Höllenfeuer von Feldteufel ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 02 --------------------- Kapitel 02 Als Ethos um die Nachmittagszeit sein Pferd sattelte, steckte ihm noch immer die Anstrengung des langen Rittes vom Vortag in den Knochen. Schwerfällig ließ er sich auf Bellezzas Rücken sinken und auch die Fuchsstute schien wenig begeistert darüber, sich erneut in Bewegung setzen zu müssen. Für Ethos war dies eine der ersten trügerischen Spuren, die das fortschreitende Alter mit sich brachte. Früher hatten ihm die oftmals tagelangen und anstrengenden Reisen nicht so viel ausgemacht. Die Pforte vor seiner Unterkunft ließ er offen, alles, das ihm wichtig erschien, führte der Priester mit sich. Bevor er das Gelände des Herrenhauses verlassen würde, ging Ethos den für den heutigen Abend geplanten Ablauf noch einmal in Gedanken durch. Um sich vor dem zu schützen, was möglicherweise auf ihn zukommen würde, trug Ethos einen geladenen Revolver bei sich. Sechs Schuss würden für einen einzelnen „Vampir“ ausreichen, zumal es sich um gesegnete Kugeln direkt aus dem Vatikan handelte. Zur Sicherheit steckten noch einige Patronen in seiner Satteltasche. Zusätzlich hatte er noch einen Dolch und einen spitz zu geschliffenen Holzpflock eingepackt. Eines der Dinge, die der Vatikan vehement unter Verschluss zu halten versuchte, war die Produktion eigener Waffen, die speziell für die Aufgaben der Abteilung ausgelegt waren. Langsam trottete Ethos' Pferd den abgesteckten Sandweg entlang. Hier würde bald eine geteerte Straße entstehen, um dem Vorort einen geeigneten Weg zur Innenstadt zu bereiten, auf welchem auch Autos ohne Probleme vorankamen. Nachdem er schon einige Minuten unterwegs war, hörte Ethos das laute Knarren von altem Holz. Am Horizont tauchte ein Karren auf, der von einem grauen Esel gezogen wurde. Auf der Ablage des Karren war ein großer Haufen Heu zu sehen, davor ein alter Bauer mit einer knollenartigen Nase, dicken Augenbrauen und buschigem schwarzen Haar. Ein Bart wuchs über seiner Oberlippe, seine Kleidung wirkte dreckig und abgenutzt. Als Ethos sich auf der Höhe des Bauern befand, hielt er an. „Entschuldigen Sie, aber Sie haben nicht zufällig vor, das Heu noch einige Kilometer weiter in den Osten von Joux zu transportieren oder?“ Sichtlich irritiert hielt der Bauer seinen Wagen ebenfalls an. „Doch, doch, Monsieur. Ich lebe dort und fahre jeden Tag das Heu in die Stadt, finde jedoch kaum noch Abnehmer außerhalb der umliegenden Gemeinden.“ „Nun, dann möchte ich Sie darum bitten, mir das Heu zu verkaufen. Für mein Pferd. Alles. Wie viel möchten Sie dafür haben und würden Sie es bis zu meinem Stall fahren?“ „Natürlich, gerne Monsieur“, begann der Bauer erfreut und seine Miene hellte sich auf. „Ich gebe Ihnen das gesamte Heu für fünf Franc. Wohin soll ich es denn bringen? Ich habe Sie noch nie hier in der Gegend gesehen. Sind Sie ein Priester?“ Dass es sich bei Ethos um einen Priester handelte, mochte der Mann lediglich an dem bronzenen Kreuz, welches er um den Hals trug, erkennen. Ethos griff in seine Tasche, um die fünf Franc heraus zu holen. „Mein Name ist Ethos Turino. Ich befinde mich einige Zeit im Lande, um einige... Vorkommnisse zu untersuchen. Ich bitte Sie darum, mir das Heu zu dem Anwesen der Gargons zu fahren. Sie wissen doch sicherlich, wo sich dieses befindet oder?“ Sofort war das Lachen aus dem Gesicht des Bauern verschwunden. Fast wäre ihm das Geld, welches Ethos ihm gegeben hatte, aus der Hand gefallen. Ethos sah, wie sich leichter Schweiß auf seiner Stirn bildete. „Das Anwesen der Gargons? Ich bringe Ihnen das Heu. Aber nur bis vor die Pforte. Keinesfalls werde ich dieses verfluchte Land betreten. Niemals.“ „Warum nicht?“ „Sie als Heiliger mögen der einzige sein, der sich auf dem Gelände bewegen kann, ohne verflucht zu werden. Aber nach dem, was dem armen Mädchen passiert ist... Nein, wie gesagt, ich werde Ihnen das Heu gerne bis an die Pforte bringen.“ „Aber dann könnte es sein, dass es mir jemand klaut, bevor ich zurück komme“, erwiderte Ethos. Das zufällige Gespräch, das er hier führte, erwies sich als äußerst informativ. „Ich denke nicht, dass sich jemand auch nur in die Nähe des Anwesens trauen wird. Sie werden das Heu mit Sicherheit vorfinden, wenn ich es davor ablagere. Niemand traut sich mehr auch nur einen Meter weiter an das Anwesen heran als nötig.“ „Wieso das?