di|let|tie|ren von -Zerschmetterling- ================================================================================ Prolog: Wo ein Genie auftaucht, verbrüdern sich die Dummköpfe.  (Jonathan Swift) -------------------------------------------------------------------------------- Sasuke hasste dumme Menschen. Das einzige, was er noch mehr hasste, waren faule Menschen, da die theoretisch sogar noch das Potential gehabt hätten, etwas aus sich zu machen. Wenn er sich aber gerade die Klausuren auf seinem Schreibtisch anschaute, hatte er größtenteils eine Kombination aus beidem vor sich liegen. Nichts, was seine kostbare Zeit tatsächlich wert gewesen wäre, aber er hatte die Professur an der Senju-Universität nun mal angetreten und Lehren gehörte bedauerlicherweise genauso zu seinem Beruf wie das Forschen. Der Stift glitt in einem schwungvollen Bogen über das erste Blatt. 3,0. Das hier würde seine Referenzarbeit werden. Nicht weil sie besonders durchschnittlich war, sondern einfach nur aus dem Grund, dass sie ganz zufällig oben drauf gelegen hatte. Er hatte sich noch nicht einen einzigen Satz durchgelesen, aber wenn man mal ehrlich war, konnte er sich das auch sparen.  In seiner Zeit als Doktorand hatte er den Fehler gemacht, sich ein kompliziertes und angemessenes Bewertungssystem auszudenken. Er hatte Stunden damit verbracht, sich die mehr oder weniger intelligenten Ergüsse seiner Studenten durchzulesen – meistens eher letzteres – und sie anhand verschiedener Kriterien zu beurteilen. Am Ende hatte sich dieses Prozedere als pure Verschwendung von Ressourcen herausgestellt, denn nach der Notenvergabe hatte es trotzdem Protestmails gehagelt. Bei der Klausureinsicht musste er sich in nervige Diskussionen verwickeln lassen, denen es an jeder Grundlage mangelte und letztendlich gab es sinnvollere Dinge, mit denen er seine Zeit füllen konnte.  Sein neues System war einfacher. Funktional. Manch einer würde vielleicht sagen ungerecht, aber die Welt war nun mal nicht fair. Die Arbeit, die ganz oben auf dem Stapel lag bekam eine 3,0, alles was schlechter war eine 3,3 bis 5,0, alles was darüber lag maximal eine 1,7. Bessere Noten verteilte er aus Prinzip nicht, weil dafür die Fragen zu einfach gewesen waren. Hätte er jedoch schwierigere Fragen gestellt, wären wahrscheinlich drei Viertel seines Kurses durchgefallen und er hatte dann doch keine Lust, sich vor dem Dekanat für die schlechten Ergebnisse rechtfertigen zu müssen.  Seine Augen huschten über das Papier. Er überflog die Sätze eher, als dass er sie las und wenn er doch mal irgendwo hängenblieb, dann meistens bei einer ganz besonders dummen Aussage. Dort ließ er es sich dann auch nicht nehmen einen bissigen Kommentar zu hinterlassen. Positive Aspekte vermerkte er grundsätzlich nicht, denn die waren nur Futter für die anschließenden Diskussionen bei der Klausureinsicht.  So verstrich die Zeit und als Sasuke schließlich aufsah, stellte er fest, dass er tatsächlich mehrere Stunden mit der Korrektur verbracht hatte. Einen Moment lang überlegte er, ob er einfach nach Hause fahren und die Ergebnisse erst am nächsten Tag verbuchen sollte. Es war verlockend, die Studenten einfach mal Studenten sein zu lassen, doch er war ein Mensch, der Sachen gerne erledigt wusste. Angelegenheiten aufzuschieben war einfach nicht sein Ding, vor allem wenn er sie genauso gut auch gleich erledigen konnte. Mit ein paar Klicks loggte er sich in seinen Dozenten-Account ein und öffnete die Maske zur Eingabe der Noten.  Die Arbeit war stupide. Vielleicht sollte er sich demnächst wirklich mal einen Hiwi zulegen. Das Problem war nur, jemanden zu finden, den er für ausreichend kompetent hielt. Sein Kollege Professor Dr. Nara ließ seine Aufgaben fast komplett von studentischen Hilfskräften ausführen, weil er sich so mehr auf seine Forschung konzentrieren konnte. Das behauptete er zumindest. In Wirklichkeit war er einfach nur faul. Klausur für Klausur übertrug Sasuke Namen, Matrikelnummer und Note des jeweiligen Studenten. In genau dieser Reihenfolge. Bis er plötzlich bei einer Arbeit hängen blieb und ungläubig die Augenbrauen nach oben zog. In der oberen Kopfzeile stand tatsächlich: NAME-VORNAME-Matrikelnummer. Wörtlich.  Sasuke hatte es wirklich idiotensicher machen wollen. Deswegen hatte er die Vorgabe so genau formuliert. Zuerst sollten Name und Vorname eingetragen werden, jeweils getrennt durch einen Bindestrich, dann die Matrikelnummer. Daran war eigentlich nichts falsch zu verstehen. Aber offensichtlich gab es unter seinen Studenten einen Idioten, der sich jenseits aller Maße von halbwegs intelligent und vollkommen minderbemittelt befand. Wie konnte ein Mensch nur so einen dämlichen Fehler machen? Es überraschte ihn nicht, dass auf dem vordersten Blatt groß und dick eine 5,0 prangte. Wäre die Person nicht sowieso schon durchgefallen, hätte Sasuke es im Nachhinein geändert. Dennoch musste er zugeben, dass die Person ihn neugierig gemacht hatte. Er zog die Liste mit den Namen der Studenten heran, die sich für die Prüfung angemeldet hatten, und fing an sie mit denen auf den Klausuren zu vergleichen. Nur einer blieb übrig, den er nicht zuordnen konnte. Naruto Uzumaki. Er sagte ihm nichts. Überhaupt nichts. Aber er nahm sich vor, dem Kerl in der nächsten Vorlesung mal ordentlich auf den Zahn zu fühlen.  