Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 61: Wenn etwas schief geht... ------------------------------------- Für einen kurzen Moment starrte Victor noch auf das kleine Display, bevor er seufzend auf den grünen Hörer drückte. „Was gibt es Alan?“, fragte er, sobald er das Handy am Ohr hatte. „Victor! Mein Lieblingsredakteur“, hörte er Alans Stimme durch den Hörer und er wusste, dass das kein gutes Zeichen war. „Würdest du mich bitte mal auf laut stellen? Yūri ist doch sicher bei dir, richtig?“ Dies bestätigte seine Vermutung nur. Aber was sollte er tun? Sollte er jetzt vor Yūri einen Streit vom Zaun brechen? Er wusste, dass er nur als Verlierer dastehen würde. Und er wusste auch, dass es Alan wusste. Dieser verdammte Drecksack, was hatte er bloß geplant? „Moment“, meinte er daher doch ein wenig widerwillig, legte das Handy auf die Küchenzeile und drückte auf den Lautsprecher. „Jetzt, Alan“, sagte er dann, lehnte sich mit dem Hintern gegen die Arbeitsplatte und harrte der Dinge, die da kamen. Yūri schaute ihn jedenfalls verwirrt an. „Yūri, mein Lieber!“, Alans Stimme war so fröhlich wie in den Momenten, in dem er Victor irgendeinen Fehler beweisen konnte. „Ich habe gehört, du hast Geburtstag! Herzlichen Glückwunsch!“ Victor brauchte eigentlich nicht hinsehen, um zu wissen, dass Yūri rot anlief, aber der Anblick war einfach zu unwiderstehlich. Nachdem Yūri ein verlegenes „Vielen Dank“ gestammelt hatte, musste Victor aber doch fragen: „Wie hast du das denn schon wieder mitbekommen?“ „Tja, mein lieber Vitya“, lachte Alan und Victor musste wieder einmal zugeben, dass er seinen Kosenamen aus Alans Mund so ganz und gar nicht mochte. „Ich habe versucht, dich gestern zu erreichen und bin schlussendlich bei Sara rausgekommen. Sie hat mir natürlich bereitwillig den Grund für deine Abwesenheit genannt, nachdem ich so überrascht war, dass du einmal Urlaub nimmst“, erklärte er und Victor entging der leicht triumphierende Unterton nicht. Also mehr entnervt aufgegeben, nachdem er sie lange genug belästigt hatte, schloss Victor daraus. Was auch bedeutete, dass sich Sara bei nächster Gelegenheit wohl mehrere Male entschuldigen würde. „Na, ist auf jeden Fall sehr nett, dass du an Yūri gedacht hast. Dann hab noch einen schönen Abend, Alan“, sein Finger war schon über dem roten Hörer, doch er war leider nicht schnell genug. „Nicht so schnell, mein Lieber! Den Geburtstag deiner besseren Hälfte müssen wir natürlich gebührend feiern!“, Alan klang wieder viel zu fröhlich. Doch ein Wort gefiel Victor dabei überhaupt nicht. Und zwar nicht, dass er ihn unterschwellig beleidigt hatte. „Wir?“, hakte er ungläubig nach. „Natürlich! Du kannst doch sicherlich für morgen einen Tisch in einem schönen Restaurant reservieren. Sieh es als Geschäftsessen!“, Victor konnte Alans breites Grinsen vor seinen Augen sehen. Dieser Schmarotzer! Ihm war jede Gelegenheit recht, ein kostenloses, gutes Essen zu ergaunern. Victor konnte sich noch gut an das eine Mal, ganz am Anfang ihrer Zusammenarbeit erinnern, als Alan nicht lockergelassen hatte, bis er ein Geschäftsessen ‚zur Feier von Makkachins Geburtstag‘ bekommen hatte. Nicht, dass Makkachin hätte dabei sein dürfen, da in dem Restaurant Hunde verboten gewesen waren… „Alan, ich kann nicht aus allem ein Geschäftsessen machen“, seufzte Victor und legte seine Hand gegen die Stirn. Alan brachte ihn noch ins Grab. Doch als er Yūris funkelnde Augen sah, musste er seufzen. Immerhin war Alan einer seiner Lieblingsautoren. Er hatte ihn auf den Geschmack gebracht. Und er selbst hätte früher so einiges dafür getan, ein Abendessen mit einem seiner Lieblingsautoren haben zu können. Sehr viel. Scheiße, er würde sich wahrscheinlich noch heute für eine Zeitreise und ein Abendessen mit Jules Verne, J. R. R. Tolkien oder Douglas Adams prostituieren. Ok, vielleicht ging das ein wenig zu weit, aber es betonte schon seine Opferbereitschaft. „Also schön. Yūri, hast du irgendeinen Wunsch, in welches Restaurant es gehen soll?