Radiostimmen von -Zerschmetterling- ================================================================================ Kapitel 1: Nachrichtensprecher ------------------------------ Nachrichtensprecher   Mehrere tiefe Falten bildeten sich auf Shikamarus Stirn. Er hatte die Augen leicht zusammengekniffen, wohl um sich besser konzentrieren zu können, und lauschte der Aufnahme. Es war bereits mein dritter Versuch. Sasuke würde mich so was von auslachen, wenn er das wüsste. Allerdings war es zugegebenermaßen auch deutlich schwieriger einen Nachrichtentext einzusprechen als ich zunächst gedacht hatte. Es gab so viele Kleinigkeiten, auf die man achten musste, und zwar während man redete. Ich war es gewohnt, einfach so drauf los zu quatschen – das hier war etwas ganz anderes.   Shikamaru öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn dann jedoch wieder. Scheinbar fehlten ihm zu dem, was ich da fabriziert hatte, einfach die Worte.   „Und?“, fragte ich vorsichtig.   Eine Weile schwieg er.   „Naruto“, begann er dann. „Das … kann nicht dein Ernst sein.“   Seine Blicke taxierten mich abschätzend und gleichzeitig zog er die Augenbrauen leicht zusammen, sodass er unglaublich streng aussah. Ich schnaufte frustriert. Nachrichten waren einfach nicht mein Ding, das hätte ich Tsunade schon von Anfang an sagen können, aber bedauerlicherweise war es Teil meines Volontärsvertrags, dass ich jede Station im Sender einmal durchlaufen musste. Auch die Nachrichten.   „Ich hab’s echt versucht“, beteuerte ich verzweifelt.  „Aber das ist einfach nichts für mich. Echt jetzt.“   Vielleicht, wenn ich Glück hatte, hatte Shikamaru ja Mitleid mit mir und würde mir erlauben, den Nachrichtenteil zu überspringen. Er selbst hatte sicher auch besseres zu tun, als ständig mit mir im Schnittraum zu sitzen und sich meine Aufzeichnungen anzuhören, nur um anschließend festzustellen, dass sie noch immer keinen Deut besser geworden waren.   „Hör zu, Naruto“, Shikamaru seufzte und legte die Fingerspitzen aneinander. Das war niemals ein gutes Zeichen, denn es bedeutete, dass er so genervt war, dass er angefangen hatte, sich eine Lösung für das Problem zu überlegen. „Ich bin kein Sprecher, ich mache nur die Programmgestaltung und das Social Media Zeug. Vielleicht bin ich einfach nicht der Richtige, um dir zu erklären, worauf es ankommt und du solltest einfach mal Sasuke…“   Harsch unterbrach ich ihn.   „Vergiss es! Nur über meine Leiche. Der Bastard wird mich einfach nur auslachen und das hilft mir ganz bestimmt auch nicht weiter.“   Entschlossen verschränkte ich die Arme vor der Brust. Soweit kam es noch. Es konnte ja wohl nicht so schwer sein, einen dummen Text fehlerfrei vorzulesen. Die Abschnitte waren noch nicht mal lang und lesen konnte ich bereits seit der Grundschule. Wenn mir nicht jedes Mal nach der Hälfte der Nachricht die Luft ausgehen würde, sodass ich hechelte wie ein Walross nach einem Halbmarathon, wäre das Ganze schon viel einfacher. Shikamaru zog skeptisch eine Augenbraue nach oben.   „Ich krieg das auch so hin“, beschwor ich dennoch überzeugt.   Zumindest stand es völlig außer Frage, dass ich Sasuke um Hilfe bat. Es reichte schon, dass der Kerl monatlich fast doppelt so viel verdiente wie ich und im Gegensatz zu mir auch schon das Studiopult bedienen durfte. Bei jeder Gelegenheit rieb er mir unter die Nase, dass ich im Grunde genommen nichts weiter als ein blutiger Anfänger war. Ich musste ihm ja nicht noch mehr Angriffsfläche bieten als nötig.   „Gut, du hast noch vierzig Minuten“, erinnerte mich Shikamaru. „Dann müssen die News auf Sendung. Wenn du bis dahin nicht fertig bist, schicke ich Kakashi vorbei und du weißt, dass er dir den Arsch aufreißen wird.“   Beim Gedanken an eine Standpauke von Kakashi rutschte ich unwillkürlich etwas weiter unter den Schreibtisch. An sich war er ein wirklich lockerer und umgänglicher Kerl, aber was die redaktionelle Arbeit betraf, verstand der Mann keinen Spaß. In der Redaktion hatte er das Sagen und das bedeutete auch, dass er für reibungslose Abläufe sorgte.   „Mach dir keine Sorgen, Shikamaru. Das schaff ich schon irgendwie – auch ohne Sasukes Hilfe“, versprach ich.   Allerdings dauerte es nur knapp eine halbe Stunde und ich musste mein Versprechen auch schon wieder revidieren. Durch den Zeitdruck gelang es mir einfach nicht, auch nur einen einzigen Abschnitt fehlerfrei vorzulesen. Ständig hatte ich die tickende Uhr vor Augen, die natürlich nur metaphorisch tickte, denn in Wirklichkeit war sie eine Digitaluhr mit riesigen blinkenden Lettern, damit im Aufnahmestudio keine unerwünschten Geräusche entstanden. Nur noch zehn Minuten. Ich hatte nur noch lächerliche zehn Minuten und bisher war an so etwas wie Betonung noch nicht einmal ansatzweise zu denken.   Panisch stürmte ich aus dem Schnittraum direkt in die Redaktion und hielt Ausschau nach Shikamaru. Normalerweise saß der immer an seinem Platz am Social-Media-Rechner, aber im Moment war der Schreibtisch vollkommen verwaist. Überhaupt machte der Großteil der Redakteure wohl gerade Mittagspause, denn abgesehen von Sasuke war niemand mehr hier. Wütend trat ich gegen den Mülleimer, der direkt neben der Tür zum Schnittraum stand und der daraufhin bedenklich anfing zu schwanken.   „Fuck.“   Sasuke zog nur skeptisch eine Augenbraue nach oben. Das machte er oft. Die Geste war ihm praktisch in Fleisch und Blut übergegangen, vor allem wenn er mir gegenüberstand.  Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und stellte den Papierkorb wieder aufrecht hin.   „Schau nicht so“, fauchte ich.   Momentan war unser Verhältnis etwas schwierig. Man konnte es wohl am besten als wechselhaft beschreiben, denn es gab Tage, an denen wir kaum genug voneinander kriegen konnten und es gab wiederum Tage, an denen wir uns am liebsten gegenseitig den Hals umdrehen würden. Und dann gab es da noch die Tage, an denen ich nicht genug von ihm kriegen konnte, er aber scheinbar schon. Das bedeutete dann, dass ich mich in Verzicht üben musste und er sich kein bisschen für mich interessierte. Solche Tage hatte es in letzter Zeit öfter gegeben und das war meiner Laune nicht unbedingt immer zuträglich gewesen.   „Ist da jemand nicht ausgelastet?“, fragte Sasuke spöttisch.   Böse funkelte ich ihn an. Mir war sofort klar, dass sein Kommentar zweideutig gemeint war. Seiner Pseudo-Monogamie-Regel war es schließlich zu verdanken, dass ich mich momentan mit meiner Hand begnügen musste. Abgesehen davon, dass ich sowieso kein Interesse an anderen Männern oder Frauen gehabt hätte, aber das brauchte er ja nicht zu wissen.   „Ganz im Gegenteil“, widersprach ich. „Ich bin so ausgelastet, dass mir die verdammte Zeit davon läuft. Also wenn du mir nicht helfen willst, dann quatsch mich nicht voll.“   Mir war durchaus bewusst, dass ich ihn gerade ganz subtil doch noch um Hilfe gebeten hatte, aber wenn ich ehrlich war, hatte ich auch keine andere Wahl mehr. Shikamaru war verschwunden, ich hatte noch genau sieben Minuten und zwölf Sekunden und wenn Kiba bis dahin nicht die vorproduzierten Nachrichten für seine Sendung hatte, würde Kakashi mir den Arsch aufreißen. Es war eine absolute Illusion zu glauben, dass ich es noch schaffen würde, den Text selbst einzusprechen. Sasuke verzog den Mund zu etwas, das aussah wie ein Grinsen.   „Ich soll dir also helfen?“   Verärgert schob ich die Unterlippe vor.   „Du könntest für mich einen Text einsprechen für die Nachrichten gleich.“   Wieder zog er eine Augenbraue nach oben.   „Solltest du das nicht machen?“   Warum musste der Bastard auch immer so viele überflüssige Fragen stellen? Eigentlich hätte mir von Anfang an klar sein müssen, dass ich damit nicht so einfach durchkommen würde. Dafür bereitete es ihm viel zu große Freude, mich leiden zu sehen und mich zu demütigen.   „Ist doch egal, jetzt“, versuchte ich abzulenken. „Mir bleibt keine Zeit mehr, also sag einfach, ob du es machst oder nicht.“   Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich entspannt in seinem Drehstuhl zurück. Dass ich in Eile war, schien ihm vollkommen egal zu sein und ich wollte schon hektisch zurück in den Schnittraum laufen, um die Aufnahmen doch noch selber zu machen, als er sich schließlich erhob.   „Ich mach es. Aber nur wenn du danach lernst, wie es richtig geht.“   Noch ein letztes Mal warf ich einen prüfenden Blick auf die Uhr. Vier Minuten, dreiundzwanzig Sekunden. Das würde verdammt knapp werden, was bedeutete, dass ich keine andere Wahl hatte auch wenn es mir mehr als nur widerstrebte, mir von Sasuke etwas beibringen zu lassen.   „Streber“, murmelte ich.   Tatsächlich dauerte es nicht lange und wir hatten die Aufnahme im Kasten. Sasuke musste nicht einmal etwas schneiden und drückte mir selbstgerecht einen Zettel für Kiba in die Hand, auf dem er den Dateipfad notiert hatte. Natürlich würde Shikamaru merken, dass die Nachrichten nicht von mir eingesprochen worden waren, aber vielleicht ließ er sich dadurch besänftigen, dass ich Sasuke nun doch gewissermaßen um Hilfe gebeten hatte. Zwar nur, weil mir keine Wahl geblieben war, aber das Endresultat zählte.   „Dann zeig mir mal, was du bisher gemacht hast“, forderte Sasuke schließlich, als wir wieder im Schnittraum saßen.   Dicht beieinander, sodass wir beide einen guten Blick auf den Bildschirm hatten und sodass mir ganz zufällig Sasukes unverkennbarer Duft in die Nase stieg. Dieser Schnittraum barg so einige Erinnerungen.   Etwas widerwillig öffnete ich die letzte Aufnahme und spielte sie ihm vor. Sein Gesicht ließ wie immer nichts erahnen und blieb vollkommen versteinert. Das war eine Eigenschaft, die ich an ihm hasste wie die Pest, denn sie ermöglichte es ihm zu einem beliebigen Zeitpunkt eine nahezu unüberbrückbare Distanz zu schaffen. Es fühlte sich so an, als wären wir gänzlich Fremde oder noch schlimmer, so als hätte ich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion seine gesamte Familie abgeschlachtet. Dabei hatte ich mich in den letzten Wochen mühsam immer weiter nach vorne gekämpft und kontinuierlich kleine Schritte in seine Richtung gemacht. Es war eine minimale Annäherung, aber sie war da. In manchen Momenten fühlte ich mich ihm sogar so nahe, wie noch keiner anderen Person in meinem Leben zuvor, aber dann plötzlich schottete er sich wieder vollkommen ab und stieß mich zurück.   „Abgesehen davon, dass du keinen einzigen Satz ordentlich zu Ende bringst“, begann er mit schneidender Stimme. „Hast du schon mal was von Betonungstechniken gehört?“   Es war vorauszusehen gewesen, dass er sich mit seiner Kritik nicht zurückhalten würde. Dennoch fand ich, dass er maßlos übertrieb. Schließlich konnte nicht jeder so ein kleines Wunderkind mit Abschluss an der Stimmakademie sein, wie er.   „Das waren insgesamt drei Sätze, bevor ich mich zum ersten Mal verlesen habe“, stellte ich klar. „Und in der Schule durfte ich immer sehr oft vorlesen, eben weil ich so schön betont habe.“   Als hätte ich gerade etwas äußerst Dummes gesagt, fasste Sasuke sich mit der Hand an den Nasenrücken und begann die Stelle zu massieren. Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, dem man erklären musste, dass man Sandkuchen nicht essen konnte, auch wenn sie hübsch und appetitlich aussahen.   „Du sollst die Nachrichten aber nicht vorlesen“, korrigierte er besserwisserisch. „Nachrichten sind ein Service. Vor allem im Radio hören die Leute sowieso nur halb zu, das heißt du musst sie so vortragen, dass sie trotzdem verstanden werden. Wenn du jedes zweite Wort betonst, funktioniert das aber nicht.“   Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Das, was er da sagte, ergab überhaupt keinen Sinn.   „Wenn ich die Wörter nicht betone, hört doch erst recht keiner zu.“   Was auch immer man den Leuten an dieser Stimmakademie beibrachte, besonders logisch klang das schon mal nicht. Ohne Betonungen klangen die Nachrichten langweilig und statisch. Niemand wollte solche Nachrichten hören, abgesehen vielleicht von jemandem mit Einschlafstörungen, der das Radio neben seinem Bett stehen hatte.   „Entscheidend ist, welche Wörter du betonst“, erklärte Sasuke ungeduldig. Offensichtlich passte es ihm nicht, dass ich seine Methoden kritisierte. „Wenn du das wichtigste Wort in einem Satz hervorhebst, nimmst du dem Hörer damit schon mal die Aufgabe ab, selbst zu entscheiden, was relevant ist. Wenn du alles betonst, kannst du genauso gut irgendeinen Chartsong spielen. Da bleibt nichts hängen und es ist einfach nur anstrengend dir zuzuhören.“   Ich schnaubte.   „Du solltest dir gerade mal zuhören.“   Er warf mir einen seiner Todesblicke zu und ich verzichtete darauf, ihn daran zu erinnern, dass er darauf bestanden hatte, mir Betonungstechniken für die Nachrichten beizubringen. Meinetwegen könnten wir das Ganze auch einfach auf morgen verschieben. Oder nächste Woche. Oder nächstes Jahr.   „Hier“, Sasuke reichte mir den Zettel, auf den ich die Ein-Uhr-Nachrichten gedruckt hatte. „Pro Satz ein Wort. Und zwar das Wichtigste und nicht irgendeins.“   Sein belehrender Tonfall machte mich wütend, aber ich schluckte meinen Zorn herunter und beschloss ihm stattdessen zu zeigen, dass ich das, was er gesagt hatte, ohne Probleme umsetzen konnte. Immerhin war ich professionell. Auch wenn ich die Regel schwachsinnig fand. Nachher würde ich einfach nochmal bei Sakura nachfragen, die musste es schließlich auch wissen, und danach konnte ich ihm seinen Fehler immer noch unter die Nase reiben.   Schon als ich ansetzte zu sprechen, sah ich wie Sasuke das Gesicht verzog. Diesmal gab er sich keinerlei Mühe, seine Emotionen vor mir zu verbergen, doch das machte es nicht unbedingt besser. Ganz offensichtlich hatte ich mal wieder irgendetwas falsch gemacht, auch wenn ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte, was das sein sollte. Ich hatte mich nicht mal verlesen. Kein bisschen. Aber es brachte nichts, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, denn er würde es mir sowieso gleich sagen.  Frustriert stoppte ich die Aufnahme. Ich hatte gerade einmal eine Meldung gelesen.   „Naruto“, er rutschte ein Stück näher und sah mich eindringlich an. „Wie viele Wörter hast du pro Satz betont?“   Sofort strömte mir wieder sein Duft in die Nase, diesmal nur viel intensiver. Es war eine Mischung aus seinem Waschmittel, seinem Shampoo und seinem ganz eigenen Geruch. Mittlerweile kannte ich ihn gut genug, um das so genau bestimmen zu können. Es war auf jeden Fall betörend und es ließ mich definitiv an andere Sachen denken als Nachrichtenmeldungen. Wenn er mir so nahe war, gelang es mir einfach nicht, weiter auf ihn wütend zu sein.   „Eins?“, zu meiner Schande klang meine Antwort mehr wie eine Frage als wie eine Feststellung.   Sasuke verdrehte die Augen und deutete dann auf die Tonspur von der Aufnahme.   „Der Ausschlag sieht immer gleich aus. Das liegt daran, dass du immer mit der gleichen Satzmelodie sprichst und immer die gleichen Wörter betonst. Du liest einfach nur vor.