Höllenfeuer von Feldteufel ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Kapitel 11 „Das ist also dein dämonisches Auge. Äußerst beeindruckend. Obwohl ich bereits viel davon gehört habe, ist es in natura noch wesentlich faszinierender.“ Noch immer stand McKenzey Artemis gegenüber, ohne auch nur einen Angriff anzudeuten. „Trotzdem, es wird dich nicht retten.“ „Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher. An diesem Auge ist schon so mancher Dämon verzweifelt.“ Ein freudloses Lachen begleitete McKenzeys lässiges Schulterzucken. Er rollte seinen Nacken noch zweimal von links nach rechts, dann hob er sein Säbel an. Zusätzlich zu der mächtig wirkenden Klinge zog er ein kürzeres Schwert aus seinem Gürtel. Artemis hingegen musste sich weiterhin mit seinen vier kleinen Messern begnügen. „Mein Ritual dürfte dich geschwächt haben. Von daher male ich mir meine Chancen keinesfalls gering aus.“ „Rede dir nur ein, dass du gegen einen echten Dämonen etwas mit deinen Fähigkeiten ausrichten könntest. Ich werde dich in deine Einzelteile zerlegt haben, noch bevor du dein Auge das erste Mal einsetzen kannst.“ „Wenn das tatsächlich dein Plan sein sollte, solltest du vielleicht mal angreifen. Ansonsten stehen wir noch übermorgen hier.“ McKenzey ging ein wenig in die Hocke, das Säbel hielt er schräg über seinem Kopf, das kleine Schwert hingegen vor dem Oberkörper. Die beiden Klingen stellten eine Art Schutzschild dar, durch das Artemis die Mimik seines Gegners verborgen blieb. Indem er einen großen Satz nach vorn machte, griff der Dämon an. Dabei ließ er beide Schwertspitzen nach vorne schnellen. Auch wenn sein Angriff beeindruckend schnell vonstattenging, wich Artemis ihm mühelos aus. Noch in der Luft wirbelte McKenzey herum und schlug ein weiteres Mal zu, diesmal von oben herab. Schnell wechselte Artemis seine Messer, so dass er in jeder Hand zwei von ihnen hielt. Mit der einen Hand wehrte er den Säbel ab, indem er seinen Arm hob, das kürzere Schwert konnte er durch eine Stoßbewegung von sich fern halten. Als McKenzey wieder Boden unter den Füßen spürte, stieß er sich sogleich ab und lief auf Artemis zu. Doch egal wie sehr er sich darum bemühte, den Priester zu verletzen, dieser wich so geschickt aus, dass es keinen Sinn ergab, seine gesamte Kondition an ihn zu verschwenden. Bald zog sich McKenzey zurück und wartete zur Abwechslung auf einen Angriff seitens des Geistlichen. Einige Meter entfernt hatte Chino sich inzwischen wieder etwas erholen können. Einige Stellen in seinem Gesicht wiesen deutliche Schwellungen auf, seine Schulter fühlte sich geprellt an. Aufgrund seiner ärztlichen Erfahrungen wusste Chino, dass es nichts Ernstes war, aber Schmerzen waren Schmerzen und hemmten den Organismus. Artemis hingegen schien seine Wunden nicht einmal annähernd zu spüren. Seitdem er sein Auge freigelegt hatte, fühlte er sich nicht nur stabil, trotz des hohen Blutverlustes, sondern auch kräftiger, schneller und seinem dämonischen Gegner in vielen weiteren Belangen deutlich überlegen. McKenzeys Erwartungen wurden erfüllt, denn Artemis war derjenige, der den nächsten Angriff ausführte. Er holte mit seinen Messern aus und stach zu, doch auch McKenzey besaß schnelle Reflexe. Der Dämon wich mit tanzenden Bewegungen aus und positionierte sich neu. Ein Bein stand fest auf dem Boden, das andere hob er angewinkelt in die Luft. Seinen Säbel führte er über den Kopf, die kurze Klinge über dem angewinkelten Knie. Artemis blieb stehen und zog eine Augenbraue nach oben. „Was machst du da? Ich dachte wir wollen kämpfen und uns nicht in Choreographie messen.“ „Verbinde Körper und Geist und dir eröffnen sich neue Möglichkeiten.