Die Schlacht von Pfeffersosse (Sommerwichteln 2016 - Arinna (Teil 2/2)) ================================================================================ Kapitel 1: Tonight, Tonight, Tonight ------------------------------------ Die Schlacht war endlich zu Ende. Die Erde, vollgesogen vom Schweiß und Blut der Kämpfenden, schien fast schon erleichtert aufzuächzen, als der Moment der Entscheidung fiel. Nur noch vereinzelte Kämpfer standen aufrecht und ließen ihre Blicke über das Vergangene gleiten. Ein grausiges Bild bot sich ihnen. Verwundete Freunde und Feinde schrien wehleidig nach Hilfe, Unversehrte standen nur stumm da und mussten erst einmal realisieren, was gerade passiert war. Denn etwas hatte sich gerade so schnell ereignet, dass keiner wirklich wusste, was getan werden musste oder konnte. Der Schock saß tief und war jedem ins Gesicht geschrieben.   Einer der Krieger, Roar war sein Name, ließ als Erster klirrend sein Schwert zu Boden fallen und fiel selbst mit starr geöffneten Augen auf seine Knie. Er hatte lange genug gekämpft und wollte dieses todbringende Stück Stahl keine Sekunde länger in seinen Händen spüren. Sein Schild hingegen umklammerte er, als sei es sein Rettungsring. Immer mehr Schwerter und Schilder wurden auf den Boden fallen gelassen und die darauffolgende Stille war erdrückend, fast schon greifbar. Die wehleidigen Schreie und anderen Geräusche der verwundeten, sterbenden Krieger ließen nach einiger Zeit nach und so verlieben nur noch die Lebenden. Beide Seiten, Freund und Feind, blieben wie angewurzelt auf ihren Plätzen stehen und wussten weder ein noch aus. Einige von ihnen waren in sich zusammengesunken, wobei andere fast schon apathisch den Schmutz und das Blut, sei es von sich selbst oder von einem Fremden, von ihren Leibern wischen wollten. Was aber ein sinnloses Unterfangen war, hatten sich die Flecken schon in die Kleidung und Haut der einzelnen Kämpfer gefressen. Dennoch rieben sie fast schon schmerzhaft an ihrem eigenen Fleisch herum.   Roar senkte langsam seinen Blick und sah nur den blutdurchnässten Boden unter seinen Knien. Die Feuchte suchte langsam aber stetig den Weg am Stoff an seinen Beinen hoch, doch es war ihm egal. Viel wichtiger waren die Fragen, die sich in ihm auftaten. Wie lange hatten sie nun gekämpft? Waren es drei oder vier Monate gewesen? Und wofür die Qual und den Tod? Wieso mussten sie ihr Leben opfern, wenn doch alles so sinnlos war … Alles war eine Lüge gewesen, eine Inszenierung sondergleichen und nun hatten die, die die Schlacht auch wirklich geführt hatten mehr daran zu nagen als die, die die Befehle aussprachen. Roar selbst war glücklich, dass er nicht an vorderster Front mitgekämpft hatte, sondern eher im Hintergrund agierte und den Abschaum von Hinten aufräumte. Dennoch war die Situation gerade so unvorstellbar eigenartig, dass er selbst nicht wirklich wusste was er tun sollte. Noch nicht einmal wagte er es recht eine allzu schnelle Bewegung zu tun, falls doch noch einer ihn angreifen wollen würde. Seine Hand fiel leise platschend in die Blutlache zu seinen Knien und es stellte sich ihm die Frage wessen Blut er gerade dort fühlte. Es war weder warm noch kalt, doch einem von ihnen hatte es einst gehört. Oder vielleicht sogar mehreren? War es ein Feind oder ein Freund gewesen, der das lebenswichtige Nass hier vergossen hatte? An und für sich wollte er keine Antwort auf seine Fragen, wäre die Gewissheit wohl nur zu schmerzlich. Langsam hob er seinen Blick von seiner blutverschmierten Hand, da er einige seltsame Geräusche in seiner Umgebung vernahm. Schluchzen vermischte sich mit wehleidigem Murmeln und ungläubigem Gebrabbel. Nichts davon machte irgendeinen Sinn für ihn, denn die Worte, die gesagt wurden, drangen nur als ein großes Ganze an sein Ohr und er konnte keine wirkliche Sprache oder Satzbildung daraus erkennen. Oder sein Geist wollte ihm die Möglichkeit geben nicht zu verstehen, was gesprochen wurde.   Sein Blick schweifte nach links und er sah nichts weiter als Tod und Verderben, nur vereinzelte sich bewegende Leiber saßen oder hockten auf dem blutnassen Boden. Einige schlugen schreiend vor Schmerz und Erkenntnis auf den Boden ein. Die neuen Blutspritzer, die sich auf ihre Kleidung und Gesichter verteilten, schienen sie nicht bemerken zu wollen und auch Roar kümmerte sich wenig darum. Für kurze Zeit verschloss er seine Augen und konzentrierte sich auf das Wirrwarr an Geräuschen in seiner Umgebung. Wirklich schlau wurde er nicht aus den Worten, deshalb öffnete er nach einiger Zeit seine Augen wieder vorsichtig und blinzelte gegen die Helligkeit des Tages. Die Sonne stand hoch am Himmel, doch langsam aber sicher zogen dunkle Wolken über den hellen Himmelsstern und verdunkelten somit das rote Meer, das sich gerade noch vor seinem inneren Auge ausgebreitet hatte.   