“, fragte Ethos und legte die Stirn in Falten. „Wussten Sie es nicht? Das Haus ist verflucht. Noch vor einigen Wochen haben die Gargons darin gewohnt. Christopher und sein Vater. Den Vater hat niemals jemand zu Gesicht bekommen. Ohnehin war der Junge merkwürdig. Die Frauen, diese dummen jungen Dinger, waren ihm natürlich alle der Reihe nach verfallen. Doch die Männer konnte er mit seinem Charme nicht täuschen. Wir wussten alle von Beginn an, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Kurz zuvor war die Familie mitsamt den Bediensteten, welche vorher auf dem Gut gelebt haben, verschwunden. Wahrscheinlich hat er sie getötet oder so etwas in der Art. Genau wie die Tochter vom Picarde.“ „Picardes Tochter soll von jemanden ermordet worden sein, der in diesem Haus gelebt hat?“ „Wissen tun wir es nicht. Aber man spürt es förmlich. Warum ist denn der Junge so schnell abgehauen, nachdem man Elises Leiche gefunden hatte? Das war bestimmt kein Zufall.“ „Und seitdem denken alle, das Haus sei verflucht?“ „Natürlich. Kaum eine Generation hat einen Einzug in das Haus jemals überlebt.“ Ethos zog eine goldene Taschenuhr aus der Brusttasche seines Hemdes und warf einen kurzen Blick darauf. Er würde dieses Gespräch vorzeitig abbrechen müssen, wenn er rechtzeitig bei dem vereinbarten Treffpunkt mit Leonce erscheinen wollte. „Wie ist Ihr Name?“ „Gerald Durand.“ „Hören Sie, Monsieur Durand, bitte bringen Sie das Heu so weit, wie Sie sich trauen zu dem Anwesen, in welchem ich residiere. Könnte ich morgen bei Ihnen vorbei kommen, um mich weiterhin über die mysteriösen Gegebenheiten des Anwesens zu informieren?“ Ethos holte weitere zehn Franc aus seiner Tasche und reichte sie Durand. Zwar war es in den meisten Fällen nicht nötig, den kleinen Mann zu bestechen, da Leute wie Durand sehr froh waren, wenn sie einen Priester in ihrem Haus wussten, doch Ethos wollte den Kontakt auf keinen Fall verlieren. „Ich wäre Ihnen äußerst verbunden für Ihre Hilfe. Allerdings muss ich heute einen wichtigen Termin wahrnehmen, weshalb ich dringend weiter muss.“ Durand starrte kurz das Geld an, bevor er es nahm und stumm zur Antwort nickte. Zufrieden verabschiedete sich Ethos, nachdem er sich darüber informiert hatte, wo Durand wohnte und setzte seinen Weg fort. Warum ihm Leonce nichts von diesem speziellen Umstand seiner Unterkunft hatte verlauten lassen, würde er zur nächstbesten Gelegenheit noch aus ihm heraus bekommen müssen. Möglicherweise handelte es sich um eine der Spinnereien, vor denen Leonce ihn in seinem Schreiben gewarnt hatte. Doch die Angst des Bauern kam Ethos durchaus real vor. Harmlose Spinner versuchten in der Regel ihre Geschichten mit übertriebenen Anekdoten auszuschmücken, dieser Mann wiederum hatte nicht den Anschein gemacht, besonders gerne über das Anwesen und dessen Bewohner zu sprechen. Irgendetwas war an diesem Auftrag faul. Und Ethos wusste, dass sein Gespür ihn noch nie betrogen hatte. Als Ethos bei dem Wald, der ihm als Treffpunkt genannt worden war, ankam, war eine halbe Armee an Polizisten gerade dabei, mit ihren Pferden anzurücken. An der Spitze des Unternehmens stand ein junger Leutnant mit dem Namen Marc Chantier, welcher die übrigen Polizisten führte. Lieber wäre es Ethos gewesen, alleine zu fahnden, doch das hatte der Kommissar ihm bereits einen Abend zuvor strikt untersagt. Es war immer das gleiche - die vor Ort ansässige Polizei bestand unbedingt darauf, bei allem dabei zu sein, was die Gesandten der Abteilung so trieben. Und der Vatikan machte nicht einmal die kleinsten Anstalten, dies zu verhindern. Genau genommen waren die Priester, welche für die Aufklärung und die Beseitigung der Ungetüme, mit denen sie sich herum schlagen mussten, beauftragt wurden, sogar den Zivilisten unterstellt. Wieder einmal eine der völlig nutzlosen Regelungen, die aufgestellt worden waren, um den Vatikan in ein besseres Licht zu rücken. Chantier streckte mit einem überheblichen Lächeln die Hand zum Gruß aus. Widerwillig gab Ethos ihm die seine. Auf der Brust des jungen gutaussehenden Mannes befanden sich allerlei Orden und Abzeichen. „Wenn wir heute Abend heraus reiten um einige Vampire zu töten, bleiben Sie lieber in der Mitte der Abteilung, die ich zu Ihrem Schutz zusammengestellt habe.“ Anstatt dem Mann ins Gesicht zu spucken, lächelte Ethos ihm in ebendies. „Sie sind dort besser aufgehoben, die Spitze wird aus erfahrenen Polizisten mit bester Bewaffnung bestehen.