Der Weg der Wolke von Writing_League ================================================================================ Oneshot ------- Hibari Kyouya hasste Menschen. Egal in welcher Form und Farbe, welchen Alters oder Geschlecht, er hasste sie. Es machte die Welt einfach für den jungen Mittelschüler. Mensch? Totbeißen. Kein Mensch? In Ruhe lassen. Doch so einfach die Definition war, sie hatte eine Schwäche; und als mitten im Dösen eine Kind-Kuh zum Fenster hereingesprungen kam, schreiend, lärmend, zögerte er einen fatalen Augenblick zu lang. Mensch oder Tier? Töten oder Gnade? Und dann Knallte die viel zu große Bazooka in den Händen der Kind-Kuh viel zu laut, und Kyouyas Welt verschwamm in pinkem Rauch. *** Als der Rauch sich zu verflüchtigen begann war schnell klar, dass einiges nicht stimmen konnte, und vage begann Kyouya sich zu erinnern. Lambo, der Thunder-Guardian der neuen Generation Vongola Famiglia hatte eine Zeitreisemaschine. War es das gewesen? Dann müsste er in der Zukunft sein? Zugegeben, so genau hatte Kyouya den Plappereien der ganzen Herdentiere noch keine Aufmerksamkeit gezollt. Aber konnte man es anders erklären? Dass er nicht mehr in seinem wunderbar ruhigen Büro in der Schule war sondern... Jah. Wo war er eigentlich? Weiß. Das war alles, was er erblickte zwischen den schwindenden Rauchschwaden. Ein unnötig großer Raum, spartanisch eingerichtet, geradezu strahlend weiß. Er saß auf einem Stuhl, weiß lackiert. Vor ihm wurde ein kleiner, runder Tisch sichtbar, weiß, mit einem Schachbrett darauf. (Viel zu viele schwarze Punkte, ein viel zu harter Kontrast, der seine Augen angriff. Ob er dafür jemanden töten könnte?) Und ihm gegenüber... ein fremder Mann. Durch die Zeit oder nicht, das Kuh-Kind hatte Kyouya aus seiner vertrauten Umgebung heraus wegteleportiert. Und dafür würde er sterben. Sobald er hier fort war. Sobald er dieses viel zu breite Grinsen unter dem weißen, wilden Haarschopf vernichtet hatte. "Ich beiß dich tot", knurrte er, seine Hände instinktiv nach seinen Tonfas greifend. Das Grinsen ihm gegenüber wurde nur noch breiter. "Hallo, meine kleine Wolke~" *** Was auch immer hier geschah, es war wohl mehr, das nicht stimmte. Und das lag nicht nur daran, dass der Weißkopf auch nach 10 Minuten noch stand (sollte der Effekt der Bazooka nicht nur 5 Minuten anhalten?), oder an dem Schachbrett, das der Kampf umgeworfen hatte (kein Verlust. War Hibari wirklich am verlieren gewesen?). "Bist du nun bereit, mir zuzuhören, Kyou-kun?", fragte der viel zu starke Fremde, der viel zu selbstverständlich seinen Bewegungen ausgewichen war, als hätte er sie lesen können. Kyouya schnaubte, knurrte, doch er ließ die Tonfas minimal sinken. Für den Fremden schien das Signal genug zu sein, und in aller seelenruhe hob er den umgestürzten Sessel vom Boden wieder auf, ließ sich darauf nieder. Die Beine überschlagen, die Hände über dem Knie gefaltet sah er Kyouya viel zu bohrend an. "Setz dich doch. Ich denke, wir haben einiges zu reden." Kyouya starrte den Mann einen Augenblick an, dann hob er seinen(?) Stuhl vom Boden auf, setzte sich ihm gegenüber, den umgestürzten Tisch mit den zerstreuten Schachfiguren wie eine zerstörte Schutzmauer zwischen ihnen. "Weißt du, es freut mich wirklich sehr, dich wieder zu sehen, kleine Wolke. Es ist so lange her... kaum zu glauben. Ich habe beinahe vergessen, wie schmächtig du einmal warst!" Das Lachen des Mannes ging Kyouya durch Mark und Bein, und das nicht auf eine gute Art und Weise. Wut stieg in ihm auf. Was fiel ihm ein? Doch dem Kerl schien gar nicht aufzufallen, wie gefährlich er lebte (oder es war ihm geflissentlich egal), und