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Our Time Went By Too Fast

von

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♛ I'm cold as the rain falls ♛


 

I

I'm cold as the rain falls


 

Grausam kündigte sich der Herbst an jenem Tag an. Regentropfen peitschten auf die Windschutzscheibe, vernebelten jegliche Sicht.

Im inneren des Wagens saß Regina Mills, die amtierende Bürgermeisterin der Kleinstadt Storybrook. Am Lenkrad trommelten ungeduldig ihre Fingerspitzen. Bis zum späten Nachmittag hatte sie gewartet; sie hatte auf eine Besserung des Wetters gewartet und gehofft. Der Gang, der ihr bevor stand, war beschwerlich genug, aber die aktuelle Wetterlage machte die Erinnerungen noch lebendiger.
 

Müde fuhr sie sich über das Gesicht. Erneut lag eine schlaflose Nacht hinter ihr und in den letzten Stunden, da hatte sie genügend Nerven liegen gelassen. Wie sehr sie die Bürger an solch einem Tag verabscheute. Jeder kannte die Geschichte, jeder kannte das Datum und dementsprechend glaubten sie man musste Regina mitfühlend ansehen; sie mit Samthandschuhen anfassen. Das Problem, wenn jeder über ihr Privatleben Bescheid wusste.
 

Hätte sie ihre Termine verschoben, dann hätte sie nicht aus dem Haus gemusst; sie wäre nicht ihrer täglichen Routine gefolgt. So war die Bürgermeisterin nicht. Zu sehr pochte ihr Pflichtbewusstsein, zu sehr nagte der Stolz. Keine Schwäche zeigen, alles still ertragen, aber äußerlich gekonnt ignorieren. So tun als bemerkte sie nichts. Das tat sie seit jeher, hatte sie seit frühester Jugend an stets getan.
 

Ein Blick auf die Uhr folgte. Nicht, dass sie noch einen Termin hatte, nein, sie suchte Orientierung. Eine gute Stunde saß sie bereits in ihrem Wagen, der direkt in der Auffahrt stand. Aus dem Seitenfenster lugte sie nach draußen, erkannte das große, eiserne Tor, das ihrem Herzen einen Stich versetzte. Und jedes Mal machte sich die gähnende Leere bemerkbar, die sich an diesem Tag in ihrem Leben eingenistet hatte. Eine klaffende Lücke in ihrem Herzen. Solch einen Verlust zu kompensieren, war unmöglich. Nie hatte sie den Spruch verstanden. Zeit heilte nicht alle Wunden. Auf ewig würde es sie verfolgen. Jeden Tag wurde ihr neuerlich vor Augen geführt, was sie verloren hatte.
 

Für eine Weile schlossen sich ihre Augenlider. Ein letztes Abwarten bis sie wusste, dass es nicht mehr ging. Das Hinauszögern hatte keinen Sinn mehr. Regina stellte den Kragen ihres Mantels hoch, zog den Schlüssel ab, griff nach dem Schirm und verließ endlich den Mercedes. Von der Rückbank holte sie noch eine einzelne, weiße Rose; ihr Ritual.
 


 

Zehn Jahre zuvor
 

Regina nippte an ihrem Kaffee während ihre Augen über den Terminkalender huschten. Täglich kehrte sie bei Granny’s ein und frühstückte; etwas, das sich in den Jahren eingebürgert hatte. Auch wenn sie bei Rubys Anblick – Kellnerin und Enkelin der Besitzern – oftmals ein Schnauben unterdrücken musste. Stets aufreizend gekleidet, zum Segen der männlichen Kundschaft.  Aber lag das Dinner auf direktem Wege zu ihrem Büro und das Essen hier schmeckte vorzüglich. An diesem Tag jedoch, da hatte sie das Frühstück ausgelassen und kam erst zum Mittagessen. Der Vormittag hatte sie gänzlich in Beschlag genommen und so hatte sie das Dinner für eine ordentliche Stärkung aufgesucht.
 

Ein leises Seufzen verließ ihre Lippen; die anfängliche Ruhe war dahin. Ein Zupfen an ihrer Hose machte sie bemerkbar und skeptisch wandte sich Reginas Kopf zur Ursache dieser Störung. Zu ihrer Überraschung erblickte sie einen kleinen Jungen, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, der sie fröhlich anlächelte. Argwöhnisch wandte sie den Kopf von einer zur anderen Seite. Zu wem gehörte der Kleine? Aber niemand im Dinner schien sich für ihn verantwortlich zu fühlen.
 

»Hilfst du mir mal?«, fragte er unterdessen, forderte neuerlich Regina Mills Aufmerksamkeit; das Zupfen hatte aufgehört und seine Hand deutete auf den Tresen; unter dem anderen Arm hatte er ein Buch geklemmt.

»Bitte«, fügte er rasch hinzu.
 

»Was möchtest du?«
 

»Ruby sieht mich nicht.« Verzweifelt verzog er sein Gesicht während er den Kopf zum Tresen hoch reckte.
 

»Bist du denn alleine hier?«, hinterfragte die Bürgermeisterin. Erneut fand sie niemanden, der dem Jungen Beachtung schenkte. Dennoch half sie ihm auf den Hocker neben sich, wo er sogleich das Buch ablegte. Regina erkannte den Titel, ein Märchenbuch.
 

»Ruby!«, lachte der Junge vergnügt als die Kellnerin zu ihnen trat und mit ihm abklatschte.
 

»Einen Kakao mit Zimt?« Sie musste gar nicht erst aussprechen, sofort begann er eifrig zu nicken. »Kommt sofort.«

Regina Mills saß unterdessen neugierig daneben, behielt das Kind im Auge. Natürlich kannte sie nicht jeden Bürger, aber dennoch, das Kind war ihr bislang nicht aufgefallen und allem Anschein nach, kannte es Ruby recht gut.
 

»Trinkst du auch gern Kakao?«, fragte er nun die Bürgermeisterin, während er auf sein Heißgetränk wartete, mit den Fingerspitzen auf den Einband trommelte.

Regina schüttelte den Kopf. Nein, das trank sie ungern. Diese Süße mochte sie nicht.
 

»Wie heißt du?«
 

»Henry Swan und du?« Höflich streckte er der Bürgermeisterin die Hand entgegen.

Swan, dachte Regina und bei dem Namen hatte sie ein weißes Blatt vor sich und doch kam sie nicht um das Gefühl herum als hätte sie den Namen bereits gehört.
 

»Regina Mills«, lächelte sie sacht, »und wo sind deine Eltern?«
 

»Hab nur eine Mom. Sie ist unterwegs«, antwortete er knapp und bevor Regina nachhaken konnte, brachte Ruby den gewünschten Kakao. Henrys Augen wurden größer, Ruby hatte ihm eine Extraportion Schlagsahne drauf gegeben.

Zimtgeruch stieg der Bürgermeisterin in die Nase und leicht hob sich eine Augenbraue. Zimt auf Kakao, das hatte sie noch nie erlebt.
 

»Ruby?« Während der Junge trank, beugte sich jene zu Regina vor.
 

»Er und seine Mutter – Emma – sind seit ein paar Tagen in der Stadt. Sie ist gerade bei Graham wegen der Stelle als Hilfssheriff. Und da sie vorerst bei uns untergekommen sind, habe ich angeboten auf den Kleinen zu achten. Sie kennt hier niemanden und sie kann ihn schlecht mitnehmen.«
 

»Daher kam mir der Name bekannt vor«, stellte Regina fest, sie hatte das Puzzleteil gefunden. Graham hatte ihr mitgeteilt, dass sich jemand auf die Anstellung gemeldet hatte. Beiläufig den Namen erwähnt, aber noch hatte sich Regina nicht damit befasst.

»Du solltest ihn jedoch besser im Auge behalten«, merkte sie in strengerem Tonfall an. Rasch konnte er gänzlich aus dem Blickfeld verschwinden und gar nach draußen gehen. Einen Unfall mit einem Kind, das wollte die Bürgermeisterin partout nicht sehen.
 

»Er ist ein braver Junge, der keinen Blödsinn im Sinn hat. Wäre er wie ich – oh je! – dann müsste ich mir Sorgen machen, hätte ich ihn nicht jede Sekunde im Auge!«, erwiderte Ruby zwinkernd und machte sich zu einem eingetroffenen Gast auf.

Nicht gerade überzeugt von den Worten führte Regina die Tasse an ihre Lippen. Wie so oft warf sie dabei einen Blick auf ihre Armbanduhr.  
 

»Ich stell nichts an«, hörte sie die Stimme des Jungen, die sich leicht vorwurfsvoll anhörte. Seine Hände umfassten die Tasse, die Beine taumelten verspielt. Schmollend verzog er das Gesicht. Ein Anblick, der Regina ein süßliches Lächeln auf die Lippen zauberte.

»Ich bin schon fünf!«
 

»Und du liest?«

Henry schlug das Buch auf; angestrengt starrte er auf das Geschriebene, ehe ein lautes, fast frustrierendes Schnaufen hörbar wurde. Er schüttelte den Kopf.
 

»Mom liest … besser … ich guck mir mehr die Bilder an! Und ich kenne die Geschichten auswendig! Mom liest sie mir seit … schon immer vor!«, plauderte Henry munter darauf los. Er mochte die Märchen und bekam nie genug davon.  

Regina erkannte, welch ein aufgeweckter Junge Henry doch war. Unermüdlich erzählte er von seinen Lieblingsgeschichten, zeigte ihr die dazugehörigen Bilder. Und auch von sich selbst war die Bürgermeisterin überrascht. Sie saß da, mit einem fremden Kind und horchte seinen Erzählungen. Wann hatte sie sich dafür einmal die Zeit genommen?

Minuten verstrichen bis sich eine neue Stimme zu Wort meldete.
 

»Henry!« Emma Swan hatte das Dinner betreten. Sie stand nun hinter ihrem Sohn, schlang die Arme um diesen und platzierte einen sachten Kuss auf seinem Haupt. Der Kleine gluckste vergnügt und sah zu ihr hoch.

»Tut mir leid, hat er sie etwa belästigt?«, fragte sie dann an die Frau gewandt, die neben Henry saß. Sie hatte mitbekommen, wie er aufgeregt mit ihr sprach.

»Oh, Emma Swan«, stellte sich die Blondine vor.
 

»Regina Mills, und nein, er hat mich vielmehr unterhalten.« Dem war auch so; hätte es sie gestört, dann hätte Regina den Besuch im Dinner wohl vorzeitig beendet, aber nach dem bisherigen Tag war Henry eine äußerst positive Abwechslung gewesen. Für die Weile, die lauschend neben ihm verbrachte, hatte sie ihren bisher anstrengenden Arbeitstag vergessen lassen.
 

»Sieh an, Kleiner, du hast dir die Bürgermeisterin angelacht«, grinste Emma.

Regina Mills hatte das Ende ihrer Mittagspause lange genug hinaus gezögert und so verabschiedete sie sich rasch von den beiden. Was die Bürgermeisterin noch nicht wusste war, dass sich ihr Leben durch die beiden schon bald von Grund auf verändern würde. Aber noch hatte sie lediglich Bekanntschaft mit Henry und Emma Swan gemacht, die sich hier in Storybrook niederließen.
 


