Höllenfeuer von Feldteufel ================================================================================ Kapitel 24: Kapitel 24 ---------------------- Kapitel 24 „Geschätzte Kollegen“, begann Marcus Dominic seine Rede auf dem Petersplatz. Es waren ein Podest mit Mikrophon und eine kleine Bühne aufgebaut worden, um das neue Oberhaupt der Geheimen Abteilung und des dazugehörigen Rates von dem Rest der Masse abzuheben. Hinter seinem Rücken ragte der Obelisk gen Himmel, der sich heute zumindest teilweise freundlich präsentierte. Vor dem Redner hatten sich nahezu alle Priester und Nonnen des Vatikans und aus dem näheren Umkreis zusammen gesammelt, um der Ansprache lauschen zu können. Ethos befand sich ebenfalls unter ihnen. „Nach dem tragischen Tod von Monsignore Nikolas musste jemand gewählt werden, der die Aufgaben unseres tapferen, erfahrenen, vor allem aber freundlichen und fähigen Kollegen übernehmen würde. Monsignore Nikolas wird eine große Lücke hinterlassen. Ich persönlich fühle mich geehrt, dass ich mit ihm habe zusammen arbeiten dürfen. Sowohl die Kirche, als auch das private Umfeld von Monsignore Nikolas haben einen unvorstellbaren Verlust erleiden müssen. Umso wichtiger ist es, dass seine Nachfolge mit jemanden besetzt wird, dem ein ähnliches Vertrauen entgegengesetzt werden kann. Außerdem wird eine Person benötigt, die die Aufgaben ebenso gewissenhaft und mit einer fachlichen Expertise erledigen kann, wie es einst unserem geschätzten Kollegen zu eigen gewesen ist. Ich fühle mich äußerst geehrt, dass dabei die Wahl auf mich gefallen ist. An dieser Stelle möchte ich noch einmal besonders betonen, auch wenn es selbstverständlich sein sollte, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um ein ebenso gutes Oberhaupt zu werden und somit die entstandenen Lücken möglichst klein zu halten. Dies schließt auch mit ein, dass ich alles daran setzen werde, die Vorfälle, die sich in der letzten Zeit ereignet haben, aufzudecken und unsere geliebten Brüder und Schwestern, die bei dem letzten Angriff durch Dämonen gefallen sind, zu rächen. Ihrem Tod soll eine höhere Bedeutung beigemessen werden, als das bloße Ableben während der Verteidigung des Vatikans. Es ist eines der Anliegen, die mir am meisten am Herzen liegen und dementsprechend hart werde ich gegen diejenigen vorgehen, die sich uns und unserer Aufgabe, Gottes Wort und Gottes Gnade auf der Erde zu vertreten, in den Weg stellen. Seien es dabei Dämonen oder Menschen, die den rechten Pfad verlassen haben. Für Monsignore Nikolas kam dieses Versprechen leider zu spät. Doch das soll nicht bedeuten, dass ich deshalb untätig herumsitzen und abwarten werde, dass es den nächsten von uns trifft. Im Gegenteil. Um zu gewährleisten, dass wir bestmöglich arbeiten können, werde ich das eine oder andere ändern, zum Beispiel was die Modernisierung gewisser Abteilungen anbelangt. Es ist an der Zeit, mit dem Alten zu brechen und Neues für uns zu entdecken, wenn auch mit der Berücksichtigung, dass unsere Traditionen und Werte nicht gebrochen werden dürfen oder darunter zu leiden haben. Welche Neuerungen eingeführt werden und was ich aus den vergangen Amtszeiten meiner Vorgänger beibehalten werde, werde ich zu einem späteren Zeitpunkt näher erläutern. Nun gilt es erst einmal, die vorhandenen Probleme zu lösen und dafür zu sorgen, dass wir nachts wieder beruhigt schlafen können. Aus diesem Grund möchte ich Sie nicht weiter von Ihrer Arbeit abhalten. Ich bedanke mich noch einmal vielmals für das mir entgegengebrachte Vertrauen. Ich werde euch, liebe Brüder und Schwestern, nicht enttäuschen.“ Kaum hatte Dominic seine Rede beendet, begannen die ersten Priester mit den Händen zu klatschen. Immer mehr fielen in den Applaus mit ein, bis ein wahres Feuerwerk an Bekundungen daraus wurde. Ethos spürte geradezu, wie leidenschaftlich einige der Anwesenden die Rede aufgenommen hatten. Sie johlten und stießen Zurufe aus, in denen Marcus Dominic sich geradezu zu baden schien. Immerhin hatte Ethos ein wenig von der Bestätigung bekommen, die er sich erhofft hatte. Er hatte sich richtig entschieden. Die Leute schienen den Prälaten zu mögen, was es wesentlich einfacher machen würde, das Vertrauen der Priester und Nonnen zu gewinnen. Lief es innerhalb des Vatikans schleppend, übertrug sich dies irgendwann auch auf Ethos‘ Abteilung. Und Verzögerungen konnten sie sich nicht mehr leisten. Zumindest von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, hatte Ethos alles richtig gemacht. Zufrieden wand sich der Priester ab und wollte sich gerade seinen Weg durch die Menge bahnen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. „Pater Turino, dürfte ich Sie einen Augenblick sprechen?“ Ethos hatte bereits vermutet, dass Dominic ihn zum Gespräch bitten würde, doch dass es direkt nach seiner Einführungsrede war, damit hatte er weniger gerechnet. Er drehte sich wieder um und folgte Dominic, vorbei an dessen Pult in einen abgesperrten Bereich, in dem er nicht von den übrigen Priestern belagert werden würde. Jeder wollte anscheinend mit ihm reden, ihn zu seiner gelungen Rede und zu dem neuen Posten beglückwünschen, doch dafür hatte Dominic momentan keine Zeit. Nun wurde er von den Gardisten abgeschirmt, damit er sich in Ruhe mit Ethos unterhalten konnte. „Es dauert auch nicht lange“, sagte Dominic ruhig und entspannte sich etwas. „Bevor er starb, waren Sie von Nikolas zu einer wichtigen Mission abgestellt worden oder?