“ „Spar dir diesen philosophischen Quatsch für den Spruch auf deinem Grabstein auf“, rief Artemis und stürmte erneut auf den Dämonen zu. Dieser passte den Moment genauestens ab. Ein Schritt zu viel und er würde diesen arroganten Priester durch sein verräterisches Auge aufspießen und ihn endlich zum Schweigen bringen. Sobald Artemis nur noch eine Armlänge von ihm entfernt war, ließ McKenzey seine tödlichen Klingen nach vorne schnellen. Er stieß bereits ein heiseres Lachen zum Triumph aus, als er bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Das Lachen blieb ihm je im Halse stecken, denn so sehr er sich auch bemühte, zuzustechen, es passierte einfach nichts. Die Spitzen seiner Schwerter waren nur noch einen Millimeter von Artemis‘ Auge entfernt. Dort standen sie in der Luft, als würden sie durch einen fremden Zauber in der Luft gehalten. McKenzey konnte so stark drücken, wie er wollte, der letzte Abstand ließ sich einfach nicht überbrücken. „Wie… ist das möglich…“ Die Antwort sollte Artemis seinem Gegner für immer schuldig bleiben. Grinsend blieb er stehen und beobachtete, wie sich die Wut in McKenzeys Gesicht sammelte und er vor Wut rot anlief. „Ich kann mich nicht bewegen!“ „Jetzt, Chino!“ Da McKenzey außer Stande war, seinen Kopf zu drehen, konnte er nicht sehen, was hinter ihm passierte. Chino näherte sich mit einem der beiden Kerzenständer und zog diesen dem Dämon über den Schädel. Einen Schmerzensschrei ausstoßend, knickte der Kopf von McKenzey ein und hing schlaff zwischen seinen Schultern. Die Schwerter lösten sich aus seinen Händen und fielen lautstark zu Boden. In diesem Moment wand Artemis seinen Blick von ihm ab, wodurch der Rest des kraftlosen Körpers neben die Schwerter sank. „Ich danke dir. Was für ein Glück, dass du mich begleitet hast“, seufzte Artemis und klopfte Chino dankend auf die Schulter. „Kein Problem. Ich wusste, dass es eine schlechte Idee sein würde, dich alleine gehen zu lassen.“ Artemis bückte sich und hob den schweren Kerzenständer auf, um ihn sich genauer anzusehen. Dazu begab er sich in Richtung Ausgang. „Warum hast du den Kerl eigentlich nicht aufgespießt? Da du die Kerze eh entfernt hast, wäre das das Naheliegenste gewesen.“ „Ist das nicht egal, immerhin ist er außer Gefecht gesetzt.“ „Stimmt auch wieder.“ „Außerdem verabscheue ich Gewalt.“ Gerade, als Artemis den Vorhang zur Seite schieben wollte, hörte er ein Geräusch hinter sich. Sofort holte er mit dem Eisenständer aus und riss ihn mit all seiner Kraft nach hinten und verharrte in dieser Stellung. Langsam rutschte ein gequält stöhnender Körper die Stange herunter. „Ich habe es dir gesagt. Du hättest dich nicht mit mir anlegen sollen“, hauchte Artemis McKenzey schwer atmend ins Ohr. Trotz seiner raschen Reaktion hatte der Dämon es geschafft, ein Schwert mit einer nadelartigen Spitze in sein Bein zu bohren. Blut sammelte sich im Mundwinkel des blonden Mannes und lief ihm in immer dicker werdenden Rinnsalen das Kinn herunter. Mehr als ein klagendes Wimmern bekam er nicht mehr aus sich heraus. Ruckartig ließ Artemis den Kerzenständer los, um sich von dem zusätzlichen Gewicht zu befreien. Das Schwert entfernte er aus seinem Oberschenkel, was einen weiteren Fluss aus Blut nach sich zog. „Wir müssen dich sofort von hier weg bringen. Am besten in das Hotel, da werde ich dich versorgen, so gut es geht. Die Wunde an deiner Seite sieht besonders schlimm aus“, stellte Chino fest. „Mach dir um mich keine Sorgen, ich werde das schon überstehen“, sagte Artemis lächelnd, allerdings noch immer unter schwer gehendem Atem. Für einen kurzen Augenblick standen sich Chino und Artemis gegenüber. Je länger Chino den Priester ansah, desto mehr regte sich in ihm. Eine ihm unbekannte Wut stieg aus seinem