 


 

Dem Regenguss trotzend, marschierte sie an den Gräbern vorbei. Nie wandte sich ihr Kopf zur Seite; starr folgte sie dem Weg zum Mausoleum; ein Tunnelblick hatte sie fest im Griff. Mit jedem Schritt, den sie machte, wurden ihre Beine schwerer. Als wollten ihr diese schon bald den Gehorsam verweigern. Wurde der Gang denn nie leichter? Oft genug kam sie hierher, aber nie war der Schmerz über den Verlust so groß, wie an jenem Tag, an dem er sich verjährte.

Donnergrollen mischte mit. Als ob sich die Welt ihrem Leid hinnahm und ihr Innerstes nach außen trug. Ihr Leben hatte sich gewandelt; war trister geworden. Die kalte Realität, aus der sie durch die Liebe zweier Menschen geflohen war, hatte sie seither wieder fest im Griff. Denn nichts konnte daran ändern, dass sie wieder alleine war.
 

Regina war angekommen, das Mausoleum erstreckte sich vor ihr, nur noch wenige Meter trennten sie voneinander und sie hielt inne. Einen Spalt breit stand die Pforte offen. Jemand war ihr zuvor gekommen, bloß wer? Und da sackte ihr Herz erneut spürbar nach unten, ihre Magengrube zog sich unangenehm zusammen. War es möglich? Nach all den Jahren? Ruckartig setzte sie sich in Bewegung, schneller waren ihre Schritte und vorsichtig schob sie die große Tür zur Gänze auf.

Ihr Atem stockte. Der vor dem Regen schützende Schirm fiel zu Boden.
 

»Emma?«
 


 

Acht Jahre zuvor
 

Regina Mills und Emma Swan. Die Bürgermeisterin und der Sherriff – Nach Grahams überraschendem Tod hatte sie das Kommando vollständig übernommen. Das Lieblingsthema der Tratsch- und Klatschgemeinde Storybrooks.

Die Beziehung der beiden durchlebte eine wilde Achterbahnfahrt. Mal verstanden sie sich, mal stritten sie. Emma Swan hatte einen neuen Wind in die Stadt gebracht und oft genug gab es deshalb Differenzen, aber was sich hinter verschlossenen Türen abspielte, das wusste niemand; war lediglich ein Gemunkel.
 

»Nicht jetzt, Miss Swan!«, stöhnte die Bürgermeisterin und beugte sich provokant tiefer über ihre Unterlagen. Der Sherriff gönnte ihr einfach keine Atempause und gern hätte sie sich dem Impuls, Emma Swan hochkantig aus dem Büro werfen, nachgegeben.  
 

»Miss-Swan mich nicht, Regina!«, entgegnete Emma augenrollend und stützte sich am Schreibtisch ab.

»Wir müssen eindeutig miteinander reden!« Und solange sich die Bürgermeisterin wehrte, solange würde sie ihr bewusst auf die Nerven gehen. Seit Tagen schon suchte sie das klärende Gespräch, aber bislang war ihr Regina stets aus dem Weg gegangen. Nicht dieses Mal! Nicht schon wieder.
 

»Bei einer dringlichen Angelegenheit nützen Sie bitte das vorgesehene Meeting am Montag.« Es war Freitag und Regina wollte bevor sie nach Hause ging noch den Stapel, der vor ihr lag, aufarbeiten. Mit Emma Swan vor ihr, die neuerlich nicht wusste, wann sie aufhören sollte, konnte sich die Arbeit jedoch noch hinauszögern.
 

»Möchtest du den Vorfall tatsächlich unter den Teppich kehren? Ohne eine Bereinigung? Ich verstehe dich nicht!«
 

»Welchen Vorfall?« Regina setzte zu einer Unterschrift an. Unter den Teppich kehren war das Stichwort. Denn das tat sie. Nicht gerade die feine Art, aber Regina wusste selbst nicht, was sie in diesem Fall tun sollte. Es war passiert. Ein Ausrutscher und doch wieder nicht. Selten hatte sie die Kontrolle über ihr Handeln verloren und ausgerechnet hierbei war es geschehen.

Die beiden unterschieden sich sehr voneinander, das hatte Emma von Anfang an gemerkt und in der Arbeit waren sie dementsprechend oft aneinander geraten. Aber gab es einen Nebeneffekt, mit dem beide nie gerechnet hatten. Lange stand eine unausgesprochene Anziehung zwischen ihnen. Eine, die sie lange Zeit nie und nimmer eingestehen wollten, die andere vor ihnen aufschnappten. Emma wunderte sich nicht länger über das Getratsche der Leute oder die Kommentare ihrer Freunde. Zwischen ihnen stand mehr als sie jemals erwartet hatten. Und dann kam dieser eine Moment der Unachtsamkeit; ein einziger Moment in dem sie sich fallen ließen. Den Emma nicht bereute.  

»Was muss ich tun, um endlich in Ruhe gelassen zu werden?«, seufzte Regina auf und legte den Stift zur Seite. Erst zum zweiten Mal, seit Emma in ihrem Büro stand, hob sie den Kopf an und musterte die Blondine. Ein Fehler.
 

»Geh mit mir aus, Regina. Lass uns darüber reden und wir sehen wohin es uns führt.« Ein strahlendes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. »Du kennst mich, ich gebe ungern auf. Und wenn ich meine Geheimwaffe einsetzen muss.«

Die Bürgermeisterin hob eine Augenbraue.
 

»Lass Henry aus dem Spiel!«, zischte sie. Ein unfairer Schachzug.
 

»Warum blockierst du?«

Regina nahm einen tiefen Atemzug; lehnte zurück. Ihr Blick löste sich von Emma und streifte durchs Büro.
 

»Ich denke darüber nach.«
 

Und so verblieben die beiden. Emma hatte wohl eingesehen, dass das mehr war als sie vorerst einfordern konnte und war gegangen. Mittlerweile war Sonntag und Regina kehrte von einem Spaziergang zurück zu ihrem Anwesen, wo eine Überraschung auf sie wartete – Henry. Er saß auf der letzten Stufe und hatte wohl auf sie gewartet.
 

„Hi«, lächelte der Junge.
 

»Hat dich deine Mutter geschickt?«, fragte Regina seufzend und gesellte sich zu Henry, der eilig den Kopf schüttelte.
 

»Nein, aber ich weiß, ihr hattet Zoff.« Das Lächeln verwandelte sich in einen traurigen Ausdruck.

»Sie nennt dich wieder Böse Königin. Hat gedauert, bis ich es verstanden habe, aber sie tut das nur, wenn ihr ein Problem miteinander habt.« Unverblümt sprach er darüber. Als wüsste Regina davon, das tat sie nicht. Es war ihm egal, obwohl Regina Henry einen ermahnend finsteren Blick schenkte.

»Und dann wird Mom traurig. Warum streitet ihr? Ihr mögt euch doch.« In den letzten Wochen hatte Henry einige dieser Momente mitbekommen. Manchmal durch Zufall, manchmal wenn seine Mutter glaubte, er sah es ihr nicht an. Er wollte endlich den Grund dahinter verstehen. Lediglich erkannte er, dass das nichts mit der Arbeit zu tun hatte.

Regina schluckte schwer. Bisher hatte sie die Angelegenheit nur aus ihrer Sichtweise aus bedacht.
 

»Henry, ich mag deine Mutter, sehr sogar, und darin liegt das Problem«, gestand Regina tief durchatmend, verblüfft über ihre eigene Offenheit. Denn selten erlaubte sie sich selbst diesen Gedanken einzugestehen. Emma Swan war wie ein ungebändigtes Naturereignis in ihre Leben getreten; unmöglich sich dagegen aufzubäumen. Seit Danielle hatte das kein Mensch mehr zu standen gebracht. Und das bereitete ihr  eine ungeheure Angst.
 

»Dann verstehe ich noch weniger«, murmelte Henry und blickte zur Bürgermeisterin hoch, die ihm ein verständnisvolles Lächeln schenkte.

»Mom ist glücklich, wenn du in der Nähe bist … und das wirkst du auch.«

♛ Shut my eyes and count to ten ♛


 

II

Shut my eyes and count to ten


 


 

♛ Sechs Jahre zuvor ♛
 

»Henry? Regina?« Sherriff Swan streifte sich gähnend ihre rote Lederjacke ab. Die Nachtschicht hatte länger gedauert als geplant; ausgerechnet in den Morgenstunden hatte es ein Problem gegeben, mit dem sie David Nolan – ihren neuen Kollegen – nicht alleine lassen konnte.
 

Ausgelaugt hielt sie am Spiegel im Foyer, betrachtete seufzend ihr Spiegelbild. Die Müdigkeit machte sich erkenntlich und dagegen half kein Kaffee der Welt. Umso mehr war sie glücklich darüber, dass sich das Problem rascher gelegt hatte und sie endlich Schlaf nachholen konnte. Denn vor der Schicht hatte sie diesen nicht gehabt. Was jedoch an ihrer mangelnden Selbstbeherrschung lag, aber Regina Mills widerstehen, das hatte die Blonde noch nie gekonnt.
 

Im Haus herrschte Stille; keine Antwort ertönte. Die Stirn runzelnd wanderte sie durch die Villa. Im Erdgeschoss fand sie ihre Liebsten nicht vor. Ein merkwürdiger Morgen, denn es war nach zehn Uhr. Auch an den Wochenenden war ihre Frau zeitig auf den Beinen.
 

Träge schlurfte Emma in den ersten Stock. Zuerst hielt sie an Henrys Zimmer; das tat sie nach jeder Nachtschicht. Ihr Sohn schlief meist noch und sie nutzte diese wenigen Minuten, in denen sie Henry beim Schlaf beobachten konnte. Er wurde so schnell älter, aber manches hatte sich glücklicherweise noch nicht verändert.

Überraschenderweise stand die Türe einen Spalt breit offen. Vorsichtig lugte Emma hindurch; das Bett war zerzaust, aber leer. Keine Spur von ihrem Sohn. Dann gab es nur noch eine Erklärung, denn beide waren definitiv nicht außer Haus. Morgens musste Henry sein Bett machen, zudem stand das Auto in der Auffahrt.
 

Emma strich sich durchs gelockte Haar; unterdrückte ein weiteres Gähnen. Auf leisen Sohlen schlich sie zum eigenen Schlafzimmer und dort wurde sie tatsächlich fündig. Im Türrahmen blieb sie stehen, lehnte sacht dagegen. Der Anblick, der sich ihr bot, brachte ihr Herz zum Schmelzen. Regina lag auf der Seite, Henry in ihren Armen, beide noch schlafend.

Nie hatte Emma eine Familie gehabt. Hergereicht, ungeliebt; das war die Norm. Doch nun hatte sie ihre eigene, kleine Familie. Henry war bereits ein Segen gewesen, aber die Liebe zu Regina hatte ihr Glück auf eine neue Stufe gebracht. Nie wieder wollte sie dieses missen.

Ein sanftes Lächeln fand sich auf ihren Lippen; im Gehen schlüpfte sie aus ihren Schuhen und sank schließlich auf die Bettkante. Das Märchenbuch war aufgeschlagen. Da hatte sich wohl erneut ein Albtraum eingeschlichen gehabt.