“, wandte er sich nun an Yūri, der ihn mit großen Augen ansah. Er konnte förmlich in seinen Augen die Ratlosigkeit sehen. Alan schien das Gleiche zu spüren, denn er lachte: „Du machst das schon, Vitya! Such uns einfach ein schönes Restaurant aus. Eines, was dem Anlass würdig ist! Du holst mich dann um 18:00 Uhr ab, ja? Freue mich schon auf euch beide! Habt einen schönen Abend! Bis morgen!“, danach folgte nur noch ein Tuten. Aufgelegt. Dieser Drecksack hatte tatsächlich einfach aufgelegt! Victor atmete tief durch und blickte zu Yūri. Sollte er sich entschuldigen oder seinem Frust freien Lauf lassen? Doch Yūri schien einfach noch in einer Art Schockstarre zu verharren, daher schlang Victor seine Arme um Yūris Taille. „Alles ok?“, fragte er leise, als befürchtete er, Yūri mit einer zu lauten Stimme zu erschrecken. „J-ja… Ja. Mir geht es gut, ich bin nur etwas überrascht. Alan ist echt nett“, Yūris Stimme war ein wenig ungläubig, aber Victor war sich sicher, dass es nicht daherkam, dass er nicht glaubte, dass Alan nett sein könnte. Wenn er wüsste, seufzte er in Gedanken. „Ohne dir dein Bild kaputt machen zu wollen, er kann aber auch ein ziemlicher Drecksack sein. Also sollte er irgendwann mal etwas in dieser Richtung machen, sei nicht allzu enttäuscht, ja?“, lachte er leise. Yūri zog erst ein wenig die Augenbrauen zusammen, als könne er das nicht so recht glauben, aber schien sich dann doch zu entscheiden, dass er ihm trauen konnte. Schlussendlich nickte er und Victor küsste ihn auf die Stirn. „Ich glaube, wir müssen uns anderweitig nach Abendessen umschauen. Sollen wir etwas Bestellen oder auf einem Spaziergang mit Makkachin holen gehen?“, schlug er vor. Satt und zufrieden saß Yūri auf der Couch. Er lehnte sich mit der einen Seite gegen Victor, der eine behagliche Wärme ausstrahlte und auf der anderen Seite lag Makkachin halb über seinen Schoß und döste vor sich hin. Potya hatte sich nur zum Füttern gezeigt, Victor hatte ihm erklärt, dass sie es momentan bevorzugte, den Tag über auf Yurios Bett zu schlafen. Sie schauten einen relativ alten, recht mittelmäßigen Endzeitfilm. Die Dialoge waren lächerlich und die Handlung voller Logikfehler. Die Spezialeffekte waren billig und veraltet, der Schnitt eine mittlere Katastrophe und die Leistungen der Schauspieler fügten sich nahtlos in dieses Arrangement des Grauens ein. Selbst die Vergabe einer goldenen Himbeere wäre zu viel Anerkennung für diesen Film gewesen. Also kurzum, genau das, was Yūri mochte. Er war so schlecht, dass er einfach wieder gut war. Oder wie Phichit sagen würde: „Er ist so schlecht, dass er für einen kurzen Moment gut war, um dann sofort wieder richtig grottig zu sein.“ Yūri konnte das nicht wirklich abstreiten, doch eine Frage fesselte ihn tatsächlich immer wieder. Eine Frage, die ihm bei jedem dieser Filme in den Sinn kam und nur bei wenigen Filmen, wie Kung Fury oder Kung Pow, beantwortet wurde: Ist das Absicht oder waren die Macher wirklich von sich überzeugt? Doch noch während er dieser Frage gedanklich nachging, spürte er, wie langsam Victors Hand über seine Seite streichelte. Was ihm im ersten Moment wie eine einfache Liebkosung vorkam, entpuppte sich jedoch schnell für Yūri als mehr und noch ehe sein müdes Gehirn die Situation erfassen konnte, spürte er Victors Lippen auf seinen. Es war zuerst ein sanfter Kuss, doch dieses Mal bemerkte er Victors Intentionen schnell. Als er Victors Zunge an seiner Unterlippe spürte, gewährte er ihm bereitwillig Einlass und so hämmerte sein Herz in kürzester Zeit in seiner Brust. Als sich Victor von ihm löste, war sich Yūri sicher, dass ihm alle seine Emotionen ins Gesicht geschrieben standen. Von der puren Lust bis hin zur Bewunderung für Victor, der immer alles so einfach erscheinen ließ. Victor grinste schief und zog die Augenbrauen hoch. „Willst du noch dein anderes Geschenk auspacken?