“   Diesmal konnte ich nicht mehr leugnen, dass er Recht hatte, denn das Muster der Tonspur wiederholte sich tatsächlich bei jedem Satz und auch das war gewissermaßen eine Art von Monotonie. Vielleicht sollte ich versuchen einen Mittelweg aus seiner Methode und meiner Methode zu finden. Ein Wort pro Satz erschien mir doch recht wenig. Oder aber ich versuchte einfach mehr darin zu variieren, wann ich etwas betonte. Nachdenklich ließ ich meine Augen über das Blatt wandern. Da waren so viele Worte und alle schienen mir irgendwie mehr oder weniger wichtig, wenn es darum ging, den Sinn der Meldung zu begreifen. Ich konnte doch nicht einfach irgendetwas weglassen.  Wie stellte Sasuke sich das vor?   „Woher soll ich denn wissen, welches das wichtige Wort ist?“, fragte ich ihn kurzerhand. „Das sind Nachrichtenmeldungen, da steckt doch überall Information drin.“   Unsanft riss er mir wieder den Zettel aus der Hand und legte ihn vor uns über die Tastatur. Es war nicht schwer zu erkennen, dass auch seine Geduld langsam am Ende war. Niemals hätte ich gedacht, dass Nachrichtensprechen so schwer sein konnte. Die größte Problematik hatte ich immer darin gesehen, sich nicht zu verlesen, doch nun belehrte Sasuke mich eines Besseren.   „Du musst einfach überlegen, was entscheidend ist für die Meldung“, erklärte er. „Was ist passiert? Was sind die neusten Entwicklungen? Solche Sachen eben.“   Ich beugte mich über den Text und streifte dabei unauffällig seinen Arm. In den Phasen, wo er mir seine Nähe von sich aus verwehrte, war mir jedes Mittel recht, um ihm irgendwie doch nahe sein zu können und wenn es nur solche Kleinigkeiten waren. Körperkontakt war nicht gerade seine Lieblingsbeschäftigung, meine dafür aber umso mehr und ich brauchte das einfach. Manchmal war ich geradezu ausgehungert und hätte mich am liebsten sofort auf ihn gestürzt.   „Im ersten Satz würde ich dann Feuerwehr betonen“, schlug ich vor.   Irritiert sah er mich an.   „Wieso Feuerwehr? Es geht um einen Großbrand.“   Ich zuckte mit den Schultern.   „Aber das zeigt doch, dass es ein größeres Ereignis war, wenn sogar die Feuerwehr anrücken musste.“   Wieder massierte er sich den Nasenrücken.   „Die Feuerwehr kommt so gut wie immer, wenn es irgendwo brennt“, belehrte er mich.   Im künstlichen Licht des Schnittraums sah er relativ geschafft aus. Auch er musste neben seinem Job als Moderator der Morningshow gleichzeitig noch in der Redaktion mitarbeiten. Zwar hatte er im Gegensatz zu mir deutlich mehr freie Hand, was die Auswahl seiner Aufgaben betraf, aber Sasuke war auch ein Workaholic, der gerne mal über sein Pensum hinausarbeitete. Insgeheim vermutete ich, dass es an seinem Kontrollzwang lag und er deswegen einfach nichts abgeben konnte. Er musste immer alles selber machen. Dass ich ihn jetzt auch noch sämtliche Nerven kostete, hatte er sicher nicht mit eingeplant.   „Dann vielleicht gestern?“, schlug ich als nächstes vor. „Dadurch weiß man dann auch, dass es einen aktuellen Bezug hat.“   Ganz langsam schloss Sasuke die Augen. Wenn er seine Mimik nicht mehr unter Kontrolle hatte, war das meistens kein gutes Zeichen. Beinahe so gefährlich, wie wenn Kakashi einen zu sich an den Schreibtisch bestellte, weil es etwas Wichtiges zu besprechen gab, das keinen Aufschub duldete. Meistens handelte es sich dabei um Standpauken oder Aufgaben, die niemand sonst erledigen wollte und vor denen sich sogar Hinata als Praktikantin erfolgreich gedrückt hatte.       „Ist das dein Ernst, Naruto?“, fragte Sasuke mit mühsam beherrschter Stimme.   Aus irgendeinem Grund hatte ich gerade ein Déjà-vu und ich fragte mich wirklich, was ich eigentlich falsch machte. Wenn ich es nicht vorhin schon gewusst hätte, würde spätestens jetzt feststehen, dass Nachrichten nicht mein Ding waren. Was wollten die nur alle von mir? Da ich davon ausging, dass es sich um eine rhetorische Frage handelte, antwortete ich nichts und schob einfach nur schmollend die Unterlippe nach vorne.   Sasuke betrachtete mich aufmerksam und schien nachzudenken. Ich erkannte es daran, dass seine Augen nach wenigen Sekunden durch mich hindurchzugleiten schienen und auf einen unsichtbaren Punkt an der Wand hinter mir fixiert waren. Eine Weile lang rührte er sich nicht und schließlich trat ein unheilvolles Leuchten in seine Augen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich wissen wollte, was er jetzt schon wieder ausgeheckt hatte, doch es stand jetzt schon fest, dass er mich nicht gehen lassen würde, bevor ich die Sache mit der Betonungstechnik nicht hinbekommen hatte. Das würde sein Stolz als mein momentaner Lehrer nicht zulassen.   In Gedanken fragte ich mich schon, wie lange es wohl noch dauern würde, bis ich endlich in den wohlverdienten Feierabend gehen konnte, als er plötzlich unsanft nach meinem Kiefer griff und mein Gesicht so drehte, dass es nur wenige Millimeter von seinem entfernt war. Seine dunklen Augen bohrten sich tief in meine und schienen mich dabei fast zu verschlingen, sodass mir für ein paar Sekunden der Atem wegblieb. Hatte ich irgendetwas verpasst?   „Vielleicht sind Nachrichten einfach nicht dein Thema“, hauchte Sasuke.   