Bedacht beugte sich Emma vor, strich eine schwarze Strähne zur Seite und küsste Reginas Hals. Als Emma sich leicht aufrichtete erkannte sie das Zucken ihrer Mundwinkel. Da schlief wohl jemand doch nicht so wie erwartet.
 

»Wie spät?«, fragte Regina leise ohne ihre Augen zu öffnen.
 

»Wir haben alle Zeit der Welt«, raunte Emma gegen den Nacken ihrer Frau und lächelte. Sie war wunschlos glücklich, denn ihr Leben schien vollkommen.
 


 


 

Emma Swan hatte ein altbewährtes Muster angewandt – Flucht. Wie in den vielen Jahren vor Henrys Geburt hatte sie alles stehen und liegen gelassen; Emma hatte jegliche Verbindung gekappt und war aus der Stadt verschwunden. Neue Luft zum Atmen hatte sie gebraucht, aber wo sie auch war, nie trat die gewünschte Besserung ein. Quer durch die Staaten war sie gefahren bis sie sich eingestand, dass das keinen Sinn ergab. Ein ewiges Fortlaufen änderte nichts; stattdessen musste sich Emma endgültig ihren inneren Dämonen stellen. Deshalb war sie zurückgekehrt. In das kleine und ruhige Städtchen mit dem sie viele Erinnerungen verband; doch all die positiven waren von einem dunklen Schatten eingehüllt.

Durchnässt und bis auf die Knochen durchgefroren stand sie da, Regina in ihrem Rücken, ihren verlorenen Sohn vor ihr. Natürlich hatte sie geahnt, dass auf eine Rückkehr auch eine Konfrontation Reginas folgte und nun, wo sie nach gut zweieinhalb Jahren zum ersten Mal die Stimme der Bürgermeisterin hörte, fühlte sich Emma noch schlechter.
 

»Emma«, wiederholte Regina wispernd. Spielte ihr Verstand einen seiner üblichen Streiche? Wie oft hatte sie gedacht, Emma war zurückgekommen? In den ersten Wochen hatte Regina darauf gewartet, bis sie sich irgendwann überwand und sich bei jedem Gedanken daran ermahnte, sie sollte ihre naiven Gedanken lassen. Aber nun war sie da; in greifbarer Nähe stand die Blondine, die ihr einst das Herz geraubt hatte; sichtlich vom Regen durchnässt und als sie sich ihr endlich entgegen wandte, erkannte Regina ein rot unterlaufenes Augenpaar.
 

»Hi.« Nicht mehr als eine einfache Begrüßung fand den Weg über ihre Lippen. Was konnte sie sonst sagen? Sich für ihre Nacht-und-Nebel-Aktion entschuldigen? Dafür kam sie zwei Jahre zu spät. Nach dem Befinden fragen? Mein Gott, Emma!, dachte sie sich, ihr steht an Henrys Grab!

Tief durchatmend schloss Regina ihre Augenlieder. Was hatte sie sich für diesen einen Moment alles zurechtgelegt gehabt – Vorwürfe blieben der anderen bestimmt nicht erspart! Und doch schien ihr Kopf diesbezüglich wie leergefegt. Emma war da, das musste sie erst einmal verarbeiten; zudem gehörte eine direkte Konfrontation nicht hierher, nicht zu diesem Ort. Und so nahm Regina einen weiteren tiefen Atemzug und zählte innerlich. Nervenstärke zeigen war angesagt und ja keinem schnippischen Impuls nachgeben.
 

»Ich komme später wieder«, meinte die Bürgermeisterin knapp, in einem höflichen Ton, den sie bei ihrer Arbeit gerne an den Tag legte.
 

»Regina … bleib, bitte«, entgegnete Emma hastig den Kopf schüttelnd.
 


 

♛ Drei Jahre zuvor ♛
 

»Uns bleiben zwei Optionen. Wir geben ihm schmerzstillende Medikamente und warten. Es kann schnell gehen, aber auch Tage dauern. Oder Sie entscheiden sich für lebenserhaltende Maßnahmen«, erklärte Dr. Whale mitfühlend während sein Blick zwischen den beiden Frauen hin und her wanderte.
 

»Welche Aussichten hätten diese Maßnahmen?«, hinterfragte Regina gedämpft. Sie spürte bereits wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Wild klopfte ihr Herz; war sie bereit für seine Antwort?

»Seien Sie ehrlich, Whale.« Regina warf einen Blick auf Emma, die erstarrt am Bett ihres Sohnes saß und dessen Hand hielt. Seit Tagen rechneten sie mit dem Schlimmsten. Henrys Zustand hatte sich rapide verschlechtert und seit den frühen Morgenstunden war er nicht mehr bei Bewusstsein gewesen, aber lebte bislang noch dieses kleine Fünkchen an Hoffnung, an das sie sich klammerten als stünde ihr eigenes Leben am Abgrund und Dr. Whale – Oh, wie traf sie dennoch die Erkenntnis beim Erhaschen seines zögernden Blickes! – würde ihnen das letzte Fünkchen nehmen und somit den fürchterlichen Albtraum bittere Realität werden lassen.
 

»Henry wird sterben, so oder so. Wir würden das Unausweichliche einfach in die Länge ziehen.«

Regina keuchte; nach Halt suchend umklammerten ihre Hände die Stuhllehne. Da war er, der Schlag in die Magengrube, der die Luftzufuhr abschnitt.
 

»Ich kann das nicht«, flüsterte Emma gequält. Verräterisch bebten ihre Lippen; Kiefer wurden aufeinander gepresst und ihr Blick von einem lästigen Schleier getrübt. Fester umschloss sich ihre Hand um Henrys. Was hatte sie verbrochen das dieses Leid rechtfertigte? Eine solche Entscheidung treffen. Wie konnte sie das?
 

»Emma«, wisperte Regina sanft, ihre Fingerspitzen glitten über deren Schultern.
 

»Ich kann das nicht!«, wiederholte die Blondine laut und entwand sich der Berührung. Ruckartig sprang sie auf die Beine und flüchtete. Sie musste raus; frische Luft einatmen, auch wenn ihre Lungen bei jedem Atemzug zu zerspringen drohten. Der Herzschlag pulsierte in ihren Ohren, ein Rauschen breitete sich aus, selbst den Ruf ihrer Frau drang nicht länger durch.

Emma lief; erst die durch belebten Gänge – kein einziges Mal scherte sie sich um die Bemerkungen der Schwestern – dann durch die Straßen der Stadt. Sie lief einfach. Wo auch immer ihre Beine sie auch hinführten.
 


 

Draußen war es bereits dunkel geworden. Alleine verharrte Regina an Henrys Seite. Seit Dr. Whales zerstörenden Worten blieb Emma verschwunden. Sie war ihrer Frau nicht nachgerannt, denn Regina wusste, dass das keinen Sinn gehabt hätte. Es war eben Emmas Art sich mit dem Unausweichlichem zu konfrontieren und Regina musste diesen Zug akzeptieren. Dafür kannte sie andere zu gut. Schließlich tauchte ihre Frau nicht vollkommen unter, sie würde wiederkommen. Jeder ging anders damit um, kein Verhalten galt als richtig oder falsch.
 

Ruhig saß Regina am Stuhl, zu ruhig. Den Kopf hatte sie abgestützt und auf dem Abstelltisch neben ihr stand eine dampfende Tasse Kaffee. Das Personal, das musste Regina feststellen, war hilfsbereiter denn je und kam in regelmäßigen Abständen und fragte nach, ob sie etwas benötigte.

Nachdem Dr. Whale sie allein gelassen hatte, hatte sie anfänglich starr ihren Sohn betrachtet. Sieben Jahre hatte er ihr Leben bereichert; für sie war er wie ihr eigenes Kind, zudem sie selbst nicht in der Lage war. Irgendwann hatte ihre Stimme eingesetzt und so viel hatte ihre Lippen verlassen. Regina hatte einfach drauf los geredet. Alles Mögliche und insgeheim hatte Regina auf eine Reaktion gehofft; und sie hoffte weiter. Sie hoffte Henry würde sie hören und verstehen.

Die letzten Minuten jedoch, die hatte sie schweigend verbracht. Die Ruhe vor dem Sturm, dachte Regina. Etwas braute sich zusammen, das fühlte sie in jeder Faser ihres Körpers.
 

»Mom lässt dich nicht im Stich, Henry, sie auf dem Weg. Sie braucht Zeit«, sprach sie flüsternd aus und atmete tief. Dann erinnerte sie sich erneut an das erste Mal zurück, an jenem Tag an dem sie Henry ansprach und ihre Augen glitten zur Tasche. Unwillkürlich zuckten Reginas Mundwinkel. Aus der Tasche holte sie das Märchenbuch, das er seit jeher bei sich trug. Der Einband war längst abgegriffen, hatte viel erlebt. Bis heute las er regelmäßig darin; die Faszination, die diese Märchen auf Henry ausstrahlten, war bemerkenswert. Manche verloren im zunehmenden Alter das Interesse, zumal er jede Geschichte auswendig kannte, aber nicht bei Henry. Regina selbst hatte ihm oft vorgelesen. Beim Einschlafen oder nach Albträumen, wenn Emma Nachtschicht hatte.

Bedacht blätterte durch die Geschichten, bis sie an einer seiner liebsten hängen blieb. Nach und nach verblasste die zwiespältige Ruhe; Regina rutscht nervös am Stuhl, lugte über die Schulter hinweg zur Türe. Niemand da.
 

»Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich* …« Die erste Träne tropfte aufs Papier. Die Stimme versagte und verräterisch bebte ihre Unterlippe. Das Gesicht verbarg sie in den Handflächen und stumm weinte sie den Kummer von der Seele; Regina wusste, dass sie erst am Rande des Sturmes stand.
 

»Hätt' ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen!*«, setzte Emma plötzlich fort. Sie schlang die Arme um die Schultern ihrer Frau, bettete das Kinn auf der linken. Das Zucken des anderen Körper ließ den Griff fester werden.

»Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum Schneewittchen genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel; wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie.*« Beide weinten sie und doch lag ein sanftes Lächeln auf Emmas Lippen, sacht schubste sie Regina, die schwach den Kopf schüttelte, aber ihre Stimme fand.
 

»‚Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?‘ So antwortete der Spiegel: ‚Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.‘*«
 


 


 

»Regina.«

Die Bürgermeisterin griff nach dem Schirm, der die gesamte Zeit über, wo er vorhin zu Boden fiel, liegen geblieben war. Eine Stunde war vergangen, in der sie schweigsam im Mausoleum standen; jede vertieft in ihre eigene Gedankenwelt. Bis Regina es nicht länger aushielt. Zeit aufzubrechen, hatte sie gedacht, sie konnte morgen nochmal hierher kommen. Oder den Tag danach, so wie sie es seit drei Jahren handhabte.

»Können wir reden?«, setzte Emma wesentlich gefasster nach. Sie musste endlich einen Schritt nach vorne machen und sich allein mit Regina auseinander zu setzen, war der Anfang.
 