“ Wer noch wessen Hilfe benötigen würde, würde sich tatsächlich ein Wesen der Dunkelheit nähern, konnte Ethos später klären. Jetzt ging es erst einmal darum, zu verstehen, warum dieses sinnlose Unternehmen überhaupt ins Leben gerufen wurde. Hätte Leonce Ethos zu Rate gezogen bevor er seine Planung gemacht hatte, hätte Ethos ihm erklären können, wie unklug diese war. In der Nacht würden die Wesen der Finsternis einen klaren Vorteil beziehen können. Das fehlende Licht in einem dazu dicht bewachsenen Wald konnte zum Verhängnis werden. Besser wäre es gewesen, das Wesen der Dunkelheit aus seinem Versteck zu locken und auf einem besser zu überschauenden Gelände zu stellen. Zum Beispiel auf der von wenigen Bäumen unterbrochenen Wiese wie diejenige, auf der sie sich gerade befanden. Die Pferde der Polizisten wirkten ebenfalls sehr unruhig. Dies kümmerte zwar Ethos nicht sonderlich, da Bellezza ein Tier war, auf das er sich blind verlassen konnte, aber die Sicherheit der anderen Reiter war definitiv noch weniger gegeben als ohnehin schon. Nicht umsonst hatte er eine jahrelange Ausbildung absolvieren müssen, bevor er richtig in der Lage gewesen war, mit den übernatürlichen Kräften zu kämpfen. Reine Überlegenheit in den Zahlen konnte manchmal überhaupt gar nichts wert sein. „Monsieur Turino, wie ich sehe, haben Sie sich bereits mit Ihrem Begleiter bekannt gemacht“, ertönte Leonces Stimme hinter Ethos. „Ich habe Ihnen einen meiner besten und fähigsten Männer gegeben, um sicher zu sein, dass Sie bestmöglich geschützt sind.“ Leonce, mit einer obligatorischen Zigarette im Mundwinkel, trat an den mindestens einen Kopf größeren Leutnant heran und klopfte diesem auf die Schulter, nachdem er sich nach oben gestreckt hatte. Sichtlich geschmeichelt schwoll das Grinsen in Chantiers Gesicht weiter an. Auch Ethos rang sich zu einem weiteren Lächeln durch. „Glauben Sie mir, Monsieur Leonce, um mich müssen Sie sich am wenigstens Sorgen machen.“ Für einen kurzen Augenblick war ein erzürntes Flackern in den Augen Chantiers zu sehen. „Ich käme auch wunderbar allein zurecht. Ich möchte Sie gerne noch einmal darauf hinweisen, dass wir es hier eventuell nicht mit einem gemeinen Strauchdieb zu tun haben, der hinterher die Leiche eines unschuldigen Mädchens verunstaltet hat. Hier könnten übernatürliche Kräfte im Spiel sein. Kräfte, die denen Ihrer Männer weitaus überlegen sind.“ Nun entwich das Grinsen auf Chantiers Mund vollends. „Obwohl auch ich ein gläubiger Mensch bin und Priester wie Sie durchaus respektiere, möchte ich gerne wissen, wie ein schmächtiger Mann wie Sie, der sein Leben dem Studium der Bibel gewidmet hat, sich gegen ein Monster verteidigen will. Und das auch noch alleine.“ Ethos hätte Chantier viele Gründe nennen können, weshalb gerade er, einer der wenigen Priester die ein hartes Spezialtraining durchliefen, sich durchaus alleine verteidigen konnte. Nur zu gern hätte er den Leutnant am Arm gepackt, diesen auf den Rücken gedreht und ihn zu Boden gerungen. Doch da dies zu unnötigen Scherereien geführt hätte, mit der Folge einer Beschwerde, argumentierte Ethos mit den Sätzen, die man hier anscheinend von einem Priester erwartete. „Durch meinen Glauben. Mein Glaube ist mein Schild.“ Chantier begann lauthals zu lachen. „Ihr Glaube? Ich bitte Sie...“ „Sie sagten gerade, dass Sie ebenfalls ein Mann wären, der an Gott glaubt. Denken Sie nicht, dass Sie durch ihn geschützt werden?“ „So wie Madame Picarde? Auch unser letztes Opfer war ein gläubiges Mädchen, das jeden Sonntag brav in die Kirche ging. Hat sie das letztendlich vor ihrem Angreifer geschützt?“ „Das reicht jetzt“, sagte Leonce genervt und trat zwischen Ethos und Chantier, dabei warf er seine Zigarette auf den Boden und trampelte sie aus. „Sie, Monsieur Turino, möchte ich bitten, mit mir zu kommen, damit wir die Patrouille besprechen können. Und Sie, Leutnant Chantier, kümmern sich um Ihre Männer. Ich möchte, dass Sie in wenigen Minuten komplett einsatzbereit sind.“ „Jawohl. Monsieur Kommissar.“ Einen strammen und übertriebenen Gruß ausführend, wand sich Chantier ab und ging zurück zu der Ansammlung an Polizisten. Ethos dagegen folgte Leonce. Für ihn waren der Leutnant und sein Gefolge bereits eine Horde toter Männer. Während er Leonce folgte, schaute Ethos noch einmal zurück zu dem Wald. Die Sonne färbte die einzelnen Blätter der Kronen blutrot. Nicht mehr lange und das dichte Blattwerk würde jeden letzten Sonnenstrahl, der sich seinen Weg hindurch zu kämpfen versuchte, gnadenlos verschlucken. Auf der Westseite führte ein kleiner Weg in den Wald hinein. Es war der einzige bearbeitete Weg, auf dem er und die Polizisten mit den Pferden reiten konnten. Zu zweit nebeneinander würde es schon eng werden, ein weiterer Nachteil. In der Ferne plätscherte leise etwas Wasser, wahrscheinlich der Bach, an dem auch die Leiche von Elise Picarde gefunden wurde. Leonce war an einem kleinen Tisch angekommen, welchen er als improvisierte Kommandozentrale nutzte. Auf dem Tisch lag eine Karte, die das Wegenetz innerhalb des Waldes wiedergab. „Wir haben alles, was man benötigt, um einen Vampir, sollte es denn einer sein, zu töten. Weihwasser, Knoblauch, Holzpfähle. Es wäre doch gelacht, wenn wir den Bastard nicht zur Strecke bringen könnten. Selbst wenn es sich um einen Menschen handeln sollte, wie ich es vermute, wird er einen Pflock in seinem Herzen mit Sicherheit nicht überleben. Aber damit können wir den Abergläubigen in unserer Mitte vielleicht etwas zur Ruhe verhelfen.