Magnetismus von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 34: Harte Zeiten – Teil 2 --------------------------------- Stiles wog die beiden Briefumschläge in seiner Hand und starrte sie so fest an, dass sie vor seinen Augen immer größer zu werden schienen, bis sie beinahe sein gesamtes Gesichtsfeld einnahmen. Schließlich zwang er sich aufzublicken und schaute Derek an: „Komm´ schon, Süßer!“ sagte dieser aufmunternd: „Wir wussten, dass das passieren wird. Und wir schaffen dass!“ Huch? Optimismus? Und das aus Dereks Munde? Dagegen konnte Stiles einfach nichts einwenden. Und was hätte er auch sagen sollen? Kneifen war nicht möglich; das war ihm auch klar! Sie mussten also da durch, egal ob sie wollten, oder nicht. Und wie hatte es Winston Churchill einmal ausgedrückt? `Wenn du durch die Hölle musst, dann bleib nicht stehen!´ Der Prozesstermin gegen die Schausteller war für Mitte Februar angesetzt und es würde dabei um all ihre Opfer gehen und nicht nur um Loba allein. Das erleichterte die beiden Väter ein wenig, weil es so hoffentlich die Chance auf ein hartes Urteil gab, wie sie sich ausrechneten. Was Stiles und Derek jedoch überhaupt nicht gefiel, war die Aussicht, dass man Loba in den Zeugenstand rufen könnte. Am Liebsten würden sie sie nicht einmal nicht zu den Verhandlungen mitnehmen, denn sie wollten sie diesen Leuten und vor allem dem ganzen damit verbundenen Stress kein weiteres Mal aussetzen. Doch weil dies nun einmal nicht möglich war, würden sie sich Wohl oder Übel auf die zweitbeste Lösung konzentrieren müssen: Sie würden Loba bestmöglich auf das vorbereiten, was vor ihr lag. Stiles öffnete den zweiten Briefumschlag und war nicht überrascht, dass dieser ebenfalls eine Vorladung des Gerichts enthielt. Und natürlich ging es hierbei um die drei Kerle, die ihn beinahe zu Tode geprügelt hatten. Diese Verhandlung würde nicht einmal zwei Wochen später stattfinden und Stiles erfasste das kalte Grauen. Er wollte diesen Männern nicht gegenübertreten, die mit ihrer Gewalt sein Leben mal eben im Vorbeigehen aus den Angeln gehoben hatten. Was scherte es ihn, wenn sie ohne seine Aussage ungeschoren davonkämen, dachte er trotzig? Diese Gerichtsverhandlung würde doch bloß gerade erst verschorfte Wunden wieder aufreißen! Derek schüttelte ernst den Kopf und erklärte mit fester Stimme: „Du denkst so laut, dass ich es hören kann, Baby und dazu gibt es nur eines zu sagen: Kommt nicht in Frage! Du schaffst das, Stiles! Ganz sicher! Und ich werde die ganze Zeit bei dir sein.“ `Schon wieder dieser Optimismus!´ stellte Stiles im Stillen verdrießlich fest. Doch dann sprach Derek weiter und da klang er schon wieder ein wenig mehr wie er selbst: „Diese Typen sollen für das, was sie dir angetan haben auf ewig im Knast verrotten und hoffentlich werden sie dort jeden Tag von einer ganzen Gruppe vergewaltigt!“ „Ganz schön rachsüchtig, oder nicht?“ stellte Stiles mit einer Spur Belustigung fest. Derek sah unbehaglich aus: „Sie haben dir wehgetan!“ murmelte er beklommen. Stiles legte seinem Gefährten die Arme um den Hals, strich ihm mit den Fingern durch das Haar und versprach: „Ich komme wieder ganz in Ordnung! Ehrlich!“ Im Grunde war Stiles nach diesem Tag, der hinter ihm lag schon jetzt bereits total überreizt, doch er wusste auch, dass es Loba nicht anders ging, wenn nicht gar schlimmer und wenn er nicht wollte, dass ihre Tochter wieder einmal eine unruhige, schlaflose Nacht im elterlichen Bett verbrachte, dann musste er sich etwas einfallen lassen: „Jetzt ist Kuschelzeit!“ ordnete er daher an, parkte seine beiden Wölfe auf dem Sofa, holte Eiscreme und drei Löffel aus der Küche, schaltete die Glotze ein und hockte sich zu seiner Familie. Er nahm eine von Dereks Händen in seine und nutzte die andere um Lobas Kopf an seine Brust zu ziehen und ihr den Nacken zu kraulen: „Erzählst du mir denn jetzt, wie dein erster Schultag war, Spätzchen?“ wollte er wissen. Das Mädchen blickte von unten her in seine Augen: „Die Lehrerin ist nett. Schule ist gut. Aber Pausen sind blöd!“ erklärte sie schlicht, denn viele Worte waren nun einmal nicht ihre Sache. Stiles zog ratlos die Stirn kraus: „Ehrlich? Pausen sind blöd? Ich dachte immer, die Pause wären das Beste?“ Loba schüttelte den Kopf: „Wenn die Lehrerin sagt `Lesen!´, dann lesen wir, wenn sie sagt `Rechnen!´, dann rechnen wir. Und die anderen Kinder müssen dann mit mir sprechen. Aber in der Pause sagt niemand, was wir tun müssen und niemand spricht mit mir!“ „Hmm!“ machte Stiles traurig: „Weißt du, was du da machen kannst? Du suchst dir irgendein Kind aus, dass du nett findest und das genauso allein ist wie du, gehst zu ihm hin und fragst: `Wollen wir spielen?´ Bestimmt freut es sich darüber. Manchmal darf man einfach nicht warten, bis die Anderen zu einem kommen, sondern muss selbst den Anfang machen. Hätte ich darauf gewartet, dass dein Daddy Derek irgendwann merkt dass ich ihn mag, dann wären wir heute bestimmt keine Familie!