Deepest Dark von Flordelis (Miracle II) ================================================================================ Prolog: Prolog – Endlich habe ich einen Jäger gefangen. ------------------------------------------------------- „Das ist jetzt das vierte Mal“, brummte er. Die dunkle Gasse, in der er sich gerade befand, war ihm inzwischen vertraut, wenngleich das sicher nie sein Wunsch gewesen war. Aber wenn sein Lehrmeister ihn herschickte, dann hatte er auch zu gehorchen, egal wie sehr es ihm widerstrebte. Er mochte Cherrygrove an und für sich, aber nicht die Orte, an denen sich dort Dämonen aufhielten. In Lanchest waren sie quasi überall, statt sich einfach in finsteren Gassen zu verstecken, man konnte immer auf sie treffen – hier in Cherrygrove schien es ihm, als hätten sie Angst vor irgendetwas und versuchten deswegen, sich zu verstecken und gleichzeitig dennoch ein Opfer zu finden. Natürlich wusste er, dass es hier einen Jäger gab, einen sehr guten sogar, angeblich, aber es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, dass dieser so viel mehr Eindruck schinden könnte, als er selbst oder seine Partnerin. Ein sanftes Lächeln erhellte sein Gesicht, als er an sie dachte, dann holte er sein Handy hervor, um ihr zumindest eine kurze Nachricht zu schreiben, wenn er schon gerade nicht bei ihr sein konnte. Vielleicht war ihr Rundgang auch wesentlich aufregender als seiner und sie wäre in der Lage, ihn mit einer Erzählung dazu aufzumuntern. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihm selbst mitten während eines Kampfes problemlos antworten könnte. Als er das Handy aufklappte, begrüßte ihn der vollkommen normale Bildschirm, weswegen er nicht glaubte, in irgendeiner, wie auch immer gearteten, Gefahr zu schweben, und einfach stehenblieb. Er navigierte sich durch das Menü, um eine Nachricht schreiben zu können: So langweilig. Ich wünschte, es könnte endlich was geschehen. =_=;; Was ist bei dir so los? Doch kaum hatte er das Fragezeichen gesetzt, bereit, die Nachricht abzuschicken, war er überzeugt, dass jemand – oder etwas – hinter ihm stand. Er spürte einen stechenden Blick in seinem Nacken, glaubte gar, das gierige Funkeln in den Augen seines Angreifers vor sich sehen zu können. Sein Handy reagierte immer noch nicht, weswegen er sich sagte, dass er sich das nur einbildete oder es zumindest lediglich ein Mensch war, aber das Gefühl war derart stark, dass es fast schon körperlich war. Es stand direkt neben ihm, wollte ihn an den Schultern packen, damit er sich umdrehte und er schaffte es einfach nicht, die Nachricht wegzuschicken. Sein Finger schwebte über dem Senden-Knopf, als würde er etwas Unheilvolles auslösen, sobald er auf ihn drückte. Doch schließlich schalt er sich selbst über sein Verhalten und drehte sich mit spöttisch hochgezogenen Mundwinkeln um, damit er sich selbst bestätigen könnte, dass alles in Ordnung war. Aber das Lächeln fror ihm direkt auf dem Gesicht ein, als er sich einem Spiegel gegenübersah, der zuvor nicht dort gewesen war. Normal war das jedenfalls nicht, auch nicht für einen Streich, deswegen versuchte er, im Spiegel Anzeichen zu finden, die darauf hinwiesen, dass es sich hierbei um etwas Dämonisches handelte. Seine grünen Augen und seine rechteckige Brille waren jedenfalls normal, sein grünes Haar saß perfekt, die Perlenkette, die darin angebracht war, ebenfalls. Sein Hemd und seine graue Jacke waren auch noch in Ordnung ... an seiner eigenen Gestalt fand er also absolut nichts Schlimmes oder Ungewöhnliches. Dann erst kam er auf den Gedanken, alles außerhalb von sich selbst im Spiegel zu betrachten und dabei fiel ihm überraschenderweise auf, dass außer ihm überhaupt nichts zu sehen war, keine Mülltonnen, keine Wände, gar nichts – und im selben Moment, in dem ihm das bewusst wurde, reagierte sein Handy endlich. Das Display leuchtete stärker als gewöhnlich und versprühte sogar magische, grüne Funken. Alarmiert fuhr er herum – und spürte einen heftigen Schlag gegen seine Seite, der ihn direkt gegen die Wand schleuderte. Seine Schulter knackte schmerzhaft, aber er konnte keine Rücksicht darauf nehmen. Stattdessen versuchte er, mit seinem Handy eine Verbindung zu errichten, um seine Waffe zu beschwören, doch ein weiterer