Höllenfeuer von Feldteufel ================================================================================ Kapitel 19: Kapitel 19 ---------------------- Kapitel 19 „Du brauchst dich vor mir nicht zu schämen.“ Obwohl die tiefe Stimme inzwischen sanfter zu ihr sprach, brachte es Maria nicht über sich, Blackcage anzusehen. Sie blieb auf dem Kanapee sitzen, die Hände in den Schoß gelegt und den Blick starr auf den Boden gerichtet. Der Dämon stand wenige Meter von ihr entfernt und betrachtete sie. Blackcage hatte sich einige Sachen von Hildegard geliehen, um Maria einzukleiden. Nun war sie, ähnlich wie ihre große Schwester, in ein elegantes Kleid gehüllt, zudem trug sie einigen Goldschmuck in Form von runden Ohrringen und einer Halskette. Nachdem sie die Gelegenheit bekommen hatte, sich zu waschen und zurecht zu machen, sah sie noch viel schöner aus. Am liebsten hätte Blackcage sich auf die junge Frau gestürzt, um seine körperliche Lust an ihr zu befriedigen, doch noch hielt ihn etwas zurück. Irgendetwas an dem Gedanken, dass Chino sich bereits an ihr vergnügt haben könnte, ließ ihn zögern. „Bitte, lass mich in Ruhe“, flüsterte Maria in Richtung Boden. Ihre Bitte entlockte Blackcage ein zufriedenes Grinsen. Diese Unschuld, die sie ausstrahlte. Zusammen mit ihrem zarten Äußeren wirkte Maria wie eine Puppe. Eine Puppe aus Porzellan, die zu zerbrechen drohte, wenn man sie zu fest anpackte. Mehr und mehr reizte es ihn, die Brünette zu packen und ihr seinen Willen aufzuzwängen. „Dich in Ruhe lassen? Nachdem ich so lange nach dir gesucht habe? Und zudem Chino als Konkurrenten ausschalten musste? Nein, tut mir leid, aber das geht nicht“, sagte Blackcage kopfschüttelnd und kam einige Schritte auf Maria zu. Die Angesprochene zuckte zusammen, als sie die warme Handfläche des Dämons auf ihrer nackten Schulter spürte. Mit den Fingerspitzen streichelte er vorsichtig über ihre weiße Haut. Als er an ihrem Kinn angekommen war, schob er dieses unter leichten Druck nach oben und drehte es zur Seite, so dass Maria gezwungen war, ihn anzusehen. Seinen Mantel hatte Blackcage über einen Stuhl geworfen, das schwarze Hemd, welches er darunter trug, war bis zur Mitte aufgeknüpft. Die glatte Brust, die darunter zum Vorschein kam, ließ erahnen, dass der Dämon einen durchtrainierten Körper besaß. Unter normalen Umständen hätte Maria dies wahrscheinlich anreizend empfunden, doch die Situation, in der sie sich befand, war alles andere als normal. Außerdem schlug ihr Herz für jemand anderen. Doch das auszusprechen, wagte sie nicht. Maria spürte, dass Blackcage nur einen äußerst dünnen Geduldsfaden zu besitzen schien. Und sollte sie es auch nur ein einziges Mal wagen, Chinos Namen auch nur anzudeuten, wusste sie, dass ihr das alles andere als guttun würde. Den einzigen Widerstand, den Maria sich zu leisten traute, war ein zorniger Blick in die Richtung von Blackcage. Dieser grinste sie lediglich an, dann ließ er ihr Kinn los und wand der jungen Frau den Rücken zu. „Weißt du, Maria“, begann Blackcage, während er sein Hemd weiter aufknüpfte. „Im Grunde genommen könnte ich mit dir machen, was ich will. Und das weißt du auch. Deshalb schlage ich vor, dass du ab jetzt das tust, was ich dir sage und dir wird nichts zustoßen.“ Panisch tastete Maria ihre Umgebung mit den Augen ab. Irgendwo in diesem Raum musste es doch etwas geben, mit dem sie sich zur Wehr setzen könnte. Ihr Blick blieb auf einem der beiden Gläser mit Wasser haften, die auf dem Tisch ihr gegenüber standen. Abschätzend drehte sie sich Blackcage entgegen. Der Dämon stand noch immer mit dem Rücken zu ihr, er war gerade dabei, den oberen Teil seines Hemdes an seinen Schultern heruntergleiten zu lassen. Wenn sie schnell genug sein würde, hätte sie vielleicht eine Chance. „Wie du sicherlich schon vermutest, kann ich sehr grausam sein“, raunte Blackcage und warf sein Hemd zu dem Mantel auf den Stuhl. „Ich weiß ja nicht, ob dir das gefällt, aber ich für meinen Teil würde es äußerst schade finden, wenn ich dir tatsächlich wehtun müsste.“ So schnell sie konnte hechtete Maria von dem Kanapee und stürzte sich nach vorne. Ihre schlanken Finger ergriffen das erste Glas mit einer Genauigkeit, die sie selbst verwunderte. Mit einem kräftigen Schlag auf die Tischkante brach das Glas und Maria hielt den Stiel mitsamt der scharfen Ränder, die entstanden waren, in der Hand. Entschlossen drehte sie sich um und erschrak, als sie spürte, wie Blackcage bereits seine Hand um ihr Gelenk geschlossen hatte. Ohne Mühe drehte er ihr Handgelenk auf ihren Rücken, dabei ließ Maria das Glas fallen. Scheppernd kam es auf dem Boden auf und zersprang in seine Einzelteile. Amüsiert drückte Blackcage den Unterkörper der jungen Frau gegen die Tischkante, dazu legte er die andere Hand an ihren Kopf. Bestimmt, aber noch immer so, dass es Maria nicht wehtat, drückte er ihren Kopf auf die Oberfläche des Tisches. An der Wange spürte Maria die Feuchtigkeit des Wassers, das sich auf dem Holz gesammelt hatte. Wimmernd starrte sie auf das zweite Glas, das sich genau vor ihrer Nasenspitze befand. „Vergiss es“, flüsterte der Dämon in ihr Ohr, so dass Maria spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam. „Ich habe dir doch bereits gesagt, dass es nichts bringt, mich angreifen zu wollen. Du scheinst nicht so recht zu begreifen, Maria. Ich bin unbesiegbar. Und du bist nur ein schwacher Mensch. Mich mit einem Glas angreifen zu wollen. Ich sollte dir doch noch einige Manieren beibringen. Anscheinend hast du einiges mit deiner Schwester gemeinsam.