“ „Das ist richtig. Aber, ohne Sie angreifen zu wollen, Sie jetzt in die Details einzuweihen, würde zu lange dauern.“ „Das ist auch nicht nötig. Ich habe mir über Nacht alles angesehen, ich bin bestens über die Umstände informiert. Es geht mir um etwas anderes. Sie jagen nach dem Verräter, nicht wahr?“ „Auch das ist korrekt“, antwortete Ethos und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun, ich möchte, dass Sie sich voll und ganz auf die Suche konzentrieren. Vorerst werde ich Ihnen keine neuen Aufträge erteilen. Was auch immer anliegt, wird erst einmal von Pater McDouglas, dem Geweihten aus Indien, erledigt.“ Als er sah, wie Ethos eine Augenbraue nach oben zog, hob Dominic beschwichtigend die Handflächen. „Ich sehe das keinesfalls als Geringschätzung Ihrer Arbeit. Eher das Gegenteil. Sie sind überaus loyal, Pater Turino. Genau solch einen Mann benötige ich gerade.“ „Ich arbeite für die Kirche, nicht für Sie direkt.“ „Das weiß ich. Es geht hier auch nicht darum, dass ich Ihnen vertraue, weil Sie mich gewählt haben. Ich weiß aber auch, dass der Verräter ein Anliegen ist, das gerade für die Kirche von unheimlich hoher Dringlichkeit ist. Von daher möchte ich, dass Sie sich vor allem darauf konzentrieren. Was immer Sie brauchen, Sie werden es von mir bekommen. Wenden Sie sich jederzeit an mich, aber, wie gesagt, Sie werden sich um keine anderen Angelegenheiten mehr kümmern.“ „Wenn Sie das so möchten“, sagte Ethos und verspürte einen leichten Widerwillen. Er war es weder gewohnt, Befehle auf solch eine Art und Weise zu bekommen, noch von dieser Person. Zweites würde sich mit der Zeit legen. „Ich tue das, da ich Ihnen vertraue. Und weil ich der Meinung bin, dass Sie einer der wenigen sind, die sowohl den Durchblick für solch eine Sache besitzen, als auch fähig genug sind, den Verräter ausfindig zu machen.“ „Was soll ich machen, wenn ich ihn wirklich finden sollte?“ „Dann haben Sie, von meiner Seite aus, freie Hand. Tun Sie, was auch immer Sie als nötig erachten.“ „Dann würde ich Sie bereits jetzt um Ihre Mithilfe bitten.“ Dominic wirkte etwas überrascht. „Haben Sie schon einen konkreten Verdacht?“ „Ja. Aber ich werde ihn erst öffentlich machen, sobald ich genügend Beweise gesammelt habe.“ „Das klingt vernünftig. Also, wie kann ich Ihnen helfen?“ „Geben Sie mir den Schlüssel zu Nikolas‘ Büro.“ Zunächst wirkte der Prälat von Ethos‘ Aufforderung so überrumpelt, dass er etwas Zeit benötigte, um sich wieder zu fangen. Er schaute den Priester mit sichtbaren Misstrauen an. „Ich würde nicht danach verlangen, wenn es nicht dringend wäre.“ „Davon gehe ich aus. Allerdings muss ich bald mit den übrigen Prälaten in das Büro, um die restlichen Abläufe zu besprechen und erste Umräumungen vorzunehmen.“ „Dann halten Sie sie hin. Versuchen Sie bitte, mir etwas Zeit zu verschaffen. Ich werde mich beeilen.“ Dominic schaute sich einige Male um und vergewisserte sich, dass niemand zuschaute, wie er Ethos den Schlüssel zu dem besagten Büro übergab. „Ich werde sehen, was ich tun kann. Rechnen Sie aber nicht mit mehr als einer Dreiviertelstunde.“ „Das sollte ausreichen“, antwortete Ethos und packte den Schlüssel in seine Tasche. Die Gardisten ließen einige Prälaten passieren, weshalb Dominic das Gespräch plötzlich abbrach. Er würde sich nun erst einmal um die Übernahme kümmern müssen und entfernte sich von Ethos, um seine Kollegen in Empfang zu nehmen. Ethos wiederum achtete darauf, dass ihm niemand folgte. Damit sein Weg nicht allzu offensichtlich schien, nahm er einen kleinen Umweg und durchkreuzte mehrere Straßen des Vatikans, bis er endlich in Nikolas‘ Büro eintraf. So leise wie möglich schloss er die Tür auf und schlüpfte hindurch, obwohl er wusste, dass sich niemand in der Nähe befand. Das Büro war genau so, wie Ethos es in Erinnerung hatte. Noch hatte sich niemand die Mühe gemacht, die Sachen des verstorbenen Geistlichen wegzuräumen. Nur der eine oder andere kleine Karton mit persönlichen Gegenständen war bereits gepackt worden. Soweit Ethos wusste, hatte Nikolas keine Verwandten innerhalb der Kirche. Ob es außerhalb einen Erben gab, wusste er nicht, aufgrund dessen, dass er anscheinend einmal verheiratet gewesen war, schloss er es aber auch nicht mehr völlig aus. Doch das war im Moment nebensächlich. Das, wonach Ethos suchte, würde er kaum in den privaten Sachen des Prälaten finden. Stattdessen führte ihn sein Weg direkt an den großen Schreibtisch. Ethos wusste, dass die unterste Schublade Steve gehörte. Er hatte sie bekommen, um wichtige Unterlagen auch im Büro zu haben, wo er von Nikolas ausgebildet worden war. Als Ethos daran zog, rührte sich jedoch nichts. Sie war abgeschlossen. Ethos schaute sich um und wurde fündig, als er einen Brieföffner in Form eines massiven Messers auf dem Schreibtisch liegen sah. Die Spitze war dünn genug, um sie zwischen Schreibtisch und Schublade zu schieben. Indem er Druck ausübte, hebelte Ethos die Schublade auf. Mit einem