Titli von Lady_Shanaee (Schmetterling) ================================================================================ Die Wettbewerbsfassung ---------------------- Titli - Schmetterling eine Diabolik Lovers Dark Fate - FanFiction von “Ban Ke Titli Dil Uda Uda Uda Hai Kahin Door...” Das Lied wurde von einem eisigen, nach Schnee riechenden Nachtwind an sein Ohr getragen, aber Carla verstand den Text nicht. Er seufzte leise und setzte seinen Weg durch Kanna-machi fort. Es war lästig, dass Menschen in ihrer Arroganz auch noch unterschiedliche Wörter für dieselben Dinge benutzten… anscheinend nur, um es sich noch schwerer zu machen, einander zu verstehen. Wofür das alles? War eine falsch aufgefasste, missverstandene Äußerung nicht einfach nur ein weiterer Vorwand von vielen, um Streit anzufangen? Es war mühsam und zeitraubend, so von sich selbst eingenommene und doch so zerbrechliche Wesen verstehen zu wollen… Der heutige Streit in der Schule kam Carla wieder in den Sinn: War die offensichtlich ausländische Herkunft einer seiner Mitschülerinnen im Kunstkurs nur eine willkommene Ausrede dafür gewesen? Carla hielt inne: Wieso dachte er jetzt an dieses Mädchen? “Ban Ke Titli Dil Uda Uda Uda Hai Kahin Door...” Das war doch seine Stimme, oder? Normalerweise hätte er sie einfach ignoriert, doch der Wind spielte Verstecken mit den Tönen: Zuerst schienen sie aus der einen, dann aus einer völlig anderen Richtung zu kommen. “Chal Ke Khushboo Se Juda Juda Juda Hai Kahin Door...” Mit Blaulicht hatte man das Mädchen heute in der Abendpause ins Krankenhaus eingeliefert, kurz nachdem es sich mit Ayato Sakamaki lachend unterhalten hatte und umarmt worden war. Bei dem Gedanken an diesen Bengel kochte in Carla die Wut hoch: Wie ein Hund markierte er überall sein Territorium, und so stellte seine Herrlichkeit „ore-sama“ bei jeder sich bietenden Gelegenheit klar, dass Yui Komori – der derzeitige Hausgast der Sakamakis – ihm gehörte. Würde er das gleiche demnächst auch mit dem indischen Mädchen machen, dessen Gebäck er heute mit widerlichen Takoyaki verwechselt hatte? Bei Yui würde Carla jedenfalls keinerlei Einmischung in seine Pläne dulden. Kein Sakamaki und auch kein Mukami würde ihm in die Quere kommen. “Haadse Yeh Kaise, Ansune Se Jaise Choome Andheron Ko, Koi Noor...” Eigentlich hätte ihm das Schicksal der Inderin egal sein können, doch das war es nicht. Carla erinnerte sich an den gemeinsamen Kunstunterricht: Sehr zum Unwillen des Lehrers tauchte auf jedem ihrer Bilder ein farbenfroher Schmetterling auf, und oftmals summte sie leise vor sich hin, während sie malte. Eines dieser Lieder hatte sie später im Musikraum der Schule am Klavier gespielt und zaghaft dazu gesungen. Die Melodie war so sanft durch den leeren Raum geschwebt, dass sie nicht einmal den Schlaf von Shû, dem Ältesten der Sakamakis, gestört hatte. Ganz im Gegenteil, der Vampir hatte die Musik seiner allgegenwärtigen Kopfhörer ausgeschaltet und still gelächelt… Die Klavierspielerin hatte nichts davon gemerkt, völlig versunken in den Klangteppich, den das alte Instrument und ihre Stimme gewoben hatten. Doch Carlas empfindlichem Gehör war nichts entgangen. “Ban Ke Titli Dil Uda Uda Uda Hai Kahin Door...” Wie damals lag etwas in ihrer Stimme, was ihn seine Schritte zu ihr lenken ließ. Es war keine Neugier, die Carla einen Fuß vor den anderen setzen ließ und schon gar kein Zauber, wie es Sirenen und Vampire taten, um ihre Opfer anzulocken… Es war etwas… Gläsernes… wie ein Windspiel, das nun in ihm den Eindruck erweckte, das Lied würde vom eisigen Wind fortgeweht, wenn er nicht genau