50 % von Shirokura ================================================================================ Kapitel 2: Betrunkene, Kunsthaar und eine weiche Jacke ------------------------------------------------------ Erschöpft wartete Minpha vor dem Club auf das gerufene Taxi. Der Tag war verdammt lang gewesen und er wollte einfach nur ins Bett. Selbst das Luftholen fiel ihm inzwischen schwer, weil die Korsage, die er trug schon seit Stunden seine Atmung einschränkte. Außerdem war ihm verdammt kalt. Fröstelnd schlang er seine Jacke fester um sich und dachte schon einmal darüber nach, welchen Manga er nachher im Bett vor dem Einschlafen lesen würde, als ein gelalltes "Na Hübsche, was machst du denn so spät noch allein auf der Straße?" seine wohlverdiente Ruhe störte. Großartig. Er hätte am Liebsten vor Frustration geschrien. Musste das jetzt wirklich noch sein? Als wenn der Abend nicht schon beschissen genug gewesen wäre! Heute hatte mal wieder keiner kapieren wollen, dass sie ihre Finger bei sich zu behalten hatten. Nur weil er hübsch aussah, war er verdammt noch mal kein Allgemeingut, auf dem nach zwei bis drei Bier jeder seine Flossen parken konnte, wie es ihm gerade passte. Und das waren nur Leute gewesen, die er kannte. Dass er jetzt auch noch von Fremden blöd auf der Straße angequatscht war echt der Gipfel! Genervt drehte er sich um. Er hatte den Kerl noch nie gesehen und keine Ahnung, wo er auf einmal her gekommen war, aber fest stand, dass er ihn auf dem völlig falschen Fuß erwischte, wenn er sich jetzt nicht zügig und vor allem still davon machte. Und das lag nicht daran, dass er ein Mann war oder es schon spät war oder Minpha ihn einfach unattraktiv fand. Es lag an der Art, wie er ihn behandelte. Oder zu behandeln gedachte. Es ging um den verdammt abzüglichen Unterton, die Wortwahl und überhaupt das ganze überhebliche Auftreten des Mannes. Dieser Penner hielt sich für den Stärkeren und wenn es etwas gab, das Minpha so richtig ankotzte, dann waren das besoffene Assis, die nachts Leute auf der Straße belästigten. Insbesondere kleine, pinkhaarige, vermeintliche Frauen. "Ich bin kein Mädchen. Verzieh dich", zischte er also feindselig und bedachte den Betrunkenen mit einem angewiderten Blick, während der unverdrossen näher wankte. Automatisch scante Minpha den potentiell gefährlichen Mann. Er war verdammt groß und sah auch ziemlich kräftig aus, war aber extrem betrunken, entsprechend unsicher auf den Beinen und wahrscheinlich schwerfälliger in seinen Reaktionen. Negativ war, dass er vermutlich aufgrund seines massiven Alkoholkonsums ein vermindertes Schmerzempfinden hatte. Man müsste also auf ziemlich starke Reize setzen, um ihn in den Griff zu bekommen. Positiv war auch, dass er Minpha offenbar vollkommen unterschätzte, so selbstgefällig, wie er grinste. Er hatte wohl keine Ahnung, auf was er sich einließ, denn der kleine, pinkhaarige Junge hatte viel Erfahrung mit ungewollten Verehrern. Es war nämlich leider nicht das erste Mal, dass ein zudringlicher Mistkerl glaubte, er könne sich alles erlauben. "Oho. Ein Junge also? Das ist ja noch geiler", nuschelte der Mann direkt vor dem Bassisten und strich ihm allen Ernstes mit seinen schwitzigen, nach Schnaps stinkenden Fingern über die Wange. Sofort wich Minpha angeekelt einen Schritt zurück. "Fass mich nicht an, Mistkerl!", fauchte er und das Adrenalin begann, durch sein Blut zu rauschen. Sein Instinkt sagte ihm, dass es gleich ungemütlich werden würde und in der Regel konnte er sich auf ihn verlassen. Der Mann ließ sich von Minphas abweisenden Verhalten in keinster Weise beeindrucken. "Jetzt sei doch nicht so. Wir könnten so viel Spaß miteinander haben. Ich bin auch ganz zärtlich." Die Dreistigkeit dieses Widerlings verschlug selbst dem in dieser Hinsicht leidgeprüften Bassisten für einen Moment die Sprache. Fassungslos schüttelte er nur