»Morgen um sieben Uhr. Tagsüber habe ich unaufschiebbare Termine und«, begann Regina nach einer gefühlten Ewigkeit, »ich schätze, du weißt noch wo ich wohne.« So freundlich wie möglich hatte Regina versucht diese Worte über ihre Lippen zu bekommen.

»Sei pünktlich.« Ohne auf eine Antwort zu warten, schritt Regina aus dem Mausoleum und dieses Mal wollten ihre Beine nicht versagen. Dieses Mal brachte sie sie energischer in die gewünschte Richtung.

Angewurzelt blieb Emma am Eingang stehen und starrte ihrer Liebe nach, die sie nie vergessen konnte. Lange hatte Regina sie nicht zappeln lassen und das alleine bedeutete Emma sehr viel, denn wenn sie ehrlich mit sich war, dann hatte sie mit weitaus mehr Widerstand gerechnet, aber vielleicht lag es an den Umständen.
 


 

♛ Drei Jahre zuvor ♛
 

Emma hatte eine Entscheidung getroffen, die ihr das Herz zerbrach. Nun stand ihnen Warten bevor; ein grausames Warten darauf, dass sein Körper nach und nach an Leben verlor. Hätte es einen Hauch an Chancen gegeben, die Henry eine Besserung einbrachten, so hätte sie anders entschieden. Da dem nicht so war, da konnte sie ihn schlecht Wochen über an Geräte anschließen, nur um ihn länger bei sich zu haben. Schmerzlos oder nicht, aber wie konnte sie Henry solch ein Dasein schenken? Maschinen würden die Arbeit übernehmen, der Körper voller Medikament, und nie würde er noch einmal seine Augen öffnen. So sollte es nicht enden.
 

»Ich habe ihn belogen«, begann Emma und neuerliche Tränen bahnten sich ihren Weg, »sein Vater – Neal – er ist nicht gestorben. Die Geschichte habe ich erfunden.« Schwer schluckte sie den unangenehmen Kloß hinunter. Ihre Augen suchten Reginas.

»Erinnerst du dich noch an unsere anfänglichen Diskussionen, die wir aufgrund meiner Inhaftierung geführt haben? Wegen dem Aufenthalt hast du mir eine Menge Steine in den Weg gelegt.« Wie sehr sie sich deshalb in den Haaren hatten. Ein Sheriff mit Vorstrafenregister. Eine Schande, aber hatte Emma sich durchaus bewiesen. Niemand zweifelte mehr an ihrer Position.

»Neal und ich ... Er war älter, hatte Charme … zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich aufgehoben, aber waren wir beide keine Unschuldslämmer. Vor unserem Kennenlernen hatte er Uhren gestohlen und an einem sicheren Ort aufbewahrt. Ich sollte ihm helfen und ich tat es. Ich holte die Beute. Am abgemachten Treffpunkt jedoch, da wartete nicht Neal auf mich sondern die Polizei. Ich saß die Zeit nicht wegen meiner Diebstähle ab, die sich im Rahmen hielten – ich war jung und auf mich alleine gestellt, saß auf der Straße. Irgendwie musste ich überleben. Nein, ich saß wegen seinem Diebstahl und dem Versprechen, wir würde uns mit diesem Geld ein neues Leben aufbauen. Im Gefängnis … nun ja, ich war schwanger. Ein einziges Mal hatte sich Neal gemeldet … gemeldet.« Bei diesem Wort musste Emma traurig lachen. »Darin lag der Schlüssel für den Käfer; nur der Schlüssel, keine Nachricht. Nie wieder habe ich von ihm gehört. Ich stand kurz davor Henry zur Adoption frei zu geben, aber brachte ich diesen Schritt nicht übers Herz.«
 

»Neal hat nie erfahren, dass er ein Kind hat«, stellte Regina betrübt fest. Zum ersten Mal hörte sie die Geschichte. Emma hatte ihr zwar erzählt, dass sie nach all den Enttäuschungen, die sie mit den Pflegefamilien erlebte, sich freiwillig auf der Straße durchschlug. Henrys Vater jedoch, den hatte sie ihr gegenüber genauso vermieden, wie sie es mit Henry tat.
 

»Nein.«
 

»Warum hast du gelogen? Henry hätte die Wahrheit verstanden.«
 

»Ich schätze, ich wollte mich schützen«, gestand Emma und beugte sich über ihren Sohn, »Es tut mir leid, Henry.« Das Geständnis änderte nichts an den Umständen und Emma hatte fest damit gerechnet, dieses kleine Geheimnis nie auszusprechen. Warum sie es jedoch ausgerechnet am Sterbebett sagen musste, war ihr schleierhaft. Wo sie nicht sagen konnte, ob Henry sie überhaupt hörte.

»Manchmal frage ich mich … hätte ich Neal aufspüren sollen? Ich habe ihn nie zurück gewollt und sein Verrat hat mir eine weitere Lehre erteilt, aber …«
 

»Er hätte entscheiden können, ob er wenigstens für sein Kind da ist oder nicht.«

♛ I have to face my demons ♛


 

III

I have to face my demons


 

Emma Swan hatte eine Weile unschlüssig in ihrem Wagen gesessen, der direkt vor Granny’s Dinner parkte. Der Hunger hatte sie eingeholt, obwohl sie das Gefühl hatte, das sie nichts hinunter bekommen würde und zudem brauchte sie einen Platz zum Schlafen; die letzte Nacht hatte sie mehr oder minder im Käfer dahin gedöst und ihr Körper schrie dieses Mal nach einem ordentlichen Bett, in dem er sich von den Strapazen der Tage erholen konnte. Und doch hatte sie das Betreten des Dinners hinaus gezögert. Kein Wunder. In den Jahren, die Emma in Storybrook gelebt hatte, war ihr Ruby eine gute Freundin gewesen und auch diese hatte sie einfach hinter sich gelassen. Nicht nur Regina hatte sie sang- und klanglos verlassen; Emma hatte sich von niemanden verabschiedet, geschweige sich irgendwann gemeldet.
 

Den Mut fassend trat Emma schließlich ein. Das Glöckchen, das oben befestigt war, hallte in ihren Ohren. Sofort schweifte ihr Blick durch den Raum, suchte nach etwaigen bekannten Gesichtern. Dabei erkannte Emma rasch, dass das Dinner aussah wie immer; nichts hatte sich in ihrer Abwesenheit verändert.

Am Thekenbereich erblickte Emma den einzigen Gast; eine Frau mit langen braunen Haaren, die sie nicht kannte. Welch Glück! An einem verregneten Abend, auch noch unter der Woche, war weiterhin weniger los. Das spielte Emma in die Karten.
 

»Wir schließen bald« Die Unbekannte betrachtete Emma von der Seite aus; lächelte freundlich.

Wissend nickte Emma, aber bevor sie antworten konnte, trat Ruby Lucas aus dem hinteren Bereich des Dinners und blieb sichtlich geschockt stehen.
 

»Oh mein Gott! Emma!«, stieß Ruby heißer aus. Konnte das sein? Emma Swan hier im Dinner? Der erste Schock verflog rascher als erwartet und Ruby trat aus dem Thekenbereich hervor, marschierte schnurstracks auf die Blonde zu und nahm sie stürmisch in die Arme.

»Du bist wohlauf!«, sprach sie erleichtert und erdrückte Emma überschwänglich. Auch sie hatte sich große Sorgen gemacht und oft hatte sie an ihre Freundin gedacht. Niemand hatte etwas herausgefunden; niemand hatte sagen können, ob es Emma gut ging und wo sie sich ungefähr aufhielt und nun war sie da.
 

»Luft!«, grinste der ehemalige Sheriff und doch erwiderte sie die unerwartete Begrüßung. Es tat gut, auch wenn Emma wusste, dass das lediglich die erste Reaktion war und Vorwürfe sicherlich nicht unter den Teppich gekehrt werden würden, aber war ihr das egal. Sie selbst hatte die Entscheidung getroffen und stellte sich den inneren Dämonen.
 

»Warum bist du getürmt? Wo warst du? Was hast du getrieben?«, fragte Ruby drauf los und ließ von der Blonden ab, die ihr entschuldigend entgegen lächelte.

»Hast du Hunger? Und du suchst vermutlich ein Zimmer.« Bestimmend packte sie Emmas Handgelenk und zog sie zum Tresen, wo sie sie regelrecht auf einen der Hocker schubste.

»Mary Margaret und David werden Augen machen! Und erst Regina … ugh … sie wird dir den Kopf abreißen!«
 

»Du bist also die berühmte Emma Swan«, mischte die Brünette mit, die Emma nun deutlich neugieriger unter die Lupe nahm.
 

»Darf ich vorstellen, Dorothy Gale, meine … Freundin«, löste Ruby auf, als sie den fragenden Blick erkannte, der auf Emmas Gesicht lag.
 

»Angenehm«, lächelte Dorothy.

Emma hingegen blinzelte verdutzt. Ruby hatte eine Freundin? Wenn das mal keine Neuigkeit war, denn ihrem letzten Wissensstand nach fühlte sich Ruby von Männern angezogen. Emma hatte selbst mitbekommen, auch die kurzweilige Affäre mit Dr. Whale.
 

»Hier hat sich doch etwas verändert«, sprach Emma unverblümt ihren Gedanken aus.

Ruby blickte zu dieser und ein leichter Rotschimmer bildete sich auf ihren Wangen.
 

»Hättest du alles mitbekommen, wärest du nicht getürmt«, säuselte Ruby und da kam der erste Vorwurf durch.
 

»Es tut mir leid, Ruby, ich …«
 

»Belassen wir es dabei – für heute! Du siehst beschissen aus, da bin ich mal gnädig.« Sie war nicht auf Streit aus, nicht in diesem Moment, denn in diesem überdeckte die Erleichterung über das Wohlauf ihrer Freundin jegliche Wut und Enttäuschung. Alles andere hatte Zeit, sofern Emma nicht binnen Stunden erneut ihre Sachen packte.
 

»Danke, zum Glück habe ich dich angetroffen und nicht Granny!« Sie hätte Emma direkt den Kopf gewaschen, ohne Rücksicht. Das lag in der Natur der alten Dame, doch vielleicht hätte es ihr sogar gut getan.

Ruby blickte zur Seite, Dorothys Hand umfasste ihre; der Daumen zog sanfte Kreise am Handrücken.

»Was ist?«, fragte Emma vorsichtig nach.
 

»Granny starb vor fünf Monaten« antwortete Dorothy und sah mitfühlend zu ihrer Freundin empor.

Emmas Schultern sackten in die Tiefe, das Herz machte einen Sprung. Granny war tot? Die unverwüstliche Frau, vor der jeder Respekt gezollt hatte? Die nichts und niemand in die Knie zwang?

»Ruby, ich …« Emma fehlten die Worte. Was sollte sie sagen? Lange hatte sie sich auf ihren eigenen Verlust ausgeredet; war ziellos durchs Land gefahren; immer an ihrem eigenen Schmerz erinnert und da kam der Tiefschlag, die bittere Erkenntnis. Die Welt der anderen, jener die sie zurückgelassen hatte, hatte sich ebenfalls weiter gedreht, stetig verändert. Ruby hatte ihr während Henrys Krankheit zur Seite gestanden und sie? Emma hatte nie einen Blick zurückgeworfen; vielmehr hatte sie damit gerechnet, dass sie in Storybrook alles auf dieselbe Weise vorfinden würde, aber wie sie sich geirrt hatte.
 