hinhörte. Carla hasste das hallende Geräusch seiner Schritte auf dem Asphalt, unsicher, zögernd – dissonant zu Rhythmus und Melodie der fremden Sprache. Er ging weiter und war überrascht, kurz danach vor dem Krankenhaus zu stehen. Carla runzelte die Stirn. Doch noch bevor er sich weiter darüber wundern konnte, weshalb das Mädchen die Nacht nicht wie gewöhnliche Menschen in seinem Zuhause verbrachte, entriss ihm eine heftige Windböe das Lied. Gereizt folgte er ihr bis auf das Dach des Gebäudes, das von den beleuchteten Fenstern der umstehenden Häuser in ein schwaches, gelbliches Licht getaucht wurde. Das Lied jedoch war fort. Stattdessen fand Carla seine „Sirene“: Ihr schwarzes, sonst in einen hüftlangen Zopf geflochtenes Haar flatterte im Wind, und ihr blasses Gesicht war zu einem Himmel gerichtet, an dem sich die Sichel des abnehmenden Mondes hinter eilig vorbeiziehenden Wolkenfetzen verbarg. Das Mädchen saß allein auf dem rechteckigen Unterbau der Klimaanlage, deren vier Lüftungsrohre sich hinter ihm emporwölbten wie die Klauen einer riesigen Hand. Auf Carlas Lippen erschien ein belustigtes Lächeln, denn die ganze Szenerie erinnerte ihn doch sehr an eine griechische Tragödie… Es fehlte nur noch, dass Hades seine Persephone in die Unterwelt entführte. „Ich weiß, dass Sie da sind“, sagte die Gestalt plötzlich und unterbrach damit seine Gedanken. „Kommen Sie doch her.“ Carla beobachtete sie und schwieg. Was sollte er auch sagen, wie sein Herkommen erklären? Warum? Sie war nur ein Mensch – er ein Herrscher über zahllose Dämonen und andere Kreaturen. Dennoch… er konnte sich nicht erklären wieso, aber er fühlte sich… ertappt. „Trauen Sie Sich nicht?“ Ein Lächeln klang in ihrer Stimme mit und Carla wusste, dass ihre Augen dabei stets zu funkeln schienen. Er sann kurz darüber nach, ob sie grün oder blau waren, doch es fiel ihm nicht ein. In jedem Fall aber waren sie mandelförmig und von einer sehr intensiven Farbe gewesen… „Ach…! Hat man unten mein Verschwinden doch noch bemerkt? Sie mussten bestimmt lange suchen, oder?“ Wieder lachte das Mädchen leise, traurig diesmal. „Welcher Patient klettert schon mitten in der Nacht auf ein Krankenhausdach? Bescheuert, hm?“ Es warf die Beine hoch in die Luft und Carla sah, dass sie voller blauer Flecken waren und ihre Besitzerin weder Strümpfe noch Schuhe trug. Die Schulmädchen mussten den Gegenstand ihres Hasses übler zugerichtet haben, als er geglaubt hatte. Carla blickte nach unten auf den Beton und entdeckte die vielen kleinen Steine, die sich im Laufe der Zeit überall angesammelt hatten. Hier barfuß zu laufen, musste wehtun… Das Mädchen ließ sich nach hinten umkippen, stieß aber mit einem dumpfen Geräusch mit dem Kopf gegen eines der dicken Rohre der Klimaanlage. Kein Schmerzenslaut kam obwohl es schmerzhaft ausgesehen hatte. „Hmmm... warm“, murmelte das Mädchen stattdessen und hob einen Arm über den Kopf, wodurch dieser auf einem weiteren Rohr zu liegen kam „Fuh kalt… autsch!“ Carla sah, wie der Arm wieder hochzuckte und erkannte Einstichstellen in der Ellbogenbeuge und blaue Flecken auf dem Unterarm. Hatte man...? Warum machte er sich Gedanken über diesen Menschen? Noch dazu, wenn das Mädchen immer noch Vampir, stank, so sehr, dass er sich am liebsten übergeben wollte? Das Objekt seiner Gedanken richtete sich hastig wieder auf und rieb sich über die von der Kälte verletzte Stelle, während es aufstand. Als Carla erkannte, dass es sich zu ihm umdrehen wollte, überlegte er kurz, ob er in den Schatten der umstehenden Hochhäuser verschwinden sollte, doch seine Stimme war schneller. „Bleib.