den Kopf über die verdammt verdrehte Wahrnehmung dieses abstoßenden Menschen. Wie konnte er es wagen?! Er wollte sich gerade zur Wehr setzten, als hinter dem Typen ein raues "Er hat nein gesagt. Bist du taub, Pisser?" durch die Nacht donnerte. Sofort drehte sich der Besoffene um und Minpha nutzte seine Chance, um an ihm vorbei zu spähen, weil er sich absolut nicht vorstellen konnte, wer ihm da zur Hilfe gekommen war. Die Stimme kam ihm vage bekannt vor, aber er konnte sie nicht zuordnen. Seine Überraschung kannte keine Grenzen, als er dort SaZ stehen sah. Der große, kräftige, langhaarige Bassist von Dezert mit den charakteristischen blondierten Spitzen wirkte vollkommen entspannt und steckte sich in aller Ruhe eine Kippe an während er den Mann, den er so eben beleidigt hatte, leicht fragend, aber keineswegs beunruhigt ansah. Die Gelassenheit, die der Neuankömmling ausstrahlte passte in keiner Weise zu der angespannten Situation. Außerdem war es Minpha fragte schleierhaft, warum er ihm half. Er konnte sich nicht erinnern, je etwas mit ihm zu tun gehabt zu haben, das über eine oberflächliche Begrüßung hinaus ging. Er wusste nur, dass seine Band ziemlich harte Musik machte und er ein wenig älter war, als er selbst. Wie alt genau, wusste er aber nicht. Was allerdings absolut augenscheinlich war, dass SaZ, auch wenn sie vielleicht nicht viele Jahre trennten, deutlich erwachsener wirkte als er selbst. Das gleiche Gefühl hatte er bei Koichi auch oft. Wer hätte gedacht, das Koichi und SaZ etwas gemeinsam hatten, dass über die Wahl ihres Instrumentes hinaus ging? Aber jetzt, wo er SaZ so dastehen sah, war es unübersehbar: Wie Koichi ruhte er irgendwie ins sich. Wirkte abgeklärt. Unerschütterlich. Und für den immer etwas unsicheren Minpha ziemlich faszinierend. "Was mischst du dich ein, Fettsack?!", polterte da der Besoffene los und wankte bedrohlich auf SaZ zu. Da platzte Minpha endgültig der Kragen. "Nenn ihn nicht so, Arschloch!", giftete er und nutzte die Tatsache, dass ihm der Fremde den Rücken zugewendet hatte, um ihm kräftig in die Kniekehle zu treten. Sofort ging er zu Boden, wo Minpha, der völlig rot sah, ihm einen Arm auf den Rücken drehte und sein Knie zwischen die Schulterblätter rammte. Schnell war der Betrunkene auf dem Bauch liegend auf der Straße fixiert. Der Mann winselte gepeinigt auf, als Minpha probeweise dessen Arm verdrehte, um den perfekten Winkel zu finden, in dem dich der Mistkerl unter ihm keinen Millimeter mehr rühren konnte, ohne sehr heftige Schmerzen in der Schulter zu durchleben. "Jetzt fühlst du dich nicht mehr so stark, hmmm?", knurrte der Pinkhaarige bedrohlich. "Entschuldige dich!", forderte Minpha kalt. "Vergiss es, Schwuchtel." "Wie hast du mich genannt?" "Schwu-Aaaaah." Der Schrei des Mannes, als er dessen Arm ganz langsam entgegen der Muskulatur drehte, hallte durch die Nacht und Minpha hätte gelogen, wenn er behauptet hätte, es machte ihm nicht ein klein wenig Spaß, diesen Scheißkerl zu quälen. Doch als das Gebrüll seines Opfers verklang, hörte er jedoch etwas noch viel Schöneres: SaZs schadenfrohes Lachen. Überrascht sah er zu ihm auf und seine diabolisch funkelnden Augen ließen ihn wohl eine Sekunde unachtsam werden, denn er Mann unter ihm rüttelte plötzlich ganz heftig und erst in letzter Sekunde erwischte ihn Minpha wieder und behielt die Kontrolle. "Zwing mich nicht, dir den Arm auszukugeln", zischte er warnend. "Schon gut. Schon gut." "Ich warte immer noch auf eine Entschuldigung." "Entschuldigung...", jammerte der Betrunkene gequält und nun hatte auch sein Peiniger ein Lächeln im Gesicht. Primär allerdings nicht wegen der Entschuldigung sondern wegen dem Publikum. "Alle Achtung. Hätte dir gar nicht zugetraut, dass du dich so gut wehren kannst, Kleiner. Hast ja alles im Griff, wie mir scheint", meinte SaZ und grinste Minpha an, während er gemütlich