“ Derek schüttelte gutmütig den Kopf und begann damit, Loba und Stiles mit Eiscreme zu füttern. Das süße, sahnige Eis, die Streicheleinheiten und die wohlige Körperwärme ihrer beiden Väter links und rechts führten langsam dazu dass Loba begann, schläfrig zu werden und nach einer Weile beschloss Derek, dass es für sie Zeit wurde, ins Bett zu gehen. Nach dem Waschen und Zähneputzen, was sie mittlerweile vollkommen selbstständig und ohne Extraaufforderung erledigte, kam Loba in ihr Zimmer, wo ihre Väter bereits auf sie warteten. Aus dem abendlichen Vorlesen war inzwischen ein Dialog geworden. Sie lasen alle drei abwechselnd einen Abschnitt und ganz nebenbei und mit Spaß an der Sache trainierte das Mädchen auf diese Weise ihre Lesekünste und ihr Textverständnis. Das war natürlich Stiles Idee gewesen und Derek war einmal mehr wahnsinnig stolz auf ihn. Das schräge, väterliche Schlafliedsingen, das darauf folgte war nun, da sie endlich wieder alle zusammen waren ein Duett. Loba durfte sich etwas wünschen und wählte `You are my sunshine´, welches Stiles und Derek; wenn auch nicht ganz fehlerfrei, aber dafür zweistimmig und mit viel Liebe vortrugen. Abschließend erhielt das Mädchen noch von beiden Männern einen Kuss und wurde zugedeckt, doch da war sie beinahe schon eingeschlafen. Derek und Stiles räumten noch ein wenig auf und machten sich dann über einen Umweg über das Bad ebenfalls auf den Weg ins Bett. „Ist nicht dein Ernst?“ fragte Derek, als er erkannte, dass Stiles sich einen dicken Psychologie-Wälzer als Bettlektüre mitgebracht hatte. „In nicht einmal drei Wochen ist die Prüfung, Derek!“ erwiderte der Jüngere hilflos: „Wie soll ich das schaffen, wenn ich nicht lerne?“ „Bist du nicht so eine Art Genie?“ schnurrte Derek verführerisch, schob Stiles T-Shirt hoch und begann damit, seinen Bauch zu küssen: „Das machst du doch mit links!“ „Du bist ein sehr, sehr böser Junge!“ erwiderte Stiles mit einem kleinen, gutmütigen Lächeln, legte das dicke Buch beiseite und wendete sich dem liebesbedürftigen Werwolf zu. Aber abgesehen von kleinen Ausrutschern wie diesem nahm Stiles es mit der Lernerei in nächster Zeit dennoch sehr genau und trieb sich selbst zeitweise gar bis an den Rand der Erschöpfung, verbrachte Stunden um Stunden in der Bibliothek der Fakultät, oder im Internet und studierte nicht nur den vorgeschrieben Lehrstoff, sondern ging auch den Quellennachweisen nach und las Sekundärliteratur; alles nur um optimal auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. In seinem Größenwahn hatte Stiles eigentlich auch noch gedacht, er könne seinen Teil der Hausarbeit erledigen und abends kochen, doch den Zahn hatte Derek ihm schnell gezogen! Alles was Stiles neben seinen Pflichtanwesenheiten in den Vorlesungen und dem Pauken für die Prüfung zu tun erlaubt war, war Zeit mit seiner Tochter zu verbringen. Und während Derek putzte, Wäsche wusch, irgendwie auch kochte, auch wenn dies wahrlich nicht seine Stärke war und sogar bügelte, schauten Loba und Stiles in dessen begrenzter Freizeit gemeinsam Cartoons, gingen auf den Spielplatz, in den Park, ins Freibad oder in Eisdielen und Burgerbuden. Natürlich fühlte Stiles sich Derek gegenüber deswegen schuldig, weil er gerade so wahnsinnig nutzlos war und versicherte Zwei- Dreihundert Mal, wie dankbar er ihm für seine Unterstützung sei und dass er das niemals, niemals, niemals würde wieder gut machen können, bis Derek schließlich der Kragen platzte und er androhte, Stiles seine Kehle mit den Zähnen herauszureißen, wenn dieser nicht endlich still wäre. Und die einzig vernünftige Reaktion auf diese blutige Drohung war selbstverständlich ein versonnenes Grinsen seines Liebsten, bei dem diese Äußerung süße Erinnerungen an ihrer beider Anfänge weckte. Loba hatte den Rat von Stiles befolgt und hatte sich auf dem Schulhof nach Kindern umgeschaut, die sie nett fand und die allein waren und da war ihr sofort ein Mädchen aufgefallen, dass ihr gefiel. Ihr Name war Moesha, sie war groß, sogar größer als Loba selbst, obwohl diese ja bereits zwei Jahre älter war, rundlich, afroamerikanisch, hatte humorvoll funkelnde Augen und ein lautes, ansteckendes Lachen. Moesha war eigentlich immer allein auf dem Schulhof, denn irgendwie war sie offenbar zu anders für die anderen Kinder. Und das war etwas, was Loba wirklich gut nachvollziehen konnte. Die Mädchen mochten Moesha nicht, weil sie sie zu laut, zu groß, zu dick und zu wenig mädchenhaft fanden. Die Jungen mieden Moesha, weil sie ein wenig von ihr eingeschüchtert waren. Loba hätte das sicher nicht so formulieren können, denn als kleines, verwildertes Wölfchen, dass sie die längste Zeit ihres Lebens gewesen war, hatte sie noch nicht gelernt, die Dinge von einer intellektuellen Ebene aus zu betrachten und ging eher nach ihrem Gefühl, doch auf irgendeiner Ebene war sie sich dessen bewusst, dass sie vermutlich niemals Freundschaft mit den anderen Kindern schließen würde, wenn sie sich mit jemandem wie Moesha einließ. Andererseits fand sie die anderen Kinder aber auch nicht so nett wie diese. Und vielleicht war es ja am Ende viel besser, EINE ganz tolle Freundin zu haben, als viele nicht so tolle, oder? Und dann gab es da noch etwas anderes, was Loba zu Moesha hinzog. Ganz am Anfang hatte Loba sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, dass ihre Eltern zwei Männer waren. Sie waren ganz einfach Stiles und Derek, welche sie zum Glück gefunden hatten, bevor es für sie zu spät gewesen war, die ihre Väter sein wollten und die sich um sie sorgten, sie beschützten und alles für sie taten. Doch mittlerweile geschah es immer öfter, das Leute die Beziehung ihrer Eltern scheinbar für etwas Ungewöhnliches und Besonderes hielten und Loba mit ihren Fragen danach verunsicherten. Die Lehrerin zum Beispiel hatte sie gleich an ihrem zweiten Tag