 

Zweieinhalb Jahre zuvor
 

»Hoppers Angebot … ich finde, wir sollten es annehmen. Oder du gehst alleine«, durchbrach Regina Mills die erdrückende Stille. Auf eine Reaktion wartend nahm sie einen Bissen zu sich. Irgendwann mussten sie eine Therapie in Betracht ziehen, denn auf Dauer konnten sie so nicht weiter machen.
 

Die Monate zogen dahin, aber die Wunden blieben offen. Ihr Leben hatte sich verändert; Emma Swan hatte sich verändert. Den Menschen, den sie kennen und lieben gelernt hatte, den suchte sie seither. Natürlich spürte sie selbst den tiefen Einschnitt, den Henrys Tod hinterlassen hatte, aber um sich machte sich Regina weniger Sorgen; diese galten einzig und allein Emma, die sich mehr und mehr verlor.
 

»Wenn du meinst«, nuschelte die Blonde und stocherte lustlos in ihrem Rührei. Archibald Hopper hatte ihnen schon mehrmals zu einer Therapie bei ihm geraten und bislang hatte Emma dankend abgelehnt. Was brachten ihr diese Sitzungen, in denen sie alle nochmals durchlebte? Was brachten ihr seine etwaigen Ratschläge? Ein halbes Jahr bereits durchlebte sie diesen nicht enden wollenden Albtraum und sie fühlte den Schmerz als war es gestern erst geschehen. Reden brachte ihr keine Linderung, aber an diesem Morgen fehlte ihr die notwendige Kraft, sich dagegen zu stemmen. Ein klares Nein auszusprechen.

»Ich muss los, wir sehen uns heut Abend«, flüchtete Emma aus der Situation. Eigentlich hatte sie noch Zeit, doch musste sie raus und fort von hier.
 

Regina legte die Gabel auf den Teller, der Appetit war ihr gänzlich vergangen. Ihre Ellbogen stützten sich am Tisch ab; das Gesicht verbarg sie in den Handflächen. Allmählich verließ auch sie die Kraft. Pure Verzweiflung nahm sie in Beschlag. Was konnte sie denn noch alles tun? Von Tag zu Tag blockierte Emma ein Stück mehr und Regina hatte keinen blassen Schimmer was sie dagegen tun konnte.
 


 


 

Emma Swans Rückkehr hatte große Wellen geschlagen und wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht verbreitet. Die Kleinstadt blieb sich treu. Nichts blieb ungesehen.

Am Vorabend hatte sie sich noch länger mit Ruby unterhalten. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass sie sowohl das Dinner als auch die Pension nun gemeinsam mit Dorothy führte. Diese war kurz nach Emmas Verschwinden in die Stadt gekommen und seit gut zwei Jahren waren die beiden ein Paar. Ruby hatte regelrecht geschwärmt. Die Schuldgefühle wuchsen stetig an, erst recht als auch noch die Nolans ins Gespräch kamen. David und Mary Margaret hatten einen Sohn – Neal. Gott, wie waren die beiden ausgerechnet auf diesen Namen gekommen?
 

In der Früh saß Emma wieder am gewohnten Platz, trank gerade einen Kakao; diese Angewohnheit hatte sich nie geändert und überflog halbherzig die Zeitungsberichte. Die verstohlenen Blicke der anderen Gäste ignorierte sie gekonnt. Manch einer hatte sie begrüßt, aber auf eine längere Plauderei, auf die hatte sie sich nicht eingelassen. Emma strahlte aus, dass sie nicht behelligt werden wollte. Nur eine Person ließ sich nicht davon abhalten.
 

»Du bist es wirklich«, hörte die Blonde, »Wann hast du vorgehabt dich zu melden?« Eine Stimme, die ihr mehr als bekannt war, die ihr in der Vergangenheit mehr als einmal helfend zur Seite stand. Vorsichtig lugte Emma zur Seite. Mary Margaret stand vor ihr.
 

»Heute noch«, sprach sie wahrheitsgetreu. Bis zum Abend hin, wo sie sich mit Regina auseinander setzen musste, hatte sie vorgehabt sich weiteren Dämonen zu stellen. Ein bittersüßes Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Ich hab von Neal gehört. Ist er bei David?«
 

»Nein, Ashley passt auf ihn auf … Regina ist Patentante geworden, du warst ja fort.« Ihrem Unmut hatte Mary Margaret schon immer freien Lauf gelassen. Obwohl auch sie froh darüber war Emma gesund und munter zu sehen, konnte sie die Enttäuschung nicht einfach über Bord werfen.

»Kommst du mit an einem der Tische?«

Ohne Gegenwehr folgte Emma, der Ton den die andere an den Tag legte, der lud nicht ein sich dagegen zu stemmen. Oft genug hatte Emma das Gefühl gehabt, Mary Margaret würde manchmal wie eine Mutter mit ihr reden. Und genauso oft hatte sie sich wie ein Kind gefühlt, das bei etwas Verbotenem erwischt worden war. Dennoch schätzte sie ihre Freundin sehr, denn diesen Ton hatte sie oft genug bitter nötig gehabt.
 

»David hat versucht dich aufzuspüren, aber du hast dich wirklich in Luft aufgelöst«, begann Mary Margaret nachdem sich gesetzt hatte und die Karte ergriff, »Du hast uns bravourös aus deinem Leben verbannt. Was hast du dir dabei gedacht?«
 

»Du kennst mich, ich habe eine impulsive Ader«, versuchte es Emma anfangs auf die lockere Tour, aber der Blick, den sie sich dadurch einheimste, ließ das sachte Grinsen verschwinden.

»Ich habe es nicht länger ausgehalten. Ich brauchte Luft zum Atem. Versteh mich bitte …«
 

»Emma, du hättest uns nicht so abspeisen dürfen! Wir alle mochten Henry und natürlich war sein Verlust für dich noch schlimmer, aber du bist ohne Abschied verschwunden. Für zweieinhalb Jahre! Hast du eine Vorstellung, wie viele Sorgen wir uns gemacht haben?«
 

»Nicht zu diesem Zeitpunkt«, gestand die Blonde tief atmend. Als sie den Entschluss getroffen hatte, da hatte sie an niemanden gedacht, nur an sich selbst. So wie sie es vor Henrys Geburt stets getan hatte. Damals hatte sie ohne Gedanken die Zelte abgebrochen, war einfach weitergereist wohin sie der Weg und das Geld auch immer brachten.

»Ich wollte vergessen.«
 


 

Zweieinhalb Jahre zuvor
 

Gelangweilt saß Emma in ihrem Büro; der Vormittag wollte einfach nicht vergehen und unliebsame Gedanken machten sich breit. Darunter der klägliche Wortwechsel mit ihrer Frau, den sie lieber schleunigst aus ihrem Gedächtnis streichen wollte.

Arbeit konnte normalerweise ablenken, aber nicht an diesem Tag, nicht in Storybrook. Nichts geschah, alles war ruhig und so hatte Emma tatsächlich nichts zu tun und das missfiel ihr.

Vielleicht, so dachte sich Emma, würde ihr eine kleine Rundfahrt gut tun. Einfach in den Wagen, ein paar Runden drehen. Die Chance bestand, dass sie dadurch die nötige Ablenkung fand. Was sollte sie sonst tun? Weiterhin Däumchen drehen? Kopfschüttelnd griff sie nach dem Schlüssel, aber nach dem für ihren Käfer. Selten fuhr sie mit dem Streifenwagen, sie mochte ihn nicht besonders.
 

»Emma, tut mir leid für die Verspätung!«, rief David plötzlich. Er hatte bereits angekündigt gehabt, dass er dieses Mal später kommen würde. Mary Margaret hatte einen Arzttermin zu dem er sie begleitete. Eigentlich hätte sie ihn anrufen und sagen können, dass er sich Zeit lassen konnte oder gar nicht mehr auftauchen brauchte.

David strahlte über das ganze Gesicht. Heute war ein besonderer Tag, die ganze Welt wollte er umarmen. Überglücklich kam er auf Emma zu und setzte den Gedanken um, er umarmte sie stürmisch.

»Mary Margaret ist schwanger!«, frohlockte der Sheriff. Schon lange hatten sie darüber gesprochen und lange war dieser Wunsch nicht in Erfüllung gegangen.
 

»Gratuliere, ich freu mich für euch.« Emma erwiderte seine feste Umarmung, aber musste sie sich um ihren Gesichtsausdruck bemühen, für den Moment, wenn er sie wieder los ließ.

»Geh nach Hause, David. Genießt den Tag.«
 

»Bist du dir sicher?« Er löste den Griff und starrte Emma verblüfft an.
 

»Sicher, heute ist tote Hose und bevor wir beide unnötig versauern, kannst du gerne freinehmen.« Für sie war es kein Problem. Schließlich drehte sie erstmal eine kleine Runde und dann würde sie bestimmt eine andere Ablenkung finden, irgendetwas, das sie davon abhielt nach Hause zu fahren.

Und, so sehr sie sich für dieses Gefühl auch verachtete, sie hatte kein Interesse den restlichen Tag von seiner Freude zu hören, endlich Vater zu werden. War es tatsächlich so weit gekommen?
 

»Heute müsst ihr erst recht zum Essen kommen!«

Stimmt, dachte sich Emma, da war etwas. Verdammt, mit der Arbeit konnte sie sich nicht aus der Affäre ziehen.
 

»Sicher, bis später dann.«
 

Aus ihrem Vorhaben war tatsächlich eine dürftige Runde geworden und ausgerechnet dort, wo sie nicht hin wollte, parkte sie den Wagen. Direkt in der eigenen Auffahrt.

Zu ihrem Glück hatte Regina eine andere Arbeitsmoral und verließ selten früher als angemessen das Büro. Selbst wenn das Wochenende vor der Türe stand und sie ihre Arbeit erledigt hatte. Emma hatte die Villa für sich alleine und sie war glücklich darüber. Nur so erhielt sie vollkommene Ruhe, denn war Regina zugegen, hatte sie stets das Gefühl auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Natürlich bildete Emma sich solch eine Überwachung ein, aber Reginas Anwesenheit löste diese Empfindung eben aus, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte.

Einst hatte es Emma anders gesehen. Das Wissen, das Regina in der Nähe war und trennte sie auch ein das Stockwerk, gab ihr stets ein Glücksgefühl.
 

Das hatte sich drastisch gewandelt, aber lag diese Veränderung nicht an ihrer Frau, auch wenn sie es Regina spüren ließ. Manchmal führte sie sich wie ein Scheusal auf; ließ ihre Trauer an der anderen aus und Emma bewunderte Regina dafür, dass sie sie nicht längst vor die Tür gesetzt hatte. Nein, stattdessen tat sie weiter, was sie seit Monaten tat. Emma fühlte sich schlecht deswegen, denn so verletzte sie ihre Frau und jegliche Versuche, sich nicht vollkommen den Gefühlen hinzugeben und nach vorne zu blicken, lösten sich in Luft auf.

