Heimliche Hoffnung von Varlet ================================================================================ Kapitel 1: Emotionen -------------------- Jodie war frustriert. Frustriert. Vorgeführt. Gedemütigt. Wutentbrannt ließ sie ihre Handtasche, sowie die Jacke auf den Boden im Wohnungsflur fallen. Die Haustür stieß sie mit einem Schlag zu. Erneut lag es an Vermouth. Sie schlug mit einem fahlen Beigeschmack zu und ging in ihrer neuen Rolle auf. Jodie Starling Vermouth stahl ihr für einen kurzen Zeitraum ihre Identität und blendete damit jeden. Vor allem ihren, momentan einzigen, Vertrauten. André Camel. Camel In den letzten Monaten verbrachten sie viel Zeit miteinander. Camel stand ihr nah. Er war für sie da, tröstete sie, hörte ihr zur und fiel auf den Feind herein. Erneut. Jodie konnte ihm nicht lange Böse sein. Auch wenn ihr Blick Bände sprach, wusste sie, dass mit Vorhaltungen keinem geholfen war. Unglücklicherweise besaß Camel den Drang sich tausendmal dafür zu entschuldigen. Nur mit Mühe hielt sie ihre Stimme ruhig, auch wenn der Drang groß war. Immer wieder rief sie sich seine positiven Eigenschaften in Erinnerung. Camel war nett, lieb, aufmerksam und rücksichtsvoll. Spontan fielen ihr noch weitere Charakterzüge ein, die den Agenten sehr gut beschrieben. Und trotzdem hatte er nicht das gewisse Etwas. Er war nicht er. Shuichi Akai Wie sehr sich Camel anstrengte und bemühte, er konnte Shu nicht das Wasser reichen. Shus gesamtes Wesen war einzigartig. Kühl und doch besorgt. Seit ihrer ersten Begegnung zog er sie in seinen Bann. Jahre später – nach ihrer gescheiterten Beziehung – fühlte sie sich immer noch zu ihm hingezogen. Während der Arbeit schob sie die Gefühle beiseite, doch innerlich machte ihr Herz jedesmal einen kleinen Sprung, wenn sie ihn sah oder sie sich kurz berührten. Ob es Shu ähnlich ging, wusste sie nicht. Sie hoffte, dass es so war. Shu hätte die falsche Jodie Starling erkannt. Da war sich die FBI-Agentin sicher. Es gab nicht viele Menschen, die hinter die Fassade der Schauspielerin blicken konnten, aber auch er gehörte zu ihnen. Sie selbst war noch lange nicht soweit, obwohl sie, wie er, eine vielfältige Aktensammlung über Vermouth anlegte. Am Ende kostete es ihn sein Leben. Jodies Vater war besessen von der blonden Schönheit. Sämtliche Informationen lagen nicht nur in den Akten, sie brannten sich in seinen Kopf ein. Nur die, damals, achtjährige Jodie, hatte eine viel stärkere Wirkung auf ihren Vater. Sie war sein Engel, sein wohlbehüteter Schatz und der Grund, warum er täglich seine Arbeit machte. Bereits vor seinem größten Auftrag, reichte es dem FBI-Agenten. Er hatte zu viel gesehen. Leid. Kummer. Trauer. Nur negative Gefühle. Alle verknüpft mit seinem Beruf. Fast hätte er diesen an den Nagel gehängt und sein Leben als einfacher Familienvater weitergeführt. Fast. Zu Hause blickte er in das Gesicht seiner kleinen Tochter. Sie änderte alles. Das Leben, für das er von nun an verantwortlich war, gab ihm so vieles zurück. Freude. Lächeln. Spaß. Der Fall Organisation oder Syndicate, wie er damals noch hieß, verlangte alles von ihm, aber auch von seinem Partner ab. Mit James Black trug er die verschiedensten Informationen zusammen. Viele widersprachen einander, doch andere zeigten ein globales Muster und ehe er sich versah, steckte er zu tief drinnen. Das Syndicate sollte nicht die Überhand bekommen. Sie sollten keine tragende Rolle in der Zukunft spielen. Der Zukunft seiner einzigen Tochter. Sharon Vineyard, die sich aufgrund ihrer Schauspielertätigkeiten nahe der Tatorte befand, zog schnell seine Aufmerksam auf sich. Sie war der einzige Nenner, die einzige Verbindung zum Syndicate. Und sie war gefährlich. Zu gefährlich. Obwohl es ihm, nach einiger Zeit, nicht mehr schwer fiel, ihre Verkleidung zu durchschauen, fiel er ihren Schauspielkünsten zum Opfer. Als seine eigene Frau erschien sie in seinem Arbeitszimmer, machte ihm schöne Augen und ehe er reagieren konnte, erschoss sie ihn. Die Erinnerungen an ihren Vater machten Jodie traurig. Egal wie oft sie versuchte diese zu verdrängen, irgendwann kamen sie wieder hoch. Manchmal in ihren Alpträumen, manchmal in schönen Träumen, die ihr trotz allem zeigten, dass er nicht mehr da war. Überschattet wurden diese von Shuichi. Sein Tod setzte ihr zu. Fast täglich weinte sie sich in den Schlaf und zwang sich morgens zur Arbeit. Zu Zeiten, wo sie viel zu tun hatte, hörte der Schmerz auf. Spät abends, als sie alleine war, brachte der Kummer erneut aus ihr heraus. Es war ein Kreislauf. Die Abwärtsspirale. Bis Narben-Akai erschien. Er gab ihr neue Hoffnung, Hoffnung, dass er lebte. Die Unternehmungen gegen die Organisation rückten in der Prioritätenliste auf Platz 2. Shuichi hingegen stand ganz oben. Jodie setzte alle Möglichkeiten in Bewegung, nur um ihn zu finden und schließlich war er da. Ganz anders, als sie es sich in den, wenig guten Träumen, ausmalte. Und dennoch durfte sie ihn nicht sehen. Shuichi hielt die Grenze ein. Sein vorgetäuschter Tod sollte sich lohnen, sodass er nicht riskieren konnte, aufzufliegen. Noch nicht. Irgendwann hätten Jodies Besuche in der Kudo-Villa für große Aufmerksamkeit gesorgt. So sollte es nicht enden. Jodie brauchte ein anderes Ventil. Ein großes Ventil, das ihren Ärger mit Vermouth, aber auch die Distanz zu Shu, schluckte. Obwohl sie, während ihres gesamten Aufenthaltes in Japan, wenig Kontakt mit dem FBI-Agenten hatte, sahen sie sich meistens mindestens einmal im Monat um ihre Fortschritte auszutauschen, telefonierten oder schickten sich unterschiedliche Textnachrichten. Auch in schwierigen Situationen gab er ihr so den Halt. Ein nettes Wort, ob schriftlich oder mündlich, reichte oft aus. Aber jetzt musste der Kontakt auf Eis liegen. Kein Wort, kein Gefühl, kein Blick. Jodie seufzte. Shus Tod warf sie zu sehr aus der Bahn. Sie konzentrierte sich nicht mehr auf das, was sie damals noch als wesentlich erachtete. Vermouth Sie musste ihre gesamte Konzentration daran setzen. Jodie beugte sich zu ihrer Tasche und kramte das Handy heraus. Keine neue Nachricht. Natürlich nicht. Wie konnte sie so blauäugig sein und erwarten, dass er ihr schrieb. Dass er sich entschuldigte, war auch zu viel erwartet. Shu war eigensinnig und manchmal merkte er gar nicht, wie viel Kummer er ihr bereitet. Beep Beep Sofort sah Jodie auf das Display. Die angezeigte Nachricht schenkte ihr Hoffnung. Ein zögerliches Lächeln setzte sich auf ihre Lippen. Dann versiegte es. Ist bei dir alles in Ordnung? Camel. Traurig sah sie auf die liebgemeinten Worte. Wie sehr wünschte sie sich Shus Namen dorthin. Langsam ging Jodie in ihr Wohnzimmer, legte das Handy auf den Tisch und holte ihren Laptop hervor. Immer wieder lugte sie zu dem Mobiltelefon. Sie kannte Camel. Bald würde er eine zweite Nachricht schicken oder noch schlimmer, selber vorbei kommen. Auf letztes hatte Jodie keine Lust. Nicht heute. Nicht jetzt. Mit leicht zittrigen Händen griff sie das Handy und schickte eine kurze SMS weg. Beep Beep Erneut. Diesmal machte sich die Agentin keine Hoffnungen und öffnete die Kurzmitteilung. Wollen wir morgen frühstücken gehen? Ich kenne ein nettes Café. C. Jodie seufzte. Er machte es ihr nicht leicht. Besonders jetzt, wo er ihre Traurigkeit zu spüren schien. Ihr war nicht nach reden. Nicht heute. Und auch nicht morgen. Dankend lehnte sie das Angebot ab und fing mit ihrer neuen Aufgabe an. *** Camel blickte angespannt in die schwarze Flüssigkeit, die sich in seiner Tasse befand. Er dachte an Akais Worte zum Abschied. Vor so langer Zeit… Camel, egal was passiert, ich möchte, dass du auf Jodie aufpasst und sie beschützt. Camel schluckte. Seit Shus Tod hielt er sich an das Versprechen. Selbst jetzt wollte er weiter machen. Leider machte ihm Jodie einen Strich durch die Rechnung. Seit zwei Wochen verhielt sie sich merkwürdig. Anders. Sie zog sich zurück, ging kaum noch raus oder hatte Lust auf Freizeit. Bei seinem letzten Besuch, stockte ihm der Atem. Jodies Wohnung wirkte nicht mehr wie ein Lebensraum. Überall lag Papier herum, Notizen, Schlussfolgerungen, Akten, aber auch Daten über Vermouth. Vermouths Gesicht war auf mehreren Fotos mit verschiedenfarbigen Stiften durchgestrichen oder unkenntlich gemacht. Jodie war auf dem Rachetrip. Und Camel konnte nichts für sie tun. Statt ihm zuzuhören, setzte sie ihm, wörtlich gesehen, die Pistole auf die Brust. Er sollte gehen oder ihr helfen. Obwohl Camel die zweite Option in Erwägung zog, schüttelte Jodie den Kopf, nahm Option eins wieder zurück und schloss die Tür. „Camel.“ Der FBI-Agent schreckte hoch. Normalerweise brachte ihn nichts so schnell aus der Fassung – außer es handelte sich um einen totgeglaubten Kollegen, der auf einmal auf dem Rücksitz seines Wagens saß. Camel blinzelte und sah seinen Gegenüber an. „Tut mir leid, Mr. Black“, fing er an. „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll…“ Der Blick von James strahlte einerseits eine gewisse Ruhe aus, seine Augen aber zeigten Besorgnis. „Nur raus damit.“ James nahm seine Tasse Kaffee, nippte kurz daran und stellte sie wieder ab. „Geht es um Jodie?“ Camel nickte. „Seit Akai wieder da ist, benimmt sie sich komisch. Sie…sie hat sich komplett zurück gezogen und ich glaube, sie arbeitet von zu Hause aus.“ James legte den Kopf leicht schräg. „Wie meinen Sie das?“ „Als ich dort war, lagen überall Zettel herum. Daten und Auftritte von Vermouth.“ Seine Stimme wurde leiser. „Verschiedene Zeitungsartikel und Bilder. Jedes Bild von ihr wurde unkenntlich gemacht oder zerschnitten. Ich mach mir Sorgen um Jodie. Sie…ich glaube sie steigert sich zu sehr in die Suche nach Vermouth rein.“ Black seufzte. „Sie macht Rückschritte“, murmelte er. „Bitte?“ „Es gab schon einmal die Zeit, als sich Jodie zu sehr auf Vermouth konzentrierte. Als sie zum FBI kam, war Vermouth ihr einziges Ziel. Während ihrer Arbeit hier, konnte sie das Gleichgewicht zwischen dem Auftrag und ein wenig Normalität noch aufrecht erhalten“, entgegnete er. „Nun scheint es verloren zu sein.“ Camel nickte. „Ich glaube, es fing an, als Akai aus dem Verborgenen erschien.“ Eine Traurigkeit spiegelte sich in James Augen wider. „Ihr Schmerz betäubte alle anderen Sinne und jetzt…“ „…jetzt wo sie weiß, dass er noch lebt und sie keinen Kontakt zu ihm haben kann, fokussiert sie sich wieder auf sie.“ „Wenn Jodie so weiter macht, geht sie daran kaputt.“ Black seufzte. „Ich werde ihn bitten, dass er nach ihr sieht.“ „Halten Sie das für eine gute Idee? Er wollte möglichst wenig bis gar keinen Kontakt zu uns haben“, warf Camel ein. „Wichtige Notfälle sind davon ausgeschlossen“, antwortete James. „Und Jodies Verhalten ist ein Notfall…nein, es ist ein Hilferuf.“ Camel schluckte. Ein Hilferuf, wiederholte er in Gedanken. Und er verschloss die Augen davor, wartete zu lang. „Machen Sie sich keine Vorwürfe, Camel.“ *** Im Schutz der Dunkelheit bewegte er sich fort. Langsam. Schleichend. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen, die Augen mittels Sonnenbrille verdeckt. Eine braune Jacke sowie ein brauner Schal taten das übrige. Die Hände behielt er in den Jackentaschen. Shuichi vermied das Licht der Straßenlaternen, der Autos und der Geschäfte, die noch offen waren. Jodie braucht Sie. Black. Shuichi war alarmiert. Obwohl er sofort los laufen wollte, durfte er nicht. Er musste bis zur Nacht warten. Jodie musste einfach durchhalten. Dass die Organisation ihre Finger nicht im Spiel hatte, erkannte Akai an den Worten, die James verwandte. Sie gaben ihm Zeit. Wörter wie wichtig, dringend oder viele Ausrufezeichen, hätten die Situation in ein anderes Licht gerückt. Shuichi senkte den Kopf zum Boden hin, als ein Auto seinen Weg kreuzte. Den Weg zu Jodies Wohnung kannte er auswendig und hätte ihn mit verbundenen Augen wiedergefunden. Er stand oft vor ihrem Wohnkomplex – verkleidet und wartend. Vermouth und Bourbon zeigten ein höheres Interesse an Jodie, als erwartet. Seine heimlichen Besuchen und ihre Silhouette im Fenster, beruhigten ihn. Sie war in Sicherheit und weit und breit war kein Mitglied der Organisation stationiert. Shuichi blickte nach oben. Licht brannte in Jodies Wohnzimmer und er seufzte. Eigentlich sollte sie schlafen. Eigentlich. Shuichi zog eine Packung Zigaretten heraus. Er wusste, dass Jodie den Geruch nicht mochte und sich gerne ordentlich darüber ausließ. Dennoch rauchte er eine. Egal wie angespannt die Stimmung wäre, Jodie würde sich keinen Kommentar verkneifen. Eine Weile beobachtete er das Fenster, warf die Zigarette zu Boden und betrat – mit seinem eigenen Schlüssel den Hausflur. Kurz nach Jodies Einzug bekam er seinen eigenen Türöffner. Natürlich nur für den Notfall, falls die Organisation ihre Identität entlarvte und ihr irgendwas geschah. Nie hatte Shu ihn einsetzen müssen. Bis jetzt. Mit dem Fahrstuhl fuhr er nach oben und ging schließlich zu ihrer Wohnungstür. Shuichi warf einen kurzen Blick auf den Schlüssel in seiner Hand, nutzte dann aber die Klingel. Mehrere Sekunden verstrichen. Jodie reagierte nicht. Erneut klingelte er, gefolgt von Stille. Ein Hauch von Sorge ergriff ihn. Hatte er die Nachricht von James falsch interpretiert? Es war egal. Der Schlüssel kam nun zum Einsatz. Shuichi schloss die Haustür, zog sich Jacke und Schal aus und legte sie auf die kleine Kommode im Flur. Tage, in denen er unter seiner richtigen Identität rumlaufen konnte, waren selten. Nicht einmal in der Villa war er sicher vor unangekündigten Besuchern. Shuichi sah sich um. Jodies Wohnung war größtenteils unauffällig, bis auf die vielen Stapel Zeitungen, die sich neben der Kommode befanden. Akai schwieg und bahnte sich den Weg ins Wohnzimmer. Was er dort sah, verschlug selbst ihm den Atem. Jodie saß auf dem Fußboden. Überall verteilt lagen Zeitungsartikel, Informationen, Akten, Verzeichnisse, Bilder und Notizen. Vermouth Sie war der gemeinsame Nenner. Jodie wirkte geistesabwesend, während sie den neusten Artikel aus einem amerikanischen Klatschblatt ausschnitt. Akai bewegte sich auf sie zu. Er sah ihr über den Rücken. Wie vermutet, sagte er sich. Langsam legte er seine Hand auf die Schulter der Agentin. „Jodie?“ Die Angesprochene ließ die Schere fallen und wandte den Kopf nach oben. Ihre blauen Augen wirkten glasig, als wäre sie binnen Wochen stark gealtert. Langsam sah er sie. Eine Träne. „Es reicht“, fing er an und reichte ihr die Hand zum Aufstehen. Jodie schlug seine Hand weg. „Das entscheidest nicht du.“ Sie sah wieder auf die Zeitschrift. „Du hast deinen Weg gewählt und ich meinen.“ Akai seufzte leise. „Das kannst du doch nicht vergleichen.“ Er kniete sich nach unten. „Du machst dich nur kaputt, wenn du sie weiter so besessen suchst. Jodie!“, mahnte er sie. „Was weißt du denn schon?“ Jetzt fiel die erste Träne auf den Boden. „Dir ist es doch egal, wie ich mich fühle. Warum hast du das alles sonst getan?“ Shuichi schluckte. „Wenn du gewusst hättest, dass ich noch am Leben bin, wäre deine Reaktion anders verlaufen und Kir…“ „Ich will das nicht hören.“ Ihre Stimme wurde lauter. „Du denkst immer nur an die anderen. Hast du dich einmal gefragt, wie es mir dabei geht?“ Langsam stand sie auf. „Weißt du es?“ „Ich weiß, dass du stark bist und ich wusste, dass du darüber hinwegkommen wirst“, antwortete Shuichi. „Du lügst. Wie kannst du das von mir erwarten?“ Jodies Stimme zitterte. Wut und Trauer vermischten sich zu einer einzigen Emotion. „Du weißt gar nichts über mich. Wenn ich dir wichtig wäre, hättest du dich bei mir gemeldet. Weißt du eigentlich, wie oft ich mich wegen dir in den Schlaf geweint habe?“ Da kamen sie. Weitere Tränen. „Bourbon hat die Geschichte verkompliziert.“ Shuichi versuchte noch immer neutral zu klingen und ihr dabei Antworten auf ihre Fragen zu geben. „Und er ist es, weswegen du dich gezeigt hast. Hätte Bourbon uns nicht im Nacken gesessen, wie lange hättest du die Scharade noch aufrecht gehalten?“, wollte sie wissen. „Wie lange Shu? Wie viele Jahre? Wann hättest du mich eingeweiht? In zwei Jahren? In fünf Jahren? Gar nicht?“ Jodies Emotionen entluden sich. Sie begann auf den jungen Mann einzuschlagen. Vor Wut. Vor Trauer. Teilweise auch vor Glück. Aber vor allem, weil er ihr das Herz brach. Erneut. Und weil er sich einen Dreck um sie scherte. „Aber mit mir kann man es ja machen. Der kleinen Jodie kann man ruhig das Herz brechen und sie Qualen durchleiden lassen. Die kann es ja ab.“ Die ersten Schläge gegen seinen Brustkorb ließ er zu. Dann hielt er ihre Handgelenke fest. Jodie versuchte sich zu wehren. „Lass mich los. Ich…hasse dich…Shu, ich hasse dich…“ Und sie wusste, dass es gelogen war. Sie konnte ihn nicht hassen. Nicht ihn. Er hätte ihr das Herz heraus reißen, damit spielen, es zerbrechen, verbrennen und sonst was damit anstellen können, sie würde ihn nie hassen. „Hasst du mich wirklich?“ Jodie schluchzte. Erst laut, dann immer leiser. „Natürlich nicht, du Idiot“, wisperte sie. „Das ist gut. Hass steht dir nicht. Genau so wenig, wie diese Obsession“, entgegnete er ruhig und zog seine Kollegin an sich heran. Jodie wusste nicht wie ihr geschah. Ihre Beine wurden weich und sie hatte das Gefühl zu zittern. Wie lange sehnte sie sich schon nach einer solchen Berührung von ihm, nach dem Gefühl, dass sie ihm wichtig war. „Wieso?“, wollte sie leise wissen. Jodie wagte es kaum ihn anzusehen. „Es ging nicht anders.“ Sachte strich ihr Shuichi über das Haar. Es war länger als in seiner Erinnerung. Als in der Vergangenheit. Sie alle hatten sich verändert, er am meisten. Jodie versuchte immer noch die Person von damals zu sein, doch auch sie wurde erwachsener, reifer, nur ihr Herz blieb auf dem gleichen Stand. „Das ist nicht fair…“, murmelte Jodie. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge. Ein kalter Schauer lief über Shuichis Rücken, als sich die Nässe bemerkbar machte. „Es tut mir leid, Jodie.“ Fünf Worte, die die FBI-Agentin aus dem Konzept brachten. Akai entschuldigte sich selten bis nie. Das war nicht seine Art. Jodie befreite sich etwas aus seinem Griff und wischte sich die Tränen weg. Tränen stehen dir nicht. Mit einem Mal war sie sich wieder Shus Worte bewusst. Bereits während ihrer kurzen Beziehung, fiel ihm auf, dass sie gelegentlich weinte, wenn sie traurig war, während er überfordert daneben stand oder saß und einfach nur den Arm um sie legte. Er mochte es nicht, zumal er bei Jodie nie genau wusste, wie er se trösten konnte. Dabei reichte seine pure Anwesenheit aus. „Jetzt…geht’s mir wieder besser…“, murmelte sie leise. Shuichi hob die Augenbraue. „Wirklich?“ Jodie nickte. „Du…du kannst mich wieder los lassen…ehe ich etwas…Unbedachtes tue.“ Shuichi musterte ihr Gesicht einen Moment lang und versuchte aus ihr schlau zu werden, als sie das Unbedachte tat. Voller Hingabe küsste sie ihn. Er spürte ihre weichen Lippen – Lippen die Jahre nicht mehr auf seinen lagen – und den süßlichen Geschmack ihres Lippenstiftes. Obwohl ihm bewusst war, dass es damit enden musste, konnte er nicht anders. Er hob sie mit einem Mal hoch, legte ihre Beine um seine Hüfte und trug sie ins Schlafzimmer. Jodie spürte endlich wieder den wohlbekannten Geschmack. Die Mischung von Bourbon und Zigaretten. So wie früher… Kapitel 2: Folgen ----------------- Noch im Halbschlaf tastete Jodie nach der fehlenden Bettdecke. Morgens war ihr selten kalt, was größtenteils am warmen Schlafanzug lag. In dieser Nacht fehlte er. Langsam öffnete die Agentin ihre Augen. Die Müdigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben. Dann aber lächelte sie. Es war kein Traum. Und er war noch da. Shuichi Akai. Erschöpft schmiegte sich Jodie an Shuichi. Viel zu lange war es her, dass sie ihn so intensiv spürte. Jahre. 2256 Tage. Aber wer war schon so genau? Es war eine Ewigkeit her und ein Schmerz, der sich tief in ihre Seele einbrannte. Jodie beobachtete das Senken und Heben seines nackten Brustkorbs, sie lächelte und unterdrückte den Drang mit ihren Fingern Kreise darauf zu malen. Zögerlich sah sie zu ihm hoch. Die Angst vor seiner Reaktion war groß. Würde er bleiben? Gehen? Bereute er es? War es ein Fehler? Ein positiver Gedanke, gefolgt von mindestens drei negativen Gedanken. Sie hatten die Überhand. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihr aus. Wie damals. Ich bin nicht in der Lage zwei Frauen gleichzeitig zu lieben…Ich muss mich auf die Organisation konzentrieren. Nur zu gut erinnerte sich Jodie an die Satzfragmente. Sie verdrängte sie. Doch immer wieder fanden sie den Weg zurück an die Oberfläche, waren erneut präsent und gaben ihr das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Damals zeigte sie sich stark. Stark und schockiert. Sie nickte und ließ ihn ziehen. Verständnis war das, was sie ihm vorspielte. Die Realität sah anders aus. Drei Tage verließ sie die Wohnung nicht, weinte fast ununterbrochen und fiel am Ende des Tages in den Schlaf. Morgens fand sie kaum Kraft aufzustehen. Und alles wegen der Anderen. Akemi Tief im Inneren wusste Jodie, dass sie auf die Fremde, den Türöffner zur Organisation, nicht wütend sein konnte. Sie durfte es nicht. Aber sie musste über ihre wahren Gefühle schweigen. Nur für Shus Wohl. Seine Arbeit. Täglich fragte sie sich, was er mit Akemi tat. Berührte er sie so, wie er sie selbst berührte? Küsste er sie ebenso innig, wie er sie selbst küsste? Und was wusste Akemi über ihn? Liebte sie den Schatten Dai Moroboshi oder das Licht Shuichi Akai? Trotz allem war Akemi der Störenfried in einer sonst, harmonischen, Beziehung. Sie machte alles kaputt. Wissentlich oder unwissentlich. Das war egal. Jodie schüttelte den Gedanken fort. Sie musste ihn ansehen. Wissen, wie er die Situation einschätzte. Shuichi blickte nach oben an die weiße Decke. Sein rechter Arm lag an Jodies Taille, leicht drückte er sie an sich. Obwohl er sich ihres Blickes bewusst war, schwieg er. Seine tiefgrünen Augen verrieten allerdings die Wahrheit. Er dachte nach. Wägte das Für und Wider ab. Bis er sie ansah. Gänsehaut breitete sich auf Jodies Körper aus. Direkter Augenkontakt. Nähe. Geborgenheit. Angst. Sein Blick bohrte sich tief in sie und mit einem Mal, überkam Jodie das Gefühl, sich schützen zu müssen. Schutz. Sicherheit. Die Angst vor Verletzung, vor Zurückweisung, war wieder da. „Gehst du gleich wieder?“, fragte sie leise nach. Überraschung Jodie reagierte nicht, wie von ihm vorhergesehen. Bleibst du heute Nacht bei mir, erwartete Shuichi. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Nach all der Zeit schaffte sie es noch. „Wenn du mich nicht rauswirfst, bleibe ich noch eine Weile.“ Ehe sich Jodie versah, schlief sie an seiner Seite ein. Und am Morgen war er immer noch da. Jodies Herz machte einen kleinen Hüpfer. Schlug und schlug. Noch da. Nicht verschwunden. Für den Moment war sie glücklich, auch wenn sie ohne Decke, die er für sich beanspruchte, aufwachte. Wie konnte sie ihm überhaupt böse sein? Shuichi lag friedlich in ihrem Bett, das Gesicht zur Hälfte in das Kissen vergraben, die Haare zerzaust. Er sah glücklich aus. Ein solcher Anblick von ihm war selten und Jodie kostete den Moment vollkommen aus. Langsam streckte sie ihm ihre Hand entgegen und strich vorsichtig eine Haarsträhne zur Seite. Es waren Augenblicke wie diese. Augenblicke, die sie alles vergessen ließen. Der Mann, der seinerzeit in der Organisation war und der Mann, der neben ihr lag, hatten nichts gemeinsam. Liebevoll sah sie ihn an, wollte ihn berühren, ihn küssen, seinen Körper von Neuem erforschen und glücklich sein. Die Chance war da. Jodie musste nur danach greifen. Langsam beugte sie sich zu ihm. Er musste ihren warmen Atem auf seiner Wange spüren. Und abrupt lächelte er. Jodie stoppte in ihrer Handlung. War er wach? Wusste er, was sie gerade tun wollte? Oder träumte er einfach nur? Vielleicht von ihr? Jodies Gedanken fuhren Achterbahn. „…Akemi...“, gab Akai leise von sich. Jodie hielt inne. Sie hörte ihr Herz zerbrechen. Erneut. Rasch zog sie ihre Hand zurück. Eine erste Träne bahnte sich den Weg über ihre Wange zum Bettlaken. Schon wieder diese Frau. Sie lag wie ein Schatten über ihrem Glück. Wie damals. „Shu.“ Die Überraschung war Jodie anzusehen. Sofort lief sie auf ihren Ex-Freund zu und umarmte ihn. Sie war glücklich und lächelte wieder. „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du zurück kommst?“, wollte sie wissen. „Ist ja nicht so wichtig. Jetzt bist du ja wieder da.“ Wenig mitteilsam blickte er sie an. Kein Lächeln. Keine nette Geste. Einfach nur sein Blick. „Ich muss zur Berichtserstattung.“ Shuichi löste sich von ihr, wandte den Blick aber nicht ab. „Aber…“ „Nachher, Jodie.“ Er ließ sie stehen. Innerlich hoffte er, die Sache damit erledigt zu haben. Jodies trauriger Blick brannte sich in seinen Kopf. Er würde ihr wieder weh tun. Mit voller Absicht. Zusammen mit James verließ er dessen Büro nach drei Stunden. Er war überrascht, als er Jodie vor diesem sitzen sah. Sie gab nicht auf und sobald sie den Agenten bemerkte, stand sie auf. Sie wirkte angespannt. Die gleiche Anspannung zog sich auch durch seinen Körper. „Shu“, fing sie an. „Du hättest nach Hause gehen sollen.“ „Jetzt wo du wieder hier bist? Bestimmt nicht.“ Jodie lächelte. Ein Lächeln, das er in Japan vermisste und an das er noch oft dachte. Zu Beginn seiner Tätigkeit gab sie ihm Kraft. Manchmal auch, wenn er mit Akemi zusammen war. Er liebte sie beide. Obwohl er selbst der Meinung war, keine zwei Frauen lieben zu können, hegte er für beide starke Gefühle. Zu starke. Oder war er es Akemi einfach nur schuldig? Manchmal verunsicherte ihn sein eigener Gedankengang. „Wollen wir spazieren gehen?“ Jodie holte ihn zurück aus seinen Gedanken. „Komm.“ Ohne weitere Worte ging er raus. Die kühle Luft tat ihm gut, half ihm seine Gedanken zu sortieren. Seine Hände hielt er in den Hosentaschen und wirkte dennoch geistesabwesend. „Ist es wahr? Ich meine der Auftrag…ist es vorbei?“ Shuichi blieb stehen. „Mein Auftrag ist vorbei“, bestätigte er. „Sie wissen, wer ich bin.“ Kalt. Seine Stimme war einfach nur kalt. „Ich verstehe.“ Jodie verkniff sich ein Lächeln. Der Auftrag war gescheitert, aber ihrer gemeinsamen Zukunft stand nichts im Wege. „Dann können wir doch…“ „Nein.“ „Eh? Du weißt doch gar nicht, was ich sagen wollte“, warf sie ein. „Du willst, dass wir wieder dort weiter machen, wo wir aufhörten. Aber das geht nicht. Es tut mir leid, Jodie. Du musst akzeptieren, dass es vorbei ist.“ Sie schluckte. „Aber…ich…du hast doch gesagt…du wolltest…und wenn…dann…“, stotterte sie. Jodie schluckte und bemerkte die Nässe an ihrer Wange. Shuichi drehte sich zu ihr um. Ihr Schicksal ging ihm nahe. Wie gern wollte er sie jetzt in den Arm nehmen, sie küssen, einfach berühren, der Vergangenheit entkommen. Es ging nicht. Und dann war da noch sein versprechen. Shiho Miyano. Sie stand auf der Prioritätenliste ganz oben. Sie und noch andere Aufgaben. „Jodie“, räusperte sich der Agent. Sie schüttelte den Kopf. „Nein…ich will es nicht hören…“ Sie starrte ihn an. „Bitte…nicht…Shu…“ Er durfte das Versprechen nicht brechen, selbst wenn es hieß, Jodie zu verletzen. Innerlich hoffte er, dass sie über ihn hinweg sei, einen neuen Freund hätte…er wurde enttäuscht. Und nach allem, was passiert war, konnte er nicht wieder von vorne beginnen. Nicht jetzt. Shuichi steckte seine Hände in die Hosentaschen. „Ich werde mein Versprechen einlösen und Vermouth zur Strecke bringen.“ Jodie schluckte. Die Frau, die ihren Vater tötete und ihre Kindheit ruinierte. Wieso rief er nun auch noch dieses Thema auf? War sie nicht bestraft genug? „Wieso?“, wisperte Jodie. Shuichi ging nicht darauf ein. Er drehte sich um. „Ist es wegen ihr?“ Jodies Stimme wurde lauter. Shuichi machte Schritte nach vorne. „Liebst du sie?“ Er antwortete nicht. Die Zeit blieb stehen. Für sie. Für ihn. Sie befanden sich am gleichen Punkt wie vor Jahren. Jodie setzte sich langsam auf. Ihre Sachen lagen verstreut auf dem Boden. Sie hatten sich treiben lassen, konnten es nicht erwarten, den jeweils anderen zu berühren, ihn zu kosten und achteten nicht auf die Konsequenzen. Jodie seufzte leise. Vorsichtig stand sie auf und holte sich frische Sachen aus der Kommode. Immer wieder wanderte ihr Blick zu Shuichi. Warum zog er sie, selbst wenn er schlief, in seinen Bann? Jodie strich sich die Haare glatt und verließ, angezogen, den Raum. Ein letzter Blick. Dann schloss sie die Tür und sie wusste, dass es vorbei war. „…Jodie…“ Shuichi drehte sich auf die andere Seite. Er lächelte. Schweigend kochte Jodie Kaffee und kümmerte sich um das Frühstück. Falls Shuichi überhaupt bis dahin blieb. Sie konnte ihn nicht einschätzen. Jodie sah zum Tisch. Brötchen. Aufschnitt. Kaffee. Mehr brauchte es nicht. Ihr eigener Hunger war bereits vergangen. Höchstens paar Bissen, dann wäre das Maß voll. Jodie war nicht dumm. Shus Besuch war kein Zufall. Camel oder James hatten ihre Hände im Spiel. Wenn nicht sogar Beide. Mitleid. Alle hatten sie Mitleid mit ihr. Gerade etwas, was sie nicht brauchte. „Jodie.“ … „Jodie.“ … „Jodie.“ Shuichi hielt ihr seine Hand vors Gesicht. Überraschend blickte die Gefragte ihren Gegenüber an. „Shu!“ „Wenigstens weißt du noch, wer ich bin“, meinte er. „Alles in Ordnung?“ Jodie nickte. Eine Lüge. „Ich wusste nicht, ob du frühstücken willst….wenn ja, greif nur zu“, murmelte sie und setzte sich. Sofort griff sie nach der Tasse Kaffee und legte sich ein Brötchen auf den Teller. Es wirkte normal. Zu normal. Shuichi tat es ihr fast gleich, nippte zuerst an seinem Kaffee. Schwarz. So wie er ihn mochte. Skeptisch beäugte er Jodie. „Wegen gestern…“, fing er an. Energisch schüttelte Jodie den Kopf. „Schon gut. Wir müssen nicht darüber sprechen.“ Dann lächelte sie. „Mir geht es gut.“ Sie log. Shuichi bemerkte es sofort. Es war nicht schwer Lügen zu durchschauen, vor allem wenn sie von ihr kamen. „Jodie“, setzte er erneut an. „Ich mach mir Sorgen um dich.“ „Tut mir leid. Ich war die letzten Tage…einfach durch den Wind.“ „Mhm…“ Es war nicht die Antwort, die er hören wollte. „Mir geht’s gut. Wirklich. Mach dir wegen mir keine Sorgen. Das kannst du im Übrigen auch James und Camel ausrichten.“ Jodie überlegte kurz. Sie musste das Thema wechseln. „Willst du nach dem Frühstück zurück in die Villa?“ Sie tat es erneut. Sie verdrängte ihren Schmerz, schob ihn bei Seite, versuchte zu leben. Als wäre sie nicht wichtig. Dabei war das Gegenteil der Fall. Sie war wichtig. Für James. Für Camel. Und vor allem für ihn. „Wenn es für dich keine Umstände macht, würde ich gern bis zum Abend warten“, antwortete Shuichi. Der Tag barg Gefahren, die die Nacht nicht aufwies. Er konnte es nicht riskieren. Selbst mit Mütze, Jacke, Kapuze und Schal war es zu gefährlich. „Eh…ja…kein Problem, bleib ruhig“, nickte Jodie. „Und…wie soll das alles nun weiter gehen?“ Shuichi schwieg einen Moment. Erst musste er seine Gedanken sortieren. „Ich meine mit der Organisation.“ „Mhm…“ Shuichi überlegte kurz. Jodie wollte also nicht über das Offensichtliche reden. So sollte es sein. Er spielte mit. „Solange es nicht nötig ist, bleibe ich weiterhin in der Verborgenheit. Bourbon wird kein Problem sein. Er weiß nicht, welche Identität ich annahm und selbst wenn, noch ist nicht die Zeit gekommen, damit er mich verrät. Rum hingegen könnte zum Problem werden, wenn wir nicht aufpassen.“ Er sah sie eindringlich an. „Wir dürfen uns keine Fehler erlauben. Du musst auf dich aufpassen und darfst nichts Unüberlegtes oder Leichtsinniges tun. Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern. Rum ist ein hohes Mitglied. Wir kommen ihrem Boss immer näher.“ Nicht mehr lange, wiederholte Jodie in Gedanken. Seit Jahren waren sie dieser Meinung. Und was war? Nichts. Die Zeit verging weiter und hinterließ ihre Spuren. „Verstehe“, murmelte Jodie. „Meinst du, Rum findet heraus, dass du am Leben bist? Jetzt wo…du…wieder in der Öffentlichkeit warst?“, wollte sie wissen. „Ich bezweifel es. Oder meinst du, ich bin gestern Nacht mit einem Neonschild rumgelaufen auf dem mein Name stand?“ Jodie schüttelte den Kopf. „Nein…aber…ich mach mir nur Sorgen. Wenn du wegen mir…“ „Ich weiß.“ Natürlich machte sie sich Sorgen. Es war ihre Art. Ein Teil von ihr, den er mochte und schätzte. Jodie wusste, dass er ein guter Agent war und sich nicht leicht unterkriegen ließ, trotzdem schüttelte sie ihre Sorgen nie ab. „Ich pass auf mich um. Ich werde nachher in den späten Abendstunden in die Villa zurückkehren. Solltest du von Kir weitere Informationen erhalten oder anderweitig an diese komme…“ Jodie nickte verstehend. „…dann lass ich sie dir zukommen.“ 24 Stunden keine Zigarette. Shuichi verfluchte sich innerlich, dass er das Rauchverbot in Jodies Wohnung einhielt. Besonders, weil sie nicht da war. Den Vormittag verbrachte Jodie zunächst mit Aufräumen. Vor allem im Wohnzimmer. Hilfe wollte sie keine und so konnte er nichts anderes tun, als sich auf das Sofa zu setzen und ihr zuzusehen. Lange hielt er Nichtstun nicht aus. Nach kurzem Nachfragen, saß er vor Jodies Laptop und recherchierte. Optimal war es nicht, aber ausreichend. Am späten Nachmittag blickte er sich verwirrt um. Jodie war weg und er bemerkte es nicht einmal. Auf dem Tisch erblickte er einen Post-it-Zettel. Bin einkaufen. Jodie Shuichi seufzte leise auf. So stellte er sich den Tag nicht vor. Sie redeten kaum ein Wort miteinander und wenn, war es nur das Nötigste. Es lag an ihm. Das spürte er. Langsam trabte der FBI-Agent in die Küche und setzte eine neue Kanne Kaffee auf. „Bin wieder da.“ Shuichi ging zur Tür. Überrascht sah er Jodie an. Sie brachte zwei Einkaufstüten mit. Viel zu viel. Dennoch ging er zu ihr, nahm die Tüten ab und brachte sie in die Küche. Beim Auspacken schwieg der FBI-Agent, bis Jodie das Eis brach. „Was hältst du von einem leckeren Curry?“, wollte sie wissen. Er nickte. Jodie war eher eine mittelmäßige Köchin. Meistens ging sie essen oder machte sich höchstens ein Fertiggericht in der Mikrowelle warm. Normalerweise. Aber es war kein normaler Tag. Sie verbrachten die Nacht miteinander und wussten, dass sich diese nicht so schnell wiederholte. Wiederholen durfte. Sie mussten auf Abstand gehen, selbst wenn sie sich nach dem Anderen sehnten. Es ging nicht anders. Schweigend öffnete Jodie ein Kochbuch. Dass sie überhaupt eines besaß, grenzte an ein Wunder. Jodie blätterte darin rum. „Ah, hier“, meinte sie. „Soll ich das machen?“, wollte der Agent wissen. „Hmm? Ach stimmt ja…“, murmelte Jodie. Der Gedanke, dass er aus Langeweile das Kochen erlernte, war befremdlich. „Ich schaff das schon…wobei…wir können zusammen kochen“, schlug sie vor und holte zwei Bretter sowie die Zutaten. „Du darfst dich um das Gemüse kümmern und ich mach das Fleisch.“ Jodie atmete tief durch, nahm das Messer und begann. Ihr erster richtiger Kochversuch in Japan endete blutig. „Au“, murmelte sie, während der erste Tropfen Blut aus ihrem Finger quoll. „Mit einer Waffe umgehen, aber Probleme mit einem Messer haben.“ Er schüttelte den Kopf, griff dann aber nach ihrer Hand und drückte ihren Finger in ein Stück Küchenrolle. „Danke…“, wisperte Jodie leise. Angestrengt konzentrierte sie sich auf ihren Finger. Shu stand zu dicht bei ihr und sie wollte nicht erneut seinem Charme erliegen, ihn nicht erneut küssen oder gar mehr. Zum Abschluss tranken sie zusammen ein letztes Glas Bourbon. Seit seinem Ableben, bewahrte sie immer eine Flasche auf. Für die Erinnerung. Um noch einmal den Geschmack im Mund zu spüren. Melancholisch sah Jodie dem Eis in ihrem Glas zu. Es schmolz. Langsam. „Ich sollte jetzt gehen.“ Jodie nickte. Schweigend folgte sie ihm zur Tür, sah ihm zu, wie er sich die Jacke anzog, den Schal anlegte und die Kapuze tief ins Gesicht zog. „Warte“, wisperte sie leise. Jodie stellte sich auf die Zehenspitzen. Anstatt eines Kusses, den er erwartete, strich sie ihm die Haarsträhne unter die Mütze. „So. Jetzt kannst du raus“, lächelte sie. „Wenn was ist, ruf an.“ „Du sagtest doch selber, dass ich dich nicht so oft kontaktieren soll“, konterte sie. „Die Situation hat sich geändert.“ Er sah sie eindringlich an. „Ruf einfach an.“ Die Agentin nickte. „Du aber auch.“ Mit einem Lächeln und einem flüchtigen Kuss auf die Wange, verabschiedete sie ihren Kollegen. Kaum war die Tür geschlossen, lehnte sie sich gegen diese. Aufgestaute Tränen liefen ihr über die Wange. Shuichi seufzte. Aus dem Augenwinkel blickte er zur Tür, hoffte, dass sie aufging. Aber nichts passierte. Sie blieb verschlossen. „Ich bereue nichts“, gab er leise von sich, ehe er, ohne es zu wissen, für eine lange Zeit aus ihrem Leben verschwand. *** Jodie blieb stark. Die erste Woche hingegen war nicht einfach. Die zweite besser. Dann ging alles schnell und ehe sie sich versah, waren seit Shuichis Besuch zwei Monate vergangen. Kein Besuch. Kein Gespräch Oft saß sie abends in ihrem Bett, das Handy in der Hand, eine SMS bereits getippt und dann nichts. Leere. Noch oft weinte sich Jodie in den Schlaf, fand aber das richtige Gleichgewicht zwischen der Suche nach Vermouth und ihrem eigenen Leben. Bis… Mit einem mulmigen Gefühl saß Jodie bei Camel im Wagen. „Du musst mich nicht fahren“, sprach sie. „Ich hätte James auch die Akten alleine vorbeibringen können.“ „Schon gut. Das mach ich gerne“, lächelte der Agent. Er blickte in den Rückspiegel und räusperte sich. „Die Akten…Informationen über Vermouth?“ „Ja, ich hab einiges über sie zusammen getragen und ich denke, es ist an der Zeit, dass James alles erhält.“ „Jodie…ich…ich mach mir Sorgen um dich“, fing er an. „Das musst du nicht. Mir geht es gut.“ Sie lächelte. „Aber…du warst in den letzten Wochen so abwesend, als…“ Camel schluckte. „…als wäre ich leer“, führte sie den Satz zu Ende. „Tut mir leid.“ „Und jetzt geht es dir wirklich wieder gut?“ Camel parkte den Wagen und stieg aus. „Ja, ich kann jetzt wieder nach vorne sehen.“ Auch Jodie stieg aus und schnappte sich die Taschen mit den Akten. „Warte, ich mach das…“ Camel stieg zeitgleich mit ihr aus, lief um den Wagen und wollte ihr die Akten abnehmen. „Das ist nicht nötig. Wirklich, ich schaff das schon.“ Camel schluckte. „Ja…ich…ich weiß. Ich wollte nur…“, stammelte er. „Wenn du willst, kannst du hier unten auf mich warten. Ich denke nicht, dass es lange dauern wird.“ Erfreut nickte Camel und stieg wieder in den Wagen. Er zog sein Handy heraus und tippte eine SMS. Es scheint ihr besser zu gehen. Ich pass weiter auf sie auf. C Jodie klopfte an die Tür. „Herein.“ James blickte von seinem Laptop hoch. Obwohl das FBI in Japan keine Befähigungsgewalt besaß, mietete er ein provisorisches Büro für ihre Operationen an. Nur wenige Agenten kannten den Ort. Zudem war es spartanisch eingerichtet. Weder persönlich noch aufschlussreich. Ein Besuch von der Organisation war zwecklos. „James?“ Jodie trat ein. Sie ging zum Schreibtisch und stellte die Akten ab. „Das ist alles, was ich über Vermouth in den letzten Monaten finden konnte.“ James musterte Jodie skeptisch. Der besorgte Blick war ihm anzusehen. „Vermouth“, wiederholte er. „Ich weiß von deiner, nennen wir es, Recherche.“ „Es hat sich also herum gesprochen. Camel?“ James nickte. „Er meinte das nicht böse. Er macht sich Sorgen um dich.“ „Mir geht es gut. Das hab ich ihm auch gesagt.“ James räusperte sich. „Jodie…“, fing er an. „Setz dich doch erst“, bot er ihr den freien Sitzplatz vor seinem Schreibtisch an. „Ich stehe lieber. Und ich bin nicht nur wegen der Akten hier. Ich möchte von meiner Arbeit entbunden werden.“ James Black starrte seine Agentin verwundert an. „Ich kann verstehen, dass es dir in den letzten Monaten nicht gut ging und du solltest keine voreilige Entscheidung treffen“, warf er ein. „Wir alle schätzen dich als Kollegin.“ „Meine Entscheidung steht fest. Ich…ich möchte nach New York zurück kehren. Bitte.“ Ihm war der flehende Gesichtsausdruck nicht entgangen. Irgendwas war passiert. Er wusste nur nicht was. Und er musste es herausfinden, ehe Jodie einen großen Fehler beging. „Jodie…wenn du gehen willst, werde ich dich nicht aufhalten. Du solltest aber bedenken, dass diese Entscheidung nicht umkehrbar ist“, warf er ein. „Dem bin ich mir bewusst.“ „Und du möchtest trotzdem nach Hause zurück kehren? Bist du dir wirklich sicher? Was ist aus deinen Plänen geworden, Vermouth festzunehmen und dafür zu sorgen, dass die Organisation keinen Schaden mehr anrichtet?“, wollte er wissen. Jodie lächelte. Es war anders. Warm und herzlich. „Es ist eine Zeit gekommen, in der ich nicht mehr für mich alleine entscheide“, antwortete sie ihm und legte ihre Hand auf ihren Bauch. Kapitel 3: Abschied ------------------- Mit offenem Mund sah James seine Agentin an. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Und nicht nur die. James war schockiert. Schockiert, überrascht, aber auch überwältigt von den Neuigkeiten. Jodie und schwanger. Worst Case Zumindest im ersten Moment. Wie sollte er das den anderen Agenten mitteilen? Wie sollte er sie vor der Organisation schützen? Jodie war angreifbar. Ein leichtes Ziel für sie, einfach zu erledigen, einfach zu verletzen. James gingen viele Gedanken durch den Kopf. Schreckliche Gedanken. Der Organisation war alles zuzutrauen. Sie konnten Jodie verletzen, indem sie das ungeborene Kind töteten und sie am Leben ließen. Eine Qual für jede werdende Mutter. Sie konnten aber auch beide Personen auf einmal vom Antlitz der Erde auslöschen. Oder was noch schlimmer war: Sie konnten Jodie das Kind nach der Geburt wegnehmen und es als einer von ihnen erziehen. James schluckte, runzelte die Stirn und war sich nicht sicher, wie er auf diese Nachricht am besten reagierte. In seinem Kopf blinkte ein rotes Ausrufezeichen. Gefahr Sprachlos sah James weiterhin seinen Schützling an. Er brauchte eine ganze Weile bis er seine Gedanken sortierte und wieder in der Realität ankam. Ich möchte von meiner Arbeit entbunden werden. Ich möchte nach New York zurück kehren. Jodies Worte. Sie kamen ihm wieder in den Sinn. Sie war erwachsen und vernünftig. „James?“ Jodie sah ihn besorgt an. „Ist alles…in Ordnung?“, wollte sie von ihm wissen. „Ich verstehe“, gab James schließlich von sich. Obwohl er selber keine eigenen Kinder hatte, war es, als wäre Jodie sein eigen Fleisch und Blut. Er kannte sie lange genug, hielt sie als Baby im Arm und bewunderte seinen Kollegen um dessen Familie. Er sah Jodie beim Aufwachsen zu und es zerriss ihm das Herz, nachdem ihr Vater starb. Manchmal kam es ihm vor, als wäre es erst gestern gewesen. Informationsaustausch im Hause Starling war angesagt. Da Jodie schlafen sollte, stand einem normalen Gespräch nichts im Wege. Auf dem Weg dorthin traf er allerdings das Mädchen. In ihren Händen erblickte er Saftpackungen. Eindeutig sein Lieblingssaft. James schmunzelte, was er dann aber hörte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Papa schläft. Ich hab ihm mehrere Packungen von seinem Lieblingssaft gekauft, dann kann er mit der netten Frau teilen. Ohne ein Wort lief James los. Es war zu spät. Das Haus brannte lichterloh. Jodie hielt er geistesgegenwärtig fest. Sie strampelte und wehrte sich stark. Manche Einsätze verliefen weniger schmerzhaft. Nichtsdestotrotz kümmerte er sich seit dieser Zeit um das kleine Mädchen, ermöglichte ihr die besten Schulen, eine gute Ausbildung und förderte sie, wo es nur ging. Obwohl Jodie frühzeitig erklärte zum FBI gehen zu wollen, nahm er dieses Vorhaben nicht ernst. Erst als sie mit ihrem Antragsformular und der Aufnahmebestätigung der FBI-Akademie vor ihm stand, wurde ihm immer klarer, was aus ihrem Leben werden würde. Wie ihr Vater. Die Jagd nach Vermouth. Ein Schicksal, dass er ihr nicht wünschte. Dennoch konnte er sie nicht aufhalten…bis sich Jodies Leben schlagartig änderte und er in dieses trat. „Ich leite alles in die Wege, damit du Japan so schnell wie möglich verlassen kannst.“ Jodie wirkte trotzdem besorgt. „Sie werden meine Abwesenheit bemerken“, warf sie ein. „Deswegen müssen wir deine Rückkehr so plausibel wie möglich gestalten und uns etwas Einfallen lassen.“ James überlegte. Mit einem Mal musste er lächeln. Die Reaktion kam verspätet. Trotz ihrer misslichen Lage, freute er sich darauf, so eine Art Opa zu werden. Zumindest durfte ihn das Baby gerne so nennen. „James?“ Mit hochgezogener Augenbraue sah sie ihn an. „Du müsstest dir einen großen Fehler leisten, damit ich dich in die Staaten zurück schicken kann.“ „Großer Fehler“, wiederholte Jodie leise. Nun setzte sich Jodie schließlich doch auf den Stuhl, schlug das rechte Bein über das Linke und überlegte. „Ich müsste wohl die Arbeit des FBIs sabotieren.“ „Oder einen Nervenzusammenbruch erleiden“, murmelte James. „Hmm? Du meinst wegen…Shu?“ Sie schluckte. Jodie war sicher keine allzu gute Schauspielerin. Für ihre verdeckten Ermittlungen reichte es. Aber die Organisation? Und dann noch, wenn Vermouth in der Nähe war? Nein. Jodie hätte nicht überzeugt. „Ich…weiß nicht so recht und wenn Vermouth dabei ist, wird sie es mir nicht abnehmen, außerdem…“, wisperte sie. „…gerade so ein Nervenzusammenbruch fordert viele Emotionen. Und wenn ich einen Auslöser finden muss, weiß ich nicht, ob es nicht zu stressig für das Baby wäre“, fügte sie an. „Mhmm…“, murmelte James. Er lehnte sich nach hinten, nickte kurz und schloss die Augen. Das FBI sabotieren, wiederholte er Jodies Worte im Kopf. Langsam wurden sie klarer und klarer, bis sie schließlich eine Form annahmen. „Vermouth.“ „Was? Ich versteh nicht ganz.“ Jodie verkrampfte und ballte, ohne es eigentlich zu wollen, die Faust. Vermouth. Ihr wunder Punkt. Die Frau, die immer präsenter wurde. Mit ihr fing alles an. Und wenn sie James richtig verstand, sollte es mit ihr enden. „Ich verstehe deine Bedenken bezügliches des Nervenzusammenbruchs. Allerdings werden wir dennoch eine emotionale Reaktion von dir brauchen.“ James räusperte sich kurz. „Ich möchte, dass du mich für sie hältst und entsprechend reagierst.“ Geschockt sah sie ihn an. „Ich soll was?“ „Akai erzählte, dass Bourbon momentan eng mit Vermouth zusammen arbeitet. Wir müssen den Plan durchführen, wenn er in der Nähe ist. Da er auf einer ähnlichen Seite wie wir agiert, hoffe ich, dass er keine Nachforschungen anstellt.“ „Wie stellst du dir das vor?“, kam es von Jodie. „Welchen Grund sollte ich haben, um dich für sie zu halten?“ „Der Grund ist belanglos. Du musst einfach der Meinung sein, dass sie meine Rolle übernommen hat. Ich denke, wir haben sonst keine Möglichkeiten. Wenn du einfach so verschwindest, werden sie möglicherweise gefährlichere Mitglieder in die Staaten schicken.“ Jodie wirkte nicht überzeugt. „Wenn es sein muss“, murmelte sie. „Aber wir müssen schnell machen. Je eher ich weg kann, umso besser.“ „Was ist mit deinen Testergebnissen beim Arzt?“ „Darum hab ich mich bereits gekümmert.“ Jodie stand auf. „Rufst du mich an, wenn wir den Plan umsetzen können?“ Jodie warf einen kurzen Blick auf die Akten. Ihr melancholischer Blick verriet, dass ihr der Abschied nicht leicht fiel. Doch es gab keine andere Möglichkeit. „Und James? Es wäre mir sehr gelegen, wenn du keinem von der Schwangerschaft erzählst.“ „Natürlich. Meine Lippen sind versiegelt“, sprach er. „Jodie?“ Die Agentin, die nunmehr an der Tür ankam, drehte sich um. „Was ist denn?“ „Er ist der Vater, nicht wahr?“ „Wenn du es weißt, wieso fragst du mich das dann?“ Sofort bemerkte sie seinen Blick. Da war es wieder. Mitleid. Warum hatte jeder auf der Welt immer nur Mitleid mit ihr? Schwanger vom Ex-Freund war zwar nicht die optimale Konstellation, aber es war passiert. Und sie freute sich auf das Baby. Ein Teil von Shu war immer bei ihr und würde es für den Rest ihres Lebens sein. Egal was passierte. „Weiß er es?“, wollte James wissen. „Nein.“ Jodie drückte die Lippen für einen kurzen Moment aufeinander. „Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass er es zunächst nicht wissen soll. Noch nicht. Es ist zu früh und…er wäre angreifbar“, antwortete sie. „Du kennst ihn besser als wir alle. Wenn er von seinem Baby erfährt, wird er sich für das Richtige entscheiden.“ „Ich weiß. Und ich weiß auch, dass er seine falsche Identität ablegen würde und als Shuichi Akai an meiner Seite bliebe.“ Jodie kamen die Tränen. „Sein Fokus läge auf mir und auf dem Baby. Vielleicht wäre er zu unaufmerksam, was ihn selbst angeht. Ich könnte mir nicht verzeihen, wenn er durch ihre Hand stirbt. Außerdem…darf ich seine Bemühungen nicht zu nichte machen…nicht jetzt…das kann ich ihm nicht antun…nicht solange die Organisation existiert.“ Jodies letzte Worte waren kaum hörbar, aber James wusste genau, was sie sagte. „Auch du wärst angreifbar.“ Er stand auf, ging zu ihr und umarmte sie. James war nicht nur ein Boss, er war das, was sich jeder Mitarbeiter wünschte. Mitfühlend und für seine Angestellten da. „Irgendwann wird er es erfahren müssen. Wir können nur auf ein baldiges Ende hoffen. Aber Jodie, egal was auch passiert, du darfst ihn nicht auf ewig im Unwissenden lassen.“ „Ich weiß…aber noch ist es zu früh.“ *** Aufgeschreckt lief Conan in die Villa. Außer Atem und voller Sorge, stieß er die Eingangstür auf. Conan sah sich um. Der Schrecken stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Herr Okiya“, rief er. Zur Sicherheit verwendete er noch immer den Decknamen des FBI-Agenten. Man konnte nie vorsichtig genug sein. Die Organisation hatte ihre Augen und Ohren oft überall und falls sie das Haus abhörten, konnte Vorsicht nicht genug sein. „Herr Okiya“, rief Conan erneut. Verwundert über den Schülerdetektiv kam Shuichi Akai alias Subaru Okiya aus dem Wohnzimmer. „Was ist passiert?“ „Miss Jodie“, schnaubte Conan. „Sie…sie…“ Äußerlich wirkte Subaru ruhig, innerlich hingegen besorgt. „Was ist passiert?“, stellte er die gleiche Frage. „Jetzt antworte doch.“ Langsam wurde der FBI-Agent ungeduldig. „Sie…sie war mit Mr. Black im Café Poirot frühstücken.“ Conan schluckte. „Ich sollte für Kogoro einen Kaffee holen, weil er zu faul dafür war. Gerade als ich den Kaffee bekam, hörte ich Miss Jodie und Mr. Black streiten. Dabei hat sie ihn die ganze Zeit als sie angesprochen und dann…“ „Was dann?“ „…sie wollte beweisen, dass sie sich nicht irrte. Zuerst versuchte sie ihm eine mögliche Maske vom Gesicht zu kratzen. Der Streit schaukelte sich weiter hoch und…sie schoss ihm in den Arm.“ „Was?“ Subaru wurde lauter. „Das würde Jodie nicht…“ Er musste schlucken. Der Kloß in seinem Hals fühlte sich dicker an und er ballte die Faust. Für Jodies Verhalten musste es eine andere Erklärung geben. Ein Ziel, welches er noch nicht sah. „Sie war hysterisch und glaubte die ganze Zeit, dass Mir. Black nicht Mr. Black sei. Am Ende wollte sie das Café verlassen und Verstärkung holen. Dabei lief sie Bourbon in die Arme.“ Subaru öffnete nun seine Augen. „Weiter.“ „Bourbon versperrte ihr für einen Moment den Weg. Azusa wollte die Polizei verständigen, aber Mr. Black hielt sie ab. Er wollte die Situation intern regeln. Es sah auch danach aus, dass Miss Jodie ihren Fehler einsah.“ „Ich verstehe“, gab der Agent von sich. „Wer hat Jodies Ausraster bemerkt?“ „Außer uns war zum Glück keiner im Café.“ Subaru überlegte. Sie sollte sich doch melden, wenn es einen Notfall gab. Und was tat sie? Sie handelte unüberlegt, hysterisch und lief Gefahr, vom Fall abgezogen und in die Staaten geschickt zu werden. In seinem Kopf klickte es auf einmal. Das war es. Die Lösung. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Das war Absicht. Die Puzzleteilchen passten zusammen. James bekam einen Grund um Jodie zurück zu schicken und Bourbon sollte sie decken. „Konnten sie wissen, dass Bourbon in dem Moment rein kommt?“ „Nur wenn sie ihn die ganze Zeit beschattet hätten“, antwortete Conan. Der FBI-Agent verschränkte die Arme. „Verstehe. Dann ist mir die Situation klar.“ „Sie denken, dass es Absicht war?“ Akai nickte. „Sie werden Jodie zurück nach Hause schicken. Ihre Aktion galt der Tarnung. Bourbons Anwesenheit war geplant. Und ich werde herausfinden, was sie damit bezwecken.“ Seine tiefgrünen Augen funkelten bedrohlich. Toru Amuro stieg in seinen Wagen. Er lehnte sich nach hinten, schloss die Augen und gähnte. Dann streckte er sich. „Langweilst du dich nicht, wenn du hier nur rumsitzt?“ Die Gefragte schmunzelte. „Du hast mich doch selbst hier her bestellt.“ Amuro öffnete seine Augen und sah sie an. „Ich hatte heute Besuch vom FBI im Café.“ „Sag bloß, die wollten dich verhaften“, grinste sie. „Nein, die wollten nur frühstücken und sich streiten. Deine, nennen wir sie mal, Feindin, hat vorhin auf ihren Boss geschossen. Dabei war sie der festen Annahme, dass sie dir gegenüber steht.“ „Ist dem so? How exciting“, ahmte sie Jodie als flippige Englischlehrerin nach. „Ist die kleine FBI-Agentin wieder einmal auf der Suche nach mir? Falls du denkst, dass ich dort war. I´m sorry. Das war ich nicht.“ „Mag sein. Dennoch möchte ich wissen, was das FBI vor hat. Sie schicken sie in die Staaten zurück.“ „Sollen sie doch.“ Vermouth zeigte sich unbeeindruckt. „Ich find schon heraus, was sie dort drüben treibt.“ Shuichi saß im Wohnzimmer. Nur mit Mühe konnte er den Grundschüler überzeugen, dass alles in Ordnung war. Er selbst redete es sich auch ein. Seine Theorie war logisch und dennoch gab es einen Teil in ihm, der zweifelte. Eine interne Lösung Nachdenklich und unruhig sah er auf sein Handy. Keine neuen Nachrichten Die Ungewissheit quälte ihn. Jetzt spürte er es am eigenen Leib. Jetzt erst wusste er, wie sich Jodie fühlte. „Verdammt.“ Sie schaffte es noch, dass er seine Prinzipien über Bord warf. Und dann war da noch Camel. Er sollte auf sie aufpassen, sie beschützen und was war? Er war nicht da. Unbehagen breitete sich in dem Agenten aus. Er würde warten. Paar Stunden. Nicht mehr. Spätestens am Abend würde er erneut vor Jodies Tür stehen und antworten verlangen. Beep. Beep. Beep Sofort öffnete er die Textnachricht. Endlich. Als er Jodies Namen im Absender erblickte, fühlte er sich mit einem Mal erleichtert. Ich verlasse Japan und gehe zurück nach Hause. Es ist besser, wenn wir uns erst einmal nicht mehr sehen. Danke für die schöne Zeit. In Liebe. Jodie. Shuichi schluckte. Sie ging. Sie tat das, was er in all den Jahren nicht konnte, was er aber wollte. Sie zog einen Schlussstrich. Ihm wurde mulmig zumute. Ein Leben ohne Jodie, weder als Freundin noch als Kollegin. Unvorstellbar. Das, was er Jahre vorher zu ihrem eigenen Schutz wollte, fühlte sich jetzt so falsch an. *** Jodie brach den Kontakt zu den, in Japan stationierten, Agenten ab. Camel. Shuichi. Nur James erkundigte sich nach ihrem Wohlbefinden. Die Telefonate wurden kürzer, aber sie wusste, dass die Arbeit gegen die Organisation wichtiger war. Ihre eigene Zeit als FBI-Agentin war vorbei. Für das Baby. Sie wollte nicht wie ihr Vater enden. Nicht im Dienst getötet werden, war oberste Priorität eines Agenten. Als alleinerziehende Mutter durfte sie sich erst recht nicht in Gefahr bringen. Jodie strich sich über ihren Bauch. In den letzten Monaten nahm er immer mehr Form an. Er wurde größer und größer. Manchmal fühlte sie sich wie eine Seekuh, vor allem wenn sie mit unterschiedlichen Schuhen rumlief. Jodie zuckte zusammen. „Hey, ich dachte, wir haben eine Abmachung. Nicht boxen“, sprach sie zu ihrem Bauch. Das Baby hatte mehrere Vorlieben. Nachts spielte es gerne Ping-Pong mit ihrer Blase, tagsüber trat es gern gegen den Bauch. Laut Ärztin war es aber ein gutes Zeichen und kein Grund zur Sorge. „Hast du was gesagt, Jodie?“ Anne, eine alte Freundin, die sie nur durch Zufall in New York traf, kam mit einem Tablett und Tee in das Wohnzimmer. Sie selber hatte keine Kinder, war aber sofort zur Stelle. Seitdem wurde sie von Fragen gelöchert und hatte fast keine freie Minute ohne Anne. „Nein. Das ging nur an mein Würmchen.“ „Kennst du eigentlich schon das Geschlecht?“, wollte Anne wissen und stellte das Tablett ab. „Nein“, kicherte Jodie. „Es liegt bei jeder Untersuchung ungünstig. So als wollte es einfach nicht in die Kamera schauen.“ „Was ist mit dem Vater?“ „Der weiß nichts von dem Baby.“ „Jodie…denkst du nicht…?“ „Nein.“ „Und mir willst du auch nicht sagen, wer der Vater ist?“ Jodie schüttelte den Kopf. Anne war einfach neugierig und stellte dauernd die gleichen Fragen in der Hoffnung, endlich eine Antwort zu bekommen. „Ich hab ja immer gedacht, dass du eines Tages mit ihm wieder zusammen kommst, auch wenn ich nicht verstehen kann, was du an ihm findest. Naja…das ist ja vorbei“, meinte sie. „Aber als du mir vor Monaten von der Schwangerschaft erzählt hast…oh mein Gott…Jodie…was wenn er krank gewesen wäre?“ Jodie seufzte. „Müssen wir diese Unterhaltung erneut führen?“, wollte sie wissen. Offiziell war Jodie von seinem One-Night-Stand in Japan schwanger und kannte nur seinen Namen. „Ich will doch nur verstehen, warum du dich auf einen wildfremden eingelassen hast. Das ist doch sonst nicht deine Art.“ „Das warum ist doch egal“, warf Jodie ein. Erneut strich sie sich über den Bauch. „Ich liebe mein Baby und ich kann es kaum erwarten, dass es auf die Welt kommt.“ „Hast du schon einen Namen?“, wollte Anne wissen. „Ah! Gut, dass ich das erwähnt hab. Warte.“ „Anne…“, murmelte Jodie und sah zu, wie die junge Frau in den Flur lief. Nach einer kurzen Weile kam Anne wieder. „Tadaaa…Namensbücher.“ „Anne…“ „Hier, das ist eins mit amerikanischen Namen und ich hab sogar eines bekommen, in dem japanische Namen drin stehen. Na komm, schau es dir wenigstens einmal an.“ Sie war anstrengend, so anstrengend. „Gut…“ Nach nur wenigen Seiten fühlte sich Jodie von den vielen Namen erschlagen. Kai, Sam, Lucas, Noah, Liam, Mason, Emily, Emma, Kira, Maja, Jessica, Sarah, Olivia... Die japanischen Namen waren nicht besser. Yusaku, Sasuke, Shunsaku, Kenzo, Lee, Riku, Hiro, Shiro, Shinji, Koichi, Yuna, Sora, Miyu, Aiko, Mei, Misaki... Jodie schlug das Buch zu. Sie seufzte. „Nichts Gutes?“, wollte Anne wissen. „Du kannst ja auch nach einem geschlechtsneutralen Namen suchen. Zum Beispiel…Chris. Ja, das ist doch ein schöner Name.“ Jodie verengte die Augen. Chris. Chris Vineyard. Vermouth Auch wenn das nur der Name ihrer neuen Identität war, die Assoziation wäre immer vorhanden. „Auf gar keinen Fall. Vergiss es.“ „Warum? Ich find, Chris ist ein schöner Name. Und es würde doch passen. Chris Starling“, meinte Anne lächelnd. „Mein Kind wird auf gar keinen Fall Chris heißen.“ Jodies Stimme wurde lauter. Laut und wütender. „Eh…Ist ja schon gut. Du musst mich nicht anschnauzen. Ich wollt ja nur helfen…aber wenn du nicht willst…“ „Gut. Denn eigentlich ist es egal, was für Namen im Buch stehen, ich weiß schon, wie mein Baby heißen wird.“ „Was? Das hast du mir ja gar nicht erzählt.“ Anne sah sie eindringlich an. „Und?“ „Was und? „Wie nennst du es?“ „Also…wenn es ein Junge wird, wollte ich ihn Ben nennen und ein Mädchen wird Hanako heißen.“ Anne zog die Augenbraue hoch. „Dein Sohn kriegt einen amerikanischen Namen und deine Tochter einen japanischen? Bist du dir sicher, dass du das so machen willst?“ „Erstens, Anne, ist es meine Entscheidung. Und zweitens kann man Hanako mit Hana abkürzen, was wiederrum einen amerikanischen Klang hat.“ „Und warum hast du das nicht bei einem Jungen nicht auch so gemacht?“, wollte sie wissen. „Ich hab keinen passenden Namen gefunden, der mir gefiel.“ „Mhmm…naja solange du ihn nicht Shuichi nennst…äh…`tschuldige, das meinte ich nicht so. Was wäre dir denn für ein Geschlecht lieber?“, plapperte sie auch gleich los. „Das ist mir nicht wichtig. Hauptsache es ist gesund.“ Das Laufen fiel Jodie immer schwerer. Der neunte Monat machte sich bemerkbar. Ihr Knöchel waren geschwollen und lange Fußwege nicht mehr möglich. Eigentlich konnte sie auch auf der Toilette campieren. Alle 30 Minuten befand sie sich eh auf dieser, dennoch machte ihr Baby keine Anstalten auf die Welt zu kommen. Wie oft las sie davon in ihren Ratgebern. Erstgebärende hatten es schwerer. Ihnen tat alles weh und auch die Umstellung war nicht gerade einfach. Auch konnte es mitunter 20 Stunden dauern, wenn nicht sogar länger, ehe das Baby auf die Welt kam. Jodie sah kurz zum Kalender. Zwei Wochen. Dann war Stichtag. Jodie nahm auf der Couch Platz und legte die Füße nach oben. Sachte strich sie sich über den Bauch. „Freust du dich auch schon so?“, wollte sie von ihrem Baby wissen, welches mit einem Tritt antwortete. Sie schmunzelte. „Das ist gut.“ Beep Beep Beep Beep „Hmm?“, murmelte Jodie leise und griff nach dem Handy. „Starling“, meldete sich. „Ich bins, James.“ „James…Willst du jetzt jede Woche anrufen?“, wollte sie von ihm wissen. „Es dauert noch eine Weile bis das Baby kommt.“ „Nein, darum geht es nicht. Verzeih. Wie geht es dir?“ „Wie es eben einer hochschwangeren so geht. Ich kann es kaum erwarten. In zwei Wochen ist Stichtag. Mal sehn ob mein Würmchen ein Spätzünder, Frühstarter oder Perfektionist ist“, schmunzelte sie. „Dann ist…in den letzten Tagen nichts…Ungewöhnliches passiert? Dir ist…auch nichts aufgefallen?“ Jodie setzte sich nun richtig auf. James hörte sich nicht gut an. Sorge breitete sich in ihr aus. „Was ist passiert?“, wollte sie leise wissen. „Du solltest dich besser setzen.“ „Ich sitze.“ „Dann versprich mir, dass du dich nicht aufregen wirst.“ Jodie seufzte. „James, jetzt sag endlich, was los ist.“ „Die Organisation weiß, dass Akai am Leben ist. Subaru Okiya existiert nun nicht mehr.“ Jodie schluckte. „Jodie?“ Sie schwieg. „Jodie?“ … „Jodie?“ Seine Stimme wurde lauter. „Jodie? Jetzt sag doch etwas. Bitte.“ „Meine Fruchtblase ist geplatzt.“ Kapitel 4: Reiji ---------------- Jodie wusste nicht mehr wie sie in das Krankenhaus kam. Ihre Erinnerungen verblassten, indessen was ihr noch bevorstand. Wie sie es in verschiedenen Übungen, die eigentlich andauernd das gleiche machten, lernte, atmete sie en und aus. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Immer wieder. Und trotzdem versiegte der Schmerz nicht. Einatmen. Ausatmen. Erneut. Unter allen Umständen wollte Jodie die Geburt ihres Babys durchstehen und keine einzige Sekunde verpassen. Sie wollte und sie musste das volle Mutterglück erleben. Bücher und Mütter in ihren Kursen beschrieben die Schmerzen sehr genau. Dennoch wusste sie durch ihre Erfahrung als FBI Agentin, dass die Menschen ihre Geschichten oft aufbauschten und schlimmer darstellten. Im Falle einer Geburt untertrieben sie alle. „Shu…“, wisperte sie leise. Die erste Träne lief ihr über die Wange. Dann aber musste sie Lächeln, als sie die Hand auf ihrem Arm spürte und Shuichi erblickte. Der erste Schwall der Erleichterung war da. „Shu…du bist da…ich bin so froh, dass James dich hergeschickt hat.“ „Miss Starling? Ich bin Dr. Baxter. Wir werden nun zusammen Ihr Baby auf die Welt bringen.“ Jodies Sicht verschwamm. Shus Aussehen änderte sich abrupt und zu Vorschein kam ein älterer und stämmiger Arzt. „Shu…“ „Miss Starling?“ „Ich…“ Jodie schluckte. Shuichi war nicht da. „Was…ist mit…dem Baby…“ „Alles in Ordnung“, lächelte Dr. Baxter. „Wir schaffen das schon.“ „Es tut…so…weh…“, stöhnte sie. „Ich weiß. Denken Sie einfach daran, dass Sie in wenigen Stunden Ihr Baby im Arm halten werden.“ Jodie nickte. „Kommt Ihr Mann auch gleich?“ Jodie stöhnte, schrie und verfluchte den Arzt, wenn er nicht im Raum war. 27 Stunden lag sie in den Wehen. Sie war verschwitzt, ihre Haare klebten an ihrem Nacken und die Erschöpfung war ihr ins Gesicht geschrieben. Es herrschte Stille im Raum. Geistesgegenwärtig bemerkte Jodie, dass etwas nicht stimmte. „Doktor…“, wisperte sie leise. Verängstigt liefen ihr Tränen über die Wange. Bitte nicht. Und dann schrie es. Erleichterung breitete sich in ihr aus. Es ging dem Baby gut. Ungeduldig wartete Jodie, bis die erste Untersuchung abgeschlossen war, das Baby in eine Decke gewickelt wurde und sie es in den Arm gelegt bekam. „Hallo, mein kleiner Engel“, sprach sie leise und prägte sich das Gesicht ihres Babys gut ein. „Herzlichen Glückwunsch, Miss Starling. Sie haben einen kerngesunden Jungen bekommen. Er wiegt 3,7 kg und ist 50,4 cm groß. Alles im Normalbereich.“ „Er ist perfekt“, gab Jodie von sich. Ein Junge. Ein kleiner Akai. Sie lächelte. Stolz und überwältigt von jenem Moment, sodass sie nicht einmal mitbekam, wie sie aus dem Kreissaal in ein Krankenzimmer geschoben wurde. Die Krankenschwester ließ Jodie für einen Moment allein und brachte anschließend verschiedene Unterlagen mit. „Ich mach als erstes Ihrem Sohn ein Namensschild an die Hand. Ben?“ Jodie sah ihren Sohn weiterhin an. Seine kleinen Hände, die Fingerchen, die kleinen Beinchen und Füßchen. Alles an ihm faszinierte sie. Er war wirklich perfekt. Ruhig lag er in ihren Armen und auch, wenn Jodie es besser wusste, hatte sie das Gefühl, dass er sie direkt mit seinen tiefblauen Augen ansah. Grün oder Blau. Seine Augenfarbe stand noch nicht fest. Seine dünnen, schwarzen Haare, von denen sie auch wusste, dass sie sich noch ändern konnten, erinnerten sie an Shuichi. Erneut verlor sie sich in ihren Gedanken. Ein kleiner Akai. Und obwohl die Organisation existierte, war diese aus ihren Gedanken verbannt. Sie zählte nicht mehr. Dafür hatte ihr Sohn in dem Moment gesorgt. „Miss Starling?“ … „Miss Starling? Entschuldigung?“ Jodie sah zu der Krankenschwester. „Hmm? Oh, tut mir leid, ich hab nicht zugehört.“ „Das macht doch nichts“, lächelte die junge Frau. „Ich hab wegen dem Namen nachgefragt. Ben Starling?“ „Nein.“ Jodie sah wieder auf ihren Liebling. „Reiji. Geschrieben: R, e, i, j, i. Und natürlich Starling.“ Der Name war perfekt für ihn. Seit sie ihn in den Arm gelegt bekam, wusste sie es. Er war kein Ben. Er war ein kleiner Reiji. Reiji Akai. Wunschdenken. Natürlich bekam er ihren Nachnamen. Reiji Starling. *** Drei Tage später verließ Jodie das Krankenhaus. Sie war nicht in Eile und das Krankenhaus bot alles, was sie für die ersten Tage mit Reiji brauchte. Die Hebamme zeigte ihr genau wie sie ihn wickelte und was sie beim Baden beachten musste. Erst zu Hause realisierte sie richtig, dass sie nun nicht mehr alleine war. Sie war Mutter. Das Kinderzimmer ihres Sohnes war bereits eingerichtet, dennoch stand das Babybettchen bei ihr im Schlafzimmer. „Die erste Zeit schläfst du noch bei mir“, erzählte sie ihm und ging in das Schlafzimmer. „Und später sehen wir mal, ob du in dein Kinderzimmer möchtest. Dann siehst du auch die vielen Sachen, die du geschenkt bekommen hast“, fügte sie an. Das FBI knauserte nicht. Die wenigen Kollegen, die Bescheid wussten, schenkten Babysachen oder Spielzeug. Die Vorgesetzten, die James informieren musste, machten großzügige Geldgeschenke für die Ersteinrichtung und die Zeit danach. Obwohl sie ihn viel lieber im Arm hielt, legte sie Reiji in sein Bettchen. Vorsichtig deckte sie ihn zu. Seit er da war strahlte sie richtig. Er wirkte friedlich, zufrieden und schien mit der Welt im Einklang zu sein, auch wenn er sie nachts auf Trab hielt und anschließend in ihren Armen einschlief. Es brauchte eine Weile bis Jodie das Klingeln der Haustür bemerkte. Sie seufzte und war froh, dass Reiji nicht davon wach wurde. Ehe das Klingeln weiter zu nahm, bewegte sie sich zur Tür. Sicherheitshalber sah sie durch das Guckloch und öffnete anschließend. „Anne…“, murmelte Jodie. „Meine Güte, Jodie, warum hast du mir nicht gesagt, dass du das Baby bekommen hast?“, wollte diese wissen. Da war sie wieder. Die Art, die sie nicht vermisste. „Kann ich das Baby denn mal sehn?“ „Ja, aber sei leise.“ Jodie ging zurück in das Schlafzimmer und stellte sich an das Bettchen von Reiji. „Das ist er.“ „Och ist der süüüüüß“, quietschte Anne. „Pscht…Kannst du ein bisschen leise sein? Wie du siehst, schläft er“, warf sie ein. „Tschuldige“, antwortete Anne. „Der kleine Ben sieht aber auch schnuckelig aus. Und außerdem soll man Kinder nicht nur in Ruhe schlafen lassen, da sie sonst später gar nicht mehr schlafen, wenn sie Geräusche hören“, kam sie mit ihrem Halbwissen. Jodie hatte wenig Lust sich mit Anne darüber zu unterhalten, was besser war und was nicht. Am Ende artete es in einer Diskussion aus, die Anne irgendwann wieder hervorholte. „Reiji“, gab Jodie daher nur von sich. „Bitte?“ „Sein Name ist Reiji.“ „Aber du sagtest doch, dass du ihn Ben nennen wirst“, warf sie ein. „Ich weiß. Aber ich hab meine Meinung geändert. Und für mich sieht er aus wie ein kleiner Reiji.“ Jodie schmunzelte und betrachtete ihn erneut. „Reiji“, wiederholte Anne. Bei ihr klang der Name komisch. „Ich weiß ja nicht…“ „Gut, dass das nicht deine Entscheidung ist.“ „Dieser zickige Unterton kommt wohl noch von den Hormonen, was?“ Jodie seufzte innerlich. Warum nur? Warum sie? „Wenn du das sagst…“, murmelte die Agentin. „Nun sei nicht so grummelig, Jodie. Komm, wir machen erst einmal ein Foto von dir und Ben…äh Reiji.“ Jodie seufzte nun doch. „Aber erst wenn er wieder wach ist.“ Anne nickte. „Klar doch. Komm, wir trinken jetzt erst einmal einen Kaffee oder kannst du mir auch einen Latte Macchiato machen?“, wollte Anne wissen, als wäre es selbstverständlich, dass Jodie ihre Wünsche erfüllte. „Da muss ich dich enttäuschen. Ich hab momentan nur Tee im Haus.“ „Naja von mir aus…dann bring ich dir beim nächsten Mal einfach Kaffee mit und komm öfters vorbei.“ Schweigend ging Jodie in die Küche und setzte Wasser auf. Anne war anstrengend. Anstrengender als ein kleines Baby. Früher aber war alles anders. Während Jodie reifer wurde und das Leben nicht aus den Augen ließ, blieb Anne scheinbar in der damaligen Zeit gefangen. Während ihrer Schulzeit lernten sich die beiden Frauen kennen. Seitdem hing Anne an ihrem Hosenbein wie ein Fleck, der einfach nicht raus gewaschen werden konnte. Anne wollte immer alles wissen, gab sich nicht mit Halbwahrheiten zufrieden und stocherte immer wieder nach, selbst dann, wenn das Gespräch bereits beendet und auf ein neues Thema zuging. Früher bemerkte Jodie die nervige Art ihrer Freundin nicht. Sie hingen fast 24 Stunden pro Tag zusammen rum. Zuerst Schule, dann der nach Hauseweg und zu Hause telefonierten sie bis zum späten Abend. Während Jodie parallel dazu an den Hausaufgaben saß und für die Schule lernte, verließ sich Anne einfach auf ihr Glück. Alles erzählte Jodie ihrer Freundin nicht. Den Mord an ihrem Vater und den Zusammenhang zum FBI verschwieg sie. Selbst als die Schulzeit vorbei war und es an die Bewerbungen ging, blieb Anne an ihrer Seite. Während sich Jodie um ein Studium – Kriminalistik im ersten Hauptfach und Sprachwissenschaften als zweites Hauptfach - bewarb, wusste Anne nichts mit ihrem Leben nach der Schulzeit anzufangen, sodass sie Jodie in die Hochschule folgte. Glücklicherweise merkte Anne früh, dass die Studienfächer nichts für sie waren und wechselte. Allein wollte sie es allerdings nicht tun und versuchte ihre Freundin mit einzuspannen. Jodie aber blieb hartnäckig und verfolgte ihre Ziele. Durch ihren Antrieb schloss Jodie das Studium vor ihrer Freundin ab. Obwohl ihr die Berufserfahrung fehlte, bewarb sie sich beim FBI. Jodie wusste, dass ihr Nachname und natürlich ihre familiäre Beziehung zu ihrem Vater ein Türöffner war. Nichtsdestotrotz war sie überwältigt, als sie die Aufnahmebestätigung der FBI-Akademie in ihren Händen hielt. Während sie ihre Sachen für das Marine Corps Base Quantico in Virginia packte, kam Anne vorbei und beschwerte sich lauthals über ihre – noch zukommende – Abschlussarbeit. Erst da fiel der jungen Frau auf, dass Jodie ihre Tasche packte. Jodie erinnerte sich noch an die Diskussion, die sie mit Anne führen musste. Anne wollte sie gar nicht gehen lassen und verstand nicht, was ihre Freundin am FBI fand. Schon früh unterstellte sie ihr, dass sie sich nur einen Mann angeln wollte, in einem Beruf, der eher für Männer geschaffen war. Später aber sah sie ein, dass Jodie andere Träume und Wege gehen wollte, bis sie von dem Kontaktverbot während der Ausbildungszeit erfuhr. Anne machte einen Aufstand und Jodie wies sie erneut in ihre Schranken. Zwei Jahre später sahen sie sich in New York, wo Jodie mittlerweile ein Büro bezog, wieder. Anne hing immer noch in ihrem Studium fest und machte keinen Hehl daraus, dieses nicht in den nächsten Wochen zu beenden. Glücklicherweise beschränkte sich ihr Kontakt nur noch auf einige Anrufe und seltene Treffen. Und auch diese waren schon anstrengend. Anne hatte gewisse Vorstellungen vom Leben. Wenig arbeiten und einen Mann finden. Auch für Jodie hatte sie ähnliche Vorstellungen. Als es anders kam, zeigte sich Anne von einer ganz anderen Seite. Jodie wusste noch genau, wie sie auf die Palme ging, als Shuichi Akai auf der Bildfläche auftauchte. Jodie saß in ihrem Büro und tippte ihren Bericht ab. Sobald die Tür aufging, hob sie den Kopf. Entgegen ihrer Erwartungen kam kein älterer Kollege rein. Jodie sah ihn leicht irritiert an, musterte ihn und wartete, was er wollte. „Kann ich helfen?“, fragte sie, nachdem er zuerst an das Fenster ging und eine Weile nach draußen sah. „Du bist also Jodie.“ Shuichi drehte sich um und lehnte sich gegen die Fensterbank. „Ich hab viel von deinem Vater gehört.“ Jodie zuckte zusammen und die verbannten Erinnerungen kratzten an der Oberfläche. Mit einem Mal fühlte sich Jodies Hals trocken an und obwohl sie den Mund öffnete, kam kein Ton heraus. Sie war wie gelähmt und blieb es auch, als er sich an den leeren Schreibtisch setzte. „Rauchst du?“ Jodie schüttelte den Kopf. „Kannst du auch reden?“ Jodie wollte nicken, ließ es aber sein. „J…ja…“ „Gut.“ Shuichi lehnte sich nach hinten. „Ich bin dein neuer Partner.“ „Eh…“ „Ja, ich weiß. Normalerweise machen sie das auch nicht.“ Shuichi zuckte mit den Schultern. „Da wir an dem gleichen Fall arbeiten sollen und die älteren Kollegen bereits einen Partner haben, wurden wir einander zugeteilt. Irgendwelche Probleme damit?“ Jodie schüttelte den Kopf. „Nein.“ „Gut.“ „Und wie heißt du?“ „Akai. Shuichi Akai.“ Trotz Freundschaft distanzierte sich Jodie in den anschließenden Monaten immer mehr von Anne. Je mehr Erfahrungen sie beim FBI sammelte, desto besser war es. Dazu kamen kleine Projekte und weniger gefährliche Kriminelle. Mit Shuichi verstand sie sich immer besser. Und obwohl Beziehungen zwischen Agenten eigentlich untersagt waren, funkte es bei Beiden. Bis sie allerdings zusammen kamen, dauerte es noch eine ganze Weile. Anne sah dieser Verbindung mit Skepsis und Zweifel entgegen. Sie wollte Jodie nicht teilen. Vor allem dann nicht, wenn sie selber keinen Mann hatte. Immer wenn sie Jodie und Shuichi – natürlich rein zufällig – in ihrer Mittagspause traf, stichelte sie gegen den FBI-Agenten oder lud Jodie zu einem Doppeldate ein. Dass Beide bereits eine heimliche Beziehung miteinander führten, erfuhr sie erst, als er sich von Jodie trennte. Heimliche Beziehung war auch so eine Geschichte. Wie Jodie im Nachhinein erfuhr, wussten so einige Agenten bescheid. Einige spürten das Knistern, welches in der Luft lag, andere bemerkten die Blicke, die sich beide ab und an zuwarfen. Dass James von der Beziehung wusste, gab er erst nach einer Lagebesprechung zu, als bereits Funkstille zwischen beiden herrschte. Dennoch half ihr das Wissen nicht mehr. Jodie musste warten. Warten bis er wieder da war und sie zusammen sein konnten. Wäre nur nicht alles anders gekommen… „Jodie.“ Jodie wurde aus ihren Gedanken gerissen. Das Wasser im Wasserkocher war bereits fertig und kühlte ab, während sie immer noch zwei Teebeutel in der Hand hielt. „Komme“, rief sie zurück. Schnell steckte sie die Beutel in die Tasse, goss das Wasser ein und holte das Tablett heraus. Jodie atmete tief durch. Die Gedanken der Vergangenheit hatten es in sich. Sowohl die schönen Erlebnisse als auch die Negativen. Und obwohl sie den Kontakt zu Shuichi komplett abbrach, war die Erinnerung an ihn immer noch präsent und warf sie zurück in eine emotionale Achterbahn. Nur zaghaft stellte Jodie die Tassen sowie eine Zuckerdose auf das Tablett. Sie konnte sich besseres vorstellen, als zurück zu Anne zu gehen. Lieber wollte sie sich ins Bett legen und schlafen. Einfach nur schlafen. „Jodie.“ „Ich komme ja“, rief Jodie zurück. Sie seufzte, nahm das Tablett und ging ins Wohnzimmer. „Bin ja schon da.“ „Gut. Endlich“, nickte Anne. „Dein Handy vibrierte die ganze Zeit. Ich hab nachgesehen. Auf dem Display stand eine ganz komische Nummer und als ich ran ging, wurde aufgelegt.“ „Du bist rangegangen?“ „Klar. Du warst ja nicht da“, entgegnete Anne. „Das gibt dir trotzdem kein Recht einfach ranzugehen. Du hättest mich auch ganz einfach holen können. Anne, das geht echt nicht.“ „Jetzt hab dich nicht so.“ Anne verdrehte die Augen. „Ist ja nicht so, als hätte was gestohlen.“ „Anne, es reicht jetzt. Du kannst nicht einfach so an mein Handy gehen und dich so aufspielen, als wäre ich nur für dich da.“ „Das tu ich doch gar nicht“, warf Anne ein. „Nein, natürlich nicht. Aber egal was ich tu, du machst mir andauernd Vorwürfe…“ „Du bist ja auch von einem wildfremden geschwängert worden.“ „Anne!“ Jodie wurde lauter. „Ja, ´tschuldige, das hätte ich nicht sagen sollen.“ Als wäre nichts, nahm Anne ihre Tasse mit dem Tee. „Du solltest besser gehen, Anne.“ „Hmm? Das meinst du nicht so“, entgegnete die junge Frau mit einem Lächeln. „…“ Jodie hielt inne als das Handy in ihrer Hand vibrierte. Aus dem Augenwinkel sah sie die Nummer. Japanische Vorwahl. Sofort schlug ihr Herz mit einem Mal höher. Sie gehörte weder Camel noch James. Und das konnte nur eines heißen. Schweigend ging Jodie in die Küche und ging ran. „Starling“, sprach sie leise. „Wo warst du? Und warum ist eine andere Person an dein Handy gegangen?“ Sie schluckte. Da war sie wieder. Seine Stimme. Ein kleines Lächeln huschte ihr über die Lippen. „Ich war in der Küche und hab das Handy nicht gehört. Daher ist Anne ran gegangen“, erzählte sie ihm. „Anne…“, murmelte Shu. „Du hast sie paar mal getroffen…sie…“ „Ja, ich weiß, wer sie ist“, unterbrach Shuichi seine Ex-Freundin. „Wie lange hast du wieder Kontakt zu ihr?“ „Öhm…seitdem ich hier bin.“ „Verstehe. Und sie ist immer noch wie früher?“ „Ja“, nickte Jodie, auch wenn sie wusste, dass er die Geste nicht sehen konnte. „Verstehe“, sprach er erneut. Shuichi runzelte die Stirn. „Und sonst? Geht’s dir gut?“ Jodie schwieg für einen Moment. Sollte sie oder sollte sie nicht? „Ja, mir geht’s gut. Und dir? James hat mir erzählt, dass du deine falsche Identität aufgeben musstest und dass sie wissen, dass du am Leben bist.“ „Wie viel hat er dir erzählt?“, wollte Shu wissen. „Nicht viel. Eigentlich hat er mir nur diesen Stand genannt. Ich weiß keine Einzelheiten“, entgegnete sie leise. „Geht’s dir wirklich gut?“ „Da gibt es auch nicht viel zu erzählen. Sie haben herausgefunden, dass Eisuke der Sohn von Ethan Hondo ist und kamen darüber an die Information, dass er auch eine Tochter hat. Über Kirs Ähnlichkeit zu Eisuke erkannten sie die Wahrheit. Ich musste sie rausholen, ehe sie sie töteten“, erzählte der Agent ruhig. „Geht’s…“ Er seufzte. „Natürlich geht’s mir gut. Mach dir nicht zu viel Sorgen um mich. Ich kann auf mich aufpassen, Jodie.“ Shuichi dachte einen Moment nach. „Ist bei dir wirklich alles in Ordnung? Hast du irgendwas bemerkt, was dir verdächtig kam?“, wollte er dann wissen. „Bisher ist mir keiner gefolgt und ich glaube nicht, dass sie es tun, seitdem ich nicht mehr in Japan stationiert bin“, entgegnete sie. „Hmm…sei trotzdem vorsichtig. Ich möchte nicht, dass dir irgendwas passiert.“ Jodies Herz schlug höher. Er machte sich Sorgen. „Achte trotzdem auf deine Umgebung und wenn du bemerkst, dass du verfolgt wirst oder auch wenn du einfach nur ein ungutes Gefühl hast, ruf entweder mich an oder melde es dem FBI. James hat seine Vorgesetzten bereits informiert. Du kriegst Schutz, wenn es nötig ist.“ Jodie konnte das Lächeln nicht unterdrücken. „Bist du noch dran?“ „Äh…ja…klar…mach dir keine Sorgen. Pass lieber auf dich auf. Jetzt wo sie wissen, dass dein Tod vorgetäuscht war, werden sie dich wieder in die Mangel nehmen und umso stärker versuchen dich aus dem Weg zu räumen…und das…“, sie schluckte und spürte den Kloß, der sich in ihrem Hals bildete. „…ich könnte…es wäre…und…“ „Ich weiß. Du musst nichts sagen, Jodie.“ Er kannte ihre Worte genau. Und er spürte, dass sie sich Sorgen machte. Abstand hin oder her. Es war nun nebensächlich, weswegen er auch ihre Stimme hören musste. „Wisst ihr denn schon, was ihr jetzt weiter machen wollt?“ „Ich hab einen Plan, aber…“ Jodie unterbrach ihn. „Ich weiß, du kannst nicht darüber reden. Aber sei vorsichtig.“ „Das bin ich immer. Ich ruf dich an, wenn der Plan geklappt hat.“ „Ist gut. Shu? Es war schön deine Stimme zu hören.“ „Deine auch“, entgegnete der Agent ruhig. „Also gut…dann bis dann…“ Jodie nahm das Handy vom Ohr und legte auf. Shuichi schluckte und blickte nachdenklich auf das Handy. Jodie klang verändert. Glücklich. Irgendetwas daran störte ihn gewaltig und er kam nicht darauf, was es war. Bis sie das Gespräch beendete. Ehe er das Tuten auf der anderen Seite der Leitung hörte, war da dieser Satz. Dieser eine Satz, der alles änderte. Jodie, du hast mir doch das Foto von dir und Reiji versprochen. Kapitel 5: Vorbei ----------------- Shuichi runzelte die Stirn. Noch immer blickte er auf das Handy in seiner Hand. Reiji. Wer war nur dieser Reiji? Und was noch viel wichtiger war, was hatte Jodie mit ihm zu schaffen? Ob Anne ihre Hände im Spiel hatte? Versuchte sie Jodie erneut zu verkuppeln, so wie damals? Seine Nackenhaare richteten sich auf und er verengte die Augen. Die Vorstellung behagte ihm ganz und gar nicht. Und in Wahrheit hoffte er, dass Reiji einfach nur ein Arbeitskollege war oder der Lieferant ihres Mittagessens. Warum musste Jodie auch nur in die Staaten zurückkehren? Immer wieder merkte Shuichi, was ihn vor sieben Monaten so sehr störte. Natürlich gönnte er ihr das neue Glück. Dennoch machte ihn der Gedanke an Jodie und einen anderen Mann rasend. Shuichis Hand verkrampfte. Das Glas seines neuen Smartphones zerbrach. Die neuen Handys waren aber auch einfach zu zerstören. „Wie geht es ihr?“ Shuichi blickte auf das zersplitterte Glas, anschließend sah er hoch zu Camel, der ihn aus seinen Gedanken riss. „Gut.“ Shuichi legte das Smartphone auf den Tisch. „Ich hab mir wirklich Sorgen um sie gemacht“, entgegnete Camel leise. „Vor allem, als sie so überstürzt zurück in die Staaten ging. Als ich hörte, dass sie auf unseren Boss schoss…ich…ich…ich dachte es wäre meine Schuld. Ich hab nicht auf sie aufpassen können.