Sein Blick ging dann nach rechts und er musste erst einmal schlucken. Einige der Lebenden hatten angefangen die Gefallenen zusammenzutragen und ihre Habseligkeiten an sich zu nehmen. An einigen Händen baumelten die Erkennungsmarken und Roar wurde einen Moment übel. In den Gesichtern der Überlebenden konnte er nicht vieles außer Hoffnungslosigkeit und großem Leid erkennen. Gefühle, die er nur allzu gut nachvollziehen konnte. Erneut verschloss er seine Augen für einige Zeit vor der Realität und dachte an das zurück, was noch vor wenigen Minuten geherrscht hatte. Das Chaos, das es schwierig gemacht hatte zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, war riesengroß gewesen. Der Staub und das Blut hatte es schwierig gemacht die einzelnen Farben der Uniformen richtig zu deuten, weswegen nicht selten einer der freundlich gesinnten Männer an der eigenen Klinge zu Boden ging.   Roar war einer der Ersten, den die Nachricht erreicht hatte, die das Kampffeld verändern sollte. Es waren nicht viele Worte gesagt worden, aber der Satz hatte sich in sein Gewissen gefressen und es schauderte ihn wieder einmal, als er die Worte leise vor sich hinmurmelte: ‚Heute Nacht waschen wir das Blut ab.‘ Noch immer wollte er nicht daran glauben, dass diese Worte wirklich ausgesprochen wurden. So unreal erschien ihm diese Nachricht, obwohl sie auch eine versteckte Nachricht hätte beinhalten können. Aussagekräftig genug war sie auf jeden Fall und er würde sich wirklich freuen, wenn an den Worten auch etwas Wahres dran war. Langsam aber sicher versuchten seine eigenen Gefühle die Überhand zu gewinnen, doch er schluckte die Tränen immer wieder herunter. Er schlug mit der Faust auf den Boden ein, um seinen Gefühlen wieder Herr zu werden und riss seine Augen auf. Die Gewissheit erreichte ihn schlagartig. Wochenlang hatten sie gekämpft und jegliche Information, die sie in dieser Zeit bekamen, waren sporadisch und ohne wirkliche Erklärung gewesen. Doch er hatte oft hinter die Fassade geblickt, auch hinter diesem einen kleinen Satz, diesem ‚Friedensangebot‘. Es kam ihm sinnlos vor, nach all den Toten und all dem Verderben, das über beide Lager gefallen war. Viele waren verletzt worden, sei es körperlich oder seelisch, dabei war der Ausgang jedem klar gewesen: einer würde verlieren. Auch wenn es durch diesen einen kleinen Satz mehr Verlierer gab als angenommen. Hunderte hatten ihr Leben gelassen, fast so viele galten als verschollen. Roar hatte Freunde, sogar Familie verloren.   Als diese Erkenntnis sein Herz erreichte übermannten ihn seine Gefühle erneut und er ließ sie wie Wellen über sich hereinbrechen. Er schüttelte seinen Kopf und beugte sich tief gen Boden. Seine Stirn berührte fast das fremde Blut unter seinen Knien, doch es störte ihn gerade wenig. Wutentbrannt schrie er seinen Schmerz in die Welt hinaus, seine Augen genauso trocken wie zuvor. Doch die Wut entlud er weiter, indem er mit seiner Faust kräftig immer und immer wieder auf den Boden einschlug. Das Knirschen seiner Knochen war ihm da ein willkommener neuer Schmerz, der ihn über seine Lage für einen kurzen Moment hinwegtröstete, ihm gar half die Gedanken für einige Sekunden oder Minuten zu verdrängen. Jeder der Krieger auf diesem Schlachtfeld war dazu ausgebildet worden zu kämpfen, ohne etwas zu hinterfragen. Keiner stellte auch nur eine unangenehme Frage, weil es einfach verboten war. Ein jeder hatte Angst gehängt oder ausgepeitscht zu werden, sollte etwas hinterfragt werden, was ihnen aufgetragen wurde. Anders empfand hingegen Roar. Er war von Anfang an eher skeptisch gewesen, hatte sein Soll als Krieger aber erfüllen wollen. Die Kriegserklärung war in seinen Augen eher lapidar dahergekommen, doch er hatte sein Heer als gewissenhafter Kommandant in die Schlacht führen wollen und nicht als Jemand, der direkt bei einer Ungewissheit den Schwanz einzog. Er hatte seinen Jungs versprochen sie lebend herauszubringen, auch wenn er einige Opfer nun beklagen musste, darunter auch seinen geliebten Bruder. Viel zu viele waren von ihm gerissen worden. War sein Heer am Anfang gute hundertfünfzig Mann groß gewesen, so blickte er nur noch auf wenige Dutzend Männer, die ihm treu an der Seite gestanden hatten. Er fragte sich deshalb, ob er nicht vielleicht doch hätte seinem Unbehagen Luft machen sollen, vielleicht wären dann noch mehrerer seiner Männer am Leben. Vielleicht wäre das Friedensangebot dann auch früher ausgerufen worden.   