leichten Knacken gab das Holz nach, das Schloss brach leicht hinaus und gab so seinen Inhalt frei. Zum Glück war das Ding bereits so alt, dass Ethos sich nicht hatte besonders anstrengen müssen. Vorsichtig legte er den Brieföffner auf dem Teppich ab, dann kniete er sich auf den Boden. Zum Vorschein kam etwas, das wie Dokumente aussah. Ethos nahm die Papiere hinaus und schaute kurz drüber, konnte jedoch nichts finden, das für ihn von Belang gewesen wäre. Darunter sah er jedoch etwas, das wie ein Buch aussah. Er legte die unwichtigen Papiere beiseite und entnahm stattdessen die Literatur. Bei dem ersten Buch handelte es sich um die Aufzählung der Dämonen von A – E. Fassungslos legte Ethos das Buch auf dem Schreibtisch ab und wollte sich gerade das nächste Buch näher besehen, als er hörte, wie sich jemand näherte. Zu spät, um zu reagieren. Steve stand im Türrahmen und schaute den Priester misstrauisch an. Inzwischen durfte er sich in der Kleidung der Prälaten durch den Vatikan bewegen und hatte einiges an Rechten dazubekommen. „Was tun Sie da?“, fragte er mit leicht verärgerten Unterton. Ethos entspannte sich wieder etwas. Er hatte den Jungen nicht hören können, erst, als er fast vor ihm stand, war ihm dessen Gegenwart bewusst geworden. Eindeutig zu spät, er würde zukünftig besser aufpassen müssen. „Ich schaue mir lediglich einige Dokumente an“, antwortete Ethos und duckte sich wieder, nahm dabei die Blätter vom Schreibtisch in die Hand und tat, als würde er sie lesen. „Gehen Sie von meinem Schreibtisch weg.“ „Und was, wenn nicht“, fragte Ethos, noch immer in die Dokumente vertieft und in einer leicht amüsierten Tonlage. „Was wollen Sie dann machen? Mich erschießen?“ Wenige Sekunden, nachdem er dies ausgesprochen hatte, vernahm Ethos ein leises Klicken. Langsam richtete er seinen Blick zurück auf Steve. In dessen Hand sah er einen Revolver, der nun langsam auf seinen Kopf gerichtet wurde. „Möglich“, antwortete Steve und nickte Ethos zu als Zeichen, dass dieser die Hände nach oben nehmen sollte. Vorsichtig kniete Ethos sich auf den Boden hinter den Schreibtisch, um die Dokumente abzulegen. Gleichzeitig griff er nach dem Brieföffner und platzierte diesen unter seinem Gürtel auf der rechten Seite. Er ließ seine Jacke darüber gleiten, so dass Steve nicht sehen konnte, dass er eine Waffe bei sich trug. Dann erhob Ethos sich wieder, genauso langsam, wie er die Hände über seinen Kopf nahm. „Ich hoffe du weißt, was du da gerade tust“, murmelte Ethos, als er Steve in die Augen sehen konnte. Der Junge zitterte etwas, wodurch der Revolver leicht hin und her schwang. Ethos verspürte keine Angst, bemühte sich jedoch darum, die Hand des Iren im Blick zu behalten. Es war durchaus möglich, dass er abdrücken würde, ohne zu wollen, so aufgeregt, wie er war. „Keine Sorge, das weiß ich ganz genau. Und jetzt kommen Sie hinter dem Schreibtisch vor.“ Ethos machte einen Schritt nach vorne, so dass er neben dem Tisch stand. Nun bot er Steve seinen gesamten Körper als mögliches Ziel an. „Ich habe mich lange genug herumschubsen lassen. Ich will wissen, warum Sie in meinen Sachen herum wühlen.“ „Die Frage beantworte ich gerne. Zunächst einmal hatte Nikolas dir aufgetragen, Literatur über Esrada zusammen zu suchen. Dem bist du anscheinend nachgekommen, wie ich gesehen habe. Doch du hast deine Ergebnisse nicht an uns weiter getragen. Stattdessen hast du versucht, die Bücher, die es in der Bibliothek zu finden gibt, zu verstecken. Wie hast du es geschafft, die Bücher an dem Bibliothekar vorbei zu schmuggeln? Du weißt, besser als ich vermutlich, dass in diesen Abschnitt der Bibliothek nicht jeder hinein kommt und dass es nicht so einfach ist, Bücher unbemerkt zu entwenden.“ „Ich habe es ja nicht unbemerkt getan.“ „Da hat der Bibliothekar mir aber etwas anderes erzählt.“ „Der Bibliothekar“, lachte Steve, dazu schüttelte er amüsiert den Kopf. „Der hat gelogen. Er wusste, dass ich die Bücher habe. Jeder hat eine Schwäche oder eine Geschichte, die besser nicht weiter verbreitet wird. Somit ist auch jeder irgendwie käuflich.“ „Du hast ihn also erpresst“, stellte Ethos nüchtern fest. „Und wobei habe ich dich jetzt gerade gestört?“ „Um ehrlich zu sein, wollte ich die Bücher gerade weg bringen.“ „Also aus dem Vatikan schaffen?“ „Das geht dich nichts an.“ Inzwischen war Steve in das Du gewechselt, was Ethos jedoch nicht weiter kümmerte. Er musste einen Weg finden, sich aus der Situation heraus zu manövrieren. Und Zeit gewinnen. „Allgemein geht es dich nichts an, was ich hier mache. Ich bin den dienstälteren Prälaten unterstellt, nicht einem einfachen Priester wie dir.“ „Mich geht das hier schon etwas an, immerhin bin ich auch von dem Verrat betroffen.“ „So, so. Und was macht dich so sicher, dass ich der Verräter bin?“ „Einiges. Die ganze Situation hier zum Beispiel. Allerdings weiß ich auch, dass du nicht alleine gehandelt hast. Weshalb ich auch nicht für dich gestimmt habe. Außerdem tu nicht so, als ob du einen so großen Sprung getan hättest. Du wurdest aufgrund einer simplen Regelung in den Dienst eines Prälaten berufen. Wärst du nicht in die Auswahl gekommen, wärst du noch immer ein Priester wie ich. Letztendlich mag es angehen, dass du in Sachen Verwaltung und Kirchenpolitik mehr weißt als ich, aber was den aktiven Dienst angeht, wirst du mit mir und Artemis nicht mithalten können.