Ergo… hatten sie noch nicht einmal die Hälfte des Weges geschafft.
 

Bei dieser Realisation seufzte Judai schwer. Es war gar nicht so leicht sich so lange die Zeit zu vertreiben und zu sitzen. Nach dem Essen hatte er versucht zu dösen. Aber darin war er leider nicht sonderlich erfolgreich gewesen.
 

Plötzlich spürte er einen Ellbogen in seiner rechten Seite. Wirsch warf Judai seinem Sitznachbarn einen irritierten Blick zu.

Johan war aufgefallen, dass sein Freund wach war und bot ihm eine Flasche Wasser an, welche die Flugbegleiterin verteilt hatte, während Judai versucht hatte sich zum Schlafen abzukapseln.
 

„Danke“, sagte Judai rasch und zog sich den rechten Stöpsel aus dem Ohr, für den Fall, dass sie noch ein paar Worte mehr wechseln wollten.
 

Auf Johans Bildschirm lief ein Film, den Judai nicht kannte, aber scheinbar sah Johan dort nur halbherzig zu, war er doch gerade mehr an seinem Freund interessiert.
 

Judai brach das Siegel der Flasche und drehte den Verschluss auf. Er hatte gar nicht bemerkt, wie durstig er gewesen war und leerte die halbe Flasche in mehreren Zügen.
 

„Denk dran, du musst viel trinken. Hier oben ist die Luftfeuchtigkeit niedrig“, erinnerte ihn Johan.
 

Wie auf Geheiß erspähte Judai auch die nächste Flugbegleitung, welche mit einem Tablett mit Bechern und einer erhobenen Flasche langsam den Gang hinunter schritt. Der Inhalt war nicht transparent, daher nahm Judai an, dass es sich um einen Saft handeln musste. Etwas Geschmack käme ihm ganz gelegen, also meldete er sich brav, als der nette Herr an ihrer Reihe angekommen war.
 

„För mig också snälla“, nickte Johan dem Flugbegleiter zu, während er den halbvollen Becher Saft an Judai weiterreichte.
 

Zu Beginn des Fluges hatte Johan ihm erklärt, dass die Crew auf ihrem Flug nach Kopenhagen aus allen drei skandinavischen Ländern kam. Der Pilot war Norweger, daher war seine Durchsage auf Englisch und Norwegisch gewesen. Zwei Flugbegleiterinnen waren aus Dänemark und der nette Herr der ihm gerade einen weiteren Saft anreichte kam aus Schweden.

Judai hörte da überhaupt keinen Unterschied heraus aber anscheinend hatte Johan stets die richtige Sprache parat gehabt, als er mit den Flugbegleitern sprach.
 

„Thank you“, brachte Judai noch etwas schüchtern hervor, ehe der Flugbegleiter eine Reihe weiterzog.

Erwartungsvoll nippte er an dem Saft und erkannte nach einer kurzen geschmacklichen Verwirrung, dass es sich um Apfelsaft handeln musste. Ehrlich gesagt hatte er Orange erwartet und kam deshalb im ersten Moment nicht ganz klar, was sich da nun in seinem Mund abspielte.
 

„Wo wir wohl gerade sind?“, fragte sich Judai laut genug, damit es Johan auch hören konnte.
 

„Definitiv über Russland. Vielleicht in Höhe von Kasachstan“, sagte Johan bestimmt.
 

„Wie lange fliegen wir denn über Russland?“, wunderte sich Judai.
 

„Gut zehn Stunden.“
 

Judai war geschockt. Also ja, er wusste, dass es das größte Land der Welt war – aber so riesig?!
 

„Bei jedem Flug fällt mir immer dasselbe Zitat aus Cabin Pressure ein. We're, unbelievably, still flying over Russia, which continues to be stupidly big. Und den Piloten muss es genauso ergehen wie den Protagonisten.“ Johan schüttelte empathisch den Kopf. „Und das alles um uns über die halbe Welt zu transportieren.“
 

„Stimmt, wenn wir landen ist es Nachmittag. Also eigentlich jetzt – aber erst in sieben Stunden“, bestätigte Judai, ein bisschen stolz das Ganze mit der Zeitverschiebung verstanden zu haben.
 

„Sag Bescheid, wenn du auf Toilette musst oder mal aufstehen willst“, sagte Johan, welcher selbst begann sich auf seinem Sitz etwas zu strecken und zu drehen. „Beweg auch deine Füße.“
 

Judai tat wie ihm Geheißen und rollte seine Füße im Kreis, wackelte mit ihnen hin und her – und was ihm sonst alles einfiel. Zum Aufstehen war er im Augenblick zu faul und dösig. Lieber kuschelte er sich anschließend an Johan und legte den Kopf an seine Schulter.
 