“ Anstatt etwas darauf zu erwidern wartete Maria Blackcages nächsten Schritt ab. Dieser zog sie unsanft nach oben, dazu schleuderte er sie geradezu zurück auf das Kanapee. Sie schaffte es gerade noch, einen erschrockenen Laut auszustoßen, als sich ihr Peiniger bereits über sie gebeugt hatte. Lächelns strich der Dämon Maria eine Strähne aus dem Gesicht und umwickelte sie mit seinem Finger. Die andere Hand fuhr bereits unter Marias Kleid. „Bitte… Bitte nicht…“, jammerte Maria, unfähig, sich zu bewegen. „Bitte lass mich zurück zu Hildi.“ Amüsiert legte Blackcage den Kopf schief. „Obwohl ich zugeben muss, dass ich mir andere Worte von dir gewünscht habe, muss ich doch gestehen, dass ich sehr erfreut darüber bin, dass du mit mir sprichst, liebste Maria. Chino hast du diesen Gefallen nicht getan.“ Als Blackcage Chinos Namen aussprach, fühlte Maria, wie ihr erneut das Herz stillzustehen schien. Es stimmte, sie hatte nie mit Chino gesprochen. Und das, obwohl er sie besser behandelt hatte als jede andere Person, der sie bisher begegnet war. Natürlich, ihre Schwester hatte sie ebenfalls niemals schlecht behandelt, doch sie war damals einfach gegangen und hatte sie mit ihrem Vater alleine gelassen. All die Jahre hatte sie gedacht, dass Hildegard tot wäre. Und nun musste sie auf solch eine Weise erfahren, dass ihre Schwester lebte. Und sie zu einem Dämon geworden war. Wäre Hildegard in der Vergangenheit an ihrer Seite gewesen, wäre ihr Leben vielleicht einfacher verlaufen. Vor allem hätte sie die Begegnung mit dem jungen Soldaten, welcher dafür verantwortlich war, dass sie ihre Stimme über so viele Jahre verloren hatte, so vermeiden können. Doch sogar diese grausamen Erinnerungen wurden in den hintersten Teil ihres Gedächtnisses gebrannt, als Maria spürte, wie die Hand von Blackcage immer höher wanderte. Er war inzwischen an dem unteren Saum ihrer Unterwäsche angekommen und machte keinerlei Anstalten, dort aufzuhören. Seine Hände strahlten eine unangenehme Hitze aus, die sich anfühlte, als würde sie ihre Haut versengen, würde er sie länger als wenige Sekunden berühren. Sofort ließ Maria ihre Hände nach unten sinken in der Hoffnung, den Dämon so davon abzuhalten, sie weiterhin anzufassen. Blackcage holte seine Hand unter ihrem Kleid hervor und umschloss mit ihr beide Handgelenke seiner Gefangenen. Wieder musste Maria schluchzen, diesmal rannen ihr Tränen das Gesicht herunter. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Sich zu wehren traute sie sich nicht. Weder verbal, noch physisch. Zu sehr war die Angst, dass der Dämon ihr auf irgendeine Art und Weise wehtun könnte. Bereits der Druck, welchen er auf ihre Handgelenke ausübte, fühlte sich an, als würde Blackcage ihr die Knochen brechen wollen. „Maria, ich sage es dir ein letztes Mal. Und diesmal wirklich zum letzten Mal. Mach mich nicht wütend. Hast du das verstanden?“ Maria nickte nur, zugleich verschleierten die Tränen ihre Augen. Am liebsten hätte sie die Wut darüber, erneut so hilflos zu sein wie damals in Deutschland, laut in die Welt hinaus geschrien. Doch nicht nur die Hilflosigkeit machte sie wütend. Auch ihre Schwester, die ihr wieder nicht half. Wieder war Hildegard nicht zur Stelle, obwohl sie, ihre Schwester, ihr eigen Fleisch und Blut, sie mehr benötigte, als irgendjemand anderes auf der Welt. Als Blackcage seine Lippen hart auf die ihren presste, formte ihr Mund lautlos Chinos Namen. Wenn sie sich jemanden wünschte, der in diesem Augenblick bei ihr sein sollte, dann war er es. Ihr Retter, ihr Geliebter, ihr Seelenheil. Nachdem Lydia darauf bestanden hatte, noch einige Minuten an dem Sarg des toten Sokrates Alexandros zu verweilen, hatte sie zusammen mit Artemis die Kathedrale schnellstmöglich verlassen. Was unter anderem daran lag, dass Artemis damit begonnen hatte, den Toten nach Spuren abzusuchen. Anscheinend hatte er etwas in der Jackentasche des verstorbenen Priesters gefunden, dabei jedoch den Sarg so zerwühlt hinterlassen, dass Lydia schnellstmöglich verschwinden wollte. Jedoch nicht, ohne die Umstände von Alexandros‘ Tod in Erfahrung zu bringen. Der Priester soll an einem Herzinfarkt gestorben sein, Fremdeinwirkungen ausgeschlossen. Ob das tatsächlich der Wahrheit entsprach, würden Lydia und Artemis niemals herausfinden. Was Artemis allerdings nicht davon abhielt, wilde Spekulationen darüber anzustellen, was wirklich hinter dem Tod des Geweihten stecken könnte. „Möglicherweise haben wir aber auch mehr Verräter, als bisher angenommen. Es ist durchaus in Betracht zu ziehen, dass es auch im Ausland korrupte Priester gibt, nicht nur im Vatikan. Die Münze, die ich gefunden habe, ist jedenfalls ein Hinweis darauf. “ Missmutig trottete Lydia neben Artemis her. Sie nahm nur halb wahr, was er zu ihr sagte. Die Straßen von Athen waren um diese Uhrzeit relativ leer, zum Nachmittag hin verschlug es die meisten Anwohner in die kühlenden Innenräume ihrer Häuser und Wohnungen. Nur die Touristen liefen noch herum, sowie die beiden Gesandten des Vatikans, die jedoch nicht als solche zu erkennen waren. Bis zum Abend hin mussten sie sich beschäftigen, denn der Flug, der die beiden nach Indien bringen sollte, ging erst nach zwanzig Uhr. Das Ticket nach Rom, welches für Alexandros bestimmt gewesen war, hatte Artemis zerrissen und verbrannt. „Hörst du mir überhaupt zu?