“ „Du hättest nichts tun können. Jodie hat selbst entschieden. Sie hatte ihre Gründe und konnte dich deswegen nicht in den Ablauf miteinbeziehen. Sie hat das getan, was ich in dem Fall auch getan hätte: So wenig Personen wie möglich einweihen.“ Shuichi merkte, wie bitter seine eigene Medizin schmeckte. Camel seufzte. „Ich hab versprochen, dass ich auf sie aufpasse und für sie da bin“, gab er leise von sich. „Ich…es tut mir leid. Ich hab wieder versagt.“ „Nun hör auf mit dem Unsinn“, entgegnete Akai etwas Lauter. „Sag mir lieber, ob dir ein Reiji beim FBI bekannt ist.“ „Reiji?“, wiederholte Camel fragend. Er überlegte und überlegte. Es klingelte einfach nicht. „Ehrlich gesagt, weiß ich da keinen.“ Shuichi schloss die Augen und lehnte sich nach hinten in das Sofa. Auch als seine Identität aufflog, residierte er weiterhin in der Kudo-Villa. Sie war ruhig und abseits vom weiterem Geschehen. Außerdem konnte er Shiho sehr gut im Auge behalten. Jodie und Reiji. Reiji und Jodie. „Aber nur weil ich keinen Agenten mit dem Namen kenne, muss das noch lange nichts heißen. Ich glaube, die neuen Rekruten müssten nun ihre Probezeit in den Büros absolvieren“, sprach Camel sofort. „Vielleicht hat Jodie ihn als neuen Partner zugeteilt bekommen…oder sie hat ihn bei einer Lagebesprechung kennen gelernt.“ „Mhmm…“ „Es geht doch darum, dass Jodie Kontakt zu diesem Reiji hat, oder?“, wollte Camel wissen. Akai nickte schweigend. „Sie kann ihn auch auf dem Rückflug kennen gelernt haben oder in China-Town“, meinte Camel nachdenklich. „Oder zufällig in einem Geschäft, abends als sie ausgegangen ist oder…“ „Stopp.“ Camel blickte zu Akai. „Hab ich was Falsches gesagt?“ „Nein. Diese Spekulationen bringen uns nicht weiter. Man kann Menschen immer irgendwie kennen lernen.“ „Ich kann bei James nachfragen“, schlug der Agent vor. „Nein.“ Shuichi öffnete wieder die Augen. „Wenn dieser Reiji für die Organisation arbeitet und sich um Jodie kümmern soll, bringen wir sie in Gefahr. Die Sache muss unter uns bleiben.“ Akai dachte kurz nach. „Hast du Kontakte oder Freunde beim FBI, die dir helfen und es nicht an ihren Vorgesetzten weitergeben?“ Camel nickte. „Gut, triff eine weise Wahl und versuch heraus zu finden, ob dieser Reiji beim FBI arbeitet oder ob er anderweitig dort bekannt ist, zum Beispiel wenn er Jodie abholt.“ „M…mach ich.“ Shuichi knurrte leise. Die Vorstellung, dass Jodie auf ein Mitglied der Organisation reinfiel und es nicht einmal bemerkte, gefiel ihm nicht. Generell konnte sich der FBI-Agent nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass Jodie einen anderen Mann fand. Einen, der sie glücklich machte. „Ich werde dieses Mal nicht versagen.“ „Hmm?“ Akai sah ihn an. „Vergiss doch endlich das, was vor Jahren war.“ Camel blickte finster drein. Damals kam er frisch von der Akademie, absolvierte ohne Probleme die 20-monatige Probezeit und konnte anschließend, aufgrund seiner überragenden Leistungen, an der Mission Schwarze Organisation teilnehmen. Und dann machte er diesen einen Fehler, ein Fehler, der ihn noch immer verfolgte. „Wäre ich nicht zu dem alten Mann gegangen, hättest du die Hintermänner kennen gelernt und wir hätten sie verhaften können…dann wäre…alles nicht so gekommen.“ „Wir können die Vergangenheit nicht mehr rückgängig machen und sollten in die Gegenwart und in die Zukunft sehen.“ Überrascht sah Camel nun zu ihm. Die Worte kamen tatsächlich aus Akais Mund. Camel wollte etwas sagen, doch es verschlug ihm einfach die Sprache. „Was ist?“ „I…ich bin…ü…überrascht“, stotterte der Agent. „Wir alle dachten…“ „Ich weiß.“ Camel schluckte. „Und wenn ich nicht versagt hätte…“ Akai seufzte. Schon wieder sprach sein Kollege über die Vergangenheit. Wieder konnte er sich nicht von dieser Lösen. „Akemi war alt genug. Sie traf ihre eigenen Entscheidungen und sie kannte das Risiko.“ „Aber wenn…sie wäre vielleicht jetzt noch am Leben und dann könntest du…“ „Möglich.“ Shuichi zuckte mit den Schultern. Seine Stimme klang schon kühler. „Keiner kann sagen, was passiert wäre, wenn die Dinge anders gelaufen wären. Jetzt allerdings ist es wichtig, dass wir uns um den Schutz von Shiho kümmern und Jodie nicht aus den Augen lassen.“ „Die Organisation wird alles tun, um Shiho in ihre Hände zu bekommen.“ Ein Grinsen umspielte Shuichis Gesicht. „Da müssen sie schon früher aufstehen. Ich hab sie in Sicherheit gebracht.“ „Eh…ich dachte…ihr Aufenthaltsort ist für uns alle unbekannt“, warf der Agent ein. „Ist er auch.“ Erneut schloss Shuichi die Augen und lehnte sich nach hinten. Shuichi blickte die junge Frau, die vor ihm stand, an. Nur widerwillig ging er mit ihr in den Park. Er war nicht der Typ, der eine Beziehung mit der Öffentlichkeit teilte. Warum auch? Reichte es nicht, wenn sie abends zusammen saßen und morgens gemeinsam aufwachten? Seine Freundinnen sahen es allerdings immer anders. Jodie fiel es damals schon schwer ihre Beziehung geheim zu halten und sobald sie einen Abend außerhalb ihrer Wohnung verbrachten, hing sie an seinem Arm. Obwohl er sich in erster Intention aus ihrem Griff befreien wollte, hielt ihr Lächeln ihn davon ab. Und auch Akemi war jemand, der gern an seinem Arm hing und der ganzen Welt von ihrem gemeinsamen Glück erzählen wollte. Shuichi spielte einfach mit. Es war ein Auftrag und wenn er ehrlich war, sah er sie gern lächeln. In einer Art und Weise ähnelten sich Jodie und Akemi. Beide waren stark und kämpften für ihre Familie. Und beide waren auch Persönlichkeiten, die kaum bis nie in der Öffentlichkeit weinten oder Trauer zeigten. Nach außen hin waren sie stark, nachts weinten sie sich in den Schlaf, wenn es nicht anders ging. „Lass die Witze“, lächelte Akemi und gestand ihm unter Tränen: „Wenn du mich damit irgendwie aufziehen willst, dann…denk dir etwas Besseres aus…und nichts…was ich schon weiß.“ Shuichi schnellte zu ihr heran und hielt die junge Frau an der Schulter fest. „Wenn du es gewusst hast, warum hast du mich nicht verraten?“, wollte er leicht aufgebracht wissen. Traurig sah sie ihn an. „Musst du mich das wirklich fragen?“ Shuichi schluckte. Sie liebte ihn. Und sie kannte die Wahrheit. Sie deckte ihn und brachte sich damit selbst in Gefahr. Shuichi kannte die junge Frau gut. Jeden Tag, seit Beginn ihrer Beziehung, lernte er sie immer besser kennen. Er wusste, wie sie handelte, was sie dachte und was sie noch tun würde. Jetzt aber überraschte sie ihn. Wie lange sie die Wahrheit wohl kannte, ging es Shu durch den Kopf. Wusste sie es seit Anfang an? Fand sie es zwischendurch raus? Legte sie die Puzzleteile so einfach zusammen? Oder war es einfach nur Zufall? Shuichi wollte nicht daran denken, was sie fühlte. Sie musste sich benutzt vorkommen. Benutzt um später weggeworfen zu werden. Oder kalkulierte sie dieses Risiko ein? Benutzte sie ihn vielleicht selber? Wollte sie, außer Liebe, noch etwas Anderes von ihm? Shuichi presste die Lippen aufeinander. Ein leises Knirschen war sie hören. Und obwohl es von seinen Zähnen kam, ratterte es auch in seinem Hirn. Dass ausgerechnet ein Mensch wie Akemi in der Organisation war, war unvorstellbar. Sie war anders als die anderen Mitglieder. Akemi war nett, ruhig, zuvorkommend, manchmal ängstlich und normal. Bis auf ihre tragische Vergangenheit. Ihre Eltern starben als sie ein kleines Mädchen war. Danach kam sie zu einer, von der Organisation ausgewählten, Pflegefamilie. Die ersten fünf Jahre lebte sie zusammen mit Shiho, danach wurden sie getrennt. Während Akemi ein ganz normales Leben verbrachte, kam Shiho in eine privatisierte Schule. Sie wurde zum Lernen angetrieben und erhielt noch vor ihrer Volljährigkeit einen Doktortitel. Sie war auch der Grund, weswegen Akemi in die Fänge der Organisation geriet. Freiwillig, wie sie ihm später gestand. Dabei waren ihre Gründe offensichtlich. Je mehr Zeit er mit der jungen Frau verbrachte, desto mehr mochte er sie. Gefühle während der Arbeit zu entwickeln, Freundschaft zum Feind aufbauen, war verboten. Man durfte Mitleid zeigen, aber nie durfte man die unsichtbare Grenze überschreiten. Vor allem dann nicht, wenn es gefährlich wurde. Sowohl bei Jodie als auch bei Akemi hielt er sich nicht an die Vorschriften. Akemi wurde, entgegen seiner Erwartungen, zu einem wichtigen Teil in seinem Leben, eine Person, die ihm wichtig war. Je öfter er sich mit ihr traf, umso befremdlicher wurden diese Lügen. Trotzdem hielt er sie aufrecht, auch wenn es Tage gab, in denen er sich selber im Spiegel nicht mehr ansehen konnte. Zu tief waren die Verwicklungen, zu viele Gefühle spielte er ihr vor, zu oft benutzte er sie. Ob er sich noch mit ihr Treffen würde, wenn die Geschichte mit der Organisation vorbei war? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Eines aber wusste er. Akemi würde in Japan bleiben und er selbst würde zurück in die Staaten gehen. Zurück in sein altes Leben, in seine Wohnung, an seine alte Arbeit, Menschen sehen, die ihm in all der Zeit fremd wurden. Das Leben in der Organisation prägte ihn. Sie alle würden es sehen. Akai ließ von ihr ab. „Bleib morgen zu Hause.“ Akemi nickte und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Dai?“, wisperte sie leise. „Hmm?“ „Ist es sicher, dass du morgen alle Mitglieder der Organisation verhaften wirst?“ Was für eine Frage? Sie schlug ein, wie eine Bombe. Wer kannte die Zukunft schon? Wer wusste, ob sich die Arbeit überhaupt lohnte? „Ich kann morgen zumindest einige höhere Mitglieder kennen lernen. Wir erhoffen uns, dass wir anschließend zu den Hintermännern kommen.“ „Das dachte ich mir“, sprach sie. „Dai, sollte es nicht klappen, bitte…du musst meine Schwester aus ihren Fängen befreien. Du musst sie beschützen, komme was wolle.“ Erstaunt sah Shuichi zu ihr. Natürlich dachte sie zuerst an ihrer Schwester und nicht an sich. „Versprochen.“ „Denkst du, wenn alles vorbei ist…könnten wir einmal miteinander ausgehen? Ohne, dass du dazu verpflichtet bist?“ „Ich…“ Was sollte er darauf antworten? Ja? Nein? Vielleicht? Shuichi wägte die verschiedenen Möglichkeiten ab. Konnte er ihr jetzt die Hoffnung nehmen? „Können wir.“ Akemi lächelte. Es war warm und herzlichst. Sie freute sich. „Wie hast du es heraus gefunden?“, wollte der Agent wissen. „Ich kam einmal von einem Auftrag früher nach Hause zurück und wollte dich überraschen. Aus deiner Wohnung kam ein amerikanischer Mann heraus. Ich versteckte mich neben den Treppen. Ich weiß, es war nicht die feine Art“, murmelte Akemi. „Als er dann vor dem Fahrstuhl stand, hörte ich, wie er über das Ende der Organisation sprach. Ich bin nicht dumm, Dai, ich konnte eins und eins zusammen zählen.“ „Ich verstehe“, gab der Agent von sich. „Danke, dass du mich nicht verraten hast.“ „Wie hätte ich das nur tun können?“ Erneut kamen Akemi die Tränen. „Auch wenn du mich benutzt hast, du wolltest doch nur das Richtige tun. Und die Organisation zu vernichten ist auf jeden Fall das Richtige.“ „Es tut mir trotzdem leid, dass ich dich benutzen musste.“ Akemi wischte sich, wie schon zuvor, die Tränen aus dem Gesicht. „Du musst dich wirklich nicht entschuldigen. Nicht bei mir. Aber vielleicht…vielleicht solltest du es bei deiner Freundin tun.“ Shuichi sah sie geschockt an. Seine Gesichtszüge entglitten ihm. „Du hast ihren Namen mehrfach im Schlaf gesagt. Jodie. Beim ersten Mal dachte ich mir nichts dabei. Aber irgendwann hast du ihn wieder gemurmelt. Sie ist deine Freundin nicht wahr?“ Shuichi schwieg. „Liebst du sie?“ Shuichi seufzte auf. Warum erinnerte er sich gerade jetzt an die Vergangenheit? Warum konnte er sich nur nicht auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Liebst du sie? Ja, er liebte sie. Und genau aus diesem Grund hielt er sich von ihr fern. *** Camel trat, mit gesenktem Kopf, in die Villa. „Hat dich jemand verfolgt?“ Camel sah hoch und schüttelte den Kopf. „Hast du was heraus gefunden?“ Shuichi ging zurück in die Küche und schenkte ihnen beiden je eine Tasse Kaffee ein. „Beim FBI ist kein Agent mit dem Namen Reiji bekannt. Weder als Vorname noch als Nachname. Keine Treffer.“ „Verstehe. Ohne weitere Anhaltspunkte können wir die Suche vergessen. Ich hoffe, Jodie weiß, was sie tut.“ „Jodie kann auf sich aufpassen“, warf Camel ein. Trotzdem stand auch ihm die Sorge ins Gesicht geschrieben. „Ich könnte Jodie anrufen und…“ „Nein.“ „Aber…“ „Nein. Wir müssen den Kontakt zu ihr auf ein Minimum begrenzen. Wenn dieser Reiji doch nicht zur Organisation gehört und sie irgendwie bemerken, dass wir wieder Kontakt zu ihr haben, rückt sie möglicherweise in den Fokus.“ „Glaubst du, Jodie kommt irgendwann wieder zurück nach Japan?“ „Möglich. Aber ich hab auch nicht vorhergesehen, dass sie Japan verlassen würde. Nach all der Zeit schafft sie es noch mich zu überraschen.“ Camel schmunzelte. Jodie war wirklich eine Frau für sich. „Wie war Jodie eigentlich früher?“, wollte der Agent wissen. „Fast so wie jetzt“, entgegnete Akai. „Anfangs ein wenig ruhiger, bis sie die ersten größeren Projekte leiten durfte. Selbst während der Ausbildung war Jodie nie zu überhören. Viele der damaligen Ausbilder sahen in ihr ein kleines Mädchen, welches durch ihren Nachnamen aufgenommen wurde und dass nur an Rache dachte. Jodie kämpfte sich damals durch.“ „Sie hat Glück gehabt, dass sie dich schon in der Ausbildungszeit kennen lernte“, sprach Camel. Er selbst hatte keinen Kontakt mehr zu seinen damaligen Kollegen und fand, aufgrund seines grimmigen Aussehen und Auftreten, wenig Zugang zu den Anderen. Leider. Vielleicht wäre es anders gekommen, hätte er ein Jahr vorher angefangen. Zusammen mit Jodie und Shuichi. „Das hat sie nicht. Mein einziger Kontakt bestand zu den Ausbildern. Die anderen hab ich nicht einmal angesehen. Ich konzentrierte mich auf meinen Job.“ „Eh…verstehe…“ Camel sah es genau vor sich. Jodie wurde zur Schnecke gemacht, während er an der Wand lehnte, wartete und der Szene gelangweilt zusah. Eigentlich passte es nicht zu ihm. Nicht zu dem, was er über den Agenten hörte. „War sie damals auch schon so verbissen was ihre Arbeit anging?“ „Manchmal. Am Anfang war sie es und wollte unbedingt einen Anhaltspunkt finden. Zwischendurch wurde es weniger, bis Chris Vineyard auf der Beerdigung ihrer ,Mutter‘ auftauchte. Dann ging die Recherche wieder los.“ Camel nickte. Das klang wirklich sehr nach Jodie. „Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie überhaupt wusste, was Freizeitparks sind oder Stadtfeste kannte.“ „Und dich wollte sie mitschleppen?“ Camel schmunzelte. Er sah es direkt vor sich. Jodie, die Shu anbettelte, dass er sie begleitete. Ebenso sah er, wie sich der Agent dagegen sträubte und Jodie zum Schluss allein hinging. „Ja, aber war keine große Sache.“ „Hmm?“ „Regel 1: Bring deine Freundin nie wegen belanglosen Sachen zum Weinen.“ Camel spuckte den Kaffee, den er eigentlich soeben trinken wollte, auf den Tisch aus. „F…freundin?“ „Hast du das nicht gewusst?“ „Ihr…ihr…ihr…“ „Komisch. Ich dachte, dass gesamte FBI weiß darüber Bescheid.“ Akai zuckte mit den Schultern. Scheinbar nicht. Oder es wussten nur die älteren Kollegen. „Sie hat…sie hat mir nie etwas erzählt“, meinte Camel leise. „Ich wusste, dass sie Gefühle für dich hat…“ Camel hielt sich die Hände vor den Mund. „Du hast nichts verraten. Ich weiß, was sie fühlt. Sie ist nie über mich hinweg gekommen.“ Camel sah auf den Tisch. Die Zusammenhänge zu kennen, rückte die gesamte Geschichte in ein ganz anderes Licht. Alle sprachen nur vom Armen Akai, der seine Freundin nicht mehr sehen konnte und später verlor. Aber keiner dachte nur an Jodie. Jodie, die den Mann, den sie liebte, täglich sehen musste. Ihr Wissen, dass sie nie wieder zusammen kommen würde…jetzt erst konnte er sich wirklich vorstellen, was Jodie fühlte. „Wenn ich das gewusst hätte…“, wisperte Camel. „Hättest du auch nichts tun können. Ich hätte Jodie selbst in die Staaten zurück schicken sollen.“ Shuichi stand auf und ging aus der Küche. Er musste eine Rauchen. Ob Camel ihm dabei folgte oder nicht, war egal. Akai ging auf die Terrasse und holte seine Zigarette heraus. Er hörte Jodies Stimme deutlich vor sich, wie sie ihm wieder eine Predigt hielt, Shu! Du solltest langsam mit dem Rauchen aufhören. Du weißt ganz genau, dass es schlecht für die Gesundheit ist. Er lächelte leicht und schloss, bei seinem ersten Zug die Augen. „Der Auftrag ist gescheitert. Ich komme wieder zurück“, sprach er in sein Telefon. „Passen Sie auf sich auf.“ „Keine Sorge.“ Akai legte auf. Anschließend zog er seine Beretta und feuerte auf den Mann, der ihn die ganze Zeit beobachtete. Typisch Organisation. Versuchten ihn, mit niederen Mitgliedern zu erledigen. Als ob er seinen Verfolger die ganze Zeit über nicht bemerkte. Zurück in den Staaten sah es nicht anders aus. Bereits am ersten Tag, schaltete er ein weiteres Mitglied der Organisation aus. Sie drehten auf. Und er war das Ziel. Das Fadenkreuz stand ihm auf die Stirn gemeißelt und in all der Zeit wurde er es nicht los. Seine eigene Erfahrung und sein Instinkt halfen ihm. Nur so konnte er überleben. Versteckt im Schatten der Gasse, beobachtete er sie. Die blonde Frau wirkte fröhlich. Zumindest wenn man nur ihr Lachen sah. Doch er kannte sie und wusste es besser. Es war gespielt. Shuichi seufzte leise auf. Konnte er es ihr antun? Wenn sie schon alle Geschütze gegen ihn auffuhren, was wäre, wenn sie von ihr wussten? Wie Akemi war auch sie in Gefahr. Sie sogar noch stärker. Sollte er unter diesen Umständen ihre Beziehung weiter aufrecht erhalten? Von vorne anfangen? Wie? Auf Dauer konnte er sie nicht schützen und gleichzeitig gegen die Organisation arbeiten. Konnte weder Shiho retten, noch Vermouth zur Strecke bringen. Seine Versprechen wären nichtig geworden. Shuichi verengte die Augen. Alles was einst so einfach war, wurde komplizierter. Er musste es abwägen. Wieder mit Jodie zusammen sein oder weiterhin getrennte Wege gehen? Er war sich sicher, dass sie ihn zurück nahm. Aber konnte er ihr das alles antun? Shuichi warf die Zigarette auf den Boden und trat sie aus. Er würde ihr die gleichen Sorgen bereiten, wie ihr Vater. Ständig der Gefahr ausgesetzt und irgendwann würde er ihr den gleichen Schmerz bereiten. Bewusst oder unbewusst. Und so musste er es beenden…für immer. Kapitel 6: Showdown ------------------- Lächelnd stand Jodie vor dem Babybettchen im Kinderzimmer. Reiji lag friedlich schlafend drin und hielt einen kleinen Hasen im Arm. Sein erstes Plüschtier. Es gefiel Jodie auf Anhieb und auch Reiji schien von ihm begeistert zu sein – zumindest dann, wenn er seine Ohren im Mund hatte und sich der Babysabber im Plüschtier sammelte. Einmal die Woche wurde er in der Waschmaschine gewaschen und dann wieder ihrem Sohn übergeben. Reiji war etwas Besonderes. Ihr kleines Wunder. Gern sah Jodie ihm zu. Beim Schlafen, Spielen oder wenn er neue Sachen lernte. Die Zeit mit Reiji gehörte eindeutig zu der Besten in ihrem gesamten Leben. Es war Wahnsinn, purer Wahnsinn, wie sich alles so schnell veränderte. In ihren Erinnerungen war es so, als wäre die Geburt erst einige Tage her und nicht bereits über drei Monate. Die ersten Wochen waren ungemein anstrengend für Jodie. Zuerst die Umstellung der Hormone und das Wissen, dass das Leben nicht mehr in ihrem Bauch war. Zwei Tage lang lag Jodie im Bett und weinte. Weinen und Zusammenreißen. Aber es musste raus. Selbst Kleinigkeiten, wie eine leere Packung Aufschnitt, brachten sie zum Weinen. Dazu kam noch der ganze Stress mit dem Schlafmangel. Reiji wachte alle zwei Stunden auf und wollte entweder gefüttert, gewickelt oder einfach nur bespaßt werden. Alles, was sie seinerseits in den Büchern las, wirkte auf einmal untertrieben. Das Aufstehen in der Nacht wurde zur Qual. Erst als das leise, friedliche Baby wieder im Arm hielt und ihm zusah, entspannte auch sie sich. Glücklicherweise pendelte sich alles nach einigen Wochen ein. Reiji schlief länger. Aus zwei Stunden wurden drei, dann vier und schließlich fünf. Sowohl für sich, für Reiji, aber auch für Shuichi legte die ehemalige Agentin verschiedene Fotoalben an. Im ersten dokumentierte sie alle Schritte ihrer Schwangerschaft. Ultraschallbilder, Arztbesuche und Fotos von ihrem Bauch. Es war fast unverständlich, wie sie das erste Album so schnell voll bekam. Jodie ließ keinen Schritt der Schwangerschaft aus. Das zweite Fotoalbum war gespickt mit Fotos von ihrem Baby, aber auch von Jodies eigenen Eindrücken, die sie nieder schrieb. Selbst der behandelnde Arzt als auch die Krankenschwester und Hebamme mussten für ein Foto herhalten. Jodie wollte alles für später festgehalten haben. Für Shu. Es war ihr wichtig, zumal Reiji in kurzer Zeit so viele Veränderungen durchmachte. Jeder Tag war spannend und die Herausforderung groß. Allen voran, als sie erst heraus finden musste, warum Reiji weinte. Hatte er Durst? War ihm kalt? War die Windel voll? Hatte er Angst? Oder wollte er einfach nur, dass sie da war? Natürlich war es schwer gewesen sich in Reiji hineinzuversetzen. Er bekam so viele Reize und Veränderungen mit. Täglich wurde seine Sehfähigkeit besser und statt nur noch Kontraste wahrzunehmen, konnte er erste Objekte ausfindig machen. Allerdings war seine Wahrnehmung noch immer beschränkt. Sobald ein Gegenstand oder eine Person nicht mehr in seinem Sichtfeld war, kam es ihm vor, als wäre diese verschwunden. Kein Wunder, dass ihn diese Veränderungen überforderten und er die Gewissheit brauchte, dass alles in Ordnung war. Obwohl die ersten Nächte viel zu kurz waren, liebte sie es, ihn in ihrem Arm zu halten und zu merken, wie er Tag für Tag wenige Gramm zu nahm. Gerne strich sie ihrem kleinen Liebling über den Rücken, legte ihn auf ihren Bauch, der nun auch wieder flacher wurde oder schaukelte mit ihm Schaukelstuhl hin und her. Mutter zu sein, war ein herrliches Gefühl für Jodie. Und obwohl sie wusste, dass Reiji in den ersten Wochen kaum etwas von ihr wahr nahm, belohnte er sie mit seinen Blicken. Es war schön in seine Augen zu sehen und immer weiter die Mutter-Kind-Beziehung aufzubauen. Nach rund sechs Wochen lag Reiji das erste Mal auf dem Bauch. Interessiert sah Jodie zu, wie er versuchte den Kopf zu heben und seine Nackenmuskulatur übte. Vom Arzt wusste sie, dass sowohl solche Übungen auf dem Boden, als auch leichte Bewegungen durch Tragen und Schaukeln wichtig für ihren kleinen Schatz waren. Voller Stolz sah sie auf Reiji, als er sie das erste Mal anlächelte. Der Augenblick war so wunderbar, dass sie das Gefühl hatte zu platzen. Ohne zu wollen, musste sie in diesem Moment weinen, was wiederrum dazu führte, dass die ersten Fotos verwackelten. Das zweite Album war binnen kurzer Zeit gefüllt. Gern blätterte Jodie in diesem herum und sah sich die vergangenen Wochen an. Gelegentlich saß sie mit Reiji in ihrem Arm auf dem Sofa und zeigte ihm die Bilder. Er schien interessiert. Zumindest nahm sie dies an. Bereits im Sitzen begann er kräftig zu strampeln und die verschiedensten Laute von sich zu geben. „Ach Reiji“, murmelte Jodie leise. Am liebsten sollte die gesamte Welt von ihrem Glück wissen. Wie oft wollte sie Shuichi anrufen und ihm von ihrem gemeinsamen Sohn erzählen. Genau so oft machte sie bereits Fotos mit dem Handy von ihm und hatte Shus letzte, ihr bekannte, Nummer gewählt. Am Ende ließ sie es wieder bleiben. Sie durfte keinen von ihnen in Gefahr bringen. Nicht jetzt. Und trotzdem hoffe sie, dass die Organisation endlich vernichtet wurde, damit Reiji seinen Vater kennen lernen konnte. So sehr wünschte sie es sich…und ahnte nicht, welche düsteren Wolken sich derweil über Japan hermachten. *** 19:00 Uhr. Shuichi blickte auf das Display seiner Uhr. Bald. Bald begann es. Das Ende. „Sind deine Leute bereit?“ Sein Gesichtsausdruck änderte sich die ganze Zeit über nicht. Er war kühl und schroff. Bereit, alles zu geben und alles zu riskieren. Was hatte er schon zu verlieren? Nichts. Bourbon verengte die Augen. „Ich hoffe, du hast nicht vor mir Befehle zu geben“, entgegnete dieser. „Mach dir keine Sorgen. Japan ist dein Revier. Ich will nur nicht, dass irgendwas schief geht“, antwortete Akai ruhig. „Wird es schon nicht.“ Rei ballte die Faust. „Was ist mit dir?“ Shuichi blickte zu der Frau zu seiner Rechten. „Das CIA ist bereit“, antwortete sie. Akai nickte. „Camel gibt dir Rückendeckung.“ „Wenn möglich müssen wir sie leben bekommen“, fing Rei an. „Sie werden es uns nicht einfach machen und wenn sie merken, dass sie keine Chance haben, werden sie versuchen so viele wie möglich mit in den Tod zu reißen.“ 19:35 Uhr. Chianti positionierte sich auf dem Dach eines Gebäudes. Von dort hatte sie die beste Sicht auf das Pier. Die Scharfschützin grinste und baute ihr Gewehr zusammen. Bald ging es los und sie würde alles andere als zimperlich sein. „Alles ruhig“, sprach sie in ihr Head-Set. „Wie sieht die Lage bei dir aus, Korn?“ „Ebenfalls alles ruhig.“ Der Angesprochene saß mehrere Häuser weiter auf seiner Position und beobachtete den Hafen von einer anderen Seite aus. Chianti schmunzelte. „Ich freu mich schon sie alle abzuknallen. Ich hoffe, Vermouth kommt auch zu diesem Spektakel.“ „Überlass Vermouth mir. Ich kümmere mich um sie“, zischte Korn. „Das kannst du vergessen“, pöbelte Chianti. „Diese Schlampe hat Calvados auf dem Gewissen und mit dem Spitzel Bourbon zusammen gearbeitet. Mir kann sie nicht weis machen, dass sie nichts von seiner Zugehörigkeit wusste.“ „Keine Alleingänge, Chianti.“ Die Angesprochene schnaubte. „Der Boss will Vermouth lebendig sehen und sich selbst um sie kümmern.“ Erneut schwieg sie. „Hast du verstanden, Chianti?“ Seine Stimme wurde rauer. „Ja, Gin.“ 19:55 Uhr Kir parkte ihren Wagen. Nervös tippte sie auf dem Lenkrad herum. Sie schloss die Augen, atmete tief ein und aus. Immer wieder. Nach so vielen Jahren war er da. Der große Showdown. Das Ende. Zumindest hoffte sie, dass es nun zu Ende ging. Es musste einfach. Nun gab es keinen Spitzel mehr. Kein FBI-Agent, kein CIA-Agent, kein Agent der japanischen Geheimpolizei. Sie alle flogen auf. Nun gab es keine andere Wahl mehr. Hidemi blickte nach vorne. Alles war ruhig. „Camel, hören Sie mich?“, sprach sie in ihr Head-Set. „Ja. Bin grade angekommen.“ Zur Sicherheit fuhren sie aus verschiedenen Richtungen auf verschiedene Parkplätze und parkten mehrere Straßen weiter. Den restlichen Weg legten sie zu Fuß fort. Eine typische Akai-Handlung. Hidemi bewegte sich langsam zum Gebäude hin, achtete auf ihre Umgebung und versuchte sich im Schutz der Dunkelheit zu bewegen. „Camel, wo sind Sie?“, flüsterte sie in das Mikro. „Auf dem Weg.“ Hidemi atmete tief durch und beobachtete die Gegend. Als sie die Umrisse einer Person erkannte, zog sie vorsorglich ihre Waffe. Man merkte, dass das Leben in der Organisation nun ihren Schatten warf. Hidemi veränderte sich. Sie wurde vorsichtiger und machte sich zu viele Gedanken über mögliche Vorkommnisse. „Ich bins“, sprach Camel. „Bereit?“, wollte Kir wissen. Camel nickte. Ihr erstes Ziel waren die Scharfschützen. Zuerst die aufbrausende Chianti, dann der ruhigere Korn. Anschließend sollte es weiter gehen. Camel schlich sich ins Gebäude, lief die Treppen nach oben und positionierten sich auf dem Dach. Im Schutz der trat er an den Rand. Das Gebäude mit Chianti lag direkt vor ihm. Nun durfte er sich keinen Fehler erlauben. Keinen. Alles musste perfekt passen, perfekt sein. Camel hob seine Waffe und schaltete das Licht an dieser an. Ein kleiner roter Punkt kam in der Ferne zum Vorschein. Jetzt musste er nur noch Chianti treffen. Innerlich wünschte er sich Akai her. Shuichi war definitiv ein besserer Schütze. Er war ruhiger und er brauchte nicht die Hilfe des Infrarot-Lichts. Camel beobachtete Chianti einen kurzen Moment über das Fernrohr seiner Waffe. Durch Akai und Bourbon, die genügend Erfahrungen mit der Organisation hatten, wussten sie, wo die sich die beiden Scharfschützen aufhalten würden. Wie sich zeigte war die Einschätzung der beiden Männer richtig. Chianti lag auf der Lauer. Noch bemerkte sie Camel nicht. Er durfte nicht versagen. Nicht jetzt, wo sie an diesem Punkt waren. Camels Hand verkrampfte sich. Er spürte das Zittern. Seine Nerven durften nicht durchdrehen. Er durfte nicht. Die Mission durfte nicht wieder wegen ihm scheitern. Der Agent atmete tief durch und schoss… 20:20 Uhr „Camel?“ „Chianti ist bewusstlos und in unserem Gewahrsam“, erzählte der FBI-Agent, während er sich Blut von der Wange wischte. „Korn war nicht so kooperativ. Nachdem er zu sehr in die Enge getrieben wurde, erschoss er sich selbst.“ „Verstehe.“ „Wie schaut es bei euch aus?“, wollte Camel dann wissen. Seine leichten Verletzungen erwähnte er lieber nicht. „Wir fangen gleich an“, klinkte sich Bourbon ein. „Sorgen Sie dafür, dass sich Chianti nicht in eurer Obhut erschießt. Die Frau kann listig sein.“ „Verstanden.“ Jemand klatschte in die Hände. Sofort blickten die beiden Männer in die Richtung aus der das Geräusch kam. Shuichi verengte die Augen. Da war er. „Gin.“ „Rye. Bourbon. Oder sollte ich lieber Shuichi Akai und Rei Furuya sagen. Wie schön, dass ihr hier her gekommen seid. Leider wird euch das auch nichts mehr nützen.“ „Immer noch der Alte, Gin.“ Shuichi leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Endlich standen sie sich gegenüber. Endlich befanden sie sich an diesem Punkt. „Was musstet ihr uns auch verraten.“ „Du kannst in deiner Zelle darüber jammern“, entgegnete der FBI-Agent ruhig. „Das seh ich nicht so.“ Rei schluckte und blickte zu der zweiten Person, die soeben auftauchte. Seine Kehle schnürte sich zu. Er war also gekommen. Der Mann mit den zweifarbigen Augen. Ein hohes Mitglied. Eines, das direkt unter dem Boss stand und seine Identität kannte. Ihn zu bekommen, war der Traum eines jeden Spitzels. „Rum.“ 21:01 Uhr Blutüberströmt lag Rei Furuya neben seinem Auto. Rum war ein harter Gegner. Er machte es ihm nicht leicht und trotz seiner schusssicheren Weste steckte er so einige Hiebe und Schüsse ein. Rum war gefährlich und ein guter Nahkämpfer. Außerdem kannte er die Schwächen seines Gegners und war sich nicht zu schade dieses einzusetzen. Bourbon rollte sich zur Seite als Rum ihm den Gnadenstoß verpassen wollte. Aus dem Augenwinkel sah er den nächsten Zug seines Gegners. Das würde sein Ende sein. Rum hielt seine Beretta auf Bourbon und fiel anschließend regungslos zu Boden. Langsam versuchte sich Rei aufzurichten. Es war schwer und kostete ihn seine gesamte Kraft. Das Bild vor seinen Augen verschwamm, die Fesseln der Frau, die nun vor ihm stand, nahm er kaum noch war. Rei ließ sich zu Boden sinken. Sein Kopf fühlte sich so schwer an, als er hoch sah. „Ver…mo.u…th.“ „Das ausgerechnet du für die japanische Geheimpolizei arbeitest…“ Sie kniete sich zu ihm runter und hielt ihm den Lauf ihrer Waffe vor das Gesicht. „Was für ein Glück für dich, dass ich dir Rum vom Hals geschafft hab. Ich frage mich, was ich nun mit dir anstellen soll“, sprach sie gespielt nachdenklich „Wie…so?“ „Er hat mich schon immer genervt“, antwortete sie. Vermouth blickte zur Seite. Sie hörte Sirenen. „Wie schön, deine Leute sind bereits auf dem Weg. Du solltest wirklich deine Schusswunden untersuchen lassen. Die an deiner Schulter schaut wirklich böse aus.“ Vermouth stand nun wieder auf. „Wa…rum?“ Sie lächelte leicht, zuckte dann aber mit den Schultern. „Man sieht sich.“ 21:25 Uhr Die Jagd war endlich vorbei. Akai kniete neben Gins Leichnam und sah das Organisationsmitglied an. Mehrfach vergewisserte er sich, dass dieser auch wirklich tot war. Shuichi arbeitete gewissenhaft, an seiner Arbeit gab es nie irgendwas auszusetzen, allerdings musste er nun wirklich sicher sein. Gin in wenigen Wochen wieder zu sehen, glich einer Katastrophe. Beide Männer lieferten sich einen erbitterten Kampf. Es fielen zahlreiche Schüsse, Verletzungen wurden dem jeweils anderen zugefügt. In Shuichis linkem Oberschenkel steckte eine Kugel. Den Schmerz verdrängte er und konzentrierte sich stattdessen auf sein Ziel. Sein Adrenalinpegel war erhöht. Nur so konnte er Gin in ein Gebäude folgen und ihn zur Strecke bringen. Beide Männer standen sich auf dem Dach des Gebäudes endlich gegenüber. Nun gab es kein Entkommen. Einer würde überlegen, einer sterben. Immer wieder schossen sie auf einander und versuchten empfindliche Stellen – Hals, Gesicht, Beine, Arme – zu treffen. Shuichi wusste, dass seine einzige Möglichkeit in Gins Gesicht lag. Er musste es beenden… Nur mühsam stand der FBI-Agent auf. Langsam spürte er den Schmerz im Bein. Dennoch zündete er sich zunächst eine Zigarette an, beugte sich zu Gin herunter und durchsuchte diesen. Aus Gins Manteltasche zog er einen kleinen schwarzen Kasten. Auf dem Display lief ein Countdown langsam nach unten. Er hatte dreizehn Minuten Zeit. Akai schnaubte verächtlich. Der Zünder musste versehentlich aktiviert worden sein. Und es gab keinen Zweifel. Er musste weg. Shuichi ließ den Kasten zu Boden fallen und hievte Gin Körper über seine Schulter. Mit langsamen Schritten bewegte sich der FBI-Agent zur Tür. Im Treppenhaus verlor er für einen kurzen Moment das Gleichgewicht. Gins Körper lag auf der anderen Seite der Tür und Shuichi kniete auf dem Boden. Er atmete durch. Aus dem Augenwinkel sah er nach hinten. Er konnte nur schätzen, wie viel Zeit vergangen war. „Ist Gin tot?“ Shuichi sah nach vorne, direkt in ein schwarzes Loch – den Lauf von Vermouths Waffe. Akai presste die Lippen aufeinander und sah sie einfach nur an. „Das halte ich für ein Ja.“ Vermouth sah an ihm vorbei. „Verstehe.“ Langsam bewegte sich Shuichis Hand mit seiner Waffe nach oben. Die Munition war bereits leer, doch er konnte nicht tatenlos dastehen. „Das würde ich sein lassen“, entgegnete die Schauspielerin. „Du willst doch nicht, dass ich zuerst schieße.“ „Was willst du, Vermouth?“, knurrte er. „Weißt du, es kommt mir wirklich sehr gelegen, dass von Gin nichts mehr übrig ist.“ Als würde keine Gefahr vom Agenten ausgehen, ging sie einfach an ihm vorbei. „Trotzdem wirst du es mir sicher nicht verdenken, wenn ich mich selbst davon überzeuge.“ „Dort fliegt gleich alles in die Luft.“ „Ach wirklich? Hat er sie also doch noch aktiviert? Typisch Gin. Er geht gern mit einem Knall hoch“, schmunzelte sie. „Ich nehme an, du kannst es kaum erwarten, dass ich mit drauf gehe.“ Nun legte sich ein Lächeln auf Akais Gesicht. „Ganz im Gegenteil. Ich verhafte dich lieber.“ „Wegen dem Mord am alten Starling? Ist sie immer noch nicht darüber hinweg gekommen? Arme kleine Jodie.“ Vermouth ging an Gins Leichnam und kontrollierte seine, nicht vorhandene, Atmung. Akai verengte die Augen. „Lass sie aus dem Spiel.“ „Wie du willst“, gab die Schauspielerin von sich. Vermouth ging wieder auf ihn zu. „Ab hier würde ich vorschlagen, dass wir getrennte Wege gehen.“ „Warum sollte ich dich gehen lassen?“ „Hmm…warum wohl…“, antwortete sie gespielt nachdenklich. „Oh, hab ich schon erzählt, dass ich die letzten Tage in New York war? Lebt Jodie nicht mittlerweile dort?“ Shuichi knurrte. „Was hast du getan?“ Vermouth zuckte mit den Schultern. „Das solltest du sie fragen.“ Mit einem Mal schlug sie die Tür zum Dach zu. Mit letzter Kraft fiel Shuichi gegen die Tür. „Mhmm…“, gab er leise von sich. Erst jetzt merkte er, dass seine Schulter auch etwas Abbekommen hatte. Shuichi legte die Hand auf die Türklinke, wollte sie runter drücken und hielt inne. Er dachte an die Bombe. Jetzt Vermouth zu folgen und sie auf dem Dach zu stellen, war Selbstmord. Ungern gab er auf. Und er wusste, dass ihr Plan nicht der Tod war. Akai zischte und bewegte sich auf die Treppen zu. Gerade hatte er die erste Etage geschafft, da explodierte die Bombe. Das Feuer breitete sich schnell aus und nur mit Mühe kam der Agent aus dem Gebäude. „Vermouth ist noch oben.“ „Wir kümmern uns zuerst um deine Wunden.“ „Halb so wild.“ „Der Krankenwagen ist auf dem Weg“, meinte James. Shuichi aber schüttelte nur den Kopf. Ehe James etwas Sagen konnte, humpelte der Agent zurück zu seinem Wagen. Die Strecke war lang und als er endlich das Auto sah, stand ihm die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Überrascht blickte er auf den Briefumschlag, der zwischen den Scheibenwischern steckte. Langsam nahm er ihn heraus, öffnete seine Wagentür, setzte sich und öffnete den Brief. Er war auf das Schlimmste gefasst. Vermouth sprach von Jodie und so konnte der Agent nur Vermutungen anstellen. In seinem Inneren breitete sich zum ersten Mal, seit sie aktiv gegen die Organisation vorgingen, eine Unruhe aus. Was wenn sie ihm ein Bild der toten Jodie schickte? Akai schluckte und zog langsam das Blatt Papier heraus. Was er da erblickte, verwunderte ihn. Zwei Seiten, mit je drei Spalten, bespickt mit Namen. Namen, die er schon einmal hörte, aber in jenem Moment nicht einzuordnen vermochte. Ganz unten standen zwei, ihm wohlbekannte Namen. Und plötzlich wusste er, was er gerade in seinen Händen hielt. Akemi Miyano. Dai Moroboshi. Eine komplette Liste mit Namen von Organisationsmitgliedern. Sowohl kleine Fische als auch die Hintermänner. Nur zwei Namen tauchten nicht auf. Weder Sharon Vineyard als auch Chris Vineyard waren nicht aufgeführt. Shuichi schnaubte. Natürlich. Warum sollte sie auch sich selber an den Pranger stellen und Gefahr laufen, verhaftet zu werden. Shuichi überflog die Liste. Von unten nach oben. Dann von oben nach unten. Überrascht stellte er fest, dass Vermouth, die wohl für die Liste verantwortlich war, die Decknamen der Spitzel verwandte. Keiner würde Shuichi Akai oder Rei Furuya mit Dai Moroboshi bzw. Torou Amuro in Verbindung bringen. Sie waren sicher. Ganz oben aber stand ein besonderer Name. Ein einziger. Mit einem roten Lippenstift war er umkreist. Akai war sich sicher. Das war der Boss. Der Mann, der die Fäden zog und der Organisation ihre Aufträge gab. Der Mann mit dem Alles anfing und mit dem es nun endete. Nun endlich hatten sie seinen Namen. Ein Schwall von Erleichterung überkam den FBI-Agenten und für einen Augenblick genoss er die Ruhe. Dann wurde alles schwarz. Kapitel 7: Vermouth ------------------- Shuichi Akai öffnete langsam seine Augen. Sein Arm und sein Bein schmerzten. Selbst sein Kopf dröhnte. Langsam erkannte der FBI-Agent die Konturen besser. Shuichi schloss die Augen und öffnete sie wenige Sekunden später wieder. Es war lange her, dass er selbst als Patient im Krankenhaus lag. Sehr lange. „James?“, fragte er leise. Seine Stimme schien eingerostet. „Was ist passiert?“ Erleichtert blickte James seinen Mitarbeiter an. Er saß auf dem Stuhl vor dem Krankenbett und lächelte. Zum Glück erwachte Akai. Endlich. Denn wie hätte er Jodie sonst die Situation erklären sollen? Eigentlich wollte er sie direkt am Abend anrufen. Die Umstände änderten sich und der Anruf blieb aus. „Wir fanden dich in deinem Wagen“, fing James an. „Nachdem dich das Adrenalin verlassen hat, bist du zusammen gesackt.“ „Verstehe…“ „Du lagst zwei Tage lang im künstlichen Koma. Aber mach dir keine Gedanken. Die Schusswunde im Bein ist nicht so schlimm und deine Schulter wird auch schon wieder werden.“ „Jodie?“ „Es geht ihr gut“, antwortete James ruhig. „Nein…Vermouth war bei ihr vor einigen Tagen oder Wochen.“ James schüttelte den Kopf. „Jodie geht es gut. Ich hab in den letzten Wochen mit ihr gesprochen. Vermouth war definitiv nicht bei ihr.“ Erleichterung durchzog den Agenten. Auf der anderen Seite ärgerte er sich, dass er auf diesen Bluff herein fiel und sein Herz in jenem Moment schneller schlug. „Was ist mit der Liste?“, wollte Akai wissen. „Unsere Männer haben zusammen mit der japanischen Geheimpolizei den Großteil bereits verhaftet.“ „Was ist mit dem Boss?“ „Die japanische Geheimpolizei hat ihn in Untersuchungshaft festgesetzt.“ „Gut“, murmelte Akai. „Vermouth war auf dem Dach. Was ist mit ihr passiert?“ „Nachdem das Feuer gelöscht werden konnte, fanden wir nur eine Leiche.“ „Gin.“ James nickte. „Wir wissen nicht, wie sie es geschafft hat, aber sie ist entkommen.“ Shuichi überlegte. „Fallschirm.“ „Das wäre sehr gut möglich“, stimmte James zu. „Bourbon…nein…Furuya sagte, dass sie die ganze Zeit über Andeutungen machte, frei zu sein. Er nimmt auch an, dass sie seit längerem den Plan verfolgte aus der Organisation zu entkommen, ohne dass sie nach ihr suchen.“ „Und natürlich steht ihr Name deswegen auch nicht auf der Liste“, gab Akai verächtlich von sich. „Ohne einen triftigen Grund können wir sie dann wohl nicht verhaften. Und selbst wenn wir sie mit den Geschehnissen hier in Verbindung bringen, würde es in den Staaten einen Eklat geben.“ Leise seufzte James auf. „Das heißt auch, dass die Beweise, die Jodie so mühsam zusammengetragen hat, für die Katz sind. Ihre ganze Arbeit war umsonst…“ James verschränkte die Arme. „Sollten wir sie doch verwenden, müssen wir offen zugeben, Kenntnisse über ein Mittel gehabt zu haben, dass in der Lage ist einen Menschen zu verjüngen.“ „Dann stünde dein Telefon nicht mehr still.