“ Das Wort hallte dunkel durch die Nacht. „Tsukinami?“, fragte das Mädchen verblüfft. Trotz des Erstaunens in seiner Stimme blieb es wie in der Bewegung eingefroren stehen. Gehorsamkeit war ein guter Charakterzug bei Untergebenen und Futter, stellte Carla voller Genugtuung fest, und sein Lächeln weitete sich. Doch das Mädchen schwieg auch, was die nun folgende Stille etwas unbehaglich machte, selbst für ihn. Warum hatte er sich bemerkbar gemacht? Was sollte er jetzt tun? Carla verstand sich selbst nicht mehr und das behagte ihm ganz und gar nicht. Ein Herrscher musste eine Situation jederzeit im Griff haben. „Oh, Mann, ich gehorche dir ja wie ein Hund!“, unterbrach das Mädchen seine Grübelei und lachte leise. Natürlich, stimmte Carla ihr im Stillen zu und fragte sich, ob sie ihm aus Gehorsam oder Arglosigkeit immer noch den Rücken zuwandte. Das Gespräch mit Yui Komori über instinktive Angst blitzte kurz in seinen Gedanken auf. „Als nächstes bringst du mir noch apportieren bei.“ Es war wohl weder das eine noch das andere, denn das Mädchen drehte sich nun um und kam langsam auf ihn zu. Carla beobachtete sie neugierig. „Für jemanden mit deinem Aussehen ist es sicherlich ein Leichtes, ein Mädchen dazu zu bringen, das zu tun was du willst.“ Sie musterte ihn. „Aber… also… falls du dich wunderst… woran ich dich erkannt habe… es ist, weil du so eine… ungewöhnliche Stimme hast, dass man sie sich einprägt… Selbst wenn ihr Besitzer nur sehr wenig spricht oder sehr leise redet.“ So einen starken Eindruck hatte er hinterlassen? Wie hatte das geschehen können? Sie hatten nur das Nötigste miteinander gesprochen, belanglose Höflichkeiten… „Die interessantere Frage ist allerdings, wieso du hier bist, Tsukinami? Bist du auch krank, oder besuchst du jemanden?“ Beide Vermutungen stimmten auf ihre eigene Weise, dachte Carla, überlegte aber dennoch, was er antworten sollte. Keine von seinen Angelegenheiten ging es schließlich etwas an. Ein Beben durchlief plötzlich seinen Körper, dem ein Hustenanfall folgte. Unbeschreiblicher Schmerz ließ ihn aufstöhnend in die Knie gehen, als seine linke Seite förmlich zu verbrennen schien… ihm den Atem raubte… ihn verbrannte und erstach… Endzeit… Als Carla verzweifelt nach Luft rang und ein weiterer Krampf folgte, spuckte er Blut. Ein erbärmliches Röcheln kroch aus seiner Kehle, fast ein Flehen nach Erleichterung. Er wusste, dass diese Anfälle irgendwann aufhören würden, doch sie dauerten inzwischen immer länger. Die Zeit schien ihm wie eine Ewigkeit. Selbst Teile von Sekunden zerbrachen in noch kleinere Splitter, dehnten die Zeit wie ein elastisches Band ins scheinbar Unendliche… Als er endlich wieder ohne Schmerzen Luft bekam und ohne zu zittern hätte stehen können, hockte das Mädchen neben ihm und reichte ihm stumm ein Taschentuch – jedoch ohne ihn anzusehen. „Hier“, murmelte es und blickte zu Boden. Wortlos ergriff Carla das Stück Stoff und starrte es an. Dann wischte er sich damit über den Mund, tränkte das Weiß mit seinem Speichel und seinem Blut. „… Danke.“ „Gern geschehen.“ Carla hörte das Lächeln in ihrer Stimme und sah es in ihrem Mundwinkel, doch noch immer hob sie nicht den Kopf. „Warum schaust du so konzentriert auf den Boden?“, hörte er sich fragen. „Manche Leute mögen es nicht, wenn man sie in einem Augenblick der… Schwäche… ansieht. Es hat etwas mit ihrer… Würde zu tun.“ Was wusste ein Mensch von Würde? Demut, ja, die konnte man ihnen beibringen. Aber Würde? Die Würde eines Königs? Im Vergleich zu ihm war sie noch ein Kind! „Was meinst du damit?