aufgefordert, vor der ganzen Klasse darüber zu sprechen, wie es denn wäre, bei zwei Väter aufzuwachsen. Nicht nur, dass Loba überhaupt noch nie vor so vielen Leuten gesprochen hatte; es war ihr auch unangenehm eben genau darüber zu reden, weil es ihr deutlich machte, dass es offenbar etwas Außergewöhnliches war! Dies merkte sie auch an den Fragen, die ihr die anderen Kinder seitdem dazu stellten und am deutlichsten war es ihr an dem Tag bewusst geworden, als sie mit den Leuten vom Jugendamt hatte sprechen müssen. Überdies hatte das Mädchen auch mittlerweile verstanden, dass die Männer, die Stiles weh getan hatten, es deshalb getan haben, weil er und Derek sich vor ihren Augen geküsst hatten. Und nun war Loba verwirrt und wollte am Liebsten, dass in Zukunft niemand mehr etwas davon erfuhr, damit man sie nicht mehr so komisch anschaute und damit Stiles in Sicherheit wäre. Aber Moesha war in diesem Punkt ganz anders! Eines der ersten Dinge, die sie zu Loba gesagt hatte, nachdem sie Freundschaft geschlossen hatten war: „Meine Mutter ist lesbisch!“ Dieses Wort hatte Loba noch nie gehört, also erklärte Moesha es ihr: „Mein Vater war ein Mistkerl und darum hat meine Mum ihn zum Teufel gejagt! Und jetzt hat sie Linda! Sie schlafen im selben Bett und sie haben sich lieb. Loba hatte noch nicht gelernt, das manche Dinge die Leute sagten, nicht wörtlich zu nehmen waren. Sie hatte Moeshas Mutter bereits einmal gesehen, als diese ihre Tochter zur Schule gebracht hatte und konnte sich sehr gut vorstellen, wie diese jemanden zum Teufel jagte. Sie war nämlich praktisch die erwachsene Ausgabe ihrer Tochter; groß, mindestens so groß wie Derek und hatte einen üppigen Körper mit riesigen Brüsten. Die magere, kleine Loba fand das toll und stellte sich vor, wie schön es für Moesha sein musste, so jemanden zum kuscheln zu haben. Sie fragte ihre Freundin: „Und muss dein Vater jetzt für immer beim Teufel bleiben?“ Da hatte Moesha schallend gelacht und behauptet Loba sei witzig, auch wenn diese keine Ahnung hatte, wieso. Gegenüber ihrer Freundin fühlte Loba sich nicht so, als sei es etwas Eigenartiges, dass sie zwei Väter hatte. Es kam ihr eher so vor, als sei es irgendwie verdammt cool! Je näher der Tag der Prüfung rückte, umso weniger schlief Stiles. Er lud nur noch Wissen in seinen armen Kopf, bis dieser sich anfühlte, als müsste er schier platzen. Natürlich wurden auch die Kopfschmerzen dadurch beinahe unerträglich und Derek war nun ständig dabei, Stiles die Hand auf die Stirn zu legen und ihm so viel wie möglich von diesem Schmerz zu nehmen, um für seinen Gefährten endlich einen halbwegs erträglichen Zustand herzustellen. Doch schließlich war es dann soweit und Stiles war regelrecht dankbar dafür. Für Prüfungsangst war er ohnehin längst viel zu übermüdet. Er saß also nun vor dieser Prüfungskommission, mit Augenringen und fünf Kilo leichter, als noch vor zwei Wochen, weil er regelmäßig das Essen vergessen hatte, sofern Derek es ihm nicht gerade in mundgerechten Happen vor seine Nase gestellt hatte. Vor ihm lag ein fünfstündiger Marathon, um all´ die Informationen wieder auszuspucken, die er über die letzten Wochen gesammelt hatte. Er hatte zu viel Adderall intus und sprach so schnell, dass sich die Prüfer sehr konzentrieren mussten, um seinen Ausführungen zu folgen. Dennoch kamen seine Antworten geschliffen, wohlüberlegt und sachlich korrekt. Im schriftlichen Teil des Tests sprengte die Länge von Stiles Antworten dann auch bei jeder Frage das dafür vorgesehen Kästchen, weil er so viel zu Schreiben wusste. Als die Prüfung vorüber war, wartete Stiles erschöpft auf das Ergebnis und hatte den Kopf auf Scotts Schulter abgelegt, welcher nun mit ihm hier im Universitätsflur ausharrte. Als die Prüferin ihn endlich wieder hineinrief, hatte sie ein kleines Lächeln auf den Lippen. Stiles nahm also ein weiteres Mal vor den vier Professoren Platz und blickte sie erwartungsvoll an. Dieselbe Frau, die ihn hereingerufen hatte ergriff nun das Wort: „Lassen sie es mich kurz machen, Mister Stilinski: Sie haben die volle Punktzahl erreicht und das auch nur, weil es uns nicht möglich war, ihnen noch mehr Punkte zu geben. Sie haben unsere Erwartungen bei weitem übertroffen und das, obwohl sie erst im ersten Semester sind und wir uns ihrer gegenwärtigen, besonderen und schwierigen Lebenssituation bewusst sind! Wir sind sehr beeindruckt von ihnen und werden sie im Auge behalten. Einen Ausnahmestudenten wie sie haben wir hier nicht alle Tage bei uns. Sie dürfen stolz auf sie sein.“ Stiles blickte die Prüfer ein wenig ratlos an: „Heißt das, ich darf jetzt nachhause gehen?“ wollte er wissen. Die Professorin lachte: „Gehen sie nachhause zu ihrer Familie, Mr. Stilinski. Feiern sie! Ruhen sie sich aus! Sie haben es sich verdient.“ Stiles atmete aus und fiel ein wenig in sich zusammen, wie ein Ballon, der Luft verlor. Dann straffte er sich, erhob sich, drückte jedem der Prüfer einzeln die Hand und bedankte sich, ehe er sich erleichtert aus dem Staub machte. Draußen berichtete er Scott von dem Ergebnis, dieser fiel ihm stürmisch um den Hals und sie wirbelten jubelnd im Kreis herum, wie kleine Kinder. Danny, der mittlerweile auch zu ihnen gestoßen war, rollte mit den Augen und ließ die beiden wissen: „Ihr Zwei seid echt SO peinlich!