“ Shuichi hielt es nicht lange im Krankenhaus aus. Rumliegen. Wunden lecken. Ruhig sein. Das konnte er auch zu Hause, wenn es kein Zwang war. Ginge es nach dem Agenten, wäre er zwei Stunden nach seinem Aufwachen bereits auf dem Weg in die Villa und würde dort seine Sachen packen. Wahrscheinlich wartete Conan bereits und wollte eine Erklärung. Er konnte sich den Blick des Grundschülers sehr gut vorstellen. Obwohl Conan viel über die Organisation wusste und im finalen Kampf dabei sein wollte, sah der FBI-Agent keinen anderen Weg. Akai zog ungern einen Außenstehenden in den Kampf mit rein. Auch wenn Conan gut war, in einer Gefahrensituation konnte er ihn nicht schützen. Das gleiche galt für Masumi. Seine kleine Schwester wollte ebenfalls unbedingt dabei sein. Beide Schüler wurden von ihm betäubt und in Sicherheit gebracht. Conan kam zu Professor Agasa, während er Masumi in die Obhut ihres gemeinsamen Bruders gab. Je weniger Mitglieder der Familie involviert waren umso besser. Shuichi hasste es, wenn er nichts tun konnte oder durfte. Es sich einfach nur gut gehen lassen, gehörte nicht zu seinen Stärken. Wenn Jodie wenigstens da wäre. Shu, jetzt bleib liegen und ruh dich endlich aus! Er sah sie direkt vor sich. Jodie hätte ihre Arme in die Seite gestemmt, ihren bösen Blick – der eher lustig war – aufgesetzt und würde ihn immer wieder darauf hinweisen, dass er sich gefälligst ausruhen und erholen sollte. Mit Jodie wäre die Zeit wie im Fluge vergangen. Sie hätte sich um alles gekümmert, wäre mit dem Essen und Trinken reingekommen und wusste genau, was er brauchte. Nachdem er die Langeweile nicht mehr aushielt, wanderte der Agent nach zwei Tagen bereits durch den Flur des Krankenhauses. „Herr Akai?“ Shuichi blickte nach hinten. Die Krankenschwester – Aiko, wie er kurz vor seiner Entlassung heraus fand – sah ihn skeptisch an. Etwas an ihr erinnerte ihn an Jodie. Wie seine Kollegin hatte sie die Arme in die Seite gestemmt und musterte ihn. „Sie sollen sich doch in Ihrem Zimmer ausruhen“, mahnte sie ihn. Shuichi warf ihr einen missgünstigen Blick zu. „In welchem Zimmer liegt Furuya?“ „Furuya?“, wiederholte sie. „Rei Furuya.“ „Es tut mir leid, aber ich darf keine Auskunft über andere Patienten geben“, antwortete sie. „Dann halt nicht.“ Akai verdrehte die Augen und ging weiter. Er kam nur mühsam vorwärts. Noch immer schmerzte sein Bein, aber das würde den Agenten nicht aufhalten. Akai stoppte und lehnte sich gegen die Wand. Aus der Hosentasche seines Trainingsanzugs – natürlich trug er keinen Krankenhauskittel – zog er sein Handy heraus und wählte, die letzte, ihm bekannte Nummer von Rei. „Furuya“, sprach dieser in sein Handy. „Akai hier. In welchem Zimmer liegst du?“ Rei schwieg. „Wird’s bald?“ „245, zweite Etage, Trakt B.“ „Gut.“ Akai legte auf und ging wieder zurück. Warum konnte ihm auch keiner sagen, dass das ehemalige Organisationsmitglied nur zwei Zimmer neben seinem lag? Ohne anzuklopfen trat Akai in das Zimmer. Er sah sich um. Wie nicht anders erwartet, lag Rei in einem Einzelzimmer. „Ich hätte es mir denken können“, meinte der junge Mann und setzte sich auf. Shuichi musterte ihn und bemerkte den Verband um seinen Kopf. Man sah, dass der Kampf auch für ihn nicht einfach war. „Wie geht’s dir?“ „Wird schon. Rum hat mir ein wenig zugesetzt, aber im Vergleich zu ihm, hab ich es überlebt“, antwortete er. „Willst du mir wirklich weis machen, dass du hier bist, weil du dich nach meinem Befinden erkundigen willst? Dafür hättest du auch deinen Boss fragen können.“ Shuichi grinste und setzte sich auf den Stuhl, der vor Furuyas Bett stand. „Hattest du Besuch?“ „Was interessiert dich das?“, wollte der Polizist wissen. „Wenn es sich dabei um eine gewisse Schauspielerin handelt, dann geht es mich sehr wohl was an.“ „Tja, dann muss ich dich enttäuschen. Sie hat mich nicht besucht. Und ich wüsste auch nicht, was für einen Grund sie dafür hätte. Mittlerweile müsstest du doch auch wissen, wie sie tickt. Wir haben zwar eine ganze Weile zusammen gearbeitet, aber das heißt nicht, dass ich ihr irgendwas bedeute.“ Rei überlegte. „Ich weiß nicht einmal, warum sie mich vor Rum gerettet hat. Wahrscheinlich wollte sie ihn einfach nur loswerden und ist bereits über alle Berge“, entgegnete er ruhig. „Warum war sie in New York?“ Überrascht sah Rei auf den FBI-Agenten. „Hmm? Ach ja, das“, sprach er. „Nachdem deine Kollegin ihren Ausraster im Café hatte, wollte ich wissen, was für Pläne das FBI hat“, erzählte er. Shuichi verengte die Augen. „Aus dem Grund hab ich Vermouth gebeten, sich mal in den Staaten umzuhören. Im Vergleich zu mir, hatte sie es leichter dorthin zu kommen und wieder zurück. Du solltest froh sein, dass sie geflogen ist und kein anderer, wie Chianti oder Gin.“ „Was hat sie dort mit Jodie gemacht?“, wollte Shu dann wissen. „Was weiß ich. Sie erzählt mir auch nicht alles. Der Plan bestand darin Jodie Starling zu beobachten und in Erfahrung zu bringen, was sie in den Staaten tut.“ Rei räusperte sich. „Sie kam aber ohne Erkenntnisse zurück“, fügte er an. „Mhm…“ „Naja bis auf eine Sache.“ „Die da wäre?“ „Sie hat das Handtuch geworfen.“ „Was?“ Shuichi sah ihn schockiert an. Nein, das klang nicht nach Jodie. Das war nicht die Frau, die er kannte und schätzte. Das konnte nur eine Lüge sein. Nie im Leben würde Jodie so handeln. Nicht ohne Grund. Jodie verließ zwar Japan, aber gleich ganz aufhören? Das konnte nicht sein. „Du wusstest das nicht?“ Rei hob fragend die Augenbraue. „Vielleicht solltest du mit ihr reden.“ Shuichi knurrte leise. „Wer ist Reiji?“ Den Namen fand er nicht auf der Liste. Aber das musste nichts heißen. „Reiji?“ Er dachte nach. „Keine Ahnung. Ein Freund? Bekannter?“ „Du kennst ihn wirklich nicht?“, wollte Akai dann wissen. Rei verdrehte die Augen. „Das sagte ich doch.“ Shuichi stand auf. „Wenn ich heraus finde, dass du gelogen hast und Vermouth oder dieser Reiji ihr irgendwas angetan hat, bring ich dich um.“ „So wie Scotch damals?“ Shuichi schnalzte mit der Zunge. „Wie du, musste auch ich damals Opfer bringen um meinen Aufenthalt in der Organisation nicht zu gefährden.“ „Du hast ihn also nur benutzt“, gab Rei von sich. „Wann wusstest du von seiner Zugehörigkeit zu uns?“ Shuichi ging schweigend zur Tür. Aus dem Augenwinkel sah er zu dem Agenten. „Nachdem er tot war. Eigentlich hielt ich ja viel eher dich für den Spitzel. Du glaubst nicht, wie verwundert ich damals war“, entgegnete Akai ruhig. „Danach kam mir allerdings der Gedanke, dass zwei Polizisten eingeschleust wurden. Trotzdem hab ich seine wahre Identität verschleiert und der Organisation nur die Information über seine Zugehörigkeit zugespielt.“ Rei ballte die Faust. Er hasste ihn dafür. Scotch war nicht nur ein Kollege, sie waren beste Freunde und zusammen aufgewachsen. Familie. Und Akai nahm sie ihm. „Warum hast du ihn erschossen? Was hat er dir getan? Wusste er wer du bist?“, wollte Rei wissen. Shuichi sah die graue Tür einfach nur an. Er schloss seine Augen und ging die Szene noch einmal im Kopf durch. „Ich war noch nicht lange in der Organisation und mit Scotch unterwegs“, fing der FBI-Agent an. „An dem Tag sprach mich meine kleine Schwester am Bahnhof an. Ich konnte die Situation soweit entschärfen, dass sie meine Identität nicht preis gab. Unglücklicherweise sprach sie mich am Ende mit meinem richtigen Namen an. Scotch hatte es natürlich mitbekommen und konnte eins und eins zusammen zählen. Ehe er mich erledigen konnte, hab ich ihn erledigt. Glaub mir, Furuya, hätte ich gewusst, dass wir auf der gleichen Seite agieren, hätte ich ihn am Leben gelassen und mit ihm kooperiert.“ Shuichi öffnete die Tür und sah kurz zu Rei. „Ich hoffe, du kannst es mir eines Tages verzeihen, denn ich möchte dich wirklich nicht zum Feind haben.“ Ohne ihm Zeit zu lassen, trat Akai aus dem Zimmer und schloss die Tür. „Akai.“ Shuichi blickte zu James. „Solltest du dich nicht in deinem Zimmer erholen?“, wollte er wissen. „Hast du was von Jodie gehört?“, fragte Akai. „Alles in Ordnung bei ihr“, log James. „Gut.“ Shuichi ging an ihm vorbei und suchte sein Zimmer auf. Die Zeit war gekommen. Er musste nach Hause zurück. Es klopfte an der Tür. „Herein.“ James trat ein. „Ich hoffe, ich störe nicht.“ „Mr. Black. Was verschafft mir die Ehre? Ich nehme an, Sie sind nicht hier um sich nach meinem Befinden zu erkundigen.“ „Gewiss nicht. Ich stehe mit Ihrem Vorgesetzten darüber in Verbindung. Es geht um Akai“, räusperte er sich. „Ich kenne seine Geschichte mit Ihnen.“ „Da läuft der Hase also. Und nun machen Sie sich Sorgen, dass ich immer noch Rache an Ihrem besten Mann üben will“, schlussfolger Rei. James nickte. „Dann sollten Sie ihre Sorgen beiseite schieben. So sehr ich ihn auch ausliefern würde, für mich gibt es momentan keinen Grund dafür. Und selbst wenn, die Taten, die er im Auftrag der Organisation begehen musste, sind nicht nachweisbar. Wie ich ihn einschätze, wird er sie auch sicherlich nicht freiwillig zugeben.“ „Gut, dann haben wir das ja geklärt“, meinte James und runzelte die Stirn. „Warum haben Sie Vermouth in die Staaten geschickt?“ „Hm? Hat sich das also rumgesprochen“, kam es von Furuya. „Es war doch klar, dass ich nach Ihrer Szene Nachforschungen anstelle. Und Vermouth war doch die bessere Wahl, finden Sie nicht auch?“ Ein ungutes Gefühl breitete sich in James aus. „Was wissen Sie?“ „Ich weiß, dass Agent Starling ihren Job an den Nagel gehangen hat. Und ich weiß auch, dass keiner von euch mitbekam, dass Vermouth in den Staaten war.“ „Furuya!“ „Ganz ruhig, Mr. Black. Weder Vermouth noch ich haben die Wahrheit über Agent Starling an die Organisation weiter gegeben“, entgegnete er. „Aber ich muss wirklich sagen, wir beide waren sehr verwundert, als wir von der Schwangerschaft ihrer Mitarbeiterin erfuhren. Es war ein geschickter Schachzug diese in die Staaten zu schicken. Selbst wenn ihre Schwangerschaft in Japan bekannt geworden wäre, da die Organisation keinen Zweifel an Akais Tod hatte, würde er nicht als Vater infrage kommen. Außer natürlich, wenn er noch leben würde. Natürlich stünde dann die Frage im Raum, ob Akai sich von Jodie ferngehalten hätte. Wahrscheinlich nicht…so als werdender Vater. Aber ich nehme an, dass sie ihre Schwangerschaft auch vor ihm geheim hielt. Und ja, sowohl Vermouth als auch ich wissen, dass er der Vater ist. Man erkennt die Ähnlichkeit und sein japanischer Name ist noch ein weiterer Anhaltspunkt.“ James schwieg, verschränkte aber die Arme und musterte seinen Gegenüber. „Wie gesagt, keiner weiß von der Existenz des Kindes außer mir und Vermouth. Und zumindest ich bin nicht in der Lage ein unschuldiges Kind in den Kampf hineinzuziehen.“ „Was hat Vermouth nun vor?“, wollte James wissen. „Ich habe keine Ahnung. Dafür müssen Sie schon mit ihr reden. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie einfach nur ihre Ruhe haben will und nicht mehr vom FBI gejagt werden will. Aber wie gesagt, dafür müssen Sie selbst mit ihr sprechen. Ihre eigenen Worte dazu waren: Wenn sie mich in Ruhe lässt, lasse ich sie auch in Ruhe. Es hängt also ganz von Ihrer Agentin ab, was nun passiert. Vielleicht sollten Sie diese anrufen und ihr von Vermouth erzählen. Nicht, dass sie noch etwas Unbedachtes tut.“ James runzelte nachdenklich die Stirn, nickte dann aber. „Hat sie vor es ihm zu sagen.“ „Wenn die Geschichte mit der Organisation zu Ende ist.“ „Was für ein Glück. Lassen Sie mich raten, sie will es nicht am Telefon besprechen. Naja…Akai kann ja demnächst zurück fliegen.“ „Was er tut und was er nicht tut, ist allein seine Entscheidung.“ Shuichi blickte die Decke an. Das Rumliegen lag ihm wirklich nicht. Es war verschwendete Zeit. Zeit, die er anders nutzen konnte und nutzen wollte. Aber nein, alle sahen es anders. Alle wollten, dass er sich langweilte. Akai seufzte. Lieber wäre er draußen und würde einige Hintermänner verhaften oder noch besser, Vermouth jagen. Nach so vielen Jahren war es vorbei. Shiho war in Sicherheit und würde demnächst wieder einem geregelten Leben nachgehen. Noch immer war sie zwar ein kleines Mädchen, bekam aber vom FBI sowie von der japanischen Geheimpolizei sämtliches Material, wie auch ein Labor, zur Verfügung gestellt. So konnte sie ihre Forschungen weiter vorantreiben und ein Gegenmittel entwickeln. Danach stünde ihr alles offen. Die Organisation selber befand sich mittlerweile größtenteils in Sicherheitsverwahrung. Um die japanischen Mitglieder und Hintermänner kümmerte sich Furuyas Team. Die amerikanischen Staatsbürger, auch wenn sie sich in Japan aufhielten, wurden von dem FBI oder dem CIA festgesetzt. Und dann gab es jene Mitglieder, die lieber starben als sich festsetzen zu lassen. Es war ein Nachteil, aber nicht jeder Bösewicht konnte gerettet und seiner gerechten Strafe zugeführt werden. Nur Vermouth blieb übrig. Sie war wieder entkommen, verschwunden wie eine Katze in der Dunkelheit. Es ärgerte ihn. Nach allem was er tat, was er aufgab, war sie immer noch auf freiem Fuß. Shuichi wusste, dass es nun nicht einfach werden würde. Vermouth hatte vorgesorgt. Shuichi ballte die Faust und schlug damit in die Matratze. Er konnte sein Versprechen nicht erfüllen. Sie würde immer noch als Schatten über Jodies Leben liegen. Wie sollte er Jodie sein Versagen erklären? Und wie sollte er sie glücklich machen, wenn die Frau immer noch gehen konnte, wohin sie wollte. Für einen kurzen Moment war er ihrer Verhaftung so nah und dann entkam sie ihm. Erneut. Die Schicht dauerte länger als geplant. Müde kam Shuichi Akai im New Yorker Hauptquartier an. Sein Informant erwies sich als falsche Quelle. Bereits Wochen waren sie auf der Suche nach Mitgliedern der Organisation in Staaten und kamen nicht weiter. Ausgerechnet Jodie gelang vor einiger Zeit der Durchbruch. Nur durch einen Zufall konnte sie Chris Vineyard als Mitglied der Organisation ausmachen. Während Jodie die Beweise weiter zusammen sammelte, suchte er nach weiteren Mitgliedern. Und tatsächlich gelang es Jodie Vermouth mit einem Mord in Verbindung zu bringen. Selbst die Beweise sprachen gegen sie, wäre da nicht eine Kleinigkeit. Überrascht stellte Akai fest, dass Jodie nicht an ihrem Arbeitsplatz saß. Es war nicht typisch für sie. Da sie das Büro teilten, hatten sie die gleichen Arbeitszeiten und kümmerten sich oft um die gleichen Fälle. Selbst wenn Shuichi im Außendienst war, wartete sie solange im Büro auf ihn. Teils weil sie mit ihm nach Hause wollte, teils aber auch, weil sie sicher sein wollte, dass es ihm auch gut ging und er nicht verletzt wurde. Seine Alarmglocken schrillten auf. Nicht einmal ein Zettel lag auf ihrem oder seinem Platz. Irgendwas stimmte da nicht. Das Klopfen der Tür riss ihn aus den Gedanken. „Herein.“ James kam rein, sah sich um und blinzelte verwirrt. „Wo ist Jodie?“, wollte er wissen. Shuichi zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich zu Hause.“ „Hmmm…“, murmelte James. Man sah, dass ihm die Antwort seines Mitarbeiters nicht behagte. „Ist irgendwas passiert?“, fragte Akai direkt heraus. „Nein, nein. Ich wollte nur nach ihr sehen.“ James sah kurz auf seine Armbanduhr. „Sie sollten jetzt auch Feierabend machen. Kommen Sie gut nach Hause.“ Akai nickte. „Mr. Black?“ „Ja?“ „Sie kommen nicht ohne Grund hier her.“ Shuichi verengte die Augen. „Wenn mit meiner Partnerin etwas nicht stimmt, habe ich ein Recht die Wahrheit zu kennen“, sprach er. James räusperte sich. „Machen Sie sich keine Gedanken. Sollte etwas nicht mit Jodie stimmen, wären Sie der erste, der informiert wird.“ Akai nickte. „Gut. Dann geh ich jetzt.“ Mit einer Zigarette im Mund ging er an James vorbei. Etwas an dessen Reaktion passte nicht. James wirkte besorgt, wollte aber nicht sagen, um was es ging. Akai war nicht dumm. Natürlich fragte er nicht nach, wenn die Chance eine Antwort zu erhalten, gering bis gar nicht vorhanden war. Shuichi ging zu seinem Wagen und fuhr zu der Wohnung von Jodie. Noch bevor sie ein Paar wurden, schob sie ihm ihren Wohnungsschlüssel entgegen. Zur Sicherheit, hatte sie damals gesagt. Als Partner musste man einander vertrauen und in Notfallsituationen immer einen Weg in die Wohnung des anderen finden. Bislang nutzte er den Schlüssel nicht. Nicht einmal wenn er sie besuchte. Shuichi stand vor Jodies Tür und zog seinen Schlüssel heraus. Er schloss die Tür auf und ging rein. Die Wohnung war dunkel und es sah aus, dass keiner zu Hause war. Wäre da nicht das Licht das aus dem Schlafzimmer schimmerte. Vorsichtig, aber auch wachsam folgte er dem Licht. Shuichi trat in den Raum und sah Jodie, in den Armen ein Fotoalbum, auf dem Bett liegend und weinen. Einen langen Moment sah er sie an. Weinen. Er mochte es nicht. Innerlich fühlte er sich in solchen Situationen überfordert und wusste nicht, wie er die Person trösten sollte. Bei Personen, die ihm näher standen, war es noch einmal um etliches schwerer. Shuichi atmete tief durch und setzte sich zu ihr aufs Bett. „Hey…“ Sachte legte er seine Hand auf ihre Schulter und rieb diese kurz. „Was ist passiert?“, wollte er wissen. Jodie blickte hoch zu ihm. Ihr Gesicht und vor allem ihre Augen waren rot. „H…heute…Dad…sei…sein…T…To…To…“ „Todestag?“ Jodie nickte und schluchzte laut, während sie sich langsam aufsetzte. Mit dem Ärmel wischte sie sich die Tränen weg. Sie wollte wieder stark sein, fühlte sich aber wie das kleine Mädchen von damals. Shuichi konnte nicht anders und zog sie in seine Arme. Er schwieg. „S…sie…sie hat…ihn…ihn um…umgebracht…“ Sachte strich Shu ihr über den Rücken. „Ich weiß. Wir finden sie. Ich finde sie. Ich werde sie festnehmen und ihrer gerechten Strafe zuführen. Ich versprech es dir.“ Kapitel 8: Vergangenheit ------------------------ Selbstsicher und gelassen stolzierte Chris Vineyard zum Ausgang, während sie einen kleinen Koffer hinter sich her zog. Sie war frei. Nicht mehr in der Organisation gefangen und auch nicht mehr dazu verpflichtet, dass zu tun, was der Boss gelegentlich von ihr erwartete. Auch musste sie nicht mehr mit den verschiedenen Mitgliedern zusammen arbeiten und schreckliche Dinge tun. Obwohl sie sich nie ihre Gefühle anmerken ließ, gab es genügend Aufträge, die selbst für sie an der Grenze lagen oder die zu haart waren. Und trotzdem hatte sie keine andere Wahl. Wobei das gelogen war. Natürlich hatte sie eine Wahl. Ja und ein schönes Leben lag vor ihr. Nein und in ihrer Stirn steckte eine Kugel. Unter den Umständen war die Entscheidung schnell getroffen. Wenigstens jetzt hatte sie ihr Leben endlich wieder zurück und konnte damit beginnen die letzten Jahre zu vergessen. Jetzt konnte sie endlich altern ohne Gefahr zu laufen als Versuchskaninchen zu enden. Schon damals zwang der Boss der Organisation sie zu der Einnahme eines ganz besonderen Mittels. Die Miyanos – bestehend aus Elena und Atsushi, zwei wohl bekannte Wissenschaftler – entwickelten ein ganz besonderes Präparat. Ein Präparat, welches die Welt revolutionieren sollte. Und sie war die erste Person, die mit diesem in Berührung kam. Sie erinnerte sich als wäre es erst gestern gewesen, als er zu ihr kam während sie wie ein Häufchen Elend am Boden lag, sich krümmte und auf den Tod hoffte. Die Verjüngung hatte ihren Preis. Ihr Körper schmerzte so sehr, dass sie die Bewusstlosigkeit erlangte. Und als sie schließlich wach wurde, fühlte sie sich benutzt. Wie ein Tier starrten sie alle an, musterten sie und gaben schließlich die positive Wirkung des Mittels bekannt. Sharon, wie sie damals genannt wurde, schlang ihre dünnen Arme um ihren Körper und wollte einfach nur noch raus. Es war sein Versprechen. Der Boss wusste genau, wie man seine Mitarbeiter lockte. Er versprach ihr die Freiheit. Dafür musste sie nur das Versuchskaninchen spielen. Der Boss war unberechenbar und seine wahren Gründe waren auch ihr unbekannt. Je weiter die Forschungen gingen, desto mehr wollte er. Ewiges Leben. Unverwundbarkeit. Ewigkeit. Sharon war für zwei Stunden frei. Und selbst in dieser Zeit befand sie sich noch in den Armen der Organisation. Umziehen, fertig machen und gehen dauerte. Wäre sie damals schneller gewesen, wäre möglicherweise alles anders gekommen. Als die Schauspielerin seinerzeit ins Büro des Bosses gebracht wurde, sah sie den schmerzverzehrten Körper eines Wissenschaftlers vor sich. Auch er nahm das Mittel ein und starb. Natürlich hatten die Miyanos eine Erklärung für alles. Der genetische Code. Er war der Schlüssel. Und Chris – wie der Boss sie taufte – stand ganz oben in seiner Gunst. Sie wurde sein Liebling und bekam alle möglichen Freiheiten. Chris konnte agieren wie sie wollte, Fehler machen und wurde doch nicht bestraft. Und das nur, weil sie überlebte. Überleben. Es ging immer nur ums Überleben. Der Boss. Gin. Chianti. Korn. Rum. Akai. Ihnen allen war sie entkommen. Nur für Bourbon tat es ihr leid. Obwohl er ein Spitzel war – und damit nicht auf der Organisationsliste stand – arbeitete sie gern mit ihm zusammen. Er war eine Abwechslung zu den sonstigen Mitgliedern wie Gin oder Chianti. Aber da auch er sie jagte, konnte sie sich keine Gefühlsduselei erlauben. Und in den Staaten besaß er keine Handhabe gegen sie. Chris sah sich draußen um. Kein Wagen, der auf sie wartete. Keine Paparazzos, die versuchten Bilder zu schießen und keine Polizei, kein FBI oder CIA, welches sie in Gewahrsam nehmen wollte. Nicht einmal Organisationsmitglieder, die sie erledigen wollten. Es war ein gutes Zeichen. Die Schauspielerin schmunzelte, während sie sich ihre schwarze Sonnenbrille aufsetzte und weiter ging. Ein Taxifahrer blinzelte sie überrascht an, aber Chris schenkte ihm nur ein müdes Lächeln. *** Jodie gähnte. Mit langsamen Schritten schob sie Reiji im Kinderwagen durch den Park. Nun war es so weit. Die Tage, an denen sich die Müdigkeit in Jodies Leben schlich, häuften sich. Reiji fing mit den Koliken an, schrie oft in der Nacht und weinte sich die Seele aus dem Leib, bis er irgendwann in ihren Armen einschlief. Trotzdem war er tagsüber sehr aktiv. So wie nun auch. Die Decke, die um ihn lag, strampelte er mit den Beinen weg und gab undefinierte Laute von sich. Jodie musste schmunzeln, beugte sich zu ihm und strich ihm über die Wange. „Gefällt dir das?“, wollte sie von ihm wissen. Wieder antwortete Reiji mit einigen Lauten. Jodie lächelte herzhaft. Vor einigen Monaten konnte sie sich das Mutter-Dasein überhaupt nicht vorstellen und dachte, dass sich nichts ändern würde. Bücher und Dokumentationen zeigten so viel auf und Jodie hatte von Anfang an das Gefühl, alles falsch zu machen. Jetzt wo Reiji aber da war, blühte sie in der Mutterrolle auf. Sie liebte die Herausforderung und vor allem die Zeit, die sie mit ihrem kleinen Sohn hatte. Obwohl wenig Zeit verging, kam es ihr vor, als wäre diese mit Lichtgeschwindigkeit an ihr vorbei gezogen. Jodie schob den Kinderwagen weiter und sah kurz nach oben an den Himmel. Zum Glück spielte das Wetter mit und sie musste sich keine Sorgen machen, dass Reiji möglicherweise krank wurde. Und selbst wenn, dann war es eben so und sie würde ihren kleinen Liebling pflegen. Jodie blickte wieder auf den Kleinen. Obwohl sie nicht mehr beim FBI arbeitete, hielt sie die Augen offen. Seit James Offenbarung waren Monate ins Land gezogen. Und wenn sie von ihrem ehemaligen Boss hörte, redeten sie immer weniger über die Organisation. Wie gern hätte Jodie in Japan angerufen und nachgefragt. Shuichi anzurufen war noch immer gefährlich. Camel würde wie immer Rücksicht auf ihre Gefühle nehmen und sich bedeckt halten. Und James…James würde zuerst das Für und Wider abwägen, das nötigste erwähnen und das Gespräch erneut auf Reiji und seine Veränderungen lenken. Unglücklicherweise lief er damit Türen bei Jodie ein. Reiji legte einen Schalter in ihr um und auch wenn sie es gar nicht wollte, konnte sie gar nicht aufhören über ihren Sohn zu sprechen. Auch wenn Jodie bei jedem einzelnen Telefonat das Gefühl bekam, alles bereits dreimal erzählt zu haben, tat sie es beim nächsten Mal erneut. Und auch das Ende der Gespräche mit James ähnelte sich. Wann willst du Akai von Reiji erzählen? Natürlich war die Frage berechtigt. Aber sie konnte nicht einfach so die Wahrheit in die Runde werfen und hoffen, dass sich nichts änderte. Eigentlich schob Jodie es ungern auf. Je mehr Zeit verging, desto schwerer würde es werden. Aber was sollte sie sonst tun? Sollte sie Shu anrufen und ganz nebenbei seinen Sohn erwähnen? Oder ihm einfach ein Foto von dem Kleinen schicken? Selbst James musste zugeben, dass das Telefon keine gute Wahl war. Ein vier-Augen oder ein sechs-Augen Gespräch war mindestens nötig. Nur konnte Jodie schlecht mit Reiji nach Japan fliegen. Und auch Shu konnte sich nicht einfach so in den Flieger setzen und in die Staaten kommen. Jodie wusste, dass noch Jahre vergehen konnten, ehe die Organisation endlich vernichtet wurde. Wollte der konnte sie noch solange warten? Konnte sie Reiji ein Leben ohne Vater zumuten? Jodie seufzte leise. „Hach mein Kleiner“, murmelte sie leise. „Wann soll ich dem Papa von dir erzählen?“, wollte sie von Reiji wissen. Reiji gluckste. „Ja, ich hab das Klingeln ja auch gehört“, fügte sie an und steuerte die nächste Bank an. Sie stellte den Kinderwagen neben dieser ab und betätigte die Bremsen, ehe sie sich setzte und das Handy heraus zog. James Jodie runzelte die Stirn. Der letzte Anruf war nicht lange her. Und doch überkam sie ein ungutes Gefühl. Ein Gefühl, welches ihr ständiger Begleiter war, sobald ein Anruf aus Japan kam. Jodie atmete tief durch und nahm den Anruf schließlich entgegen. „Jodie hier.“ „Ich bins, James. Wie geht’s dir?“, wollte er wissen. „Ach ganz gut“, antwortete Jodie angespannt. Sie warf einen kurzen Blick auf Reiji und hielt ihm dann den Schnuller hin. Bei den leisen Geräuschen die er machte, lächelte sie. „Wir sind gerade im Park und gehen ein wenig spazieren“, fügte sie an. „Wenn ich euch störe, kann ich auch noch später anrufen.“ „Ach quatsch. Du störst doch nicht“, entgegnete Jodie sofort. „Wie geht’s Reiji?“ Jodie lehnte sich nach hinten. „Ganz gut. Du glaubst ja nicht wie niedlich er ist. Eigentlich muss ich dir mal ein Bild von ihm schicken“, fing Jodie an. „Und du glaubst ja nicht, wie kräftig er mit den Füßen strampelt. Manchmal hab ich das Gefühl, ich hab hier einen kleinen Fußballer bei mir.“ James kicherte. „Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Reiji ist bestimmt ein sehr aktives Baby und hält dich den ganzen Tag auf Trab.“ „Oh ja, das kannst du laut sagen. Aber er hält mich jetzt auch in der Nacht wieder stärker war. Aber das wird schon wieder.“ „Das glaub ich dir gern. Er hat schließlich Akais Gene.“ Jodie schluckte. „James? Wie geht es ihm?“ Der Agent schwieg für einen Moment. „James? Was ist los? Bitte…sag mir die Wahrheit.“ „Es tut mir leid, dass ich dich nicht bereits informiert habe“, fing er an. „Aber zu meiner Verteidigung, ich hielt es für das Beste erst anzurufen, wenn die ganze Sache geregelt ist.“ „Okay…James…du machst mich gerade sehr nervös.“ „Nachdem Akais Identität aufflog, dauerte es nicht lange, bis Rum die Wahrheit über Bourbon heraus fand. Wir mussten handeln, Jodie. Akai und Furuya arbeiteten zusammen einen Schlachtplan aus“, fing James an. „Der Plan sah vor, dass sie zuerst die Scharfschützen ausschalten. Chianti konnte festgesetzt werden, Korn hingegen erschoss sich selbst.“ „Ja…gut…das versteh ich soweit“, murmelte Jodie. „In der Zwischenzeit kümmerten sich Akai und Furuya um Gin und Rum. Beide sind tot.“ Jodie wurde blass. Beide sind tot. „Furuya wurde fast von Rum getötet, als Vermouth eingriff und ihm das Leben rettete. Laut Furuya zog sie sich bereits vorher vom Geschehen zurück und keiner von uns dachte, dass sie an dem Tag wieder auftauchen würde. Es war wohl reiner Zufall oder unser Glück.“ „Glück“, wisperte Jodie leise. „Glück für Furuya. Sie tötete Rum. In der Zwischenzeit verfolgte Akai Gin in ein Gebäude. Auf dem Dach kam es zum Schusswechsel indessen Verlauf Gin mit seinem Leben bezahlte. Unglücklicherweise wurde dabei der Sender eines Sprengsatzes ausgelöst.“ „Sag mir nicht…dass…dass…Shu…Shu…er…“ „Was? Nein. Natürlich nicht.“ Sofort verspürte Jodie einen Schwall Erleichterung. Er lebte. „Mach mir nie wieder solche Angst.“ „Ich…es tut mir leid, Jodie“, entgegnete James ruhig. „Akai konnte der Explosion entkommen. Allerdings befand sich Vermouth zu diesem Zeitpunkt auf dem Dach.“ „Ist sie tot?“ „Wir konnten nur eine Leiche bergen.“ „Ich verstehe. Wie geht es Shu? Ist er verletzt?“ „Es geht ihm…den Umständen entsprechend gut. Er hat nur eine Wunde am Bein und an der Schulter. Nichts Schlimmes. Du kennst Akai. Ihn kann nichts unterkriegen“, meinte James. „Wahrscheinlich streitet er sich gerade mit den Ärzten darüber, wann er entlassen werden kann.“ Jodie musste schmunzeln. „Das kann sehr gut sein.“ Jetzt wusste Jodie wenigstens, warum sie vor einigen Tagen einfach nicht einschlafen konnte und warum ihr ungutes Gefühl sie den ganzen Tag begleitete. Es war ein Gefühl, welches sie einfach nicht einordnen konnte. „Wie geht es jetzt weiter?“, wollte die ehemalige Agentin wissen. „Wir sind gerade dabei die Hintermänner und die anderen Mitglieder zu verhaften?“ „Woher wisst ihr, wer die Hintermänner sind? Und was ist mit dem Boss?“ „Akai fand an seinen Scheibenwischern eine Liste mit den Namen aller Mitglieder der Organisation. Den Großteil konnten wir – mithilfe der japanischen Geheimpolizei – stellen und verhaften. Viele haben aus Angst direkt gesungen. Andere waren weniger kooperativ, aber das bekommen wir noch hin.“ „Das ist gut…dann hat der Spuk endlich ein Ende. Shu wird wohl die Verhöre leiten, nicht wahr?“ „Das würden wir uns wünschen. Es gibt noch immer viele Mitglieder, die vor ihm Angst haben. Allerdings gibt es da noch eine Sache, Jodie.“ James atmete tief durch. Er konnte es nicht verschweigen. „Die da wäre?“ Ein Kloß breitete sich in ihrem Hals aus. „Ich weiß, dass ich Shu bald von seinem Sohn erzählen muss. Aber dafür wäre es hilfreich, wenn er hier wäre.“ „Darum geht es mir nicht. Es geht um Vermouth.“ Jodie seufzte. „Was hat sie jetzt schon wieder getan?“ „Sie weiß von Reiji.“ Vor Schreck hätte Jodie das Handy fast fallen gelassen. Mit bleichem Gesichtsausdruck saß sie da. Sie schluckte. „Leider wissen wir nicht, wo sie sich gerade aufhält. Sollte sie in New York erscheinen, tu bitte nichts Unüberlegtes. Furuya sagte, dass sie dich in Ruhe lassen will.“ „Woher weiß sie von ihm?“ „Sie war wohl mehrfach in den Staaten und hat dich beobachtet.“ Jodie schluckte erneut. Vermouth war hier. Sie war ihr nah und trotzdem bemerkte die Agentin nichts. „Sie war…sie war wegen mir…hier…und ich…ich hab sie nicht einmal bemerkt…ich hätte…sie bemerken müssen.“ „Jodie, bitte, mach dir keine Vorwürfe. Wenn Furuya richtig liegt, wird sie dir nichts tun. Allerdings darfst du auch nichts gegen sie unternehmen.“ „Verstanden.“ „Akai ist wegen dir sehr besorgt. Es wäre sehr gut möglich, dass er sich entschließt in den nächsten Tagen rüber zu fliegen.“ Jodie wollte etwas erwidern, als Reiji einige Laute von sich gab. „James? Hier ist jemand, der wieder meine Aufmerksamkeit möchte.“ „Hmm?“ Dann hörte er ein leises Glucksen. „Ah, ich hör den kleinen Mann schon. Ich glaube, gegen ihn hab ich einfach keine Chance.“ „Seh ich genau so, James.“ „Dann halte ich dich nicht länger auf. Ich selbst werde in den nächsten Tagen wieder nach New York kommen. Dann reservierst du mir aber mindestens ein Treffen. Ich muss den kleinen Mann schließlich auch mal kennen lernen.“ Jodie lächelte leicht. „Das wird kein Problem sein. Ich kann es kaum erwarten. Bis bald.“ Jodie legte auf und steckte das Handy zurück in die Hosentasche. „Ich kann es auch kaum erwarten.“ Schockiert, aber auch überrascht sah die ehemalige FBI-Agentin hoch. „Ver…mou…th…“, wisperte sie. Jodie sprang auf und stellte sich instinktiv vor den Kinderwagen. „Wage es ja nicht“, meinte sie. „Ich bin nicht hier um dir oder dem Kleinen etwas anzutun“, entgegnete die Schauspielerin und schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf. „Was willst du dann?“ „A secret makes a woman a woman.“ Jodie verengte die Augen. Da waren sie wieder. Die Worte aus dem Mund der Mörderin ihres Vaters. Worte, die sie damals täglich wiederholte und sich merkte. Worte, die nur die Mörderin ihres Vaters kannte. Worte, mit denen sie sie überführen wollte. „I’m just kidding“, fing die Schauspielerin an. „Ich dachte, wir könnten das Kriegsbeil begraben.“ „Kriegsbeil begraben“, wiederholte Jodie. „Das glaubst du doch wohl selber nicht.“ „Ich wüsste nicht, was nun im Wege stehen sollte.“ Chris sah an Jodie vorbei zum Kinderwagen. „Süßer Fratz.“ „Lass ihn in Ruhe.“ „Ach komm schon. Meinst du, ich weiß erst seit eben, dass du einen Sohn hast? Du solltest mich doch mittlerweile besser kennen. Aber ich muss wirklich sagen, dass ich anfangs sehr überrascht war.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Und ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ausgerechnet du Mutter wirst. So kann man sich irren.“ Jodie schwieg. „Eigentlich wollte ich ja nett sein. Aber wenn du nicht willst…Dabei dachte ich, dass du gern antworten haben willst, jetzt wo die Organisation keine Bedrohung mehr darstellt.“ „Was willst du dafür im Gegenzug?“ „Kannst du dir das nicht denken?“, wollte die Schauspielerin wissen. „Ich geb dir die Informationen die du willst und dafür lässt mich das FBI in Ruhe.“ Verunsichert sah Jodie sie an. „Ich wüsste nicht, welche Informationen ich unbedingt von dir haben will.“ „Wirklich nicht? Hast du dich nie gefragt, wie es deinem Vater gelang so viele Informationen über mich zu sammeln, wie ich dahinter kam und vor allem, wieso ich so einfach in euer Haus eindringen konnte?“ Jodie presste die Lippen aufeinander. Vermouth fing an eine Grenze zu übertreten. Eine Grenze, die alles ändern konnte. Aus dem Augenwinkel sah sie zu Reiji. Sie konnte – sie durfte – ihn nicht in Gefahr bringen. Aber wie sollte sie auf den Deal eingehen? Vor allem, da sie es ohne Rücksprache mit den Kollegen getan hätte. Und trotzdem musste sie es wagen und auf James Hilfe hoffen. „Gut.“ „Gut, was?“ „Gut, ich werde mit dem FBI sprechen und sie bitten, dass man dich nicht mehr jagt.“ „Sehr schön“, grinste Chris. „Ich seh, du bist die Tochter deines Vaters.“ Jodie knirschte mit den Zähnen. „Du solltest aber nicht vergessen, dass ich nicht mehr für das FBI arbeite. Ich kann dir nur versichern, dass ich mit ihnen reden werde. Ob sie auf den Deal eingehen, kann ich dir nicht versprechen. Das FBI wird dich weiterhin jagen und ich bin mir sicher, dass sie dich irgendwann bekommen werden.“ „Je später desto besser für mich“, gab Chris von sich. „Außerdem bin ich mir sicher, dass du sie schon überredet kriegst.“ „Macht es dir eigentlich Spaß mich so zu quälen?“ Chris zuckte mit den Schultern und sah zur Seite. „Schau mal. Ein Vater mit seiner kleinen Tochter. Weckt das nicht auch bei dir Erinnerungen?“ Jodie verengte die Augen. „Wie du willst…“, murmelte sie leise. „Warum konnte mein Vater damals so viele Informationen über dich sammeln?“ Vermouth spielte die Überraschte. „Ah. Nun wird es interessant. Aber ich muss ja sagen, dass ich es sehr schade finde, dass dir der gute Mr. Black nicht alles über die Vergangenheit deines Vaters erzählte. Wusstest du, dass Akai nicht der erste Spitzel des FBIs in unseren Reihen war?“ Jodie schwieg. „Die Organisation war damals noch nicht so, sagen wir, stramm aufgebaut. Dein Vater wurde damals vom FBI beauftragt sich bei uns einzuschleusen und sein Weg lief über mich. Da ich damals mit der Schauspielerei erst anfing, bewarb sich dein Vater als Bodyguard bei mir. Du erinnerst dich doch noch wie er aussah, nicht wahr? Er war wirklich ein stattlicher Mann“, schwärmte sie ihr vor. „Dein Vater flirtete gelegentlich mit mir, er behandelte mich wie ein ganz normaler Mensch. In seinen Augen war ich keine Schauspielerin, keine Person, die etwas Besseres war. So kam ich schließlich auch nicht umhin mich in ihn zu verlieben. Ja, du hast richtig gehört. Ich habe deinen Vater geliebt. Aber er…er hat einfach nur mit mir gespielt und eine Information nach der anderen entlocken können. Ich war jung und dumm, aber es war mir eine gute Lehre. Weißt du, wie ich dahinter kam, dass er mich nur benutzte? An einem Abend wollte ich meine Fähigkeiten erproben und bin ihm in Verkleidung gefolgt. Kannst du raten, wo er mich hinführte?“ Vermouth sah Jodie für einen Moment schweigend an. „Er ging nach Hause. Kaum, dass er die Einfahrt betrat, bist du auch schon aus dem Haus gelaufen und hast ihn umarmt. Dann kam deine Mutter. Meine Gefühle bekamen ihren ersten Knacks und trotzdem hoffte ich, dass er sich mit deiner Mutter nur das Sorgerecht teilte. Aber weißt du, was die Wahrheit war? Er küsste sie.“ Vermouths Stimme wurde düster. „Und dann seid ihr zusammen ins Haus gegangen. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ich nur das Mittel zum Zweck war. Natürlich musste ich mich an ihm rächen.“ Jodie schluckte. „Zwei Abende später hab ich euch dann zu Hause besucht. Deine Mutter war gerade arbeiten, also konnte ich in ihre Rolle schlüpfen. Vorher stieß ich natürlich rein zufällig mit deiner Mutter zusammen und konnte ihr die Schlüssel abnehmen. Sie hat nichts gemerkt“, schmunzelte die Schauspielerin. „Mein Plan war perfekt. Dein Vater saß im Arbeitszimmer und schrieb gerade einen netten Bericht über mich. Er war so sehr in seiner Arbeit vertieft, dass ich mich in Ruhe anschleichen konnte. Erst als ich seine Schläfen massierte, bemerkte er mich und natürlich hielt er mich für deine Mutter.“ Vermouth kicherte. „Dabei hätte ich eigentlich gedacht, dass er meine Maskierung sofort erkennt. Als es dann soweit war, hatte er die Kugel bereits in der Stirn. Du kannst eigentlich froh sein, dass ich damals noch eine ganz andere Person war und mir keine Zeit beim Morden ließ. Damals wollte ich den Moment einfach nicht genießen.“ Jodie wich nach hinten, als sich Vermouth mit der Hand durch ihr langes, blondes Haar fuhr. „Hmm? Hast du Angst, dass ich dich jetzt erschieße?“ Sie überlegte gespielt. „Das wäre natürlich eine Möglichkeit. Dann könnte ich den Kleinen auch zu mir nehmen und als mein Sohn aufziehen. Ich bin gespannt, ob du dann, wie dein Vater, bei deinem letzten Atemzug an dein Kind denkst.“ Jodie bekam Angst. Es war lange her, dass sie sich so machtlos fühlte. So verängstigt und allein. Immer wieder sah sie aus dem Augenwinkel zu ihrem Sohn. Sie durfte ihn nicht bekommen. Niemals. „Mach dir nicht in die Hose. Ich sagte doch bereits, dass ich das Kriegsbeil begraben will. Wenn du mich in Ruhe lässt, lass ich dich auch in Ruhe. Natürlich gilt das auch für das FBI.“ „Verschwinde…“, wisperte Jodie leise. „Sayonara.