Schlag folgte aus der Dunkelheit, worauf ihm das Telefon aus der Hand fiel, auf dem Boden landete und rasch aus seinem Blickfeld verschwand. Er fluchte leise und wollte sich zumindest von der Wand entfernen, erntete dafür aber einen weiteren Schlag, der ihm die Brille aus dem Gesicht wischte und einen schmerzhaften Kratzer auf seiner Wange hinterließ. Ein Knirschen verriet ihm, dass sein Gegner auf seine Brille getreten war. Durch seine verschwommene Sicht versuchte er, den anderen zu mustern, erkannte aber nicht viel mehr als ein orange-farbenes Glühen, das den Augen des Wesens entsprechen musste. Doch bevor er versuchen konnte, mehr zu erkennen, spürte er, wie eine Hand nach seiner Kehle griff. Sie übte keinerlei Druck aus, aber dennoch kam es ihm vor, als würde ihm die Luft wegbleiben, sämtliche Kraft verließ seinen Körper und eine Sekunde später wurde ihm bereits schwarz vor Augen. Ehe er endgültig das Bewusstsein verlor, hörte er noch eine zischende Stimme: „Endlich habe ich einen Jäger gefangen.“ Der Sinn der Worte erschloss sich ihm bereits nicht mehr, als er zu Boden sank und endgültig alles schwarz um ihn herum wurde. Kapitel I – Ist er tot? ----------------------- Kieran spürte Aydeens interessierten Blick auf sich, während er vor dem Regal stand und sich eines der Bücher aussuchte. Er versuchte, seine Aufmerksamkeit ganz auf die Bücher zu konzentrieren, aber als Aydeen sich durch ihr langes, schwarzes Haar fuhr, kam er nicht umhin, sich ihr für einen kurzen Moment ganz zuzuwenden. Als sie das bemerkte, lächelte sie ihn sanft an, was ihre grünen Augen zum Glitzern brachte. Eilig wandte er sich wieder ab, als sein Gesicht sich erhitzte und versuchte erneut, sich auf seine Auswahl zu konzentrieren. Dabei ließ er sein schwarzes Haar endlich wieder über sein linkes Auge fallen, statt es beiseite zu wischen, damit ihn ihr Anblick nicht mehr ablenken könnte. „Hast du nicht genug Bücher zu Hause, um eines für diese Aufgabe auszuwählen?“, fragte sie. „Eigentlich schon. Aber ich dachte mir, ich könnte auch einfach ein neues nehmen.“ Auch wenn er das eigentlich nur als Ausrede gegenüber seinem Vater benutzte, um sich ein neues Buch kaufen zu können. Und gleichzeitig bot ihm das die Gelegenheit, ein wenig Zeit mit Aydeen während ihrer Arbeit zu verbringen – wenn auch nicht allein. Richard trat zu ihm, zwei Bücher in den Händen, zwischen denen er immer wieder hin und her sah. Wie üblich war seinem leicht grimmigen Gesicht nicht anzumerken, was er dachte, die braunen Augen blickten ernster als sie eigentlich sollten, sein braunes Haar war ein wenig zerzaust, was inzwischen üblich für ihn war, wann immer er sich mit Kieran und Aydeen traf. „Kannst du dich nicht entscheiden?“, fragte sie sofort. „Nicht wirklich. Ich habe aber auch nicht viel Ahnung davon.“ Kieran kannte Richard, als seinen einstmals besten Freund, gut genug, um zu wissen, dass er nicht sonderlich gern las. Er interessierte sich sehr für Bücher, hörte sich auch jederzeit an, was andere, vornehmlich Kieran, darüber sagten, aber sie selber lesen? Das war nicht unbedingt seine Stärke. Daran störte sich Kieran allerdings nicht im Mindesten, auch das war einer der Punkte gewesen, wegen denen er sich in Richard verliebt hatte. Aydeen nahm ihm beide Bücher ab, um sie genauer zu betrachten, dann lächelte sie. „Ah, L.C. Walker. Du hast zumindest ein gutes Händchen für Autoren.“ Richards Gesicht verfinsterte sich kaum merklich, Kieran war sogar überzeugt, dass nur er es sehen konnte, aber er mischte sich lieber nicht ein, solange der andere sich noch nicht beklagte. Schließlich reichte Aydeen ihm nur eines der Bücher wieder. „Ich würde dir auf jeden Fall Die Nebelhexe empfehlen. Es besitzt Spannung, Action und sogar das Magiesystem wird erklärt.“ Der letzte Halbsatz sorgte dafür, dass Richards Gesicht sich wieder ein wenig entspannte. Kieran wusste, dass sein Freund es bevorzugte, wenn Dinge für ihn logisch nachvollziehbar waren – was ein Grund dafür war, weswegen er einen wichtigen Teil seines Lebens vor ihm verheimlichte, auch wenn er das eigentlich nicht tun sollte. Er hoffte nur, dass, falls es einmal herauskommen sollte, Richard ihm die Gelegenheit gäbe, es auch zu erklären. Dieser warf gerade einen um Rat suchenden Blick zu Kieran, der sofort darauf reagierte: „Ich hab's gelesen, es ist gut, nimm es ruhig.