“ Nachdem er Ethos darüber aufgeklärt hatte, was in dem Wald genau passieren sollte, versuchte dieser den Kommissar davon zu überzeugen, dass er seine Männer in den sicheren Tod schicken würde, sollten sie auf einen „Vampir“ stoßen. Um die Ernsthaftigkeit der Situation zu unterstreichen, hatte es Ethos sogar damit versucht, Leonce die Definition der Kirche zu geben, die diese für ihre sogenannten Vampire erforscht hatte. „Genau genommen basiert das, was Sie über Vampire zu wissen glauben, auf den stumpfen Überlieferungen des Volksglaubens.“ „Wie meinen Sie das?“ Leonce zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich an einem Baum zurück. „Weihwasser, Knoblauch, Holzpfähle...“ „Werden Ihren Männern nicht das Überleben sichern. Eine der wenigen Wahrheiten, die sich dahinter verstecken, ist, dass Vampire anfällig auf das Sonnenlicht reagieren. Ihre Kräfte werden dadurch geschwächt, das ist richtig. Aber die Sonne bringt sie längst nicht dazu, zu Staub zu zerfallen. Und die Sache mit dem Holzpflock ist ebenfalls relativ banal. Das überlebt in der Tat kein Lebewesen, wenn man ihm einen spitzen Gegenstand in das Herz rammt. In meinem Metier macht man keine Unterschiede zwischen Vampiren und Dämonen. Vampire sind Dämonen, die bestimmte Eigenschaften besitzen.“ Insgeheim hoffte Ethos, dass das Wort „Dämon“ Leonce dazu bewegen würde, die Sache anders zu sehen. Viele Menschen fürchteten sich noch mehr vor Dämonen als vor Vampiren. „In den Überlieferungen erscheinen einige Fetzen von Erzählungen, in denen es vielleicht einen von hunderttausenden Dämonen gegeben hat, der tatsächlich so dermaßen anfällig auf Sonnenstrahlen reagiert hat, dass er dadurch getötet wurde. Aufgrund der unterschiedlichen Erscheinungen hat man den Kreaturen verschiedene Namen gegeben. Dämonen, Werwölfe, Vampire. Es handelt sich immer nur um Dämonen. Der Zahn, welchen Sie mir gegeben haben, er ist echt. Das wiederum bedeutet, dass wir es mit einem echten Dämonen zu tun haben könnten.“ Der Ausdruck, mit dem Leonce Ethos ansah, wurde immer zweifelnder. Offensichtlich glaubte er Ethos nicht oder schätzte die Gefahr noch immer zu gering ein. „Welchen Unterschied macht es, ob wir einen Dämon jagen, der die Eigenschaften eines Vampirs besitzt oder einen tatsächlichen Vampir?“ „Einen sehr großen. Weil ein Dämon nicht so leicht zu töten ist wie das, was man im Volksmund einen Vampir nennt. Und die Gefahr, die von Vampiren ausgeht, somit deutlich unterschätzt wird.“ Noch immer wirkte Leonce nicht überzeugt. Er beugte sich vor und drückte seine Zigarette auf dem Boden aus. Eine Weile lang wirkte er, als hätte er nichts von dem, was Ethos ihm die letzten Minuten erzählt hatte, wahrgenommen. Nachdem er sich intensiv die Augen gerieben hatte, schien er endlich zu einer Antwort bereit. „Wie auch immer Sie die Sache sehen, wir werden sie so durchziehen, wie wir es geplant haben. Sie reiten mit meinen Männern in den Wald und finden die Bestie. Hoffentlich noch heute Nacht. Als mein Kollege die Kirche zu dem Fall hinzugezogen hat, muss ich Ihnen gestehen, war ich mehr als skeptisch. Bin es immer noch. Denn ich glaube eigentlich nicht an Geister, Vampire, oder sonstigen Mist. Meiner Meinung nach handelt es sich bei dem Täter um einen Psychopathen, der die Leiche hinterher so angeordnet hat, dass es nach irgendwelchem übernatürlichen Spuk aussieht. Was auch der Grund sein könnte, weshalb das Alter des Zahns nicht ermittelt werden kann. Wahrscheinlich eine Fälschung. Selbst wenn Sie behaupten er wäre echt mit Ihren komischen Methoden. Zugegeben, anfangs war ich noch überzeugt, dass es sich wirklich um eine übernatürliche Kreatur handeln könnte, doch nach intensivem Nachdenken bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das unmöglich ist. Deshalb werde ich Sie nicht alleine in das Gebiet reiten lassen. Ich möchte nicht, dass bald die nächste Leiche auf meinem Tisch liegt.“ Ethos erkannte, dass das letzte Wort in der Sache für Leonce bereits gefallen war und nichts mehr seine Meinung ändern würde. Der Priester richtete sich auf, straffte sein weißes Hemd und machte sich auf den Weg in Richtung Eskorte. Ein letztes Mal drehte er sich um, sah über seine Schulter und sagte dem Beamten einige Worte, die dieser so schnell nicht vergessen würde. „Bedauerlicherweise muss ich Sie davor warnen, dass Sie bald mehr als nur eine Leiche auf Ihrem Tisch finden werden, Kommissar Leonce.