“ Jodie zitterte am ganzen Leid. Panik überkam sie. Ihr Gesicht war bleich. Erst Reijis Laute holten sie aus der Starre. Verängstigt nahm sie ihren kleinen Sohn aus dem Kinderwagen und drückte ihn an sich. „Ich bin ja da…“ Unter Tränen strich sie ihm über den Rücken. „Alles ist gut…ich pass auf dich auf…Mama ist ja da…“ Jodies Herz schlug höher. Ihr Puls raste und sie konnte nicht anders als sich auf der Bank sacken zu lassen. „Ich bin ja da“, wiederholte sie leise. Mit der linken Hand hielt sie ihren Sohn fest, mit der rechten zog sie das Handy aus ihrer Hosentasche. Ohne zu überlegen, tippte sie eine SMS. Vermouth Kapitel 9: Sorge ---------------- James streckte sich. Der FBI-Agent schloss die Augen und lehnte sich nach hinten in das Sofa. Dann gähnte er. Die Müdigkeit der letzten Tage übermannte ihn. Aber eines war sicher: Es war geschafft. Nach so vielen Jahren – Jahren der Qual war alles endlich vollbracht. Die Organisation war Geschichte. Alle bis auf ein Mitglied. Vermouth. Sie lief immer noch frei herum. Sie konnte tun und lassen was sie wollte. Keiner würde sie aufhalten. Alle Beweise, die sich in den letzten Jahren ansammelten, waren nicht weiter verwertbar. Und wegen nichts und wieder nichts, konnte man sie nicht einfach so verhaften. Da Vermouth eine bekannte Schauspielerin in den Staaten war, konnten sie sie nicht einfach so verhaften. Zu viel Aufsehen wäre die Folge. Und gerade das, konnten sie nicht gebrauchen. Es erinnerte James an früher. Ohne Beweise konnten sie schon damals nicht gegen die junge Frau vorgehen. Und als sie welche hatten, war ihnen Vermouth einen Schritt voraus. Sie wusste genau, auf welchem schmalen Grad sie sich bewegte und wie sie ihrer Verhaftung entgehen konnte. Vermouth war eine Frau, die nichts dem Zufall überlies. Kein Wunder, dass das FBI sie bisweilen noch nicht ins Gefängnis bringen konnte. Jetzt war Vermouth das einzige Mitglied der Organisation, welches draußen frei herum lief. Und was war? Sie konnten wieder nichts gegen sie tun. Vermouths Freiheit hatte ihren Preis. Und diesen musste das FBI nun zahlen. Ob sie wollten oder nicht. Das Leben einer Frau gegen das Leben einer anderen Frau. Nur war Jodie mittlerweile Mutter und keiner vermochte zu sagen, wie Vermouths Rache – sollte sie verhaftet werden oder fliehen können – aussah. Normalerweise wägte das FBI solche Situationen genau ab. Anschließend entschieden sie sich für das kleinere Übel, jenes Übel bei dem weniger Menschen in Gefahr kämen. Die Frage war was Vermouth vor hatte und was sie in ihrem Leben tun wollte. James schreckte hoch. Seine Gedanken verselbstständigten sich. Er sah eine Mischung aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es fing mit dem Tod seines besten Freundes und Kollegen an. Dann war da Jodie. In seiner Vorstellung saß sie zusammengekauert in ihrem Bett weinte wegen ihrem Vater und litt dazu unter der Trennung von Akai. Selbst in der Zukunft spielte die Schauspielerin eine große Rolle. Sie war es, mit der alles anfing. Der Teufel in Engelsgestalt. Shuichi hatte schon damals mit seiner Aussage recht. Er nannte sie rotten apple – verfaulter Apfel. Sie war der Schatten ihrer Selbst. Gefährlich. Unaufhaltsam. Rachsüchtig. Und in seinen Gedanken war sie es, die Jodie ohne eine Regung in ihrem Gesicht, erschoss. Schon im Krankenhaus bei Rei Furuya bekam James ein schlechtes Gefühl. Die Erzählungen des Mannes rundeten dieses Gefühl nur ab. Es bestand kein Zweifel daran, dass Vermouth in die Staaten zurück flog, möglicherweise sogar absichtlich New York aussuchte und sich dort niederließ. Durch Jodies Recherche wusste James, dass die Schauspielerin überall in den Staaten eine kleine Wohnung besaß. Sie konnte überall hin. Problemlos. Doch sie alle wussten mittlerweile, wie Vermouth tickte. So war es auch kein Wunder, dass Vermouth jene Stadt aufsuchte, wo sie immer gegen das FBI agieren konnte. Sie war wie ein Wespennetz. Allzeit zum Stechen bereit. James ballte die Faust. Obwohl die Organisation zerschlagen war, hatte er versagt. Er konnte nicht die schützen, die er schützen musste. Er war ein Versager. Jemand, der auf die Hilfe seiner Mitarbeiter angewiesen war, da er selber gegen die Organisation machtlos war. Und nun hatte er den Salat. James wusste, würde er zurück nach New York fliegen, müsste er in Jodies Gesicht sehen. Sie würde glücklich sein und ihm Reiji vorstellen. Und er würde noch etwas Anderes sehen. Wut, Trauer, Hilflosigkeit. Und das nur, weil Vermouth nach all der Zeit noch immer frei herum lief. Sie mussten sie festsetzen. Irgendwie. Auch wenn es nur ein Zufall war. Vermouth gehörte hinter Gittern. Und irgendwas mussten sie tun. Für Jodie. Und die Welt. Das Klingeln seines Smartphones holte James aus seinen Gedanken zurück. Er nahm das Handy vom Tisch, wischte über die Oberfläche und tippte anschließend auf die SMS. Das Blut in seinen Adern gefror. Vermouth Ein Wort. Eine Nachricht von Jodie. Und James brauchte nicht lange, um zu verstehen, was es damit auf sich hatte. Dabei hatte er erst vor wenigen Minuten mit der ehemaligen Agentin telefoniert, sie zur Vorsicht ermahnt und nun das. Vermouth war bei ihr. Es verhieß nichts Gutes. Und natürlich wusste James, dass diese Nachricht nichts Gutes verhieß. Obwohl James bereits mit dem Hauptquartier das weitere Vorgehen bezüglich Vermouth absprach, rief er diese erneut an. Entgegen seiner Erwartungen informierte Jodie die Vorgesetzten nicht. Konnte er ihr das verdenken? Trotz später Stunde, machte sich James erneut auf den Weg. Einen Feierabend als FBI-Agent gab es selten. Agenten waren immer im Dienst. Vor allem dann, wenn irgendwas Geschah. James fuhr ins Krankenhaus. Obwohl es Akai bereits besser ging und dieser schon im Krankenhaus spazierte, musste der Agent zu seiner eigenen Sicherheit noch eine Woche dort bleiben. Mit schnellen Schritten suchte James das Zimmer von Shuichi auf. Ein wenig überrascht und mit runzelnder Stirn, beobachtete er, nachdem er nach kurzem Klopfen eintrat, das Szenario. Shuichi stand an seinem Bett und packte seine Tasche zusammen. Camel sah schweigend zu und wartete. Auch war es Camel, der zur Tür blickte und James als erstes sah. Camel schluckte. „Ja…james…“, murmelte er leise, als hätte man ihn gerade bei einer schlimmen Tat erwischt. Shuichi hingegen reagierte gar nicht. Ruhig packte er weiter. „Was wird das hier?“ „Ich packe. Auf meine eigene Verantwortung darf ich das Krankenhaus verlassen“, antwortete Akai knapp. Ihm war egal, was James dachte oder tun wollte. Dann sollte dieser ihm eben einen auf den Deckel geben. Es war egal. „Und dann?“ „Wir dachten, dass Akai die nächsten paar Tage wieder in der Villa der Kudos wohnt und wir dann zurück nach New York fliegen“, erklärte Camel. Shuichi drehte sich um und studierte das Gesicht von James. „Was ist passiert?“, wollte der Agent wissen. Eine angespannte Atmosphäre lag in der Luft. „Was ist mit Jodie?“ James sah überrascht auf Akai. „Vermouth war bei ihr.“ „Ich verstehe. Buch die Flüge.“ *** Shuichi stand auf dem Hauptfriedhof in Tokyo. Vor langer Zeit wurde Akemi Miyano beerdigt. Im Schatten und ohne Feier. Still und ruhig. Shuichi erinnerte sich noch, wie er verkrampfte, als er die Kurznachricht seiner Freundin las. Sofort wurde ihm anders. Und er ahnte es. Er ahnte, was sie vorhatte und von vornherein wusste er, dass ihr Plan zum Scheitern verurteilt war. Obwohl sie nichts Genaueres schrieb, war Shuichi alarmiert. Sofort versuchte er sie zu erreichen. Seine zahlreichen Versuche schlugen allerdings fehl. Das Handy war ausgeschaltet. Kein Wunder. Sie brauchte die Ruhe um ihren Auftrag und ihren Plan durchzuführen. Und da konnte sie einfach kein klingelndes Telefon gebrauchen. Zu jener Zeit befand sich Shuichi in den Staaten, hatte aber immer noch genügend Kontakte in Japan, die er sofort verständigte. So war es schließlich auch kein Wunder, dass er Stunden später von ihrem Tod erfuhr. Über seine Kontaktperson organisierte er schließlich die heimliche Beerdigung der jungen Frau. Er hatte Glück, dass sich die Organisation nicht weiter für Akemi oder ihre Leiche interessierte. Eine Woche später stand er vor dem Loch in der Erde und wohnte der Beerdigung bei. Nur Shiho schrieb er in einer Kurzmitteilung den Ort und das Datum. Der Rest war die Sache der jungen Wissenschaftlerin. Aber da sie ein höheres Mitglied war und die Organisation sie nicht aus den Augen ließ, war auch sie nicht da. Shuichi blickte auf den grauen Grabstein. Akemi Miyano. Geliebte Tochter, Schwester, Freundin. Mögest du in Frieden ruhen. Seit der Beerdigung war dies sein erster Besuch an Akemis Grab. Endlich war auch sein schlechtes Gewissen nicht mehr vorhanden. Er hatte sein Versprechen gehalten. Es war vorbei und Akai konnte nach vorne sehen. „Ich habe getan, was ich tun musste. Deine Schwester ist nun in Sicherheit“, sprach er ruhig. „Die Organisation existiert nicht mehr. Sie kriegen ihre gerechte Strafe.“ Shuichi schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Es wäre schön, wenn sie es miterlebt hätte.“ Shuichi blickte zur Seite, dann nickte er. „Ich dachte, du arbeitest wieder.“ „Ich kann jetzt ohne Zwang arbeiten“, fing Ai ruhig an. Dabei musste sie Lächeln. Sie hatte ihr Leben zurück. „Und mir war danach meine Schwester hier zu besuchen. Mr. Black hat mir die ganzen Einzelheiten und Zusammenhänge erklärt.“ „Dann gibt es ja nichts mehr zu sagen.“ „Hast du meine Schwester je geliebt?“ Shuichi schwieg. Warum mussten alle Frauen die gleiche Frage stellen? Wollten sie, dass er log? Die Wahrheit sagte? Ihnen erzählte, was sie hören wollten? „Das ist auch eine Antwort“, wisperte die geschrumpfte Wissenschaftlerin. „Akemi hat dich geliebt. Sie hat pausenlos von dir gesprochen und dann damit aufgehört, als du die Organisation verlassen hast. Ich hab sie gefragt, was los ist, aber sie wiegelte nur ab. Ich solle mir keine Sorgen machen und sie käme schon über dich hinweg.“ Ai kamen die Tränen. Sie fühlte sie schon damals hilflos. „Bei unseren seltenen Treffen merkte ich ihr den Kummer an, aber wir sprachen nicht mehr über dich. Irgendwann dachte ich, sie wäre über dich hinweg und dann…war sie tot.“ Erneut schwieg Shuichi und lauschte ihren Erzählungen. „Als sie getötet wurde, wollte ich den Grund wissen. Sie haben geschwiegen. Als mich Gin dann schließlich einsperrte, erwähnte er, dass ich ihrem Freund dem Spitzel danken sollte.“ Ai ballte die Hände. „Ich hab euch gehasst. Euch beide. Und ich gab nicht nur Gin die Schuld an ihrem Tod. Natürlich hat er sie erschossen, aber du warst für mich die Person, die Akemi in Gefahr brachte. Es gab eine Zeit, wo ich gedacht habe, dass Akemi aussteigen wollte…dir folgen und dafür mit ihrem Leben bezahlen musste. Aber die Wahrheit sah anders aus, nicht wahr? Ich war der Grund. Sie wollte meine Freiheit erkaufen…warum hast du ihr nicht geholfen?“ „Akemi hat mich nie in ihre Pläne eingeweiht. Weder zu meinen Zeiten bei der Organisation noch danach. Vor allem danach nicht. Erst vor ihrem Tod schrieb sie mir von einem Auftrag. Das wars.“ „Das ist typisch für sie. Sie wollte es immer mit sich allein ausmachen und keinen anderen in Gefahr bringen.“ Ai schluchzte und ließ sich auf die Knie fallen. „Wenn ich damals nur nicht so verbissen gelernt hätte…ich dachte, wenn ich das tu, was die Organisation will, dann lassen sie Akemi in Ruhe. Aber ich lag falsch…“ „Mach sie stolz und mach was aus deinem Leben anstatt an der Vergangenheit zu hängen. Forsche für das Gute.“ Ai blickte hoch zu ihm. Sie wollte etwas sagen, hielt aber inne. Shuichi nahm sein altes Handy heraus. Es tat ihm gute Dienste und im Vergleich zu seinem Smartphone – von denen er einen hohen Verschleiß besaß – war das alte Handy immer noch voll funktionsfähig. Es hatte, wie der Agent selber, mehrere Einsätze überlebt und begleitete ihn über Jahre hinweg. Shuichi wählte die einzige Nachricht, die auf dem alten Handy vorhanden war und las sie. Dai... Falls es mir wirklich gelingen sollte, nach dieser Sache aus der Organisation auszutreten, können wir dann ein richtiges Paar werden? Akemi Sie war mitunter sein Antrieb. Die Erinnerung an sein Versprechen. Und nun war es vorbei. Endlich konnte er Akemi gehen lassen. Nun konnte sie in Frieden ruhen. So, wie es von Anfang an hätte sein sollen. Shuichis Finger glitt auf den linken Knopf unter dem Display. Wollen Sie die Nachricht wirklich löschen? Der linke Knopf war mit einem Ja versehen, der Rechte mit einem Nein. Erneut drückte Shu auf den linken Knopf und binnen weniger Sekunden war die Kurznachricht von seinem Handy verschwunden. Gelöscht. Er hatte mit der Vergangenheit abgeschlossen und musste – wie er es einst Camel und eben Ai sagte – auch in die Zukunft sehen. „Akemi hat mich geliebt. Daran besteht kein Zweifel“, sprach er ruhig. „Ich habe sie nie so geliebt, wie sie mich. Wahrscheinlich hat ein Teil von mir einen Teil von ihr geliebt. Aber es reichte nicht.“ Ai schluckte bei seinen Worten und vergrub ihre Hand in der kalten Erde. „Das Angebot des FBIs steht noch immer. Du kannst mit uns nach New York gehen und dort arbeiten. Du kannst aber auch hier bleiben.“ Ai blickte auf den Boden. Was sollte sie tun? Was wollte sie überhaupt. „Wenn du dich entschieden hast, melde dich bei James. Ich selber verlassen Japan wieder.“ Shuichi steckte das Handy in die Hosentasche, gefolgt von seiner Hand. „Ich werde in New York gebraucht und muss ein Versprechen einlösen.“ Dann ging er. *** Shuichi wusste, dass er nicht viel Zeit hatte. Vermouth lief immer noch draußen frei herum. Und sie war bei Jodie. Natürlich konnte es viele Gründe haben. Trotzdem ahnte er, dass die blonde Schauspielerin weiterhin darauf aus war, Jodie zu verletzen. Sie zu verletzen und zu demütigen. Das lag in ihrer Natur. Und Jodie reagierte immer so, wie Vermouth es wollte. Sie machte sich einen Spaß daraus und versteckte ihre Abneigung gegen Jodie kein einziges Mal. Dass es ihr Ziel war Jodie zu töten, war dem Agenten bereits bei ihrer aller ersten Konfrontation klar. Von da an beobachtete Shuichi seine ehemalige Freundin wann immer es ging. „Und Shu? Was machst du, wenn wir die Organisation endlich aufgehalten haben?“, wollte Jodie vor zwei Jahren von ihm wissen. Es war ihr erstes Treffen seitdem Jodie in Japan arbeiten durfte. Dazu hatte sie noch eine Stelle als Englischlehrerin erhalten und würde bald verdeckt ermitteln. Sie musste sich nur noch darauf vorbereiten und die ersten Tage in ihrem neuen Job überleben. „Hmmm“, murmelte Akai. Er schloss die Augen und lehnte sich nach hinten. „Ja?“ Erwartungsvoll blickte sie ihn an. „Weißt du, ich find es immer noch faszinierend wie gut dir die kurzen Haare stehen.“ „Stell dich einfach darauf ein, dass unser Aufenthalt in Japan länger dauert als geplant. Die Organisation wird nicht so schnell aus ihrem Schatten kommen. Es ist gut möglich, dass wir fünf Jahre und länger drüben sind“, antwortete der Agent. „Weiß ich doch.“ Sie stieß ihn leicht an. „Trotzdem gibt es doch sicher etwas, was du tun willst, wenn die Sache vorbei ist, nicht wahr?“ Shuichi zuckte mit den Schultern. Natürlich gab es da was. Sein Geheimnis. Aber noch war die Zeit nicht gekommen um es zu lüften. „Wenn sie hinter Gittern sind, flieg ich nach New York zurück und mach dort meine Arbeit weiter.“ Jodie seufzte. Arbeit. Immer nur Arbeit. Und es war nicht die Antwort, die sie hören wollte. „Also ich werde auf jeden Fall zuerst ein sehr langes Bad nehmen. Danach werde ich die nächsten Tage durchschlafen“, erzählte Jodie. „Und wenn ich damit fertig bin, werde ich zum Grab meines Vaters gehen und ihm vom Ende der Organisation erzählen.“ Jodies Augen glänzten bei ihren Erzählungen. „Nicht zu vergessen, dass ich ihm erzählen werde, wie ich Vermouth dingfest gemacht habe, sie ihre gerechte Strafe bekommen hat und für eine lange Zeit hinter Gittern sitzt.“ Akai sah Jodie vor sich. Sie stand am Grab ihres Vaters und bat ihn um Verzeihung, Verzeihung, weil sie es nicht schaffte. Vermouth war ihnen einen Schritt voraus und - wie die Sache schien – würde sie nie ihre gerechte Strafe erhalten. Dann sah Shuichi Bilder, die er am liebsten verdrängen wollte. Jodie stand Vermouth gegenüber. Beide Frauen befanden sich im Zweikampf. Ein Kampf, der Jodies Untergang einläutete. Und Shu wusste, dass er keine Zeit verlieren durfte. *** Überall sah Jodie Vermouth. Die Tage vergingen schleppend. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass die Halluzinationen der Schauspielerin stetig sanken. Nach drei Tagen war sie schon ruhiger, auch wenn die Vorstellung an Vermouth wie ein Damokles Schwert über sie schwebte. Vor allem Vermouths neue Erkenntnisse bezüglich Reiji trafen sie mit voller Wucht. Chris Vineyard wusste genau wie sie die Schwachpunkte ihrer Gegner nutzte. Und Jodies Schwachpunkt lag auf der Hand. Würde sie sie jagen, wäre er in Gefahr. Aber woher wollte Jodie wissen, dass sich die Schauspielerin an die Absprache hielt? Sie konnte genau so gut in die Rolle eines Nachbarn schlüpfen und Jodies Vertrauen erschleichen. Sie konnte so vieles und Jodie war ihr schutzlos ausgeliefert. Die ersten zwei Nächte waren für Jodie eine Qual. Schlafen war fast undenkbar. Jodie bekam regelrechte Panik. Panik gekoppelt mit Albträumen. Träumen, in denen Vermouth mitten in ihrer Wohnung stand, Reiji im Arm hielt und einfach durch die Tür hinaus spazierte. Jodie selbst war festgefroren. Und als sie aufwachte, vergewisserte sie sich, dass es Reiji gut ging und er immer noch da war. Trotzdem legte die ehemalige FBI-Agentin ihr Leben nicht auf Eis. Das war sie Reiji schuldig. Er durfte nicht wegen ihrer Angst leiden und ein Leben nur zu Hause tristen. Langsam traute sich Jodie wieder die Spaziergänge im Park zu. Kurz. Aber es verhalf ihr zur Normalität zurück zu kehren. Dennoch saß Jodie mit einem mulmigen Gefühl im Wohnzimmer und recherchierte am Laptop. Offiziell war Vermouth zu Dreharbeiten in Colorado. Aber was hieß das schon? Als es an der Tür klingelte, schrak Jodie hoch. Fast hätte sie einen Laut von sich gegeben, hielt sich aber noch die Hand vor ihren Mund. Es klingelte erneut und Jodie kämpfte gegen ihre Angst. Sie zwang sich nicht zu zittern, stand langsam auf und ging zur Tür. Vorsichtig blickte Jodie durch das Guckloch. „Camel“, wisperte sie leise. Ein leichter Schwall von Erleichterung durchzog sie. Langsam schloss sie den Sicherheitsriegel auf, dann die Haustür und anschließend die Tür. „Camel“, lächelte sie. Dann aber stockte sie. „Du bist es doch wirklich, oder?“ Der Agent nickte. „Du kannst mich aber auch auf dem Handy anrufen oder mir Fragen stellen, die nur ich beantworten kann.“ Jodie überlegte, ehe sie ihn musterte. Von der Statur kam er hin. Camel war um einiges größer als sie. Trotzdem war sie sich sicher, dass Vermouth auch eine Möglichkeit besaß, um die Größe auszugleichen. „Tut mir wirklich leid“, sprach sie ruhig und zog ihr Handy heraus. Während sie Camel aus dem Augenwinkel beobachtete, wählte sie seine Nummer. Jodie war erleichtert, als es bei dem Agenten klingelte. „Du hast aber nicht dein Handy verloren und Vermouth hat es zufällig gefunden?“ Sofort schüttelte Camel den Kopf. „Ich bin es wirklich. Ich kann mir auch den Pullover ausziehen…äh…ich mein…“ Ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. „Nicht nötig. Komm rein.“ Jodie machte Platz und nachdem Camel eintrat, schloss sie die Tür. „Tut mir leid…ich war irgendwie nicht auf Besuch eingestellt und hab nicht aufgeräumt.“ Camel schüttelte den Kopf. „Das macht doch nichts.“ Schließlich folgte er Jodie ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. „Magst du einen Kaffee oder einen Tee?“, wollte Jodie wissen. „Wenn es dir keine Umstände macht, nehm ich einen Tee“, antwortete Camel und stand sofort wieder auf. „Ich helf dir.“ „Nicht nötig. Tee schaff ich gerade noch so alleine“, gab Jodie von sich und verschwand in der Küche. Nachdenklich tippte sich Camel auf das Knie. Sein Blick wich im Zimmer umher und schließlich war er erleichtert, als Jodie zurück kam. „Lange ists her“, entgegnete Jodie und stellte die Tasse auf den Tisch. Camel nickte. „James bekam deine Nachricht und hat uns sofort hier hergeschickt. Die Flüge waren ausgebucht, weswegen ich erst seit heute in New York bin.“ „Ich verstehe“, sagte Jodie ruhig. „Du sagtest ,uns‘. Ist Shu auch hier?“ „Er wollte auch hier herkommen. Du weißt ja, dass er bei dem Zusammenstoß mit der Organisation verletzt wurde. Obwohl er sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen hat, wollte ihn der Arzt gestern noch sehen. Ich glaube sein Flug geht erst morgen.“ „Verstehe“, murmelte Jodie. Sie hatte noch ein paar Tage. Paar Tage. Dann würde sie Shu von seinem Sohn erzählen müssen. Jodie bekam einen Kloß im Hals. Bald gab es keine Ausflüchte mehr. Bald. „Wie geht es ihm?“ „Er wird schon. Du kennst ihn doch.“ Jodie nickte. „Er ist hart im Nehmen. Ein Kämpfer.“ „Vermouth war also bei dir? Hier zu Hause?“, fragte Camel. „Nicht hier. Sie hat mich im Park abgefangen und mir von meinem Vater erzählt. Hat…hat dir James je etwas über ihn erzählt?“ „Ich weiß nur, dass er Informationen über Vermouth beschaffen sollte und im Anschluss von ihr getötet wurde. Du warst damals ein kleines Mädchen und hast den Anschlag nur knapp überlebt.“ „Das ist auch soweit korrekt“, sagte sie. „Vermouth erzählte mir, dass sie sich damals in meinem Vater verliebte. Er aber nicht in sie, da seine Aufgabe in der Beschaffung von Informationen lag. Aus Rache hat sie ihn schließlich getötet.“ „Jodie“, wisperte Camel leise. „Es…es tut mir so leid. Aber du solltest nicht auf das hören, was sie dir erzählt. Sie will dich nur fertig machen.“ „Ja…wahrscheinlich hast du Recht. Trotzdem hat es mich geängstigt.“ „Das glaub ich dir. Aber du weißt doch, wie man sich verteidigt. Sie kann dir gar nichts tun.“ Jodie nickte nur. „Ich…also von Akai weiß ich, dass du nicht mehr für das FBI arbeitest. Ist das…wahr?“ Wieder nickte sie. „Ich hatte meine Gründe.“ „Welche Gründe, Jodie? Du bist von heute auf Morgen zurück in die Staaten geflogen und jetzt erfahren wir, dass du deinen Job geschmissen hast? Das passt doch nicht zu dir“, warf der Agent ein. „Meine Gründe…“, murmelte sie leise. „Ich…ich konnte es euch damals nicht sagen.“ Jodie stand von ihrem Platz auf. Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Ich bin gleich wieder da.“ Verwirrt sah Camel ihr nach. Im Schlafzimmer ging Jodie an das Babybettchen. „Hey, du bist ja wach“, lächelte sie und nahm ihn aus dem Bett. „Na du? Meinst du, du bist fit genug um Onkel Camel kennen zu lernen?“, wollte sie von ihm wissen und hielt ihm den Schnuller hin. Die leisen Nuckel-Geräusche beruhigten sie ungemein. Generell hörte sie ihm gerne zu. „Na komm, stellen wir dich mal vor.“ Sachte strich Jodie ihm durch das dünne schwarze Haar. Langsam ging sie zum Wohnzimmer zurück. „Camel?“, fing sie an. „Hier möchte dich jemand kennen lernen.“ Der FBI-Agent sah zu ihr. Mit großen Augen blickte er zu dem Baby. „D…d…du…du…du…“, stammelte er nur. „Darf ich vorstellen. Das ist mein Sohn: Reiji.“ Kapitel 10: Schutz ------------------ Vollkommen entgeistert sah Camel auf das Baby in Jodies Armen. Er war überrascht, schockiert und perplex. Seine Augen hatten sich geweitet. Mit allem hatte der Agent gerechnet als Jodie ins Schlafzimmer verschwand. Aber Reiji war eine ganz andere Geschichte. Reiji Erneut wiederholte er den Namen des Babys in seinen Gedanken. Das war…Reiji. Der Reiji, der Akai die ganze Zeit über Sorgen machte. Er war die Person, die den – sonst so kühlen Agenten – dazu brachte, etwas Anderes zu fühlen. Sorge. Verlust. Angst. Reiji war ein Mann, der ihm Jodie wegnahm, sowohl körperlich als auch emotional. In seiner und in Akais Vorstellungen war Reiji ein großgewachsener Japaner, der Jodie mit Geschenken und Liebesbekundungen überhäufte. Aber der Reiji, den er nun vor sich sah, überhäufte Jodie nur mit seinem Sabber und Liebe. Die ganze Zeit über machten sie sich Sorgen, dass Jodie auf einen Fremden hereinfiel, ein Mitglied der Organisation, der Jodie nur verletzen wollte. Jetzt wusste Camel, dass sie sich die ganze Zeit täuschten. Reiji war ein kleines, verletzliches Geschöpf, welches sich an Jodie kuschelte und von ihr behütet und versorgt wurde. Camel blinzelte mehrere Male. Seinen Blick konnte er nicht von dem Baby wenden. Es war aber auch ein komisches Szenario. Jodie war Mutter geworden und keiner wusste oder ahnte etwas von dieser Entwicklung. Obwohl sie sich bereits seit über einem Jahr nicht mehr sahen, schien es, als wäre es gestern gewesen, dass sie in seinem Wagen saß und ins Quartier gefahren wurde. Und nun hatte sie ein Baby. Es kam plötzlich und ohne Vorwarnung. Erst jetzt bemerkte Camel wie schwer das letzte Jahr für Jodie gewesen sein musste. Sie brach den gesamten Kontakt zu den japanischen Agenten ab, zog sich zurück und kündigte sogar ihre Arbeitsstelle. Und das nur für Reiji. Für seine Sicherheit. Eine Ahnung von Jodies Einsamkeit und ihrem Schmerz hatte er nicht, doch in ihm breitete sich eine kleine Vorstellung von dem aus, was Jodie durchmachte. Und jetzt stand Vermouth noch vor der Tür. Kein Wunder, dass Jodie sofort den Hilferuf an James schickte und selbst an der Haustür sicher gehen wollte, die richtige Person herein zu lassen. Jodie war stark, keine Frage, aber als Mutter war sie verletzlich. Er sah sie immer noch vor sich. Jodie saß auf dem Boden, sortierte die Unterlagen, richtete Akten ein, markierte die Felder und arbeitete ohne Pause. Sie scheute keine Mühe und wirkte damals so verzweifelt. Aber jetzt stand sie da. Stolz. Glücklich. Erwachsener. Und Camel musste zugeben, dass ihr ein Baby im Arm sehr gut stand. Langsam setzte sich Jodie wieder auf das Sofa. Diesmal näher an Camel, sodass er den Kleinen besser begutachten konnte. Reiji setzte sie auf ihren Schoss und strich ihm erneut durch die Haare, während der Kleine weiter an seinem Schnuller nuckelte. Die Aufmerksamkeit, die er nun bekam, schien ihn nicht zu stören. Camel beobachtete Jodie bei jedem Schritt. Dann kniff er sich in den Arm. „Au“, murmelte er leise. Er war definitiv wach. Es war kein Traum. Die Szene war echt und es gab auch keine versteckten Kameras. „Was sollte das?“, wollte Jodie von ihm wissen. Kurz darauf schüttelte sie allerdings den Kopf. „Schon gut. Ich versteh schon.“ „Ich…äh…naja ich dachte…ich träume.“ Verlegen kratzte sich Camel am Hinterkopf. „Du bist also…Mutter geworden…“ Manchmal fühlte sich Camel in Jodies Gegenwart wie ein kleiner Junge. Ein Junge, der einfach nicht wusste, was er sagen sollte. Sie besaß auch das Talent ihn – mit nur wenigen Handlungen oder nur mit einem Blick – vollkommen aus dem Konzept zu bringen. Bereits bei ihrer ersten – bewussten – Begegnung war es auch so. Der Agent wusste es, als wäre es erst gestern gewesen. Auf Geheiß von Shuichi Akai kehrte er nach Japan zurück. Freiwillig kam er nie auf die Idee und wollte die Arbeit lieber den anderen Agenten überlassen. Sein damaliger Fehler nahm ihm den Rest seines Selbstbewusstseins. Und trotzdem verlange Akai nach dem Agenten und merkte sich sogar seinen Namen. „Agent Camel, Sie werden unverzüglich nach Japan aufbrechen und die dortigen Agenten unterstützen.“ „Sir, ich denke nicht, dass ich…“ „Das ist keine Frage von wollen oder denken, Agent Camel.“ Der Vorgesetzte räusperte sich. „Agent Akai hat höchstpersönlich Sie angefordert. Enttäuschen Sie ihn nicht erneut.“ Camel flog unverzüglich und sollte sich anschließend um die Überwachung von Kir kümmern. Jodie war schon damals sehr skeptisch ihm gegenüber. Sie stellte Fragen, die sie lieber nicht hätte stellen sollen. Noch immer tat es ihm leid, dass er sie mit einem Fausthieb in den Bauch ausschalten musste. Dass Jodie es ihm auch danach übel nahm, merkte er an ihrer Reaktion. Die Begründung, dass Akai die Anweisung gab, Jodie von der Gefahr fernzuhalten egal wie, zog bei der Agentin gar nicht. Und so schien es eine ganze Weile, als würden die beiden nie Freunde oder gleichgestellte Kollegen sein. Schließlich war es aber ausgerechnet Jodie, die ihn aus einem Mordfall herausboxte und sich als seine feste Freundin vorstellte. Natürlich merkten alle Anwesenden, dass es gespielt war, aber allein der Gedanke, dass sich eine Frau wie Jodie auf einen Mann wie ihn, einließ, brachte sein gesamtes Gesicht zum Glühen. Von da an sah er mehr in Jodie als eine bloße Kollegin. Aber dann wurde alles anders. Mit Akais Tod war – so übel es nun auch klang - seine Chance gekommen. Anstatt abzureisen, blieb er in Japan und setzte sich für die Fortsetzung seines Einsatzes ein. Er wollte für Jodie da sein. Sie trösten, festhalten und ihr über den Kummer hinweg helfen. Jodie verzweifelt zu sehen, schmerzte ihn ungemein. Und dazu war da noch die Aufgabe, die Akai ihm stellte. Er sollte sie beschützen und auf sie aufpassen. Und genau deswegen durfte sein Einsatz in Japan nicht einfach so enden. Dass Akai auch seinen weiteren Einsatz in Japan zu seinem Plan zählte, wurde dem Agenten erst viel später bewusst. Aber nur so machte es einen Sinn. Nichtsdestotrotz fühlte sich Camel immer noch wie ein Versager. Er versuchte für Jodie da zu sein, merkte aber schnell, dass seine Anwesenheit rein gar nichts änderte. Jodie überforderte ihn. Genau so, wie auch jetzt. Jetzt, wo sie einen Sohn bekam. „Das bin ich“, nickte die ehemalige FBI-Agentin und sah zu Reiji. „Magst du Onkel Camel mal Hallo sagen, Reiji?“, wollte sie von ihm wissen. Reiji saß immer noch ruhig auf Jodies Schoss. „Ist er nicht goldig?“, fragte sie schließlich Camel. Erneut strich sie dem kleinen über die dünnen Härchen. Die Haarfarbe stammte eindeutig von Shuichi. Aber seine blauen Augen verdankte er seiner Mutter. Camel nickte. Es war nicht zu übersehen, dass Jodie in ihrer Mutterrolle aufging. Die neue Aufgabe schien sie vollkommen auszufüllen. Es freute ihn. Und doch war er auch ein wenig enttäuscht. Wieder wurde er außen vor gelassen und musste sich nun mit der Situation arrangieren. Camel dachte an das, was ihm Akai vor mehreren Wochen sagte. „Du hättest nichts tun können. Jodie hat selbst entschieden. Sie hatte ihre Gründe und konnte dich deswegen nicht in den Ablauf miteinbeziehen. Sie hat das getan, was ich in dem Fall auch getan hätte: So wenig Personen wie möglich einweihen.“ „Camel? Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Jodie. „Ich…äh…ja…also ich mein…ich war in Gedanken“, stammelte der FBI-Agent. Sein Blick ging wieder zu Reiji. „Wie…wie…ist…“ „Wie das passiert ist, dass ich ein Baby bekommen habe?“ Wieder nickte der Agent. „Muss ich dich jetzt darüber aufklären, wie man ein Kind zeugt?“, scherzte Jodie. „N…nein…“, sofort schüttelte Camel verlegen den Kopf. Er glühte. „Und wer…wer…ist…“ „Wer der Vater ist?“ „Ja.“ „Shu.“ Camel hatte nun den gleichen Gesichtsausdruck wie zu Beginn, als er Reiji erblickte. Er war überrascht und schockiert. „Aber…wann?“ Jodie lächelte warmherzig. „Erinnerst du dich noch als ich vor über einem Jahr so verbissen an den Akten über Vermouth gearbeitet habe?“, wollte sie von ihm wissen. „Natürlich weiß ich das noch“, gab Camel von sich. Wie sollte er diese Zeit auch nur vergessen? Aber jetzt ging dem Agenten ein Licht auf. James schrieb Akai. Und Akai suchte Jodie auf. Was dann geschah, wollte er sich lieber nicht vorstellen. „Ihr habt Shu zu mir geschickt. Naja…dann führte eines zum anderen und wir sind…und wir haben miteinander geschlafen. Dabei ist der kleine Mann hier entstanden.“ „Und deswegen bist du dann auch…“ „Ja“, nickte Jodie. „Zwei Monate später hielt ich mehrere positive Schwangerschaftstests vor mir. Fünf Stück um genau zu sein. Was meinst du, wie erschrocken ich war, dass die Möglichkeit überhaupt bestand. Vor allem in unserer Situation“, erzählte Jodie ruhig. „Aber als ich dann die Ergebnisse sah und mir die Schwangerschaft von einem Frauenarzt bestätigte, wusste ich, was ich zu tun habe. Deswegen durfte ich auch nicht weiter an der Gefahrenquelle sitzen. Weder in Japan, in Shus Nähe oder in den Staaten beim FBI. Hätte ich es doch getan, wäre alles viel zu früh heraus gekommen.“ „James weiß davon?“ „Ja, er weiß es“, entgegnete sie. „Ohne seine Hilfe wäre es für mich auch nicht einfach gewesen, Japan den Rücken zu kehren. Anschließend informierte er auch die Vorgesetzten hier, sodass meine Schwangerschaft nicht publik wurde. Ich glaube, sie hoffen immer noch, dass ich irgendwann zurück ins Büro komme und wieder arbeiten will.“ „Willst du das denn?“ „Ich weiß es nicht. Früher wusste ich, dass ich immer berufstätig sein werde. Aber jetzt…“, Jodie blickte zu Reiji. „Wenn ich daran denke, dass ich zurück in den Dienst und in die Gefahr kehre...mein Vater ist wegen seinem Beruf gestorben. Shu arbeitet auch für das FBI. Ich will einfach nicht, dass Reiji bei einem Unglück in der Zukunft seine beiden Elternteile verliert.“ „Ich kann dich gut verstehen, Jodie“, entgegnete Camel. „Der Kleine ist alles für dich.“ Camel schob sachte seine Hand zu dem Jungen hinüber und strich ihm über die Wange. „Du bist Mutter. Deswegen kannst du nicht mehr nur an dich denken.“ „Das war auch der Grund, warum ich so wenig Personen wie möglich einweihen durfte. Glaub mir, Camel, ich wollte es euch so oft sagen…so oft. Dir und Shu. Aber ich wusste, wenn ich es dir sage, dann dauert es auch nicht lange, bis Shu davon erfährt. Ich mein nicht, dass du es ihm sofort erzählt hättest, aber er hätte dir sicher angesehen, dass irgendwas nicht stimmt. Und dann wäre es vielleicht rausgekommen. Ich wollte es Shu…ich wollte…Shu…ich wollte es ihm so oft…sagen…“, wisperte Jodie leise. Sie kämpfte gegen die Tränen an. „Mit James hab ich noch oft Kontakt. Du weißt gar nicht, wie oft ich ihn bitten wollte, es Shu zu erzählen. Und dann…ich hatte so oft schon eine Kurznachricht getippt oder ein Bild von Reiji geschossen und wollte es ihm senden…ich durfte nicht. Du weißt, was er dann getan hätte.“ Camel nickte verständnisvoll. „Shu hätte seine falsche Identität als Subaru Okiya aufgegeben. Er hätte zu mir gestanden. Zu mir und zu seinem Sohn. Er hätte alles getan, um uns zu schützen. Aber irgendwann wäre der Organisation mein Zustand nicht verborgen geblieben und vielleicht hätte es ihm…und uns allen…das Leben gekostet. Deswegen konnte ich einfach nicht…“ Camel sah sie mitleidig an. „Und hätte ich es dann am Telefon tun können? Stell dir das doch mal vor, Camel: Hi Shu, ich bins. Im Übrigen ich bin schwanger mit deinem Sohn. Sonst geht’s mir gut und dir? Wie hätte das ausgesehen?“ Jodie drückte Reiji leicht an sich. „Wenn sie von ihm erfahren hätten…“ „Das war nicht einfach für dich“, murmelte der FBI-Agent leise. „War es wirklich nicht. Weißt du…ich saß damals in meiner Wohnung und sah auf die positiven Schwangerschaftstests, sah das Baby vor meinem geistigen Auge vor mir…aber ich konnte mich nicht freuen. Es war wie ein Albtraum. Reiji war, obwohl er zu dem Zeitpunkt eher als Ansammlung von Zellen galt, schon ein richtiges Leben. Ein Leben in mir. Und ich musste ihn beschützen. Die Horrorvorstellungen waren einfach nur furchtbar. Ich hab mich für meinen Beruf gehasst.“ Nun hielt Jodie ihre Tränen nicht mehr zurück. Sie konnte nicht. Camel schluckte. „Jodie“, sprach er leise und legte seine Hand auf ihren Arm. „Es ist alles in Ordnung. Die Organisation kann dir nichts mehr tun. Und wir werden dafür sorgen, dass Vermouth nicht mehr in deine Nähe kommt. Wenn Akai erst einmal hier ist, wird er dich nicht mehr aus den Augen lassen. Und in der Zwischenzeit pass ich auf dich auf. Versprochen.“ Camel versuchte zu lächeln. „Keines deiner Horroszenarien wird in Erfüllung gehen.“ „Das würde auch schlecht gehen“, warf Jodie ein. „Weißt du, Camel, ich hab mir vier verschiedene Szenarien vorgestellt. Nummer 1: Die Schwangerschaft geht eine Weile gut und dann findet es die Organisation heraus. Sie beschließen mir zu folgen und irgendwann gerate ich in einen Hinterhalt. Anschließend werde ich von ihnen in einen Raum gebracht, wo sie mich foltern und ich schließlich..“ Jodie musste schlucken. „…eine Fehlgeburt erleide. Dum mir dann noch ordentlich eins reinzuwürgen, lassen sie mich laufen, sodass ich mir mein gesamtes Leben lang Vorwürfe machen werde. Nummer 2: Anstatt mich nach der Fehlgeburt laufen zu lasen, bringen sie mich um.“ Jodie drückte Reiji wieder an sich. „Und dann noch Szenario Nummer 3. Was wäre gewesen, wenn sie mich kurz vor der Geburt geschnappt hätten und mir dann Reiji weggenommen hätten? Kannst du dir vorstellen, dass er dann bei ihnen aufgewachsen wäre? Ich hätte nicht damit leben können. Und Shu…er hätte die Organisation bis ans Ende der Welt gejagt. Aber was wäre, wenn Reiji dann einer von ihnen geworden wäre? Und was, wenn Shu durch Reijis Hand sterben würde? Gott…das…ich hasse diese Szenarien.“ Camel schluckte. „Und…was wäre Szenario vier?“ Er traute sich schon gar nicht zu fragen. „Das alles gut geht. Aber wir wissen beide, wie die Wahrscheinlichkeit dafür geständen hätte. Jetzt ist zwar alles relativ gut gegangen, aber in Japan…nie im Leben. Und jetzt weiß Vermouth von Reiji…sie wusste es die ganze Zeit über.“ „Die Organisation ist zerschlagen, Jodie, und das weißt du. Sie können dir nichts mehr anhaben. Du musst vor ihnen keine Angst haben.“ „Aber Vermouth…“ „Sie spielt sich doch nur auf“, warf der Agent vehement ein. „Vermouth kennt dich gut genug und sie weiß, wie sie dich am besten Treffen kann. Sie will dir doch nur Angst machen, nur damit wir alle sie in Ruhe lassen und sie nicht mehr gesucht wird. Sie wird euch nichts tun. Das weiß ich…ich spür es. Und wenn Akai erst von eurem gemeinsamen Sohn erfährt, wird er ihn nicht mehr aus den Augen lassen.“ „Falls Shu wirklich kommt…“, murmelte Jodie leise. „Jodie…“ „Ja, ich weiß. Du hast gesagt, dass Shu sich auf den Weg macht sobald der Arzttermin vorbei ist. Aber…was wenn er in Japan von irgendwas abgelenkt wird? Oder was, wenn er eine andere Spur findet, dieser folgt und sich ein Jahr nicht bei mir meldet?“ „Wir wissen doch beide, dass das nicht passieren wird. Und du weißt das auch, nicht wahr, kleiner Mann?“ Wieder strich Camel dem Kleinen über die Wange. „Akai hat sich die ganze Zeit über solche Sorgen um dich gemacht. Und als James ins Krankenzimmer kam, um von Vermouths Besuch bei dir zu berichten, wusste er von Anfang an, dass es um dich geht. Ihr…ihr gehört zusammen.“ Jodie versuchte zu lächeln. „Danke für die Aufmunterung, Camel.“ „Das ist wirklich die Wahrheit, Jodie. Er hat bei eurem Telefonat mal den Namen Reiji gehört und war ganz außer sich.“ „Was?“ Jodie schluckte. „Keine Sorge, er weiß nicht, dass Reiji sein Sohn ist. Aber seitdem ließ ihn Reiji nicht mehr los. Er wollte, dass ich heraus finde, ob er beim FBI arbeitet. Die ganze Zeit über hat er sich Sorgen um dich gemacht. Seine schlimmste Angst war, dass Reiji zur Organisation gehört, dir das Herz bricht oder dir anders weh tut.“ „Wirklich?“ Camel nickte. „Ja. Als wir dann die Liste mit den Namen der Organisation bekamen, versicherte sich Akai mehrfach, dass kein Reiji auf der Liste steht. Er war teilweise erleichtert. Allerdings ist die Frage im Raum geblieben, wer Reiji ist. Ich konnte es nicht herausfinden.“ „Es weiß auch kaum jemand, dass ich ein Baby bekommen habe“, entgegnete Jodie. „James hat es nur den direkten Vorgesetzten gesagt. Und du weißt ja wie die sind. Die halten alle dicht.“ „Ja, das glaub ich dir“, nickte der Agent. „Aber Akai weiß immer noch nicht, wer Reiji ist. Und genau deswegen denke ich auch, dass er bald vor deiner Tür steht. Es würde mich nicht wundern, wenn er seine letzte Untersuchung auslässt und die nächste freie Maschine hier her nimmt.“ „Damit kannst du Recht haben. Es ist ein Wunder, dass sich Shu überhaupt etwas von den Ärzten vorschreiben lässt.“ Jodie blickte zu Reiji. „Hast du das gehört, mein Schatz? Der Papa kommt ganz bald hier her. Und wenn es soweit ist, zeigen wir uns beide von der besten Seite, ja?“ Camel lächelte. „Du siehst so glücklich aus.“ „Das bin ich auch. Reiji ist ein kleines Wunder.“ Shuichi betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Es passte nicht zu ihm und war fremd. Der Hautton der Maske war heller als seine eigene Haut. Von den schwarzen Haaren war nichts mehr zu sehen. Stattdessen zierte eine rotblonde Perücke seinen Kopf. Sein neues Aussehen war mehr als befremdlich. Und dennoch besaß er keine andere Wahl. Es musste sein. Nichtsdestotrotz bestand die Möglichkeit, dass die Organisation die Wahrheit entdeckte. Doch diese Zeit lag hoffentlich in der Zukunft. Und schon wieder musste der Agent eine neue Identität annehmen. Wieder musste er alle aufgeben, einen Schlussstrich ziehen. Wieder verlor er das, was er sich in der Zwischenzeit aufbaute. Jodie. Und er wusste, wenn es vorbei war, würde er ihren gesamten Zorn spüren. Aber besser ihren Zorn als gar keine Regung. Und solange Jodie ihre Gefühle nicht verschloss, war alles gut. Gern hätte er sie eingeweiht. Allerdings war Jodie der Knackpunkt in ihrem Plan. Vermouth kannte Jodie. Die Organisation würde ihre Reaktion beobachten, eine bestimmte erwarten und lieferte sie nicht ab, war es das Ende. Sein weiteres Vorgehen war von Jodie abhängig. Sie hatte es in der Hand. Mit seinem Tod musste er sie so schwer verletzen und das nur, um ihre Zukunft zu sichern. „Sie sehen gut aus.“ Akai drehte sich um. „Das ist ja alles so spannend. Shin…ich mein Conan hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. Sie sind ein FBI-Agent, der sich nicht so einfach unterkriegen lässt und immer noch versucht die Bösen zu kriegen. Das ist fast so wie in den Büchern von meinem Mann. Natürlich ist dort alles Fiktion und ich hätte nie gedacht, dass es im wahren Leben auch so aufregend, so dramatisch abläuft“, erzählte Yukiko vollkommen aufgedreht. „Wie fühlen Sie sich jetzt?“ „Ungewohnt“, antwortete Akai ehrlich. „Das ist vollkommen normal. Nach einer Weile geht das wieder weg und sie werden sich wohler fühlen. Ich spreche da aus Erfahrung. Und so wie ich Sie einschätze, werden Sie bald gar nicht mehr merken, dass Sie eine Maske tragen.“ „Mhmm...“, murmelte Shuichi. „Was hat der Junge über mich erzählt?“ Akai blickte zu Conan, der sich verlegen am Hinterkopf kratzte. „Ich hab nicht viel erzählt. Tante Yukiko weiß nur, dass sie FBI-Agent sind und hier einen Einsatz haben. Deswegen hilft sie uns.“ „Genau. Conan hat mir gesagt, dass Sie jemanden suchen und aus dem Grund Ihren Tod vortäuschen und eine neue Identität annehmen müssen.“ Akai fixierte den Jungen. Allein das war schon zu viel. „Gucken Sie nicht so böse. Irgendjemanden musste ich schließlich einweihen. Und Tante Yukiko kennt sich sehr gut mit Masken aus. Außerdem kann sie ein Geheimnis bewahren, nicht wahr, Tante?“, fragte Conan die Ältere gespielt kindlich. „Natürlich Shi…Conan“, sagte diese. „Dazu ist es auch noch so atemberaubend. Ich mein, wann erlebt man so etwas hier in Japan?“ „Du lebst doch in den Staaten, schon vergessen?“ „Nein, aber dort ist das ja so eine Art Tagesordnung. Überall sieht man FBI-Agenten.“ „Oh man“, murmelte Conan leise. „Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Sie keine Kontaktlinsen wollen? Ich hab extra ein Paar blaue mitgebracht.“ „Nein, danke. Es wird das Beste sein, wenn ich für die Zeit meine Augen einfach nur zukneife“, entgegnete Akai. „Wie Sie meinen.“ Yukiko musterte ihn. „Aber wenn Sie sich doch umentscheiden, wissen Sie, wo eine Packung liegt“, fügte sie an und legte die Schalte auf den Tisch. „Gut.“ Erneut betrachtete sich Akai im Spiegel. Er runzelte die Stirn. „Gut, ich bin dann weg.“ „Was? Wo wollen Sie hin?“, wollte Conan alarmiert wissen. „Raus.