“ „Das ist mir egal. Ich habe…“ Plötzlich hielt Steve inne. Von draußen waren Schritte zu hören. Schnell steckte Steve seinen Revolver weg, woraufhin Ethos seine Hände wieder nach unten nahm. Er griff in seinen Gürtel und umfasste den Griff von dem Brieföffner, als Steve nach hinten sah um zu schauen, wer sich auf dem Gang befand. In der Zeit platzierte Ethos den Brieföffner hinter seinen Rücken und griff mit der anderen Hand nach dem Stapel mit den Büchern, welchen er sich unter den linken Arm klemmte. Von draußen war ein Mann zu vernehmen, dessen Atmen hörbar schnell ging, anscheinend hatte er sich beeilt. Als er Steve sah, grüßte er diesen kurz, indem er ihn auf den Arm klopfte. Steve rieb sich über den Oberarm, anscheinend hatte der Pater einen nicht zu unterschätzenden Schwung, den man ihm gar nicht zutraute auf den ersten Blick. „Beim nächsten Mal vielleicht.“ Dann wand er sich an dem jungen Priester vorbei und richtete sich direkt an Ethos. „Pater Turino, ich soll Ihnen eine Nachricht überbringen. Nachdem ich überall nachgefragt habe, hat mir Marcus Dominic gesagt, Sie wären hier. Ich dachte, Sie wären alleine.“ „Das tut nichts zur Sache“, erwiderte Ethos mit einem leichten Lächeln und in freundlichem Ton. „Am besten geleiten Sie uns mit nach draußen, wir wollten eh gerade gehen.“ Als Ethos sich auf Steve zubewegte, umfasste er den Griff des Brieföffners hinter seinem Rücken so fest er konnte. Er schob sich an dem Jungen vorbei, ließ ihn dabei keine Sekunden aus den Augen und vermied es, ihm den Rücken zuzudrehen. Mit einem letzten warnenden Blick schaute Ethos dabei zu, wie Steve die Tür mit seinem eigenen Schlüssel verschloss, dann befanden sich die drei Geistlichen zusammen auf dem Gang. „Chino Estevez möchte Sie sprechen“, sagte der Priester, als die drei sich in Bewegung gesetzt hatten. „Es scheint sehr dringend zu sein. Ich habe hier eine Adresse, an der er auf Sie wartet.“ „Weiß Marcus Dominic davon?“ „Nein, ich habe ihn lediglich gefragt, wo Sie sind. Er hatte gerade viel zu tun und fragte, wie dringend es sei. Daraufhin meinte er, ich fände Sie in dem Büro von Monsignore Nikolas. Und dass ich mit niemanden darüber sprechen soll, wo Sie sich aufhalten.“ „Ich wäre Ihnen äußerst verbunden, wenn das auch so bleiben sollte. Legen Sie den Zettel mit der Adresse einfach auf den Stapel in meiner Hand.“ Verwundert schaute der Priester zwischen Ethos und Steve hin und her, dann legte er den Zettel ab. Glücklicherweise war diese Art von Priester, die eher als bessere Laufburschen anzusehen waren, leicht zu beeinflussen. Steve war inzwischen in einem anderen Gang abgebogen, ohne etwas zu sagen. Ethos winkte den Priester, der bereits weiter hasten wollte, noch einmal zu sich zurück. Er drückte ihm den Brieföffner in die Hand, den er vorhin noch hinter dem Rücken versteckt gehalten hatte. Wenige Sekunden später gab er ihm zudem den Schlüssel von Nikolas‘ Büro. „Geben Sie dem Prälaten das und sagen ihm Bescheid, dass er sich darum kümmern soll, dass Steve O’Neill von den Gardisten verhaftet wird. Am besten von Leutnant Roth persönlich. Aber kein Wort darüber, dass ich mich mit Chino Estevez treffe. Haben Sie das verstanden?“ Der Priester hatte verstanden und machte sich auf den Weg. Ethos schaute ihm noch kurz nach, dann machte er sich daran, die Bücher in Sicherheit zu bringen. Wenn das Treffen mit Chino beendet war, würde er sich mit Marcus Dominic persönlich in Verbindung setzen. Und dann würde er Steve zerschmettern. Als Artemis aufwachte, war der Platz neben ihm leer. Die Betten hatten sie wieder zusammen geschoben, da es auf einem doch recht eng geworden war im Laufe des Abends. Verschlafen schaute er sich um, dabei hielt er sich den Kopf. Der Wein machte sich gerade ein weiteres Mal bemerkbar. Wenigstens würde heute nicht mehr allzu viel anliegen, er würde mit Lydia Ponomarjow abholen, ihn zum Flughafen bringen und sich dann selbst aus dem Staub machen. Artemis schaute auf den Wecker. Es war noch genügend Zeit, er brauchte sich nicht zu beeilen. Er hörte, wie im Badezimmer die Dusche anging. Wahrscheinlich duschte Lydia. Also würde er noch ein wenig vor sich hindösen können, bevor er sich selbst fertig machen würde. Müde sank der Priester in die Kissen zurück und schaute an die Decke. Innerlich beglückwünschte er sich zu seinem Sieg. Er hatte es immer gewusst. Lydia und er waren einfach füreinander bestimmt und niemand konnte etwas dagegen unternehmen. Nicht mal er oder Lydia selbst. Aber darüber wollte er sich keine Gedanken machen, er genoss einfach den Augenblick. Als Artemis die Augen wieder schloss, ging das Wasser im Badezimmer aus und er hörte, wie Lydia sich die Haare föhnte. Wenige Augenblicke später ging die Tür auf und die Nonne trat in den Raum, den Körper nur durch ein weißes Handtuch bedeckt. Während sie ihre Anziehsachen zusammen suchte, schlug Artemis die Augen auf und beobachtete sie. Noch immer waren ihre Haare etwas nass, einzelne Tropfen perlten auf ihre makellose Haut hinunter und wurden kurz darauf von dem Stoff des Handtuches absorbiert. Lydia warf das Handtuch beiseite und zog sich eine dunkle Jeans, Shirt und Pullover an. Dazu schlüpfte sie in ihre flachen Stiefel. Als sie sich umdrehte, kreuzte ihr Blick den von Artemis. „Warum beeilst du dich so?