bewusst sein von -Zerschmetterling- ================================================================================ Kapitel 1: Bewusstsein ---------------------- Sein Bewusstsein zerrte an ihm. Nagend und unbarmherzig. Er spürte es, ohne wirklich gezielt Aufmerksamkeit darauf zu lenken, driftete langsam und unaufhaltsam immer näher an die Oberfläche. Wenn er sie durchbrach, würde es kein Zurück mehr geben, das wusste er. Dann würden all die Gedanken, all die Erinnerungen erneut auf ihn einprasseln, würden ihn lähmen und ihm den Atem nehmen. Die wenigen Stunden, in denen er schlief, waren alles, was er noch hatte. Sie waren der Moment in dem er verschnaufen konnte. Wenn er schlief, wachte er aus dem Albtraum auf, zu dem sein Leben geworden war. Geräusche drangen an seine Ohren. Er spürte den rauen Fels in seinem Rücken und an seinen Handflächen. Sinneseindrücke. Das alles waren Zeichen dafür, dass er sich nicht mehr lange wehren konnte und schon bald würde ihn die Realität aus dem illusionären Frieden reißen, den er sich geschaffen hatte. Ein letztes Mal versuchte er die Gedanken an den Rand seiner Wahrnehmung zurückzudrängen und machte sich mental so schwer wie einen Felsbrocken. Er wollte sinken. Er wollte versinken. Hinein in den konturlosen Traum und weg aus diesem Albtraum, der so furchtbar präzise, detailliert und trennscharf war. Ein lautes Donnergrollen ertönte und zerstörte mit einem Schlag all seine Bemühungen. Das Prasseln des Regens war viel zu weit weg und doch klang es wie Pistolenschüsse in seinen Ohren. Er war wach. Und auch wenn es einige Sekunden dauerte, bis sein Geist vollständig da war, spürte er bereits, wie die Beklemmung Stück für Stück seinen Körper hinaufkroch, ihn zerdrückte, ohne dabei einen konkreten Angriffspunkt zu haben und es ihm schwer machte zu atmen. Sie infiltrierte sein Blut und durchdrang seine Knochen, doch das schlimmste war, dass sie jeden einzelnen seiner Gedanken beherrschte. Panisch holte er Luft, hatte das Gefühl an der Schuld zu ersticken. Paradoxerweise hatte er geglaubt, eine Schuld zu begleichen, doch stattdessen hatte er sie nur auf sich geladen. Bis vor wenigen Wochen war Reue für ihn ein Fremdwort gewesen und er war stets seinen Weg gegangen, fest davon überzeugt das einzig Richtige zu tun. Niemand hätte ihn davon abbringen können. Niemand hatte ihn davon abgebracht. Doch letztendlich war es nicht sein Weg gewesen, das hatte er nun erkannt. Viel zu spät. Zu spät um umzukehren. Das Schlimmste daran war die Brutalität der Erkenntnis. Der Moment, der ihm gewaltsam endlich die Augen geöffnet hatte. Wie ein tückisches Gift, das einen dennoch nicht tötete, war das Bewusstsein langsam bei ihm eingesickert und hatte dann erbarmungslos zugeschlagen. Schon immer war er stolz auf seine Augen gewesen. Auf sie konnte er sich verlassen, sie verliehen ihm Macht und Stärke und sie erinnerten ihn stets an das, was er war und das, was sein Leben bestimmt hatte. Rache. Doch auch das war eine Illusion gewesen und seine Augen hatten ihn getäuscht. Die Stoffbahnen lagen nun schwer auf seinen Lidern und sorgten dafür, dass ihn tröstliche Dunkelheit umfing. Eine Dunkelheit, die es ihm jedoch nicht ermöglichte, das was er gesehen hatte, zu vergessen. Schon immer war er eifersüchtig auf Itachi gewesen. Obwohl sein Bruder ihn so oft von sich gewiesen hatte, hatte er niemals aufgegeben. Er wollte stärker werden, wollte ihn übertreffen. Vor allen Dingen aber wollte er seine Anerkennung. Itachi