♛ I'm here to stay ♛


 

IV

I'm here to stay


 

Tief durchatmend sank Emma Swan auf die Bettkante; eine bleierne Müdigkeit nagte an ihr, doch stand der schwierigste Akt des Tages erst bevor und für diesen musste sie all ihre Energie und Konzentration aufbringen, die sie zur Verfügung hatte. Eines wusste der ehemalige Sherriff. In dieser Nacht würde sie nicht kämpfen müssen um einzuschlafen, das würde ihr Körper für sie tun, dagegen konnte selbst ihr Verstand nichts tun, egal mit welchem Ausgang sie auch zurückkehrte.
 

Eine Weile noch hatte sie mit Mary Margaret im Dinner gesessen und geredet; anschließend hatte sie ihre Freundin begleitet und hatte Neal Nolan zum ersten Mal gesehen. Der Junge brachte jedes Herz zum Schmelzen, er war definitiv das Kind der beiden; man konnte sagen, er war das Produkt wahrer Liebe. Neal hatte ihr Familienglück auf die höchste Stufe gesetzt.

Irgendwann war dann David höchstpersönlich aufgetaucht und welch eine Standpauke hatte er ihr gehalten! Nicht solch eine die sie von einem Freund erwartete, nein, er hatte sich vielmehr wie ein erboster Vater angehört, der sich jahrelange Sorge von der Seele redete. Emma war klein geworden, hatte ihn nie unterbrochen und dann, als er nichts mehr zu sagen hatte, hatte er sie in die Arme geschlossen.

Keine weiteren Vorwürfe folgten; die Nolans waren keine Menschen, die lange nachtragend waren, aber spürte Emma, dass das Thema auch bei ihnen nicht vollkommen vom Tisch war. Wie bei Ruby gab es ihr das Gefühl, dass sie sich für den Moment stumm einigten, dass die Erleichterung vorerst genügte und sich freuend aufspielen durfte. So etwas schaffte man nicht binnen Stunden aus der Welt, es brauchte Zeit und in der kommenden Zeit würde sie noch öfter den einen oder anderen Kommentar anhören dürfen. Komischer Weise störte Emma der Gedanke nicht, denn sie spürte einen Hauch Dankbarkeit.
 

Nun saß Emma also da, vorn übergebeugt und die Finger ineinander verstrickt. Schnell war sie von den Nolans hierher gefahren, hatte sich geduscht, umgezogen und dezent herausgeputzt. Nervosität kroch aus dem Schatten empor, die sie den gesamten Tag über tief in ihr Innerstes verbannt hatte. Ablenkung half und die Zeit bei ihnen hatte ihr mehr Ablenkung beschert als anfangs angenommen. Nun jedoch rückte der vereinbarte Zeitpunkt näher und Emma brachte dieses Gefühl nicht länger unter Kontrolle, zum Schweigen; es machte sich selbstständig und es machte sie verrückt.
 


 

Zweieinhalb Jahre zuvor
 

Regina Mills brodelte vor Wut. Weiß stachen die Knöchel ihrer Finger hervor, die sich ums Lenkrad klammerten. Immer wieder murmelte sie Brocken aus Unverständnis. Was hatte sich ihre Frau hierbei bloß gedacht? Das Abendessen bei den Nolans war lange ausgemacht gewesen und zudem hatten sie endlich die frohe Botschaft erhalten ein Kind zu erwarten. Längst hatten die beiden mit dem Gedanken gespielt, es aufzugeben und einzusehen, dass sie wohl nie Eltern werden würden, nicht auf natürliche Weise. Wie konnte Emma ihnen den freudigen Tag mit ihrem Nichterscheinen überschatten, ihnen die Freude trüben?
 

Einiges hatte sie Emma in den letzten Monaten durchgehen lassen; hatte oftmals ihren Argwohn hinunter geschluckt. Den eigenen Schmerz hatte Regina zur Seite geschoben, ihn lediglich ans Licht gelassen, wenn Emma nicht in der Nähe war. Selbst den Wutanfall, in dem sie Regina vorhielt, sie hätte keine Ahnung, wie es war ein Kind zu verlieren, denn Henry war ihres und nicht Reginas gewesen, hatte die Bürgermeisterin durchgehen lassen.

Manchmal hatte es die größte Selbstüberwindung gefordert, sich nicht auf dieselbe Stufe zu stellen und wutentbrannt durchs Haus zu brüllen. Regina hatte ihre Frau nie zu einer Besserung gezwungen und mittlerweile glaubte sie fest, dass das gar ein großer Fehler war. Dieser Abend jedoch, dieses Fehlverhalten brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Der eigene Schmerz war jedermanns recht, aber sollte dieser nicht andere Menschen verletzten, erst recht nicht jene, die stets zur Seite standen. Dieses Mal würde Regina nicht ruhig bleiben, Emma würde sich Vorwürfe anhören müssen, ob sie es nun wollte oder nicht. Eine Entschuldigung bei den Nolans war das Mindeste, das sich Regina erwartete.

Denn nicht nur, dass sich Emma nicht hatte blicken lassen, nein, sie hatte bislang auf keinen der Anrufe oder auf ihre Nachrichten reagiert. Um ihrer Frau auf den Zahn zu fühlen, hatte sie Abstecher zur Station, dem Dinner und anderen Orten gemacht, an denen sich diese gerne aufhielt. Nirgends hatte sie den gelben Käfer, dem sie schon so viele negative Namen gegeben hatte, aufgespürt. Am Ende blieb das gemeinsame Heim.
 

Auch hier fehlte vom Käfer jegliche Spur. Mürrisch schnaufte die Bürgermeisterin, stellte den Wagen ab und griff sogleich nach ihrer Tasche. Wie erwartet gab es weiterhin weder einen Rückruf noch eine Nachricht seitens der Blonden.

Und plötzlich drang eine neue Gefühlsregung in den Vordergrund, gesellte sich zu ihrer Wut, die sich entrüstet dagegen stemmte. Regina spürte eine anwachsende Sorge. Emma wusste, wie sie Dampf ablassen konnte; manchmal zog sie sich zurück und verbrachte ein bisschen Zeit für sich alleine, aber mittlerweile fühlte es sich anders an. Aus irgendeinem Grund schrillte die erste Alarmglocke. Verdammt!, dachte sich Regina. Die Wut verblasste und mit einem Mal hatte die Sorge die Überhand zur Gänze übernommen.
 

»Swan!«, rief Regina kaum als sie die Türe grob aufschlug. Im Erdgeschoss war es dunkel. Eilig nahm sie eine Stufe nach der anderen.

»Emma?«, rief sie gar mehrmals den Namen ihrer Frau, aber auch in der oberen Etage fand sie bloß Dunkelheit und bedrückende Stille vor. Die Villa war leer. Selbst in Henrys Zimmer, das bisher unberührt geblieben war, hatte sie einen Blick gewagt.

»Wo steckst du?«, fragte sie in den leeren Gang und da kam der Punkt an dem die zweite Gefühlsregung, die sie vorerst nicht zu definieren wusste, mit einem Mal greifbarer wurde. Der Grund, warum sie die Sorge empfand, eine aufkeimende Angst. Regina kannte Emma Swan! Hoffend sich zu irren, stürmte Regina förmlich in das gemeinsame Schlafzimmer, riss die Kleiderschranktür auf, zog die Schubladen heraus. Nun hatte sie die Bedeutung, die sie wie eine gigantische Welle überrollte.

Ein krampfartiges Beben durchfuhr ihren Körper, unschlüssig und mit weichen Knien tapste Regina rückwärts bis sie an die Bettkante stieß. Ein weiteres Mal schien sie den Boden zu verlieren, spürte wie er in Windeseile unter ihr brach und ein dunkles Nichts zum Vorschein brachte. Regina sackte auf die Matratze und ein einziger Gedanken hüpfte wild auf und ab, forderte ihre gesamte Aufmerksamkeit: Emma war fort.
 


 


 

Emma schluckte hart als sie die Fassade hochblickte, denn in diesem einen, kleinen Augenblick fühlte sich die Bürgermeistervilla größer und bedrohlicher an, als jemals zuvor. Nicht einmal am Beginn ihrer durchwachsenen Beziehung, wo sie hier oft aneinander gerieten, hatte sie solch ein Unbehagen gefühlt.

Schlagartig überschwemmten sie die vielen Erinnerungen. Dieser Ort entblößte die schlimmste Seite Reginas; über zwei Jahre hatten sie sich gegenseitig das Leben schwer gemacht, aber dann … dann kamen die schönen Momente. Angefangen von den Verabredungen, über ihren Einzug bis sie sich hier tatsächlich als angekommen fühlte. Das pure Glück hatte ihr diese Villa beschert, doch am Ende zog es sie in die schlimmste Hölle, die sich Emma hatte vorstellen können.
 

Pünktlich auf die Sekunde als die Turmuhr schlug, klopfte Emma an die Türe. In der Vergangenheit hatte sie gerne mal die Minuten geritten, war dementsprechend zu spät gekommen; vollkommen anders als Regina, die penibel auf Vereinbarungen pochte, aber dieses Mal, da wollte sie die Gemüter nicht noch mehr erhitzen, sie wollte es richtig machen.
 

»Pünktlich, sehr zuvorkommen«, begrüßte Regina unterkühlt.

Emma hielt sich von einer schnippischen Bemerkung ab. Lieber betrachtete sie einen Tick zu lange die andere, die sich äußerlich kaum verändert hatte und doch wiederum so anders war. Etwas, das ihr bereits im Mausoleum aufgefallen war. Emma wusste sehr wohl, dass Regina ihren Blick bemerkte, ihn jedoch gekonnt ignorierte. Ohne Kommentar wandte sie sich um und Emma folgte einfach.

Bei ihrem ersten Umsehen fiel ihr nichts Neues ins Auge. Das Foyer war wie eh und je. Ein Mensch großer Veränderungen war Regina noch nie gewesen. Alles stand an seinem geordneten Platz.
 

»Was möchtest du? Kaffee? Tee oder lieber einen Wein?« Die Höflichkeit abzulegen, gehörte nicht zu ihren Stärken. Egal, wie sehr man auch verletzt oder auch wütend war, Manieren durften aus diesem Grund nicht gebrochen werden, das hatte ihre Erziehung ihr eingetrichtert.
 

»Apple Cider wäre mir lieber.«
 

»Ich muss dich wohl nicht herum führen«, entgegnete Regina lediglich, wenngleich Emma sich einbildete, sie hätte ein schwaches Zucken der Mundwinkel erhascht. Kurz blickte die Blonde hinterher. Regina machte einen müden Eindruck, wenngleich die Augen eine andere Sprache sprachen. Die gemeinsamen Jahre hatten Emma vieles gelehrt; ihr die Nuancen aufgezeigt, aus denen sie jederzeit herauslesen konnte, wie es ihrer Frau erging und Emma hatte nicht das Gefühl, dass sich das verändert und sie sich somit geirrt hatte. Die Spuren waren da. Egal, was sich Regina auch vorgenommen hatte, sie konnte nicht alles verbergen.
 

