Ten Minutes Of Your Life von -Yumiko- ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Wenn man mich so ansieht, so erkennt man keine Besonderheiten. Ich bin ein durchschnittlicher Jugendlicher. In ein paar Tagen wird aus mir ein Twen. Mein Name ist Ulf. Ich bin ein Meter fünfundachtzig groß, blond und nicht gerade der sportliche Typ, allerdings erscheine ich auf den ersten Blick nicht gerade unsportlich. An mir rauscht gerade mein gesamtes Leben vorbei, ich sehe Ereignisse, die schon Jahre zurück liegen. Warum ich gerade jetzt an solche Sachen denke? Nun ja, man denkt an solche Dinge, wenn man sich den Lauf einer Pistole an die Schläfe hält... Warum ist es bloß wieder so kalt geworden. Ich hole mir meine Winterjacke aus dem Schrank und ziehe sie an. Ich stecke die Brieftasche in die Innentasche der Jacke, hänge mir den Schlüsselanhänger an die Schlaufe meiner Hose, nehme meine Schultasche und verlasse das Haus. Ich bin Hundemüde und habe im Grunde gar keine Lust, heute zur Schule zu gehen. Freitags ist der langweiligste Tag in der Woche. Zwei Stunden Geschichte, zwei Stunden Physik, eine Stunde Informatik. In den ersten beiden Stunden hole ich den Schlaf nach, werde aber hin und wieder von meinem Geschichtslehrer durch einer seiner unsinnigen Fragen geweckt, die ich mit leeren Geschwafel an einen anderen Schüler weiterleite. Ich habe den zwölften Jahrgang wiederholt. Damals hatte ich Spanisch als Leistungskurs gewählt und gedacht, daß ich das eigentlich schaffen müßte. Aber die Zensuren wurden immer schlechter und ich bemühte mich um eine Jahrgangswiederholung mit Leistungskursumwahl. Nun sitze ich seit einem Jahr ein einer mir immer noch überwiegend unbekannten Kursgemeinschaft, die sich zu 95 Prozent aus einem gleichen Schulverbund zusammenschließt. Ich dagegen komme von einem ganz anderen Gymnasium und bin eigentlich im falschen Stadtteil zur Oberstufe gegangen. Ich hätte mit meinen anderen Schulkollegen zum nahegelegenen Schulzentrum Blumenthal gehen sollen. Dort wäre der Kontakt mit anderen Schülern einfacher für mich gewesen, da man sich in diesem Stadtteil nun mal kennt. Nun gut, das war ein Fehler, den ich jetzt nicht mehr rückgängig machen kann. Die einzige Person, mit der ich mich in Geschichte unterhalten konnte, hat sich entschlossen, den Kurs zu verlassen. Am ende des Schuljahres will sie Fachabi machen und ich bin schon wieder allein. Na ja, das Leben hat's bis jetzt noch nicht gut mit mir gemeint. Die zwei Stunden Geschichte plätscherten an mir vorbei, in Physik macht man mich mit Lichtwellen vertraut und ich Informatik mache ich mir Gedanken darüber, wie ich den Abend verbringen soll. Das Programm, das wir programmierten sollten, hatte ich schon fertig gehabt. Die Stunde wollte einfach kein Ende nehmen und als dann doch endlich der Gong schlug, ist meine Planung für den Abend immer noch so unvollkommen wie vor der Stunde. Ich krame meine Sachen zusammen, gehe zur Haltestelle und fahre mit dem Bus nach Hause. Im Hintergrund läuft ein CD mit alten Hits. Ich hatte soeben einen Text geschrieben, so etwas ähnliches wie ein Abschiedsbrief: "Das Leben ist wie ein Fluß. Es reißt einen mit, plätschert manchmal vor sich hin, ist stürmisch wie ein Wasserfall oder gemütlich wie ein ruhiges Stück. Manchmal bilden sich Strudel, läuft der Fluß im Kreis, kommt an vielen neuen Stellen vorbei und endet doch oft viel zu früh um alle Erlebnisse verwalten zu können. Ist man zu schnell an einigen