Magen empor, die sich in ein nahezu animalisches Gefühl steigerte. Er konnte seinen Blick einfach nicht von diesem roten Auge, das ihn geradezu zu verspotten schien, abwenden. Als habe Artemis dies gespürt, suchte er auf dem Boden nach seiner Augenklappe. Doch die Augenklappe war nicht das einzige, das er fand. Beim Abtasten des Bodens spürte Artemis ein kleines rundes Objekt, welches sich wie Metall anfühlte. Er hob es auf und steckte es in seine Hosentasche, später würde er noch genügend Gelegenheiten haben, das Objekt zu untersuchen. Wenn er keinen Streit mit Chino provozieren wollte, war es erst einmal wichtiger, sein Auge zu verdecken. Hastig setzte er sich die Klappe auf das besagte Auge und band die Fäden am Hinterkopf zusammen. Während er tief durchatmete, nahm Artemis seine Tasche an sich und kramte ein Streichholz heraus. Dazu riss er einige Seiten aus seiner Bibel, zündete diese an und warf die brennenden Blätter auf das Bett. Zusammen mit Chino zog er die leblosen Körper der beiden Dämonen an das Bett heran. Einen warfen sie auf die Matratze, den anderen, von dem Kerzenständer durchlöcherten Leib positionierten sie unterhalb des Bettes in der Hoffnung, dass beide in den Flammen zerstört werden würden. „Dass ihr die Blätter eurer Heiligen Schrift verbrennt, will mir immer noch nicht ganz aufgehen“, murmelte Chino vor sich hin. „An sich ist die Geste auch nicht besonders erstrebenswert, aber nur durch das geweihte Feuer ist dafür gesorgt, dass die Dämonen auch wirklich sterben“, antwortete Artemis knapp. Plötzlich, auf dem Weg nach draußen, knickte der Geistliche ein. Eine Hand hielt er auf die Wunde an der linken Seite gepresst, die andere ruhte auf seinem Bein. Schlagartig war Chino neben ihm und stütze den Priester, damit dieser sich aufrichten konnte. „Wir müssen sofort von hier verschwinden.“ „Ich weiß…“ Mit all seiner Kraft setzte sich Artemis in Bewegung und versuchte, so viel wie möglich von seinem eigenen Gewicht zu tragen. Ein Unterfangen, das ihm immer häufiger misslang. Seine Rippen brannten höllisch, sobald er einatmete, ebenso sein Bein, wenn er auftrat. Unter einigen Fluchen und Schmerzenslauten verließen Chino und Artemis die Wohnung. Kaum waren sie draußen, erwartete sie bereits der Schwarm wilder Katzen. Zuerst schauten sie die beiden aus einer sitzenden Position aus an, dann stürmten sie an ihnen vorbei, direkt in das brennende Haus hinein. Die Tiere huschten zwischen ihren Beinen hindurch, so dass Chino Mühe hatte, Artemis aufrecht halten zu können. „Selbstmordkatzen. So etwas ist mir auch noch nie untergekommen“, lachte Artemis, dann verlor er das Bewusstsein. Müde und gelangweilt schaute Ethos aus dem Fenster des Taxis. Das einzig Spannende, das er in dieser ruhigen und ereignislosen Nacht zu Gesicht bekommen hatte, war ein Brand gewesen, an dem der Fahrer des Taxis vorbei gekommen war. Die Feuerwehr war bereits vor Ort und mit dem Löschen des Brandes fast fertig. Wenig später erreichte er auch schon das Hotel, in dem er sich und seine Mitarbeiter hatte einquartieren lassen. Seinen Koffer hinter sich her wuchtend, schritt Ethos an die Rezeption heran. Die Frau dahinter wirkte beschäftigt und telefonierte. Als sie sah, dass ein Gast eingetroffen war, winkte sie eine Kollegin heran, welche Ethos mit einem sichtbar aufgesetzten Lächeln ihre perfekten weißen Zähne zeigte. „Herzlich Willkommen im Hotel Savoy. Was kann ich für Sie tun?“ „Mein Name ist Ethos Turino. Einer meiner Kollegen, entweder Mr. Estevez oder Mr. Dal Monte hat bereits ein Zimmer gebucht. Ich würde gerne wissen, welche Nummer sie bezogen haben. Bestimmt hat man Ihnen gesagt, dass ich im Laufe des Abends noch in eines der Zimmer als zusätzlicher Gast einchecken würde.