“, fragte dieser und richtete den Oberkörper auf. „Wir haben doch noch genug Zeit. Komm doch noch mal ins Bett.“ Lydia seufzte. Sie wirkte mit einem mal reserviert und wich Artemis‘ Blick lange aus, bevor sie etwas sagen konnte. „Artemis… Gestern, das war… Ich war betrunken und das war eine einmalige Sache.“ „Wie bitte?“ Auch Artemis schwang sich aus dem Bett und machte sich daran, sich etwas anzuziehen. „Du hast doch nicht ernsthaft gedacht, dass ich mich wieder auf dich einlasse oder?“ „Das hat gestern aber anders gewirkt.“ „Dann hast du mich nicht richtig verstanden. Es war nett, mit dir… Dir wieder etwas mehr Zeit zu verbringen, abseits der Arbeit.“ „So, nett war es also, ja?“, brüllte Artemis geradezu, so dass Lydia zusammen zuckte. „Weißt du, wenn es dir so wenig bedeutet hat, dann hättest du auch einfach so etwas in der Art sagen können. Du weißt, wie ich das mit uns sehe. Ich dachte, du würdest mir noch eine Chance geben, ich lasse mich darauf ein und dann so etwas? Es war nett? Das ist alles?“ Lydia wusste nicht, was sie noch darauf erwidern sollte. Sie hatte einen Fehler gemacht, leider wurde ihr das Ausmaß dieses Fehlers erst jetzt bewusst. Schuldbewusst sah sie dabei zu, wie Artemis wutentbrannt seine Sachen zusammen suchte und im Badezimmer verschwand. Vorsichtig schritt sie an die Tür und versuchte, diese zu öffnen, doch Artemis hatte sie von innen verschlossen. „Artemis, bitte… Ich…“ Doch noch bevor Lydia ihren Satz hätte beenden können, unterbrach sie sich selbst. Sie wusste selbst, wie dämlich sich ihre Worte anhörten. Somit begab sie sich zu ihrem Koffer, suchte ihre letzten Sachen zusammen und verließ das Hotel. Vermutlich würde Artemis jetzt etwas Ruhe gebrauchen können und sie störte an dieser Stelle, das wusste sie. Damit Artemis wusste, dass sie zum besprochenen Zeitpunkt an der Katharinenkirche erscheinen würde, hatte sie ihm eine Notiz hinterlassen. Auch sie selbst könnte eine kleine Auszeit, in der sie sich allein und ungestört über alles Gedanken machen konnte, gut gebrauchen. Ethos glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er Chinos Gestalt erblickte. Der Spanier war völlig verdreckt, sein Gesicht wirkte abgespannt und seine gesamte Körperhaltung verriet stille Resignation. Der Treffpunkt war nicht weit entfernt, in einer der Seitenstraßen, von dessen Ausgang aus sich ein Teil des Vatikans einsehen ließ, erschien Chino als der geeignete Ort, um sich mit Ethos zu unterhalten. Da es sich um eine Sackgasse handelte, in der die umliegenden Haushalte vor allem ihren Müll lagerten, war der Platz auch nicht besonders beliebt oder gut besucht. Solange sie die Stimmen gedämpft halten würden, war auch das Risiko, dass irgendjemand mithören könnte, überaus gering. „Was hast du die letzten Tage gemacht, dass du so aussiehst?“, fragte Ethos und rümpfte die Nase, als er sich Chino bis auf einen Meter genähert hatte. „Das ist unwichtig. Hör zu, ich weiß jetzt, was mit Maria ist und wie ich sie zurück in meine Obhut bekomme“, legte Chino sofort los ungeachtet dessen, dass Ethos gerade seinen Zustand hatte kommentieren wollen. „Hildegard Krüger, ihre Schwester, hat mir einen Handel vorgeschlagen. Wobei, Handel kann man es nicht nennen. Sie möchte ebenfalls, dass Maria wieder zu mir zurückkehrt.“ „Und das tut sie einfach so? Wo ist der Haken?“, kam es sofort von dem Priester, der seine Skepsis nicht verbergen konnte. „Sie wird doch nicht einfach so, aus heiterem Himmel, plötzlich die Seiten wechseln wollen.“ „Aber ihr Mann wollte das auch.“ „Ich hoffe, du hast dich nicht völlig von ihr verblenden lassen.“ „Deshalb habe ich dich kontaktiert. Ich habe lange darüber nachgedacht. Heute Abend will sie mich am Hafen treffen, bis dahin will sie Maria befreit haben. Sie sagte, dass sie sich mit mir alleine treffen will. Aber das könnte eine Falle sein. Aus diesem Grund möchte ich, dass du mich begleitest.“ Bevor Ethos antwortete, studierte er Chinos Gesichtszüge. Er meinte auf jeden Fall ernst, was er da gerade gesagt hatte und wirkte zudem völlig davon überzeugt. Es war unsinnig, Chino von seinem Vorhaben abhalten zu wollen. Viel mehr würde es darauf ankommen, das ganze Unterfangen so sicher wie möglich zu gestalten. „Du willst das wirklich tun?“ „Ja. Also, hilfst du mir diesmal?“ Ethos musste an das denken, was der Prälat zu ihm gesagt hatte. Marcus Dominic hatte sich, was seinen Auftrag anbelangte, klar und deutlich ausgedrückt. Chino zu helfen würde bedeuten, gegen seinen Auftrag zu verstoßen. „Wann werdet ihr euch treffen?“ „Wenn es anfängt zu dämmern, werde ich mich auf den Weg zum Hafen machen.“ „Gut. Wir werden uns hier treffen und zusammen gehen.“ „Danke“, sagte Chino und strahlte so sehr, dass Ethos das Gefühl hatte, er würde ihn jeden Augenblick anspringen und umarmen. Stattdessen streckte Chino ihm die Hand entgegen. „Zuerst einmal“, klagte Ethos und schob die Hand beiseite, so weit wie möglich von seinen weißen Klamotten weg. „Werden wir dich duschen. Wenn du Maria in diesem Zustand wiedersehen solltest, wird sie dich sofort wieder verlassen.