“ Wieder zuhause berichtete Stiles Derek freudestrahlend, was seine Prüfer gesagt hatten. Der Werwolf vergewisserte sich mit einem Blick über die Schulter, dass ihre Tochter immer noch in ein Spiel „Grand Theft Auto“ vertieft war, ehe er dem Jüngeren zuraunte: „Das feiern wir heute Nacht mit einem kleinen Spiel. Du setzt dir so eine eine hässliche Hornbrille auf, ziehst eins deiner komischen Nerd-T-Shirts an und spielst den zerstreuten Professor und ich bin der muskulöse Handwerker der dir zeigt, wo der Hammer hängt, oder so!“ Stiles brach in schallendes Gelächter aus, auch deshalb weil er so erleichtert war, dass er wenigstens diese erste Hürde schon überwunden hatte und als er wieder genug Luft zum sprechen hatte, erwiderte er: „Okay, Kumpel! Keine Pornos mehr für dich! Die bringen dich bloß auf total bescheuerte Ideen.“ Derek grinste. Angelockt von Stiles Gelächter kam Loba angetrabt und wollte wissen: „Warum lachen wir, Daddys!“ „Weil Derek ein Spinner ist, Spätzchen!“ gab Stiles zurück, beugte sich zu einem Kuss zu seinem Liebhaber hinüber und Loba erhielt ebenfalls einen. Gerade als die Hale/Stilinski-Familie ein wenig Routine in ihrem Alltag zurückerlangt hatte, stand auch schon die erste Gerichtsverhandlung vor der Tür. Sie hatten einen Anwalt hinzugezogen, der sie angesichts der besonderen Umstände dieses Falles im Vorfeld beraten sollte . Charlie Kaine war bereits seit zwei Jahrzehnten der Rechtsberater der Familie Hale. Er war ein Mann Ende fünfzig mit schneeweißem, vollem Haar, sonnengebräunter Haut und einem ausgesprochen markanten, attraktiven Gesicht. Kaine war nicht übertrieben breit, doch die Muskeln, welche sich unter dem maßgeschneiderten Anzug abzeichneten, waren eisenhart. Stiles mochte ihn nicht! Charlie Kaine war kühl, rational, unglaublich intelligent und gewissenlos; alles Qualitäten, die ihn wohl zu einem hervorragenden Anwalt machten, aber sympathisch machte ihn dies sicherlich nicht. Doch Kaine hatte in ihrem Fall einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Rechtsbeiständen, denn er war ein Werwolf. Mit ihm konnten sie offen über alles sprechen und das war in dieser Sache ja auch notwendig, denn natürlich konnten sie vor Gereicht nicht behaupten, dass Loba ein echter, wahrhaftiger Werwolf sei. Ihre Version lautete also, dass die Schausteller ein verwildertes, verschmutzes Mädchen, welches nie zu sprechen, oder sich auszudrücken gelernt hatte, in einen Käfig gesteckt und als angebliches Wolfsmädchen ausgestellt hatten. Loba wurde von dem Juristen gründlich auf die Vernehmung im Zeugenstand vorbereitet, um ihr genauestens einzutrichtern was sie sagen und wie sie sich verhalten dürfte. Stiles bestand allerdings darauf, dass Derek bei jedem der drei Termine bei ihrer Tochter wäre und diese mit Kaine keine Sekunde allein wäre, denn der Kerl bereitete ihm eine Gänsehaut! Stiles spürte einfach instinktiv, dass der Anwalt ihrem Mädchen schwer zusetzen würde und möglicherweise ging es ja auch gar nicht anders, aber dann sollte sie sich wenigstens des Schutzes ihres großen, starken Vaters sicher sein können. Und Stiles hatte sein Gefühl nicht getrogen: Loba war jedes Mal vollkommen aufgewühlt, wenn sie von diesen Terminen nachhause kam und es war dann an ihm, sein Nervenbündel von Tochter anschließend wieder von der Decke zu kratzen. Kaine konfrontierte Loba mit den Fragen, welche der Anwalt der Gegenseite ihr vermutlich auch stellen würde und übte so lange mit ihr, bis das Mädchen die gewünschten Antworten gab. Loba fiel es selbstverständlich schwer nachzuvollziehen, was dieser ganze Blödsinn sollte und war einfach nur froh, wenn ihr menschlicher Daddy sich nach diesen Terminen liebevoll um sie kümmerte. Stiles besänftigte sie dann mit allem, was die väterliche Trickkiste zu bieten hatte: Zärtlichkeiten, Süßigkeiten, ein entspannendes Bad, oder verschiedenerlei Ablenkungen wie Vorlesen, Videospiele und Fernsehen. Vom dritten und letzten dieser Vorbereitungstreffen kehrte Derek schließlich mit Loba an der Hand und einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck zurück. Er sah... irgendwie stolz aus und lächelte leise in sich hinein. Seltsam! „Okay.. was ist hier passiert!“ fragte Stiles stutzig. Dereks Grinsen wurde breiter: „Ich schätze, ich werde Kaine wohl zu einem ziemlich teuren Essen einladen müssen, wenn das hier vorüber ist.“ erklärte er: „Unsere Prinzessin hat ihn nämlich heute gebissen!“ „Und nun?“ fragte Stiles entsetzt: „Er wird uns doch nicht hängenlassen, oder?“ Derek lachte: „Ist doch egal. Sein Job ist getan. Unsere Seite vertritt doch der Staatsanwalt und wir brauchen Kaine nicht mehr. Außerdem wird ein alter, gestandener Wolf ja wohl nicht gleich in Tränen ausbrechen, im Angesicht eines kleinen aufsässigen Welpen! Und im übrigen wird Kaine von mir für seine Arbeit fürstlich entlohnt. Der beruhigt sich schon wieder.“ Er strich Loba zärtlich über den Kopf und diese schimpfte über den Anwalt: „So ein böser Wolf!“ „Im Gerichtssaal darfst du aber niemanden beißen, hörst du Baby? Das wäre sehr, sehr schlimm!“ sagte Stiles so eindringlich wie möglich. Dann nahm er mit hängendem Kopf in einem Sessel Platz. Derek, der Stiles ja nicht erst seit gestern kannte, wusste sogleich was los war: „Hey Süßer! Ist es wegen dem, was ich über das Geld gesagt habe? Mach´ dir doch darüber keine Gedanken! Das Anwaltshonorar ist bestens angelegt, wenn Loba dadurch am Ende weiß, was zu tun ist und diese Unmenschen dafür dann für viele Jahre in den Knast wandern. Du musst endlich aufhören, dir immer wieder über das dumme Geld Gedanken zu machen! Das ist anstrengend! Es ist da, also wird es ausgegeben. Basta!