näher kam. Bei ihnen angekommen, trat er dem Betrunkenen beiläufig, aber beherzt in die Rippen, bevor er sich zu ihm herunter beugte und brummte: "Sei froh, dass die Security wahrscheinlich gleich kommt, weil du so laut geschrien hast, sonst würdest du dir wohl in wenigen Minuten wünschen, du hättest diese hübsche, pinke Blume nie belästigt. Ich bin mir sicher, der Süße hat bestimmt noch viel gemeinere Tricks auf Lager." Seine Stimme klang extrem beängstigend und er unterstrich das Ganze noch damit, dass er dem Typen dämonisch lächelnd ins Gesicht aschte. "Und jetzt wird unser bezaubernder Engel dich loslassen und du wirst dich brav verpissen. Wir wollen doch nicht, dass jemand ernsthaft verletzt wird." Der Fremde knurrte nur. "Du erlaubst?", fragte SaZ trotzdem mit leicht ironischem Unterton, verbeugte sich formvollendet und hielt Minpha seine Hand hin, um ihm hoch zu helfen. Dieser sah ihn im ersten Moment nur verwundert an. SaZ war irgendwie verdammt beeindruckend. Wie konnte er nur so ruhig bleiben? Perplex griff Minpha schließlich, ohne groß darüber nachzudenken, zu und ließ sich von SaZ auf die Beine ziehen. So direkt vor ihm stehend, fiel ihm zum ersten mal auf, wie verdammt groß er war. Und wie gut er roch. Gar nicht nach Alkohol, obwohl er auch auf der Party gewesen war. Entgegen Minphas Erwartungen schob er ihn auch nicht sofort schützend hinter sich, sondern blieb einfach stehen und zog an genüsslich seiner Zigarette. Es war ungewohnt, nicht automatisch wie ein Mädchen behandelt zu werden. Überhaupt wirkte er Größere völlig ungerührt, zollte selbst dem Betrunkenen, der sich gerade mühsam aufrappelte, kaum Beachtung. In dem Moment hielt auch endlich hinter ihnen das bestellte Taxi. Unschlüssig machte Minpha ein paar Schritte drauf zu, drehte sich dann aber um und suchte SaZs Blick. "Wollen... wollen wir uns das Taxi vielleicht teilen?" Unbeteiligt zuckte der Angesprochene mit den Schultern und setzte sich in Bewegung, während er ein "Ok" brummte und seine Kippe austrat. "Ja, verpisst euch nur, ihr feigen Tucken!", brüllte der Besoffene ihnen heiser nach. Sofort fuhr Minpha herum, bereit, diesem Drecksack einen wohlverdienten Nachschlag zu geben, doch SaZ hielt ihn am Handgelenk fest. "Scheiß auf ihn. Lass uns verschwinden." Wütend und irritiert sah der Kleinere SaZ an, der seinen Blick mit unerschütterlicher Ruhe erwiderte. "Komm schon. Mach dir nicht deine Hände an ihm schmutzig. Die brauchst du doch zum Bass spielen." Seine Stimme war so sanft. Minphas Wut schwand. Zögerlich nickte er, worauf hin seinem Gegenüber der Schatten eines Lächelns übers Gesicht glitt. Etwas kribbelte in Minphas Bauch und er blinzelte verwundert, während er SaZ misstrauisch beäugte. Wie hatte er ihn so schnell beruhigen können? Und warum ging er so ungezwungen mit ihm um? Machte er sich wirklich Sorgen, dass er sich verletzten konnte? Und wenn ja, warum? "Dann los", unterbrach SaZ seine Grübeleien und strich mit seinem Daumen über Minphas Puls, bevor dessen Handgelenk losließ und in den Fond des Taxis stieg. Eine Gänsehaut breitete sich von dort aus, wo er über die empfindliche Haut gestrichen hatte. Unwillkürlich rieb sich der Kleinere über die Stelle und folgte ihm schnell in das Taxi, bevor er stotternd seine Adresse nannte und danach angestrengt aus dem Fenster starrte. Er war auf einmal so durcheinander, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sein Kopf fühlte sich an wie ein Bienenstock. So viele Fragen und keinerlei Antworten. Und nach wie vor kribbelte sein Handgelenk wohlig, wo SaZ im über die Haut gestrichen hatte. Ob er das wohl absichtlich getan hatte? Es war bestimmt nur ein Versehen gewesen. Es war absolut unmöglich, dass er Interesse an ihm haben könnte. Er war bestimmt schon genervt. "Hab ich dir weh getan?", ließ ihn SaZs Stimme aufschrecken. Verständnislos sah er