“ „Bitte, warten Sie doch einen kurzen Moment.“ „Gibt es Probleme?“ Die Rezeptionistin ließ Ethos einfach stehen und ging zu ihrer Kollegin. Etwas zu schnell und zu auffällig zeigte sie auf Ethos und fing an zu diskutieren. Die zweite Empfangsdame schaute an ihrer Kollegin vorbei und riss erschrocken die Augen auf. Es dauerte noch eine Weile, bis eine von ihnen endlich dazu bereit war, Ethos zu bedienen. „Hier ist der Schlüssel. Sie sind im Zimmer 305 untergebracht. Wir wünschen einen schönen Aufenthalt.“ Für ein so berühmtes und vornehmes Hotel kam Ethos der Service überaus schlecht vor. Während er zu dem Fahrstuhl ging, kam ihm die Idee für ein Bewertungsprofil für Hotels, in dem jeder für andere sichtbar seine Meinung über verschiedene Hotels abgeben und andere potentielle Gäste so vor einem Besuch warnen könne, doch er war sich sicher, dass die Technik niemals auf den Stand kommen würde, so etwas verrücktes zu bewerkstelligen. Wie sollte man schon so viele Gäste gleichzeitig und in einer so kurzen Zeit erreichen, dass das Konzept wirklich aufgehen würde. Den Gedanken abschüttelnd trat Ethos aus dem Fahrstuhl heraus und schloss die Tür zu dem Zimmer 305 auf. Was er sah, als er die Tür öffnete, ließ ihn in eine Schockstarre verfallen. Auf einem der beiden Betten lag Artemis, Chino kniete neben ihm und zerschnitt einige der blutverschmierten Bettlaken. „Was zum Teufel ist hier los?!“, fragte Ethos und schloss schnell die Tür hinter sich. Auch auf dem Teppich war eine Blutspur zu erkennen, draußen auf dem Flur war Ethos zum Glück nichts dergleichen aufgefallen. „Das erkläre ich dir später. Erstmal könntest du herkommen und mir dabei helfen, Artemis wieder zusammen zu flicken und die Blutungen zu stoppen.“ Sofort eilte Ethos zu Chino und fragte, was er machen solle. Der Arzt drückte ihm nur einige Laken in die Hände und wies ihn an, diese auf die Wunden zu drücken, welche er noch nicht verarztet hatte. Vorsichtig presste Ethos das Laken auf Artemis‘ Bein. Danach widmete sich Chino wieder der Wunde an der linken Flanke. Er hatte eine Flasche Alkohol auf dem Nachtschrank stehen, daneben lagen Nadel und Faden, sowie eine Schere, Kompressen und einige Verbände. Mehr stad ihm nicht zur Verfügung, doch wie Ethos feststellte, reichte das an Material für Chino. Nachdem Chino die Wunde an der Seite verarztet hatte, widmete er sich dem Bein des Priesters. Ungefähr eine halbe Stunde später hatte er auch dieses soweit versorgt, dass die Blutungen gestillt und unter Kontrolle waren. Chino zog die Gummihandschuhe, die er sich vor den Eingriffen übergezogen hatte, aus und setzte sich auf das zweite Bett, das einige Meter neben dem von Artemis stand. Er fuhr sich kurz durch die Haare, dann seufzte er tief. Ethos setzte sich neben den Dämonen, dessen Augen noch immer rot glühten. „Also, was ist passiert?“ „Wir waren mit Marylin unterwegs gewesen und haben in einem Pub was getrunken. Kurz darauf wurde Artemis von einem Typen angesprochen, der meinte, seine Tochter sei von einem Dämon besessen. Deshalb haben wir Marylin hier im Hotel gelassen, Artemis und ich sind zu dem Mann gegangen und in eine Falle getappt. Zwei Dämonen haben uns dort angegriffen, beide sind tot. Das wäre jetzt die kurze Version.“ „Ich denke, dass mir die auch erst einmal reicht. Danke, dass du Artemis geholfen hast. Ohne dich wäre er bestimmt schon lange verblutet, so wie es hier aussieht.“ „Er hat echtes Glück gehabt.“ „Das hat er irgendwie immer.“ „Die Wunden haben stark geblutet, aber keine von ihnen wäre direkt tödlich gewesen. In ein Krankenhaus oder zum nächsten Notruf hätte er es noch geschafft. Es sieht wesentlich schlimmer aus, als es ist.