Ganz deutlich konnte ich seinen warmen Atem auf meinen eigenen Lippen spüren und mein Herzschlag beschleunigte sich automatisch. Ich war ausgehungert. So verdammt ausgehungert. Und in diesem Moment war mir Sasuke so nah, wie schon seit Tagen nicht mehr. Fahrig leckte ich mir über die Lippen, während mein Blick hastig über sein Gesicht huschte, auf der Suche nach irgendwelchen Anzeichen, die seinen plötzlichen Stimmungswechsel erklären könnten. Doch ich fand nichts. Stattdessen beugte er sich noch weiter nach vorne und drückte mir hart seine Lippen auf, denen ich sofort gierig entgegenkam. Seine Hand verhakte sich in meinem Nacken, die andere ließ er zu meiner Hüfte gleiten, wo sie vorwitzig unter mein T-Shirt schlüpfte. Ich zuckte zusammen, weil seine Finger so unglaublich kalt waren, aber gleichzeitig war es auch einfach nur gut und ich wollte mehr. Genießerisch schloss ich die Augen und konzentrierte mich einzig und allein auf das Gefühl von Sasukes Lippen auf meinen. Sie verzogen sich zu einem leichten Grinsen.   „Lass uns nach Hause gehen und ich werde dich so hart in den Arsch ficken, dass du nicht mehr laufen kannst“, raunte er.   In seinen Augen loderte ein allesverzehrendes Feuer, ein sündiges Versprechen, und ich war mir nicht sicher, ob es von ihm ausging oder einfach nur der Spiegel meiner eigenen Gefühle war, die ich in ihn hineinprojizierte. Fakt war jedenfalls, dass mein Körper sofort reagierte. Auf ihn. Auf seine Stimme. Auf seine Nähe, seinen Duft. Auf das, was er gesagt hatte. Ich wollte ihn. Ein leises Keuchen entwich mir und ich versuchte augenblicklich, mich noch näher an ihn heranzudrängen. Mittlerweile hatte ich sogar vergessen, dass wir uns noch in der Redaktion befanden und von mir aus hätten wir es auch auf der Stelle hier tun können.   Seine Lippen bahnten sich einen Weg zu meinem Ohr, fuhren einmal die Ohrmuschel entlang und schließlich wiederholte er das Ganze noch einmal mit seiner Zunge. Er wusste genau, wie empfindlich ich an dieser Stelle war und machte sich das gerne mal zu Nutze. Der Klang seines Atems so dicht an meinem Ohr verursachte ein dumpfes Rauschen, das nur noch übertönt wurde vom Pochen meines eigenen Blutes und ich krallte mich fest in sein T-Shirt.   „Naruto“, hauchte er mit rauer Stimme und übte dabei sanften Druck auf die Beule in meiner Hose aus. „Sag mir, welches Wort in meinem Satz war das Entscheidende?“   Ich brauchte einen Moment, bis ich seine Worte realisiert hatte, aber auch dann begriff ich noch nicht wirklich, was er von mir wollte.   „Was?“, fragte ich verwirrt.   Zu meinem Bedauern zog er seine Hand zurück und lehnte sich wieder in seinen Stuhl. Die abweisende Kälte war in seine Augen zurückgekehrt und ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen.   „Welches Wort war das Entscheidende?“, wiederholte er ruhig.   In meinem Kopf begannen sich unzählige Rädchen zu drehen. War das der Grund für seinen plötzlichen Stimmungswechsel? Er hatte mit mir gespielt, hatte mir etwas vorgemacht, um gleichzeitig ein Beispiel zu liefern, das selbst ich als Dummkopf, der ich in seinen Augen zweifellos war, verstehen würde. Ein Beispiel, das ich so schnell nicht wieder vergessen konnte. Es fühlte sich so an, als hätte er einen Eimer eiskaltes Wasser über mir ausgeleert. Ungläubig sah ich ihn an.   „Ist das jetzt dein Ernst?“, wollte ich wissen, wobei ich gleichzeitig auf seine Frage von vorhin anspielte.   Ich fühlte mich einfach nur vorgeführt. Eigentlich sollte ich das bei ihm mittlerweile gewohnt sein, aber manchmal vergaß ich im Eifer des Gefechtes, wen ich da vor mir hatte. Schon in dem Moment als er gegrinst hatte, hätte ich eigentlich Verdacht schöpfen müssen. Sasuke zuckte nur mit den Schultern.   „Solange es funktioniert.“   Wütend funkelte ich ihn an. Dass er mich schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr an sich ranließ, war eine Sache, aber dass er meine aufgestaute Lust gegen mich verwendete, war einfach nur skrupellos. Dennoch hatte ich noch ein winzig kleines Fünkchen Hoffnung in mir.   „Du weißt, dass Nachrichtenmeldungen immer einen Wahrheitsgehalt haben müssen“, erinnerte ich ihn. „Das ist eine ihrer Kerneigenschaften und würde andernfalls der Glaubwürdigkeit des Senders schaden.“   Sasuke schmunzelte. Natürlich wusste er genau, worauf ich hinaus wollte.   „Ist das so?“   Energisch nickte ich.   „Tja, dann tut es mir Leid“, Sasuke seufzte gespielt und erhob sich in einer einzigen fließenden Bewegung aus seinem Drehstuhl. „Leider hab ich in zwanzig Minuten einen Termin außer Haus. Vielleicht solltest du in der Zwischenzeit ein bisschen üben, wie man die wichtigen Wörter von den unwichtigen unterscheidet. Dann muss ich das nächste Mal nicht auf fiktive Sätze zurückgreifen.“   Augenblicklich kochte die Wut wieder in mir hoch. Gerade war er wieder das arrogante Arschloch, das ich zu Beginn meiner Zeit bei Konoha Kiku kennen und hassen gelernt hatte und im Moment wollte ich ihm sogar lieber an die Gurgel als an die Wäsche.   „Fick dich“, knurrte ich.   Er hatte bereits die Hand an die Türklinke gelegt und drehte sich nochmal um.   „Fast“, sagte er süffisant lächelnd. „Das entscheidende Wort in dem Satz war ficken.