“ „Aber das können Sie doch nicht machen.“ „Wieso? Wir müssen sowieso gucken, ob meine neue Identität etwas taugt oder nicht.“ „Aber…“, warf Conan ein. „Du solltest so langsam wissen, dass ich nicht so einfach zu erledigen bin“, gab Akai von sich und ging an dem Jungen vorbei. Shuichi trat nach draußen. Die frische Luft tat ihm gut. Nur widerwillig zündete sich Akai keine Zigarette an. Subaru Okiya – wie er sich nun nannte – rauchte nicht in der Öffentlichkeit. Und der Dran zu einer Zigarette konnte ihn unter Umständen verraten. Deswegen steckte sich Shuichi die Hände in die Hosentasche und ging seinen Weg. Der FBI-Agent beobachtete die Wohnung die in der oberen Etage lag. Das Licht war ausgeschaltet, aber das musste nichts heißen. Sie konnte auch schlafen. Oder sie war nicht zu Hause. Sein Tod war vor zwei Wochen. Es waren zwei lange Wochen. Die Villa, in der Conan ihn unterbrachte, konnte er nicht verlassen. Und auch sonst zeigte er sich nirgends. Nichts tun und warten. Wie er es hasste. Dazu bekam er keinerlei Informationen was die Arbeit der Organisation oder des FBIs anging. Es war nervig. Einfach nur nervig. Klack…klack…klack… Die Frau ging einfach so an ihm vorbei, bemerkte ihn nicht einmal. Durch die Laterne allerdings konnte er ihr Gesicht erkennen. Sie war blass, dünn und unglücklich. Und sie ging einfach so durch die Straße. Alleine. Shuichi unterdrückte ein Knurren. Er sollte sie doch schützen, auf sie aufpassen und sie nicht in der Nacht allein auf die Straße lassen. Dass Jodie kurz vorher weinte, sah er ihr auch an. Zwei Sekunden. Mehr brauchte er nicht. Shuichi schluckte. Er durfte nicht. Es war noch zu früh. Nur langsam schlurfte Jodie zum Wohnblock, öffnete die Tür und verschwand schließlich. Wenige Minuten später ging oben das Licht an. Sie kam heil oben an. Trotzdem wusste er, dass es ihr schlecht ging. Schon wieder war es eine Schuld. Schon wieder fügte er ihr Leid zu. Shuichi beobachtete die Wohnung eine ganze Weile. Es vergingen Stunden und die Tiefe Nacht brach ein. Das Licht in Jodies Zimmer brannte noch immer. Akai ahnte, dass sie im Bett lag, sich die Augen aus dem Kopf weinte und zum Schluss einschlief. Es fiel ihm nicht leicht. Seine Beine verselbstständigten sich und so sah er das Klingelschild seiner ehemaligen Freundin an. Starling. Der Name sprang ihm förmlich ins Gesicht. Shuichi wusste, dass er nun drei Möglichkeiten hatte. Er konnte klingeln und Jodie wecken, durch die Gegensprechanlage ihre Stimme hören und ihr sagen, dass alles gut werden würde. Er konnte sich aber auch mit seinem Ersatzschlüssel Zutritt zu ihrer Wohnung verschaffen. Oder er ging einfach. Nach Möglichkeiten eins und zwei gab es kein Zurück mehr. Akai haderte mit sich selbst. Er war bereit die Grenze zu überschreiten und trotzdem zögerte er. Shuichi seufzte leise und rief sich in Erinnerung, dass die Zeit noch nicht gekommen war. Er musste seine Versprechen halten. Shiho retten, Vermouth festnehmen. Und dann war da noch das Versprechen, dass er sich einst selbst gab. Jodie beschützen. Und das konnte er nur, wenn er sich ihr nicht offenbarte. Kapitel 11: Besuche ------------------- Beep. Beep. Beep. Genervt seufzte Shuichi auf und zog das Handy aus seiner Jackentasche. Er blickte auf das Display seines neuen Smartphones. Ob dieses wenigstens ein neues Display überleben würde? Shuichi konnte nur abwarten. Noch war das Display kontakt. Noch. Shuichi wischte mit dem Finger über das grüne Symbol und nahm den Anruf entgegen. „Was gibt es?“, wollte er von seinem Gesprächspartner wissen. „Warum bist du nicht zu deiner Untersuchung im Krankenhaus erschienen?“, kam es sogleich von James. Die schlechte Laune in seiner Stimme war auch über das Telefon zu hören. Akai musste kurz überlegen. An eine Untersuchung dachte er nicht mehr. Sie war nicht wichtig und sonst war es auch immer Jodie, die ihn an solche Termine erinnerte oder ihn zu diesen schleppte. Shuichi sah kurz zu der großen Uhr im Gebäude. Vor wenigen Stunden war sein Termin im Krankenhaus. Aber was er verpasste, verpasste er eben. „Hat dich das Krankenhaus angerufen?“ „Natürlich haben sie mich informiert“, raunte James in den Hörer. „Wo bist du? Ich hol dich ab und spreche mit dem Arzt, damit er dich noch heute dran nimmt.“ Ein leichtes Grinsen legte sich auf die Lippen des Agenten. „Sag den Ärzten, dass sie mich von der Liste streichen können.“ „Akai, bitte die Untersuchung ist wichtig.“ Shuichi verdrehte die Augen. „Ich bin in New York.“ „Was?“ „Mir geht es gesundheitlich gut, James. Und jetzt mach ich meine Arbeit.“ „Ak…“ James hörte nur noch das eintönige Tuten. Er seufzte und wählte erneut die Nummer des FBI-Agenten. The person you’ve called is temporarily not available. Eigentlich war James der Boss. Nur dann nicht, wenn man mit Akai zusammen arbeitete. Shuichi warf den Stummel seiner Zigarette auf den Boden und ging die Straße weiter entlang. Sein Plan sah einfach aus. In den Staaten angekommen, wollte er sie sofort besuchen. Bei ihr angekommen, beobachtete er das Gebäude eine Weile und bemerkte, dass sie nicht alleine war. Er wartete. Und erst Stunden später, konnte er endlich zu ihr. *** Jodie brachte Reiji zurück in sein Bett, nachdem dieser friedlich in ihren Armen einschlief. Wie gern hätte sie ihn wieder beim Schlafen beobachtet. Leider konnte sie es nicht. Jodie ging zurück, drehte sich an der Tür noch um und warf einen Blick auf Reiji. Sie lächelte während sie anschließend das Schlafzimmer verließ. Zurück im Wohnzimmer blickte sie Camel an. „Da bin ich wieder. Ich hoffe, ich hab dich nicht lange warten lassen“, sprach sie ruhig. Camel war derweil ebenfalls aufgestanden. „Kein Problem. Trotzdem sollte ich nun wieder zurück ins Quartier.“ „Tut mir leid, dass ich dich so lang hier aufgehalten hab.“ „Das hast du doch nicht. Ich wollte dich nach all der Zeit wieder sehen und hören, was dir im letzten Jahr wiederfahren ist“, entgegnete der Agent. „Verstehe“, schmunzelte die Blonde. „Grüßt doch bitte die anderen Agenten von mir.“ „Mach ich“, nickte er. „Und Camel?“ „Keine Sorge, Jodie, von mir erfährt keiner etwas von Reiji.“ Jodie lächelte und brachte ihn währenddessen zur Tür. „Danke für deinen Besuch.“ „Gerne. Mach dir bitte nicht so viel Sorgen. Ich spüre, dass alles gut gehen wird. Und ehe du dich versiehst, steht Akai vor der Tür.“ „Das wäre wirklich eine Überraschung. Aber wenn ich ehrlich bin, denke ich nicht, dass er gleich hier erscheint. Sollte es allerdings doch der Fall sein, ruf ich dich an.“ „Gut“, gab Camel von sich. „Wenn du mal was brauchst oder Reiji, du kannst mich jederzeit anrufen.“ „Ich weiß“, sprach die ehemalige Agentin und umarmte Camel kurz. Nach ihrer anschließenden Verabschiedung schloss sie die Tür und lehnte sich gegen diese. Es war schön gewesen Camel wiederzusehen. Die Zeit verging wirklich schnell, auch wenn es ihr manchmal nicht so vorkam. Jodie ging zurück ins Wohnzimmer und räumte den Tisch ab, als es an der Tür klingelte. *** Shuichi stand vor der Tür. Mit einer Entschlossenheit im Gesicht klingelte er. Erst einmal, dann ein zweites Mal. Als die Tür aufging, wurde er von seinem Gegenüber angelächelt. „Ach Sie sind es.“ Yukiko umarmte den FBI-Agenten sofort und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Ihr war egal, dass er solche Zuschaustellungen hasste. „Shin…Conan hat mir bereits erzählt, dass Sie wieder Ihre richtige Identität annehmen konnten.“ Akai nickte kurz. „Darf ich reinkommen?“ „Natürlich.“ Yukiko machte Platz und brachte ihn anschließend in das Wohnzimmer. „Schade, dass Sie nicht einige Minuten eher hier waren. Mein Mann hätte sich gefreut, Sie wieder zu sehen.“ „Es ging nicht eher“, log der Agent. „Nun ja…vielleicht sind Sie noch da, wenn er wieder zurück kommt. Möchten Sie etwas trinken?“ „Nein. Danke“ Shuichi setzte sich. „Ich weiß von Ihrem Sohn, dass Sie damals mit Sharon Vineyard befreundet waren?“ „Hmm?“ Yukiko setzte sich ebenfalls. „Als ich mit der Schauspielerei anfing und mich auf eine Rolle vorbereiten musste, nahm ich Unterricht bei einem Magier“, erzählte sie. „Dabei lernte ich Sharon kennen. Wir hielten auch den Kontakt, aber Sie wissen ja selber, dass Sharon bereits vor einer langen Zeit gestorben ist.“ „Offiziell“, entgegnete der Agent. „Natürlich wissen Sie, dass Sharon Vineyard als Chris Vineyard weiterlebt und als Vermouth für die Organisation arbeitete.“ Yukiko schluckte. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ „Ach kommen Sie, Yukiko. Ich weiß schon lange, dass Conan Edogawa Ihr Sohn Shinichi Kudo ist. Und ich weiß auch, dass Sie über die Organisation Bescheid wissen.“ Shuichi räusperte sich. „Als ich meine Identität wechselte, nahmen Sie es ohne große Nachfrage hin. Obwohl Sie anfangs überrascht taten, habe ich während der Zeit, wo Sie sich im Haus aufhielten, gemerkt, dass Sie schon lange über die Wahrheit im Bilde sind. Ich nehme ebenso an, dass Vermouth auch weiß, dass Sie es wissen. Und trotzdem ist Ihnen in der ganzen Zeit nichts passiert. Natürlich ist mir auch aufgefallen, dass sie nie aktiv gegen Conan vorgegangen ist. Ich nehme an, Sie hat Kinderbilder von Ihrem Sohn gesehen, konnte eins und eins zusammen zählen und hat ihn deswegen insgeheim beschützt. Mir ist allerdings egal, ob sie es wegen der Freundschaft zu Ihnen tat oder wegen einem anderen Grund. Darum geht es jetzt nicht.“ „Meine Freundschaft zu Sharon ist lange her. Sie wissen ja, wie berühmt sie ist. Irgendwann haben wir uns immer seltener gehört und gesprochen. Aber Sie haben mit Ihrer Vermutung recht. Sie kannte wirklich einige Kinderbilder von Shinichi. Die Beiden haben sich sogar kennen gelernt, als er fünf Jahre alt war. Mittlerweile hat sie sich aber stark verändert. Sie ist kälter geworden…aber ich denke, dass ist normal, wenn man bedenkt, welchen Umgang sie hatte.“ Yukiko blickte melancholisch auf den Boden. „Es ist so viel Zeit vergangen und ich hab nie bemerkt, wer sie wirklich war. Wussten Sie, dass Sie bereits für die Organisation arbeitete, als wir uns kennen lernten? Das war bitter…Ich frage mich manchmal, ob ihre Freundschaft einfach nur gespielt war. Aber wahrscheinlich werde ich auf diese Frage nie eine Antwort bekommen.“ „Tut mir leid.“ „Muss es nicht. Ich hab meine Familie und eigentlich könnte es mir nicht besser gehen. Shinichi hat mir erzählt, dass Sharon…nein Chris immer noch auf freiem Fuß ist und ihr die Flucht gelang.“ Akai nickte. „Wir nehmen an, dass ihre Flucht lange geplant war“, entgegnete Akai ruhig. „Mittlerweile befindet sie sich in New York und bedroht meine Kollegin.“ Shuichi ballte die Faust. „Angeblich will sie nur in Ruhe gelassen werden.“ „Aber Sie trauen diesem Friedensangebot nicht?“, fragte Yukiko nach. „Natürlich nicht. Dieser Frau ist alles zuzutrauen. Sie wartet nur darauf, dass wir einen Fehler machen, damit sie einen legitimen Grund kriegt wieder zu Morden. Sie kennen sie, Yukiko. Und Sie können sicher erahnen, wozu sie in der Lage ist.“ Yukiko schüttelte den Kopf. „Dem ist nicht so. Die Frau, die ich kannte, war nett, liebevoll, aufmerksam. Die Person, die sie nun ist, ist kaltherzig und verschlossen. Sie…sie schützt sich nur vor Schaden durch andere Menschen“, wisperte die Schauspielerin leise. „Ich glaube, es liegt in ihrer Vergangenheit…ihr muss etwas Schlimmes angetan worden sein…etwas, das sie zu diesem Monster machte.“ Akai nickte. „Aber wahrscheinlich ist das auch der Preis, den sie zahlen muss, weil sie länger als alle anderen lebt. Gerade weil sie so sehr in der Öffentlichkeit steht, müsste sie wohl andauernd ihr wahres Aussehen verschleiern. Das kann doch nicht auf Dauer gut gehen, meinen Sie nicht auch?“ „Mir ist egal, was sie zu dem machte, was sie ist“, sprach der FBI-Agent. Yukiko schluckte. „Sie wollen sie bestimmt festnehmen, nicht wahr?“ Akai nickte erneut. „Aber warum suchen Sie jetzt ausgerechnet mich auf? Ich weiß, dass das FBI genügend Informationen über sie hat. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Shuichi schloss seine Augen und lehnte sich nach hinten. „Sie hat Jodies Vater umgebracht als diese ein kleines Mädchen war. Seitdem war Jodie auf der Suche nach der Mörderin ihres Vaters. Wie Sie sich vorstellen können, fand sie diese in Vermouth. Es besteht kein Zweifel daran, dass eine weitere Begegnung und Konfrontation beider Frauen blutig enden wird. Es wundert mich zwar, dass Vermouth Jodie vor einigen Tagen in Ruhe ließ…allerdings…“ Akai öffnete wieder die Augen und blickte Yukiko an. „Jodie hat Japan vor über einem Jahr verlassen. Ich kenne den wahren Grund, der dahinter steckt nicht. Vielleicht hat Vermouth irgendwas damit zu tun, vielleicht aber auch nicht. Das spielt momentan für mich keine Rolle. Aber ich weiß, dass Vermouth bereits öfters in New York war. Laut meinem Informanten wurde Jodie genau so oft von ihr beobachtet. Angeblich weil sich die Organisation Sorgen machte, dass wir hier den vernichtenden Schlag gegen sie planen.“ Yukiko lauschte angespannt der Stimme des Agenten. „Ich weiß, dass irgendwas in der Luft liegt. Ich spüre es. Und ich traue dem Frieden nicht.“ „Aber Sie sagten vorhin selber, dass sie eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will. Vielleicht…wollen Sie auch einfach hinter ihren Handlungen etwas Schlimmes sehen“, warf Yukiko ein. „Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?“ Shuichi lächelte süffisant. „Wenn dies der Fall wäre, warum muss sie ihr Friedensangebot mit einer Drohung untermauern?“, wollte er wissen. Shuichi verschränkte die Arme. „Sie wird Jodie umbringen, sollte das FBI die Füße nicht still halten. Und wissen Sie, was das Problem ist? Wir können Vermouth nicht einfach so in Ruhe lassen.“ Yukiko dachte nach. „Aber wenn Sie sie verhaften, würde das eine Menge Aufsehen mit sich bringen.“ „Natürlich. Aus dem Grund wäre es von Vorteil, wenn wir sie ohne großen Rummel in Gewahrsam nehmen könnten. Wir wissen aber selber, dass es uns Vermouth nicht so einfach machen wird. Und mit ihrer Drohung hat sie im Hauptquartier für Alarmstufe rot gesorgt.“ „Was haben Sie denn jetzt vor?“, wollte Yukiko wissen. Noch immer wusste sie nicht, warum der FBI-Agent ihr so viel erzählte und was er eigentlich von ihr wollte. „Manchmal erinnern Sie mich an einen Workaholic. Obwohl die Organisation zerschlagen ist, suchen Sie immer noch nach einem Mitglied. Warum können Sie die Arbeit nicht Ihren Kollegen überlassen? Dann sind Sie nicht dafür verantwortlich, wenn das FBI etwas unternimmt, was Ihre Kollegin in Gefahr bringt“, warf sie ein. „So einfach ist das nicht, Yukiko. Ich habe Ihnen doch vorhin erzählt, dass Vermouth Jodies Vater auf dem Gewissen hat. Vor langer Zeit gab ich ein Versprechen. Ich würde derjenige sein, der Vermouth verhaftet, damit Jodie endlich zu Ruhe kommen kann. Und ich bin ein Mann, der seine Versprechen hält.“ Unweigerlich musste Yukiko schmunzeln. „Sie sind ja so süß“, gab sie von sich. „Schade, dass Sie jünger sind und ich verheiratet“, kicherte sie. „Yukiko!“ „Ja, ich weiß doch“, sprach sie. Natürlich verhielt sie sich manchmal wie ein Kind. Sie war zwar Mutter und älter, aber dem Spaß nicht abgeneigt. „Ich frage mich immer noch, was Sie von mir wollen.“ Sie stockte. „Sie wollen, dass ich Chris überrede sich dem FBI zu stellen?“ „Natürlich weiß ich, dass sie es nicht tun wird. Mir reicht es, wenn ich etwas gegen sie in der Hand habe. Ich möchte versichert sein, dass sie Jodie kein Haar krümmen wird, egal was passiert.“ „Damit werden Sie Ihr Versprechen nicht halten können.“ „Ich weiß. Aber so wie es momentan um die Dinge steht, habe ich nur zwei Möglichkeiten.“ Shuichi verengte die Augen. „Ich kann Vermouth verhaften und bringe Jodie damit in Gefahr oder ich gehe das Risiko ein und lasse sie laufen.“ „Was würde Ihre Kollegin wollen?“ „Sie würde Vermouth lieber im Gefängnis sehen.“ „Vielleicht…sollten Sie dann ihrem Wunsch entsprechen.“ „Vielleicht. Aber wenn ich das tue, bringe ich sie in Gefahr. Es ändert einiges, wenn aus einer unausgesprochenen Drohung eine ausgesprochene Drohung wird. Sie hat nun nicht mehr die Organisation im Rücken und kann eigenständig aktiv werden. Nehmen wir an, ich würde sie verhaftet. Wer garantiert mir, dass sie nicht bereits einen Auftragsmörder gefunden hat, der Jodie im Visier hat?“, kam es von Akai. „Oder was passiert, wenn sie entkommt? Ich denke, es wird ihren Hass auf Jodie weiter schüren und am Ende zu einer Katastrophe kommen. Und ohne einen Grund kann ich sie auch nicht erschießen.“ Yukiko schluckte. „Sie würden sie tatsächlich…?“ „Wenn es sein muss, ja. Allerdings wäre es mir lieber sie lebend zu bekommen.“ „Damit sie ihre Strafe absitzen kann“, schlussfolgerte die Schauspielerin. „Der Tod kann für manche Leute die Rettung sein.“ „Ich verstehe…“, murmelte Yukiko. „Ich kann Ihnen nichts versprechen“, fügte sie anschließend an. *** Jodie stand an der Tür. Ihr Herz klopfte höher. Konnte es sein, dass Camel recht hatte? Stand Shuichi auf der anderen Seite? Hatte er seinen Arzttermin in Japan abgesagt, war in den nächsten Flieger gestiegen und wollte sie sehen? Durfte sie diese Hoffnung haben? Es klingelte erneut und Jodies lächeln versiegte. Shu war niemand, der mehr als einmal an die Tür klingelte. Er wartete nicht gern. Jodie sah durch das Guckloch, dann seufzte sie leise. Ignorieren war aber keine Option, außer sie wollte, dass ihr Sohn durch das mehrfache Klingeln wieder wach wurde. Jodie atmete tief durch und öffnete die Tür. „Anne. Was treibt dich hier her?“, wollte sie von der Frau wissen. „Ich war zufällig in der Gegend“, antwortete Anne. „Ok. Komm rein.“ „Ich muss gleich wieder weiter. Wollte nur hallo sagen.“ Jodie sah sie überrascht an. „Wirklich?“, murmelte sie leise. „Dann…hallo.“ „Sag mal Jodie, was hast du übermorgen vor?“ „Übermorgen?“ Jodie sah sie fragend an. „Geplant hab ich nichts.“ „Gut. Dann halt dir den Tag frei.“ „Anne!“ „Was denn? Ich hab dir ein Date organisiert.“ „Du hast was? Warum?“ Jodie war außer sich. Wieso sollte sie sich mit einem Fremden treffen? Und warum ausgerechnet jetzt. „Jaja…ich weiß. Du musst mir nicht danken“, antwortete Anne. „Und er ist auch wirklich süß. Sein Name ist Shiro. Er ist Chinese, 32 Jahre alt und er arbeitet in dem kleinen Restaurant in meiner Nähe. Manchmal lass ich mir Essen nach Hause bringen. Und da er heute da war, hab ich ihn einfach mal gefragt. Ehe du etwas sagen kannst, ich weiß, dass China nicht Japan ist und das nicht in dein Beuteschema passt, aber du kannst es trotzdem mal versuchen. Außerdem weiß er von deinem Sohn und möchte dich trotzdem kennen lernen. Das ist doch was, nicht? Und du kannst nicht absagen. Er gehört zur sensiblen Sorte und du wirst sehen, ihr werdet euch gut verstehen.“ Anne zwinkerte ihr zu. „Ich werde dich übermorgen abholen und dich zu ihm in den Park bringen. Du hast also keine andere Wahl.“ Jodie seufzte. „Anne, das geht nicht…“ „Das sagst du immer. Aber man muss dich zu deinem Glück zwingen. Nun hab dich nicht so, Jodie.“ Anne machte einen Schritt zurück. „Du schaust es dir an und wenn du Spaß hast, freust du dich halt. Und wenn nicht, dann ist das auch in Ordnung.“ Dann lief Anne zu den Treppen und verschwand. „Anne…“ Jodie wollte ihr nachlaufen, was suboptimal war, da Reiji allein in der Wohnung wäre. Sie seufzte erneut und schloss die Tür. Das hatte sie nun davon, weil sie hoffte. *** Shuichi hielt die Hände in seinen Hosentaschen und machte sich auf den Weg zum Hauptquartier. Schweigend trat er durch die Türschwelle, sah kurz die Wachmänner an, zog seinen Ausweis heraus und ging weiter. Es war lange her und trotzdem sah alles wie immer aus. Shuichi konnte sich denken, dass mittlerweile viele Agenten rein und raus gingen. Einige kamen nie wieder. Mit dem Aufzug fuhr der Agent in die 13. Etage und ging zu seinem ehemaligen Büro. Es war ein Wunder, dass an der Tür immer noch die beiden Namen standen. Shuichi Akai. Jodie Starling. Er lächelte und strich mit den Fingern über das Türschild. Lange war es her. Wenige Sekunden später öffnete Akai die Tür und trat ein. Der Raum sah genau so aus wie früher. Nur die Pflanzen, die Jodie immer anschleppte und die kaum eine Überlebenschance besaßen, waren vollkommen verschwunden. Sie schützten Menschen, vergaßen aber immer wieder die Blumentöpfe zu gießen. Shuichi sah zu seinem Schreibtisch. Er war immer noch so unordentlich hinterlegt, wie bei seinem Aufbruch damals. Trotzdem schmunzelte er. Jodie war immer hinterher gewesen, dass er alle Akten pünktlich abgab und dass sein Tisch ordentlich aussah. Oft übernahm sie dies kurzerhand selbst. Und immer wieder endete es damit, dass Shu seine Unterlagen nicht wieder fand und Zeit mit suchen verbrachte. Andauernd drohte Jodie ihm, nicht mehr aufzuräumen, tat es dann aber doch. Bis jetzt. Dann warf er einen Blick auf Jodies Schreibtisch. Er war aufgeräumt und Shuichi sah sie dort sitzen und arbeiten. Langsam ging er auf den Tisch zu, berührte mit den Fingerspitzen das matte Holz und fuhr an der Kante entlang. Kurz darauf stockte er. Das kleine Licht am Bildschirm blinkte. Er war an. Jodie. Wer auch sonst sollte im Büro sein und arbeiten? Aber es machte keinen Sinn. Jodie hörte auf. Und nun war sie auf einmal wieder da? Shuichi ging zum Schreibtischstuhl. Das Bild auf Jodies Tisch fehlte. Er war sich sicher, dass Jodie es vor ihrem Aufbruch nach Japan nicht mit einsteckte. Und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass sie es nun nach Hause nahm. Etwas an der Situation stimmte nicht. Shuichi spürte es ganz genau. Er wusste, dass etwas in der Luft lag. Nur konnte er nicht sagen was. Zu gern hätte der Agent den Bildschirm angeschaltet, sich angesehen, was Jodie oder die andere Person suchte, doch dafür gab es keinen legitimen Grund. Bei seinem Feind war es kein Problem. Die Arbeitsstelle sowie seine Freundschaften waren Tabu. Shuichi legte den Kopf in den Nacken. Als die Tür aufging, fixierte er die eintretende Person sofort. „Oh“, kam es von dem Japaner. Shuichi schwieg und stand auf. „Tut mir leid, ich hatte noch keine Möglichkeit gehabt das Türschild auswechseln zu lassen. Ich nahm an, Sie würden erst in einigen Tagen hier her kommen“, sprach er sofort. „Und Sie sind?“ „Ich bin Ihnen als neuer Partner zugeteilt worden.“ Er hielt ihm die Hand hin. „Mein Name ist Kimura. Reiji Kimura.“ Kapitel 12: Treffen ------------------- Shuichi verengte die Augen. Reiji Kimura. Sein neuer Partner. Jodies Reiji. Und nun stand er ihm endlich gegenüber. Aber was war mit Camels Recherche? Hieß es nicht, dass beim FBI kein Reiji tätig war? Hatte Camel doch keinen guten Draht zu seinen Kollegen oder Informanten? Und wieso wurde er über seinen neuen Partner nicht informiert? Akais Gedanken machten sich selbstständig. Sie rotierten und er stellte sich verschiedene Szenarien vor. Was, wenn das gesamte FBI über die neue Liebschaft von Jodie und Reiji Bescheid wusste und sie diese, wie damals bei ihm selbst, deckten. Und was, wenn sie aus dem Grund auch nicht wollten, dass er von Reiji weiß, solange sein Auftrag in Japan noch nicht beendet war? Führte ihn das FBI etwa vor? Wartete sie mit Neuigkeiten bis er endlich die Organisation besiegen konnte? „Sie sind Agent Akai, nicht wahr?“ Shuichi presste die Lippen aufeinander. Er wollte knurren, ihm die Faust ins Gesicht schlagen, ihm irgendwas brechen oder ihn feuern lassen. Irgendwas. Nur um die kochende Wut, die in seinem Inneren loderte, wieder unter Kontrolle zu bringen. Wie sollte er nur mit Jodies neuem Freund zusammen arbeiten? Was dachten sie sich dabei? Shuichi blickte auf Reijis Hand. „Akai Shuichi“, stellte er sich daraufhin vor. In seinem Gesicht war wie sonst auch keine Regung zu sehen. Reiji zog seine Hand zurück und musterte seinen Gegenüber. „Es ist mir wirklich eine Ehre, dass ich mit Ihnen zusammen arbeiten darf. Ich ab schon so viel von Ihnen gehört. Leider war ich vor meinem Umzug nach New York in einen anderen größeren Fall involviert. Deswegen konnte ich leider nicht auch als Agent nach Japan geschickt werden. Ich bedauere es wirklich sehr.“ „Dadurch leben Sie wenigstens“, entgegnete Akai kühl. „Eh…“ Reiji kratzte sich am Hinterkopf. „Da haben Sie recht. Trotzdem hätte ich gern meinen Kollegen geholfen.“ Shuichi zuckte mit den Schultern und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Was für eine Ironie. Ausgerechnet mit Jodies neuem Freund teilte er sich ein Büro. Was das FBI wohl noch für Überraschungen für ihn parat hatte? „Rauchen Sie?“ „Nein.“ „Alkohol?“ „Schmeckt mir nicht so. Ich trinke höchstens ein Glas Wein oder Sekt zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder Feiertagen.“ Shuichi musterte ihn. Reiji schien einige Jahre jünger zu sein, dazu hatte er einen viel freundlicheren Gesichtsausdruck, war Nichtraucher und trank nicht. Ein Lottogewinn für Jodie. Er war eine Art Akai 2.0, die verbesserte Version. „Wie lange sind Sie bereits beim FBI tätig?“ „Seit ungefähr dreieinhalb Jahren“, antwortete Reiji. „Hier geboren?“ „Nicht in New York. „Sondern?“ „Baltimore. Meine Eltern wanderten früh aus. Deswegen bin ich auch nicht in Japan aufgewachsen. Allerdings sprachen wir zu Hause beides, amerikanisch und japanisch. Als ich noch jünger war, flogen wir auch oft in die alte Heimat.“ „Baltimore“, murmelte Akai. „Und trotzdem sind Sie beim FBI gelandet. Wieso?“ „Mein Vater war Polizist“, erzählte Reiji. „Mittlerweile ist er wegen einer Schusswunde pensioniert. Damals fing ich auch bei der Polizei an, weil ich in seine Fußstapfen treten wollte. Allerdings hab ich schnell gemerkt, dass die Polizeiarbeit nichts für mich ist. Wir haben oft Fälle bearbeitet, die anschließend in die Hände des FBIs gelangten und Sie wissen ja, wie es mit der Kommunikation ist. Was aus den Fällen geworden ist, erfuhren wir nicht mehr. Einige laufen noch, andere sind abgeschlossen…ich weiß es nicht“, fügte er an. „Mhmm…“ „Bei vielen Fällen hing mein Herzblut dran. Das war auch der Grund, warum ich mir gesagt habe, dass ich für das FBI arbeiten will.“ „Warum wurden Sie nicht einem Büro in Baltimore zugeteilt?“, wollte Akai dann wissen. Das Gespräch grenzte bereits an ein Verhör. Aber genau das war es auch. Akai musste mehr über ihn erfahren, musste einschätzen, ob er Jodie wirklich glücklich machte oder ob alles einfach nur ein großer Fehler war. „Ach wissen Sie…“ Reiji kratzte sich an der Wange. „Während der Ausbildung beim FBI war ich lange von zu Hause fort und naja…“ „Schon gut. So genau wollte ich es nicht wissen.“ Shuichi fuhr seinen Rechner hoch. Aus dem Augenwinkel blickte er zu Reiji. Unglücklicherweise passte er zu Jodie. Viel zu gut sogar. „Was sagt Ihre Freundin zu Ihrer Arbeit?“ Reiji schmunzelte. „Wir haben uns so kennen gelernt“, sprach dieser. „Ich wollte mir gerade vom Coffee Shop einen Kaffee holen. Naja wollte. Da ich in Eile war, lief ich sie beim Verlasen des Gebäudes um. Wegen mir wäre sie fast zu ihrem Gespräch beim Vorgesetzten zu spät gekommen. Danach lud ich sie zur Wiedergutmachung zum Essen ein und eins kam zum anderen…“ „Sie ist Amerikanerin?“ „Ja, das ist sie.“ „Und ist es was ernstes?“ „Sieht man mir das an?“, wollte Reiji wissen. „Wir sind mittlerweile verlobt und wir freuen uns beide auf die Hochzeit. Geplant ist sie im nächsten Frühjahr. Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie kommen würden.“ Unweigerlich ballte Shuichi die Faust. Verlobt. Dieses Wort zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Er spürte, wie ihm alles im letzten Jahr entglitt und dass das, für was er kämpfte, verloren war. Nicht nur, dass Jodie einen neuen Mann im Leben hatte, jetzt war sie noch mit ihm verlobt. Shuichi stand auf. „Agent Akai?“ Erwartungsvoll blickte Reiji zu ihm. „Mal sehn“, antwortete der Gefragte und ging nach draußen. Das Verlangen seinen Frust und seine Wut auszulassen, wurde immer größer. Und nur der Schießstand konnte dieses Verlangen besänftigen. Allerdings folgte ihm Reiji. „Hab ich etwas Falsches gesagt?“ „Nein“, zischte Shu. „Aber…ich merke doch, dass Sie etwas haben.“ „Tun Sie ihr ja nicht weh, Reiji“, gab Shu von sich. Er drehte sich um und fixierte seinen neuen Partner. Sein Blick und sein Gesichtsausdruck strahlten Bedrohlichkeit aus. „Wenn Sie es doch tun, brech ich Ihnen alle Knochen.“ Reiji schluckte. Seine Knie wurden weich. Bisher hatte er einige Drohungen in seiner Laufbahn erlebt. Allerdings saß die seines neuen Kollegen besonders tief. Sie kam ohne Vorwarnung und aus heiterem Himmel. Reiji Kimura wusste nicht einmal warum. *** Yukiko seufzte leise. Obwohl sie wusste, dass es nichts brachte, suchte sie trotzdem das Gespräch mit ihrer alten Freundin. Yukiko saß im Park auf der Bank, die Hände im Schoss gefaltet und wartete. Es war merkwürdig, dass Chris Vineyard einem Treffen sofort zustimmte. Beim FBI würden die Alarmglocken schrillen, aber Yukiko wusste, dass sie nichts zu befürchten hatte. Yusaku – ihr Mann - warnte sie und dennoch musste sie das Gespräch alleine führen. Yukiko blickte nach oben zum Himmel. Was war nur passiert? Was brachte ihre ehemalige Freundin dazu auf der falschen Seite zu stehen? Was hatte sie zu einem solchen Monster gemacht? „Was verschafft mir die Ehre?“ Yukiko sah zu ihr. „Sharon…“ Da stand sie. Ihre damalige Freundin. Das lange blonde Haar wehte im Wind. Immer noch sah sie so schön aus wie damals. Dennoch ahnte Yukiko, dass nicht zu Altern kein Glück brachte. Es hatte stattdessen einen bitteren Nachgeschmack. „So heiß ich nicht“, kam es von Vermouth, die ihre schwarze Sonnenbrille auf den Kopf schob. „Ich hab mich schon gefragt, wann du mich anrufen würdest.“ „Du warst also nicht überrascht“, gab Yukiko von sich. „Das ist gut.“ „Wie geht’s deinem Sohn?“, wollte Vermouth dann von ihr wissen. „Gut“, begann Yukiko ruhig. Dabei lächelte sie. Shinichi, auch wenn er Conan war, war ihr gesamter Stolz. Nicht nur, dass er sehr schlau war, er konnte sich auch seiner Situation anpassen und ließ sich nicht unter kriegen, egal wie ausweglos die Situation war. Shinichi war eindeutig etwas Besonderes. „Immer noch klein?“ „Ja. Aber wir hoffen auf das Beste. Das Mädchen, Ai nennt sie sich, forscht an einem Gegenmittel, welches auch längerfristig wirkt. Ich könnte sie fragen ob…du es auch einnehmen kannst.“ „Glaubst du wirklich, ich möchte schlagartig um über 20 Jahre altern?“, fragte Chris schließlich. „Würdest du nicht auch alles dafür geben, um ewig jung und schön zu bleiben?“ „Ist das dein Ernst?“, wollte Yukiko wissen. „Kein Mensch sollte ewig leben und schon gar nicht jung. Bist du wirklich so skrupellos wie du tust, Sharon? Würdest du lieber deine Familie sterben sehen, während du noch weitere Jahre übrig hast?“ Vermouth schnaubte verächtlich. „Welche Familie? Du solltest nicht vergessen, dass du diejenige bist, die eine Familie hat und nicht ich. An mir ziehen keine Leben vorbei und ich bleibe sicherlich nicht zurück.“ „Das kauf ich dir nicht ab“, kam es sogleich von Yukiko. „Ich kann sowieso nicht verstehen, warum du das Alles gemacht hast. Jeder von uns blödelt mal rum, dass er ewig jung sein will, aber glaubst du nicht auch, dass es in der Realität kein guter Kompromiss ist? Sag mir, Sharon, warst du in den letzten Jahren so wirklich glücklich?“ „Das ist typisch für dich.“ Vermouth lächelte leicht. „War ich je glücklich? Mittlerweile müsstest du begriffen haben, dass ich nie glücklich sein konnte. Nicht, wenn die Organisation hinter einem steht. Und du vergisst die Vorteile, die ein verlängertes Leben mit sich bringt. Denkst du nicht auch, dass du aus deinen eigenen Fehlern mehr lernen würdest? Und du wärst ewig schön. Du könntest den technischen Fortschritt beobachten und Teil von dem Allen werden.“ Yukiko seufzte. „Wir Menschen lernen auch ohne dauerhafte Jugend aus unseren Fehlern.“ „Tun wir. Nur oft ist es dann zu spät.“ „Und da findest du es besser, wenn man seine Identität einfach wechselt und neu beginnt?“ Vermouth zuckte mit den Schultern. „Vielleicht.“ Yukiko sah ihre ehemalige Freundin an und stand von der Bank auf. „Sag mir nur eines, Sharon, warum hast du es getan?“ „Komm…“ Vermouth ging den Weg entlang. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass sich Yukiko nun auch auf den Weg machte. Sie holte schnell auf. „Sharon…“ „Nenn mich nicht so.“ Vermouth warf ihr einen kühlen Blick zu. „Oder möchtest du, dass sich die Presse fragt, warum du mich mit dem Namen meiner Mutter ansprichst?“ „Sag mir warum…“ Vermouth musterte sie. Jetzt wusste sie, woher Shinichi diese Beharrlichkeit besaß. „Erinnerst du dich noch an die Zeit, als ich dir vom Tod meines Mannes erzählte?“ Yukiko nickte. „Entgegen der Annahmen des FBIs war ich damals wirklich verheiratet. Die Organisation hielt es für das Richtige. Als berühmte Schauspielerin durfte ich schließlich nicht für immer alleine sein. Das hätte irgendwann viel zu viel Aufsehen mit sich gebracht. Und mit einem Ehemann ließ sich immerhin viel machen, wenn es die Organisation wollte. Eine Familie zum Beispiel. Nur so konnte ich anschließend die Identität einer anderen Frau annehmen, die meiner imaginären Tochter. Am Ende starb mein Mann aber wirklich. Versehentlich. Die Organisation hatte ihre Finger nicht im Spiel“, erzählte Chris ruhig. „Obwohl es eine Zweckehe war, bedeutete er mir einiges. Es war keine Liebe, trotzdem bot er mir Schutz und ich konnte mich bei ihm sicher fühlen. Und dann war er einfach so weg. Aus dem Leben gerissen. Als trauernde Witwe, belagert von der Presse, musste ich natürlich meine Rolle spielen. Ich hatte viel Zeit, zu Hause und allein. Und ich habe über alles nachgedacht. War ich je glücklich? Nein. Denn wenn ich es für eine kurze Sekunde war, zerbrach das Glück binnen weniger Momente. Und dann hab ich gesehen, was du alles hast. Deine Karriere, einen Mann, ein Kind, ein Leben. Du hattest alles, was ich je wollte. Du hattest nicht einmal Angst wegen deinem Beruf. Für mich gab es nur eines. Entweder Familie oder die Karriere. Und dann hast du beides unter einen Hut bekommen. Das war einfach unfair. Tja…und dann hörte ich den Boss über seine Pläne sprechen. Ich muss dir jetzt bestimmt nicht sagen, dass ich mich freiwillig als Testobjekt zur Verfügung stellte.“ Yukiko musste schlucken. „Sie hätten zu der Zeit alles mit mir tun können. Mich foltern, mich demütigen oder mich mit Drogen vollpumpen. Mir war es egal.“ Vermouth schnaubte verächtlich. „Wusstest du, dass damals die Überlebenschance bei dem Mittel nur bei 5% lag? Und was mach ich? Ich überlebe…“ Yukiko sah sie überrascht an. „Du…du hast dieses Mittel nur genommen, weil du sterben wolltest? Wieso bist du nicht zu mir gekommen? Wir hätten zusammen einen Weg gefunden. Yusaku hat einige Kontakte, auch bei der Polizei, wir hätten dich doch dort rausgeholt.“ „Da merkt man wieder, dass du die Organisation nicht kennst, Yukiko. Du weißt nichts über sie, du weißt nicht, wozu sie in der Lage sind. Sie hätten nie zugelassen, dass ich die Organisation verlasse. Sie hätte euch alle getötet. Und damals war mir mein Leben zeitweise noch lieb, zumindest am Anfang. Ich wollte nicht sterben. Deswegen hab ich auch gute Miene zu diesem bösen Spiel gemacht. Du siehst doch, was ich jetzt alles habe. Meinen Ruhm hab ich nur der Organisation zu verdanken.“ Yukiko schüttelte den Kopf. „Das sind doch alles nur Ausreden. Man hat immer eine Wahl. Wenn du nicht für sie arbeiten wolltest, hättest du dich gegen sie stellen können. Dass sie dich getötet hätten, ist für dich doch nur eine Ausrede.“ „Und wenn? Was willst du machen?“ „Sha…Chris…“, murmelte Yukiko leise. Chris seufzte auf. „Hättest du mir damals wirklich geholfen? Dein Mann und dein Sohn wären in Gefahr gewesen. Dein Sohn war damals noch ein Grundschüler.“ „Und zu dem hat die Organisation ihn wieder gemacht. Aber Shinichi hatte nie Angst vor ihnen und hat sich selbst mit diesem Handicap gegen sie gestellt. Wenn er das konnte, warum war es dir dann nicht möglich?“ „Dein Sohn handelte mehrfach vollkommen unüberlegt und hielt sich für unbesiegbar“, warf Vermouth ein. „Es hätte ihn so oft sein Leben kosten können.“ Yukiko sah nach oben in den Himmel. „Natürlich weiß ich, dass er sich oft in Gefahr bringt. So ist er eben. Und ich wünschte mir, er wäre damals mit uns nach New York geflogen anstatt in Tokyo weiter nach der Organisation zu suchen“, fing Yukiko an. „Aber ich weiß auch, dass du es warst, die immer wieder ein Auge auf ihn hatte. Du hast auf ihn aufgepasst und ihn beschützt. Dafür danke ich dir.“ „Schon gut…war keine große Sache…“ „Was hast du denn jetzt vor, Chris? Die Organisation existiert jetzt nicht mehr. Du kannst jetzt ein neues Leben anfangen und wieder die Frau werden, die du damals warst. Du müsstest nur…“ „Ich müsste nur was?“ Vermouths Stimme wurde kühler und sie fixierte die Frau neben sich. „Mich stellen? Für meine Sünden büßen?“ Yukiko nickte. „Du könntest…zum FBI oder wenn es dir lieber ist zum CIA…ich kann auch mit ihnen reden, wenn…“ „Ach, darum geht es dir also“, begann Vermouth. „Die kleine FBI Agentin hat gepetzt und jetzt wo dem FBI de Hände gebunden sind, sollst du mich ausliefern.“ „Nein, nein, wirklich, das ist nicht so wie du denkst. Sie machen sich nur Sorgen und wissen nicht, was du vor hast. Ihnen ist eben ihre Agentin wichtig.“ „Die Agentin oder ihr Kind?“ „Kind?“ Yukiko sah sie überrascht an. „Ich wusste nicht…davon hat er nichts gesagt…“ „Er? Akai?“ Yukiko nickte. „Wahrscheinlich wusste er zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal was von dem Jungen.“ „Was hast du gesagt?“ Chris rollte mit den Augen. „Das war der übliche Smalltalk.“ „Welche Drohung hast du ausgesprochen?“ „Mir das Baby zu holen.“ „Sharon!“ „Nenn mich nicht so“, knurrte die Schauspielerin. „Bist du wahnsinnig geworden?“, wollte Yukiko erbost wissen. „Du hast ihr gedroht, ihr das Kind wegzunehmen. Weißt du eigentlich, was du damit angerichtet hast? Denkst du wirklich, dass das FBI die Füße still hält und dich in Ruhe lässt? Was hast du dir nur dabei gedacht?“ „Vielleicht will ich ja ein Baby.“ „Du willst…du willst was?“ Erschrocken und erstaunt sah Yukiko die Amerikanerin an. „Aber warum willst eines entführen? Du kannst doch selbst ein Kind bekommen…“ „Nein, kann ich nicht. Dafür hab ich gesorgt.“ „Was?“ Yukikos Blick wurde mitleidig. Vermouth zuckte, fast teilnahmslos, mit den Schultern. „Die Organisation wartet doch nur darauf, dass man ihnen neue Mitglieder bringt. Also hab ich dem entgegengesteuert. Egal was ich tu, ich werde nie Mutter.“ Yukiko blieb stehen und hielt Chris am rechten Handgelenk fest. Erst als die Schauspielerin ebenfalls in ihrer Bewegung inne hielt, umarmte sie sie. „Es tut mir so leid…aber das ist kein Grund um einer anderen Frau ihr Kind wegzunehmen.“ „Das weiß ich doch…“, murmelte Vermouth leise. „Warum tust du es dann?“, wollte Yukiko wissen und ließ sie wieder los. Sie sah sie eindringlich an. „Bitte, sag mir warum…ich möchte es verstehen.“ „Ich möchte die letzte Zeit, die ich hier auf der Erde verbringen werde in Ruhe genießen und nicht auf der Flucht sein. Das FBI kann mir zwar nichts, da sie keine Beweise haben, aber sie sind nicht dumm. Früher oder später werden sie versuchen mich in irgendwelche krummen Geschäfte zu verwickeln, nur damit sie mich einsperren können..“ „So wie du das sagst, hört es sich nach einem Abschied an.“ „Vielleicht ist es das auch.“ „Sha…“ Vermouth seufzte. „Du wirst mich wohl immer so nennen.“ „Daran wird sich so schnell sicher auch nichts ändern“, gab Yukiko ruhig von sich. „Was hast du vor?“ „Du hast es doch vorhin selber gesagt, Yukiko. Ich lebe bereits eine ganze Weile“, fing die Schauspielerin an. „Das Leben langweilt mich mittlerweile. Immer nur Filme machen und Männer, die nur an das Eine denken. Und der Fortschritt? Viel zu langsam. Ich hab keine Lust noch in den nächsten zwanzig Jahren nur bei einem Smartphone zu sein. Aber du, Yukiko, du hast das große Los gezogen. Selbst diese langweilige Jodie hat was aus ihrem Leben gemacht und einen Sohn, der sie braucht. Aber für Leute wie mich, wird es nie ein richtiges Leben geben.“ „Das darfst du nicht sagen.“ „An Sharon Vineyards offiziellem Todestag werde ich gehen.“ Dann traf sie mit voller Wucht eine Ohrfeige. Chris führte ihre Hand langsam an die Wange und strich sich über die, nun warme, Stelle. Keiner traute sich je die Hand gegen sie zu erheben oder ihr wahrlich etwas Anzutun. Sie war immer sicher – bis jetzt. „Was redest du denn da? Du solltest dein Leben nicht einfach so wegwerfen, nur weil du genug davon hast. Der Tod ist nicht die Rettung für dich. Mach etwas aus deinem Leben. Lebe. Tu das, was du immer tun wolltest. Jetzt bist du auf dich allein gestellt und die Organisation kann nicht mehr für dich bestimmen. Wirf meinetwegen die Schauspielerei weg, färb dir die Haare, mache Fehler. Aber mache nicht den Fehler und nimm dir selbst das Leben. Finde zu dir selbst. Egal was du tust, du darfst es nicht so enden lassen. Du bist ein Mensch. Und selbst wenn du jahrelang für die Organisation gearbeitet hast, du bist mir nicht egal. Wenn ich dich seh, denk ich an die Zeit damals. Mir ist es egal, wenn du mir die Freundschaft nur vorgespielt hast, aber ich bitte dich, beende dein Leben nicht einfach so. Lebe.