I still von Yamasha (Ich vermisse dich) ================================================================================ Kapitel 1: I still ------------------ Drei Monate ist es jetzt her, drei Monate seit ich dich verlassen habe, verlassen musste. Obwohl ich nicht wollte. Zuerst habe ich mich auch gegen die Gefühle gewehrt, die du in mir ausgelöst hast, doch am Ende bin ich sehr froh, sie zugelassen zu haben. Dadurch hatte ich eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Und trotz all dem Schmerz und Liebeskummer den ich jetzt habe, will ich die Zeit auf keinen Fall missen. Ich war grade mit der Schule fertig, wollte hinaus in die große, weite Welt und da verschlug es mich nach Kenia. Ich machte ein freiwilliges ökologisches Jahr in diesem wunderbaren Land, in dem so vieles so viel anders war als in Deutschland. Die Menschen, die Natur, all das faszinierte mich. Doch ich hatte auch ein bisschen Angst. Das erste Mal so lange von zu Hause weg, das erste Mal außerhalb Europas. Doch ich freute mich riesig auf dieses Abenteuer. Du warst Kenianer. Jung, auch mit der Schule fertig, doch einen richtigen Job hattest du nicht. Deshalb wurdest du Piki – Fahrer *. Auf diese Weise hattest du auch meine Vorgängerin, Rebecca, kennen gelernt, mit der du dich super angefreundet hattest und die mir deine Nummer weiter gegeben hatte, damit ich hier in diesem fremden Land eine Person hatte, auf die ich mich verlassen konnte. Sprich, wir kannten uns im Prinzip von Anfang an. Trotzdem war unsere erste Begenung eher Zufall. Ich musste zur Arbeit und da mein Fahrrad einen Platten hatte, fuhr ich Piki. Die Piki – Fahrer kamen mir immer ein bisschen entgegen und dieses Mal warst das du. Wir unterhielten uns ein kleines bisschen und irgendwann sagtest du: „Rebecca war eine gute Freundin von mir.“ „Wie heißt du denn?“ „Tony.“ So lernten wir uns kennen, ganz banal. Danach sahen wir uns immer öfter. Anfangs hatte ich das Gefühl, du würdest mich auf Abstand halten, wolltest nicht unbedingt mit mir befreundet sein, hast mich nur als Kundin gesehen. Ich muss sagen, mir ging’s nicht unbedingt anders, für mich warst du nur ein Piki – Fahrer, den ich zudem nie erreichen konnte, wenn ich ihn brauchte. Aber nach einiger Zeit änderte sich das. Wir wurden Freunde. Ich rief dich immer öfter an, damit du mich irgendwo abholen konntest. Und meistens erreichte ich dich auch. Ich war froh, jemanden zu haben, auf den ich mich verlassen konnte. Natürlich hatte ich dir erzählt, dass ich seit drei Jahren Motorrad fuhr. Bei deinem Beruf war das schließlich eine Gemeinsamkeit zwischen uns. Und natürlich erzählte ich dir auch, dass ich, kurz bevor ich Deutschland verlassen hatte, einen Unfall gebaut habe, der zum einen mein Motorrad vollkommen schrottete und zum anderen dazu führte, dass ich seit Monaten nicht mehr selbst gefahren war. Und ich glaube, du hast immer gemerkt, dass mich das ein bisschen traurig machte. Nach zweieinhalb Monaten war es dann soweit: Du hast mich abends abgeholt als ich von einem Ausflug wiederkam und hast mich fahren lassen. Bogst von der normalen Straße in eine weniger befahrene ein und fragtest „Kannst du fahren?“ „Ja“, war meine Antwort. Ich hatte Motorrad fahren schließlich schrecklich vermisst. Ich fand deine Maschine komisch. Sie war von der Größe her wie meine geliebte Honda zu Hause, doch sie fuhr sich vollkommen anders. Es war zwar auch eine Honda, doch ein komplett anderes Modell. Meinem Gefühl nach fuhr ich schrecklich, eierte, schaltete falsch, von vernünftigen Kurven fahren hatte ich auch anscheinend noch nie was gehört. „Du fährst gut“, sagtest du mir immer wieder mit deiner ruhigen, tiefen Stimme. Ich glaubte dir zwar nicht unbedingt, war aber trotzdem erleichtert und ein bisschen geschmeichelt. An dem Tag fingen meine