“ Aufgrund der zu Beginn ihres Kennenlernens gefestigten Feindseligkeiten wechselten Ethos und Chantier kaum einen Satz, als sie sich auf dem Weg in den Forêt de Joux befanden, wie Ethos kürzlich gelernt hatte. Dazu mussten sie die lockere Sandstraße verlassen und auf den Waldwegen weiter reiten. Sollte es zu einem Hinterhalt kommen, wären sie mit den vielen Pferden im Nachteil, da die Wurzeln in der zunehmenden Dunkelheit kaum zu sehen waren. Leonce war wieder zurück in das Stadtzentrum geritten und hatte das Kommando an den jungen Leutnant übergeben. Ein zunehmender Halbmond erschien am Himmel und erfüllte die wenigen Stellen des Waldes, an denen es durchdringen konnte, mit etwas Licht. Vorsichtig bewegte sich die Gruppe voran, die Waffen immer griffbereit. Da niemand etwas sagte, herrschte eine gespenstische Stille, die nur von dem gelegentlichen Schnaufen eines der Pferde durchbrochen wurde. Als sie an einer Kreuzung ankamen, drängte Ethos zu einem Halt und stieg ab. So schnell er konnte ritt Chantier an ihn heran. „Was denken Sie sich dabei, einfach abzusteigen?“, zischte der Leutnant und stieg ebenfalls von seinem Pferd hinunter. „Kündigen Sie so etwas zukünftig an!“ Ethos ignorierte den Kommentar und ging gerade auf einen der Bäume zu. Langsam strich er mit den Fingerspitzen über die Rinde. Auf der Höhe seines Kopfes hielt er inne und überlegte. „Haben Sie etwas gefunden?“ „Ja. es befinden sich tiefe Kratzer in der Rinde des Baumes. Fühlen Sie.“ Auch Chantier erhob seine Hand und fuhr über die Stelle, an der vor wenigen Sekunden noch die Hand von Ethos verweilt hatte. Er schluckte hörbar und zog sich wieder zurück. „Das könnten Spuren von dem Dämon sein. Gibt es hier in der Nähe Bären?“ „Nein.“ „Dann kommen wir ihm vielleicht näher.“ Als Ethos sich erneut in den Sattel schwang, fiel sein Blick auf Chantier. Ganz so mutig wie noch einige Minuten zuvor wirkte er inzwischen nicht mehr. Sie setzten sich wieder in Bewegung, vorbei an dem Baum mit den tiefen Kratzspuren. Nach einiger Zeit ließ Chantier sich leicht zurück fallen, er wirkte äußerst beunruhigt. „Anhalten“, befahl er in normaler Lautstärke. „Wo ist Mansarde? Er sollte doch das Schlusslicht bilden.“ Verwirrt schauten sich die übrigen Polizisten an. Ihre Blicke gingen abwechselnd zwischen ihnen und dem Leutnant hin und her. Letztendlich traute sich einer der Polizisten zu antworten. „Wir wissen es nicht. Vor einer Minute war Mansarde noch hinter uns gewesen. Niemand hat gesehen, wie er sich entfernt hat.“ „Möglicherweise hat er den Anschluss zu uns verloren“, mischte sich ein weiterer Polizist ein. Chantier überlegte seine Optionen. „Mansarde ist ein guter Mann. Wenn er in fünf Minuten nicht aufschließt, werden wir weiter reiten. Ich denke er ist vernünftig genug, umzukehren, sollte er uns verloren haben und es ist nicht klug, den gleichen Weg zurück zu nehmen, den wir gekommen sind.“ Ethos mochte nicht viel vom Polizeihandwerk verstehen, aber in einer Situation wie der ihrigen war es lächerlich zu glauben, dass irgendeine Strategie ihnen hier nützen würde. Wahrscheinlich wollte Chantier nur etwas sagen, um schlau zu wirken. Aus den Reihen der Polizisten kam jedenfalls kein Widerspruch. Die fünf Minuten verstrichen, ohne dass der verlorene Mann wieder auftauchte. Somit ritten sie weiter. Je tiefer die Gruppe in dem Wald vorankam, desto schwieriger wurde es, sich zu orientieren. In der Dunkelheit sahen die auffälligsten Bäume trotzdem alle gleich aus und die Anhaltspunkte reduzierten sich im drastischen Maße. Plötzlich scheute eines der Pferde der vorderen Reiter. Der Wallach blieb mit einem Mal stehen und stieg, warf seinen Reiter dabei fast ab. Mehrere Versuche, ihn zu beruhigen, halfen nichts. Jedes Mal, wenn der Polizist auf seinem Rücken den Wallach vorantreiben wollte, stemmte sich dieser mit den Vorderbeinen auf den Boden und rührte sich nicht. „Ist das ein schlechtes Zeichen?“, fragte Chantier Ethos zugewandt. „Nein, Tiere können keine Unterschiede zwischen Menschen und Dämonen machen. Wenn sie nicht mit Dämonen aufgewachsen und dabei beeinflusst worden sind, erscheint ihnen der Dämon wie ein normales Lebewesen. Einen Werwolf wird ein Pferd zum Beispiel nicht von einem normalen Wolf trennen können.