“ Zum ersten Mal seit langer Zeit lächelte Vermouth wieder. Warm. Herzlich. Ein letztes Mal? Kapitel 13: Irrtum ------------------ Reiji Kimura stand vor dem Büro seines Vorgesetzten. Der FBI-Agent wartete zwei Tage und beobachtete seinen Partner genau. In den wenigen Stunden, die die beiden zusammen im Büro verbrachten, wurde er von Akai ignoriert. Nur, wenn es wirklich wichtig war, meldete sich dieser zu Wort. Dennoch schwebte Shuichis Drohung immer noch über ihn wie eine schwarze Wolke. Er konnte es nicht vergessen. Und so stand er nun hier. Vor dem Büro seines Vorgesetzten. Reiji haderte mit sich selbst. Sollte er? Oder sollte er doch nicht? Der FBI-Agent presste die Lippen aufeinander und wägte das Für und Wider ab. Das Anschwärzen seines Kollegen würde sicherlich nicht zu Ruhm und Akzeptanz führen und doch war er sich nicht sicher, ob er es diesem durchgehen lassen sollte. Vielleicht war es auch einfach nur ein Test. Reiji fühlte sich lange nicht mehr so überfordert und unsicher. Er wusste nicht, was nun von ihm erwartet wurde. Der Agent konnte die Drohung seines Kollegen kaum einschätzen. Eigentlich war sie für einen Test oder einen Scherz viel zu ernst. Andererseits waren sie beide beim FBI tätig und sie kannten die Gesetze. Sie wussten, wo die Grenzen lagen, was möglich war und was nicht. Beide Männer wussten genau, wo das Gesetz greifte und wo nicht. Würde ihm Akai ihm wirklich etwas antun? Reiji atmete tief durch und klopfte endlich an die Tür. Es passierte nichts. Er wartete einen Moment ab, drückte anschließend die Türklinke herunter und stellte fest, dass die Tür abgeschlossen war. Umsonst stand er vor dem Büro seines Bosses. Umsonst ließ er Zeit verstreichen. Wichtige Zeit. Zeit, in der er die Situation hätte klären können. Reiji sah zum Nachbarbüro. Ob dort ein Vorgesetzter war? Zunehmend bekam Reiji das Gefühl, dass das Schicksal nicht wollte, dass er den Fall meldete. Der Agent verharrte für wenige Sekunden an Ort und stellte, machte sich aber anschließend auf den Weg zurück zu seinem Büro. Und auch vor der dortigen Tür holte er tief Luft, ehe er den Raum betrat. Shuichi saß an seinem Schreibtisch und blickte auf den Bildschirm seines Computers. Meistens war er nur halbtags da. Vormittags im Büro und nachmittags in der Schießhalle. Der Kontakt mit Jodie war weiterhin auf Eis gelegt. Sie selbst meldete sich allerdings auch nicht. Und da Shuichi annahm, dass sein Partner über ihn sprach, war er sich sicher, dass sie ihn wohl nicht sehen wollte. „Können wir reden?“, fing Reiji an. Er wirkte angespannt. Angespannt und nervös – ein Verhalten, was man nicht von einem Agenten erwartete und wollte. Akai sah zu ihm. „Worum geht’s?“ „Ihre Drohung.“ „Mhmm…“ „Ich finde, Sie sollten mir erklären, warum Sie dermaßen reagieren. Sie kennen meine Verlobte ja nicht einmal. Und Sie wissen auch nicht, wer ich bin oder wie ich mich in einer Beziehung verhalte. Sie haben nicht das Recht mir zu drohen.“ „Sind Sie sich da sicher?“ „Sagen Sie bloß, Sie kennen Emma?“ „Emma“, wiederholte Shuichi. War Reiji wirklich mit dieser Emma verlobt? Und was war mit Jodie? Unterhielt er eine heimliche Affäre mit ihr? Wusste sie von seiner Verlobten oder spielte er ihr nur was vor? Oder war es sogar möglich, dass dieser Reiji rein gar nichts mit Jodies Reiji gemeinsam hatte? War alles nur ein Zufall? Shuichi glaubte nicht an Zufälle und dennoch kam ein leiser Zweifel in ihm auf. „Wie lange sind Sie bereits in New York?“ „Eh?“ Reiji sah ihn verdutzt an. Mit einem derartigen Wechsel des Themas rechnete er überhaupt nichts. „Seit knapp 8 Wochen.“ „8 Wochen“, wiederholte Akai. „Und wie lange verlobt?“ „5 Monate. Warum wollen Sie das alles wissen?“ Ehe Akai antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen. Camel stürmte rein. „Akai…“ „Was gibt es?“ „Ich hab gehört, dass du wieder hier bist.“ Camel sah kurz zu Kimura. „Sie müssen der neue Agent sein. André Camel“, stellte er sich vor. „Sehr erfreut.“ „Reiji Kimura. Freut mich ebenso.“ „Und hat Akai mit Ihnen schon den üblichen Agenten-Scherz gemacht?“ „Scherz?“ „Ja…Sie wissen doch wie das so ist. Wenn man neu ist, muss man erst ein gewisses Ritual über sich ergehen lassen.“ „Oh…ah…deswegen also…jetzt versteh ich das“, Reiji wirkte erleichtert. „Und ich dachte schon.“ Beep. Beep. Beep Shuichi zog das Handy aus seiner Hosentasche und sah auf die Kurznachricht. „Ich muss los.“ *** Shuichi sah sich um. Die Lagerhalle wirkte leer. Und trotzdem kam der FBI-Agent bereits Stunden vorher an den Ort und sah sich die Begebenheiten genau an. Er studierte nicht nur die Fluchtwege. Auch mögliche Verstecke des Feindes sollte man kennen. Alles schien sauber zu sein und in trockenen Tüchern zu liegen. Und dennoch lag eine ganz besondere Atmosphäre in der Luft. Shuichi spürte, dass der Tag die Entscheidung brachte. Shuichi ging zum Ausgang, trat aber nicht hinaus. Er lehnte sich gegen eine Kiste, zündete sich eine Zigarette an und wartete. „Wie immer überpünktlich, wenn es darum geht sich mit dem Feind zu treffen.“ Shuichi fixierte die blonde Schauspielerin. „Wann kommt es schon mal vor, dass man von der berühmten Chris Vineyard zu einem Treffen geben wird“, gab er spottend von sich. „Wie immer der alte Akai“, kam es von Chris. „Du hast Yukiko auf mich angesetzt. Eigentlich müsste ich es nun als Handlung gegen mich sehen und sollte gegen deine kleine Jodie vorgehen.“ Shuichi verengte die Augen. „Wage es ja nicht.“ „Ihr seid alle wirklich so verspannt. Meine Güte.“ „Was willst du von mir?“, fragte der Agent anschließend. Chris stemmte die Hände in de Seite. „Wie du ja weißt, hat mich Yukiko besucht. Und sie will nicht, dass sich Jodie die ganze Zeit ängstigen muss. Deswegen schlage ich dir einen Kompromiss vor.“ „Und der wäre? Du gehst freiwillig ins Gefängnis?“ Vermouth lachte. „Natürlich nicht. Hältst du mich für so dumm?“, wollte die Schauspielerin wissen. „Außerdem weiß ich, dass die Taten bereits verjährt sind. Und wenn du daran denkst unser Gespräch auf Band aufzunehmen, dann möchte ich hiermit sagen, dass ich nichts mit den Taten meiner Mutter, Sharon Vineyard, zu tun habe. In meinem Safe zu Hause entdeckte ich einen Brief, indem sie das, was sie dem Vater von Miss Jodie Starling antat, zugibt. Diesen Brief wollte ich Ihnen, Agent Shuichi Akai, überreichen.“ Shu knurrte. „Was sollen diese Spielchen?“, zischte er. „Das sind keine Spielchen“, sprach Vermouth ruhig und zog den Brief heraus. „Das ist der Brief. Sharon Vineyard gibt alles zu. Und ehe ich es vergesse, ich habe nichts von alledem gewusst. Wie ihr alle, bin auch ich nur ein unschuldiges Opfer.“ Shuichi nahm ihr den Brief aus der Hand und überflog die paar Zeilen. Sie hatte ihn wieder reingelegt und für alles gesorgt. Natürlich wollte er kein Geständnis auf Band aufnehmen. Doch mit dem Brief, drängte sie ihn in eine Ecke. „Oh und falls du gedenkst, ihn zu zerreißen, bringt dir das kaum etwas. Den Brief hab ich bereits an die hohen Tiere beim FBI geschickt. Und im Notfall geht einer an die Presse.“ „Miststück.“ „Aber aber…wo sind deine Manieren geblieben?“, hauchte sie ihm zu. „Jetzt guck doch nicht wie ein überfahrenes Schaf. Da ist kein doppelter Boden bei.“ „Das will ich dir geraten haben.“ Akai steckte den Brief ein und im nächsten Moment sah er sich erschrocken um. Nicht nur das Peitschen des Kugelhagels war zu hören, auch das Klackern von Vermouths Absätzen. Akai knurrte und ging hinter einigen Kisten in Deckung. Aber dann sah er ein befremdliches Bild. Vermouth sank zu Boden. Das Blut färbte ihre blonden Haare rot. Mit aufgerissenen Augen sah sie ihn an. „Was zum…“ „Hände hoch.“ Shuichi blickte nach rechts. „Ich sagte Hände hoch.“ Akai fixierte den fremden Mann. Er war nicht gewillt, das zu tun, was man von ihm verlangte. Nicht, wenn die Situation nicht unter seiner Kontrolle war. Trotzdem verhielt er sich ruhig und dachte an die nächsten Schritte. Langsam hob er die Hände nach oben. „Wer sind sie?“ „Und sie?“ „Special Agent Killian Smith, CIA. Das ist mein Kollege Agent Raymond.“ Shuichi knurrte leise. CIA. Kir musste ihre Finger im Spiel haben. „FBI, Special Agent Akai.“ „A…Akai…ich hab schon viel von Ihnen gehört, Sir.“ Shuichi nahm seine Hände runter. Er ging zu Vermouth. „Was sollte das?“ „Das CIA hat den Auftrag sich um Vermouth zu kümmern. Eigentlich lebendig, aber als die Frau zufällig unseren Weg kreuzte, konnten wir nicht anders“, entgegnete Smith. „Von weitem sah es aus, als würde sie Sie bedrohen. Deswegen mussten wir handeln.“ Shuichi legte seine Hand an Vermouths Halsschlagader. „Verdammt“, zischte er leise. „Sir?“ „Ihr habt sie umgebracht.“ „Das sollte doch für Sie Grund zur Freude sein.“ Akai stand auf. „Ich möchte einen vollständigen Bericht vom Gerichtsmediziner.“ „Sir?“ „Was?“ „Das CIA ist Ihnen nicht untergestellt.“ „Das ist mir verdammt egal. Ihr habt sie einfach so erschossen“, sprach Shu. „Und ohne das FBI wärt ihr keinen Schritt weiter.“ Smith ballte die Faust. „Wie Sie wollen, Agent.“ Shuichi lehnte sich draußen gegen seinen Wagen. Aus der Ferne beobachtete er die Szene. Der Krankenwagen brauchte rund 20 Minuten zum Einsatzort und zum Schluss konnte nur der Tod der Schauspielerin festgestellt werden. Shu sah genau zu, wie sie im Wagen abtransportiert und der Gerichtsmedizin überstellt wurde. Die ganze Zeit über fuhr er hinter dem Einsatzwagen und beobachtete die Situation angespannt. Kaum dass sich Vermouth im Leichenschauhaus befand, wurde dieses von der Presse belagert. Shuichi stahl sich durch die Hintertür hinein. Kurz nickte er dem Pathologen zu, zog die weiße Decke von Vermouth runter und sah in ihr bleiches Gesicht. Es gab keinen Zweifel. Erneut sah Akai zum Mann im weißen Kittel. „Den Abschlussbericht schicken Sie ans FBI.“ *** Jodie seufzte. Warum ließ sie sich überhaupt auf dieses arrangierte Date ein? Wobei eigentlich war es ein Wunder, dass Anne erst nach über einem Jahr damit ankam, sie verkuppeln zu wollen. Hätte Jodie gewettet, hätte sie alles Geld verloren. Und nun stand sie vor ihrem ersten Date seit der Geburt und seit ihrer Beziehung mit Shuichi. Sie hätte aufgeregt sein sollen, aber sie empfand einfach nichts dabei. Anne war wieder in ihrem natürlichen Modus. Jodie verkuppeln mit einem Mann, der ihr gefiel. Dabei war es egal, was Jodie wollte. Unglücklicherweise war es einfacher gewesen, Anne ihren Willen zu lassen. Ansonsten endete es in stundenlangen Diskussionen, Vorwürfen und das Thema wäre bei jedem Treffen erneut aufgekommen. Dazu hätte Anne mehrfach sturmgeklingelt, das Haustelefon sowie ihr Handy mit Anrufen genervt und Reiji um seinen Schlaf gebracht. Die zweite Möglichkeit bestand nur darin, das Date durchzuziehen und sich am Ende mit Anne auf die Diskussion einzulassen, warum der Kerl nicht zu ihr passte. Obwohl es sich schlimmer anhörte, als es eigentlich war, war die zweite Möglichkeit viel besser und vernünftiger. Zumindest führte sie zu weniger Streitigkeiten. Und gerade das war es, was Jodie gar nicht brauchte. Sie wünschte sich ein ruhiges, ein friedlicheres Leben. Ein Leben, in dem sie glücklich werden konnte. Jodie strich sich durch ihre Haare und legte ein dezentes Make-up auf. Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer und packte ihre Handtasche. Anne bestand darauf sie abzuholen und in den Park zu bringen. Wenigstens das hatte die junge Frau gelernt. Jodie hatte ihr bereits vor vielen Jahren gesagt, dass sie auf gar keinen Fall von einer Horde Männer vor ihrer Haustür begrüßt werden wollte. Die ehemalige FBI-Agentin ging ans Fenster und lugte heraus. Das Wetter war angemessen, weswegen sie Reiji ohne eine Jacke in den Kinderwagen legte und ihm sein Stofftier reichte. Sanft strich sie ihm über die Wange. „Wir stehen das jetzt durch und dann lässt uns Anne hoffentlich in Ruhe. Außerdem kommt der Papa bestimmt bald“, erzählte sie ihm. Sie hoffte es. Trotz Camels Aussage, dass Shu bereits auf dem Weg war, meldete er sich weder telefonisch noch per Kurznachricht oder E-Mail. Wann er nun in New York auftauchte, stand in den Sternen. Jodie lag die halbe Nacht wach. Nicht wegen Reiji, viel eher wegen Shu. Die ganze Zeit hoffte sie, dass er vor der Tür stand und klingelte. Sie wünschte es sich so sehr. Aber nichts geschah. Selbst am Morgen stand ihr diese Hoffnung ins Gesicht geschrieben und sobald sie irgendwelche Geräusche aus dem Hausflur vernahm – wie das Fahren des Aufzuges oder Schläge gegen das Treppenhausgelände – machte ihr Herz einen kleinen Sprung. Vor ihrem inneren Auge sah sie Shuichi vor der Tür stehen. Die Realität aber sah anders aus. Und ob Jodie wollte oder nicht, sie musste nach vorne blicken. James hatte mit seinen Vorgesetzten gesprochen und ihr versichert, dass das FBI nicht weiter nach Vermouth suchen würde. Sie war in Sicherheit. Trotz allem gab es Zeiten in denen sie sich draußen mehrfach umsah und einfach nur noch nach Hause wollte. Wegen Reiji ging es nicht. Er durfte nicht überbehütet werden, vor allem nicht von einer ängstlichen Mutter. So musste sich Jodie ihren Ängsten stellen. Es wurde einfacher, als von den Dreharbeiten ihrer Feindin hörte. Selbst Vermouth konnte nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Auch wenn Jodie wusste, wann Anne vorbei kommen wollte, war das Klingeln befremdlich und weckte Sorge in ihr. Nur langsam ging die ehemalige Agentin zur Tür und öffnete sie. „Bereit?“, wollte Anne wissen. Sie musterte Jodie und verzog das Gesicht. „Willst du nicht lieber einen Rock anziehen?“ „Nein, will ich nicht. Können wir dann los?“ Anne nickte. „Allzeit bereit.“ „Gut.“ Jodie ging ins Wohnzimmer und schob den Kinderwagen in den Flur. „Was wird das?“, kam es von Anne. „Nach was sieht es aus?“ „Danach, dass du Reiji zu deinem Date mitnimmst.“ „Also zuerst einmal ist es kein Date. Es ist ein Treffen mit einem fremden Mann. Und zum anderen, soll ich Reiji alleine in der Wohnung lassen und mir einen schönen Tag machen?“ „Natürlich nicht. Was denkst du von mir? Aber du hättest dir ja wenigstens einen Babysitter besorgen können.“ Jodie seufzte. „Würdest du dann auf ihn aufpassen?“ Natürlich war die Frage nicht ernst gemeint, vor allem da Jodie Annes Antwort und ihr schockiertes Gesicht bereits vorhersah. „Ich? Das ist nicht dein ernst.“ Sie sah auf Reiji im Kinderwagen und schüttelte den Kopf. „Das ist keine gute Idee.“ „Das dachte ich mir“, kam es von Jodie. „Deswegen kommt der Kleine mit.“ „Aber…“ „Du sagtest doch, dass er von Reiji weiß und ihm ein Baby nichts ausmacht.“ „Ja, aber…“ „Kein Aber, Anne. Ich geh schon auf dieses Treffen mit einem fremden Mann, da wirst du mich nicht dazu bekommen, dass ich Reiji einfach zu Hause lasse.“ Zudem war Reiji auch ihre Geheimwaffe, wenn sie nach Hause wollte oder wenn sie dem Fremden erklärte, warum sie sich nicht auf weitere Treffen einlassen würde. Anne seufzte. *** Jodie schob den Kinderwagen und sah immer mal wieder zu Shiro. Er war nett. Aber das war auch schon alles. Unglücklicherweise fehlte ihm, wie auch den anderen Männern eine Sache: Sie waren nicht Shu. Jodie versuchte es trotzdem und da Shiro scheinbar ein Händchen für Kinder hatte, ließ sie sich zum Abschluss ihres Spazierganges zu einem Eis einladen. „Danke für den schönen Tag“, sprach sie. Shiro nickte. „Mich hat es auch sehr gefreut.“ Er beugte sich um Kinderwagen. „Und was sagst du, kleiner Spatz?“ Reiji fing an zu weinen. „Oh…“ „Passiert“, entgegnete Jodie und nahm Reiji aus dem Kinderwagen. „Ist ja schon gut.“ Sie schaukelte ihn. „Mama ist ja da.“ „Vielleicht hat er ja Hunger.“ „Ich hab ihn gefüttert ehe wir hier her kamen.“ „Windel?“ „Ist nicht voll.“ „Zähne?“ Jodie schüttelte erneut den Kopf. „ Vielleicht kann er mich nicht leiden?“ „Ich weiß nicht“, antwortete sie ehrlich. „Es kann natürlich auch dein After Shave sein. Wenn es zu streng ist, bringt es seine Sinne durcheinander Du kannst dir sicher vorstellen, dass das nicht so toll ist.“ „Oh. Ich…das wusste ich nicht“, gab er von sich. „Vor einigen Monaten wusste ich das auch nicht.“ Jodie strich Reiji über die Wange. „Nicht weinen, mein süßer.“ „Und denkst du…du würdest dich noch einmal mit mir treffen?“ „Hör zu, Shiro, du bist nett und wahrscheinlich bist du ein toller Kerl. Aber ich bin nicht soweit, dass ich mein Herz für jemand anderen öffnen kann“, fing Jodie an. „Ich liebe seinen Vater.“ „Verstehe.“ Shuichi verengte die Augen. Eigentlich war er – fast gut gelaunt – auf den Weg zu Jodie und dann sah er sie. Sie schob einen Kinderwagen und ging neben einem Ausländer. Japaner oder Chinese. Akai tippte auf das Zweite. „Reiji“, wisperte er leise und ballte die Faust. Das war er also. Jodies neuer Freund und wahrscheinlich der Vater ihres Kindes. Oder er brachte das Kind mit in ihre Beziehung. „Ach, sieh mal einer an.“ Akai drehte sich um. „Anne..“ „Ich dachte du bist tot.“ Sie stemmte die Hände in die Seiten und musterte den Mann. „Das du dich traust hier her zu kommen.“ „Ich wüsste nicht, warum ich vor dir Rechenschaft ablegen sollte.“ „Mir nicht, aber Jodie. Du weißt ja gar nicht, was sie wegen dir alles durchmachen musste“, gab sie von sich. „Du bist ein solches Arschloch.“ Shuichi ging an ihr vorbei. „Ja, geh nur. Ist eh besser, wenn du Jodie in Ruhe lässt. Sie braucht dich nicht. Sie ist auch ohne dich glücklich.“ Shuichi blieb stehen und fixierte Anne mit seinem Blick. Kurz wich Anne nach hinten. „Du hättest dort bleiben sollen, wo du warst. Du hast Jodie nicht verdient.“ Anne hatte Recht. Shu verdiente sie nicht. Er tat so vieles und gab so vieles auf. Und warum? Um Jodies Zukunft zu sichern. Um ihre gemeinsame Zukunft zu retten. Und dann verlor er sie. Er hatte wirklich kein Recht wieder Teil ihres Lebens zu sen. Und trotzdem versuchte er es. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“ „Eine ganze Menge. Jodie ist meine beste Freundin.“ „Dann hättest du dich nicht in ihre Beziehung drängen sollen.“ „Ach ja? Ohne mich hätte sie weiterhin zu Hause rumgesessen. Dann hätte sie ihn auch gar nicht erst kennen gelernt. Du warst nie der Richtige für sie. Jodie wird das eines Tages auch sehen, wenn sie es nicht schon weiß. Und ich geb dir einen Rat mit auf den Weg: Misch dich nicht n Jodies Glück und ihre Familie ein.“ Shuichi knurrte. Jodies Familie. Eindeutiger ging es ja wohl nicht. Das Baby musste ihres sein. Shuichi sah kurz zu Jodie. Sie ging so liebevoll mit dem kleinen um, hielt ihn fest an sich, tröstete ihn und versuchte alles um ihn zu beruhigen. Es konnte sich unmöglich um ein fremdes Baby handeln. Anne folgte seinem Blick. „Jodie ist Mutter geworden. Aber das hast du ja weder bemerkt, noch hat es dich interessiert.“ Shuichi schwieg. Er musste wenigstens mit ihr reden und ihr die neuen Erkenntnisse in Bezug auf Chris Vineyard mitteilen. „Wo willst du hin?“ Anne stellte sich ihm in den Weg. Sie breitete ihre Arme aus und versuchte ihm so den Weg zu versperren. „Lass mich durch.“ Shuichis Stimme war kühl und er schob sich an Anne vorbei. Dass diese auf den Boden fiel, war ihm egal. „Du verdammter…die Sachen bezahlst du mir.“ … Anne ballte die Faust. Sie hasste es ignoriert zu werden - noch mehr hasste sie es, wenn man ihr absichtlich Leid antat und seinen Fehler nicht einsehen wollte. Shuichi gehörte eindeutig in die Kategorie der Männer, die mit Anne nie klarkommen würden. „Das wirst du mir büßen.“ Shuichi drehte sich zu ihr um. „Was willst du machen? Zu deinen Eltern rennen und dich bei denen ausweinen, weil der böse Akai so gemein zu dir war?“ „Du hast keinen Respekt vor anderen. Und laut dem Gesetz…“ „Mach was du willst, Anne. Verklag mich doch“ „Wir sehen uns vor Gericht.“ Kapitel 14: Frieden ------------------- Der Gerichtsmediziner streifte sich die Latexhandschuhe von den Händen und warf sie in den Mülleimer. Er roch kurz an seinen Händen. Der Geruch erinnerte ihn an längst vergessene Zeiten. Zeiten seiner Vergangenheit. Er blickte zu dem Körper von Chris Vineyard. Nur mit Mühe war er die gesamte Presse los geworden. Offiziell wie auch inoffiziell durfte und wollte er keinen Kommentar zu allem abgeben. Der Gerichtsmediziner sah zu seiner Assistentin. „Wie geht es dir?“ Sie lehnte sich nach hinten und sah auf Chris Vineyard. „Ich hoffe, ich muss das nie wieder machen“, sprach er ruhig. „Du weißt, was ich von solchen Aktion halte.“ Sie nickte, lächelte aber trotzdem. „Wir mussten das tun, Yusaku“, entgegnete sie und zog sich die Maske vom Gesicht. Der Gerichtsmediziner tat es ihr gleich. „Ich hoffe, sie dankt es dir wenigstens.“ „Das tu ich.“ Yukiko sah zu ihrer früheren Freundin. „Sharon?“ „Yukiko“, seufzte die Angesprochene. „Von heute an heiße ich Vivian. Vivian West.“ „Und du möchtest wirklich ein komplett neues Leben anfangen?“ „Nun wo sie als tot gilt, hat sie keine andere Möglichkeit. Außer sie erklärt plausibel, warum sie ihren Tod vortäuschte“, gab Yusaku von sich. Er verschränkte die Arme und sah die Schauspielerin an. „Macht euch um mich keine Sorgen. Ihr werdet nie wieder etwas von mir hören.“ „Sh…Vivian…“, wisperte Yukiko. „Schon gut, Yukiko.“ Sie lächelte. „Ich kann mein Leben nun selbst in die Hand nehmen und alles tun, was ich nie tun durfte.“ Sie stand vom Platz auf. „Ihr werdet es nicht bereuen, dass ihr mir geholfen habt.“ „Ich muss ja schon sagen, es war wirklich faszinierend, wie du deinen Puls anhalten konntest.“ Vermouth zuckte mit den Schultern. „Ein Mittel der Organisation. Es verlangsamt den Puls so sehr, dass er fast nicht mehr vorhanden ist. Trotzdem bleibt man noch am Leben. Und die schminke tut ihr übliches, Agent Raymond.“ Vermouth sah zu Yukiko, anschließend zu Yusaku. „Du warst aber auch nicht schlecht, Agent Smith.“ „Es wundert mich trotzdem, dass Herr Akai darauf herein fiel.“ Vermouth verschränkte die Arme. „Das glaub ich ehrlich gesagt nicht. Ich kenne Akai schon eine ganze Weile. Dem macht man nicht so einfach was vor. Aber wahrscheinlich will er es einfach selbst glauben und nimmt meinen Tod deswegen billigend in Kauf. Und die Presse tut ihr übliches. Wie sollte er auch sonst der gesamten Welt erklären, dass ich doch noch am Leben bin. Selbst er würde nicht alles über das FBI Preis geben, nur um mich hinter Gittern zu sehen.“ „Und was hast du jetzt vor?“, wollte Yukiko dann wissen. „Es ist besser, wenn du das nicht weißt.“ *** Du hast Jodie nicht verdient. Annes Worte hatten große Nachwirkungen. Wenn sie gewusst hätte, wie groß sie wirklich waren, hätte sie es ihm auf Lebzeiten unter die Nase gerieben. Shuichi wusste eh nicht, warum sich Jodie mit dieser Frau abgab. Sie war…nervig und auf jeden eifersüchtig, der ein besseres Leben hatte. Bereits seit ihrem aller ersten Treffen wusste Akai, dass Anne kein guter Umgang für Jodie war. Man merkte, dass sie Jodie klein halten wollte. Merkwürdig war allerdings auch, dass Jodie zeitweise noch an der Freundschaft hing. Aber wahrscheinlich lag es daran, weil Anne die einzige Person aus Jodies Vergangenheit war, die noch lebte und die nichts mit der Organisation zu tun hatte. Ob Jodie irgendwann die Freundschaft beendete oder nicht, stand in den Sternen. Allerdings hatte Anne mit einer Sache recht gehabt. Und sie hatte selten Recht. Shuichi hatte Jodie definitiv nicht verdient. Damals, wie auch heute nicht. Obwohl er vor Jahren ein anderer Mensch war, war schon immer eine kleine Kluft zwischen ihnen. Sie versuchten es und dass Shu ihre Liebe für den Kampf gegen die Organisation aufgab, trug seinen Teil dazu bei. Seine Gründe – so gut sie auch waren - führten zu einem tiefen Abgrund. Einem schwarzen Loch, dem er nicht entrinnen konnte. Manchmal erinnerte er sich gern an die Zeit, aber dann wurden diese Gefühle überschattet von all dem, was er tun musste, was zwischen ihnen schief lief. Hatten sie überhaupt eine Chance? Sähe ihr Leben anders aus, wenn er den Auftrag nicht angenommen hätte? Was wäre, wenn sie beide nicht beim FBI arbeiteten? Waren die Chancen dann höher oder würden sie sich gar nicht erst kennen lernen? Obwohl Shuichi ein guter FBI-Agent war und zu den besten seines Faches gehörte, war Jodie eine Person, die viel zu weit weg war. Sie war die Sonne. Er nur Unkraut. Er wuchs um das Schöne herum und verschwand nie. Dabei hatte Jodie wirklich besseres verdient. Eine Familie und einen Mann, der sie liebte und ihr die Sterne vom Himmel holen würde. Sie brauchte eine Person, die ihr das Lächeln wieder zurück brachte. Ein Lächeln, welches er oft vermisste. Selbst, wenn sie ihm ein Lächeln schenkte, es war nicht das gleiche wie damals. Jodie verstellte sich, sie zwang sich dazu ihre Gefühle nach hinten zu schieben und gute Miene zu machen. Als er Jodie mit dem Baby auf dem Arm sah, sah er auch das lang vermisste Lächeln. Es war warm und herzhaft. Lang vergessen und nun wieder da. Jodie hatte es verdient und so musste er mit den Neuigkeiten warten und nicht als schwarze Wolke auftauchen. Am liebsten wäre er zu ihr gegangen. Wollte ihr gratulieren und anschließend aus ihrem Leben verschwinden. Es ging nicht. Sie hielt ihn fest umwickelt und ließ ihn nicht mehr los. Jodie war sein Schwachpunkt. Sie war es, die ihn schwach machte, diejenige, die ihn ablenkte. Mit langsamen Schritten folgte er den Beiden. Er sah ihnen zu und erkannte schon bald das Viertel, in welchem Jodie wohnte. Ein leises Seufzen kam über seine Lippen. Er hatte sie verloren. Jodie zusammen mit dem Baby zu sehen, weckte in Shuichi alte Gefühle. Melancholie. Traurigkeit. Schmerz. Jodie tippelte die ganze Zeit über nervös mit ihrem Fuß auf dem Boden herum. Sie war angespannt. Eindeutig. Jodies Gefühle waren offen wie ein Buch. Jeder konnte darin lesen und dementsprechend reagieren. Glücklicherweise musste Jodie nicht in den Außendienst und konnte sich deswegen um liegen gebliebene Akten kümmern. Meistens die von ihrem Partner. Dass Shu sich ungern um diese kümmerte, war keinem Agenten entgangen. Und trotzdem schaffte er es diese zur Deadline bei seinem Vorgesetzten einzureichen. Natürlich munkelte man, dass sich Jodie um die Akten kümmerte. Aber genau wie ihre Beziehung, wurde das Thema tot geschwiegen. Jodie sah stumm auf die Akte. Schon lange hörte sie auf zu lesen. Sie wusste nicht einmal, um welchen Fall es ging. Die Akte war Ablenkung und sie haderte mit sich selbst. Shuichi saß ebenfalls in dem Büro. Jodies Geräusche blendete er größtenteils aus und gab einige Suchbegriffe in die Datenbank des FBIs ein. Er las zahlreiche Berichte und war aktiv auf der Suche nach Chris Vineyard und ihrer Verbindung zum FBI. Jodie leiden zu sehen, gefiel ihm ganz und gar nicht. Und dann musste er ihr auch noch ein Versprechen geben. Eines, das kaum zu halten war. Wenn Jodies Schlussfolgerungen stimmten, lebte die Frau bereits seit Jahren problemlos in den Staaten und fiel keinem auf. Wie sollte er auch eine Frau heran kommen, die seit der Beerdigung ihrer angeblichen Mutter im Rampenlicht stand und sich der Schauspielerei hingab? Shuichi bemerkte zunehmend, wie sehr er sich verspekulierte. Damals hielt er die Situation für einfach. Aber sie war alles andere als einfach. Das Getippel von Jodies Absätzen schien nun auch auf ihn überzugehen. Sein Körper spannte sich an und sein Bein bewegte sich nervös auf und ab. Das war nicht er. „Jodie, Herrgott nochmal“, raunte er. Sofort hielt Jodie in ihrer Bewegung inne. „Tut mir leid“, murmelte die Agentin leise. Shuichi seufzte leise auf. „Nein…schon gut. Ich hätte dich nicht anschnauzen sollen.“ Jodie lächelte. Zumindest unternahm sie den Versuch. „Du scheinst heute sehr nervös zu sein.“ Sie zuckte nur mit der Schulter. „Vielleicht sollten wir nachher in eine Bar gehen. Was meinst du?“ „Ich möchte lieber zu Hause bleiben.“ „Wir können auch in den Freizeitpark, wenn du magst. Oder wir schauen, wo es ein Stadtteilfest gibt.“ Allein das Akai solche Orte vorschlug, sollte Jodie zeigen, wie sehr er sie liebte und was er für sie tun würde. Jodie allerdings schüttelte nur den Kopf. Akai sah sie fragend an. „Was ist denn mit dir?“ „Nichts.“ Er wusste, dass sie log. Aber dennoch besaß er so viel Feingefühl und fragte sie nicht danach. Sie würde hoffentlich selbst auf ihn zukommen, wenn sie reden wollte, sodass er weitere Begriffe in die Suchmaske am Computer eintrug. „Ich…“ Akai sah wieder zu ihr. „Ja?“ „Ach nichts.“ Shuichi beäugte sie kritisch. Heute wirkte sie sprunghafter als sonst. Dann stand er aber auf. „Willst du auch einen Kaffee?“ „Nein, danke.“ Shuichi zog eine Packung Zigaretten aus seiner Hosentasche heraus. Die erste Zigarette steckte er sich in den Mund. Sofort spürte er Jodies prüfenden Blick. Sie mochte es nicht, wenn er rauchte. Und noch weniger mochte sie es, wenn sie im gleichen Raum war wie er. „Ich geh ja schon raus“, entgegnete er und ging raus. Shuichi blieb nicht lange weg. Als er wiederkam, war Jodie eifrig dabei ihren kleinen Taschenkalender zu studieren. Er sah sie mehrere sekundenlang einfach nur an. „Termin vergessen?“, wollte er anschließend von ihr wissen. Jodie schluckte und blickte zu ihm. Sie schüttelte den Kopf. „Gott…Jodie, was ist heute nur mit dir los?“, fragte der Agent. „Wir sind in einer festen Beziehung und es ist sonst kein anderer im Raum. Du kannst doch mit mir reden.“ „Ich…ich…also ich…“ Shuichi wartete geduldig. „Ich bin überfällig“, platzte sie damit heraus. „Ist doch nicht schlimm.“ Akai lächelte. „Du kannst die Akten auch morgen oder übermorgen abgeben. James wird schon ein Auge zudrücken.“ Jodie seufzte. „Ich hab meine Regel nicht bekommen.“ Shuichi sah sie geschockt an. „Du willst mir sagen…du könntest…“ „Ich bin vielleicht schwanger.“ Shuichis Mund bewegte sich, aber es kam kein einziger Laut heraus. „Ich hab mir einen Test besorgt. Aber…ich hab mich noch nicht getraut…und wollte ihn deswegen heute Abend zu Hause machen.“ „Mach ihn jetzt.“ „Shu…“ „Je eher wir es wissen, desto eher können wir uns darauf einstellen und überlegen, was wir tun.“ Jodie stand langsam auf. Sie wirkte traurig. Traurig und teilweise verängstigt. „Hey…“ Shuichi erhob sich ebenfalls und nahm seine Freundin in den Arm. „Das ist kein Grund um so ein Gesicht zu ziehen.“ Glücklicherweise änderte sich seine Gestik und Mimik nicht. So konnte die Furcht in seinen Augen nicht erkennen. Ein Baby war das letzte, was der FBI-Agent nun brauchte. Sein Einsatz in Japan würde in wenigen Wochen starten. Aber wie sollte er diesen antreten, wenn Jodie samt Kind zu Hause auf ihn warteten? Es war schon schwer genug gewesen sie alleine zu lassen. Aber dann noch mit seinem Nachwuchs? „Dann mach ich mal den Test“, murmelte sie und zog die Packung aus ihrer Handtasche. Shuichi nickte und folgte ihr zur Toilette. Im Anschluss begannen die längsten zwei Minuten der Welt für die Beiden. Erst als Jodies Handy, welches sie sich als Wecker stellte, klingelte, atmete Jodie tief durch. „Es ist soweit“, sprach sie und nahm den Test in ihre zittrige Hand. „Und?“ „Positiv.“ „Oh.“ „Ich…es tut mir leid…“, wisperte sie leise. Die Tränen konnte sie nun nicht mehr aufhalten und so war es erneut Shu, der sie tröstend in die Arme nahm. „Ich geh…morgen zum Arzt.“ „Ich komm mit.“ Unglücklicherweise dauerte es ganze drei Tage ehe Jodie einen Termin beim Arzt bekam. Die Zeit kam beiden Agenten ellenloslang vor und nur mühselig gingen sie sich nicht auf die Nerven. Und was war? Jodie wurde lediglich Blut abgenommen und ein neuer Termin vereinbart, der in der darauffolgenden Woche lag. Nervös saß Jodie endlich im Untersuchungszimmer. Shuichi hingegen wirkte wie die Ruhe selbst. Sobald die Tür aufging, sah sie zum Arzt. Wenn es nach ihr ging, konnte er ruhig schneller machen. „Und?“, kam es dann von Akai. „Es tut mir leid, Miss Starling, Mister Akai, Sie erwarten kein Kind.“ „Aber der Test aus der Apotheke war positiv“, entgegnete Jodie. „Nun ja“, räusperte sich der Mediziner. „Ein Schwangerschaftstest aus der Apotheke ist zwar zuverlässiger als einer aus dem Drogeriemarkt, allerdings ist nichts so zuverlässig wie ein Bluttest. Und Ihr Blut weißt keinerlei Schwangerschaftshormone auf.“ „Ich bin also wirklich nicht…“ „Nein, Sie sind nicht schwanger.“ Schweigend verließ das Agentenpaar die Arztpraxis. Shuichi rauchte seine erste Zigarette, seitdem Jodie ihm das Rauchen aufgrund ihrer möglichen Schwangerschaft verbot. Wie ein Gentleman öffnete er ihr die Beifahrertür, rauchte zu Ende und stieg ebenfalls ein. Während er auf dem Weg zu Jodies Wohnung war, beobachtete er diese aus dem Augenwinkel. Sie kaute am Nagel ihres Daumens. „Es ist besser so“, fing er dann an. Sie aber schwieg. „Hör zu, Jodie, du weißt, ich geh in einigen Wochen nach Japan. Eine Schwangerschaft wäre nicht vorteilhaft für uns.“ „Ja, ich weiß.“ Sie seufzte auf. „Und mich hat keiner nach meiner Meinung gefragt. Weißt du eigentlich wie schrecklich ich es finde, dass mein Freund einfach so zugesagt hat und mich hier alleine lässt?“ „Jodie…“ „Was? Es ist doch so. Du hast das nicht einmal mit mir abgesprochen. Wir sind in einer Beziehung. Du hättest mich wenigstens fragen können.“ „Du weißt ganz genau, dass wir nur so der Organisation näher kommen können. Und es ist schließlich auch das, was du die ganze Zeit willst“, warf er ein. „Natürlich will ich das. Aber es gibt auch Gründe, die die Situation grundlegend ändern. Es ist eine Sache sie zu jagen, aber eine andere, wenn sich mein Freund bei ihnen einschleicht und ich nicht weiß, ob er wieder zurück kommen wird.“ Shuichi fuhr weiter. „Ich werde den Einsatz nicht absagen.“ „Das weiß ich“, raunte Jodie. „Du bist vollkommen stur.“ „Genau wie du.“ Aus dem Augenwinkel sah er zu ihr. „Ich hab dir versprochen den Mörder deiner Eltern zu verhaften. Das ist der einzige Weg.“ … „Jodie…“ „Bist du eigentlich froh, dass ich nicht schwanger bin?“ Shuichi seufzte. Nun verstand er worum es die ganze Zeit ging. „Jodie.“ „Was? Ist doch so. Du hast dir eine labile FBI-Agentin ans Bein gebunden, aber zum Glück kriegst du kein Kind mit ihr.“ „Das hab ich nicht gesagt.“ „Aber gedacht.“ „Nein.“ Er wurde lauter. Viel lauter als geplant. Jodie verschränkte die Arme vor der Brust. „Bist du froh, dass ich kein Kind von dir erwarte oder findest du es schade?“ „Ich würde lügen, wenn ich dir nun sagen würde, dass ich ein Kind mit dir will.“ „Halt bitte an.“ „Jodie.“ „Halt an, Shu. Ich muss hier raus.“ „Du reagierst über, Jodie. Und du weißt, dass ich das nicht so mein, wie du nun denkst. Wir müssen uns nun einmal um die Organisation kümmern. Sie sind unsere oberste Priorität.“ Er blickte zu ihr. Jodie wischte sich ihre aufkommenden Tränen aus dem Gesicht. Er brachte sie zum Weinen. Und er hasste es. „Wenn du schwanger gewesen wärst, wäre ich nicht nach Japan gegangen“, entgegnete er dann. „Und hättest mir deswegen Vorwürfe gemacht.“ Akai seufzte. „Schließt du aus, dass wir uns irgendwann dafür gehasst hätten? Ich könnte der Agent sein, der die Organisation zur Strecke bringt.“ Jodie schwieg. „Jetzt sag doch was.“ „Willst du überhaupt Kinder?“ „Jodie…“ Warum brachte sie ihn nur in eine solche Situation. „Ich meine nicht mit mir. Ich meine…willst du überhaupt Kinder.“ „Ehrliche Antwort?“ Sie nickte. „Nein. Ich will keine Kinder.“ Und was war jetzt? Jetzt wünschte er sich, dass Jodie damals wirklich schwanger gewesen wäre. Alles wäre anders gekommen. Er wäre nie nach Japan gegangen, hätte nie die Organisation dingfest gemacht, aber er wäre mit Jodie zusammen, hätte eine kleine Familie gegründet. Mit Hund, Haus und Hoffnung. Shuichi ging weiter. Mit seinem Auftrag in Japan war alles schief gelaufen, was nur schief laufen konnte. Könnte er die Zeit zurück drehen, hätte er alles anders gemacht, hätte sich auf das Berufen, was wichtig war. Nun war es dafür zu spät. Ein Teil von ihm wünschte sich, dass Jodies Herz immer noch im gehörte, dass sie sich nach ihm sehnte und ihn vermisste. Er wünschte sich auch, dass das Baby in Jodies Armen von ihm wäre. Ein kleiner Akai, der sie Mut und Hoffnung schöpfen ließ. Da Shuichi nicht an Zufälle glaubte, war die Wahrscheinlichkeit, dass er heimlich Vater geworden war, schwindend gering. Der Agent seufzte und wurde durch das Klingeln seines Smartphones aus den Gedanken gerissen. Er wischte über das Display und öffnete seinen E-Mail Eingang. Der Bericht war endlich da. Shuichi öffnete die E-Mail und lud den Anhang herunter. Er überflog die wenigen Seiten der PDF-Datei und leitete diese anschließend an James weiter. Chris Vineyards Tod wurde offiziell bestätigt. Und obwohl er sein Versprechen nicht halten konnte, so wusste er, dass die Frau endgültig aus Jodies Leben verschwinden würde. Jodie war frei. Nach so langer Zeit verschwanden die Wolken. Und trotzdem hatte es einen fahlen Beigeschmack. Beruflich gewann Shuichi. Privat verlor er alles. *** Erschöpft ließ sich Jodie auf das Sofa sinken. Reiji weinte die ganze Zeit über und erst als er zu Hause in seinem Bett lag, wurde er ruhig. Dass er Shiro nicht leiden konnte, war offensichtlich und es war ein guter Grund um den Chinesen nicht wieder zu sehen. Dennoch war Jodie ein wenig überrascht, dass Anne nicht wenige Sekunden nach der Rückkehr nach Hause, auf ihrer Matte stand und alle Informationen haben wollte. Jodie schloss ihre Augen. Sie wollte schlafen. Einfach nur schlafen. Schlafen und Vergessen. Mittlerweile wusste Jodie, dass ihr Ex-Freund seit einigen Tagen in den Staaten war. James ließ die Bombe während ihrer Verabredung platzen. Die Kurzmitteilung war allerdings ihr geringstes Problem. Viel eher musste sie verschleiern, was sie dabei empfand. Warum kam Shu sie nicht besuchen? Wollte er sie nicht sehen? Erfuhr er von ihrer Kündigung? Hielt er sie für schwach? Wusste er von Reiji und war enttäuscht? Hasste er sie? Shuichi wollte keine Kinder und nun würde sie es sein, die ihn vor vollendete Tatsachen stellte. Sie, die ihn nicht informierte und über seinen Kopf hinweg entschied. Obwohl es mitunter ein Aspekt war, den Jodie die ganze Zeit über mit bedachte, konnte sie nicht anders handeln. Und mit dem Wissen, welches sie gerade jetzt besaß, würde sie jederzeit genau so handeln. Jetzt sah die Situation anders aus. Jetzt war die Zukunft, an die sie die ganze Zeit dachte, da. Sie konnte nach vorne blicken und wieder hoffen. Vielleicht konnten sie irgendwie eine Familie sein. Glücklich und zusammen. Und selbst wenn sie nicht zusammen waren, waren sie immer durch Reiji miteinander verbunden. Langsam döste Jodie ein. Erst das Klingeln an ihrer Haustür ließ sie hochschrecken. War er es? Jodie erhob sich. Ohne Angst und Sorge lief sie zur Tür und riss sie auf… Kapitel 15: Ausbruch -------------------- Wütend und aufgebracht stampfte Anne in die Wohnung von Jodie. Es schien fast so, als wohnte sie dort. „Anne“, begann Jodie ruhig und ließ sich nicht anmerken, dass sie auf den Besuch einer anderen Person hoffte. Innerlich seufzte sie. Warum musste Anne auch nur so hartnäckig sein und sich an ihrer Wade festbeißen, wie ein wilder Hund? Warum sie überhaupt noch befreundet waren? Manchmal wusste Jodie es selber nicht. Es hatte sich so viel geändert und Anne war ein Teil ihrer Vergangenheit. Damals, als alles noch besser war. Als sie glücklich war. Jodie konnte diesen Teil ihres Lebens nicht hinter sich lassen. Noch immer hing sie an Shu, an ihrem Vater und an dem, was Vermouth ihr antat. Aber alles änderte sich. Anne blieb immer noch die Person, die sie in ihrer Jugend war und je mehr Zeit sie mit ihr verbrachte, umso mehr wusste Jodie, dass die Freundschaft vorbei war. Sie waren viel eher gute Bekannte. Mehr nicht. Und was war jetzt? Jodie konnte es sich sehr gut vorstellen. Anne war ihr gefolgt, beobachtete das Treffen mit Shiro und bekam wohl mit, dass sie diesen nicht wieder sehen wollte. Und nun war sie hier und würde Jodie eine Szene machen. So als hinge ihr Leben von Jodies Gefühlen ab. Warum wollte Anne auch über alles Bescheid wissen? Warum konnte sie die Situation nicht einfach so lassen wie sie war? Jodie war glücklich. Sie brauchte keinen Mann. Keinen anderen Mann. Nur weil Anne Shiro gut fand, musste es Jodie nicht auch tun. Und wer wusste schon, welche Hintergedanken die junge Frau hatte. Shiro arbeitet in einem Restaurant und lieferte auch das Essen aus. Wollte Anne einfach nur billig an ihr Mittag kommen? War Jodie nur das Mittel zum Zweck? „Ich bin so wütend“, fing Anne an und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Man merkte, dass sie ihre Wut loswerden wollte. Jodie verdrehte die Augen. Hatte sie wirklich etwas Anderes gehofft? Natürlich war Anne nach dem Treffen mit Shiro zu diesem gelaufen und wollte von ihm alles in Erfahrung bringen. Sie kannte Jodie gut genug um zu wissen, dass sich diese bedeckt halten würde. Und jetzt schien Anne ihre Wut über Jodies Entscheidung freien Lauf zu lassen. Anne ging einfach so an Jodie vorbei und kam ins Wohnzimmer. „Hast du was Starkes da?“, rief sie und ließ sich auf das Sofa fallen. Jodie folgte ihr und sah sie fragend an. „Seit wann trinkst du Alkohol?