Tagträume von uns beiden an. Nicht, dass ich in dich verliebt war, doch zum einen liebte ich Tagträume und zum anderen warst du einer der einzigen Männer hier in Kenia, der noch nichts von mir wollte und das machte dich zu etwas besonderem. So vergingen die Wochen, ich glaube, es waren auch ein paar Monate und wir lernten uns immer besser kennen. Immer, wenn du mich früh morgens oder spät abends irgendwo hin bringen oder abholen musstest, hast du mich fahren lassen. Ich liebte Motorradfahren von Herzen und war jedes Mal überglücklich und unendlich dankbar, wenn ich fahren durfte. Ich fühlte mich frei und egal, wie scheiße mein Tag davor auch war oder noch wurde, das Fahren war immer ein Lichtblick. So verliebte ich mich langsam in dich ohne es zu bemerken. Als Rebecca dann zu Besuch kam und ich euch zusammen sah, zog ich mich zurück. Ich redete nicht so viel mit dir wenn sie dabei war, ich mied deine Gegenwart wenn ich euch zusammen sah. Das machte ich immer, einfach, weil ich mich für schlechter hielt als sie. Doch es machte mich unendlich traurig euch zusammen lachen zu sehen ohne dabei zu sein und auch ein bisschen eifersüchtig. Ich wusste zuerst nicht, wie ich dieses Gefühl einzuordnen hatte, doch als ich in mich ging, wurde mir bewusst, dass ich eifersüchtig war. Eifersüchtig darauf, wie gut ihr euch verstandet, dass ihr über alles reden konntet, über alles lachen konntet. Auch wenn wir uns gut kannten, taten wir das doch selten. Rebecca war schon wieder nach Deutschalnd geflogen, grade einen Tag weg, und du hattest mich abends mal wieder abgeholt. Es regnete und da ich ein kleines Trauma vom Motorradfahren im Regen hatte, sagte ich nein, als du mich fragtest, ob ich fahren wollte. So hinter dir auf dem Motorrad, still den Regen verfluchend, auch wenn ich mich auf der anderen Seite über ihn freute, wurde es mir bewusst: Ich hatte mich in dich verliebt, schleichend, nicht von mir bemerkt, doch auf einmal war das Gefühl da und haute mich beinahe um. Zu dem Zeitpunkt hatte ich auch Streit mit meiner besten Freundin und konnte dementsprechend nicht mit ihr darüber reden. Als mir das bewusst wurde, lachte ich leicht hysterisch auf. „Was ist los?“, hast du mich gefragt. Ich hab nur lachend den Kopf geschüttelt: „Nichts. Mir ist nur grade etwas bewusst geworden.“ Wir kannten uns mittlerweile gut genug, dass du mich fragen konntest, was in meinem Kopf vorgeht. Und da ich zum einen Lügen hasse und zum anderen ... ach ich weiß auch nicht, auf jeden Fall antwortete ich dir: „Ach, mir ist nur grade aufgefalllen, dass das, was ich hier am wenigsten wollte, grade passiert ist. Und ich kann es noch nicht mal mit meiner besten Freundin bequatschen.“ „Was ist dir denn bewusst geworden?“, fragtest du. Ich war verwundert. Normalerweise warst du nicht so neugierig. Doch ich antwortete dir, sogar mit erstaunlich fester Stimme, die mich im Nachhinein selbst überraschte: „Mir ist grade bewusst geworden, dass ich mich in dich verliebt habe.“ Mit der Vollbremsung danach habe ich nicht gerechnet. Das Hinterrad deines Motorrads blockierte, schlingerte, doch du konntest es wieder einfangen. Danach hieltest du am Straßenrand und drehtest dich zu mir um: „Was hast du da grade gesagt?“ Normalerweise hasste ich es, mich zu wiederholen, besonders jetzt war es mir peinlich. Doch du hattest es verdient: „Ich habe gesagt, dass ich grade festgestellt habe, dass ich mich in dich verliebt habe.