„Ich realisier immer noch nicht so richtig, was uns die nächsten Wochen erwartet“, gab Judai zu. „Wahrscheinlich erst, wenn wir landen.“
 

„Ich glaube, wenn wir landen bist du zu gerädert um noch irgendwas großartig zu realisieren. Dann ist es einfach da“, lachte Johan gutmütig.
 

Er kannte das von seinen ersten Flügen zurück in die alte Heimat. Oder als er im Kindesalter mit seinen Eltern nach Japan zog. Es war surreal über viele Stunden in einer Blechdose zu sitzen und am Ende tatsächlich am anderen Ende der Welt rauszukommen. Andere Menschen, andere Kultur, andere Sprache.
 

„Mann, ich würde echt gern schlafen können, um nachher fit zu sein“, grummelte Judai.
 

„Ach, du musst es ja nur bis ins Hotel überstehen. Bis wir da ankommen ist es eh Abend und etwas unternehmen lohnt sich dann sowieso nicht mehr. Zwei Tage reichen völlig aus, um Kopenhagen ein bisschen zu erkunden“, versuchte Johan ihn aufzumuntern.
 

Am dritten Tag sollte es nämlich weitergehen nach Bergen und von dort auf das Postschiff, mit dem sie nach Harstad gelangen würden. Dort holte sie Johans Onkel ab. Die Überfahrt dauerte gut fünf Tage, aber sie bot eine grandiose Gelegenheit die Fjorde zu sehen und, wenn sie Glück hatten, auch Nordlichter.
 

„Ich freue mich auf den Schnee“, murmelte Judai und machte langsam wieder die Augen zu.
 

Liebevoll nahm Johan ihm den leeren Saftbecher ab und stellte ihn neben seinen eigenen. Wenn er noch etwas trinken wollte, konnten sie die Becher wieder befüllen lassen. So produzierten sie nicht unnötig mehr Müll.

Anschließend platzierte Johan ein Küsschen auf Judais Haarschopf und suchte dessen Hand um sie behutsam zu halten.

Hygge

Feiner Regen prasselte von außen gegen die großen Fensterscheiben des warmen, kuscheligen Cafés in welchem Judai und Johan Schutz und Rückzug suchten. Den ganzen Tag waren sie durch die Innenstadt von Kopenhagen gelaufen, hatten sich Architektur, Parks, Statuen und Umgebung angesehen. Für Judai eine völlig neue Welt. Europa sah so romantisch aus. So altertümlich, wie aus einem Märchen. Passend dazu, war ihr erster Punkt an diesem Tag die Besichtigung der kleinen Meerjungfrau gewesen, welches ihr Wahrzeichen gar nicht weit vom Hotel stehen hatte. Von dort aus ging es quasi immer weiter geradeaus in das Zentrum. Das Wetter war herrlich gewesen. Zwar kühl und windig, aber der Himmel strahlend blau.
 

Leider war das Wetter nach wenigen Stunden umgeschwungen. Plötzlich nieselte es permanent und der dadurch noch kältere Wind trieb ihnen die Tränen in die Augen. Ein bisschen Regen sollte die beiden Jungs jedoch nicht von der Erkundung abhalten. Inzwischen war es dunkel geworden, ungewöhnlich früh, wie Judai fand, und sie hatten beschlossen sich aufzuwärmen, zu trocknen und zu entspannen, bevor sie den Rückweg antreten wollten.
 

Judai pellte sich aus der dicken, feuchten Winterjacke und drapierte sie über der Stuhllehne. Das Café war heimelig eingerichtet, viele Elemente aus Holz, die Tapete bildete ein Bücherregal ab und das Licht war ein warmes, gedimmtes Gelb-Orange.
 

„Hygge, nicht wahr?“, lächelte Johan mindestens genauso warm. Sein Mantel war bereits über der hölzernen Bank verteilt, als nächstes entledigte er sich seines dunkelblauen Schals.
 

„Bitte wie?“, stutzte Judai. Er kniff die Augen zusammen und ließ angestrengt den Blick durch das Lokal schweifen. „An den Fenstern?“, fragte er vorsichtig nach. Die waren ein bisschen beschlagen, aber von Dampf würde er da nicht reden.
 

Johan neigte verwirrt den Kopf, bis er verstand, wo das Missverständnis lag. „Oh, nicht Yuge. Hygge. Das heißt… na, wie soll ich das beschreiben?“ Der Kopf neigte sich in die andere Richtung. „Es ist angenehm… gemütlich! Man entspannt sich direkt total“, erklärte er schließlich.
 

Langsam ließ Judai den Blick erneut schweifen, um das Gefühl bewusster in sich aufzunehmen. Eine ruhige Klaviermusik erklang aus den Lautsprechern und vermischte sich mit dem fremden Gemurmel anderer Gäste. Judai fühlte, wie die Anspannung durch den Regen zu tapern und kalten, nassen Wind ins Gesicht gepeitscht zu kriegen, von ihm abließ.