“ „Wir haben gerade einen Kollegen verloren und du redest nur über deine Vermutungen“, schnaubte Lydia und blieb stehen, dazu funkelte sie Artemis aus wütenden Augen heraus an. „Es sieht dir ähnlich, dass du nicht das kleinste Bisschen Pietät zeigen kannst.“ „Ich soll pietätlos sein? Ich bitte dich, ich kannte den Kerl nicht einmal.“ Genervt rollte Lydia daraufhin mit den Augen und wand sich von Artemis ab, um die Gasse, welche leicht bergab führte, weiter hinunter zu stapfen. Zwar wusste sie nicht, wohin sie eigentlich wollte, aber sie wollte in jedem Fall weg von Artemis. Leider war das zum gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich. „Lydia, warte doch“, rief Artemis der Nonne hinterher. „Es tut mir leid, wenn dir der Tod von Alexandros so nahegehen sollte. Aber du darfst auch nicht vergessen, dass wir uns hier auf einer Mission befinden. Da dürfen wir uns nicht von unseren Gefühlen leiten lassen.“ „Ich glaube, du warst zu viel mit Ethos unterwegs.“ Artemis seufzte, als er dies hörte. Als er und Lydia noch ein besseres Verhältnis zueinander gehabt hatten, war Artemis‘ Zusammenarbeit mit Ethos häufig ein Thema gewesen. Aus irgendeinem Grund mochte Lydia Ethos nicht besonders und hatte nie einen Hehl daraus gemacht. Zwecklos, mit ihr darüber diskutieren zu wollen. Inzwischen hatte Artemis die Brünette wieder eingeholt. „Seit wann benimmst du dich so unprofessionell? Wann immer ich etwas über dich gehört habe, war es nur Gutes. Du sollst auf deinen Missionen richtig gut abgeschnitten haben. Deshalb verstehe ich nicht, warum du jetzt so herum zickst.“ „Glaubst du, dass ich Lust darauf habe, mich von dir herumkommandieren zu lassen?“ „Ach, darum geht es? Es ist nicht so, dass ich darum gebeten hätte, mit dir zusammen einen Auftrag auszuführen, Lydia.“ Lydia wusste, dass Artemis völlig Recht hatte und sie sich mehr als kindisch benahm. Es war, als habe sie sich nicht mehr richtig unter Kontrolle. Wäre sie mit einem anderen Priester auf diese Mission geschickt worden, hätte sie sich mit Sicherheit anders gegeben. Doch mit Artemis… Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, brachen alte Wunden auf. Schöne Erinnerungen krochen ebenfalls empor, doch wurden diese von den verletzenden Dingen, die Artemis getan hatte, überschattet. Als die beiden an einem Blumenladen vorbei kamen, griff Artemis zur Seite und fischte eine kleine rote Rose aus einem der Behälter. Der Besitzer des Ladens hatte davon offensichtlich nichts bemerkt, denn er kam nicht hinter seiner Ladenzeile hervor. „Eine wunderschöne Rose für eine wunderschöne Frau mit nicht ganz so schöner Laune“, sagte Artemis lächelnd und stellte sich vor Lydia. Dazu überreichte er ihr die Rose mit einer ausladenden Bewegung. Die Nonne war so überrascht, dass sie nicht anders konnte, als die Blume entgegen zu nehmen. Und, kaum zu erkennen, musste auch sie lächeln. „Du bist unmöglich“, flüsterte Lydia und roch an der Rose. Genauso schnell, wie sich das Lächeln auf ihrem Mund ausgebreitet hatte, verschwand es auch schon wieder. Am Ende der Gasse befand sich eine Parkbank unter einem großen Baum, auf die Lydia sich niederließ. Artemis setzte sich neben sie und zusammen schauten sie auf die Straße vor ihnen. „Zumindest schmeißt du sie nicht gleich weg.“ „Warum auch? Es ist eines der wenigen sinnvollen Dinge, die du mir in unserer Ehe geschenkt hast.“ Dieser Kommentar saß. Wie immer, wenn Lydia so abweisend auf ihn reagierte, fühlte Artemis eine tiefe Trauer in sich aufsteigen. „Du weißt, wie mein Vater…“ „Artemis“, begann Lydia ruhig, aber bestimmt. „Wie oft willst du dein Verhalten noch damit rechtfertigen, was dein Vater damals alles mit dir getan hat?“ „Aber es ist die Wahrheit.“ „Ja, das weiß ich.“ Artemis hatte schon früh herausfinden müssen, dass es zwecklos war, Lydia anlügen zu wollen. Es war, als besäße sie einen sechsten Sinn für so etwas. Lydia brauchte den Menschen, mit denen sie sich unterhielt, lediglich in die Augen zu sehen, um diese beim Lügen zu ertappen. Wahrscheinlich war diese Fähigkeit vonnöten gewesen, um auf der Straße zu überleben. „Aber so hart es auch mit ihm war, er hat dich nicht körperlich misshandelt.