so knurrte Hibari nur ein langes, tiefes Grollen. Der Mann lachte noch mehr, wehrte mit den Händen ab. "Ah, ich bin gerade unfair im Vorteil, hm? Ich weiß genau, wer du bist, Hibari Kyouya, und du erscheinst mir dafür völlig ahnungslos... nun, es ist noch keine Zehn Jahre her..." Kyouyas Blick wurde, wenn überhaupt möglich, noch bohrender. Weißkopf lachte noch mehr. "Willkommen in der Zukunft, meine kleine Wolke. Ich bin aufstrebender Weltherrscher und Weltverbesserer. Ich bin der Himmel der Millefiore-Famiglia. Ich bin dein zukünftiger Lover. Ich bin der Himmel, von dem du immer geträumt hast." Das Grinsen des Mannes wurde weich im gleichen Maße, wie Kyouyas Starren fassungslos wurde. "Byakuran, zu Diensten." Und wie schaffte dieser Kerl es, so weibisch in seinem Sessel sitzend trotzdem mit seinem Kopfnicken eine ganze elegante Verbeugung anzudeuten? Der Gedanke wurde genauso schnell weggeworfen wie Kyouyas Ruhe, und seine Tonfas tanzten dem Mann, Byakuran, wieder entgegen, in einem hoffnungs- und hilflosen Kampf. Konnte er überhaupt gegen jemanden gewinnen, der Zehn Jahre mit einer Version von ihm verbracht hatte, ihn studieren konnte? Können oder nicht, Kyouya versuchte es, und sein Wille, seine Wut wurde noch gestützt von den leuchtenden Flammen, die aus dem Ring der Vongola hervorpulsierten, als hätte der Ring selbst in einem Bewusstsein sich in Wut über den unterstellten Verrat entflammt. Ihm sollte es nur recht sein. Er würde diesem Byakuran schon noch das Grinsen vom Gesicht wischen! *** Das Einzige, das gewischt wurde, war der Boden, und das mit Kyouya selbst. Etwas, das dem jungen Kämpfer gar nicht gefiel, er aber trotzdem nicht dementieren konnte. Zehn Jahre Vorsprung schienen eben doch ein paar Monate zu viel zu sein. Er gab trotzdem nicht auf, wand sich unter den Knien, die ihm in den Rücken drückten, gegen die Hand in seinem Nacken, die seinen Kopf unten hielt. Gegen das Lachen, das er zwar nicht sah, aber hören konnte hinter sich. "Aber aber, Kyou-kun. Du brauchst dich nicht zu verstecken. Ich weiß alles über dich. Dein Streben nach Stärke. Dein unbrechbarer Stolz. Deine Zweifel an der Vongola..." Kyouya knurrte noch mehr, wollte diese Stimme nicht hören, nicht das flötende: "Sperr dich nicht, meine kleine Wolke. Ich habe Beweise~" Was konnten das schon für Beweise sein? *** Es dauerte eine Weile, mehr aus seiner eigenen Attitüde heraus, als aus Byakurans Verzögerungen, doch dann hielt Kyouya ein eng beschriebenes Blatt in der Hand. Ein Brief, adressiert an Byakuran, wie er den Namen spontan geschrieben hätte. Datiert nur Wochen entfernt von Kyouyas eigener Gegenwart. Ein Brief geschrieben in seiner eigenen Schrift, unterschrieben mit seinem Namen. Kyouya war viel zu aufgewühlt, zu verwirrt, und deswegen zu wütend, um den Brief wirklich ganz zu erfassen. Große Worte von Zukunft und Chancen behielt er in Erinnerung, Versprechen von gemeinsamer Größe. Er las von Wolken, die so weit drifteten, das sie den Himmel verließen. Kyouya schluckte, wagte es nicht, die Augen von den Worten abzuwenden, um nicht die kurze Sicherheit, die kurze Ruhe, zu durchbrechen. Er las von Sehnsucht nach neuen Welten, neuen Himmeln. Was war geschehen? Wie konnte er so etwas schreiben? Das Schriftstück gab darüber keinen Aufschluss, sosehr Kyouya zwischen den Zeilen nach Antworten suchte, und so hob er den Blick schließlich, immernoch kalt, aber nicht mehr so bohrend, fragend. Und Byakuran begann zu erzählen. *** "Das war der erste Brief, den ich von dir erhalten habe, Kyou-kun. Stelle dir meine Überraschung vor. Am einen Tag noch ein normaler Mittelschüler mit großen Ambitionen, am