Er nickte andächtig. „Stimmt. Echt entspannend.“
 

„Also, es gibt hier Kaffee, Tee, Shakes und viele verschiedene Säfte. Möchtest du gucken, was du haben willst?“, bot Johan an und deutete auf die große Tafel mit Angeboten, welche hinter der Barista Theke an der Wand hing.
 

„Ähm, überrasch mich“, antwortete Judai, etwas erschlagen von der schieren Auswahl und der ausschließlich in Dänisch geschriebenen Inhaltsangabe.
 

„Alles klar!“ Fröhlich spazierte Johan rüber zur Theke um das Angebot besser in Augenschein zu nehmen.
 

Während Judai wartete, zog er ein schmales Papiertütchen aus seiner Tasche und holte einen Stapel Postkarten daraus hervor. Er hatte sich die schönsten Motive rund um Kopenhagen und Dänemark ausgesucht, in der festen Entschlossenheit Yusei jeden Tag eine Karte mit den aktuellen Geschehnissen zu schicken.

Judai griff ein weiteres Mal in seine Tasche und zog einen Kugelschreiber daraus hervor. Die ersten Sätze gingen ihm leicht von der Hand. Ehe er sich versah war die Rückseite vollgeschrieben und Johan kehrte mit zwei Getränken zurück.
 

„Ein Sex Me Up für dich und ein Hell Of A Nerve für mich”, grinste dieser frech, als er die Becher mit Smoothies abstellte.
 

„Ha ha.“ Judai versuchte die Augen nicht zu stark zu rollen und griff demonstrativ den rötlichen Drink, welcher für Johan vorgesehen war. Neugierig nippte er am Strohhalm und ihm schlug die geballte Ladung Erdbeere und Banane entgegen. Eine fremde Note schlich sich ein, die Judai nicht ganz zuordnen konnte. Aber alles in allem fand er das Getränk sehr lecker und erfrischend. Trotzdem gedachte er daran, sich noch etwas zu bestellen, dass ihn von Innen wärmen sollte.
 

„In dem ist Passionsfrucht, Ingwer und Apfel“, erklärte Johan und schob ihm den gelben Saft zu.
 

Ausgiebig tauschten und probierten die beiden hin und her und kamen zum Ergebnis, sich beide Getränke brüderlich zu teilen, damit jeder eine Hälfte bekam.
 

„Wo kriege ich eigentlich Briefmarken her?“, fragte Judai neugierig und verwies auf seinen Kartenstapel.
 

Johan machte große Augen. „Oh, ich denke es sollte welche in jedem Touristenshop geben, oder bei einem Postbüro, aber…“
 

„Was, aber?“
 

„Willst du die alle verschicken?“, fragte Johan langsam nach.
 

„Ich war mir nicht sicher, ob wir auf dem Schiff auch welche kaufen können oder uns genug Zeit bleibt, bei den Zwischenstopps, also hab‘ ich schon mal für eine Woche auf Vorrat gekauft!“, grinste Judai breit.
 

„Weißt du, der Versand einer Postkarte ins Ausland ist nicht ganz von Pappe.“
 

„Hä?“
 

„Das Porto kostet umgerechnet an die 400 Yen.“
 

Judai zuckte mit den Schultern. „Ist doch völlig in Ordnung? Bei uns käme ich doch auch auf 490 Yen.“
 

„Pro Karte.“
 

Da klappte Judai der Mund auf. Wie bitte was?! Das würde ja heißen, für drei Wochen tägliche Postkarten müsste er an die 8.000 Yen berappen!
 

„W-warum ist denn das so teuer?“, stotterte Judai perplex.
 

„Naja, hier sind alle auf Digital umgestiegen. Das meiste wird per E-Mail versendet. Da die Post also nicht mehr so häufig gebraucht wird, sind halt als Ausgleich die Versandkosten gestiegen. Außerdem sind die Lebenserhaltungskosten hier generell höher. Die Smoothies haben je 800 Yen gekostet.“
 

Das bedröppelte Judai noch mehr. So viel bezahlte er in Anime Collaboration Cafés in Tokyo für ein Getränk, aber das war dann auch etwas Besonderes.
 

„Ich… wollte noch einen Kaffee“, murmelte Judai kleinlaut.
 

„Bring mir einen mit“, grinste Johan fröhlich.
 