“ „Du bist gekommen, wolltest aber nicht bemerkt werden“, erklärte sie und zählte an den Fingern ab. „Deshalb hast du erst lange nichts gesagt. Dann wollte ich zu dir kommen, aber du hast „nein“ gesagt. Und jetzt hattest du... einen Moment der Schwäche.“ Sie holte tief Luft und Carla erkannte, dass sie sich jedes Wort überlegte. „Ich hätte dir gerne geholfen… irgendwie… Aber, na ja… ich dachte, wenn ich dich vorher schon nicht sehen soll, dann… jetzt bestimmt erst recht nicht… Ich hoffe sehr, dass es dir jetzt besser geht.“ Carlas Augen weiteten sich überrascht, doch das sah sie nicht, weil sie immer noch den Boden anstarrte. Mit einem Mal war er froh darüber. „Hier.“ Er hielt ihr das Taschentuch unter das Gesicht, so dass sie es sehen musste. „Behalt‘ es, oder wirf es weg“, entgegnete das Mädchen jedoch und machte keine Anstalten, es zu nehmen. „Ich brauche es nicht mehr.“ Carla runzelte die Stirn. „Wieso nicht?“ „Ist doch egal. Es ist nur ein Taschentuch.“ Das Mädchen stand auf und wandte ihm den Rücken zu, den Kopf immer noch gesenkt. „Sag's mir!“ forderte er lauter, und sein Gegenüber zuckte sichtlich zusammen. „Ich werde den Morgen nicht mehr erleben“, antwortete das Mädchen resigniert, „und Tote brauchen keine Taschentücher.“ Die Wahrheit traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht: Ihre Augen waren grün! Grün wie Glas, hinter dem ein Feuer brannte. Ein Fieber verbrannte sie von innen heraus und ließ all ihre Lebensgeister noch einmal aufflackern wie das letzte Aufbegehren einer erlöschenden Kerze. Daher war die Haut so weiß wie Porzellan und die Wangen dennoch blühend rot… so viel Leben ausstrahlend, dass sich die Sakamakis diesem in ihrem Durst nach Blut nicht entziehen konnten. Das letzte Bisschen Leben, was dieser zerbrechliche, menschliche Körper noch besaß. Und er, Carla, hatte es gewusst, denn ihr Geruch war anders als der anderer Menschen. Doch er war zu abgelenkt von anderen Dingen: Seiner Überlegenheit gegenüber den Menschen. Seinem Hass auf Karlheinz und dessen Sippschaft. Seiner Verzweiflung, weil er und sein Bruder die Letzten ihrer Art, den Erstgeborenen, waren. Der Körper dieses Mädchens hingegen hatte sich bis zuletzt an das einzige geklammert, was wirklich etwas bedeutete: Das Leben selbst. „Siehst du?“ Ungeachtet der tosenden Gefühle in seinem Inneren streckte das Mädchen seinen rechten Arm nach hinten. Die Finger waren geschient und fest einbandagiert, die Hälfte des Unterarms verschwand in Mullbinden. „Was soll ich sehen?“ „Mein Vater sagte, als ich klein war, zu mir: Sollte ich über das Malen das Üben am Klavier vernachlässigen, würde er mir mit einem Stein die Hand zertrümmern, denn dann würde ich eine göttliche Gabe nicht ehren und sei ihrer deshalb nicht würdig.“ Und? Carla hätte diese Frage gern gestellt, unterließ es jedoch. „Die Mädchen in der Schule haben mir heute mit einer Tür alle Finger mehrfach gebrochen. Ich werde also nie wieder richtig Klavier spielen, aber auch nie wieder malen können.“ Plötzlich tropften Tränen auf den Boden, als sie weitersprach: „Ich habe das Üben gehasst, weil ich ständig geschimpft werde, wie falsch doch alles klingt. Jetzt werde ich nie wieder üben müssen…“ Sie hielt sich die gesunde Hand vor das Gesicht, und ihr Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. „Die Ärzte haben gesagt, es würde eine lange Reha brauchen, bis ich überhaupt wieder mit Besteck essen, Knöpfe zumachen oder einen Stift halten kann…“ „Und das ist schlimm?