“ Danach hast du mich nur mit deinen dunkelbraunen Augen angesehen und mir in die Augen geschaut. Ich beobachtete dich auch, wollte deine Reaktion wissen, hatte Angst, unsere Freundschaft zerstört zu haben. Doch deine Augen wanderten zu meinem Mund und dann kam dein Gesicht immer näher. Als sich deine Lippen auf meine legten, schloss ich meine Augen. Deine Lippen waren kalt und nass vom Regen und vom Fahrtwind, doch unglaublich weich. Du bewegstest sie ganz leicht und ich folgte deinen Bewegungen. Du warst unglaublich zärtlich, als ob du Angst hättest, dass ich zurückschrecken würde. Doch ich tat es nicht. Ich genoss einfach meinen ersten Kuss, der so unglaublich viel schöner, viel intensiver war als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Als wir den Kuss lösten, blicktest du mir noch eine Sekunde in die Augen bevor du das Motorrad wieder startetest und mich nach Hause fuhrst. Ich war verwirrt, wollte eine Erklärung von dir, doch meine Lippen waren wie zugeklebt. An der Kreuzung angekommen, stieg ich von deinem Motorrad, du auch. Es war spät und da hast du mich immer bis zum Tor begleitet. Wie immer eigentlich. Doch auch jetzt keine Erklärung von dir, nur ein „Gute Nacht“ als wir das Tor erreichten. Mein Mitbewohner war nicht da, er war grade im Urlaub, sodass ich in eine leere Wohnung kam. Das war auch gut so, denn sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, fing ich an zu weinen. Du hattest mich geküsst und dann ohne eine Erklärung stehen lassen. Ich war verwirrt, verletzt und total orientierungslos, wusste nicht, was ich machen sollte, hatte nichts, woran ich mich festhalten konnte. Doch es war spät und als ich mich zumindest ein bisschen beruhigt hatte, ging ich ins Bad, putzte meine Zähne und zog mir meinen Schlafanzug an, der nur aus einem T.Shirt bestand, da alles andere zu warm gewesen wäre. Grade, als ich das Moskitonetz über meinem Bett schloss, klopfte es an der Vordertür. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ganz zum Anfang waren wir mal in unserer Wohnung ausgeraubt worden und seitdem hatte ich immer eine leichte Panik bei Geräuschen in der Nacht. Bis mir dann bewusst wurde, dass Einbrecher unmöglich klopfen würden. Also stand ich auf, ging ins Wohnzimmer, schaltete das Licht an und ging zur Tür. Und vor dieser Tür standest DU. Zuerst konnte ich dich nur perplex anstarren, doch dann öffnete ich die Tür und trat einen Schritt zurück. Du kamst rein, gingst direkt auf mich zu und küsstest mich. Dieses Mal leidenschaftlicher, härter, verlangender als auf deinem Motorrad. Doch ich stieß dich von mir weg: „Was soll das?“ Ich war verwirrt, verletzt, wusste nicht, was ich davon halten sollte. Jetzt wurdest du auf einmal verlegen, schautest überall hin, nur nicht auf mich. „Ich ... Ich ... Ich hab mich auch in dich verliebt“, stammeltest du dann und schautest mir schlussendlich in die Augen. Ich hatte sowas natürlich gehofft, doch als du mir das so ins Gesicht sagtest, war ich trotzdem total überrascht. Ängstlich schautest du mir ins Gesicht, unsicher, wie ich reagieren würde. Doch mich durchströmte einfach nur ein unglaubliches Glücksgefühl. So etwas hatte ich noch nie zuvor gefühlt. Es war einfach überwältigend. Ein breites Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Als du das sahst, wirktest du erleichtert und als ich dir stürmisch um den Hals fiel und dich küsste, merkte ich, wie du mich nur noch fester an dich zogst. Die Nacht hast du bei mir verbracht. Wir lagen in meinem Bett, dicht aneinander gekuschelt. Eigentlich viel zu warm für mich, doch dieses Mal störte es mich nicht. Und am nächsten Morgen neben dir aufzuwachen war das schönste, was ich bis dahin in Kenia erlebt hatte. Die Monate danach waren einfach nur unglaublich. In Kenia ist es nicht unbedingt üblich sich zusammen in der Öffentlichkeit zu zeigen und so taten wir das auch nicht. Doch ich war trotzdem glücklich. Während mein Mitbewohner noch da war, sahen wir uns nur, wenn du mich gefahren hast. Doch sobald er weg war, kamst du manchmal abends. Du hast an meine Tür geklopft, ich hab auf gemacht und dann haben wir die Nacht zusammen verbracht. Mit dir hatte ich auch mein