“, wollte Jodie wissen und fragte lieber nicht, wie Anne auf die Idee kam, dass sie in der Wohnung tun und lassen konnte was sie wollte. Anne seufzte. „Manchmal reicht ein Latte Macchiato eben nicht aus“, antwortete sie. „Aha“, gab Jodie trocken von sich. Es reichte ihr. Es war genug. Anne mischte sich schon viel zu oft in ihr Leben ein. Und nun war der Knoten geplatzt. „Du bist also wirklich sauer, weil es zwischen Shiro und mir nicht gefunkt hat.“ Man merkte, dass Jodie keinerlei Interesse an diesem Gespräch hatte. Warum sollte sie sich rechtfertigen? „Was?“ Anne funkelte sie an. „Mit dir und ihm lief doch alles Bestens.“ „Hast du uns beobachtet?“ „Natürlich“, entgegnete Anne, als wäre es das normalste auf dieser Welt. Und langsam schien sie sich zu beruhigen. „Ich muss doch sehen, was sich zwischen euch entwickelt. Außerdem saht ihr als Paar so gut aus. Und ich glaube, er mag Reiji. Du kannst dich ja noch einmal mit ihm treffen. Er ist der Richtige für dich. Das hab ich im Gefühl. Du solltest wirklich auf mich hören, ehe du einen Fehler begehst.“ „Fehler…“, brachte Jodie heraus. „Du denkst, dass alles in meinem Leben ein Fehler war, was? Die Sache mit Shu und dann die Schwangerschaft…“ Anne zuckte mit den Schultern. „Du weißt, wie ich dazu steh“, kam es von ihr. „Jetzt muss ich das Beste aus der Situation machen und dir jemanden suchen, damit du nicht für immer alleine bist. Also, wann denkst du, kannst du dich wieder mit Shiro treffen?“ „Gar nicht.“ „Ach komm, Jodie. Gib ihm noch eine Chance.“ „Nein.“ „Jetzt sei nicht kindisch.“ „Ich bin kindisch?“ Jodie stemmte die Hände in die Seiten. „Wenn, dann bist du diejenige, die kindisch ist. Du lebst immer noch in der Vergangenheit und denkst, dass sich rein gar nichts geändert hat. Du denkst, ich bin immer noch das Mädchen von damals, dass sich von dir alles sagen lässt. Dir hat es doch noch nie gefallen, dass ich meinen eigenen Weg gegangen bin…“ „Was daraus geworden ist, haben wir ja gesehen“, entgegnete Anne. „Ich bin nicht diejenige, die ihrem Ex-Freund wie ein räudiger Hund hinterher läuft. Und ich ließ mich auch nicht von einem daher gelaufenen Japaner schwängern.“ Jodie verengte die Augen. „Genau, ich bin die Böse. Und aus dem Grund willst du wohl auch, dass ich mich jetzt jedem Mann an den Hals werfe. Ach nein, stimmt gar nicht. Ich soll mich nur denen an den Hals werfen, die du für mich aussuchst. Dass ich keinen anderen Mann kennen lernen will, ist dir ja egal. Du setzt dich doch eh über meine Wünsche hinweg. Und jetzt reicht es mir.“ „Gott…jetzt reg dich doch nicht wegen nichts und wieder nichts auf. Wir sind schließlich Freundinnen und da passt man eben auf die Andere auf. Ich will nur dein Bestes. Und genau deswegen ist es eben für dich wichtig, dass du einen neuen Mann kennen lernst. Vor allem jetzt, wo dieses Arschloch wieder da ist…“ „An…“ Jodie stockte. „Wer ist wieder da?“ Anne seufzte. „Warum war mir nur klar, dass du gleich wieder darauf anspringst?“, gab sie wütend von sich. „Dein Ex ist in der Stadt. Ich dachte, er versauert sonst wo. Warum hast du mir eigentlich nicht gesagt, dass er wieder da ist?“, fragte Anne sofort. „Meinst du wirklich, ich hätte nicht gemerkt, wenn du dich wieder mit ihm triffst?“ Jodie verstand nur Bahnhof. Langsam aber lichtete sich der Nebel. Allerdings war Anne gerade erst richtig in Fahrt gekommen. „Ach, jetzt willst du nichts davon gewusst haben? Der Kerl lungert mal wieder in deiner Nähe und wartet doch nur darauf, dass er dir das Herz brechen kann. Aber diesmal nicht. Dem hab ich ordentlich die Meinung gegeigt. Ich hoffe, er lässt dich und Reiji nun in Ruhe.“ Anne sah Jodie an. „Ich geb dir einen guten Rat, Jodie. Sei nicht dumm und lass dich nicht wieder auf ihn ein. Er ist nicht mehr der, der er damals war. Er ist gewalttätigt.“ Jodie sah sie schockiert an. „Der Kerl hat mich wegen nichts und wieder nichts einfach so zu Boden geworfen. Und weißt du, was dann war? Er hat sich nicht einmal entschuldigt. Dieser Kerl ist so ein…“, zischte Anne und zum ersten Mal in ihrem Leben, hörte Jodie so viele Schimpfwörter nacheinander. Nicht einmal die Verbrecher, mit denen sie es in ihrer FBI-Laufbahn zu tun hatte, führten sich so auf. „Und dann guckt er auch noch so selbstgefällig und denkt, dass er alles haben kann. Aber nicht mit mir. Wenn er sich mit mir anlegen will, dann soll er doch. Er wird schon sehen, was er davon hat. Aber ich brauch dafür deine Hilfe, Jodie. Du musst bestätigen, dass er seine Wut nicht unter Kontrolle hat. Dann kriegen wir ihn dran.“ „Was…“ „Ein Bekannter meiner Eltern ist Anwalt. Wir können nachher zu ihm und uns beraten lassen. Danach erstatten wir Anzeige und er kriegt sein Fett weg.“ Anne kicherte ein wenig. „Er hat es ja nicht anders gewollt. Ich hetz ihm die Polizei auf den Hals und er kann seinen Job beim FBI vergessen. Du kannst von Glück reden, dass ihr nicht mehr zusammen seid.“ Das war Anne. Sobald sie der Meinung war, dass man ihr Unrecht tat, fing sie an Rachepläne zu schmieden. Früher fing es mit Fake-Accounts auf irgendwelchen Plattformen an. Und das nur, um dem vermeidlichen Täter ordentlich die Meinung zu geigen. „Stop!“ Anne sah zu Jodie. „Jetzt mal langsam, Anne. Du willst mir gerade sagen, dass du Shu getroffen hast?“ „Hast du mir nicht zugehört? Ich hab ihn nicht nur getroffen, er hat mich verletzt. Das ist Körperverletzung.“ „Anne, jetzt reiß dich mal zusammen. Ich kenne Shu und er würde so etwas nie grundlos tun. Wahrscheinlich wolltest du ihn festhalten und er stieß dich oder du bist über deine eigene Beine gefallen.“ Anne schnaubte. „Das war ja so klar, dass du ihn verteidigst. Weißt du eigentlich, wie ich mich dabei gefühlt hab?“ „Du tust so, als hätte er dich vergewaltigt.“ „Wer weiß, vielleicht hat er sowas vor.“ Jodie rollte die Augen. „Als ob Shu das täte.“ „Wahrscheinlich nicht im Park.“ „Im Park? Shu hat…er hat mich und Shiro gesehen? Zusammen mit Reiji…?“ „Ja, das hat er“, kam es von Anne. „Und wenn schon, soll er doch denken, was er will. Wahrscheinlich ärgert es ihn mittlerweile, dass du ein Kind von einem anderen Mann hast. Geschieht ihm recht“, giftete sie. „Halt den Mund.“ „Sag mal, wie redest du mit mir?“, wollte Anne verärgert wissen. „Du stellst dich doch nicht wirklich auf seine Seite. Dieser Kerl ist nicht gut für dich, Jodie. Denk doch an deinen Sohn.“ „Jetzt tu nicht so scheinheilig. Du verurteilst mich doch dafür, dass ich ein Kind bekommen hab“, meinte Jodie. „Dabei weißt du gar nichts, Anne. Soll ich dir mal was verraten? Reijis Vater ist Shuichi.“ Anne blickte sie schockiert an. Der Mund stand ihr offen. „Was? Er? Du…du…warum zum Teufel hast du mich angelegen? Für wenn hältst du dich eigentlich? Dir scheint unsere Freundschaft ja wirklich gar nichts zu bedeuten.“ Anne stand auf, zog an Jodie vorbei und riss die Haustür auf. „Dann kann ich ja gehen.“ Jodie musste sich am Riemen reißen um nicht zu brüllen. Sie wollte Anne noch so viel an den Kopf werfen, ihrer Wut freien Lauf lassen, die Last los werden. „Du hast Recht, Anne“, fing Jodie ruhig an. „Es ist wirklich besser, wenn du nun gehst und mich in Ruhe lässt. Wir sind schon lange nicht mehr Freundinnen. Und das weißt du auch. Trotzdem hältst du daran fest. Aber ich hab mich verändert und unter den Umständen ist es wirklich besser, wenn wir diese einseitige Freundschaft beenden.“ Anne schluckte. Ihre Drohung sollte das Gegenteil erzielen. Sie sollte Jodie zeigen, dass kein Mann es wert war, sich zu streiten. Aber was machte Jodie? Sie beendete die Freundschaft. Und das nur wegen ihm. „Das ist nicht dein ernst, Jodie“, raunte Anne. „Du wirst in paar Wochen vor meiner Tür stehen und mich als Freundin zurück wollen.“ „Das glaub ich weniger“, antwortete Jodie. „Und jetzt geh bitte. Es tut mir leid, wie es dazu gekommen ist, aber halte dich aus meinem Leben raus.“ „Das glaub ich jetzt nicht“, zischte Anne. „Du wirfst mich raus?“ Jodie seufzte. „Du bist doch selbst zur Tür. Und nun geh.“ Anne funkelte sie böse an. „Du weißt, dass er dir nicht gut tut. Und trotzdem ist er dir wichtiger, als ich. Du tust mir wirklich leid, Jodie. Du läufst einen Mann hinterher, der dich nicht will.“ Und da war sie auch schon. Jodies Hand auf Annes Wange. Sie schlug zu. Es war genug. Jodie zog die Hand zurück, ihre Finger zeichneten sich auf Annes Haut ab. Anne rieb sich über die Stelle. „Du…du hast…du hast mich geschlagen…“ „Du hast mich provoziert“, kam es von Jodie. „Und es tut mir leid dafür, aber das hast du dir selbst zuzuschreiben.“ Jodie sah Anne in die Augen und schloss die Tür. Sie lehnte sich gegen diese und schloss ihre Augen. „Jodie“, hörte sie von draußen und schüttelte den Kopf. Dann ging sie in ihr Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Ihr Herz schlug schneller. Shu wusste von dem Baby. Und dank Anne dachte er, dass es einen neuen Mann in ihrem Leben gab. Das war nicht fair. Es war einfach nicht fair. Und warum kam er nicht zu ihr? Warum nahm er den fremden Mann und das Baby einfach so hin? Erst jetzt realisierte Jodie, welche Konsequenzen die Einmischungen von Anne hatten und, dass es besser war, dieser für immer aus dem Weg zu gehen. Mit zittrigen Händen zog Jodie ihr Handy hervor. „War ja klar…“, murmelte Jodie leise. Die ersten beiden Kurznachrichten von Anne hatten sie bereits erreicht. Anne wollte erneut mit ihr reden und bat sie, der Freundschaft eine weitere Chance zu geben. Jodie seufzte und löschte die Mitteilungen. Es war zu spät. Sie hatte sich entschieden. Jodie öffnete das Textfeld für eine neue Kurznachricht. Langsam begann sie zu schreiben. Können wir bitte reden? Jodie legte das Handy auf den Tisch. Sie wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde. Shuichi gehörte nicht zu diesen Personen. Er war jemand, der einfach auftauchte…und genau so schnell wieder verschwand. Jodie lehnte sich nach hinten und schloss die Augen. Sie döste…bis es erneut an der Haustür klingelte. Jodie öffnete schlagartig die Augen und ging mit schnellen Schritten an die Haustür. Anne war es definitiv nicht. Wäre sie es gewesen, gäbe es einen Klingelsturm. Jodie atmete tief durch. Nur er konnte es sein. Shuichi. Jodie öffnete die Tür. „Oh.“ Trotzdem lächelte Jodie. Ernüchternd, aber sie lächelte. „James.“ Sofort umarmte sie ihren Ziehvater. Es tat gut ihn wiederzusehen. Zu lange war es her. Zu lange. „Warum hast du nicht angerufen?“, wollte sie von ihm wissen. „Ich wollte euch überraschen“, antwortete der FBI-Agent und trat ein. In seiner linken Hand hielt er eine Einkaufstüte. „Das ist für den kleinen Mann“, sprach er und reichte Jodie die Geschenke. „Ach James…das war doch nicht nötig.“ „Das weiß ich doch“, sprach er. „Aber ich hab so viel verpasst und jetzt möchte ich ihm einfach was Gutes. Es sind auch nur einige Kleinigkeiten.“ Jodie brachte ihn ins Wohnzimmer. Die Tüte legte sie auf den Tisch und zog die Sachen heraus. Zu Vorschein kam ein kleines, weißes und plüschiges Schaf. „Ich dachte mir, dass Reiji bereits genug Kuscheltiere hat, aber als ich das Schaf im Schaufenster sah, konnte ich nicht anders.“ Jodie schmunzelte. „Er hat einige Teddybären. Das wird sein erstes Kuschelschaf sein“, entgegnete sie. „Und wer weiß, vielleicht wird er es am Ende am Meisten mögen.“ Jodie zog die nächsten Sachen aus der Tüte. Strampler. Socken. Mützen. Alle in Babygröße. „Wahrscheinlich hast du davon schon genug“, kam es von James. „Man kann nie genug haben. Ich zieh ihn immer um, wenn ich seine Windeln wechseln muss. Manchmal auch nach jeder Mahlzeit, wenn er sich dabei schmutzig macht und sabbert. Du glaubst ja gar nicht, wie viel Wäsche sich dabei ansammelt. Was meinst du, wie froh ich bin, dass es diese Wegwerf-Windeln gibt. Wenn ich noch Stoffwindeln waschen müsste…“ James schmunzelte. „Wo ist denn der kleine Mann?“, wollte er wissen. „Ich hab ihn vorhin hingelegt. Wir können ja mal nach ihm sehen. Vielleicht ist er ja auch schon wieder wach.“ James nickte und folgte Jodie. „Hey, mein Süßer.“ Reiji lag in seinem Babybettchen und strampelte. James sah über das Bettchen und beobachtete den Kleinen. Reiji war nicht nur süß. Er war einfach nur Zucker und ließ das Herz jeder Person sofort aufgehen. James mochte den Kleinen auf Anhieb. Er war so klein, so zerbrechlich und so unschuldig. Jodie hob ihn heraus und blickte zu James. „Und, was sagst du?“, wollte sie wissen. „Er ist wunderbar“, antwortete dieser und strich Reiji über die Wange. „Und er sieht Akai so ähnlich. Das habt ihr Beiden wirklich gut gemacht.“ „Ja, das haben wir.“ Sie lächelte. „Willst du ihn mal halten?“ „Gerne.“ James nahm Reiji zu sich. „Hallo kleiner Mann, ich bin der Opa James“, sprach er. Jodie schmunzelte und ging mit James zurück ins Wohnzimmer. Sie setzte sich und reichte Reiji seinen Schnuller. „Er weiß es immer noch nicht, nicht wahr?“ Jodie seufzte. „Am Telefon ist es einfach kein guter Moment“, gab se von sich. „Allerdings…hat er uns wohl im Park gesehen.“ „Und er ist nicht zu euch gegangen?“ Jodie sah ihn traurig an. „Ich hab es vorhin von Anne erfahren. Du weißt doch noch wer Anne ist?“ James nickte. Anne…ja, er konnte sich zu gut an sie erinnern. Damals stand sie in seinem Büro und wollte um jeden Preis, dass Jodie aus dem FBI-Dienst entlassen wird. Sie gab einfach keine Ruhe, weswegen James ihr ein Hausverbot erteilen musste. „Anne hat für mich ein Date organisiert und ich dumme Kuh bin hingegangen. Da ich Reiji nicht bei irgendwem lassen wollte, kam er eben mit. Scheinbar hat Shu uns zu dritt gesehen und denkt nun, dass ich einen anderen Mann hab…und dass Reiji dessen Kind ist“, erzählte Jodie. „Er glaubt, ich bin glücklich…“ „Oh.“ „Ja…oh…“, murmelte Jodie. „Ich weiß nicht einmal, ob Shu mich nach allem noch sehen will. Vielleicht verzeiht er es mir nicht, dass ich ihm nie von Reiji erzählte…“ „Das glaub ich nicht, Jodie. Er hat sich die ganze Zeit Sorgen um dich gemacht“, antwortete James. „Deswegen ist er in den Staaten auch nicht zu seinem Arzttermin gegangen. Stattdessen kam er hier her und kümmerte sich um die Sache mit Vermouth. Du bedeutest ihm immer noch viel. Das seh ich ihm an.“ James lächelte aufmunternd. „Lass nicht zu, dass sich Anne zwischen euch stellt und euer Glück zerstört. Rede mit Akai.“ Jodie nickte. „Ich wünschte, ich hätte sie hier nicht getroffen. Wir haben uns Jahre nicht mehr gesehen und dann bin ich wieder hier und treffe sie als erstes“, seufzte Jodie. „Ich war damals so verzweifelt, dass ich sie wieder in mein Leben ließ…ich brauchte einfach jemanden zum reden…Es war so dumm von mir zu denken, dass sie sich geändert hat und wir wieder Freunde sein könnten.“ „Du wolltest eben das Gute in ihr sehen. Ein Teil von dir hält immer noch an der Vergangenheit fest.“ „Leider…“ Jodie schluckte. „Und jetzt weiß auch noch Vermouth von Reiji.“ „Sie ist keine Gefahr mehr.“ Jodie sah ihn überrascht an. „Das weißt du noch gar nicht? Es ist bereits in den Medien.“ „Hatte noch keine Zeit.“ „Oh…wie es scheint, wollte sich Akai mit ihr treffen. Dabei kam es scheinbar mit dem CIA zum Schusswechsel, indessen Folge Vermouth verstarb. Wir haben den Bericht des Gerichtsmediziners“, erklärte James. „Sie ist…sie ist wirklich…“ „Es scheint so. Aber ich denke, Akai kann dir deine Fragen eher beantworten. Frag ihn einfach, wenn er her kommt.“ „Du scheinst dir ja sicher zu sein, dass er hier her kommt.“ „Ich kenn ihn, Jodie, er wird kommen.“ Ach James…“, murmelte Jodie leise. „Mach dir nicht so viel Gedanken. Du wirst sehen, es wird alles gut werden.“ Sie nickte. „Ich bin froh, dass ich dich hab.“ „Und du kannst immer zu mir kommen, wenn etwas ist.“ „Das weiß ich doch“, lächelte sie. „Das werde ich auch sicher machen, wenn ich später mal einen Babysitter für Reiji brauch.“ James schmunzelte. „Gern.“ Er sah zu Reiji. „Ich wäre auch beleidigt, wenn ich nicht die erste Wahl dafür bin.“ Jodie kicherte. *** Shuichi saß alleine in seinem Büro. Sein Kollege war bereits bei seiner Verlobten und auch die anderen Agenten machten sich auf den Weg nach Hause. Manche zu ihren Freunden, andere zu ihren Familien. Und wo sollte er hin? Shuichi war alleine. Seine Familie, die er sowieso so gut wie nie sah, befand sich in Japan. Und Jodie war mit einem anderen Mann glücklich. Außerdem war da das Bay. Jodies Baby. Da war kein Platz mehr für ihn. Es war seine eigene Schuld. Es lief so viel schief. Shuichis Smartphone vibrierte auf dem Tisch. Er beobachtete dieses einen Moment lang und sah zu, wie sich das Handy zum Rand bewegte. Hatte er bald das nächste Smartphone auf dem Gewissen? Das Handy verstummte und Akai nahm es in die Hand. Er strich über das Display und las die Kurznachricht. Können wir bitte reden? Kapitel 16: Familie ------------------- Mit einem Lächeln machte sich Jodie auf den Weg zum Büro des FBIs. Seit sie mit Shuichi zusammen war, kam sie wieder öfters ins Büro. Meistens zusammen mit Reiji. An Tagen wie heute war sie alleine. Zielstrebig ging Jodie in das große Gebäude, fuhr mit dem Aufzug nach oben und stolzierte zu Shus Büro. Sie klopfte kurz an und trat anschließend ein. „Jodie…“ Shuichi sah sie überrascht an. „Haben wir einen Termin?“ Sie schüttelte den Kopf. „Brauch ich einen Termin um meinen Verlobten zu sehen?“ Jodie sprach gern von ihm als Verlobten. Verlobter. Es hatte einen anderen Klang als Freund. Aber noch besser fand sie: mein Ehemann. „Um was geht es denn?“, fragte Akai. Er ging zu ihr und küsste sie kurz. „Um die Hochzeit.“ Innerlich seufzte der FBI-Agent. Jodie wollte eine große Feier. Mit allem drum und dran. Shuichi fügte sich seinem Schicksal und machte Jodie alles möglich, was sie wollte. „Gibt es keine Blumen mehr?“ Jodie schüttelte den Kopf. „Wir müssen die Hochzeit verschieben.“ Akai sah sie fragend an. „Verschieben?“, wiederholte er. „Was ist los, Jodie?“, wollte er alarmierend wissen. „Ich kann dich in sechs Monaten nicht heiraten.“ Shuichi musste schlucken. „Jodie…“ Sie hatte es sich die ganze Zeit so sehr gewünscht und nun wollte sie nicht mehr? Akai verstand die Frauen manchmal gar nicht. „Wir müssen später heiraten“, fing Jodie an. „Ich mochte einfach nicht auf den Fotos aussehen wie ein ausgewachsener Wal.“ Shuichi sah sie skeptisch an. „Wal?“ „Shu, ich bin schwanger. Wir bekommen ein Baby.“ Jodie schreckte aus ihrem Traum hoch. Sie sah sich um, tastete ihre leere Bettseite ab und seufzte. Jodie war alleine. Langsam stand sie auf, machte sich fertig und räumte das, was am Tag zuvor liegen blieb, auf. Schließlich saß sie angespannt an ihrem Frühstückstisch. Warum wurde sie ausgerechnet jetzt von einem solchen Traum heimgesucht? Immer mal wieder warf sie einen Blick auf ihr Handy. Keine neue Nachricht. Kein Anruf. Das Handy blieb stumm. Genau wie Shuichi schwieg es sich aus. Wie so oft. Irgendwann würde er auftauchen. Und es wäre, als wäre nichts gewesen. Es war das, worauf Jodie die ganze Zeit wartete. Wartete und hoffte. Er sollte kommen. Sie endlich von dieser Qual erlösen und ihr die Chance geben sich zu erklären. Natürlich konnte Jodie ihn in seiner Wohnung aufsuchen, konnte ihm die Pistole auf die Brust setzen und entscheiden, dass es Zeit war. Sie konnte sie vieles, aber nicht alles war realisierbar. Es war Shuichi der nun handeln musste. Er musste entscheiden wann er mit ihr reden wollte. Nach Annes falschem Geständnis war sich Jodie sicher, dass eine Aussprache nötig war. Den ganzen Abend vorher hoffte die ehemalige Agentin, dass es an der Tür klingeln würde und Shuichi vor ihr stand. In ihren Vorstellungen würde er sie in den Arm nehmen, sie an sich drücken, küssen, festhalten, Reiji kennen lernen und für immer an ihrer Seite bleiben. Es war ein Traum, genau wie der in der Nacht zuvor. Und wofür waren Träume da? Manche erfüllten sich, andere blieben auf ewig unerfüllt. Jodie hatte sich bereits viele Träume erfüllt. Sie war eine gute Schülerin, machte einen guten Abschluss, hatte später während der Studienzeit gute Noten, ging zum FBI und kam mit Shuichi zusammen. Nach der Trennung von ihm, wurde es wieder zu einem Traum. Genau wie ihr Traum, diejenige zu sein, die die Mörderin ihres Vaters hinter Gittern brachte. Es gab genug Träume, die sich nie für sie erfüllen würden. Und trotz allem hoffte Jodie noch immer. Das Geräusch ihrer Finger, die leise auf dem Tisch klopften, riss Jodie aus ihren Gedanken. Sie sah auf ihren halbvollen Teller. Das Brot war angebissen, aber nicht aufgegessen. Der Tee nur zur Hälfte getrunken. Jodie verspürte keinen großen Hunger, blickte stattdessen erneut auf ihr Handy. Immer noch nichts. Sie seufzte, nahm das Handy und suchte Shuichis Nummer aus dem Telefonbuch heraus. Jodie starrte die Nummer an. Zahlen, die sie auswendig kannte und die sie doch nicht wählen konnte. Warum musste er sie nur immer wieder aus dem Konzept bringen? Ihre Hoffnungen wecken? Die Gefühle hätten vor langer Zeit verstummen sollen, trotzdem waren sie immer präsent und manifestierten sich. Sie wollten nicht weg gehen und flammten bei jeder Begegnung mit Shuichi erneut auf. In Japan agierte Akai oftmals eigenständig, ließ sich manchmal Wochen nicht mehr blicken und kam am Ende mit Ergebnissen zu einberufenen Besprechungen. Jedes Mal, wenn sie glaubte die Gefühle besiegt zu haben, traf sie auf ihn. Und alles ging von vorne los. Jodie kam einfach nicht über ihn hinweg. Er war ihr Schicksal. Ihr Seelenverwandter. Ihre große Liebe. Die ehemalige Agentin seufzte leise auf. Sie lehnte sich nach hinten und schloss die Augen. „Ach Shu“, murmelte sie leise. Wieso konnte es nicht einfach enden? Sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Ein Märchen… Jodie öffnete ihre Augen, als die Haustür klingelte. Einmal. Zweimal. „Anne.“ Jodie stand auf und ging langsam zur Haustür. Sie hatte überhaupt keine Lust auf die leidigen Diskussionen, öffnete trotzdem die Tür. Mit offenem Mund stand sie da. Überrascht. Aufgewühlt. Er war hier. Er allein. Und es war definitiv kein Traum. Jodie war wach. Sie versuchte etwas zu sagen, doch kein Wort verließ ihren Mund. Jodie war kein Mensch, der sich ausschwieg. Sie hatte immer ein Wort parat, aber jetzt war sie stumm. In ihren Vorstellungen hatte sie genügend Sätze auf Lager. Aber jetzt? Ihr Kopf war leer. Sie war sprachlos. „Du wolltest reden“, gab Akai knapp von sich. Er bewegte sich auf sie zu. Jodies Herz klopfte. Laut. Lauter. Es schrie förmlich nach ihm. „Jodie?“ Die Angesprochene nickte und beobachtete jeden seiner Schritte. Langsam trat sie nach hinten, während Shuichi die Wohnungstür schloss und sich ihr wieder zuwandte. In ihrem Kopf drehte sich alles und ihre Knie wurden weich. So vieles war ungesagt. So vieles lag ihr auf den Lippen. Und trotz allem war sie nur in der Lage in anzustarren. „Jodie?“ Die ehemalige Agentin schüttelte kaum merklich den Kopf, schüttelte ihre Gedanken beiseite und besah sich wieder auf das, was nun der Fall war. Shu war da. Bei ihr. Der Zeitpunkt war da. Er würde von seinem Sohn erfahren, würde das Für und Wider abwägen und schließlich die Konsequenzen aus ihren Handlungen ziehen. „Shu“, wisperte sie leise. Er nickte. „Ich bin da.“ „Du…du bist…wirklich gekommen…“ Er sah sie stumm an, wartete ab. Jodie konnte es kaum glauben. Ihr gesamter Körper spannte sich an. Minimal bewegte sie sich auf ihn zu. Zuerst langsam, dann schneller. Zum Schluss lagen ihre Lippen auf seinen. Sie küsste ihn. Sie musste ihn einfach küssen. Jodie küsste ihn so leidenschaftlich wie noch nie zuvor. Sie kostete en wohlbekannten Geschmack von Vanille und Rauch. Jodie wollte mehr. Viel mehr. Ihr Körper bebte und hatte nur einen Wunsch. Sie wollte ihn. Sie wollte ihn so sehr. Wie aufs Stichwort hob Shuichi sie hoch. Er legte ihre Beine um seine Hüfte, drückte sie enger an sich und suchte sich seinen Weg. Das Schlafzimmer war zu weit weg, sodass er Jodie auf das Sofa im Wohnzimmer legte. Er beugte sich über sie und küsste sie erneut. Auch er wollte mehr. Jetzt. Shuichis Bedenken, die er einige Stunden zuvor an den Tag legte, waren weggewischt. All das zählte nicht mehr. Er musste im hier und jetzt leben. Und in jenem Moment war sein Verlangen das wichtigste. Shuichis Hand suchte sich bereits den Weg an Jodies Kleidung vorbei. Er berührte ihre nackte Hauf auf dem Bauch und wollte jede Stelle ihres Körpers berühren. Mit Händen und mit Lippen. Er wollte sie. Ohne Rücksicht auf Verluste. Nach all den Jahren konnte er nun endlich seinem eigenen Verlangen nachgeben, konnte der sein, der er sein wollte und tun, was er immer tun wollte. Ohne Konsequenzen. Ohne Sorgen. Seit die Organisation nicht mehr existierte, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Sein Herz durfte wieder atmen und er seinen Gefühlen nachgehen. Eigentlich… Wären da nicht zwei Personen, die er die ganze Zeit über beiseite schob. Reiji. Und Jodies Kind. Sie waren noch immer existent, selbst wenn Jodie den ersten Schritt machte. Das Wimmern des Babys machte Shuichi auf die Situation erneut aufmerksam. Der Agent ließ von seiner Ex-Freundin ab. Mehrere Sekunden sah er in ihre tiefblauen Augen, ehe er schließlich aufstand. Er war zu weit gegangen. Es war nicht Jodies Schuld. Es war seine. Er hätte sie aufhalten sollen. Sie wegdrücken, es beenden, gehen…aber stattdessen gab er seinen Gefühlen nach. Aber eines durfte nicht geschehen. Jodie durfte die Menschen, die ihr wichtig waren, nicht enttäuschen. Sie durfte keinen Fehler begehen und sie durfte sich nicht auf ihn einlassen. Shuichi musste derjenige sein, der nicht aus Selbstsucht handeln durfte. „Du solltest nach dem Baby sehen.“ Jodie schluckte. Sie setzte sich auf. Obwohl ihr bekannt war, dass Shu von einem Baby in ihrem Leben wusste, waren seine Worte fremd. Jodie nickte und stand auf. Sie schob sich das Oberteil herunter und atmete tief durch. „Warte…bitte…“ Akai nickte und ließ sich auf das Sofa zurück fallen, während Jodie zu ihrem Sohn ging. Sie beugte sich über das Bettchen und lächelte. „Guten Morgen, mein Schatz“, sprach sie und nahm Reiji aus seinem Bett. Er blickte sie verschlafen an, wimmerte aber weiter. „Wir machen dich jetzt erstmal fein, ja? Der Papa ist da“, erzählte sie ihm. Jodie musste einfach lächeln, während sie ihrem Sohn die Windel wechselte und ihm einen neuen Strampler anzog. Es musste perfekt werden. „Jetzt zeigen wir uns von unserer besten Seite.“ Jodie nahm Reiji hoch und strich ihm über den Rücken. Sie ging aus dem Raum und im Flur der Wohnung, atmete sie tief durch. Nun war es soweit. „Shu…“ Jodie sah sich um. Er war weg. Einfach so gegangen. Jodie schluckte. Sie war traurig und blickte zu Reiji. „Es tut mir so leid“, wisperte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Sie hatte ihre Chance. Und sie hatte sie verpasst. Keine zwei Minuten später öffnete sich die Tür des Balkons. Shuichi kam rein und starrte auf das, was sich ihm bot. Jodie und das Baby. Sie sah wie eine richtige Mutter aus. Eine, die ihr Kind vor jedem Leid schützte, die für ihn da war und sich um ihn kümmerte. „Shu…“ „War eine Rauchen“, gab der Agent von sich. Jodie war erleichtert. Dann aber ärgerte sie sich, dass sie nicht an seine Zigaretten dachte. Als hätten sich seine Rauchgelüste im letzten Jahr geändert. „Ich sollte gehen, ehe dein Freund aufwacht oder wiederkommt.“ „Nein…das ist nicht so…Shu…ich…ich hab keinen Freund.“ „Okay.“ Okay? Das war alles? Er sagte einfach nur Okay? Kein: Großartig, lass uns zusammen sein? Nur ein Okay? Ein Okay, das nicht viel Spielraum für Interpretationen gab. „Bist du glücklich?“ Jodie sah ihn überrascht an. Wollte er wirklich nur das wissen? „Ich…“, setzte sie an und sah zu Reiji. „Reiji ist einfach wunderbar. Natürlich bin ich glücklich, weil ich ihn habe.“ „Das ist gut“, antwortete Akai ruhig. „Reiji…du hast deinem Sohn einen japanischen Namen gegeben“, entgegnete er. Er musterte den Jungen. Das war er also. Reiji. Derjenige, der ihm seine größte Schwäche offenbarte. Reiji, der ihm zeigte, welche Schmerzen Jodies Verlust ihm einbrachte. Und jetzt stellte sich Reiji als Baby heraus. Hätte er es nur eher gewusst. Er hätte anders gehandelt. Sicherer. Weniger besorgt um Jodie. Stattdessen war sie aus heiterem Himmel Mutter geworden. „Wer ist der Vater?“, wollte er dann wissen. Shuichi versuchte gleichgültig zu klingen. Seine Gedanken aber schweiften andauernd ab. Was wäre wenn? Hätte er überhaupt anders handeln können? Hätte es was gebracht? Wären sie zusammen? Glücklich? Zufrieden? Eine Familie? Shuichi sah erneut zu dem Jungen. Wo war sein Vater? Wer war sein Vater? Ein wildfremder Japaner? Shuichi kannte Jodie gut genug um zu wissen, dass sie nicht mit jedem Mann ins Bett ging. Obwohl man Amerikanern nachsagte, dass sie beziehungstechnisch, aber auch sexuell für alles offen waren, gehörte Jodie in eine ganz andere Kategorie. Sie trug zwar gerne enge Kleider, kurze Röcke, ließ sich auf nie auf einen anderen Mann ein. Viel Spielraum blieb Shuichi somit nicht mehr. Sein Blick blieb bei Reiji haften. Seine schwarzen Haare erinnerten ihn an sich selbst. Statt grünen Augen erbte er die tiefblauen Augen seiner Mutter. Konnte es etwa sein…? War er…? „Bin ich…?“ „Ja.“ Shuichi schluckte. Wieder vergegenwärtigte er sich, dass Jodie Mutter geworden war. Und er Vater. Es war das, was er sich bei Jodies und Reijis Anblick im Park wünschte. Nun, wo es real wurde, breitete sich ein Unbehagen in ihm aus. Er war Vater. Ausgerechnet er. Er, der keine Kinder wollte. Shuichi kam näher. „Deswegen bist du also aus Japan weggegangen.“ Jodie nickte. „Zwei Monate nach unserer gemeinsamen Nacht erfuhr ich, dass ich schwanger bin. Ich wollte es dir die ganze Zeit sagen…aber du warst immer noch in deiner Verkleidung und hast gegen die Organisation ermittelt. Ich habe lange überlegt, Shu, und ich habe mir verschiedene Szenarien ausgemalt. Sie alle endeten mit dem Tod. Deswegen habe ich mich entschieden, Japan zu verlassen und mein Baby hier zur Welt zu bringen. Ich dachte, dass ich hier, weitab vom Kampffeld, sicher bin….das er sicher ist. Glaub mir, es war nicht einfach. Ich wollte dich jeden Tag anrufen, dir eine Nachricht schreiben und dir sagen, dass ich ein Kind von dir erwarte. Ich hab mir gewünscht, dass du bei mir bist…aber ich wusste, dass du deine Verkleidung für uns aufgeben würdest. Vielleicht wäre es in den ersten Wochen gut gegangen, aber irgendwann würdest du mich dafür hassen…“ „Jodie…“, murmelte der Agent. Erst jetzt verstand er ihre Sorgen und die Gedanken, die sie sich machte. „Ich kenn dich, Shu. Du hättest das Richtige getan. Du hättest zu mir und zu dem Baby gestanden, vielleicht wärst du sogar mit uns weggegangen. Oder ich wäre in Japan geblieben. Egal was es gewesen wäre, wir wären von der Organisation gejagt…und wer weiß, was dann Reiji passiert wäre.“ Sie sah ihn entschuldigend an. „Deswegen hab ich entschieden, dass es das Beste ist, wenn ich geh…immerhin bin ich nicht nur für mein Leben verantwortlich…“ „Verstehe.“ Verstehe? Erst Okay und jetzt verstehe? War das alles? Kein Vorwurf? Keine Reaktion? Kein Kommentar, dass er einen Sohn hatte? Leicht misstrauisch sah Akai zu Reiji. „Ich hab seinen Namen vor einigen Wochen am Telefon gehört.“ Jodie nickte. „Das hab ich von Camel auch gehört.“ Shuichi verengte die Augen. „Wer wusste alles, dass ich Vater geworden bin?“ Seine Stimme war kühl und rauer als zuvor. „Nur James und einige Vorgesetzte. Falls du darauf hinaus willst, dass Camel über die Schwangerschaft Bescheid wusste, kann ich dir versichern, dass er überhaupt keine Ahnung hatte. Er kam mich vor einigen Tagen besuchen und hat dabei Reiji kennen gelernt. Ich bat ihn, dass er dir nichts sagt. Ich wollte es dir selber sagen, Shu.“ „Verstehe.“ Schon wieder. „Und was denkst du?“, fragte Jodie vorsichtig. Shuichi zuckte mit den Schultern. „Es war gut, dass du keinem etwas über deine Schwangerschaft erzählt hast. Damit hättest du dich, wie du richtig meintest, nur in Gefahr gebracht. Wir wissen Beide was die Organisation getan hätte. Du wärst das perfekte Opfer für sie.“ Jodie musste schlucken. „Ich hätte es wahrscheinlich nicht anders gemacht. Manchmal muss man Menschen, die einem etwas Bedeuten, anlügen, nur um sie oder andere geliebte Personen zu schützen. Manchmal dient es sogar zu seinem eigenen Schutz. Aber ich muss zugeben, dass es bitter war seine eigene Medizin zu kosten. Jetzt weiß ich, wie du dich gefühlt hast, wenn ich eigenmächtig gehandelt hab. Es tut mir leid.“ Jodie sah ihn erstaunt an. Wenn sich ein Shuichi Akai entschuldigte, dann hatte es auch was zu bedeuten. „Ich bin also Vater.“ „Ja…das bist du“, murmelte sie leise. Begeisterung sah wahrlich anders aus. „Ich weiß, ich hab dich damit überrumpelt. Und ich weiß auch, dass du keine Kinder willst, aber ich konnte doch nicht…“ „Das hab ich auch nie verlangt und das würde ich auch nie von dir verlangen“, entgegnete Shuichi. „Es ist ungewohnt auf einmal Vater zu sein.“ Jodie nickte. „Aber man gewöhnt sich schnell daran, nicht wahr, Spatz?“ Reiji gluckste vor sich hin. „Ist er…pflegeleicht?“ Jodie hob die Augenbraue. „Ist das eine ernstgemeinte Frage?“ Jodie konnte es nicht glauben. Er stellte Fragen mit denen sie nie im Leben rechnete. „Er weint ab und an. Aber das ist normal. Dann hat er Hunger, braucht eine neue Windel oder möchte einfach nur ein wenig bespaßt werden. Man findet schnell heraus, was er will. Das Weinen ist dann jedes Mal anders.“ Akai nickte nur. „Wann kam er zur Welt?“ „Am 13. Mai“, antwortete Jodie. „An einem Freitag. Es war eine normale Geburt…naja einige Stunden wehen, aber ich hab es geschafft. Es war so ein schönes Gefühl, ihn endlich im Arm zu halten.“ „Gut…“, entgegnete Akai ruhig. Und er war nicht dabei gewesen. Jodie hatte Schmerzen, während er auf einem anderen Kontinent war. Er hatte nicht ihre Hand gehalten, hatte ihr nicht gut zugeredet, hatte die Geburt seines Sohnes verpasst. Er bekam seinen ersten Schrei nicht mit, sah nicht, wie Reiji das erste Mal die Augen öffnete, lächelte, schlief, sich umdrehte und und und. Die Situation überforderte ihn. Er kam mit allem klar. FBI. CIA. Organisation. Verschiedene Menschengruppierungen. Aber ein Baby…ein Baby war eine ganz andere Geschichte. Es konnte sich nicht artikulieren, weinte und man musste meistens raten, was es gerade wollte. „Ich hab mir so oft vorgestellt wie es ist, wenn du hier her kommst und das erste Mal auf deinen Sohn triffst…“, fing Jodie an. „Tut mir leid.“ „Mhmm?“ „Ich handel doch sicher nicht so, wie du es dir vorgestellt hast“, entgegnete er. „Das ist schon in Ordnung. Du musst dich erst einmal daran gewöhnen, dass du einen Sohn hast…also wenn…du uns in deinem…Leben haben willst.“ „Natürlich“, kam es sofort von ihm. Shuichi sah zu Reiji, dann zu Jodie. „Ihr seid meine Familie.“ Ihr. Shuichi sagte es ganz deutlich. Und er meinte sie beide. Aber war es auch wirklich so, wie sie dachte? „Meinst du…wir könnten es noch einmal miteinander versuchen?“ Jodie machte sich bereits auf eine Ablehnung bereit. Eine, die sie in den letzten Jahren so oft zu hören bekam. „Ja.“ Überrascht sah sie ihn an. Damit waren sie nun ein Paar? So einfach ging es? Organisation vernichten und Shu fragen? Hätte er da nicht eher sagen können? „Ich hab gehört, was aus der Organisation geworden ist.“ Akai nickte. „Wir haben ihre Namen und konnten einige hochrangige Mitglieder verhaften. James hat sich um ihren Boss gekümmert.“ „Wer war er?“ „Niemand, der uns bekannt ist. Er ist ein reicher Unternehmensberater aus den Staaten, der es sich in Japan gemütlich gemacht hat. Ein alter Kauz, der hoffte, dass er durch verschiedene Forschungen sein Leben noch irgendwie verlängern kann. Und nun sitzt er hinter Gittern.“ „Das ist gut“, sprach Jodie leise. „Und Vermouth ist…“ „Vermouth ist letzten Endes beim Zugriff entkommen. Sie wollte ein Treffen mit mir in New York.“ Akai schnaubte. „Das CIA hat sich eingemischt und die Situation ist eskaliert. Du bist jetzt in Sicherheit, Jodie. Du und Reiji. Sie kann und sie wird euch nie wieder irgendwas tun.“ Jodie lächelte. Es war vorbei. Endlich. Nach so vielen Jahren war der Schatten über ihrem Leben verschwunden. „Ich konnte mein Versprechen nicht halten.“ „Dein Versprechen?“ Jodie sah ihn überrascht an. „Ja, ich erinnere mich. Du wolltest derjenige sein, der sie verhaftet und hier ins Gefängnis steckte.“ Akai nickte. „Ich hab es nicht geschafft.“ „Du hast uns in Sicherheit gebracht“, warf Jodie ein. „Du hast so viel für uns getan. Für uns und für unsere Sicherheit. Jetzt ist es vorbei.“ „Du hast Recht.“ Jodie sah zu Reiji. „Möchtest du ihn mal nehmen?“ Shuichi musterte den Kleinen. Auf Jodies Arm war er ruhig. Aber würde er das auch bei ihm sein?“ „Du musst nicht, wenn du nicht willst. Wir können uns auch erst setzen und du nimmst ihn dann…“ Akai nickte und setzte sich auf das Sofa. „Ich nehm ihn.“ Vorsichtig legte Jodie ihm ihren gemeinsamen Sohn in den Arm. Sie lächelte. „Schau mal mein Schatz, nun bist du bei dem Papa.“ Reiji gab einige Geräusche von sich. Wieder war es ein Glucksen. „Was hat er denn?“ „Keine Sorge. Er will sich einfach nur bemerkbar machen“, antwortete Jodie und strich Reiji über die Wange. „Du freust dich, dass der Papa nun da ist, nicht wahr? Du willst seine Aufmerksamkeit haben, du kleiner Schlingel.“ Jodie kicherte. Ein leichtes Lächeln huschte über das Gesicht des FBI-Agenten. „Er ist so…unbekümmert.“ „Ja, das ist er.“ Jodie setzte sich zu den Beiden. „Er sieht dir ähnlich.“ „Findest du?“ „Natürlich. Schau ihn dir doch an, Shu. Er hat die gleichen schwarzen Haare wie du.“ „Und deine Augen“, kam es dann von ihm. „Irgendwas muss er ja von mir haben.“ Shuichi schwieg. „Aber eines fehlt noch.“ „Mhmm? Was meinst du?“ „Die Mütze.“ Jodie wies auf die Strickmütze auf seinen Kopf. „Mit der würde er dir sicher noch mehr ähneln.“ „Wenn du eine in seiner Größe findest.“ „Und wenn nicht, bekommt er einfach deine Mütze.“ Jodie griff an seinen Kopf und zog die Mütze runter. Sie betrachtete diese, strich über sie und hielt sie dann vor Reiji. „Was wird das?“ „Und Reiji, was denkst du? Gefällt dir Papas Mütze? Magst du auch so eine haben?“, wollte sie von ihm wissen. Reiji streckte die Hand aus und hielt die Mütze fest. Wieder gluckste er. „Mhmm…“, murmelte Shuichi. Er beobachtete das winzige Leben in seinen Händen ganz genau. Reiji war so klein, so friedlich und er musste beschützt werden. Von ihm. „Ich denke, das ist eine Antwort“, schmunzelte Jodie. „Dann kann er sie behalten.“ Wie aufs Stichwort öffnete Reiji seinen Mund und nahm die Mütze in diesen. Sofort benetzte er diese mit seinem Babysabber. „Jetzt kann er sie auf jeden Fall behalten.“ Jodie lächelte. „Ein kleiner Akai eben.“ Shuichi sah zu ihr hoch. „Ich sabber nicht in meine Mütze.“ „Wer weiß, vielleicht hast du es ja früher gemacht, als du noch jünger warst.“ „Das glaub ich nicht“, kam es von ihm. „Zum Glück gibt es kaum Fotos von mir.“ Jodie lehnte sich nach hinten und beobachtete ihre beiden Männer. Fotos. Shuichi hatte recht und erinnerte sie an eine Kleinigkeit. „Apropos Fotos. Wenn du nachher magst, können wir ein paar Fotoalben anschauen. Ich hab einige angelegt über seine Entwicklung, sowohl in der Schwangerschaft als auch danach.“ „Gern“, sprach der Agent ruhig. Er konnte den Blick kaum von Reiji lassen. Reiji. Das kleine Wunder. Er bestand zu 50% aus Jodie und zu 50% aus Shuichi. Er brachte in dem Agenten Gefühle hervor, von denen er nicht einmal ahnte, dass sie da waren. Reiji war etwas Besonderes. Er war sein Sohn. Sein. Friedlich blickte Shuichi zu seinem Sohn. Fünf Minuten hielt er ihm im Arm, ehe Reiji einschlief. Dass es in Wahrheit allerdings zwei Stunden waren, bemerkte er nicht. Die Zeit lief so unglaublich schnell. „Ich sollte ihn lieber ins Bett legen.“ Jodie nickte und stand auf. „Ich zeig dir wohin es geht.“ Jodie stand auf und sah aus dem Augenwinkel zu ihm. Es war das erste Mal, dass Shu mit seinem Sohn aufstand. Sie achtete auf jeden seiner Schritte und hatte dabei immer wieder einen Blick auf Reiji. Shuichi stand ebenfalls auf. Langsam und vorsichtig. Anschließend folge er Jodie in das Zimmer, beugte sich dort über das Babybettchen und legte Reiji vorsichtig rein. Jodie legte die Decke über den Kleinen und beobachtete ihn eine Weile. Noch immer hielt Reiji die schwarze Strickmütze fest in seiner Hand. Reiji machte dem, was sie am Tag seiner Geburt verspürte, alle Ehre. Er war atemberaubend und zog Shuichi in seinen Bann. Jodie lehnte sich an Akai. An ihren Freund. Ein Wort, welches noch immer befremdlich war. „Die Mütze wirst du wohl nie wieder zurück bekommen.“ „Das ist nicht wichtig“, gab Shuichi von sich. Er legte den Arm um Jodie und drückte sie an sich. Es war also soweit. Sie hatten endlich ihr Happy End. Nach all den Jahren fanden sie noch immer zueinander. In guten, wie in schlechten Zeiten. Nichts konnte sie trennen oder voneinander fernhalten. Und dieses Mal würde Shuichi kämpfen. Für sich. Für sie. Für Reiji. Sie waren seine Familie. Shuichi würde nicht mehr los lassen. Nicht verlieren. Jetzt kam die Zeit in der er glücklich sein konnte. „Und wie findest du deinen Sohn?“, wollte Jodie wissen. „Er ist perfekt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)