“ Ihr Kopf flog herum und sie starrte ihn an. Zornfunkelnd aus brennendem Grün. „Nein“, sagte sie, doch ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. „Ich bin nichts weiter als ein Tier, das man treten und misshandeln kann und habe nur ein Übel in Kauf genommen, um etwas, das mir lieb ist, zu behalten. Heute aber habe ich trotz aller Mühen beides verloren: Das Übel… und den Schatz.“ Sie stampfte mit dem Fuß auf und ballte die Fäuste so gut es ging. „Verdammt, ich war krank, als ich hierher kam, doch das Zeichnen hat mir die Kraft gegeben, die Chemo durchzuhalten! Dann, endlich halbwegs gesund, komme ich an diese Schule, weil der Musiklehrer ein Meister am Klavier ist und weltweit ausverkaufte Konzerte gibt. Um meine Familie nicht zu enttäuschen, übe ich unter diesem Despoten wie verrückt und irgendwann kommt einer von diesen rothaarigen Brüdern und säuselt mir was davon vor, wie toll ich doch sei… Das hört dann eine von diesen Sakamaki-Groupies und plötzlich machen mich Mädchen an, die ich gar nicht kenne, ich solle die Finger von denen lassen!“ Die Sprecherin schniefte und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, die gesunde Hand zur Faust geballt. „Dabei sind mir diese kindischen Kerle sowas von egal!“, fuhr sie zornig fort. „Nach dem Schulabschluss trennen sich unsere Wege sowieso und ich sehe keinen von denen je wieder, weil ich nach Hause zurückkehre! Aber nein, damit ich keinen von diesen Jungen je wieder „antatschen“ kann, brechen sie mir die Finger! Nicht nur, dass meine Krankheit durch diesen Stress mit den Sakamakis und dem Prüfungsstress wieder ausbricht – und das schlimmer als vorher – nein, diese eifersüchtigen, dämlichen Puten müssen mich auch noch lebenslang verstümmeln!“ Ärger über ihre Worte flammte in ihm auf, heiß wie eine Stichflamme. Wieso redete sie mit ihm, als wäre er Schuld an ihrem Leid? Carla wandte sich halb um und wollte gehen, doch seine Füße gehorchten ihm nur widerwillig. „Was ist?“, fragte sie besorgt und kam zwei zögernde Schritte auf ihn zu. „Hast du dich noch nicht ganz erholt von vorhin? Soll ich dich stützen?“ Die plötzliche Besorgnis ließ Carla an Yui denken, das verseuchte Gefäß seiner weiteren Ziele und Pläne. Das Mädchen rieb sich über den Kopf und lachte verlegen. Erst sah es ihm direkt ins Gesicht, dann wieder zu Boden. Das Rot ihrer Wangen wurde dunkler. „Entschuldige, dass ich so ausgerastet bin, ich weiß, du kannst nichts dafür. Vermutlich bist du nicht einmal hier, und ich rede mit einer Halluzination.“ Carla seufzte. Was war das denn für eine Entschuldigung? Wieso sollte er plötzlich eine Einbildung sein? Menschen waren seltsam, aber dieses Mädchen war absolut unverständlich. „Bei all den Schmerzmitteln, Fiebermitteln, Gerinnungshemmern und dem anderen Schrott, den sie mir heute gegeben haben, rede ich wahrscheinlich grade mit einem Funkmast.“ „Ich kann dir versichern, dass ich keine Halluzination bin“, entgegnete Carla kühl, verärgert und besänftigt zugleich. „Dann macht es mein Gebrabbel von eben echt peinlich. Ich meine, warum sollte sich mein Sempai plötzlich so sehr für mich interessieren, dass er nachts auf ein Krankenhausdach kommt, um mich zu sehen?“ „Ich habe dich singen gehört.“ „Oje. Keine bleibenden Ohrenschäden? Indische Musik ist nicht jedermanns Sache.“ Carlas Grinsen war von seinem Gesicht verschwunden, als der Zorn über ihr Gezeter in ihm aufgestiegen war, doch nun zupfte es wieder an seinen Mundwinkeln. Sie nahm sich selbst mit Humor, fern der selbstbezogenen Eitelkeit der Mädchen in der Schule. „Es war… ganz angenehm“, gab er lächelnd zu. „Indisch war die Sprache, sagtest du?“ „Hindi, wenn du’s ganz genau wissen willst. In Indien werden viele Sprachen gesprochen und noch mehr regionale Dialekte.