“ Chino lächelte daraufhin und ging mit Ethos mit, damit er die Möglichkeit bekommen würde, sich frisch zu machen. Während die beiden nebenher gingen, bewunderte Ethos den neuen Frohmut und die Gelassenheit des Dämons. Wie einfach es war, Chino glücklich zu machen. Sobald er daran dachte, dass Maria bald wieder mit ihm vereint war, schien es für ihn nichts mehr auf der Welt zu geben, das ihm etwas hätte antun können. Es war, als würde alles Böse aufhören zu existieren. „Habt ihr eigentlich einen weiteren dämonischen Kontaktmann bei euch?“ „Nein, warum?“, fragte Ethos überrascht. Plötzlich verdüsterten sich Chinos Züge wieder. „Dann hat, schon wieder, jemand euren Bannkreis ausgesetzt.“ Nachdem sie mehrere Stunden für sich geblieben war, kehrte Lydia zu der Katharinenkirche zurück. Innerlich rüstete sie sich bereits für die nächste Begegnung mit Artemis. Er hatte einen guten Grund, wütend auf sie zu sein, aber Lydia wusste ebenso gut, dass auch Artemis nicht ohne Schuld an ihrer Situation war. Denn genauso wenig, wie sie etwas gegen seine Annäherungsversuche gesagt hatte, hatte sie verlauten lassen, dass sie danach vorgehabt hätte, wieder mit ihm zusammen sein zu wollen. Natürlich, sie hatten sich geliebt, wie es nur Paare vermochten, doch das lag daran, dass sie sich immerhin lange kannten und auch schon häufig miteinander geschlafen hatten. Da wusste sie eben, wie sie Artemis behandeln musste und umgekehrt. Lydia schaute auf ihre Uhr. Sie hatte nun schon eine Viertelstunde draußen gewartet. Artemis war noch nicht aufgetaucht und auch Ponomarjow hatte sich noch nicht blicken lassen. Trotz des Sonnenscheins merkte Lydia, wie sie leicht zu frösteln begann. Wenn Artemis sich verspätete, konnte er kaum von ihr verlangen, dass sie länger als nötig draußen wartete. Die Nonne wand sich in Richtung Tür und wollte gerade klopfen, als sie sah, dass sie lediglich angelehnt worden war. Vielleicht wurde sie bereits erwartet. Sich umschauend, ging Lydia durch die Gänge und versuchte sich an einigen Merkmalen zu orientieren, um zurück in das Innere der Kirche zu finden. Einige Minuten später stand sie erneut zwischen den Stühlen gegenüber des großen Altars. Gespenstische Stille beherrschte den Raum. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute zu der beeindruckenden Kuppel hinauf. Wie aus dem nichts ertönte plötzlich ein Grummeln zu ihrer rechten. Sofort senkte Lydia ihr Haupt, konnte jedoch die Ursache des Geräusches nicht ausmachen. Langsam bewegte sie sich vorwärts, direkt auf den Altar zu. Wieder ertönte ein Geräusch, diesmal hörte es sich nach einem lauten Knacken an, als würde etwas entzwei gebrochen werden. Lydia kam am Altar an und stellte sich auf die Zehenspitzen, damit sie etwas sehen konnte. Hinter dem Altar saß etwas. Da sie sich schnellstmöglich zurückgezogen hatte, um nicht gesehen zu werden, hatte auch Lydia nicht erkennen können, um was es sich handelte. Lydia spürte, wie ihr Herz anfing schneller zu schlagen. Noch bevor sie ihren Fehler erkannte, nämlich, dass sie ihre Waffe in ihrem Koffer gelassen hatte, stürzte sich vor ihr ein Schatten in die Tiefe. Erneut blickte sie in die Augen eines weißen Löwen, der sein Maul weit aufriss und auf sie zusprang. Lydia bückte sich und hechtete an dem Tier vorbei, das seine Krallen in das Holz hinter sie geschlagen hatte. Fauchend drehte der Löwe sich um, Lydia war bereits an ihrem Koffer angekommen. Doch bevor sie ihn öffnen konnte, hatte der Löwe aufgeholt und schlug ihn ihr mit seiner Pranke aus den Händen. Polternd schlitterte der Koffer über den Kirchenboden, dabei öffnete sich der Verschluss. Sämtliche Kleidung und weitere Inhalte verteilten sich auf dem Marmor, darunter auch Lydias Degen. „Hey, Kätzchen“, ertönte es hinter Lydia und auch der Löwe drehte sich um. „Hier bin ich.“ Sofort ließ der Löwe von Lydia ab und konzentrierte sich auf Ponomarjow, der neben dem Altar aufgetaucht war. Lydia nutzte die Ablenkung, um an ihre Waffe zu kommen. Während der Löwe verhalten auf den Geweihten zuschritt, züngelten schwarze Fäden aus seinem Körper hervor. Nach und nach löste er sich auf und verwandelte sich in die Gestalt eines Mannes. Lydia erkannte in ihm den Asiaten wieder, dem sie in Indien begegnet war. Nur wenige Meter von Ponomarjow hielt er an, dann streckte er seinen Arm aus. Wieder löste sich sein Körper auf und wechselte die Gestalt. Zum Vorschein kam ein Mann mit leicht gelockten schwarzen Haaren, braunen Augen und einer athletischen Statur. In der Hand, welche er ausgestreckt hielt, sammelten sich Funken. Ponomarjow reagierte sofort. Sobald der Feuerball, welcher sich aus den Funken generiert hatte, auf ihn zuschoss, hob er seinen eigenen Arm. Auch in seiner Hand hatte sich Energie gesammelt, die das Feuer verpuffen ließ, als wäre es eine kleine Flamme auf einer Kerze, die in Wasser getaucht wurde. „Da musst du dir schon etwas mehr einfallen lassen“, lachte Ponomarjow siegessicher. Daraufhin stürzte sich der Dämon auf ihn und holte aus, doch Ponomarjow wehrte den Angriff mit Leichtigkeit ab. Erstaunt