Während sich Regina um den Apple Cider kümmerte, ließ sich Emma wartend auf dem weißen Sofa nieder, das sich in der Mitte des Wohnzimmers befand. In diesem Raum fand sie die erste Veränderung. Das Bild, das sie zu dritt zeigte, war von der Wand verschwunden. Und obwohl sie sich dagegen wehrte, verspürte sie einen unangenehmen Stich.
 

»Nichts ist im Müll gelandet, solltest du daran denken«, unterbrach Regina den starren Blick der Blonden, der weiterhin auf die leere Wand gerichtet war. »Vor zwei Jahren habe ich angefangen nach und nach gewisse Erinnerungen fortzugeben. Es half … ein bisschen. Nebenan wirst du fündig.« Es war eine schwierige Zeit gewesen und Regina hatte die Hilfe von Mary Margaret und David sehr geschätzt. Alleine hätte sie sich nie und nimmer durch all das hindurch gekämpft. Denn das Entfernen von Erinnerungen war der erste Schritt gewesen, um die Chance auf eine Besserungen ihres seelischen Zustandes zu erhalten. Aber fand sie sich an manchen Tagen noch mittendrin in diesem Kampf und in schlaflosen Nächten durchforstete sie das was übrig war.

Regina stellte beide Gläser ab, nahm auf der gegenüberliegenden Seite Platz. Die Distanz wollte sie partout wahren; sie so groß wie möglich halten.
 

Minuten verstrichen und Emma nippte immer wieder an ihrem Drink. Ein erdrückendes Schweigen, das nichts mehr mit dem einstigen Wohlfühlfaktor zu vergleichen war. Mit großer Wahrscheinlichkeit lag es an ihr, dieses zu durchbrechen. Immerhin hatte Emma um ein Gespräch gebeten. Leider fand sie keinen passenden Anfang, egal wie oft sie die Situation auch durchspielte. Nichts passte.
 

»Ich bin zwei Jahre zu spät, aber ich möchte mich entschuldigen«, begann sie schlussendlich auf die einfachste Weise, die ihr in den Sinn kam, »ich habe euch allen … dir … großen Kummer bereitet. Es tut mir leid, Regina, ich hab mich überfordert gefühlt und bin in mein altbewährtes Muster zurückgefallen.«
 

»Ein halbes Jahr habe ich gewartet, gehofft. Ich weiß von deiner Neigung zu verschwinden, aber bei diesem Mal hast du dich wahrlich übertroffen. Sang- und klanglos deine Sachen packen und abhauen.« Missbilligend schüttelte Regina den Kopf. Solch ein Verhalten war … Regina konnte es nicht in Worte fassen, selbst in Gedanken nicht. »Du hast uns keine Nachricht hinterlassen, nichts«, hatte sie leise, gerade so hörbar hinzugefügt. Sie griff nach ihrem Glas. Hätte Emma ihr wenigstens eine Nachricht hinterlassen, vielleicht hätte sie besser damit umgehen können. Nein, es wäre verdammt nochmal so gewesen!

»Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe? Erst tauchst du nicht bei den Nolans auf, dann bist du unerreichbar und als Höhepunkt komme ich nach Hause und muss feststellen, dass deine halben Sachen fehlen.« Regina ließ den Kopf sinken, starrte in die Flüssigkeit und versuchte angestrengt die Fassung zu wahren.

»Du hast recht«, meinte sie äußerst gepresst, »du bist zu spät mit einer Entschuldigung.« Zu spät, was damals geschah konnte Emma nie gutmachen. Auf ewig würde sie an diesen Moment denken, der ihr den letzten Schlag verpasst hatte; der letzte und unnötige Tiefschlag. Lange hatte es gedauert sich davon zu erholen, nach vorne zu blicken. Um Himmelswillen!, dachte Regina, bis heute hatte sie den endgültigen Schlussstrich nicht gezogen, aber dieses Gespräch, es konnte den entscheidenden Ruck geben. Ein Grund, warum sie dem zugestimmt hatte. Dieses Gespräch konnte ihr endlich zum rettenden Abschluss verhelfen.
 

»Henrys Tod … er hat mich blind gemacht. Für mich hat diese Option nie existiert und es ist nicht besser geworden. Das halbe Jahr hat mir den Schmerz weder gelindert noch genommen. Ich habe in meiner Welt gehaust, uns ruiniert und dann … Gott, wie glücklich David auf mich zu kam und von der Schwangerschaft berichtete! Es war unfair von mir, aber ich ertrug es nicht. Ich bin nach Hause und hab bereits nach einer Ausrede gesucht, warum ich nicht zum Essen gekommen bin. Mittendrin habe ich gemerkt, dass ich meine Sachen packe.«
 

»Weil nur du ein Kind verloren hast«, drang die Bitterkeit aus Regina hervor. Eine Bitterkeit, die selbst der Drink, von dem sie einen Schluck nahm, nicht fortzuspülen vermochte. Für sie war Henry nicht einfach adoptiert und lebte bei ihr; sie liebte ihn wie einen Teil von ihr. Blutverwandtschaft war nicht alles und jedes Mal, wenn ihr Emma das vorhielt, getrieben vom eigenen Schmerz, hatte es eine klaffende Wunde in Regina hinterlassen.
 

»Es tut mir Leid, Regina, mir ist klar geworden, welchen Schaden ich angerichtet habe.«
 

»Schön für dich, also denkt Miss Swan könne zurückkehren und mit einem Male ist alles vergeben und vergessen? M-hm? Möchtest du dein schlechtes Gewissen lindern? Ich kann mir vorstellen, wie du andere bereits um den Finger gewickelt hast. ›Arme Swan, sie hat ein Kind verloren, natürlich darf sie tun und lassen was auch immer sie möchte!‹ Von mir wirst du diese Worte nicht hören.«
 

»Regina …«
 

»Nein! Du hörst mir zu!«, unterband die Bürgermeisterin, »Henry war auch mein Sohn! Von dem Tag an dem er in mein Leben getreten ist, war ich für ihn da. Selbst bevor wir ein Paar wurden, noch während wir uns gegenseitig angifteten. Ich tat alles was in meiner Macht stand, bis zum Ende war ich an seiner Seite! Nimm ihn nicht als eine billige Ausrede, die deine naive Tat rechtfertigt!« Wut übermahnte Regina, brachte ihr Blut zum Wallen. Das Glas wurde am Tisch abgestellt und sie stand auf. Das Sitzen machte sie noch unruhiger.

»Ich habe ihm ein Versprechen gegeben, kannst du dir vorstellen wie ich mich die letzten Jahre gefühlt habe? Mit dem Wissen es nicht eingehalten zu haben?!«, wurde die Bürgermeisterin nun lauter, wandelte unschlüssig durch den Raum.

»Er wusste, dass deine Welt ineinander brechen würde und ich habe ihm dieses dumme Versprechen abgenommen! Aber du hast es nicht zu gelassen, weil du denkst, du müsstest alles alleine durchstehen! Sein Tod hat nicht nur dich verändert!« Die ersten Tränen verschleierten ihre Sicht und Regina biss sich auf die Unterlippe.
 


 

Drei Jahre zuvor
 

»Mom?«

Reginas Kopf schnellte in die Höhe. Sogleich legte sie den Stift beiseite, die Arbeit wurde irrelevant.

Der Alltag im Swan-Mills-Haushalt hatte sich in den vergangenen Wochen verändert, besonders mit dem Voranschreiten der Krankheit. Sowohl Emma als auch Regina hatten mehrere Gespräche darüber geführt, wie sie in Zukunft die Umstellung handhabten.

Archibald Hopper war es, der ihnen versicherte, dass es das Klügste war, wenn sie ihre Arbeitszeiten aufteilten. Denn am Ende brauchten sie beiden einen Abstand, einen Weg, bei dem beide aus dem Haus und auf andere Gedanken kamen. Dementsprechend hatten sie tatsächlich eine Einigung erzielt. Eine von ihnen war stets zu Hause und kümmerte sich um Henry. Für Regina war es deutlich einfacher ihre Arbeit vermehrt außerhalb des Büros zu erledigen; und bei den Sitzungen, die auch nach dem Sherriff verlangten, übernahm David Emmas Stellvertretung. Bislang funktionierte ihre Aufteilung und Regina stellte fest, dass auch ihr diese wenigen Stunden der Normalität manchmal halfen.
 

»Alles in Ordnung bei dir?« Besorgnis spiegelte sich in ihrer Stimme wider als sie das Zimmer ihres Sohnes betrat. Matt lächelte er ihr entgegen. Henry war müde, aber das Lächeln kam ihm selten abhanden.
 

»Ich möchte mit dir reden.«

Ein Kloß suchte ihre Aufmerksamkeit, machte das Schlucken beinah unmöglich. Henry war stets ein zierlicher Junge gewesen, aber mittlerweile sah er noch mehr danach aus; aber nicht seine körperliche Verfassung löste ein erschauderndes Gefühl in Regina aus, es war die Ernsthaftigkeit, die in seiner Stimme mitschwang. Klopfend deutete er auf den freien Platz neben sich und Regina bemerkte wie sie einen Moment die Luft anhielt. Ein Teil in ihr, obwohl sie noch nicht direkt wusste, worüber ihr Sohn sprechen wollte, wehrte sich gegen eine Unterhaltung. Mit einem wild schlagenden Herzen kam sie seiner Aufforderung nach.

»Ich habe nicht aufgegeben, aber Mom? Wir wissen beide, dass das Leben kein Märchen ist und nicht an jeder Ecke ein Happy End lauert und unsere Wünsche somit in Erfüllung gehen«, lauschte Regina und spürte die schmerzhafte Anspannung, die ihren Körper übermahnte. Henry sah sie nicht an, er lehnte sich gegen sie, schlang die Arme um ihren Bauch. Regina war sprachlos – natürlich hatten sie und Emma mehr als einmal versucht über diese Thematik zu sprechen, aber bislang ohne Erfolg. Meist war Emma diejenige gewesen, die sogleich blockierte. Und nun lenkte ausgerechnet Henry in jene Richtung.

»Vielleicht stehe ich es durch, aber ich kann auch sterben. Mom weicht mir aus und möchte nicht darüber reden … sie hat Angst und ehrlich gesagt … ich hab sie auch, nicht nur vor dem Tod, auch wegen Mom. Du bist anders, weil du mit schwierigen Situationen einfach anders umgehen kannst, aber Mom?«
 

» Ich bin von ihrem Abblocken alles andere als begeistert, aber eine Welt ohne dich ist für Emma eben unvorstellbar … auch für mich.«
 

»Ich weiß, tust du mir dennoch einen Gefallen?«
 

»Der wäre?«, fragte Regina nach einem längeren Schweigen und einem notwendigen Räuspern nach. So viele verschiedensten Bitten gingen ihr durch den Kopf.
 

»Sollte ich sterben, dann passt du auf Mom auf, okay? Lass nicht zu, dass sie etwas macht, das sie später bereut.«
 


 


 

»Niemand konnte mir zu dem Zeitpunkt helfen, Regina!«, verteidigte Emma ihre Handlung. Ein halbes Jahr hatte sie in der Stadt ausgehalten, bei all den bemitleidenden Blicken. Den ersten Impuls, der kurz nach seinem Tod aufkam, den hatte sie unterbunden. Dann den zweiten und den dritten, bis sie irgendwann keine Kraft mehr aufbringen konnte und einfach tat, wonach alles in ihr schrie.
 