Judai hatte das Gefühl absolut keine Kontrolle über sein Geld zu haben. Erstens lag ihm die Umrechnung nicht sonderlich, da ihm die Zahlen zu krumm waren. 100 Yen entsprachen etwa sieben Dänische Kronen. Das hieße, er musste erst einmal den Teiler von Sieben errechnen, bevor er sich ein Bild machen konnte, wie viel etwas kostete. Zweitens bezahlte man, wenn möglich, alles mit Kreditkarte. Judai war es gewohnt Münzen und Scheine in der Brieftasche zu haben. Das hieße, er konnte sich 10.000 Yen abheben und wenn er alles ausgegeben hatte, dann war er sich der Menge zumindest bewusst. Ihm schwante ein böses Erwachen, wenn sie zurück in Japan waren.
 

Nichtsdestotrotz balancierte er nach erfolgreicher Bestellung zwei heiße Tassen Café Latte zu ihrem Tisch.
 

„Sein Englisch ist ja der Wahnsinn“, kommentierte Judai begeistert. Von seinen Verwandten in den USA wusste er, wie sich echtes, alltägliches Englisch anhören konnte. Manchmal war er davon überfordert. Judai hatte befürchtet, dass ein dänischer Akzent eine Sprachhürde aufbauen könnte – aber da war keiner.
 

„Die meisten Serien und Filme werden hier nur untertitelt. Das heißt, dass die Leute hier sehr gut bilingual aufwachsen – wenn nicht sogar multilingual“, bestätigte Johan. Er selbst hatte als Kind voller Zuversicht seinem Umzug nach Japan entgegengeblickt. Was er nicht geahnt hatte war, dass sein gutes Englisch ihm kaum weiterhalf, da die Japaner es sich eher schwer damit taten.
 

Statt auf seinem Stuhl Platz zu nehmen, rutschte Judai lieber zu Johan auf die Bank. So konnte er mit ihm aus dem großen Fenster zur Straße hinausgucken – auch wenn es bereits so dunkel war, dass man außer Lichter kaum noch etwas erkennen konnte.
 

„Was machen wir morgen?“, fragte er und wärmte sich die Hände noch etwas an der Kaffeetasse.
 

„Morgen gehen wir ins Tivoli. Das ist einer der ältesten Vergnügungsparks“, sagte Johan besonnen. Er genoss die Nähe zu Judai und zog ihn mit einer eleganten Bewegung noch etwas an sich heran. Dieser nutzte die Gelegenheit und schmiegte sich wohlwollend, wenn auch etwas schüchtern, enger an Johan.
 

„Und wenn es wieder regnet?“ Ein leichtes Schmollen zierte Judais Lippen. Er hatte eigentlich auf Schnee gehofft. Von dem war aber weit und breit keine Spur. Im Norden dann, hatte Johan im versichert. Hier in Dänemark war es noch nicht kalt genug.
 

„Wenn du aus Zucker bist, können wir auch ein paar Museen besuchen“, schlug Johan neckend vor. Einen Plan B hatte er immer parat. Langweilen würden sie sich schon nicht.
 

Judai wog den Kopf. „Klingt beides gut. Und hey, wenn das Wetter nicht so toll ist, haben wir bestimmt alle Attraktionen für uns.“
 

„Eine ausgezeichnete Einstellung!“

Seligkeit

Es war ein stürmischer Herbsttag, Blätter bildeten kleine Tornados auf den Gehwegen und der Himmel zog sich mit Wolken zu. Tatsächlich war es Mittagszeit, doch in kürzester Zeit wurde es so düster, dass man meinen konnte, es würde schon dämmern. Ein gewaltiges Gewitter zog heran und dem Anschein nach würde es ordentlich krachen.
 

Judai machte es sich mit einer Tasse heißer Schokolade im Bett gemütlich.

Früher hätte er sich unter dem Tisch oder der Bettdecke verkrochen, wenn sich ein Sturm anbahnte. Er hätte gezittert wie Espenlaub, sogar wenn Johan oder Yusei bei ihm waren. Selbst in der Kissenburg, die er mit Johan zusammen baute, fühlte er sich manchmal nicht sicher genug. Oftmals war es möglich gewesen Judai so sehr abzulenken, dass er das Gewitter vergaß. Mit der Zeit wurde es immer häufiger, dass ihn ein der Gefühl der Geborgenheit umgab, welches ihm die Angst nahm.
 

So wie heute.
 

Es handelte ich immer noch um eine etwas prekärere Situation, die besondere Handhabung erforderte. Aber Judai hatte nicht mehr das Bedürfnis sich verstecken zu müssen. Seine Panikattacken waren abgeklungen. Es ging ihm inzwischen viel besser und das dank der beiden wundervollen Menschen in seinem Leben.
 

Yusei legte sich ein Kissen zurecht, damit er bequem aufrecht sitzen konnte. Er lehnte sich zurück und zog Judai sanft an sich, bedacht darauf, dass kein Kakao verschüttet wurde. Liebevoll rieb er das Gesicht an Judais Schopf und setzte einen Kuss in seine Haare.