war die Mauer gewesen, die er niemals überwinden konnte, egal wie sehr er sich auch anstrengte. Und als er begonnen hatte ihn zu hassen, hatte er gleichzeitig begonnen sich noch mehr anzustrengen. Eigentlich hätte er schon von vornherein wissen müssen, dass er ihn niemals übertreffen würde. Es hätte ihm bewusst sein müssen. Doch Itachi hatte eine Illusion für ihn erschaffen, hatte ihn glauben gemacht, dass es ihm gelungen war. Dafür hatte er noch nicht einmal Genjutsu gebraucht. Sasukes Augen hätten es durchschaut, aber er hatte ihn auf eine andere Art und Weise getäuscht, so wie es nur ein Bruder vermochte. Die Schuld überwältigte ihn. Wieder und wieder. Rang ihn zu Boden, so lange bis er sich hilflos der dumpfen Leere ergab, die die Erkenntnis und der Schmerz für ihn bereithielten. Und dann kam der Hass. Tiefer bodenloser Hass, der ihn verschlang und ruhelos in seiner Brust loderte, immer dann, wenn er glaubte, die Schuld nicht mehr ertragen zu können und wenn er den Gedanken an Itachi nicht mehr aushielt. Es war eine ziellose Wut, die sich gegen alles und jeden richtete. Gegen das Dorf. Gegen die Ältesten. Gegen seinen eigenen Clan. Vor allem aber gegen die Bewohner, die ein friedliches Leben führen durften, nichtahnend, was sein Bruder für sie auf sich genommen hatte. Die Wut half ihm, zu vergessen. Sie gab ihm ein Ziel, das war schon immer so gewesen. Doch diesmal würde er sich nicht fehlleiten lassen. Diesmal würde er klar sehen. Zitternd atmete er aus. Ein widerlicher Geschmack kroch seine Kehle hinauf und er zwang sich ihn hinunterzuschlucken. Die Luft in dieser Höhle war feucht und klamm, genau wie der Boden auf dem er saß und legte sich schwer auf seine Haut. Von draußen strömte der leichte Geruch von Regen herein. Es fühlte sich so an, als wären all seine anderen Sinne geschärft, jetzt wo er sich nicht mehr auf seine Augen verlassen konnte. Er hätte sich niemals auf sie verlassen dürfen. Eben weil er sie für so unfehlbar gehalten hatte, hatten sie ihm etwas vorgemacht. Nun trug er die Augen seines Bruders und auch diese Augen würden ihn immer daran erinnern, was er war und was sein Leben bestimmt hatte. Eine Lüge. Früher war Itachi die Mauer gewesen, die er niemals überwinden konnte. Eine Mauer die sich hoch über ihm auftürmte und deren Ende er noch nicht einmal sehen konnte, wenn er den Kopf in den Nacken legte. Trotzdem hatte er immer wieder versucht, die verdammte Mauer zu erklimmen und als er das nicht geschafft hatte, wollte er sie mit aller Kraft niederreißen. Nie hatte er sich gefragt, ob es vielleicht noch andere Wege geben könnte und letztendlich war es ihm gelungen. Doch Itachi hatte unbeabsichtigt neue Mauern gebaut. Sie umgaben ihn von allen Seiten, engten ihn ein, ließen ihn nicht entkommen und quälten ihn ständig mit den gleichen rastlosen Gedanken. Er konnte nicht entkommen, diesmal nicht. Jahrelang war er in einer Illusion gefangen und hatte geglaubt, dass er allein war. Dass die Einsamkeit sein Schicksal war und dass Bindungen ihn schwach machen würden. Nie war ihm bewusst gewesen, dass es Menschen gab, die für ihn alles getan hätten. Menschen, die ihm mehr Halt gaben, als er jemals gedacht hatte. Nun war diese Illusion zur Realität geworden, die ihn wie ein lebendiger Albtraum gefangen hielt. Er war tatsächlich allein. Hatte diejenigen, denen er wichtig war von sich gestoßen und seinen eigenen Bruder getötet. Nachdem Itachi ihn bereits einmal gebrochen hatte, hatte er geglaubt sich davor