“ „Ach so, ich wusste nicht, dass es mittlerweile sozial anerkannt ist, wenn der eigene Vater einem in jungen Jahren Frauenkleider anzieht, einen weiblichen Namen gibt und vor all den anderen Kindern demütigt, indem er seinen Sohn wie ein Mädchen behandelt. Dass da eine physische Misshandlung dazu kommen muss, um einen seelischen Schaden davonzutragen, das wusste ich natürlich nicht.“ Wie immer, wenn Artemis wütend wurde, verschränkte er die Arme vor der Brust und schlug die Beine übereinander. Dazu starrte er trotzig auf einen imaginären Punkt auf der Straße. Lydia hatte sich etwas vorgebeugt, um ihn von der Seite zu betrachten. Sie wusste, dass sie die einzige war, mit der Artemis über das sprach, was in ihm vorging, wenn er über seine Vergangenheit zu sprechen kam. Manchmal erzählte er auch anderen, was vorgefallen war, zumindest oberflächlich. Doch seine Gefühle dazu teilte er nur mit Lydia allein. Inzwischen ging die Nonne davon aus, dass Artemis noch nicht einmal mit Ethos über alles sprach, was den seelischen Missbrauch in seinen Kindertagen anging. Was vermutlich daran lag, dass Ethos ebenfalls eine unglückliche Vergangenheit besaß. „Das habe ich damit nicht gemeint. Es ist nur so, dass das alles inzwischen schon so lange her ist. Und dein Vater…“ „Lebt noch immer. Während meine Mutter kurz nach der Geburt sterben musste.“ „Artemis…“ „Du kannst es nicht nachvollziehen. Du hast so etwas niemals erlebt.“ Mit diesen Worten stand Artemis auf und wand Lydia den Rücken zu, um gehen zu können. Sofort sprang die Nonne auf, damit sie Artemis folgen konnte. Sie war es nicht gewohnt, von ihm links liegen gelassen zu werden. Sonst war es immer der Priester gewesen, der zu ihr zurückgekrochen kam. Umso mehr ärgerte es Lydia, dass sie nun Artemis hinterherlief. Und noch mehr ärgerte sie sich darüber, dass sie es nicht nur tat, weil sie musste, sondern auch, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte. Dass Artemis so reagierte, wenn man auf seinen Vater zu sprechen kam, riss noch immer tiefe Wunden in ihm auf. Lydia hatte das gewusst. Eigentlich hatte sie Artemis nur auf Abstand bringen wollen, doch jetzt tat es ihr leid, das Gespräch in diese Richtung gelenkt zu haben. „Artemis, warte doch!“ Doch Artemis blieb weder stehen, noch drehte er sich zu Lydia um. Mit ihren hohen Absätzen war es nicht so leicht, den langen Schritten des Priesters zu folgen. „Jetzt bleib‘ doch mal stehen!“ Einige Touristen wandten sich um, doch aufgrund der italienischen Sprache verstanden sie vermutlich eh nicht, um was es sich bei Lydias verzweifelten Ausrufen handelte. Plötzlich spürte Lydia einen Widerstand an ihrem Fuß. Als sie nach unten schauen wollte, war es bereits zu spät, sie befand sich im freien Fall und würde jeden Augenblick mit dem Gesicht auf der Straße aufkommen. Wenige Zentimeter, bevor dies geschah, hatte sie allerdings jemand aufgefangen. Peinlich berührt schaute Lydia an sich herunter. Ihr Absatz hatte sich unbemerkt in einem Gullideckel verfangen. Als sie den Kopf wieder hob, sah sie, dass es Artemis gewesen war, der sie davon abgehalten hatte, allzu nahe Bekanntschaft mit dem Beton zu machen. „Danke…“, stotterte sie verlegen. Lächelnd hob Artemis die Rose, welche Lydia durch ihren Sturz verloren hatte, wieder auf und legte sie ihr in die Hände. Lydia hob die Finger, um die Rose zu fassen, dabei berührte sie flüchtig Artemis‘ Handrücken. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich vor Unheil beschützen würde. Mein Leben lang.“ Gerade, als der riesige weiße Löwe zum Sprung ansetzen wollte, hechtete auch McKenzey auf Ethos zu. Einen Vorteil besaß der Dämon, er und der Löwe hatten den Priester eingekreist. Doch so leicht ließ sich Ethos nicht in die Ecke drängen. Mit einer Rolle zur Seite konnte er sich aus der Schussbahn der beiden Angreifer retten. Während sich McKenzey, kaum dass dieser auf dem Boden gelandet war, Ethos zuwendete, griff der Löwe den verletzten Gardisten an. Dieser sprang sofort auf und rannte in die Richtung, in welcher er seine Kollegen vermutete. Roth stürmte an dem jungen Mann vorbei, die Hellebarde zum Kampf erhoben. Kaum war er bei dem weißen Löwen angekommen, stemmte dieser seine Pfoten in den Boden und blieb stehen. Von seiner rechten Seite näherte sich Chino. Knurrend blickte der Löwe erst Chino, dann Roth an. Als er ein lautes Brüllen ausstieß und dabei den Rachen voller Zähne entblößte, stieß Roth zu. Seine Hellebarde verfehlte das Maul des Untiers nur knapp, hatte es aber näher an Chino heran getrieben. Und was dann passierte, sollte Roth noch lange im Gedächtnis bleiben. Im Gegensatz zu Artemis oder Ethos hatte er Chino noch nie kämpfen sehen. Allem Anschein nach benötigte Chino die Armbrust, welche er kurz zuvor noch verwendet hatte, um McKenzey einen Pfeil in den Oberkörper zu jagen, nicht mehr. Nutzlos lag sie an der Seite, einer der Gardisten schlich sich gerade heran, um die Waffe an sich zu nehmen. Mit purer Muskelkraft fing Chino den Löwen ab, der sich aufgebäumt und auf den Spanier gestürzt hatte. Die langen Zähne wollten sich gerade in Chinos Fleisch bohren, doch indem er das massige Tier nach hinten wuchtete, konnte der Dämon den Angriff verhindern. Roth traute seinen Augen nicht, als er sah, wie der Löwe