Er schrie noch einige Zeit stumm weiter, eher er seinen Kopf entschlossen hob und sich langsam aus der Blutlache erhob. Er wusste, dass das, was er nun tun wollte auch sein Todesurteil sein könnte, doch es war ihm im Moment wichtiger seinen Standpunkt klar zu machen. Die Gefühle der Hintergehung waren stärker und der Satz des Blutwegwischens hatte für ihn wie ein Schlag ins Gesicht gewirkt. Seine Hände ballten sich langsam zu Fäusten, eine seiner Hände griff fast schon automatisch nach dem verhassten Stück Stahl und er blickte entschlossen darauf. Er wollte den anderen von der Nachricht erzählen, ihnen klarmachen, dass die Schlacht zu Ende war, doch er hielt plötzlich in seinem Gedankengang inne. Wäre es wirklich eine gute Idee nun auf die labilen Männer zuzugehen und ihnen dies zu offenbaren? War es gut ihnen zu sagen, dass schon symbolisch das Blut jedes Kriegers abgewaschen war?   Einen Moment blieb er starr auf der Stelle stehen, nur um sich dann selbst Mut machend zuzunicken und entschlossen weiterzugehen. Er steuerte einen kleinen Hügel an, der ein wenig oberhalb des Schlachtfeldes war und stellte sich mit erhobener Brust hin. Er hatte sich Worte bereitgelegt, die er nun mit lauter Stimme über die Köpfe der Anwesenden brüllte. „Brüder, ob Feind oder Freund, hört mich an. Wir haben einen sinnlosen Krieg geführt. Viele unserer Kameraden und Freunde sind hier gefallen. Sei es auf der Seite der Löwen oder auf der Seite der Krähen. Jeder hat den Schmerz gleichsam gefühlt, ein jeder ist ein Mensch. Lasst uns nicht mehr Feinde sein und gemeinsam dem Ganzen hier ein erhabenes Ende bereiten. Lasst uns Vergeltung an denen nehmen, die für diese Schlacht verantwortlich sind und sei es das Letzte, was wir auf dieser Erde tun werden. Erst mit ihrem Ableben können wir das Blut endgültig von unseren Waffen waschen und sagen, dass der Krieg gewonnen ist. Dass wir den Krieg für uns entschieden haben. Dass wir die Zügel in der Hand haben und keiner es mehr wagen sollte uns herumzukommandieren! Wir sind es, die gekämpft haben“, schrie Roar seine Worte den Männern entgegen und atmete schwer ein und aus. Er hoffte, dass er mit seinen Worten die beiden Fraktionen erreichen konnte und blickte erwartend auf das vergangene Schlachtfeld. Die Lebenden, die vorhin noch zusammengekauert zwischen den Gefallenen hockten, standen langsam wieder auf und blickten zu ihm hoch. Einige tauschten untereinander Blicke aus und schienen hin- und hergerissen zu sein. Einer kam näher zu Roar und erhob vorsichtig das Wort. Es war in seinen Augen eine der entschiedensten Fragen überhaupt, die gestellt hätten werden können: „Was bringt es uns, wenn wir diesen Männern den Tod bringen? Sind wir dann nicht genauso verkommen wie diese Machthaber?“ Zustimmendes Geschrei erfüllte die Luft und Roar lächelte leicht triumphierend auf die Menschen unter ihm. Er hätte damit rechnen müssen, dass er nicht sofort auf Zustimmung stoßen würde, doch er sagte mit lauter Stimme und aus vollster Überzeugung: „Frieden, meine Freunde, ein allgegenwärtiger Frieden!“ Einige der Krieger blickten sich selbstsicher an und griffen dann langsam, dennoch leicht zögernd nach ihren blutigen Waffen. Einige schüttelten einfach nur den Kopf und wendeten Roar den Rücken zu. Doch die, die ihre Waffe erhoben hatten, hielten sie nun gen Himmel und schrien lauthals: „Für den Frieden!“ Unsicherheit mischte sich unter die einstigen Feinde und Roar wusste, dass er im Moment wirklich nicht besser war als diejenigen, die sie zu diesem Krieg angestiftet hatten. Doch einzig die Erkenntnis, dass die Löwen und Krähen nun miteinander für eine gemeinsame Sache kämpften, erfüllte ihn mit Stolz. Die Löwen, die unter seinem Kommando standen, gesellten sich an seine rechte Seite und die Krähen, die ehemaligen Feinde, zu seiner linken. „Ihr seid also dabei, Brüder?“, fragte er die Umstehenden und erhielt ein zustimmendes Kampfgeschrei als Antwort. Nun etwas selbstsicherer blickte er in die Runde und sagte mehr zu sich selbst: „So sei es“ und mischte sich unter seine Verbündeten.   Ja, heute Nacht würden sie ihre Waffen vom Blut derer säubern, denen sie all dies zu verantworten hatten.   Heut‘ Nacht ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)