stellte Lydia fest, wie es aussah, wenn sich ein Priester mit jenen Fähigkeiten in den Kampf stürzte, wie auch Ethos sie besaß. Sie hatte so etwas noch nie in natura sehen können. Umso faszinierender war das Schauspiel, welches sie gerade verfolgte. Jeder einzelne Angriff wurde entweder mit Leichtigkeit abgewehrt, pariert oder ihm ausgewichen. Es schien, als habe der fremde Dämon nicht den Hauch einer Chance. Wann immer er eine Partie berührte, die mit der seltsamen Energie des Priesters aufgeladen war, schoss Qualm hervor und führte ihm teils schwere Verbrennungen zu, je nachdem, wie lange er Ponomarjow zu nahe kam. Obwohl sie davon ausging, nicht unbedingt in den Kampf eingreifen zu müssen, blieb Lydia wachsam. Teilweise bewegten sich die beiden so schnell, dass sie nicht erkennen konnte, was genau vor sich ging. Ihre Augen huschten wild durch die Gegend, immer darum bemüht, das Geschehen verfolgen zu können. Solch eine Schnelligkeit hätte sie dem alternden Priester gar nicht zugetraut. Plötzlich landete Ponomarjow einen kräftigen Schlag und traf den Dämon direkt in den Bauch. Dieser wurde, auch durch den Schwall Energie, der durch seinen Körper floss, so stark nach hinten geschleudert, dass Lydia sich ducken musste, um ausweichen zu können. Wenige Meter hinter ihr landete der Dämon, jedoch schaffte er es, dabei mit den Füßen aufzukommen. Wieder in seiner ursprünglichen Form, hechtete er sofort nach vorne. Sein Ziel war jedoch nicht der Priester, sondern Lydia. Indem er seine Hand um den Hals der Nonne legte, packte er diese und zog sie an sich heran. Anstatt weiter nach vorne zu eilen, zog er Lydia mit sich nach hinten, was Ponomarjow sichtlich verwirrte und dadurch verhinderte, dass der schnellstmöglich reagieren konnte. Dem Dämon blieb genügend Zeit, um Lydia wegzuschleifen. Zwar schlug Lydia wild um sich, doch dies brachte nicht viel. Der Griff um ihren Hals lockerte sich kein bisschen. Verzweifelt stellte Lydia sich die Frage, wann Artemis endlich eintreffen würde. Mit seinem dämonischen Auge wäre er dazu in der Lage, ihr zu helfen. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie daran dachte, dass er nicht auftauchen würde. Nun, im hintersten Teil des Raumes, hockte er auf Lydias Hüfte und legte beide Hände um ihren Hals. Nach Luft schnappend, verlor Lydia ihre Waffe, wodurch sie praktisch hilflos wurde. Es dauerte nicht lange und ihr wurde schwarz vor Augen. Es kam ihr schon fast ein wenig zu einfach vor. Esrada hatte Blackcage auf einen Beobachtungsposten geschickt, anscheinend stimmte irgendetwas mit einem ihrer Informanten nicht. Dementsprechend hatte sie freie Bahn, um sich Maria zu schnappen und abzuhauen. Sämtliche Dämonen, die sie hätten entdecken können, waren gebunden. Natürlich war das Zimmer von Blackcage abgeschlossen, das hatte sie bereits in ihrer Planung einbezogen. Gestern hatte sie einige wenige Minuten gehabt, in denen sie mit Maria gesprochen hatte. Blackcage war zu einer Besprechung gerufen worden und somit hatte Hildegard ihr gesagt, was sie machen musste. Nun schob Maria einen kleinen Zettel unter der Tür hervor. Um die Worte, die darauf geschrieben standen, aufzuschreiben, hatte sie sämtlichen Mut zusammen nehmen müssen. Hätte Blackcage etwas davon mitgekriegt, dass sie sich notierte, welche Worte er für das magische Schloss seines Gemaches benutzte, hätte er sie mit Sicherheit getötet. Hildegard reichte es, dass ihre Schwester die Worte nach Laut aufgeschrieben hatte. Viele der Worte dürften ihr nicht geläufig gewesen sein, aber Hildegard wusste, wie schlau Maria war. Bereits in ihrer Kindheit war es Maria gewesen, die besser hatte zuhören können und die sich jedes einzelne Wort merken konnte, während Hildegard bis heute damit zu kämpfen hatte, einzelne Sätze wortgetreu bis ins letzte Detail zu rekonstruieren. Sie schaute sich den Zettel an und legte ihre Hand auf den Türknauf. Dazu flüsterte sie einige Worte. Es funktionierte, die Tür schwang auf und Maria kam auf Hildegard zu gerannt. Weinend legte sie die Arme um ihre Schwester, die sie mahnend ansah. „Hildi, du bist gekommen.“ „Wir müssen jetzt schnellstmöglich hier weg. Ich bringe dich hier raus, aber du darfst keinen einzigen Mucks von dir geben, in Ordnung?“ Maria nickte, dann raffte sie sich auf und schaute nach draußen. Hinter Hildegard stand ein weißer Löwe, dessen Augen aufgrund einer Wunde nicht mehr zu erkennen waren. Schnell fasste Hildegard Maria bei der Hand, dann zog sie sie auf ihre Höhe und schaute den Flur herunter. Niemand zu sehen. Als Hildegard noch einmal zu ihrer Schwester sah, hätte auch sie zu weinen anfangen können. Maria wirkte völlig zerstreut. Ihre Augen waren leer und ausdruckslos, ihre Haut fahl wie Asche. So, wie sie sich bewegte, schien es, als habe sie Schmerzen. Besonders in dem Bereich ihres Unterleibes, denn Maria ging leicht nach vorne gebeugt und mit sehr vorsichtigen Schritten. Wut wallte erneut in Hildegard auf, doch sie schluckte den Zorn erst einmal herunter, um einen klaren Kopf zu behalten. So schnell es ging bewegte sie sich vorwärts, dicht gefolgt von Maria und Leo. Als sie an der Treppe nach unten ankam, gab sie Maria ein Zeichen, dass diese für