Stellen vorbei, kann man dies nie wieder korrigieren..." Ich unterschreibe den Text. Im Bus sehe ich oft ein Paar, das oft in Vegesack einsteigt. Diese Harmonie, diese Liebe, die diese beiden verbindet, die Küsse... Mir kommt fast immer das Kotzen! Wenn sich zwei Menschen lieben... Sie sich vor mir küssen... Wenn ich das sehen muß... Nein, ich schaue weg, will das gar nicht sehen. Es ist sonst nicht nur ein Wink mit dem Zaunpfahl, nein, es ist schon ein Wink mit einem ganzen Maschendrahtzaun. Es zeigt mit, daß ich immer noch solo bin. Unter uns, ich bin auch noch Jungfrau, ich hatte noch nie ein Mädchen... Mehrmals hatte ich die Chance gehabt, habe sie genutzt, habe aber immer das selbe gehört: Können wir nicht nur Freunden sein... Als Freund bist du ganz in Ordnung, aber... Tut mir leid, habe schon eine fest Beziehung... Es trifft mich immer wieder wie eine Ohrfeige. Ich gehe nicht durch das Leben, nein, ich stolpere geradezu dadurch. Dann gehen mir meistens die gleiche Frage durch den Kopf: Selbstmord?? Oft genügt habe ich mir diese Frage gestellt und komme dabei nie zu einer Antwort. Schließlich schmeiße ich mich auf meinem Bett und fang an zu weinen. Insbesonders und gerade dann sehr stark, wenn mich wieder so eine Hippe eiskalt abserviert: Hab' schon 'nen Freund!!! Es gibt Leute, die besaufen sich in solchen Situationen. Ich mache dann immer was anderes. Ich schreibe kleine Storys oder mache Balladen. Nein, ich spiele keine nach, ich komponiere welche. Die meisten lösche ich sofort wieder, keiner soll wissen, wie sentimental ich bin. In meinem Bekanntenkreis bin ich der einzige, der noch keine Beziehung hat... Simone, Andrea, Annie, Nina, Ramona... Diese Personen haben mir viel bedeutet, nun sind sie bedeutungslos. Die Hand ist immer noch am Abzug. Sie zittert. Auf meiner Stirn sind Schweißperlen. Drücke ich ab oder nicht? Immer noch zieht mein Leben an mir vorbei... In sechs Monaten bin ich zwanzig. Und immer noch solo. Soll ich mich als Single des Jahres bewerben? Ich hätte die größten Chancen... Ein wunderschönes Mädchen steigt in Blumenthal ein. Ich schau sie an, sie schaut mich an, optischer Flirt, ich traue mich nicht mehr irgendein Mädchen anzusprechen. Ich denke, ich würde bei der nächste Abfuhr durchdrehen. Bin ich schon senil? Unbekannter Befall außerirdischer Viren, die einem das Selbstvertrauen zerfressen? Akte X läßt grüßen. Ich kommen Zuhause an, der Flirt vorbei, sie fährt weiter, ich liege auf meinem Bett: Allein, das Gesicht feucht von den Tränen... An der Tür klingelt es. Meine Freunde stehen davor. Ich öffne die Tür sie kommen rein. Ich habe gedacht, ich hätte die Waffe gut genug versteckt. Xaver sieht sie, schaut mich verzweifelt an. Die anderen sehen sie jetzt auch, nun sehen sie auch mich an. Sie wollen mich zur Rede stellen. Ich fang an zu weinen. Noch nie hatte ich in Gegenwart meiner Freunde geweint, sie wissen nicht, wie einsam ich bin. Nein, ich bin schon oft mit ihnen zusammen, aber ohne Frau, wo ist der Sinn des Lebens. Sie beruhigen mich. Wir gehen runter zur Weser, schmeißen die Waffe weg. Ich fühle mich erleichtert, nicht befreit, das Problem bleibt und ich bleibe allein. Die CD ist zu ende, mein Leben nicht. Ich bin froh, solche Freunde zu haben. Sie stehen zu mir. Selbstmord ist nicht die Lösung, nach der ich suche. Das ist die Antwort, nach der ich so lange gesucht habe... HotaruT Bremen, 12.2.1995, 2:34 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)