“, grinste er, seine Augen funkelten dabei schelmisch. Doch er ließ auch gleichzeitig keinen Raum für Spekulationen was, oder besser gesagt wer, mit ‚Geschenk‘ gemeint war. Doch Yūri war selbst ein wenig in verspielter Laune. Er legte den Kopf schief und tat so, als würde er an Victor vorbeischauen. „Anderes Geschenk? Ich seh nichts mehr Verpacktes mit einer Schleife drauf“, fragte er so unschuldig wie möglich, doch ihm fiel selbst auf, dass er das Grinsen nicht ganz aus seinem Gesicht verbannen konnte. Wie erwartet rollte Victor theatralisch mit den Augen. Stand dann aber auf und zog Yūri mit sich hoch. Makkachin grummelte nur ein wenig wegen dem Verlust von Yūris Bein als Schlafunterlage und rollte sich dann auf dem Sofa zusammen. „Von mir aus binde ich mir auch gleich noch eine Schleife um“, grinste er dann trotzdem, während er Yūri mit sich in Richtung Schlafzimmer zog. Kaum waren sie in dem anderen Raum angekommen, schloss Victor schnell die Tür hinter sich. Yūri musste unweigerlich an das eine Mal am Telefon denken, als Makkachin hineingestürmt gekommen war und den Raum dann offenbar belagert hatte. Sie hatten dann ihr Intermezzo auf das Bad verlegt. Genauso ungebeten, wie ihm dieser Moment in Erinnerung gekommen war, genauso trat nun auch die Röte in sein Gesicht. Sie hatten so viele Fantasien miteinander ausgetauscht, doch Victor vor sich zu haben – den Echten, nicht den in seinem Kopf während ebendieser Telefonate – überwältigte Yūri manchmal. Aber genauso wurde ihm dann immer schmerzhaft bewusst, dass er vielleicht im Schutze der Anonymität darüber hatte reden können, aber in Wahrheit nur spärliche Erfahrungen damit hatte. Er war dankbar, dass Victor so auf ihn einging und ernst nahm. Er gab ihm das Gefühl, dass seine fehlende Erfahrung nichts war, wofür man sich schämen brauchte. Doch Yūri wollte noch viel mehr für Victor tun. Und genau dieser Gedanke machte ihm zu schaffen und sorgte nun wieder dafür, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Es blockierte ihn sogar ein wenig, während er Victors Hände auf seinem Körper spürte, den so typischen Geruch von seinem Parfum einatmete und sich irgendwie ganz und gar eingehüllt von Victor fühlte. Es war schon fast eine kleine, sensorische Reizüberflutung, die er auf der einen Seite wahnsinnig genoss und auf der anderen Seite ein wenig angsteinflößend war. Sich vollständig in die Hände eines Anderen zu begeben, sich fallen zu lassen, sich von der verwundbarsten Seite zu zeigen. Doch er wusste, es lohnte sich. Seine Hände bebten ein wenig, als er sie hob und damit über Victors Körper fuhr. Er war sich nicht sicher, ob es für Victor zu spüren war, wie unsicher er war. Doch falls es so war, ließ sich Victor nichts anmerken. Er drängte ihn behutsam in Richtung Bett weiter, bis Yūri die Bettkante an seinen Kniekehlen spürte. Als wäre es das Zeichen, auf das Victor gewartet hatte, löste er sich von Yūri und zog ihm das T-Shirt über den Kopf. Genauso unzeremoniell streifte er sich selbst sein T-Shirt ab. Ihre Lippen trafen sich wieder, während Victor ihn langsam auf das Bett zurückdrängte. Yūris ganzer Körper kribbelte, doch er war sich nicht ganz sicher, ob es die Erregung oder eher die Aufregung war. Du brauchst nicht nervös sein, entspann dich einfach und lass dich mit Victor treiben. Er hat dir doch schon gesagt, dass es dabei kein ‚richtig‘ und kein ‚falsch‘ gibt, erinnerte er sich stumm und der Gedanke, wie zärtlich er vor ihrem ersten Mal mit ihm geredet hatte, beruhigte tatsächlich ein wenig seine Nerven. Er spürte Victor in den Kuss hineinlächeln, als sich Yūri ein Herz fasste und mit den Händen über Victors Hosenbund fuhr, um den Knopf zu ertasten. Er öffnete seine Hose und ließ seine Hände seitlich unter den Stoff gleiten. Er genoss die warme Haut unter seinen Fingern, die trotzdem sich immer irgendwie ein bisschen kälter als seine eigene anfühlte. Er seufzte wohlig, als sich Victor fester an ihn heranpresste, seine nackte Haut gegen seine eigene spürte. Doch als sich Victor aufrichtete, jagte die plötzliche Kühle einen Schauer über Yūris Rücken. Victor zog erst sich selbst und dann Yūri mit sparsamen Bewegungen die Hosen mitsamt Unterwäsche aus. Das erinnerte Yūri an etwas. „Du hast es aber eilig“, imitierte er Victors Worte vom letzten Mal. „Was kann ich dafür, wenn sich so ein attraktiver Mann in mein Schlafzimmer verirrt hat?