nächsten ein aufstrebender Weltherrscher mit tatsächlicher Macht. Ich kannte dich nicht einmal. Aber das hat sich wirklich schnell geändert. Wir haben viel geschrieben, bald per Mail... Khihihi~ ...du hast mir dein Herz ausgeschüttet. Natürlich habe ich es nie gegen dich verwendet. Sehr. Ich meine, wir sind ein Paar geworden mit der Zeit, da macht man das so? Du hast mir die Vision gegeben, die Vongola zu vernichten und als Sprungbrett zu missbrauchen. Sie müssen dich wirklich enttäuscht haben, aber hey, ihr Verlust ist mein Gewinn?" Und vor Kyouyas innerem Auge grinste ihn dieser nervige Sportfreak an, der unruhestiftende Zündler, der kriminelle Illusionist und das überextreme Energiebündel. Er rümpfte die Nase. "Erzähle mir von dieser... Zukunft." Und der Tsunayoshi in seinem Kopf strahlte ihn an und nickte ihm zu. *** Und Byakuran erzählte weiter. Er erzählte in buntesten Farben von einem Krieg der Mafiafamilien, der sich über Italien und Japan hinweg in die ganze Welt ausgebreitet hatte. Er erzählte von Intrigen, die innerhalb der Familie geschmiedet wurden, die er beobachtete, weil es ihm Freude bereitete, weil er die ultimative Kontrolle hatte. Er erzählte von den Intrigen der Familien untereinander, die sie davon abhielten, effektiv zusammen zu arbeiten. Er erzählte von Kämpfen und Kämpfen und Tod. Und er erzählte von Liebe. Von seiner kleinen Wolke, die ihn erst so mächtig gemacht hatte mit ihren Informationen direkt von der Quelle der gegnerischen Macht, von dem Misstrauen, das allen anderen gehörte, die sich seine Verbündeten nannten. Er erzählte, wie trotz allem die Vongola sich wand und aufbegehrte, von den Herausforderungen des neuen Alltags. Byakuran erzählte von den Träumen, die er aufgegeben hatte für seinen Kyou-kun. Und Kyouya lauschte. Und er sah Yamamotos nerviges Grinsen vor sich, als Byakuran von toten Vätern sprach, und Sasagawas besorgte Miene, als die Mädchen ins Spiel kamen. Er sah Mukuros absolut ätzende Visage, als Byakuran von unüberwindbaren Illusionen schimpfte, und das Kuh-Kind, als er von offensichtlichen Schwachpunkten sprach. Er sah den Himmel, der sich hinter dem Sturm ausbreitete, und sie alle auffing. Und als Byakuran sich vorlehnte, die Finger in Kyouyas Haaren spielend, ließ er seine Lippen einfangen, eine ganz andere Geschichte erzählend, ließ er sich küssen. Und grinste. "Raubtiere spielen einfach zu gern mit ihrer Beute, ehe sie sie totbeißen." *** Genau fünf Minuten nach dieser Erkenntnis tat es einen lauten Knall, und pinker Rauch umhüllte Kyouya. Dann war er zurück. Sein Büro, sein Komitee, seine Schule... seine Zeit. Genau so, wie er es verlassen hatte. Das Polster auf seinem Stuhl war noch warm. Doch es war nur noch halb so bequem, denn viel zu schwere Gedanken belasteten Kyouyas Kopf. Er war ein Verräter. Weil er die Zukunft verriet. (Hätte er die Vongola vernichten wollen, sie wäre zugrunde gegangen.) Weil er die Vergangenheit verriet. (Hätte er die Millefiore vernichten wollen, sie wäre zugrunde gegangen.) Weil die Wolke frei war zu tun, was sie wollte. Sie war niemandem Rechenschaft schuldig, trieb sie über den Himmel dahin. Diese Gedanken würden Kyouya drei Wochen lang verfolgen. Drei Wochen, jeden Tag beobachtend, jeden Tag sich dahintreiben lassend. Jeden Tag vor dem gleichen, leeren Blatt Papier zu sitzen, den Stift darüber schwebend, nicht aufsetzend, nicht anfangend. Nach drei Wochen packte Kyouya den Stift fester. Schriftzeichen begannen auf dem Weiß zu blühen. Kyouya schrieb einen Brief. Es würde gut werden. Das wusste er. Weil es schon passiert war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)