von den Beinen gerissen wurde und auf den Steinen aufschlug, als habe Chino gerade ein lästiges Insekt verjagt. Die rot leuchtenden Augen in dem Gesicht des Spaniers pulsierten nahezu vor Wut. Fauchend stürzte Chino dem Löwen hinterher und warf sich auf diesen. Indem er die Hände auf dessen Kopf legte, drückte er das Ungetüm auf den Boden. Auch der Löwe brüllte erneut auf, wodurch sich die Stimmen der beiden Kämpfenden zu einer Kakophonie des Grauens vermischten. Unweit entfernt stand McKenzey noch immer Ethos entgegen. Da er wusste, dass er mit seinem Revolver nicht weiter kommen würde, hatte Ethos diesen in einem kleinen Holster an seinem Gürtel verstaut. Während er den Dämon, welcher gerade mit zwei Schwertern auf ihn zu preschte, genauer betrachtete, kam er zu dem Entschluss, dass er härtere Geschütze würde auffahren müssen. Nachdem er dem ersten, leicht unkoordiniert wirkenden, Angriff des Dämons ausgewichen war, nahm Ethos seinen Rosenkranz aus der Hosentasche und wickelte das perlenbesetzte Band um seine rechte Hand. Als McKenzey sich umdrehte, lachte er laut auf. „Das soll mich aufhalten?“ „Komm doch und finde es heraus.“ Vorsichtig brachte McKenzey sich erneut in Stellung. Obwohl er den Priester eben noch verspottet hatte, wusste er ganz genau, dass jeder falsche Zug der letzte sein könnte. Brooklyn und Hildegard hatten einiges über den Weißen Priester gehört und die Tatsache, dass selbst Esrada ihn als Bedrohung ansah, sprach mehr als tausend Worte. Eigentlich hatten sie ihn niemals als Feind angesehen. Wäre Brooklyn damals nicht aktiv auf Artemis angesetzt worden, wäre auch dieser niemals ein Widersacher für ihn gewesen. Doch um seine und Hildegards Tarnung aufrechtzuerhalten, hatte er damals den Auftrag ausgeführt, den eigentlich Nathan hätte erledigen müssen. Generell war der Arschkriecher sehr gut darin, sich aus den anspruchsvolleren Aufträgen heraus zu reden. Ein Museum niederbrennen und Zivilisten töten, das hätte Brooklyn auch gekonnt. Als er sah, dass der Dämon nicht angreifen würde, ging Ethos in die Offensive. Verwundert darüber, wie schnell sich der Priester bewegte, handelte McKenzey erst im allerletzten Moment. Ethos war schon beinahe vor ihm, als er das Schwert in seiner rechten Hand hinunter gleiten ließ. Mit einer Bewegung zur Seite wich Ethos aus, dazu stellte er seinen Fuß auf den Rücken der Waffe. Nun war der letzte Abstand zwischen den beiden Kontrahenten überbrückt und Ethos stand genau vor dem Dämonen. Mit ganzer Kraft stieß McKenzey sein zweites Schwert herab und wollte gerade ein triumphierendes Lachen ausstoßen, als er spürte, wie sich ein Widerstand auf die scharfe Klinge legte. Ethos hatte seine rechte Hand gehoben und mit dem Rosenkranz das Schwert aufgehalten. Wütend drückte McKenzey so stark zu, dass er schon fast rot anzulaufen drohte, so viel Kraft, wie er aufwand. Eigentlich hätte das Schwert, dessen Klinge so scharf geschliffen war, dass es ein Haar mühelos zerteilen konnte, den Priester bereits in Stücke schneiden müssen. Ein simpler Rosenkranz sollte erst recht keinen Widerstand darstellen. In den einzelnen Kugeln des Rosenkranzes sammelte sich eine hellblaue Substanz, welche sich nach und nach verdichtete. Es schien, als wanderte ein Teil von ihr Ethos‘ Arm hinunter. Mit einer kräftigen Bewegung drückte Ethos das Schwert zur Seite, dann holte er aus und schlug McKenzey direkt in das Gesicht. Ein unangenehmes Knacken ertönte, dann spürte der Dämon, wie er nach hinten gedrückt wurde. McKenzey sah den Himmel über sich auftauchen und spürte, wie er mit dem Kopf hart gegen etwas gegen stieß, dann verlor er für den Bruchteil einer Sekunde das Bewusstsein. Als er seine Augen wieder öffnete, stand Ethos bereits wieder über ihm. Aus seinem Mund lief Blut und als er ausspuckte, beförderte er zwei Zähne mit hinaus. Erst jetzt spürte McKenzey, wie sehr ihm der Kiefer schmerzte. Gerade, als er etwas sagen wollte, packte Ethos den Dämonen am Kragen und zog ihn hinauf. „Es ist schon sehr großes Pech, dass du gerade auf mich getroffen bist“, zischte Ethos, als er McKenzey mit dem Rücken gegen die Wand drückte, wodurch sich diese leicht rötlich färbte. „Im Gegensatz zu Artemis bin ich kein Verfechter von Gnade. Selbst wenn du kooperieren solltest, werde ich dich töten.“ Panisch weiteten sich die rot glühenden Augen des Dämons und musterten den Priester hektisch. Das hellblaue Leuchten, welches sich zuvor noch wie eine Kugel in der Hand des Weißen Priesters befunden hatte, durchzog nun dessen gesamten Körper. Doch das, was Brooklyn am meisten schockierte, waren die Augen, mit denen Ethos ihn anstarrte. Sie leuchteten in einem besonders hellen Blau, ähnlich dem der Dämonen. Nur mit dem Unterschied, dass es nicht rot wie heißes Feuer glühte, sondern wie kaltes Eis glitzerte. Als McKenzey die Hand hob, um sich aus Ethos’ Griff zu befreien, schrie er sofort auf. Er hatte nach derjenigen gegriffen, in welcher Ethos noch immer den Rosenkranz hielt. Es war, als würde seine Handfläche bei der Berührung verbrennen. Erneut holte Ethos aus, diesmal