“  Kapitel 2: Der Anfang vom Ende ------------------------------   Der Anfang vom Ende   Es war leicht. Fast schon zu leicht. Diese Menschen klebten an seinen Lippen, als würde er ihnen gerade die zehn Gebote offenbaren und dabei waren sie vermutlich noch nicht einmal gläubig. Besonders die beiden Frauen in der Runde konnten kaum ihre Blicke von ihm lassen und schmolzen beim Klang seiner samtigen Stimme dahin.   Sasuke wusste, wie er seine Stimme einzusetzen hatte. Sie war sein Kapital. Sie war sein Türöffner. Sie half ihm dabei, Illusionen zu vermitteln, die die Menschen um ihn herum dann glaubten. In diesem Moment zum Beispiel die Illusion, dass er ein geselliger und freundlicher Kerl war, der sich nichts Großartigeres vorstellen konnte, als bei Konoha Kiku zu arbeiten und das, obwohl er hervorragende Referenzen vorzuweisen hatte, die ihn vermutlich in jeden Sender des Landes gebracht hätten. Doch er war hier. Und das hatte seine Gründe.   „Vielen Dank nochmal für dein Kommen, Sasuke. Wir begrüßen deine Bewerbung bei Konoha Kiku sehr, musst du wissen“, betonte Tsunade zum wiederholten Male und erhob sich aus ihrem Chefsessel.   Das bedeutete dann wohl, dass das Gespräch an dieser Stelle beendet war. Sasuke war das nur recht. Er hasste sinnloses Geplänkel und Smalltalk, weil es ihn nur unnötig Zeit kostete. Zeit, die er auch mit etwas Sinnvollerem verbringen konnte.   „Vielen Dank für die Einladung zu diesem Gespräch“, bedankte er sich dennoch höflich.   Auch er erhob sich aus seinem Stuhl und strich beim Aufstehen sein schwarzes Hemd glatt. Sakuras Blicke folgten jeder seiner Bewegungen und er war sich dessen nur zu bewusst. Sie war das schwächste Glied in diesem Dreiergespann und sie war diejenige, die er schon jetzt gänzlich von sich überzeugt hatte. Zweifellos war auch sie hochprofessionell, was ihren Beruf betraf, doch sie ließ sich viel zu leicht von Oberflächlichkeiten blenden, was er in diesem Fall zu seinem Vorteil nutzen konnte. Mit Sicherheit hatte auch ihre Meinung bei der Entscheidung ein beträchtliches Gewicht.   „Wir melden uns Anfang nächster Woche bei dir“, erklärte Kakashi. Im Gegensatz zu den beiden Frauen wirkte er deutlich reservierter. „Falls du einer der ausgewählten Kandidaten bist, beginnt anschließend für dich die zweiwöchige Probezeit. Du solltest dir also erst mal nichts anderes vornehmen.“   Sasuke nickte. Das hatte er auch nicht vorgehabt. Genau genommen hatte er sich sogar schon eine Wohnung in Konoha gemietet, da er davon ausging, dass er die Stelle sowieso bekommen würde. Er war immerhin einer der beiden besten Absolventen, die die Stimmakademie je gehabt hatte. Neben seinem Bruder.   Beim Gedanken an Itachi spannte er unwillkürlich den Kiefer an. Seinetwegen war er überhaupt hier. Seinetwegen machte er bei diesem lächerlichen Amateurwettbewerb mit, obwohl er durch und durch ein Profi war. Er wollte es ihm beweisen. Beweisen, dass er auch ohne seinen Namen und die Unterstützung seiner Familie etwas erreichen konnte.   „Sakura wird dich nach draußen begleiten“, verkündete Tsunade und reichte ihm zum Abschied die Hand.   Sie hatte einen festen Griff, genau wie Kakashi. Vermutlich würde er mit ihr als Chefin ganz gut leben können und es war ja nicht so, dass er nicht anpassungsfähig wäre. Außerdem wäre es ja nicht für immer, denn bleiben würde er hier mit Sicherheit nicht. Dafür war das Gehalt zu schlecht und der Anspruch zu niedrig. Es gab einfach nichts, was ihn hier längerfristig halten könnte, aber möglicherweise stellte sich der Sender als nützliches Sprungbrett heraus. Die Leute würden endlich ihn sehen. Seine Leistungen. Seine Fähigkeiten. Nicht nur seinen Namen oder seine Noten. Itachi war wie er ein Uchiha. Itachi hatte wie er stets Bestnoten erhalten. Und er wollte mehr sein, als eine zweite Version von Itachi.   Hinter Kakashi und Sakura verließ er das Büro und sah sich nochmal in der Redaktion um. Der Raum war relativ groß und überall standen Schreibtische, an denen Leute arbeiteten. Durch die Glasscheibe erkannte er Kiba Inuzuka, der gerade moderierte und dabei vollkommen auf den Bildschirm vor sich konzentriert war. Wenn Sasuke so darüber nachdachte, konnte er es wahrscheinlich locker mit ihm aufnehmen, aber Kiba war ja auch nur der Moderator der Mittagssendung. Dass man ihm den Job an Sakuras Seite nicht angeboten hatte, verstand sich von selbst. Viel zu chaotisch. Viel zu unseriös. Das hatte selbst er bemerkt und er kannte Kiba nicht mal persönlich, sondern nur durch seine Recherchen im Vorfeld des Bewerbungsgesprächs.   Seine Aufmerksamkeit wurde von Kiba losgerissen, als Sakura ihn zögerlich am Arm berührte. Sie versuchte, die Berührung zufällig wirken zu lassen, doch er wusste, dass sie es absichtlich getan hatte. Gleichzeitig drosselte sie ihr Tempo und sorgte so dafür, dass Kakashi schon mal im Eingangsbereich verschwand, während sie noch im Flur stehen blieben. Offenbar wollte sie noch irgendetwas mit ihm alleine besprechen und ihm sollte das nur recht sein. Sie würde sich vermutlich noch als äußerst nützlich erweisen.   Draußen ertönten Stimmen.   „Naruto Uzumaki? Hey, hey ganz ruhig.