“ Ethos versuchte, sich auf die Umgebung zu konzentrieren. Irgendetwas hatte das Pferd verschreckt, das die anderen Pferde offensichtlich nicht gesehen hatten. Zwar waren Polizeipferde darauf trainiert, auch in angespannten Situationen die Nerven zu behalten, doch dies war jenseits aller normalen Einsätze. Durch seine Anspannung drohte der Polizist die Nerven zu verlieren. Er trieb das Pferd weiter an, drückte ihm die Sporen in die Flanken. Trotzdem bewegte es sich keinen Zentimeter weiter. Plötzlich schien etwas zur rechten Seite des Polizisten aufzublitzen. Es war nur für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen, dann war es wieder verschwunden. Unter lautem und kaum zu ertragendem Schreien kippte das Pferd zur Seite und rollte mit den Augen. Durch seine Nüstern atmete es schwer ein und aus, wieherte noch einmal und warf dann seinen Kopf in den Sand. Auch der Polizist hatte zu schreien begonnen, da sein Bein unter der schweren Last des Tieres eingeklemmt worden war. Mehrere Polizisten stiegen ab, um den leblosen Körper des Wallachs anzuheben und ihn zur Seite zu rollen. Zum Glück war das Bein des Polizisten nur leicht gequetscht, ernsthafte Verletzungen zugezogen hatte er sich keine. Nachdem er wieder aufstehen konnte, humpelte der Mann zu dem Pferd und untersuchte es genauer. „Jemand, oder vielmehr Etwas, hat ihm den Bauch aufgeschnitten.“ Anscheinend hatte nur Ethos das kurze Aufblitzen vernommen, die Polizisten wirkten zwar verstört, aber, blieben allerdings weitestgehend ruhig. Ethos ritt ein wenig näher heran und betrachtete die Wunde von seinem Pferd aus. Die Bauchdecke war mit einem dilettantisch wirkenden Schnitt geradezu aufgeschlitzt worden, so dass sie die Gedärme des Tieres nicht mehr halten konnte. Auch die Innereien wiesen Verletzungen auf, die zwar tödlich, aber nicht allzu tief waren. Ethos wanderte mit seinem Blick über den Rest des Kadavers, bis er an dem linken Vorderhuf angekommen war. „Es ist eine Falle ausgelegt worden, in die das Pferd getreten ist. Das Seil hat sich mit jeder Bewegung stärker um das Bein des Pferdes gezogen, weshalb es stehen geblieben ist und angefangen hat zu bocken. Sind solche Tierfallen für diese Umgebung üblich?“ „Es gibt welche, doch die Jäger sind dazu verpflichtet, solche Fallen durch Hinweise auf den Wegen zu kennzeichnen. Abgesehen davon, dass sie auf frequentierten Wegen selbst, wie diesem hier, gar nicht erst gelegt werden dürfen. Sobald wir zurück sind werde ich melden, dass es hier illegale Jäger gibt.“ Inzwischen war auch Chantier von seinem Pferd gestiegen, um sich das tote Pferd zu besehen. Ethos wollte gerade eine Warnung aussprechen, als der Polizist, der zuvor unter seinem Reittier begraben worden war, röchelnd zu Boden sank. Aus seinem Mund lief Blut und er hielt sich die Luftröhre, welche durchgeschnitten worden war und ebenfalls vor Blut geradezu triefte. Ethos hatte ihm noch vor einem dunklen Schatten warnen wollen, der durch das seichte Mondlicht gehuscht war, jetzt war es zu spät. Panik brach aus. Bis auf Ethos befand sich jedoch keiner der Männer auf seinem Pferd. Die Pferde rissen sich los und galoppierten davon, so dass Ethos Mühe hatte, seine Stute unter Kontrolle zu halten. Natürlich war es einkalkuliert gewesen, dass die Männer absetzten und sich einigermaßen verteilten. Nur so hatte ihr Angreifer sicherstellen können, dass eine schnelle Flucht unmöglich wurde und der Schutz der Gruppe für längere Zeit gestört blieb. Ziellos umher laufend, stoben die Polizisten auseinander. Vergeblich versuchte Chantier, seine Männer wieder zur Vernunft zu bringen, als er jedoch merkte, dass ihm dies nicht gelang, verfiel auch er in blinde Panik. Lange dauerte es nicht und Ethos stand alleine neben dem toten Pferd, die Augen wachsam auf seine unmittelbare Umgebung gerichtet. Langsam zog er seinen Revolver und lud die Waffe durch. Das sonst so leise Klicken durchbrach die Stille wie ein Donnerhall, danach war es erneut unheimlich ruhig. Beängstigend ruhig. Normalerweise hätte Ethos die Schreie und Schritte der anderen hören müssen. Er trieb seine Fuchsstute an, damit er den Wald wieder verlassen konnte. Chantiers Männer hatten sicherlich das gleiche getan, insofern sie noch am Leben waren. Kaum war Ethos einige Meter weit geritten, ertönte ein lautes Knacken, gefolgt von donnerndem Trampeln, welches eindeutig den Hufen von Pferden zuzuschreiben war. Abrupt hielt er an und sah, wie über die Lichtung vor ihm eines der weißen Pferde galoppierte, das einmal einem Polizisten gehört hatte. Zaumzeug und Sattel waren noch darauf, allerdings keine Spur eines Menschen. Ethos wandte Bellezza zur entgegengesetzten Richtung um und erstarrte. Keine zehn Meter von ihm entfernt stand ein Mann, dessen Augen rot in der Nacht glühten. Durch das Licht des Mondes konnte Ethos erkennen, dass ihm Blut vom Mund herunter triefte und auch seine Kleidung von Blut durchtränkt war. „Wer bist du?“, fragte Ethos und richtete seine Waffe auf den Mann. Anstatt zu antworten setzte sich dieser in Bewegung. „Ich warne dich. Bleib' stehen oder ich schieße!