Aufziehende Gewitter waren stets eine gute Gelegenheit, um mal einen Gang zurück zu schalten und kostbare Zeit mit seinem Lieblingsmenschen zu verbringen.
 

Vorsichtig balancierend kam Johan mit zwei weiteren dampfenden Tassen ins Schlafzimmer und stellte sie auf dem Nachtisch ab. Dann schlüpfte er geschwind ebenfalls unter die warme Bettdecke und drückte Judai neben sich einen Kuss auf die Wange.

Johan genoss diese Augenblicke in denen sie entspannt kleine Zärtlichkeiten austauschen konnten.
 

Aus der angstvollen Situation, die einst mit Ablenkung bekämpft wurde, hatten sie ein Ritual der Geborgenheit und Entspannung entwickelt.
 

Johans Kakao war einfach unübertroffen die leckerste, den Judai jemals getrunken hatte. Dabei benutzte er nicht einmal spezielles Kakaopulver, welches er aus Norwegen mitbrachte. Nein, es war einfach eine Marke, die er aus dem örtlichen Donquijote gekauft hatte. Aber sein Mischverhältnis und die extra Portion Liebe veredelten diesen simplen Kakao. Genüsslich schlürfte Judai ein paar Schlücke von seiner Tasse ab.
 

Mit einer fließenden Bewegung nahm Yusei das Tablett vom Nachttisch und entsperrte den Bildschirm. Er setzte die Playlist der Serie fort, bei der sie beim letzten Gewitter aufgehört hatten.

Auch wenn Judai gerne einen Fernseher im Schlafzimmer gehabt hätte, um vom Bett aus Spiele zu spielen, so hatten er und Yusei sich darauf geeinigt, ihr Schlafzimmer simpel zu halten und höchstens Tablets oder Handhelds zur elektronischen Unterhaltung mit ins Bett zu nehmen. Also sahen sie sich Filme und Serien nebenbei auf Judais Schoß an. Ihr Beisammensein stand im Mittelpunkt, nicht die mediale Berieselung.
 

Zwei Episoden später, als die Kakaotassen leer und weggestellt waren, nutzte Judai die Gelegenheit sich frei entfalten zu können und kuschelte sich ordentlich bei Yusei ein, stets darauf bedacht, dass Johan es ebenfalls bequem hatte und nicht ausgeschlossen wurde. Johan fand immer einen Weg sich passend anzuschmiegen.

Sanft kraulte Yusei durch Judais Haare. Es war wunderbar einlullend. Zärtlich nahm Judai je eine Hand seiner Liebsten in die eigene. Er konnte sich kaum etwas schöneres vorstellen.

Eine Weile streichelte er noch mit den Daumen über ihre Handflächen, dann war er eingeschlafen.

Kapuzenpullover

„Das macht zusammen 785 Yen.“ Geschickt und flink packte der Konbini-Angestellte die Waren in eine Plastiktüte.
 

Judai fischte in seiner Hosentasche nach dem nötigen Kleingeld. Was er finden konnte legte er in die Schale für den Kassierer. Dieser suchte sich prompt den korrekten Betrag heraus und bedankte sich herzlich. Die restlichen Münzen gingen zurück in die Hosentasche.
 

„Vielen Dank, haben Sie noch einen schönen Tag!“, wünschte der Angestellte und Judai verabschiedete sich mit einer halben Verbeugung, nahm seinen Einkauf und verließ den Laden.
 

Es war kühl und unangenehm windig an diesem Herbsttag. Judai wollte so schnell wie möglich zurück nach Hause. Yusei hatte sich bereit erklärt Abendessen zu machen. Es sollte zwar nur simples Omrice geben, aber Judai freute sich trotzdem darauf. Zur Krönung war er zum nächsten Konbini gelaufen um Desserts für sie zu holen.
 

Bibbernd zog er den Hoodie bis an sein Kinn hoch. Es war einen Tacken zu frisch für ihn. Vielleicht hätte er doch eine Jacke mitnehmen sollen. Egal, die paar Meter würde er überstehen, ohne sich etwas abzufrieren.

Mit schnellen Schritten ging Judai die Straße hinab. Und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, als er ein klägliches Schluchzen hörte. Der kleine Junge, an dem er gerade an der Ecke vorbei gelaufen war, er weinte. Eilig drehte sich Judai zu ihm herum, um nach dem Rechten zu sehen. Vielleicht konnte er ihm seine Hilfe anbieten, wenn er – Judai erschrak als er sah, dass der Junge pitschnass war.
 

Bedacht vorsichtig kniete er sich runter zu dem Jungen.
 

„Hey. Ich bin Judai. Kann ich dir helfen?“, fragte er so ruhig es ihm möglich war. Er stellte die Tüte mit den Törtchen auf den Boden und schälte sich aus seinem Hoodie.
 