“ Stiles Blick war zerknirscht und Derek liebte ihn noch ein kleines bisschen mehr! Am Morgen des ersten Prozesstages war Stiles ein nervliches Wrack. Er hatte Loba sich dreimal umziehen lassen, als ob der Prozessausgang irgendetwas damit zu tun haben würde, welche Kleidung seine Tochter trug. Natürlich ließ Loba sich von Stiles Unruhe prompt anstecken und Derek war klar, dass es nun an ihm und seinen breiten Schulter lag, den beiden wieder Halt und Boden unter den Füßen zu bieten. Ganz entgegen seinem Naturell schuf er um sich herum also eine Aura der Zuversicht und behauptete immer wieder: `Wir schaffen das! Wir sind immerhin die Hale-Stilinski-Familie!´ Und Stiles liebte ihn noch ein kleines bisschen mehr! Malia und John waren im Gerichtssaal, weil sie aussagen würden, in welchem Zustand sie Loba an ihrem ersten Abend bei Stiles und Derek vorgefunden hatten. Es war Kaine gewesen, der darauf bestanden hatte, dass man Peter, obschon er an diesem Abend auch anwesend gewesen ist, nicht vorladen sollte. Dies lag nicht nur daran, dass der Anwalt und Dereks Onkel seit Jahren miteinander im Clinch lagen, wobei nicht einmal Derek genau wusste, worum es dabei eigentlich ging, oder aber daran, dass niemand, nicht einmal Malia wusste, wo Peter gegenwärtig überhaupt steckte; nein es war insbesondere durch Peters schlechtem Leumund begründet, dass man auf seine Aussage verzichtete. Niemand erwartete, dass Peter Hale irgendetwas Hilfreiches beizutragen hätte und so war es dann wohl besser, wenn er wegblieb. Anstatt dessen waren aber Andere gekommen, um zu helfen und die saßen nun verteilt im Zuschauerraum, um Loba in diesen schweren Tagen beizustehen. Selbstverständlich war Scott anwesend, denn immerhin ging es hier um sein jüngstes Rudelmitglied und da dachte der Alpha nicht einmal im Traum daran, irgendwo anders zu sein. Er hatte ihr eine Tüte Lakritz mitgebracht, welche Loba in diesem Augenblick verspeiste und überdies hatte Onkel Scott seine Mutter Melissa im Schlepptau, welche Loba zuversichtlich zuzwinkerte und ihr eine Kusshand aus den hinteren Rängen zuwarf. Danny war gekommen, ebenso wie Kira, die nun Scotts Hand hielt und selbst Cora und Isaac waren aus Mexiko angereist. Derek und Stiles hatten natürlich alles getan, um Loba klarzumachen, was dieser Tage geschehen würde, was eine Gerichtsverhandlung war und auch, dass sie hier leider ein letztes Mal auf die Menschen treffen musste, welche sie gequält und gefangen gehalten hatten und das Mädchen hatte das auch alles intellektuell verstanden. Das hieß jedoch nicht, dass sie nicht trotzdem vor Entsetzen erstarrte, als nun die Angeklagten hereingeführt wurden. Stiles und Derek links und rechts von ihr rückten noch ein wenig enger an sie heran und Derek flüsterte: „Keine Angst, mein kleines Wölfchen! Daddy passt auf! Sie können dir nichts mehr tun. Nie wieder!“ Und Loba verblüffte Derek, indem sie sich tatsächlich dieses eine Mal Schutz suchend an SEINE Brust warf und nicht an die von Stiles. Gerührt legte er die Arme um das Mädchen. Von nun an ging alles seinen Gang. Die Anklage wurde verlesen und die Zeugen von Anklage und Verteidigung wurden gehört. Und es kristallisierte sich langsam heraus, welche Strategie der Verteidigung verfolgte. Man versuchte alles Ernstes, diese grausamen, gewissenlosen Täter als Menschenfreunde hinzustellen, welche lediglich versucht hätten, mehreren hilfsbedürftigen Personen ein Zuhause zu bieten. Stiles ballte die Fäuste. Derek knurrte leise. Sicherlich war dies wohl die einzige Möglichkeit für die Verteidigung sinnvoll zu erklären, warum sich Loba und die anderen Opfer bei den Gomez Brüdern und ihrer Begleiterin, deren Name Mary Townsend war, aufgehalten haben könnten, doch es war einfach nur schamlos! Zum Glück gab es ausreichend Zeugen, die bestätigten in welch erbarmungswürdigen Zustand die Opfer nach ihrer Befreiung gewesen waren, sowie Fotos von ihnen und ihren Gefängnissen, welche dies eindrücklich belegten. Hinzu kam die schmierige, heuchlerische Art und Weise, auf welche sich die Angeklagten im Zeugenstand präsentierten. Die Geschworenen glaubten ihnen nicht ein Wort; das war mehr als deutlich, wie Stiles mit Genugtuung feststellte. Die Nächte nach jedem Prozesstag waren grauenhaft. Loba, die sonst eigentlich immer hungrig war, stocherte lustlos in ihrem Abendessen herum. Sie in ihr eigenes Bett zu bringen war eine sinnlose Übung, denn sie ertrug es einfach nicht, allein zu sein. Sie war blass, sie fror, sprach kaum ein Wort und in ihren Augen spiegelte sich das blanke Entsetzen, welches sie empfand. Derek und Stiles fühlten sich hilflos weil sie spürten, dass sie ihr kleines Mädchen zur Zeit nicht erreichen konnten, ganz so, als stecke Loba ein weiteres Mal in einem Käfig; isoliert, traurig und verloren. Dabei stand Loba das Schwerste noch bevor, nämlich ihre eigene Aussage, welche jedoch erst zum Ende des Prozesses vorgesehen war. Doch auch die schwersten Tage gingen einmal vorbei. Endlich war der letzte Prozesstag gekommen und nun sprachen die Opfer! Das, was sie zu berichten hatten, trieb so manchem im Saal die Tränen in die Augen, so auch Stiles, für den das, was Loba über so viele Jahre durchgemacht erst jetzt voll und ganz real wurde. Es