“ Man konnte Kakashi im Eingangsbereich lachen hören. „Du musst dich noch einen kurzen Moment gedulden. Der Pfad des Lebens hat noch einen Zwischenstopp für mich vorgesehen. Wir sehen uns dann gleich.“   Anscheinend war der nächste Bewerber bereits eingetroffen. Das bedeutete, dass Sakura nicht mehr viel Zeit blieb, um ihm zu sagen, was sie sagen wollte. Gespannt sah er sie an und hob leicht die Augenbrauen, um ihr zu signalisieren, dass sie sprechen sollte.   „Hör mal, Sasuke“, begann sie zaghaft und ihre Stimme klang dabei so dünn, dass man sich kaum vorstellen konnte, dass sie tatsächlich als Moderatorin arbeitete. „Ich würde mich wirklich freuen, wenn du die Stelle bekommen würdest. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns gut verstehen würden und auch sehr gut zusammen passen… also auf beruflicher Ebene, meine ich natürlich.“   Ein schüchternes Lächeln glitt über ihre Züge und Sasuke unterdrückte ein genervtes Augenrollen. Es war unglaublich, wie leicht sie sich tatsächlich von ihm blenden ließ und allmählich begann ihn ihre Oberflächlichkeit richtig anzukotzen. Wie konnte sie sich nur einbilden, ihn auch nur ansatzweise zu kennen? Wie konnte sie glauben, sie würden gut zusammenpassen, nachdem sie gerade einmal ein paar wenige Sätze miteinander gesprochen hatten? Sie wusste nichts über ihn. Nichts darüber, wer er war. Und nichts darüber, wer er sein würde, wenn er erst mal seine Ziele verwirklich hatte. Er nannte es bewusst Ziele, denn Träume waren etwas, von dem man sich nicht sicher sein konnte, dass man es tatsächlich schaffte. Und Sasuke war sich sicher, dass er es schaffen würde.   „Es wäre schön herauszufinden, ob du Recht hast“, antwortete er mit einem falschen Lächeln auf den Lippen. „Wie ist es denn so, hier zu arbeiten?“   Es war immer gut, Interesse vorzuheucheln. Indem er die Frage so formulierte, täuschte er vor, sowohl am Sender, als auch an ihrem persönlichen Eindruck interessiert zu sein. Gleichzeitig würde es eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen schaffen, wenn Sakura ihm von ihren eigenen Erfahrungen berichtete.   „Es ist toll“, antwortete sie mit einem wachen Leuchten in den Augen und zum ersten Mal  sah er in ihr etwas von der Moderatorin, die sie tatsächlich war.   Die Unsicherheit war für einen Moment aus ihrer Körperhaltung verschwunden und stattdessen strahlte sie nun fast schon so etwas wie Ehrgeiz und Zielstrebigkeit aus. Vielleicht hatte er sie unterschätzt. Vielleicht war sie aber auch genau das oberflächliche Mädchen, für das er sie von Anfang an hielt. Immerhin war das hier immer noch ein Charthitradio.   „Die Leute hier sind echt cool“, fuhr sie überzeugt fort. „Klar, das frühe Aufstehen kann schon mal ziemlich nervig sein, aber dafür ist Akatsuki die Sendung mit den meisten Hörern in ganz Konoha.“   Dieser Fakt war nichts Neues für Sasuke. Auch, wenn er mit der Musik nichts anfangen konnte und auch, wenn die Themen, mit denen sich der Sender beschäftigte, nahezu  lächerlich irrelevant waren, konnte man Akatsuki einen gewissen Erfolg nicht absprechen. Offenbar gab es genug Menschen, die genau das wollten. Und das war wiederum eine Möglichkeit für ihn, die Menschen dazu zu bringen, dass sie genau ihn wollten. Es war eine Möglichkeit, sich den Erfolg selbst zu erarbeiten. Unabhängig von seinem familiären Hintergrund und ohne, dass sein Onkel Madara wieder einmal dazwischenfunkte, so wie er es sonst nur allzu gerne tat.     „Es ist sicher auch ein Vorteil, dass das Einkaufscenter direkt unter dem Sender ist?“, erkundigte sich Sasuke gespielt interessiert, um das Gespräch weiter am Laufen zu halten.   Smalltalk war nicht unbedingt seine Lieblingsbeschäftigung, aber es bedeutete nicht, dass er ihn nicht beherrschte. Manchmal musste man auch bittere Mittel schlucken, um an sein Ziel zu kommen und Sasuke hatte in seinem Leben schon das eine oder andere hinuntergewürgt, ohne jemals mit der Wimper zu zucken. Sie betraten den Eingangsbereich und Sakura lehnte sich mit der Hüfte leicht gegen den Türrahmen, so als hätte sie Angst, dass er jeden Moment verschwinden würde und wollte ihm indirekt den Weg versperren. Ein gelöstes Lachen glitt über ihre Lippen, während sie ihn offen ansah. An sich könnte sie sogar recht hübsch sein, doch sein Interesse galt nun mal in erster Linie Männern, was er ihr jedoch keinesfalls auf die Nase binden würde. Immerhin konnte sie sich noch als Trumpf herausstellen.   Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung war und löste seine Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment von Sakura. Auf denselben unbequemen Plastikstühlen, auf denen auch er noch vor einigen Minuten gewartet hatte, saß ein blonder Kerl, der ihn mit seinen Blicken Zentimeter für Zentimeter erdolchte. Seine Augen waren leicht verengt und sprühten wütende Funken, während er ihn von oben bis unten musterte. Sasuke kannte diese Art von Blicken nur allzu gut. Eifersucht.   „So Naruto, dann komm mal mit.