Der kleine Junge sah ihn mit großen, völlig verweinten Äuglein an. Aber er brachte kein Wort hervor.
 

„Dir ist bestimmt kalt… Warte, nimm meinen Pulli. Sonst erkältest du dich.“ Dass Judai selbst nur noch in T-Shirt da hockte interessierte ihn kaum noch. Behutsam legte er dem Jungen die warme Kleidung um die Schultern.
 

„Da. Das dürfte besser sein, oder?“, Judai lächelte ihn aufmunternd an. Er musste ihn trotzdem so schnell wie möglich ins Warme bringen. Der Junge brauchte trockene Kleidung.
 

„Bist du auf dem Weg nach Hause?“
 

Der kleine Junge schüttelte den Kopf.
 

„Oh. Auf dem Weg zu Freunden?“
 

Wieder schüttelte er den Kopf.
 

Judai zögerte. „Wartest du auf jemanden?“
 

Erneutes Kopfschütteln.
 

„Wie… heißt du?“, fragte Judai schließlich zaghaft.
 

Der kleine Junge schniefte kurz. „Yuya.“
 

Langsam streckte Judai die Hand nach ihm aus und tätschelte ihm sanft das Köpfchen.
 

„Was ist passiert, Yuya?“
 

Die kleine Lippe zitterte und unkontrolliertes Schluchzen kam aus seinem Mund.

„I-ich wollte… wollte zum Hort. Und-und… da waren diese Jun-Jungs…“
 

Judai verstand völlig.

„Hast du Wechselklamotten im Hort?“
 

„Nein… d-da… mag mich auch keiner…“, klagte das kleine Stimmchen.
 

Judai wurde das Herz schwer. Er schien so ein lieber, kleiner Junge zu sein. Und niemand verdiente es schlecht behandelt zu werden. Nachdenklich kaute er auf seiner Lippe herum.
 

„Wir sollten dich erstmal ins Warme bringen. Und dich abtrocknen“, beschloss Judai.
 

Aber wo? In einem Café? Da wäre er zwar warm, aber bis seine Kleidung getrocknet war würde es Stunden dauern.
 

„Guck mal, ich wohne gleich da in dem Haus. Möchtest du mit hoch kommen?“ Judai hielt inne. Das klang, als würde er ihn verschleppen wollen. „A-also, nur wenn du wirklich willst.“
 

Erst zögerte Yuya. Doch dann nickte er.
 

„Ja? Ich kümmer‘ mich um dich, versprochen.“ Judai zupfte den Stoff des Hoodies an den Schultern etwas hoch. „Steck ruhig die Arme in die Ärmel. Soll ich ihn zu machen?“
 

Etwas unbeholfen zog sich der kleine Junge den übergroßen Pulli an und ließ sich den Reißverschluss zu machen. Judai hoffte, dass Yuya sich warm und geborgen fühlte. Der Saum schliff über den Boden.
 

„Komm, ich trag dich. Bevor du stolperst.“ Er wollte nun wirklich nicht, dass Yuya sich auch noch wehtat.

Kaum hatte er das ausgesprochen fiel ihm der kleine Junge schon in die Arme.
 

„Hoppala!“
 

Reflexartig hielt Judai ihn fest. Er war wirklich klein und zierlich. Mit der freien Hand nahm er die Tüte und hob beide gemeinsam hoch.
 

Yuya hielt sich so fest wie seine kleinen Händchen zuließen. Die wenigen Meter bis zur Haustür waren schnell überwunden und Judai brachte Yuya ins traute Heim.

Sohnemann

Es gab wenige Tage, an denen Judai freiwillig und völlig von alleine zur früher Morgenstunde erwachte. Heute war so ein besonderer Tag. Kein Wunder, unten im Erdgeschoss schlummerte in Johans Bett ihr kleiner Gast. Für Judai war es ein bisschen wie der Weihnachtsmorgen. Doch statt Geschenke auszupacken, würde er dem kleinen Yuya, bevor er zur Schule gebracht werden musste, ganz viel Liebe schenken.

Eigentlich hatte Judai es immer noch nicht so ganz realisiert. Wer nahm schon spontan ein Kind bei sich auf? Und so ein liebes dazu. Aber es kribbelte ihn, es sich jederzeit wieder ins Gedächtnis zu rufen.
 

Verschlafen streckte Judai die Glieder kurz von sich, ehe er sie wieder an Yusei schmiegte. Dieser öffnete die Lider, den Schlaf mehrmals aus den Augen blinzelnd. Dann lächelte er Judai wissend an.
 

„Guten Morgen“, säuselte Judai leise und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.
 

„Morgen“, brummte Yusei glücklich.
 