war beinahe so, als sei es bislang für ihn nur eine besonders furchtbare Geschichte gewesen; beinahe so, als würde ihm erst jetzt klar werden: Das Ganze ist wirklich passiert! Und dann wurde Loba in den Zeugenstand gerufen! Stiles und Derek umarmten sie noch einmal und flüsterten ihr zu, dass sie sich nicht verwandeln dürfe, ganz gleich was nun geschähe. Das Mädchen nickte, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte und machte sich dann mit wackligen Beinen auf den Weg, so als ginge es zur Schlachtbank. Lobas Antworten vielen knapp und präzise aus. Zunächst einmal wurde sie aufgefordert zu beschreiben, was sie in ihrer Zeit bei den Schaustellern erlebt hatte, was sie auch tat.Ihre Sätze kamen dabei abgehackt und ihr Blick war ins Leere gerichtet. Stiles Fäuste waren so fest geballt, als er ihr lauschte, dass sie schmerzten und er war auf dem Sprung und jederzeit bereit seinem Kind zu Hilfe zu eilen wie eine Löwenmutter, wenn das nötig werden sollte. Als Loba mit ihren Ausführungen fertig war, machte der gegnerische Anwalt einen durchsichtigen Versuch, das Mädchen mit seinen Fragen moralisch in die Enge zu drängen. `Sei es nicht richtig, dass die Schausteller sich wie Eltern um Loba gekümmert hätten, als sie sie als Baby gefunden hätten? Immerhin habe man sie doch großgezogen!´ `Nein!´ lautete Lobas knappe Antwort und dabei schaute sie fest hinüber zu ihren wirklichen Eltern. `Aber müsse man nicht dankbar sein, dass die Schausteller sie nicht hätten sterben lassen, sondern Loba bei ihnen Aufnahme gefunden habe?´ `Nein! Sterben wäre besser gewesen!´ Die Stimme des Mädchens war eisig. `Aber sei sie nicht immer mit Güte und Freundlichkeit behandelt worden?´ Da wurde es Loba zu bunt, soviel konnte Stiles von seinem Platz aus sehen. Er fragte sich, was seine Tochter nun vorhatte, denn sie erhob sich aus ihrem Sitz. Sie wollte doch nicht etwa weglaufen, oder? Doch Loba lief nicht weg. Stattdessen zog sie sich ihr Shirt und ihr Unterhemd über den Kopf. Sie scherte sich nicht darum, dass jeder im Saal ihren bereits vorhandenen kleinen Brustansatz sehen konnte. Sie drehte den Geschworenen nun den Rücken zu, weil sie offenbar bereits begriffen hatte, dass darum ging, ebendiese zu überzeugen. Loba mochte ein Werwolf sein, doch die Narben vor Stock- und Peitschenhieben auf ihrem Leib waren noch immer zu erkennen und würden ihr vielleicht auch ein Leben lang erhalten bleiben: „Ist das Güte und Freundlichkeit?“ wollte sie wissen. Einige der Geschworenen zogen scharf Luft ein, als sie die Spuren der Misshandlung auf dem Kinderkörper erblickten. Der Richter ermahnte das Mädchen streng, sich wieder anzuziehen, doch das Gesehene ließ sich ohnehin nicht wieder zurücknehmen. Loba hatte erreicht, was sie wollte und zog sich wieder an. Der Anwalt der Verteidigung machte noch ein paar halbherzige Versuche, Loba zu verunsichern und zu retten, was zu retten war, doch er wusste im Grunde bereits, dass die Sache gelaufen war. Stiles war unwahrscheinlich stolz auf seine Tochter. Er warf einen Blick neben sich auf Derek und der fühlte ganz offensichtlich dasselbe. Loba wurde schließlich wieder aus dem Zeugenstand entlassen und als sie wieder bei ihren Vätern war, sackte sie erschöpft in sich zusammen. Derek setzte sie sich auf den Schoß und hielt sie ganz fest. Kurze Zeit später wurde die Jury aufgefordert, sich zur Beratung zurückzuziehen, was ihnen allen die Gelegenheit gab, zunächst einmal einen Moment durchatmen. Der Prozess war vorbei! Sie mussten nun nur noch auf das Urteil warten. Derek, Stiles, Loba und ihre Freunde gingen zunächst etwas essen. Loba musste dorthin getragen werden, weil sie zu schwach zum Laufen war und ließ sich bei Tisch füttern, wie ein Baby: „Was ist denn bloß mit ihr?“ fragte Stiles ängstlich in die Runde, doch es war Loba selbst die ihm antwortete: „Keine Angst, Daddy! Ich bin nur müde. Ich bin SO müde!“ „Posttraumatischer Stress!“ murmelte Melissa ohne große Überzeugung. Auch sie sah ein klein wenig besorgt aus, als sie den Zustand des Mädchens erkannte. „Sie muss einfach bloß nachhause! Es wird Zeit, dass dieser Quatsch hier vorbei ist!“ knurrte Derek und zog das Kind beschützend ein wenig enger an sich heran. Unter der grimmigen Fassade wirkte jedoch auch er besorgt. Als sie aus dem Restaurant zurückkehrten, hatten die Geschworenen bereits ihr Urteil gefunden und sie nahmen Alle ein letztes Mal im Gerichtssaal für dessen Verkündigung Platz. Der Geschworenenvertreter erhob sich und mit ihm auch jeder andere im Saal. Einen Augenblick lang war es so still, das man eine Stecknadel hätte fallen hören können und dann wurde das Urteil verlesen. Die Jury verurteilte jeden der drei Täter zu einundzwanzig Jahren Gefängnisstrafe ohne Bewährung. Ein kollektives Aufatmen ging durch den Raum und lediglich bei den Beklagten erhob sich leiser Protest. Der Richter entließ die Anwesenden und im Hinausgehen fing Derek ein Gespräch zwischen den Verurteilten und ihrem Anwalt auf. Offenbar hofften diese, in Berufung gehen zu können, doch davon riet ihr Rechtsbeistand ihnen ab, und wollte wissen, ob sie es am Ende wohl auf eine lebenslängliche Haft abgesehen hätten? Derek hörte auch den Unterton in der Stimme des Anwalts; den Abscheu, den er gegen seine Mandanten empfand. Auf dem Weg zu den Autos versuchte Stiles Loba zu überzeugen, dass das Urteil doch eine gute Sache sei, weil nun die Menschen, die sie lange Jahre gefangen gehalten hatten selbst für sehr lange Zeit hinter Gittern landen würden, doch wie es schien, war das dem Mädchen vollkommen gleichgültig. Sie hing apathisch in seinen Armen und stolperte hinter ihm her. Ihr glasiger Blick und ihre ausdruckslose Miene erschreckten ihn beinahe zu Tode. Alle waren hilflos und hatten keine Ahnung, wie sie dem Mädchen helfen sollten. Alle bis auf Malia! Sie stieß ihren Cousin von der Seite an und bestimmte: „Wir fahren jetzt mit ihr hinüber ins Reservat!