schlug er dem Dämon oberhalb der Schwertgriffe, die an seinem Waffengürtel baumelten, in den Bauch. Sofort zogen sich McKenzeys Eingeweide zusammen. Er konnte nicht anders, als sich zu übergeben. Ethos ließ ihn daraufhin los und tat einen Schritt nach hinten, damit er nicht von dem Erbrochenen getroffen wurde. Kaum war McKenzey fertig damit, seinen Magen zu entleeren, holte Ethos aus und trat den Dämonen gegen die Brust. Erneut wurde dieser unsanft auf den Boden geschleudert und schnappte laut nach Luft. Als er sich auf die rechte Seite drehte, um leichter atmen zu können, verkrampfte sich sein gesamter Körper unter dem Luftmangel so stark, dass Ethos mit Leichtigkeit über ihn steigen und sich eines der Schwerter aus dem Gürtel nehmen konnte. Es war eine lange und dünne Klinge, ähnlich wie die, die McKenzey Artemis in London in das Bein gerammt hatte. Ethos ging einige Schritte und betrachtete dabei die Waffe. Das Sonnenlicht wurde von der Oberfläche reflektiert, als er es leicht drehte und wendete. McKenzey nutzte die kurze Pause, um aufzustehen. Mit dem Ärmel wischte er sich das Blut von den Lippen, dann starrte er Ethos wütend an. „Du weißt doch gar nicht, auf was du dich hier eingelassen hast!“ „Ich bin gerne dazu bereit, das herauszufinden. Wenn das ein Versuch sein soll, sich zu retten, ist er äußerst kläglich“, erwiderte Ethos ruhig, ohne den Blick von dem Schwert zu nehmen. „Ich habe dir bereits gesagt, dass ich dich töten werde.“ „Und wenn ich bereit wäre, für euch zu arbeiten?“ Für einen kurzen Augenblick hielt Ethos inne. „Ganz recht. Möglicherweise wäre ich ja daran interessiert, euch weiterzuhelfen. Und zu erzählen, wo Esrada sich aufhält.“ Langsam ließ Ethos das Schwert sinken und kam auf den schwer atmenden Dämon zu. Seine Augen besaßen noch immer den unheimlichen Glanz, der jeden, den Ethos ansah, einzufrieren schien. Genau vor McKenzey blieb Ethos stehen. Er musterte den Dämonen von oben bis unten. Gerade, als McKenzey den Mund geöffnet hatte, um etwas zu sagen, stieß Ethos diesem das Schwert in den Oberschenkel. Vor Schmerz schreiend, sank McKenzey in sich zusammen, hielt sich jedoch noch auf den Beinen. „Kommt dir das bekannt vor?“, fragte Ethos und ging leicht in die Hocke, um mit McKenzey auf Augenhöhe zu bleiben. „In London hast du zwei meiner Partner verletzt.“ Anstatt etwas darauf zu antworten, sog McKenzey scharf die Luft ein und zog sich das Schwert aus dem Oberschenkel. Einige seiner Wunden waren bereits dabei, sich wieder zu schließen. Voller Zorn schaute er Ethos an, sein Kampfgeist schien in ihn zurückgekehrt zu sein. „Elender Priester… Du wirst noch sehen, was du davon hast, mein Angebot ausgeschlagen zu haben.“ Kaum hatte er seinen Satz beendet, schnellte McKenzey vor und traf Ethos mit dem vorderen Teil seines Kopfes an der Stirn. Da Ethos diesen Angriff nicht schnell genug hatte parieren können, fiel er nach hinten und zur Abwechslung war er derjenige, der sich nun auf dem Boden wiederfand. Sofort ergriff Brooklyn die Chance und setzte sich auf den Oberkörper des Priesters. Blut tropfte von oben auf Ethos‘ weiße Kleidung, als Brooklyn sich nach vorne lehnte, so dass er nur noch wenige Zentimeter von dem Gesicht das Geistlichen entfernt war. Mit seinen Händen drückte er Ethos‘ Arme auf den harten Stein. „Ich werde dir ein letztes Mal ein Angebot machen. Nehmt meine Frau und mich zu euren Kontaktleuten auf. Dann werde ich dich sowohl zu Esrada führen, wie auch dein Leben verschonen.“ Zunächst wirkte es, als würde Ethos tatsächlich über seinen Vorschlag nachdenken. Hoffnung mischte sich in die erregte Mimik des Dämons. So lange, bis Ethos laut zu lachen anfing. Verwirrt schaute Brooklyn auf seinen Widersacher hinunter. „Du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass ich mit Abschaum wie dir zusammen arbeiten würde oder?“ „An deiner Stelle würde ich aufhören, mich zu verspotten!“ „Sonst was?“, fragte Ethos und sah mit einer Mischung aus Belustigung und Herausforderung zu McKenzey hinauf. Ein lautes Knurren ausstoßend, hob McKenzey eine seiner Hände. Schneller, als es ein Mensch hätte wahrnehmen können, griff er nach dem Schwert, welches kurz zuvor noch in seinem Körper gesteckt hatte. Er nahm beide Hände zur Hilfe, um es auf Ethos‘ Kopf zu richten, dann stieß er es mit aller Kraft, die ihm zur Verfügung stand, hinunter. Doch noch bevor die Spitze Ethos hätte erreichen können, legte dieser seine Hände um die Klinge. Die seltsame Energie, die durch den Körper des Priesters zu wandern schien, manifestierte sich nun in dessen Armen. Kurz vor seinem linken Auge kam die Klinge zum Stehen, an Ethos‘ Händen jedoch lief lediglich ein kaum zu erkennendes Rinnsal Blut herunter. Noch bevor Brooklyn hätte realisieren können, was gerade vor sich ging, zerbarstete das Metall in hunderte kleine Einzelteile. Um sich vor den Splittern zu schützen, legte Ethos seine Arme vor das Gesicht, McKenzey hingegen konnte sich noch immer nicht rühren. Kaum war das Schwert vollständig gebrochen, griff Ethos zur Seite und nahm einen der Splitter auf. Dazu bäumte