“ Völlig unbeeindruckt von dieser Warnung kam der Mann weiterhin schweren Schrittes auf Ethos zu. „Nun gut, du lässt mir keine Wahl“, murmelte Ethos eher zu sich als zu seinem Gegenüber und drückte ab. Die Kugel traf in den Boden, da der Mann sich blitzschnell zur Seite gerettet hatte und nun zu Ethos Rechten stand. Doch der Priester hatte sich bereits darauf vorbereitet. Sofort nachdem er geschossen hatte, hatte er seinen Arm zur Seite gestreckt und zielte erneut auf den Kopf des Mannes. „Also ein Dämon, genau wie ich es vermutet hatte. Wer bist du und wem bist du unterstellt?“ Wieder keine Antwort. Ethos drückte erneut ab, doch auch diesmal war der Dämon zu schnell verschwunden, um getroffen zu werden. Diesmal tauchte er nicht wieder auf. Um ein schlechteres Ziel abzugeben, drückte Ethos seine Hacken in die Seite seines Pferdes, damit dieses los hetzte. Je eher er aus diesem verfluchten Wald heraus kommen würde, desto besser. Ab und an schlugen ihm einige Äste in das Gesicht, doch er ließ sich davon nicht ausbremsen. Als er das Ende der dichten Baumkronen sah, trieb er sein Pferd noch weiter an. Nur noch das Ende des Waldes im Blick, hätte Ethos fast übersehen, dass ihm der Dämon folgte, indem er zwischen den Bäumen hin und her sprang. Kurz bevor er die offene Wiese erreichte, ließ sich der Dämon nach unten fallen, um sich auf Ethos und sein Pferd zu stürzen. Doch auch hierauf war Ethos bereits vorbereitet. Indem er den Holzpflock, welchen er vorsorglich im obersten Teil seiner Satteltasche versteckt hatte, zutage förderte, konnte er sich retten. Er drehte die Spitze nach oben, so dass der Dämon ihn mit seinem Gewicht in seinen eigenen Körper bohrte, während der sich nach unten fallen ließ. Laut fauchend rollte er sich ab und schlug hart auf dem Boden auf, wo er kurz liegen blieb. Am Übergang zwischen Wald und Wiese angelangt, riss Ethos sein Pferd herum, zielte und wollte gerade schießen, doch wo vor einigen Sekunden noch der Dämon gewesen war, erinnerte nur noch eine kleine blutige Kuhle mit einem Holzpflock daran, dass hier jemand gelegen haben und sich wieder aufgerappelt haben könnte. Ethos wartete noch einige Minuten, in der Hoffnung, dass ihm zumindest einige Polizisten entgegen kommen würden, diese Hoffnungen stellten sich allerdings schnell als vergeblich heraus. Wütend über den misslungenen Einsatz trieb Ethos sein Pferd in einen Trab. Das, was hier geschehen war, konnte er kaum seine eigene Schuld nennen. Mehr als einmal hatte er Leonce darum gebeten, ihn alleine gehen zu lassen. Niemand wäre zu Schaden gekommen, hätte der Kommissar von Anfang an auf ihn gehört. Ein Jammer, dass er seine Lektion auf diese Weise lernen musste. Nachdem Ethos zurück in die Stadt gekehrt war, wunderte sich Leonce, dass er von seinen elf Leuten lediglich einen vor seiner Tür stehen sah. Völlig außer Atem schaute Ethos den Kommissar mit hasserfüllten Augen an. „Ich habe Ihnen gesagt, dass es schwachsinnig wäre, wie Sie die Sache angegangen sind!“ „Aber Monsieur Turino, möchten Sie sich nicht setzen, bevor Sie mich anbrüllen?“ Die durchaus freundlich gemeinte Geste machte den Priester nur noch wütender. Ethos schlug mit beiden Handflächen auf den Schreibtisch, bevor er erneut das Wort ergriff. „In dieser Nacht haben Sie zehn Ihrer Männer verloren, ich werde mich bestimmt nicht setzen.“ Leonce erblasste sichtlich, als er diese Nachricht hörte und verlor vor Schreck fast die Zigarette, die sich in seinem Mund befand. „Zehn? Alle meine Männer? Chantier eingeschlossen?“ „Chantier und vielleicht sogar alle Pferde.“ „Wie... wie ist das möglich...?“ Völlig verstört sank Leonce in seinen Stuhl zurück und verlor ein großes Stück Asche, das sich auf der Lehne verteilte. „Chantier war ein erfahrener Polizist.“ „Erfahrung im Kampf gegen das Verbrechen nützt im Kampf mit Dämonen überhaupt nichts, wenn man noch nie einem gegenüber stand. Und ich bezweifle stark, dass Chantier oder einer der anderen Polizisten jemals zuvor auf einen Dämon getroffen ist. Ich habe Ihnen bereits mehrfach gesagt, dass ich den Auftrag alleine durchführen sollte. Ohne Ihre Hilfe im direkten Kampf.“ „Erzählen Sie mir, was genau geschehen ist.“ Nun setzte Ethos sich doch. Er begann dem Kommissar zu berichten, was er gesehen hatte und was er in Bezug auf ihren Angreifer vermutete. Wie es zu dem schrecklichen Vorfall kommen und man diese zukünftig vermeiden könne. Im Glauben daran, dass Leonce ihm in den nachfolgenden Einsätzen freie Hand lassen würde, erzählte Ethos alles, sah wie sich der Ausdruck in Leonces Augen veränderte. Zuerst schien der Kommissar am Boden zerstört, fing sich jedoch mit der Zeit immer mehr. Seine anfängliche Trauer ging erst in Skepsis über, dann zu schier unbändiger Wut und Zorn. „Das ist alles, wovon Sie mir berichten können? Zehn wahrscheinlich tote Männer, deren Leichen Sie jedoch noch nicht finden konnten und ein verwunderter Vampir?