Theoretisch bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass dieser Uzumaki einfach nur einen auf blöd machte, zum Beispiel weil er vergessen hatte, sich rechtzeitig von der Prüfung abzumelden und hoffte, dass sie so nicht gezählt werden würde. Nachdenklich trug Sasuke die letzten Prüfungsergebnisse ein und schickte dann eine Rundmail an seine Studenten. Ja, es war Freitagabend. Und ja, er versaute den meisten damit wahrscheinlich das Wochenende. Aber es war ihm egal. Es hatte auch niemand seinen Kumpel Suigetsu davon abgehalten, ihm sein Wochenende zu versauen, indem er sich einfach aufgedrängt hatte, also musste er jetzt auch keine Rücksicht nehmen. In einer routinierten Bewegung griff er nach seinem Mantel und schlüpfte hinein. Dann warf er nochmal einen letzten Blick auf seinen Schreibtisch, um sich zu vergewissern, dass alles genauso ordentlich aussah, wie er es am Montag vorfinden wollte, bevor er sich endlich auf den Weg nach Hause in seinen wohlverdienten Feierabend machte.  Es dauerte nicht lange bis die erste Mail kam. Direkt am Samstagvormittag um 10.23 Uhr hatte die erste Studentin ihm geschrieben, dass sie nicht glauben konnte, dass sie tatsächlich durchgefallen war und nach einer Möglichkeit zur Klausureinsicht gefragt. Nur zehn Minuten später kam die nächste. Und dann ging es immer so weiter. Mal mehr und mal weniger freundlich, aber immer mit einer gewissen Unzufriedenheit und der Hoffnung, dass sich an der Note doch noch etwas ändern würde. Würde es natürlich nicht. Aber pro forma musste Sasuke den Studenten zumindest einen Termin zur Einsicht anbieten.  Der einzige, der sich nicht meldete, war Naruto Uzumaki. Scheinbar hatte er nicht mitbekommen, dass die Noten bereits raus waren und dass sein Ergebnis noch fehlte oder aber es war ihm schlichtweg egal. Erst nachdem die Noten das Thema in der Vorlesung am Mittwoch gewesen waren, schien er endlich zu schalten. Sasuke lag bereits im Bett, als sein Handy noch einmal kurz vibrierte und ihm den Eingang einer neuen Mail anzeigte. Genervt, weil er vergessen hatte es auszuschalten, legte er sein Buch beiseite. Mit einer ungeduldigen Wischbewegung entsperrte er das Display und öffnete den Text. Sehr geehrter Professor Uchiha, Sie haben ja die Noten für die Klausur schon letzten Freitag verbucht und irgendwie habe ich kein Ergebnis bekommen. Könnte es sein, dass Ihnen eventuell ein Fehler unterlaufen ist? Ich habe die Klausur nämlich auch mitgeschrieben und hatte eigentlich ein ganz gutes Gefühl. Liebe Grüße Naruto Uzumaki Sasuke schnaubte. Sein Eindruck von dem Kerl wurde immer schlechter. Zunächst einmal lautete sein vollständiger Titel Professor Dr. Uchiha. Er hatte nicht umsonst zuerst promoviert und anschließend habilitiert. In seiner Familie war es üblich, dass man einen Doktortitel besaß und nachdem er sich die Arbeit schon gemacht hatte, erwartete er auch, dass das von seinen Studenten angemessen gewürdigt wurde. Er sprach den Idioten ja auch nicht einfach mit seinem Vornamen an.  Noch schlimmer war allerdings die Tatsache, dass der Junge tatsächlich glaubte, Sasuke sei ein Fehler unterlaufen. Würde er Fehler machen, wäre er in seinen jungen Jahren nicht so weit gekommen und würde wohl kaum mit gerade einmal siebenundzwanzig Jahren einen eigenen Lehrstuhl an der Senju-Universität leiten. Umgekehrt hatte Naruto allerdings sehr viele Fehler gemacht. Sein so genanntes „gutes Gefühl“ konnte nur von einer ausgeprägten Wahrnehmungsstörung herrühren und Sasuke fragte sich, wie zum Teufel er es bis ins fünfte Semester geschafft hatte.  Er hatte bereits auf den Antwort-Button gedrückt, um dem Idioten zu schreiben, dass seine Klausur als durchgefallen gewertet wurde, weil er vergessen hatte, seinen Namen einzutragen, als er es sich doch nochmal anders überlegte. Es juckte ihm in den Fingern, es dem Kerl persönlich ins Gesicht zu sagen. Einfach nur, damit er den geschockten Ausdruck in seiner Miene sehen konnte. Es wäre nicht wirklich eine Entschädigung dafür, dass er sich Uzumakis Mist hatte durchlesen müssen und schon gar nicht für die Mail, die er ihm geschrieben hatte. Aber es wäre zumindest ein Anfang.  Sehr geehrter Herr Uzumaki, bezüglich Ihrer Anfrage kann ich Ihnen mitteilen, dass mir kein Fehler unterlaufen ist. Wenn Sie dennoch an einer Verbuchung des Ergebnisses interessiert sind, machen Sie bitte einen Termin für meine Sprechstunde aus. Die Sprechzeiten finden Sie auf der Webseite des Instituts.  Mit freundlichen Grüßen Professor Dr. Sasuke Uchiha Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)