er seinen Oberkörper auf und rammte den spitzen Gegenstand von der Größe einer Handfläche in den Hals des Dämons. Dies ging so schnell, dass McKenzey keine Zeit hatte, darauf zu reagieren. Von der Wucht und den Schmerzen geschwächt, wurde der Dämon zur Seite gepresst. Das Blut, das aus seiner Wunde nahezu heraus spritzte, bildete eine Pfütze. Je größer diese wurde, desto schwächer schien McKenzey zu werden. Als er aus dem Augenwinkel hinauf schaute und Ethos erneut über sich stehen sah, wurde ihm bewusst, dass er jeden Augenblick sterben würde. Es war eine Erkenntnis, die ihm in einer merkwürdigen Klarheit überkam. Sie kam ihm schon beinahe beruhigend vor, wenn er daran dachte, was Esrada mit ihm anstellen würde, würde er zurückkommen und versagt haben. „Noch irgendwelche letzten Wünsche?“ Als Brooklyn darauf antworten wollte und den Mund öffnete, brachte er nichts weiter als einen Schwall Blut heraus, der sich zu der übrigen roten Flüssigkeit gesellte, die ihn bereits umgab. Mit dem Fuß stieß Ethos den Dämonen auf die Seite. Kurz darauf entfernte er den Splitter aus dessen Hals. Ein Knie drückte er in McKenzeys Rippen, um diesen am Boden zu halten, das andere Bein legte er auf dem Boden ab. Zwar spürte Ethos, wie sich das Blut in seine Hose sog, doch dies kümmerte ihn gegenwärtig nicht. Stumm formte er ein Kreuz auf seiner Brust, dann wickelte er die perlenbesetzte Schnur seines Rosenkranzes um Brooklyns Hals. Das letzte, das Brooklyn in seinem langen Leben zu sehen bekam, war Ethos emotionslose Miene, als dieser ihm den Atem nahm. Sein letzter Gedanke jedoch galt Hildegard, mit der Gewissheit, sein Versprechen ihr gegenüber gebrochen zu haben. Als Marylin am späten Abend vor Geminis Haus stand, kam sie nicht umhin, sich einige Gedanken zu machen. Sie war nun schon mehrere Tage lang damit beschäftigt gewesen, mit Gemini über die verschiedenen Bücher zu reden, die diese verkaufte. Dabei hatte die Zigeunerin anklingen lassen, dass sie eine Art Bibliothek besaß, welche sie in ihrem Keller aufgebaut hatte. Heute Abend würde Marylin einmal unverbindlich nachfragen, ob sie nicht einen Blick in diese Bibliothek werfen dürfe. Wahrscheinlich würde sie noch viele weitere Bücher über Dämonen finden, diejenigen, die Gemini bisher mit ihr zusammen durchgesehen hatte, waren wenig hilfreich gewesen. Vorsichtig klopfte Marylin an die Tür der Südländerin. Wenige Sekunden später öffnete sich diese einen Spalt breit und als Gemini erkannte, wer draußen in der Gasse vor ihrem Haus stand, öffnete sie bereitwillig ihre Pforten. „Marylin“, rief sie freudig aus und winkte die Angesprochene hinein. „Ich habe dich schon erwartet. Setz dich doch schon mal, ich hole uns eine Flasche Wein.“ Lächelnd trat Marylin ein und hing ihre leichte Stoffjacke an einem Haken auf. Sie war zwar nicht gekommen, um Wein zu trinken, aber ein Glas konnte auch nicht schaden. Marylin setzte sich an den Holztisch, welchen sie in der letzten Zeit häufig in Beschlag genommen hatte, um sich mit Gemini zu unterhalten. Nachdem die Zigeunerin zurückgekehrt war und sich ebenfalls hingesetzt hatte, ließ Marylin ihren Blick über die Wohnung schweifen. Sie war klein, aber wunderschön eingerichtet. Neben dem großen Tisch im Wohnzimmer war noch ein orientalisch wirkendes Sofa mit dunkelroten Bezügen zu erkennen, welches direkt unter dem Fenster platziert worden war. Die Durchreiche zur Küche war geschlossen. Ein Perserteppich verdeckte den Großteil des Bodens, der aus alten Holzdielen bestand. Der Tisch, an dem sich die beiden Frauen befanden, stand genau in der Mitte und der Schein der beiden Kerzen erleuchtete schwach die Ecken des quadratisch geschnittenen Raumes. Ein Bücherregal, das bis zum Anschlag mit Büchern vollgestopft worden war, stand an der gegenüberliegenden Wand. Daneben befand sich eine kleine Kommode aus schwarzem und teuer aussehendem Holz. Einige Pflanzen vervollkommneten den Anblick einer perfekt eingerichteten Wohnung, das komplette Gegenteil von dem, was Marylin bei sich zu Hause in London zu bieten hatte. Auch die Tür, die zur Küche hin führte, war geschlossen. „Wo schläfst du eigentlich?“, fragte Marylin, während sie ihr Glas schwenkte. „Auf meinem Sofa, wo denn sonst. Warum fragst du?“ Der schelmische Blick, mit dem Gemini sie betrachtete, entging Marylin nicht. „Nur so. Ich dachte schon, du schläfst in deinem Keller.“ „Dort hebe ich nur meine Bücher auf, die hier oben keinen Platz mehr finden“, antwortete Gemini und nippte an ihrem Wein. An diesem Abend trug sie ein weit ausgeschnittenes Kleid mit bunten Farben, welches ihrer Figur schmeichelte. Auch Marylin hatte sich etwas Hübscheres angezogen. Eine weiße Bluse und eine schwarze Tuchhose, dazu schwarze Pumps. Außerdem war es das erste Mal, seitdem sie bei der Polizei eingestellt worden war, dass sie sich ihre Nägel lackiert hatte. „Wo wir gerade dabei sind… Würdest du mir deine Bibliothek einmal zeigen?“ Obwohl sich Marylin um einen beiläufigen Tonfall bemühte, war sie kaum in der Lage, ihre Neugierde zu verstecken. „Bist du heute Abend gekommen, um dir Bücher anzusehen? Wie langweilig.