“   Kakashi stand direkt hinter dem Kerl und legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn anschließend in unsere Richtung zu bugsieren. Also handelte es sich wohl um den nächsten Bewerber. Mit einer Spur mehr Interesse musterte nun auch Sasuke den jungen Mann, den Kakashi mit Naruto angesprochen hatte, und stellte dann befriedigt fest, dass er sich keine Sorgen machen musste. Er sah nicht danach aus, als würde er irgendetwas auf die Reihe bekommen. Wahrscheinlich war es sein erstes Bewerbungsgespräch bei einem Radiosender und wahrscheinlich konnte er auch keinerlei Qualifikationen vorweisen.   Obwohl Naruto ihn gerade noch mit einer lodernden Überzeugung niedergestarrt hatte, sah man ihm nun allzu deutlich an, wie nervös er war. Die Hände fest ineinander gekrallt, die Oberschenkel so angespannt, dass man es selbst durch die schlabbrigen Jeans noch erkennen konnte.  Sein Blick huschte immer wieder unsicher in Sakuras Richtung, die er förmlich anzuhimmeln schien. Alles in allem war er also absolut keine Konkurrenz. Trotzdem hatte er irgendetwas an sich, was Sasukes Aufmerksamkeit erregte.   Vielleicht war es dieser unverhohlene Hass, mit dem er ihn anstarrte. Sasuke war es gewohnt, dass ihm die Leute Honig ums Maul schmierten, weil sie ihm um jeden Preis gefallen wollten. Sie klebten an ihm und umschwirrten ihn wie ein Schwarm Fruchtfliegen eine überreife Wassermelone, ohne zu merken, dass er keinerlei Interesse zeigte. Diese Wut war auf eine gewisse Art und Weise fast schon erfrischend und sie war ihm um ein vielfaches lieber als das Geschleime, dem er sich sonst immer ausgesetzt sah.   „Sakura? Bist du soweit?“, fragte Kakashi mit einem leicht mahnenden Tonfall.   Dem Redaktionschef war nicht entgangen, dass sie sich noch keinen Zentimeter von der Stelle gerührt hatte und offenbar viel lieber ihr Gespräch mit ihm weiterführen wollte. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte Enttäuschung in ihren Augen auf, als Sasuke sich elegant an ihr vorbei in den Eingangsbereich schlängelte und er spürte sofort wieder Narutos Todesblick auf sich liegen. Der Kerl konnte sich einfach nicht entscheiden, ob er nervös sein sollte, wegen dem bevorstehenden Bewerbungsgespräch oder wütend, weil er gegen ihn sowieso keine Chance haben würde. Sasuke sah ihn zum ersten Mal direkt an und konnte nicht verhindern, dass ein amüsiertes Lächeln über seine Züge glitt. Eigentlich war es fast schade, dass sie sich hier zum letzten Mal begegneten.   „Viel Erfolg.“   Es war eine Floskel. Egal, wer am Ende sein Konkurrent werden würde, Naruto war es mit Sicherheit nicht. Denn wenn der Sender auch nur halbwegs ernsthaft auf der Suche nach einem würdigen Nachfolger für Obito war, dann würden sie sich für einen erfahreneren Bewerber entscheiden. Jemanden, der in der Lage war, die Lücke zu füllen, die Obito hinterlassen hatte, als er von seinem Onkel Madara abgeworben worden war. Doch er wollte Naruto eine Reaktion entlocken und als dieser wütend die Hände zur Faust ballte, wusste er, dass er sein Ziel erreicht hatte. Er unterdrückte ein weiteres Grinsen und wandte sich ein letztes Mal an Sakura.   „Wir sehen uns.“   Lässig hob er die Hand zum Gruß. Eine Geste, die mehr dem Zweck diente, Naruto nochmal eins reinzuwürgen, als sich tatsächlich von ihr zu verabschieden. Dann griff er nach seiner Jacke, die über dem Garderobenständer neben den Toiletten hing, und trat durch die Eingangstür. Ein angenehmes Gefühl breitete sich in ihm aus und erfüllte jeden seiner Schritte mit Leichtigkeit. Es fühlte sich gut an, etwas erreicht zu haben und er konnte endlich damit aufhören, gespielt freundlich zu sein. Das Gespräch war hervorragend gelaufen und er war sich schon jetzt sicher, dass er zumindest Sakura und Tsunade überzeugt hatte. Das kleine Geplänkel mit diesem Naruto hatte ihm wahrscheinlich mehr Spaß gemacht, als es sollte und er war seinem Ziel noch nie näher gewesen, als in diesem Moment.   Sasuke ging den kurzen Flur entlang und dann hinaus auf das Parkdeck, wo er von einem kühlen Windstoß empfangen wurde. Und von Itachi.   „Wie ist es gelaufen?“   Augenblicklich war das Hochgefühl verschwunden. Von der Überlegenheit, die ihn durchströhmt hatte, blieb nur noch ein fahles Echo, das sich an der Silhouette seines großen Bruders brach und dickflüssig wie saure Milch zu Boden tropfte. Er hasste dieses Gefühl. Er hasste es, dass Itachi ihm durch seine bloße Anwesenheit vor Augen führte, was er alles noch nicht erreicht hatte. Und am allermeisten hasste er das geheuchelte Interesse seines Bruders.   „Was willst du hier?“, fauchte er abweisend.   Itachi ließ sich von seinem angriffslustigen Tonfall nicht aus der Ruhe bringen. Es war schon immer so gewesen. Egal, wie sehr Sasuke versuchte, ihn vor den Kopf zu stoßen, er blieb immer höflich und beherrscht und genau das war es, was ihn letztendlich am meisten zur Weißglut trieb. Auch jetzt lächelte Itachi ihn nur milde an und öffnete die Tür zu seinem Wagen. Sorgte dafür, dass Sasuke sich vorkam wie ein kleines trotziges Kind.   „Soweit ich weiß, ist dein Auto momentan in der Werkstatt, deswegen dachte ich mir, dass ich dich abhole. Und jetzt steig‘ ein, ich fahr dich nach Hause.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)