“ Trotzdem klopfte Ethos Chino anerkennend auf die Schulter. Auch er stieß schwer die Luft aus, als er Artemis beobachtete, wie dieser leise atmend auf dem Bett lag und schlief. „Deine Augen…“ „Ich weiß, sie sind immer noch transformiert. In der letzten Zeit habe ich kaum Nahrung zu mir genommen. Die paar Kratzer und Prellungen, die ich ab bekommen habe, sind zwar inzwischen wieder verheilt, aber mein Körper befindet sich dennoch gerade an der Grenze. Wahrscheinlich werde ich noch einmal raus gehen und etwas Blut trinken.“ Chino sagte dies, als wäre es das normalste auf der Welt. „Ansonsten könnte es sein, dass mich bereits der erste Sonnenstrahl umbringen wird.“ „Du solltest dich beeilen, es wird bald dämmern.“ „Ich weiß. Jetzt, wo du da bist, kann ich mich beruhigt entfernen. Sollte Artemis aufwachen, wird er die hier nehmen wollen.“ Chino zeigte auf eine kleine Dose mit Pillen. „Das sind starke Schmerzmittel. Er wird morgen ohne sie nicht in der Lage sein, ein Flugzeug zu betreten. Und sorge dafür, dass er nicht zu schnell aufsteht. Er sollte so lange liegen, wie es möglich ist. Auf dem Nachtschrank liegt ein Schlüssel. Der gehört zu dem Zimmer, in welchem Marylin liegt. Ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass sie sich einfach entfernt, während wir weg sind. Deine Armbrust befindet sich ebenfalls dort. Ich weiß, es ist nicht die beste Entscheidung gewesen, Marylin alleine zu lassen. Aber das war der bestmögliche Kompromiss.“ Chino redete so schnell, dass seine Stimme sich zu überschlagen drohte. „Kein Problem, ich passe schon auf Artemis und Marylin auf. Geh du lieber und stärke dich, bevor wir ohne dich nach Rom fliegen müssen. Das wäre mir unmöglich.“ Lächelnd stand Chino auf, zog sich saubere Sachen an und begab sich nach draußen. Ethos blieb mit Artemis zurück. Einige Minuten lang saß Ethos einfach nur da und ließ sich von der Stille, die ihn umgab, dahintreiben. Vorsichtig hob er seine Hände und bemerkte das erste Mal, dass seine weißen Handschuhe voller Blut waren. Das Blut von Artemis. Er wusste nicht, warum er das tat, aber Ethos rieb seine Fingerspitzen aneinander, als würde dies dazu beitragen, die rote Flüssigkeit wieder loszuwerden. Das leichte Aneinander reiben seiner Fingerspitzen ging bald in einen aggressiven Versuch über, das Blut durch intensives Scheuern der Handflächen zu entfernen. Ethos‘ wütendes Gebärden bildete einen starken Kontrast zu dem ruhig daliegenden Artemis, welcher sich nicht einmal im Schlaf einen Zentimeter bewegte. Getrieben durch den Wunsch, das Blut an seinen Händen nicht mehr sehen zu müssen, intensivierte Ethos seine Bewegungen, nur um verzweifelt feststellen zu müssen, dass seine Bemühungen ohne Erfolg blieben. Zorn durchfuhr ihn wie ein wildes Tier, weshalb er aufsprang und sich in das Bad begab, welches an das Zimmer der beiden Priester grenzte. Dort angekommen zog er seine Handschuhe aus, beugte sich über das Waschbecken und hob, nach einigen Atemzügen, den Kopf wieder an. Im Spiegel sah er, dass sich auch in seinem Gesicht etwas Blut befand, anscheinend hatte er sich mit den Handschuhen dort angefasst. So schnell er konnte drehte er den Wasserhahn auf und schöpfte sich die klare und kalte Flüssigkeit in sein Gesicht. Er nahm sich ein Handtuch, um sich abzutrocknen. Etwas von dem Blut war in das Handtuch übergegangen, doch als Ethos ein weiteres Mal sein Spiegelbild betrachtete, erschien es ihm, als klebten noch immer vereinzelt einige Tropfen von Artemis‘ Blut auf seiner Haut. Ethos wiederholte die gesamte Prozedur, doch sobald er sein Spiegelbild erblickte, war er fest der Meinung, das Blut seines Kollegen an sich kleben zu sehen. Es kam selten vor, dass Ethos sich auf irgendeine Art von den Emotionen, die ihn durchfluteten, überkommen ließ. Einer dieser seltenen Momente sollte ihn an diesem Abend einholen. Mit einem verzweifelten Schrei riss sich Ethos sein weißes Hemd vom Leib und betrachtete den entblößten Oberkörper genauso intensiv vor dem Spiegel, wie einige Minuten zuvor noch sein Gesicht. Genau wie dieses meinte er, seinen Oberkörper mit Blut bedeckt zu sehen. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und Ethos‘ Puls stieg rapide an. Schwer prustend betrachtete sich der blonde Priester von oben bis unten. Überall war Blut. Nicht nur leichte Spuren, sondern tief roter, fließender Saft, der sich seinen Weg über seine Haut bahnte. „Nein… nein… Nein!“ Die Kontrolle über sich verlierend, schlug Ethos zu. Seine Faust prallte auf das Glas des Spiegels, dessen Oberfläche sofort in hundert Teile zersprang. Splitter fielen auf den Boden, einige bohrten sich in Ethos‘ Faust. Den Schmerz ertrug er schweigend, alles war besser als der Anblick von Artemis‘ Blut auf seinem Körper. Angsterfüllt drehte Ethos sich um. Unweit von ihm entfernt entdeckte er eine Dusche. So schnell er konnte drehte er den Hahn der Dusche auf, dann befreite er sich von dem Rest seiner Klamotten. Obwohl das Wasser noch immer kalt war, sprang Ethos in die Duschwanne hinein und beobachtete, wie sich das Blut von seinem Leib in dünnen Fäden löste und sich mit dem Wasser vermischte. Langsam löste sich die Anspannung in Ethos und seine Muskeln lockerten sich. Erleichtert sank er gegen die Fliesen und legte den Kopf in den Nacken. Inzwischen hatte das Wasser eine angenehme Temperatur erreicht und spendete zusätzliche Wärme. Ethos verharrte für lange Zeit in dieser Stellung, dann drehte er das Wasser wieder aus. Als er auf die Bodenfliesen der Dusche schaute, erstrahlten diese in reinstem Weiß, auch das Handtuch, mit dem er sich abtrocknete, wies keinen anderen als den neutralen beigen Farbton auf, der hervorragend zu den Tapeten des Hotelzimmers passte. Um seinen Wutausbruch zumindest ansatzweise zu verschleiern, fegte Ethos die Scherben, die sich auf dem Boden befanden, auf. Ebenso entfernte er die kleinen Splitter, die auf dem Rand des Waschbeckens zurück geblieben waren. Die Anziehsachen hingegen ließ Ethos liegen. Er hatte genügend Klamotten mit, da würde er den Verlust eines Anzugs verkraften können. Sorgfältig schloss er die Badezimmertür hinter sich, warum er diese dazu abschloss und den Schlüssel genau auf die entgegen gesetzte Fensterbank legte, wusste er nicht. Nur, dass es ihn beruhigte. Kaum hatte Ethos sich einige bequemere Gewänder angezogen, um sich schlafen zu legen, blieb sein Blick an Artemis hängen. Es erschien ihm unwürdig, seinen geschätzten Kollegen so liegen zu lassen. Im Schrank suchte Ethos die letzte verbliebene saubere Bettgarnitur heraus und überzog jeden Bestandteil des Bettes, an welchen er gelangte, ohne Artemis großartig bewegen zu müssen, mit den frischen Utensilien. Zufrieden mit sich selbst legte sich auch Ethos endlich schlafen. Chino kam sich überaus schäbig vor, einen wehrlosen Obdachlosen als Opfer auserkoren zu haben. Der Zweck heiligte zwar die Mittel, ein besseres Gefühl löste dies allerdings nicht in ihm aus. Er hatte sein Opfer im Schlaf überwältigt und sich von seinem Blut genährt, den toten Körper anschließend entsorgt, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Normalerweise sah Chino davon ab, einen Menschen so stark auszusaugen, dass dieser starb, doch an diesem Abend ließ ihm sein Instinkt keine Wahl. So sehr er sich auch für das Gute einzusetzen versuchte, er blieb ein Dämon. Und als Dämon war er in manchen Situationen einfach nicht in der Lage, sich unter Kontrolle zu halten. Nun streifte Chino durch den Hyde Park, seine Augen besaßen wieder ihre menschliche Farbe und sein Körper fühlte sich kräftig und lebendig an. Plötzlich vernahm Chino ein Geräusch. Erschrocken fuhr er herum und sah, dass, mitten auf dem Weg, ein Mann mit verschränkten Armen stand und ihn ausgehend musterte. „Hallo, Chino.