erstes Mal und es war einfach wunderbar, unbeschreiblich schön. Den Morgen danach neben dir aufzuwachen war soagr noch schöner als unser erster gemeinsamer Morgen. Natürlich bekamen die anderen mit, dass wir zusammen waren. Doch auch wenn sie mich alle mal gefragt hatten, ob ich mit ihnen zusammen sein wollte, haben sie sich gefreut für mich, für uns. Dass ich regelmäßig damit aufgezogen wurde, nahm ich in Kauf und konnte auch darüber lachen. Doch meine Zeit in Kenia war begrenzt. Und mit jedem Tag der verstrich, wurde unsere Zeit weniger. Ich ignorierte das die meiste Zeit doch als der August kam musste ich eine Entscheidung treffen. Ich besprach mich mit meiner besten Freundin, mit der ich mich mittlerweile wieder versöhnt hatte, aber wirklich weiterhelfen konnte sie mir nicht. Die Entscheidung die ich traf, ist mir nicht leicht gefallen, ganz und gar nicht. Ich sprach auch mit dir darüber, nur leider gingen unsere Meinungen darüber vollkommen auseinander. Ich wusste nicht, was das Leben noch für mich bereit hielt, wohin es mich verschlagen würde. Ich wollte unsere Beziehung nicht dieser Unsicherheit aussetzen. Und deshalb machte ich schweren Herzens Schluss. Diese Entscheidung war die schwerste meines Lebens. Ich liebte und liebe dich noch immer und werde dich wahrscheinlich immer lieben. Ich weinte mir die Augen aus als ich dir das sagte und erklärte. Du bist einfach gegangen ohne ein Wort zu sagen, was ich verstehen konnte. Es war zwei Tage bevor ich nach Nairobi fuhr um von dort aus meinen Flug zurück zu nehmen und in dieser Zeit habe ich dich nicht gesehen. Ich wachte jeden Morgen weinend auf und schlief jeden Abend weinend ein und den ganzen Tag über konnte ich immer nur an dich denken. Die Entscheidung fühlte sich so falsch an und tut es immer noch. Aber ich konnte sie nicht mehr rückgängig machen. Den Tag als ich nach Nairobi fuhr, sah ich dich wieder. Du wusstest, wann ich an der Bushaltestelle sein musste und standest einfach vor meiner Tür um mich abzuholen. Wortlos nahmst du meinen Koffer und hast ihn auf dein Motorrad geschnallt. Ich war auch sprachlos und mir standen die Tränen in den Augen. Ich setzte mich hinter dich aufs Motorrad und als wir Nyalenda verließen, hielt ich es einfach nicht mehr aus und hielt mich von hinten an dir fest. Es war eher eine Umarmung als ein Festhalten und sagte dir mehr über meine Gefühle als ich jemals hätte in Worte fassen können. An der Bushaltestelle schnalltest du meinen Koffer wieder ab. Wir hatten immer noch kein Wort miteinander gesprochen seit wir meine Wohnung verlassen hatten und es schien, als ob du auch ohne ein Wort wieder fahren wolltest. Doch bevor du auf dein Motorrad gestiegen bist, hst du mich nochmal geküsst. Vor allen anderen und so leidenschaftlich, dass es mir den Atem verschlug. Deine letzten Worte an mich waren „Vergiss mich nicht.“ Dann bist du einfach gefahren und hast mich tränenüberströmt stehen lassen. Jetzt bin ich schon wieder drei Monate in Deutschland und sehne mich nach Kenia und nach dir zurück. Vor allem nach dir. Du fehlst mir unheimlich. Mehrmals am Tag halte ich inne und denke an dich, frage mich, was du grade tust, ob du auch mal an mich denkst. Abends und morgens vermisse ich immer noch deine Gegenwart, erwache mit dem Gefühl, dass du neben mir liegst und drehe mich jedes Mal um um dich mit einem Kuss zu wecken. Doch du bist nicht da. Das macht mich jedes Mal wieder unendlich traurig. Doch du wirst es nie erfahren. Denn seit ich Kenia verlassen habe, habe ich nichts mehr von dir gehört. Und ich weiß nicht, ob ich jemals wieder von dir hören werde. *Pikis sind Motorradtaxis, ein in Kenia übliches Transportmittel für alles (also wirklich alles. Man kann sogar Sessel damit transportieren...) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)