“ „Dann schlag etwas Besseres vor.“ Marylin würde später noch einmal nach der Bibliothek fragen. Sie wollte keine unnötige Aufmerksamkeit an ihrem gesteigerten Interesse auf sich ziehen. Außerdem hatte sie tatsächlich nicht nur wegen den Büchern Geminis Gesellschaft gesucht. „Du sagtest doch, dass du so gut malen kannst.“ „Ich male nicht, ich zeichne“, stellte Marylin ihr Talent klar, etwas ruppiger, als sie es beabsichtigt hatte. Als sie sah, wie sich Geminis Blick veränderte, legte sie schnell nach: „Aber das liegt ja nicht weit vom Malen entfernt. Wieso fragst du?“ Marylin spürte, wie sie leicht nervös wurde. Kaum hatte sie ihr erstes Glas Wein hinunter bekommen, kippte ihr Gemini auch schon ein neues ein. „Na ja, ich dachte… Also nur, wenn es nicht zu viel verlangt ist, dass du mich vielleicht mal malen könntest. Entschuldige, ich meine natürlich zeichnen.“ Etwas verwundert schaute Marylin Gemini an, dazu nahm sie einen kräftigen Schluck aus ihrem Glas, was die Südländerin ihr gleichtat. „Ich kann dich gerne zeichnen.“ Anstatt etwas darauf zu antworten, lächelte Gemini Marylin schüchtern an. Es war das erste Mal, dass die junge Polizistin so etwas wie peinliche Berührung bei der exotischen Schönheit ausmachen konnte. Etwas zwischen den beiden schien sich plötzlich verändert zu haben. „Hast du denn einen Block und vielleicht auch einen Kohlestift hier?“ Sofort stand Gemini auf und entfernte sich von dem Tisch, um zu ihrer Kommode zu gehen. Aus dem oberen Fach holte sie das von Marylin georderte Material heraus und reichte es ihr. Dann nahm sie die Blondine an die Hand und schritt auf das Sofa zu. Kurz darauf holte sie die Kerze, die sie auf ein kleines Tischlein stellte, welches Marylin erst jetzt auffiel. Dazu gesellten sich bald die beiden, inzwischen wieder bis zum Rand gefüllten, Weingläser. „Wie möchtest du denn gezeichnet werden?“, fragte Marylin, die ihre Stimme wieder besser unter Kontrolle gebracht und zu ihrer alten Selbstsicherheit gefunden hatte. „Ich weiß nicht, was meinst du denn?“ „Das kommt ganz darauf an, was für eine Art Bild du haben möchtest und wo du es später hinhängen willst.“ „Hm“, machte Gemini und hob eine Hand an das Kinn. Ihre goldenen Armbänder stießen leicht aneinander, wodurch ein helles Geräusch entstand. „Wie wäre es denn mit einem, das meine Weiblichkeit betont?“ Noch bevor Marylin fragen konnte, was sie damit meinte, setzte Gemini sich auf ihr Sofa. Eine elegante Bewegung ausführend, beförderte sie ihre Beine an das Ende des mit Kissen bedeckten Möbelstückes, dabei peinlich genau darauf bedacht, keinen Tropfen des kostbaren Weines zu verschütten. Nun lag die Zigeunerin, mit einer Hand ihren Kopf stützend, in der anderen das Glas haltend und ein Bein über das andere gelegt, vor Marylin und schaute diese mit ihren großen braunen Augen von unten herab an. Eines ihrer Beine lag über dem anderen, so dass ihr Kleid nach oben gerutscht war und eine beachtliche Fläche ihrer perfekt gebräunten Haut freigab. Der Ausschnitt des Kleides verdeckte zudem nur noch den nötigsten Teil ihrer Brust. Marylin leckte sich kurz über die Lippen, dann griff sie nach ihrem Glas, als müsse sie einen plötzlich auftauchenden Durst stillen. Erst betrachtete sie die vor sich liegende Frau einige Minuten lang, dann ging die Polizistin in die Hocke. Zeitgleich stellte Gemini ihr Glas auf den Beistelltisch. „Da ist noch etwas, das mich stört“, sagte sie leise und strich mit den Fingerspitzen eine Locke aus Geminis Gesicht. Kaum hatte sie die dunklen Haare wieder an ihre ursprüngliche Stelle gebracht, griff Gemini nach Marylins Hand. Sie tat dies in einer schnellen und bestimmenden Geste, weshalb Marylin vor Schreck ihre Utensilien auf den Boden fallen ließ. Ihre grünen Augen trafen die unergründliche Schwärze, in der sie sich so stark hineingesogen gefühlt hatte die letzten Tage. Langsam beugte Marylin sich vor, bis sich ihre und Geminis Lippen berührten. Die Zigeunerin erwiderte den Kuss, zunächst zaghaft, dann zog sie Marylin zu sich auf das Sofa. Die Blondine ließ dies ohne Widerstand gewähren. Sie legte ihre Arme um Geminis Hüften, strich mit den Fingerkuppen über die schmale Hüfte, bis zu ihren wohlgeformten Brüsten. Ein leises Stöhnen unterbrach den leidenschaftlichen Kuss der beiden kurz. Auch Gemini war dazu übergegangen, den Körper der anderen Frau zu erkunden. Langsam zog sie Marylin die Bluse aus, danach öffnete sie die Knöpfe ihrer Hose. Zufrieden betrachtete Gemini die porzellanfarbige Haut, die sich über den schlanken Körper der Engländerin spannte. Mit den Fingerspitzen umkreiste sie Marylins Bauchnabel, was dieser einen wohligen Schauer durch ihren Körper jagte. Als die Zigeunerin dann begann, ihren Bauch zu küssen, war es um Marylin geschehen. Willig ließ sie sich in dieser Nacht von Gemini leiten, um für einen Augenblick vergessen zu können, wie allein sie eigentlich war in dieser fremden Stadt, mit ihrem einzigen zuverlässigen Begleiter, der Angst vor der Ungewissheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)