»Nein, Swan! Du hast es nicht einmal in Erwägung gezogen! Statt über deine Gefühle zu reden, hast du dich verschanzt oder sie in Wut gegen uns gerichtet.«
 

»Und wie oft hast du geschwiegen? Du bist selbst nicht gerade das Paradebeispiel für einen offenen Menschen!«
 

»Ich habe aber niemanden im Stich gelassen!«, zischte die Bürgermeisterin von Emma abgewandt, atmete anschließend tief durch und sprach in einem kontrolliertem Ton weiter: »Die ersten Wochen habe ich auf dein Verschwinden gewartet, weißt du? Plötzlich ist ein halbes Jahr vergangen und bist noch hier gewesen und ich habe auf diese Option vergessen, bis du mich eiskalt erwischt hast.« Ein Frösteln überkam Regina und auf ihren freigelegten Unterarmen – die Ärmel des Hemdes hatte sie nach oben gekrempelt, erkannte sie wie sich die Gänsehaut ausbreitete.

»Warum bist du zurückgekehrt?«

Emma stellte das leergetrunkene Glas ab und sacht zuckten ihre Mundwinkel. Nicht der Freude wegen sondern vor Wehmut.
 

»Davonlaufen kann helfen. Die ersten Monate über hat es meinen Zustand verbessert, aber dann? Ich habe so viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Mir ist klar geworden, dass ich nicht so leben möchte. Manche Dämonen verschwinden nicht für ewig, sie tauchen unter und warten jedoch auf die nächstbeste Gelegenheit. Ich habe mein altes Leben vermisst, meine Freude … dich. Henry hat alles andere überschattet, denn bis wir hierhergekommen sind … da gab es nur Henry und mich. Wir haben uns eine eigene kleine Welt geschaffen. Nur er und ich. Nach seinem Tod habe ich das Wesentliche aus den Augen verloren … diese Welt hat sich in den Jahren, die wir hier verbracht haben, ausgedehnt. Ihn habe ich verloren und den Verlust werde ich nie vollkommen kompensieren können, aber ich hätte sehen müssen, dass ich eben nicht alles verloren habe.« In Storybrook hatte sich ihr Leben vollkommen gewandelt; Emma hatte sich niedergelassen, Menschen kennengelernt, die sie als Familie ansah. Henry und sie waren nicht mehr auf sich alleine gestellt.

»Ich euch nicht länger ignorieren.«
 

»Also geht es dir um dein eigenes Seelenheil und du möchtest dein schlechtes Gewissen reinigen«, gab Regina abwertend zu verstehen. Missbilligend schüttelte sie den Kopf.
 

»Das kann ich nicht leugnen, mein Gewissen möchte ich durchaus zum Stillschweigen bringen«, gestand Emma daraufhin und erhob sich seufzend, »aber sagt mir mein Gefühl, dass ich diese Auszeit von Storybrook durchaus gebraucht habe. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Bleiben geholfen hätte.«
 

»Und was genau erwartest du von deiner Rückkehr? Ist es überhaupt eine Rückkehr oder lediglich ein Abstecher?« Regina stand mittlerweile am Fenster; starrend konzentrierte sie sich auf die Gartenbeleuchtung, die winzigen Lichtpunkte, die in der Dunkelheit erkennbar waren. Fingernägel krallten sich in ihre Oberarme. Sie wusste nicht, was sie hiervon halten sollte.
 

»Ich bleibe, ich gehöre in diese Stadt. Direkt dort weitermachen, wo ich aufgehört habe, kann und will ich auch gar nicht, aber möchte ich nach vorne sehen und einen Neuanfang wagen. Ich habe hier viel verpasst und ich muss vieles wiedergut machen.«
 

»Hättest du mit mir darüber geredet, dann hätten wir mit weniger Verletzungen auseinander gehen können. Es wäre leichter gewesen, verstehst du mich?« Als Regina bemerkt hatte, dass sich Emma in Bewegung gesetzt und in angemessenen Abstand hinter sie gestellt hatte, drehte sie sich um, lehnte mit dem Gesäß gegen den Fenstersims.

»Ich bin überzeugt davon, dass du das Richtige tust indem du dich deiner Vergangenheit stellst.« Ein trauriges Lächeln huschte über ihre Lippen und für einen Moment suchte sie das Augenpaar der anderen. Flüchtig erinnerten sich Regina an all die Zeit, die sie miteinander hatten und auch an jene, die sie noch miteinander gehabt hätten, hätte sich das Schicksal nicht auf seine scheußlichste Weise an sie gerichtet.

»Von Anfang an möchte ich eines klarstellen. Meine Gefühle haben sich nicht in Luft aufgelöst und du kannst in dieser Stadt gerne einen Neustart wagen, aber bezieh mich nicht darin ein.« Die Liebe, die sie für Emma empfand, existierte weiter; nie hatte Regina aufgehört und egal, wie oft sie sich die Rückkehr der anderen auch gewünscht hatte, nun, wo es soweit war, spürte sie die ernüchternde Erkenntnis. Was geschehen war, konnte nicht rückgängig gemacht werden. Vertrauen war der Grundpfeiler eine jeder Beziehung und dieses hatte Emma vor zweieinhalb Jahren mit sich genommen. Regina kannte sich sehr wohl und wusste wie unmöglich es war, das Vertrauen erneut aufzubauen und bestimmt hatte sie nicht vor jedes Mal Angst zu empfinden, Emma konnte erneut ohne Vorwarnung aus ihrem Leben verschwinden.
 

»Wir können nie sagen, was uns die Zeit beschert.«

Sogleich schüttelte Regina erneut den Kopf.
 

»Weißt du, auch ich möchte einen Neuanfang. Frei von der Vergangenheit. Vielleicht habe ich deshalb nie nach vorne blicken können, eben weil du fort gewesen bist. Dich zu sehen, mit dir zu sprechen, ermöglicht mir mein Weiterziehen. Unsere gemeinsame Zeit und ein totes Kind, beides wird uns immer eine gewisse Verbindung verleihen, aber eine andere möchte ich endgültig lösen. Die Papiere habe ich heute aufsetzen lassen.«
 

»Regina …« Emma fehlten die Worte, obwohl sie mit solch einem Ausgang längst gerechnet hatte und wahrscheinlich war auch hier noch nicht das letzte Wort gesprochen; mit allem stand sie am Beginn einer langen Reisen. Dennoch, Regina war eine vollkommen andere Angelegenheit, eine die weitaus mehr als ein Gespräch benötigte. Und so sehr sie Regina auch verstand und ihre Entscheidung auch nachvollzog, wollte Emma nicht daran glauben. Ja, sie hatte die Beziehung zum Scheitern gebracht und viel zu lange hatte sie mit ihrer Rückkehr gebraucht, aber tief in ihrem Herzen glaubte sie nicht an dieses Auseinander.

Emma schloss ihre Augenlider, holte tief Luft.

»Ich unterschreibe, aber werde ich nicht aufgeben. Unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben. Davon bin ich überzeugt.«
 

»Wie ich dir bereits gesagt habe«, begann Regina mit belegter Stimme, »Miss Swan gedenkt zurückzukehren und pocht darauf, dass sie neuerlich bekommt, was sie sich wünscht.« Nur dieses Mal musste Regina eisern bleiben, an sich selbst denken; auch wenn Henry nie gewollt hatte, dass sich die Wege seiner Mütter trennten, aber was hatte er damals selbst gesagt: Das Leben war kein Märchen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
* Schneewittchen - Gebrüder Grimm Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von: abgemeldet
2017-02-19T10:44:40+00:00 19.02.2017 11:44
Omg... das erste Kapitel ist jetzt schon so mitreißend und traurig. Ich liebe die Swan-Mills Familie, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los mit Henry ist etwas passiert.... Was die Sache mit dem Weiterlesen nicht gerade besser macht.
Dennoch wunderbar geschrieben!
Ich bin schon gespannt wie es weiter geht.

LG L
Von:  Dark777
2016-10-12T18:44:51+00:00 12.10.2016 20:44
Ein bedrückendes Ende, das mich nicht weiter überrascht und sehr gut zur ganzen Story passt. Es ist gut, dass die Beiden sich einmal aussprechen konnten (obwohl noch längst nicht alles gesagt ist). So sehr ich Happy Ends liebe, so deplatziert wäre es hier gewesen. Ich muss Regina zustimmen, eine Beziehung wäre auch für mich nicht mehr denkbar. Das plötzliche verschwinden über Jahre hinweg ist ein zu großer Vertrauensbruch, als dass man dies jemals verzeihen könnte. Liebe ist eben nicht immer ausreichend, manchmal muss man auf den Kopf hören.

V(~_^)
Von:  Dark777
2016-09-21T18:36:52+00:00 21.09.2016 20:36
Die Chapter werden von Mal zu Mal bedrückender. Ich kann Emma und ihre Trauer verstehen, schließlich war Henry ihr leiblicher Sohn. Ich bin aber auch der Meinung, dass man angenommene Kinder genauso lieben kann wie sein eigenes, d. h. in meinen Augen erlebt Regina denselben Schmerz. Einerseits kann ich Emmas Flucht verstehen, andererseits war es die größte Dummheit die sie anstellen konnte. Sie hat ihre letzte Zuflucht geopfert, in der sie, wenn sie sich irgendwann etwas gefangen hätte, einen Rest Geborgenheit hätte erfahren können. Ich habe keine Ahnung welches Ende du für diese Geschichte vorsiehst. Werden sich die Zwei aussprechen und es erneut versuchen (eher unwahrscheinlich, das Vertrauen ist weg und beide haben sich verändert) oder läuft es auf einen endgültigen und äußerst deprimierenden Schlussstrich zu? Wie ich dich kenne ist letzteres wahrscheinlicher.....

V(~_^)
Von:  Dark777
2016-09-21T18:20:15+00:00 21.09.2016 20:20
Wie ich befürchtete, hat es Henry erwischt ._.
Der Tod des eigenen Sohnes ist nicht in Worte zu fassen, ich will mir gar nicht ausmalen wie schrecklich das (fiktiv oder nicht) für eine Mutter ist. Ich bin mir nicht sicher was schlimmer ist, wenn der Tod plötzlich kommt oder sich über Wochen oder gar Monate einschleicht. Zuerst waren sie eine glückliche kleine Familie und jetzt liegt alles in Scherben. Eine gute Geschichte, aber auch sehr traurig.

V(~_^)
Von:  Dark777
2016-09-21T18:04:57+00:00 21.09.2016 20:04
Da hat wohl wieder jemand seine schreibwütige Phase ;). Wieder eine spannende Geschichte, auch wenn ich lieber etwas darüber gelesen hätte wie sich die Beiden am Anfang zoffen und nach und nach „finden“. So hat es offensichtlich einen tragischen Hintergrund. Ich befürchte es hat Henry getroffen.... Eines lässt mich von dem Kapitel nicht mehr los: Wer zum Henker trinkt Kakao mit Zimt o_O?! Igitt >_<!

V(~_^)


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