Sie genossen ihre traute Zweisamkeit unter der warmen Decke ein Weilchen und kuschelten zum Wachwerden ausgiebig. Solange zumindest, bis ihrer beider Aufregung sie nicht mehr still liegen ließ. Ein Blick auf die Uhr bestätigte, dass sie allmählich aus den Federn kommen sollten.
 

Leise schlichen Yusei und Judai die Wendeltreppe hinunter, vor Johans Zimmertüre, welche noch von gestern Abend einen Spalt weit geöffnet war. Vorsichtig lugten sie hinein, ob der Kleine noch schlief. Und das tat er. Eingerollt lag er da, in der Mitte des riesigen Bettes, das Stoffnilpferd fest in den Armen. Die Decke hob und senkte sich stetig bei jedem seiner ruhigen Atemzüge. Judai seufzte leise bei Yuyas friedlichem Anblick. Es war eigentlich zu schade, ihn aufzuwecken.
 

Vorsichtig traten sie an das Bett heran und hockten sich auf den Boden, um Yuya auf Augenhöhe zu begegnen. Sanft legte Judai eine Hand auf seine Schulter und streichelte sie in kleinen Bewegungen mit seinem Daumen.
 

„Yuya. Es ist Zeit zum Aufstehen“, flüsterte Yusei leise.
 

Erst schien der kleine Junge nur langsam aus dem Land der Träume zu gleiten, doch kaum hatte er den Besitzer der Stimme erkannt, schlug er wachsam die Lider auf. Große grüne Augen schauten sie in der Morgendämmerung an. Dann fing Yuya an breit zu grinsen.
 

„Judai! Yusei!“ Rasch setzte er sich auf, das Nilpferd stets an sich gedrückt.
 

„Hast du gut geschlafen?“, fragte Judai und streichelte durch Yuyas Schopf.
 

Dieser nickte nach kurzem Nachdenken. So gut, wie man die erste Nacht in einer fremden Wohnung wohl schlief, dachte sich Judai.
 

„Wir machen gleich Frühstück. Also, falls du Hunger hast.“
 

Yuya nickte erneut, nach kurzem Zögern.
 

„Was möchtest du? Wir haben Cornflakes, können Toastbrot machen oder Pancakes oder Reis mit Misosuppe“, unterbreitete Judai ihm ein paar Vorschläge.
 

Wieder eine Pause. Vielleicht war er doch noch nicht ganz wach. Wer konnte es ihm verdenken? Kaum machte er die Augen auf, schon bombadierten sie ihn mit Fragen.
 

„Cornflakes“, sagte Yuya leise und es klang eher unsicher, als würde er eine Frage stellen.
 

„Okay, dann kriegst du Cornflakes. Möchtest du eine warme Milch dazu, wie gestern?“
 

Dieses Mal nickte Yuya in den Kopf des Plüschtieres. Gerade so versteckte es ein herzhaftes Gähnen.
 

Es traf Judai erneut direkt ins Herz. Er war so süß. Vor allem in dem Bärchen-Onesie, den er sich am Tag zuvor ausgesucht hatte. Für einen Moment war Judai wieder völlig vernarrt in den Kleinen. Dann wurde ihm bewusst, warum er hier bei ihnen war und sein Herz wurde mit einem Mal sehr schwer.

Wie konnte man einen so lieben kleinen Jungen nur so schlecht behandeln? Judai wusste natürlich nicht, was vorgefallen war, aber allein, dass Yuya nicht zu seiner Mutter wollte, ließ ihn schlimmes erahnen. Dass seine Mitschüler ihn schrecklich hänselten, weckte nur noch mehr Mitleid in ihm. Das hatte Yuya definitiv nicht verdient. Judai beschloß, sich die größte Mühe zu geben, damit es Yuya von nun an besser gehen würde.
 

---
 

„Hast du genug Platz? Ist es bequem?“
 

Unsicher rutschte Judai im Bett herum. Es war definitiv groß genug für drei Personen, immerhin hatten sie sogar schon mit Johan darin geschlafen, ohne, dass einer rausgefallen war.

Judai wollte, dass sich Yuya geborgen fühlte. Dafür war ein gewisses Maß an Nähe angebracht. Aber er wollte ihn nicht bedrängen. Oder, dass Yuya Angst hatte, zwischen ihnen zerquetscht zu werden. Insgeheim hatte Judai jedenfalls diese Sorge.
 

„Ich mag es so“, sagte Yuya leise. Zufrieden kuschelte er sich noch etwas tiefer ins Kissen.
 

Ruhig beobachtete auch Yusei, wie der Kleine sich einmummelte und Judai versuchte, sich zu entspannen. Seine Hand streichelte sanft durch Yuyas Haare.
 

„Wenn etwas ist, sagst du uns Bescheid, okay? Du darfst uns ruhig wecken“, versicherte er dem Jungen.
 