schützen zu können, indem er keine Bindungen mehr zuließ. Dabei hatte diese Bindung stets weiterbestanden und war zudem ohne sein Wissen die Stärkste, die er besaß. Und sie hatte ihn wieder gebrochen. Zerbrochen. Die Erkenntnis brachte ihn um. Die Wahrheit brachte ihn um den Verstand. Es fühlte sich an als würde er fallen und alles woran er sich festhalten wollte, entglitt seinen Händen. Stattdessen war da nur Schuld. Schmerz. Reue. Er hatte es nicht mehr ertragen und war schließlich zu dem zurückgekehrt, was er kannte. Hass. Er war ihm vertraut, beinahe wie ein Freund aus alten Zeiten, auf den man sich stets verlassen konnte, an dem er sich festklammern konnte, auch wenn er nicht mehr so naiv war zu glauben, dass der Hass ihn schützen würde. Doch er würde ihm helfen sich selbst nicht zu verlieren, er würde den Schmerz in Kraft verwandeln und all seine Emotionen von sich selbst weg und hin zu anderen lenken. Er konnte es schaffen. In diesem Moment war er sich dessen sicher. Alles was er wollte, war wieder durchzuatmen. Vergessen. Und er kannte nur einen Weg, wie das funktionieren konnte. Den Weg, den er schon immer gegangen war. Nur, dass er sich diesmal bewusst dafür entscheiden würde. Seine langen schmalen Finger glitten langsam über die blasse Haut seines Gesichts und betasteten vorsichtig den Verband, der über seinen Augen lag. Der Stoff fühlte sich rau an, lag schon viel zu lange um seinen Kopf, doch nie hatte er sich bereit gefühlt für diesen Schritt. War immer lieber geflohen, als sich der Realität zu stellen, die ihm doch keinen Ausweg lassen würde. Keinen anderen Ausweg als Rache. Das Licht blendete und stach in seinen Augen. Seine Netzhaut brannte, doch es war ein willkommener Schmerz, der ihn von seinen inneren Qualen ablenkte. Das Gefühl wieder etwas sehen zu können war befremdlich und gleichzeitig vertrauter als alles andere in seinem Leben. Er blinzelte. Erkannte zunächst nur Konturen, dann auch allmählich Texturen. Der Ort sah noch genauso trostlos aus, wie er ihn in Erinnerung hatte. Ein wenig zittrig erhob er sich vom Boden der Höhle. Obwohl er sich kaum bewegt hatte, hatte ihn die Zeit hier enorm viel Kraft gekostet und er musste sich erst wieder daran gewöhnen zu stehen. Sein Albtraum hatte beständig an ihm gezehrt, seine Energie aufgebraucht und ihm nur kurze Verschnaufpausen zugestanden. Doch so wie er ihn schwach gemacht hatte, hatte er ihn auch stark gemacht. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchte das Bild von Naruto vor seinem inneren Auge auf, rüttelte ein letztes Mal an seiner Entschlossenheit. Eine unbekannte Sehnsucht nagte an seinem Bewusstsein, dicht unterhalb der Oberfläche, dort wo auch all die anderen Emotionen schlummerten, die er mit wichtigen Menschen verband. Doch noch bevor sie sich materialisieren konnte, kämpfte er sie hinunter und ließ stattdessen seinen Hass auflodern. Er war nun endlich stark genug, um den Weg auch zu Ende zu gehen. Erneut würde er die Mauern nicht überwinden, er würde sie einreißen. Und sein Hass würde ihn blind machen für alles, was dahinter lag, würde sich wie eine Rüstung um ihn schließen und alles an ihm abprallen lassen. Den Albtraum. Die Schuld. Das Alleinsein. Die Vergangenheit. Die Realität. Für einen Außenstehenden mochte es so wirken, als würde er sich erneut in eine Illusion begeben. Doch das war nicht so. Denn dieses Mal würde er sich über den Weg, den er wählte, bewusst sein. 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