“ „Was machst du dann in Japan?“ Das Mädchen fuhr sich mit der gesunden, linken Hand durch das Haar, als es den Kopf hob und seinen Blick über die Lichter der Stadt schweifen ließ. „Das ist eine etwas längere und sehr persönliche Geschichte“, antwortete es. „Sie würde die Stimmung ruinieren.“ Carla runzelte die Stirn über diese Antwort. Ob er sie zwingen sollte, es ihm zu erzählen? Sie hatte doch selbst davon angefangen…! Und was für eine Stimmung meinte sie? „Oh, wie schööön…“ Es begann zu schneien, und Carla beobachtete seine Gesprächspartnerin dabei, wie sie die kleinen, glitzernden Schneekristalle aufzufangen versuchte. Zwar war es zu warm, als dass der Schnee wirklich liegen bleiben würde, doch in den schwarzen Haaren des Mädchens verfing er sich wie kleine Blüten. „Wo ich herkomme, ist fast nur Wüste, und auch hier schneit es selten“, murmelte es und bestaunte eine recht große Flocke auf seinem Gips, an den sie fast mit der Nase stieß. „Ich habe noch nie echten Schnee gesehen…“ Carla beschlich der Eindruck, dass etwas nicht stimmte. Eine weitere große Flocke landete auf einer Fingerspitze ihrer gebrochenen Hand und wurde ebenfalls ganz nah von großen, grünen Augen bestaunt. „Wusstest du, dass jede Schneeflocke einzigartig ist? Es gibt keine zwei, die sich gleichen…“ Der Schneefall wurde dichter, und einem Romantiker musste es scheinen, als fielen glitzernde Sterne im Licht der Stadt herunter. Carla beobachtete das begeisterte Mädchen, das mit weit zurückgelegtem Kopf in den Himmel blickte. Der Wind, der in kleinen Böen über das Dach wehte und die Flocken übermütig durcheinander wirbelte, spielte auch im dunklen Rock der Winterschuluniform und ließ den Kragen der weißen Bluse tanzen. Carla entdeckte kleine Blutspuren darauf. Die Essmanieren der Sakamakis ekelten ihn an. Das Mädchen stand verharrte bewegungslos, doch erst als der Wind das Schwarz seiner Haare nach oben riss und es taumeln machte, erkannte Carla, was an diesem Bild nicht stimmte: Es war Winter, Nacht, es schneite, sie trug weder Mantel noch Schuhe… das Mädchen müsste zittern vor Kälte! Einen Moment lang starrte Carla es nur an, dann war er bei ihm und legte seinen Mantel über die schmalen Schultern. Dabei streiften seine Finger kurz ihre Wangen – sie waren eiskalt. „Das brauchst du nicht mehr, Tsukinami“, flüsterte es. „Ich bin inzwischen soweit ausgekühlt, dass mein Körper die Kälte nicht mehr spürt… Wie ein Betrunkener, der im Schlaf erfriert… ein schöner Tod und ganz friedlich…“ Wie lange hatte sie schon dort gesessen, bis er gekommen war? Carla hob sie auf die Arme und wollte mit ihr ins Innere des Krankenhauses gehen, wo die Menschen sich um ihresgleichen kümmern konnten. Doch das Mädchen schüttelte den Kopf und strich mit einem klammen Finger über seine Wange, während sich ein Schleier über das Strahlen seiner Augen legte. „Ich sagte doch bereits, dass ich heute Nacht sterben werde“, flüsterte es andächtig. „Deswegen wollte ich wenigstens einmal richtigen Schnee sehen… Ganz egal, was du tust, es wird nichts daran ändern. Der Tod klopft schon lange an meine Tür.“ Ein weiches Lächeln legte sich auf ihre Züge und sie schloss die Augen, als sie sich an Carlas Brust schmiegte. „Allerdings hätte ich nie gedacht, dass ich beim Sterben in den Armen eines Mannes mit goldenen Augen liegen würde… der aussieht wie… ein Prinz…“ Ihr Lächeln wurde breiter. „Mein Herz… wird zu einem Schmetterling… und fliegt davon… weit fort… angezogen von einem Duft… von einem Ort… so weit entfernt…“ >!!< 20.1.2017 - 2.2.2017 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)