Judai konnte sich gut vorstellen, dass Yuya heute vielleicht einen Albtraum haben könnte. Er wünschte es ihm auf keinen Fall. Aber nachdem, was an diesem Tag vorgefallen war…

Wer hätte denn auch ahnen können, dass seine Mutter bei seiner Schule aufschlägt und ihn einfach aus dem Unterricht holte. Yuya hatte nicht viel erzählt, aber der rote Abdruck einer Ohrfeige an seiner Wange sprach Bände. Er hatte sich ihr entrissen und war weggelaufen, auf der Suche nach dem Haus, wo Judai und Yusei wohnten. Letztendlich hatte ein freundlicher Polizist ihn an der richtigen Adresse abgeliefert.

Nein. Yuya durfte definitiv nicht zurück zu seiner Mutter. Das Jugendamt hatte ihnen bestätigt, dass er bei ihnen bleiben dürfe. Und damit er diesen Abend nicht wieder ganz alleine in der unteren Etage verbrachte, schlief er heute bei Judai und Yusei mit im Bett. Und wenn er wollte, durfte er das auch die ganze Woche lang tun.
 

„Herr Ni möchte euch Gute Nacht sagen“, kam es von Yuya, der sein lilanes Plüschnilpferd anhob.

Er drückte es sanft erst an Judais Wange und dann an Yuseis, als würde es kleine Küsse verteilen.
 

„Gute Nacht, Herr Ni.“
 

„Schlaf gut, Herr Ni.“
 

Dann fand sich das Plüschtier wieder auf seinem Stammplatz an Yuyas Brust ein. Judai hatte Yusei selten so unglaublich warmherzig lächeln gesehen. Es musste auch für ihn Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.

An so etwas glaubte Judai eigentlich gar nicht. Liebe brauchte Zeit, fand er. Aber Yuya hatte sie einfach wie mit einem Pfeil direkt ins Schwarze getroffen.
 

„Und du, Yuya, schlaf auch gut. Und träum etwas schönes“, murmelte Yusei und strich dem Kleinen erneut durch die Haare.
 

„Und wenn du nicht schlafen kannst, dann schauen wir uns gemeinsam noch etwas die Sterne an, bis du soweit bist“, fügte Judai leise hinzu.
 

Fragend blinzelte Yuya ihn an. „Sterne? Aus dem Fenster?“
 

Judai schüttelte ruhig den Kopf. „Viel besser. Wirst du gleich sehen. Gute Nacht, Yuya.“

Er neigte den Kopf ein Stückchen vor, um einen sanften Kuss auf Yuyas Stirn zu hauchen. Schließlich legte er sich höher in die Kissen und gab auch Yusei einen Gute-Nacht-Kuss, bevor dieser das Licht losch.
 

Yuyas Augen funkelten vor Erstaunen, als er die Sterne und Galaxien an der Decke sah, die mit einem Mal sichtbar wurden.

Je einen Arm umeinander und über Yuya gelegt, folgten sie dem Blick des kleinen Jungen, bis ihnen alsbald allen dreien die Äuglein zufielen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  CarpathianWolf
2020-04-03T18:49:25+00:00 03.04.2020 20:49
Hey ich bin durch Zufall hier gelandet und da ich JohanxJudai sehr mag, habe ich mal angefangen zu lesen. Ich finde du hast einen sehr angenehmen Schreibstil und ich musste auch an einigen Stellen lachen, weil ich mir die Szenen bildlich gut vorstellen konnte, dank deiner Beschreibung. Die Idee, dass die Drei eine Beziehung zu dritt führen, finde ich ganz nett und war auch überraschend. Falls du weiter schreibst, würde mich das freuen.
Antwort von:  -Kiara
19.12.2020 23:48
Hi! Es freut mich sehr, dass du zufällig über meine FF gestolpert bist und dass sie dir gefällt, obwohl JohanxJudai sogesehen gar nicht das Main-Shipping ist.
Ich bin etwas schüchtern im Antworten, daher erst so spät die Rückmeldung.
Aber dein Kommentar hat mich sogar inspiriert noch zwei Kapitel mit Judai und Johan zu schreiben!
Wenn du Lust hast, schau gerne bei Weltreise und Hygge rein. <3
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar!
Von:  Black_Magic_Rose
2017-11-11T01:54:20+00:00 11.11.2017 02:54
Jaiden Yuki & Yusei Fudo als Pärchen ist mir neu ... also bisher hab ich solche Geschichten nie gelesen.
Aber es war interessant & ich musste über das Geständnis lachen, was Jaiden Yusei gemacht hat.

Dennoch fehlt da ein Kapitel. Wäre schön, wenn ich das noch lesen könnte. ^~^

Es ist schade, dass du noch kein Kommi hast, aber den hast du ja jetzt von mir. ^^


Zurück