“ „Und was machen wir dort mit Loba?“ wollte Stiles wissen, doch seine Ex erwiderte bloß: „DU wirst dort gar nichts tun! Menschen sind dabei nicht zugelassen!“ Normalerweise würde Stiles so eine Frechheit nicht einfach so im Raum stehen lassen, doch im Augenblick war es ihm vollkommen gleichgültig, solange Loba nur geholfen wurde. Er küsste Derek und Loba und fand sich ganz einfach damit ab. Scott wollte wissen, ob er auch mitkommen solle, doch Derek fand, dies sei wohl eher eine Familiensache. Und so fuhr er mit Malia und Loba ins Beacon Hills Reservat und Stiles ließen sie zurück. Dieser ließ sich dann von seinem Vater nachhause mitnehmen, weil er in diesem Moment auf keinen Fall allein sein konnte. Er war traurig, ausgelaugt und voller Sorge. Erst am Abend kam die Hale-Stilinski-Familie wieder in Dereks Apartment zusammen. Wie es aussah, sollte Stiles tatsächlich niemals erfahren, was sich an diesem Tag dort draußen im Wald abgespielt hatte, doch eigentlich spielte es auch keine Rolle, denn bei ihrer Rückkehr war Loba zwar vollkommen erschöpft, aber ansonsten mehr oder weniger wieder die Alte und das war alles, was zählte! Und als sie sich schließlich auf die gebackenen Hühnchenteile und den Mais zum Abendessen stürzte, wie ein ausgehungertes Raubtier, war er dann schließlich wieder voll und ganz beruhigt. Stiles eigener Prozess nahte heran und Derek und er waren sich einig, Loba davon nichts mitbekommen sollte. Sie erklärten ihr zwar, warum sie in den nächsten Tagen weniger Zeit für sie haben würden, doch auf keinen Fall würden sie sie auch nur noch ein einziges Mal mit in einen Gerichtssaal nehmen! Stattdessen würden sie dafür sorgen, dass ihr Mädchen eine schöne Zeit mit anderen Leuten haben würde. Danny und seine Mutter hatten sich angeboten, etwas mit ihr zu unternehmen, Scott selbstverständlich auch und außerdem konnte sich Loba an den Nachmittagen auch mit ihrer neuen Freundin Moesha verabreden, wenn sie wollte. Seit Weihnachten und das lag mittlerweile immerhin schon zwei Monate zurück hatte Peter Hale kein Mensch mehr zu Gesicht bekommen. Am ersten Prozesstag saß er jedoch urplötzlich in der hintersten Reihe des Zuschauerraumes. Und nur mit Mühe konnte Stiles Derek davon abhalten, aufzuspringen und seinem Onkel die Gurgel herauszureißen: „Nicht, Derek! Es ist in Ordnung!“ versicherte Stiles: „Er will auf seine verkorkste Art sicher nur helfen und er ist trotz allem, was geschehen ist doch immer noch deine Familie.“ „Ja, bedauerlicherweise!“ knurrte Derek finster und verlegte sich von da an darauf, Peter nach Kräften zu ignorieren, ganz so, als könne er ihn dadurch verschwinden lassen. Was Stiles besser für sich behielt, weil es sogar zu erschreckend war, um es vor sich selbst einzugestehen, war die Tatsache, dass Peters Anwesenheit ihm tatsächlich in gewisser Weise Sicherheit und Zuversicht vermittelte. Er war ganz offensichtlich selbst ziemlich verkorkst! Derek würde ihm diese Gefühle sicherlich niemals verzeihen, wenn er von ihnen wüsste und Stiles konnte es ihm nicht einmal verdenken, wenn er daran dachte, wie Peter sich wie eine Schlange sein Vertrauen erschlichen hatte, als Stiles verletzt und ohne Gedächtnis gewesen war. Doch auf der anderen Seite war Peter auch bereit gewesen, für Stiles zu töten und nun war er sogar hierher gekommen, um ihm beizustehen, obwohl das sicher nicht leicht für ihn gewesen ist. Nein, diese Gedanken waren definitiv nichts, was Stiles jemals mit Derek diskutieren wollten! Obwohl Stiles sein Gedächtnis bereits vor einer Weile vollständig wiedererlangt hatte, konnte er sich an die Gesichter der Männer, welche ihn verprügelt hatten absolut nicht erinnern, ebenso wenig erinnerte er sich an das, was sie ihm angetan hatten. Ihm graute bereits vor seiner Aussage, denn er würde vermutlich einfach nur sprachlos dasitzen und konnte nichts gegen sie vorbringen, malte er sich aus. Doch das war, bevor er sie wiedersah, denn nun wurden die Täter hereingeführt und seine eigenen Erinnerungen trafen Stiles, wie eine Faust im Magen. Wie sie gelacht hatten! Dass es ihnen Spaß gemacht hatte! Wie viel Angst er selbst gehabt hatte! Die Ohnmacht, die er empfunden hatte! Und wie diese Kerle immer weiter auf ihn eingeprügelt hatten, als sei er überhaupt kein menschliches Wesen, bis Stiles schließlich gnädigerweise das Bewusstsein verloren hatte! Derek mit seinen feinen Sinnen bemerkte die Panikattacke bereits, bevor Stiles sich ihrer richtig bewusst wurde und er zog ihn fest an sich. Über die Schulter seines Gefährten hinweg konnte Stiles Peters hilflosen Gesichtsausdruck sehen. Stiles Herz pochte so heftig, dass er kurz Angst hatte, er würde möglicherweise einen Infarkt erleiden, sein Brustkorb und seine Gedärme krampften sich schmerzhaft zusammen und ihm war mit einem Mal kotzübel: „Ich hab´ dich, Stiles! Dir kann nichts passieren! Ich werde nicht noch einmal zulassen, dass dir irgendetwas geschieht!