den Fragenden an, bis er dessen Blick folgte und bemerkte, dass er immer noch schützend seine Hand um sein Handgelenk gelegte hatte. Beschämt ließ er los, presste seine Lippen zusammen und schüttelte stumm den Kopf. "Zeig", forderte sein Gegenüber und schüchtern hielt Minpha ihm sein Handgelenk hin. Er wusste gar nicht, was auf einmal mit ihm los war, aber er konnte vor Verlegenheit kaum aufsehen. SaZ dagegen war immer noch die Ruhe selbst, betrachtete das dargebotene Handgelenk von allen Seiten, bevor sich wieder in seinen Sitz fallen ließ. "Du bist nicht sehr gesprächig, huh?", brummte er. Minpha schüttelte den Kopf. "Du musst vor mir nicht die Doll-Nummer abziehen. Ich hab dich sprechen hören." Überfordert kniff der Pinkhaarige seine Augen zu. Irgendwie war ihm alles zu viel. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, sein Mund war ganz trocken und seine Hände waren eiskalt. Er hörte es neben sich rascheln, als SaZ sich bewegte. "Hey, ist alles ok?" Diese warme Stimme... Wieder schüttelte Minpha den Kopf, hatte einen riesigen Kloß im Hals. Ihm wurde plötzlich furchtbar schlecht. "Kann ich dir irgendwie helfen?" Er wollte ihm helfen? Wirklich? Minpha atmete tief ein und öffnete zögerlich die Augen. Er sah besorgt aus. Tatsächlich. "Scheiße, ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn du mich nur mit großen Augen anschaust. Fuck, zitterst du?! Sollen wir anhalten?" Da merkte der Pinkhaarige, dass SaZ recht hatte. Er zitterte. Vielleicht, weil die Anspannung nachließ? Zu viel Adrenalin? "Ist dir kalt?" Schon hatte er seine Jacke ausgezogen und als Minpha nicht reagierte, drückte er ihn ein wenig nach vorn und legte sie ihm um die Schultern. Sie war so schön warm. Und roch so gut. Erst da bemerkte er, wie nah SaZ ihm war. Schüchtern suchte er seinen Blick und als er ihn fand, wurde ihm ganz anders. Nicht nur seine Jacke war warm. Sein Blick war es auch. Wie in Trance griff Minpha sich eine von SaZs Haarsträhnen und ließ sie zwischen seinen Fingern hindurch gleiten. Sie war ganz glatt und weich und man merkte keinen Unterschied zwischen der Naturfarbe und den blondierten Spitzen. "Sie sind so schön lang", murmelte er dabei mehr zu sich selbst, als zum Besitzer der Haarpracht. Verblüfft weiteten sich SaZ Augen, bevor er den Blick niederschlug. "Ja... Deine aber auch." "Die Zöpfe sind nicht echt", wiegelte Minpha ab. "Wirklich?" "Meine eigenen gehen nur bis zum Kinn. Man merkt den Unterschied, wenn man sie anfasst." "Darf ich?" Minpha nickte und holte einen seiner Zöpfe vor, um sie neben seinen Pony zu halten. Zögerlich ließ SaZ seine Hände durch die rosanen Haare streifen. "Fuck, du hast recht. Deine echten Haare sind viel weicher!" Minpha nickte wieder und bemerkte zu seiner Überraschung, dass er lächelte. Er fühlte sich wohl, wenn SaZ ihn anfasste. Er mochte die Art, wie er ihm durch die Haare strich und er wollte ihm nah sein. Noch näher sein. Ob er sich wohl an ihn kuscheln durfte? Leider hielt in diesem Moment das Taxi und als er sich umsah, merkte er, dass es vor dem Haus stand, in dem seine Wohnung war. Bedauernd kramte er sein Geld hervor und bezahlte den Fahrer, bevor er "Danke, SaZ. Gute Nacht" flüsterte und aus dem Fond glitt. "Schlaf gut, Minpha", wehte dessen warme Stimme an sein Ohr, bevor er die Tür zu schlug und das Taxi davon fuhr. Er sah ihm nach, bis es hinter der nächsten Ecke verschwand und ging dann nachdenklich zum Hauseingang, wo ihm plötzlich siedend heiß bewusst wurde, dass er SaZs Jacke noch über den Schultern hatte. Erschrocken befühlte er den weichen Stoff. Er musste sie ihm unbedingt zurück geben! Aber er hatte nicht einmal seine Telefonnummer! Mit einem tiefen Seufzen kuschelte er sich in den nach SaZ duftenden Stoff und schlich in seine Wohnung. Gleich morgen würde er versuchen, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)