“ „Dämon.“ „Was auch immer. Ich habe Sie nicht rufen lassen, damit Sie einen angeschlagenen Vampir weiterhin frei herum laufen lassen. Warum sind Sie nicht zurückgegangen und haben ihn getötet?! Wenn es denn angeblich so nutzlos ist, ihn mit Holz zu durchbohren, warum haben Sie es denn getan und ihn nicht gleich erschossen?!“ Jetzt war es an Ethos, dem Kommissar seine gesamte Wut zu zeigen. „Dieses Unternehmen war von Beginn an völliger Nonsens. Es ist nicht meine Schuld, dass Ihre Leute wahrscheinlich tot sind. Auch wenn ich mich diesbezüglich wiederholen mag, hatte ich alles unternommen, um Sie davon abzubringen, Sie mit mir zusammen gehen zu lassen. Sie waren derjenige, der nicht auf mich hören wollte und dies ist nun das Ergebnis. Und Holzpflöcke benutzen wir, da sie im Nahkampf nützlicher sind, als Schusswaffen. Ihre stabile Form und der Überraschungsmoment sprechen für sich. Auch wenn das gerade nebensächlich ist. Ich konnte den Dämonen nicht töten, nicht in der Nacht und mit einer solchen Vielzahl an Menschen, auf die ich aufpassen musste.“ "Was Ihnen anscheinend nicht gelungen ist", sagte Leonce und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dieser Kommentar traf Ethos mehr, als er in diesem Augenblick zeigen konnte. Es kränkte ihn für den Tod so vieler Menschen verantwortlich gemacht zu werden. Allerdings wusste er nicht, was er noch erwidern sollte. Die ständigen Wiederholungen gegenüber Leonce mit der Betonung, dass der Fehler nicht bei Ethos zu suchen wäre, führten nicht zu dem gewünschten Ziel. Weitere Überredungskünste waren auch nicht vonnöten. Leonce stand auf und verwies Ethos zur Tür, um den Priester aus seinem Büro zu schmeißen. Wütend nahm Ethos seine Sachen, ging nach draußen und machte sich auf den Weg zu seiner Unterkunft. Als er sich ein letztes Mal hinauf sah, war der silbern leuchtende Mond zu sehen, der sich seinen Weg durch die morgendlichen Wolken bahnte. Die Sonne würde bald aufgehen und somit die ersten Leichen, die der Tribut dieser verhängnisvollen Nacht gewesen waren, gefunden werden. Kaum hatte Ethos sein Pferd mit dem gekauften Heu versorgt und war in dem Herrenhaus angekommen, fiel er auch schon auf das Sofa. Kurz raffte er sich auf, um die Fenster zu öffnen und die morgendliche Luft tief einzuatmen. Zwar war der Sommer bereits in seinen letzten Zügen, dennoch war es zum Sonnenaufgang noch angenehm warm. Um die frische Luft genießen zu können, zog Ethos das Sofa unter das Fenster und legte sich dann erneut darauf. Der Tod der Männer war nicht seine Schuld. Doch warum fühlte er sich dann so schuldig? Was hätte er mehr machen können, als Leonce davon zu überzeugen, dass er sich alleine der Kreatur stellen würde? Vermutlich war genau das sein Fehler gewesen, dass er nicht überzeugend genug argumentiert hatte. Ein winziger Fehler, der so vielen Menschen das Leben gekostet hatte. Ethos schrieb sich zumindest eine gewisse Mitschuld daran zu. Eine weitere Sünde, die er zu seinen vielen anderen zählen konnte. Da ihm das Einschlafen trotz der Müdigkeit schwer fiel, stand Ethos erneut auf und begab sich in die Küche. Er entnahm dem Schrank ein weiteres altes Glas und durchsuchte die übrigen. Bei dem dritten hatte er Glück und fand einen alten und starken Whisky. Mit den beiden Utensilien bewaffnet kehrte er zu dem Sofa zurück, setzte sich und füllte sich etwas von dem Alkohol in sein Glas. Während er den Whisky mit einem Schluck herunter kippte, kreisten sich die Gedanken in Ethos' Kopf. Natürlich hätte er den Dämon töten müssen. Nur das Wie war etwas komplizierter als die Einsicht selbst. In einem Territorium, das Ethos nicht kannte, dazu bei Nacht und ohne die Möglichkeit, die Gruppe selbst zu führen, war selbst ein erfahrener Priester wie er auf verlorenem Posten gewesen. Es handelte sich bei diesem Auftrag weiß Gott nicht um seine schwerste Aufgabe, dennoch verkomplizierte dieser Kommissar alles unnötig. Es war jedes Mal das gleiche, wenn Ethos bei einem seiner Aufträge mit Zivilisten kooperieren musste. Immer wussten sie alles besser, immer wollten sie ihm dazwischen funken und die Führung übernehmen. Niemals durfte er sich dagegen effektiv zur Wehr setzen. Nachdem er noch einige weitere Gläser getrunken hatte, warf Ethos das Glas an die Wand, wo es krachend zersprang. Er war wütend. Wütend auf den Dämon, auf Leonce, auf den Auftrag und zuletzt auch auf sich selbst. Diese Ohnmacht, in welcher er sich heute Nacht befunden hatte, raubte ihm nahezu den Verstand. Zehn Menschen. Tot. Seine Schuld. Mit diesen letzten Gedanken sank Ethos auf dem Sofa nieder, endlich dazu bereit, sich seinen Alpträumen hinzugeben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)