“ „Du“, knurrte Chino und kämpfte seine aufkeimende Wut herunter, damit seine Augen nicht ihre Farbe wechselten. „Woher kennst du meinen Namen? Und wie bist du mir gefolgt?“ „Hast du gedacht, ich würde all die Jahre nur Däumchen drehen und faul herumsitzen? Zugegeben, es hat lange gedauert, bis ich wusste, wie du heißt. Aber die Mühe war es wert.“ Der Mann mit den schwarzen Haaren und dem dunklen Mantel trat einige Schritte vor und grinste Chino provokativ an. „Ich weiß, wo du Maria gefangen hältst.“ Chino schien mit einem Mal aller Aufmerksamkeit beraubt. Die anfängliche Wut war wie verflogen, stattdessen stand ihm die pure Überraschung in das Gesicht geschrieben. Es wirkte fast, als habe er einen Geist gesehen. „Was ist los? Überrascht? Hast du wirklich damit gerechnet, dass ich dich in Ruhe lassen würde nach unserem letzten Aufeinandertreffen?“ „Ich kenne nicht einmal deinen Namen“, log Chino. Inzwischen kannte er den Namen des Dämons sehr gut, aber er wollte ihn aus seinem eigenen Mund hören. „Wie unhöflich. Anscheinend hast du dir nicht einmal die Mühe gemacht, herauszufinden, wer ich bin. Dabei habe ich so viel Arbeit darin investiert, dich kennen zu lernen, bevor ich mich mit dir treffe.“ „Hör auf, mich mit unnötigen Details zu langweilen. Warum sollte ich ausgerechnet einem Brandstifter so viel Ehre erweisen?“ „Na schön“, seufzte der Mann enttäuscht. „Da weder du, noch deine Priester auch nur den Hauch einer Ahnung haben, mit wem sie sich gerade anlegen, werde ich eine Ausnahme machen und über diesen Frevel hinweg sehen. Nathan Blackcage. Sehr erfreut.“ Lächelnd streckte der Dämon Chino seine Hand zum Gruß entgegen. Dieser schlug die angebotene Geste aus und spuckte stattdessen in die Handfläche seines Gegenübers. Angewidert zog Blackcage ein Taschentuch heraus und putzte damit seine Gliedmaßen. „Ich wollte nur freundlich sein.“ „Steck dir deine Freundlichkeit sonst wo hin.“ „Chino, ich bin nicht hier, um mit dir zu diskutieren. Ich bin viel eher als Vermittler unterwegs.“ „Als Vermittler wofür?“ „Die Frage ist viel mehr, für wen.“ „Hör mit deinen Spielchen auf und komm zum Punkt.“ „Für sie.“ Blackcage trat zur Seite und gab den Blick auf eine Frau frei, welche bereits einige Zeit hinter ihm gestanden haben musste. Sie war schlank, groß und trug schwarze Stiefeletten, deren Absätze bei jedem Schritt, den sie tat, wie ein fremdartiger Takt klackerten. Ihre schwarzen Haare fielen ihr locker über die Schulter und in den Ausschnitt ihres roten Kleides, deren oberer Teil wie ein Korsett mit schwarzen Schnüren zusammen gebunden wurde. Von der Taille abwärts wurde es ein klein wenig ausladender und fiel in sanften Wellen bis oberhalb ihrer Knöchel herunter. In einer ihrer Hände, welche von seidenen Spitzenhandschuhen überzogen waren, hielt sie einen Fächer, mit dem sie Luft in ihr blasses Gesicht wedelte. Die andere Hand stemmte sie selbstbewusst in die Hüfte. Braune Augen starrten Chino feindselig an, ihr rot geschminkter Mund verzog sich zu einem missbilligenden Ausdruck. Um den Hals trug sie eine perlenbesetzte Kette, passend zu ihren Ohrringen. „Schön, du hast einen weiteren Dämon mitgebracht“, stellte Chino schulterzuckend fest. „Na und?“ „Nicht irgendeinen Dämon, mein lieber Chino. Darf ich dir meine Begleiterin vorstellen? Hildegard Krüger, Marias Schwester.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)