“, fragte er mit einem lasziven Grinsen und krabbelte auf allen Vieren Yūris Körper hinauf. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Victor bereits Kondom und Gleitgel in der Hand hielt. Wann hatte er das geholt? Oder war er schon so gut vorbereitet? Victor wartete nicht lange und küsste Yūri sofort wieder leidenschaftlich. Alle Gedanken waren sofort wieder aus seinem Kopf verschwunden, stattdessen genoss er das Gefühl ihrer Körper aneinander. Er spürte, wie Victor das Gewicht ein wenig verlagerte, aber er konzentrierte sich so sehr auf den Kuss, schlang seine Arme um Victors Nacken, fokussierte sich auf den Tanz ihrer Zungen. Sein Herz hämmerte und das Atmen fiel ihm schwer. Als sich Victor von ihm löste war er dankbar über die kurze Möglichkeit, zu Atem zu kommen. Als er jedoch spürte, wie Victor das Kondom über sein Glied stülpte, wurden seine Augen groß. „Vitya…“, keuchte er leise, seine Stimme betrog ihn, ließ keine lauten Worte zu. „Entspann dich, Любимый“, flüsterte Victor. Yūri nickte unsicher, doch seine Gedanken kreisten darum, wie er sich bei Victor für ihre letzte Nacht revanchieren konnte. Wie er Victor genauso viel Lust bereiten konnte, wie er ihm. Sein Herz schlug noch schneller, als er beobachtete, wie sich Victor über ihm positionierte. Wie seine blasse Haut schimmerte im künstlichen und doch warmen Licht des Schlafzimmers und Yūri konnte nicht anders, als seine Hände nach ihm auszustrecken und sie über Brust und Bauch gleiten zu lassen. Victor hatte kurz den Kopf in den Nacken gelegt, genoss offensichtlich mit geschlossenen Augen die Berührungen, was Yūri ein wenig mehr Sicherheit gab. Er glitt mit einer Hand seinen Körper wieder hinauf und fuhr leicht mit dem Daumen über Victors linke Brustwarze. Der zittrige Atemzug blieb ihm nicht verborgen und gab ihm mehr Vertrauen in sich selbst. Er überlegte, was er noch für Victor tun konnte, doch als sich dieser langsam auf Yūri sinken ließ, konnte er nur noch laut stöhnen. Victor hatte gewusst, dass er Yūri ein wenig damit überfahren würde. Doch er war sich ebenso sicher gewesen, dass es für sie beide eine tolle Erfahrung werden würde. Auch wenn Yūri am Anfang spürbar unsicher gewesen war, lagen sie nun nebeneinander, verschwitzt aber lächelnd. Und vor allem zufrieden. Als sich Yūri ab einem gewissen Punkt gegen Victor gedrängt hatte und mehr und mehr die Initiative ergriffen hatte, war Victor zwar überrascht gewesen, aber nicht minder erfreut. Er hasste es, den Zauber des Moments zu zerstören, aber er wusste, dass eine Dusche unausweichlich war. „Любимый“, begann er daher leise und verschränkte seine Hand mit Yūris. „Was hältst du davon, wenn ich dir unter der Dusche den Rücken schrubbe? So als erweitertes Geburtstagsgeschenk?“, grinste er. „Noch ein Geburtstagsgeschenk? Meinst du nicht, dass du mich langsam ein bisschen zu sehr verwöhnst?“, fragte Yūri schläfrig, aber auch er lächelte. „Was hältst du davon, wenn du mir dann als Gegenleistung auch den Rücken schrubbst?“, bot Victor als Kompromiss an. Als Yūri nickte, zog Victor ihn mit sich hoch. Seine Beine waren noch ein wenig wackelig, aber er mochte dieses Gefühl, wusste er doch genau, wovon es kam. Halb erwartete er, dass Makkachin auf dem Boden vor dem Schlafzimmer lag oder sie ansprang, sobald er die Tür öffnete, also blinzelte er ein wenig überrascht, als sein Hund durch Abwesenheit glänzte. Stattdessen weckte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. An der Wand gegenüber klebte ein gelber Post It mit ziemlich krakeligen, kyrillischen Buchstaben. Stirb, du notgeiler alter Opa, las Victor in Gedanken. Darunter stand, etwas kleiner und als wäre es noch nachträglich hinzugefügt worden: Bin bei Beka. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)