einen kurzen Augenblick warten sollte. Nachdem Hildegard sich vergewissert hatte, dass auch hier keiner zu sehen war, winkte sie Maria zu sich herunter. Nun lag nur noch die schwere Eingangstür zwischen ihr und der Freiheit. Wieder wartete Hildegard, bis Maria bei ihr angekommen war. Dann bewegte sie sich, so leise sie konnte, auf den Ausgang zu. Erwartungsvoll und mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, streckte sie ihre Hand aus. Gerade, als sie die Tür berühren wollte, zuckte sie zusammen und machte einige Schritte zurück, wodurch sie Maria beinahe umgestoßen hätte. Einen Angstschrei ausstoßend, beobachtete Maria, wie sich vor der Tür ein Mann zu materialisieren schien. Wenig später stand er vor ihnen und schaute angewidert und verärgert auf die drei Individuen vor sich herab. „Esrada“, knurrte Hildegard verächtlich und schob Maria schützend hinter sich. „Wo wollen du und deine Schwester denn so spät noch hin?“ Als Hildegard ihm die Antwort schuldig blieb, ging Esrada langsam auf sie zu. „Du weißt, was ich davon halte, wenn mich jemand verrät. Ich kenne kein Mitleid mit Dämonen, die sich gegen mich wenden.“ Hildegard wich immer weiter nach hinten. Ihre Augen glühten rot vor Aufregung, um sie herum bildeten sich immer stärker werdende Schatten. Maria war so weit zurück gewichen, dass ihre Schwester genügend Platz hatte, um, zusammen mit dem Löwen, Esrada entgegen zu treten. Mit all ihrer Verzweiflung und all ihrem Mut stürmte Hildegard auf Esrada zu. Angeblich hatte Gemini vor, jemanden zu treffen, der ihr neue Bücher verkaufen wollte, weshalb Marylin die Gelegenheit gekommen sah, sich auf eine neue Erkundungstour zu begeben. Aus irgendeinem Grund hatte sie ein besseres Gefühl, wenn sie dabei die Kette trug, welche Ethos ihr gegeben hatte. Sie fühlte sich um einiges sicherer, irgendwie geborgener. Nachdem sie ihre Taschenlampe repariert hatte, stieg Marylin in den Keller hinunter und stapfte diesmal direkt auf das Regal zu, auf welchem die Fänger ausgewiesen worden waren. Mittlerweile hatte sie auch herausgefunden, auf welchen anderen Sprachen die Bezeichnungen verfasst worden waren. Spanisch, Deutsch, Englisch, Latein und Italienisch. Was auch immer das bedeuten mochte. Gleichzeitig hatte Marylin sich das Wort „Fänger“ auf allen diesen Sprachen herausgesucht. Mit dieser Vorbereitung konnte, ihrer Meinung nach, nicht mehr allzu viel schief gehen. In der Tat hatte sie schnell den Teil gefunden, welchen sie ins Auge gefasst hatte. Da hier nicht allzu viele Bücher standen, die in ihrem Titel das Wort „Fänger“ führten, würde ihr Aufenthalt auch nicht lange dauern. Sie zog einige Bücher heraus, blätterte sie durch und stellte sie dann wieder zurück. Erst beim fünften Buch schaute sie genauer hin. Zwar konnte sie nicht jedes einzelne Wort verstehen, aber die Abbildungen und einige Stichworte erschienen ihr äußerst vielversprechend. Eine Welle der Euphorie und der Freude überkam Marylin. Sie hatte es tatsächlich geschafft. So wie es aussah, hielt sie hier eines der Bücher in den Händen, nach dem so lange im Vatikan gesucht worden war. Notizen, die bis in das frühe Mittelalter hinein datiert waren, zeugten davon, dass es bereits sehr alt sein musste. Was Marylin allerdings stark verunsicherte, war der annehmbare Zustand. Offenbar war säurefreies Papier verwendet worden, was zu der damaligen Zeit unmöglich war. Die Ränder waren zerflettert und die Seiten wellten sich, aber bis auf die gelbliche Färbung und der unangenehme Geruch waren keine weiteren Verfallsspuren zu erkennen. Trotzdem wollte sie ihren Fund mitnehmen und Ethos zeigen. Vielleicht wusste der etwas damit anzufangen. Und außerdem könnte sie dann noch weitere Bücher von hier unten besorgen. Ein schlechtes Gewissen, dass sie Gemini beklaute, hatte Marylin nicht. Immerhin hatte die Zigeunerin genügend eigene Geheimnisse vor ihr. Zum Beispiel diese geheime Bibliothek. Obwohl Gemini wusste, dass sich Marylin für diese Art von Büchern interessierte, hatte sie sie nie hier unten her geführt. Noch nicht einmal, nachdem die beiden ihre intime Beziehung zueinander eingegangen waren, hatte Gemini eine Notwendigkeit darin gesehen, Marylin mit hierher zu nehmen. Natürlich war die Südländerin auch nicht dazu verpflichtet, so innig waren sie dann doch nicht miteinander verbunden. Es war Spaß und Ablenkung, damit Marylin nicht daran denken musste, was ihr in England und auch hier vor Ort wiederfahren war. Gemini sah es vermutlich genauso. Voller Vorfreude auf die Reaktion, welche Marylin sich von ihrem Fund erhoffte, blätterte sie noch einmal in dem Buch herum. Keine Zweifel, es waren Beschreibungen von Gegenständen, denen ein magisches Element innewohnte. Plötzlich hörte sie eine Tür zufallen. Erschrocken hob Marylin den Kopf und sah, wie sich ein seichtes Licht näherte. Wenige Sekunden später schälte sich Geminis Gestalt aus dem Dunkel, in ihrer Hand hielt sie eine Öllampe. Mit ihren dunklen schwarzen Augen starrte sie Marylin an. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem missbilligenden Ausdruck, der Marylin bereits erahnen ließ, was jeden Moment auf sie zukommen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)