“ flüsterte Derek und strich beruhigend mit einer seiner warmen, großen Hände über Stiles Rückseite. Dieser barg seinen Kopf unter dem Kinn seines Geliebten, so dass er sich in dessen Umarmung nun beinahe wie in einem Schutz spendenden Kokon fühlte und ganz langsam kehrte in seinem Inneren wieder ein wenig Ruhe ein. Für diesen Prozess waren drei Tage angesetzt worden. Da es keine Zeugen für die Tat gab, würden lediglich die Aussagen von Tätern und Opfer gehört, sowie von Stiles Vater und seinen Kollegen, die in diesem Fall ermittelt hatten. Es würden medizinische Gutachten verlesen werden, die Aussagen darüber machten, welchen körperlichen Schaden Stiles davongetragen hatte. Und schließlich würden toxikologischen Befunde der Täter ins Feld geführt werden, welche ja allesamt zum Tatzeitpunkt alkoholisiert und unter Drogeneinfluss gewesen sind. Grimmig fragte sich Stiles, welche Rolle es wohl spielte, ob sie ihm nun nüchtern, oder unter Einfluss von Narkotika das Leben aus dem Leib hatten prügeln wollen? Nach dem ersten Prozesstag war Stiles eigenartig schweigsam und das gefiel Derek überhaupt nicht. Normalerweise hielt sein Gefährte niemals die Klappe und insgeheim mochte Derek das, auch wenn er immer das Gegenteil behauptete. Es gehörte einfach zu Stiles! Und dass er in diesem Augenblick stumm blieb, machte Stiles Zustand klarer, als jede wortreiche Erklärung darüber, was er momentan empfand: „Was kann ich tun?“ erkundigte sich der Werwolf hilflos: „Sei einfach nur da!“ forderte Stiles und legte sich den Arm des Älteren um die Schultern. Als sie nachhause kamen, hockte Loba mit Malia, ihrem Babysitter des Tages vor der Spielekonsole. Als Dereks Cousine erkannte, in welch bemitleidenswertem Zustand ihr Ex-Freund war, zog sie sich diskret zurück, damit die Familie sich ungestört um einander kümmern konnte. Auch Loba blieb der Zustand ihres menschlichen Vaters nicht verborgen und sie entdeckte in diesem Moment eine neue Qualität an sich: Fürsorge! Als es ihr Prozess gewesen war, hatte Stiles alle Register gezogen, um seine Tochter zu trösten und wieder aufzurichten und nun war es an Loba, das Gleiche für ihn zu tun. Sie schleppte ein paar ihrer Bilderbücher herbei und las ihrem Daddy mit stockender Sprechweise daraus vor. Dann zwang sie ihn, Schokolade zu essen, auch wenn Stiles behauptete, keinen Appetit zu haben und schließlich kuschelte sie sich an ihn und schnurrte dabei süß, wie ein kleines Kätzchen. Und Stiles, der genau begriff was Loba da gerade versuchte, musste zur gleichen Zeit lachen und weinen. Und da kam ihm eine bedeutungsvolle Erkenntnis: Es war vollkommen egal, wie dieser Prozess ausging, oder was in der Vergangenheit geschehen war. Er hatte Alles; eine Familie, eine großartige Partnerschaft, Liebe und Freundschaft! Diese Kerle hatten ihm mit ihrem Hass nichts davon nehmen können und darum hatte er gewonnen! Und so kam es auch, das ihn das Urteil, welches zwei Tage in seinem Fall gefällt wurde auch nicht aus der Fassung bringen. Die Täter erhielten lediglich eine ein Jungendstrafe und kamen für lächerliche drei Jahre in Haft. Als mildernder Umstand wurde dabei, wie schon befürchtete der Drogenkonsum der Schläger berücksichtigt. Stiles sämtliche Freunde waren an diesem Tag gekommen und empörten sich nun natürlich darüber und schimpften, dass dieses Urteil eine Unverschämtheit sei. Cynthia Mahealani witterte Homophobie und kündigte an, dass sie landesweit die queere Community mobilisieren würde, um diesen Skandal anzuprangern. Derek kündigte an sie werden in Berufung gehen. Gleich morgen früh werde er einen Termin mit Caine, dem Anwalt machen, doch Stiles winkte ab: „Es ist okay, Leute! Ich will das alles nicht! Es ist wirklich in Ordnung! Ich bin einfach nur froh, dass es jetzt endlich vorbei ist. Das Einzige, was ich wirklich jetzt will ist feiern!“ Und so machten sie es dann auch. Sie verließen das Gerichtsgebäude, bildeten eine Autokolonne in Richtung Supermarkt, kauften alles Nötige für eine große Party ein und von da aus ging es dann in Dereks Apartment. Einige von ihnen dekorierten die Wohnung mit Lampions und Girlanden, andere kochten ein kleines, improvisiertes Festmahl und nach dem Essen stellten sie die Stereoanlage an und es wurde wild getanzt. Nur dank Dereks scharfer Werwolfsohren hörten sie überhaupt, dass irgendwann die Türklingel läutete. Stiles und Derek gingen gemeinsam, um zu öffnen und vor der Tür stand Ms. Pierce, die Frau vom Jungendamt, welche sich bei ihre letzten Termin vor ihnen als lesbische Mutter geoutet hatte. Sie hatte ein breites Lächeln auf den Lippen und einen Briefumschlag in der Hand: „Wie ich sehe feiern sie bereits! Hier bringe ich ihnen noch einen weiteren Grund zur Freude.“ erklärte sie und überreichte das Schriftstück: „Ihr Fall ist mir ehrlich gesagt sehr nahe gegangen und da wollte ich es mir nicht nehmen lassen, ihnen die frohe Kunde persönlich zu überbringen.“ Eilig riss Stiles den Umschlag auf und zerrte mehrere, zusammengeheftete Blätter Papier hervor: Die Adoptionspapiere! Derek und Stiles fielen erst einander und dann auch noch Ms. Pierce erleichtert und überglücklich um den Hals. Sie hatten es geschafft! Sie und Loba waren nun endlich auch vor dem Gesetz eine Familie! Nun konnte die Zukunft ruhig kommen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)