“ Also gab er sofort nach und bat Aydeen, das andere Buch wieder zurückzubringen, was sie mit einem Lächeln auch sofort tat. „Warum hast du es nicht selbst zurückgebracht?“, fragte Kieran halblaut. „Ich weiß nicht mehr, wo genau ich es herhabe.“ In Wahrheit war der Grund ein anderer, das wusste er genau, aber statt Richard darauf hinzuweisen und ihn damit zu verärgern, nickte er einfach verstehend. „Welches Buch nimmst du?“, fragte Richard, um das Thema zu wechseln. Zielsicher griff Kieran nach dem Buch, das er schon eine Weile ins Auge gefasst hatte und zog es heraus. „Nemo von C.R. Garden.“ „Erzähl mir, wie es war, wenn ...“ Richard überlegte einen Augenblick, bis ihm die Aufgabe, für die sie diese Bücher überhaupt benötigten, wieder klar wurde. „Oh, ich erfahre ohnehin, wie du es fandest.“ Der einzige Teil, der Kieran an der Aufgabe gefiel, war das Lesen des Buches. Anschließend sollte es vor der gesamten Klasse vorgestellt werden und er redete nur ungern vor vielen Leuten – in solchen Momenten überlegte er, dass es eine schlechte Idee gewesen war, wieder zur Schule zu gehen. Aber er war Richard gefolgt, also bereute er es nicht im Mindesten. Aydeen kehrte wieder zurück, immer noch ein Lächeln auf ihren Lippen. „Habt ihr euch beide entschieden? Dann wird es wohl langsam Zeit, dass ihr bezahlt.“ Dabei deutete sie kaum merklich zu einer Frau, die in einiger Entfernung neben einem Regal stand und sie misstrauisch beobachtete. „Meine Chefin meint, ihr lenkt mich zu sehr ab.“ Kieran kannte diese Frau mit ihrem stets verkniffenen Gesichtsausdruck inzwischen und er glaubte, dass es an der Dreiecksbeziehung des Trios lag. Nicht jeder sah so etwas gern, sein eigener Vater betrachtete das noch ein wenig stirnrunzelnd. Also bezahlten er und Richard ihre Bücher, verabschiedeten sich und machten sich dann auf den Weg zur Bahn, um nach Hause zu kommen. Dabei liefen sie im einträchtigen Schweigen nebeneinander her. Zwischen ihnen brauchte es nicht viele Worte, sie verstanden einander auch schweigend und das war ebenfalls einer der Gründe, weswegen er sich einst in Richard verliebt hatte. Doch schließlich durchbrach Kieran dennoch das Schweigen: „Wenn du ein Problem mit Aydeen hast, sollten wir über diese Sache vielleicht noch einmal nachdenken.“ Das war das einzige Thema, das sie nicht wortlos miteinander besprechen konnten, sehr zu seinem Leidwesen. „Ich habe kein Problem mit ihr“, erwiderte Richard tonlos, immer noch stur geradeaus sehend. „Bist du sicher?“ „Ganz sicher. Ich habe absolut kein Problem mit ihr – ich teile dich nur nicht gern. Und das muss ich immerhin fast immer.“ Wenn Kieran so darüber nachdachte, entsprach das der Wahrheit. In der Schule waren sie immer von Mitschülern umgeben, in der Bahn gab es andere Fahrgäste und sie hatten in ihrer Freizeit kaum Gelegenheit, sich zu treffen. Die Schule ging nicht selten bis nachmittags, dann gab es Hausaufgaben und Klausuren, für die man lernen musste – und nachts war Kieran auf den Straßen unterwegs, um Dämonen zu jagen. In letzter Zeit waren sie zwar friedlich, aber er hatte sich geschworen, seine Pflicht nie wieder zu vernachlässigen. Es genügte, dass ein Dämon, den er hatte entkommen lassen, Menschen gefressen hatte, noch öfter wollte er das nicht erleben. Also blieb ihnen kaum Gelegenheit, sich allein zu treffen und eigentlich empfand Kieran es auch als unfair, so viel mehr Zeit mit Richard zu verbringen, wenn sie immerhin in einer Dreiecksbeziehung waren, die es erfordern sollte, dass sie alle drei zusammen waren. Statt einer Erwiderung gab er ein verstehendes Geräusch von sich, damit er keinen Streit mit Richard begann. Außerdem hatten sie diese Unterhaltung im letzten Monat bereits mehrmals geführt und sie war immer auf dieselbe Weise geendet: Richard bekundete, dass er gern mehr Zeit mit Kieran verbringen würde, aber durchaus verstand, dass die Zeit dafür nicht immer ausreichte, weswegen er sich auf die Ferien vertrösten ließ, die bald begannen. Kurz vor der Bahnstation erklang ein leises Piepsen, das dafür sorgte, dass Richard sein Handy, ein Smartphone, hervorholte und mit gerunzelter Stirn die neu angekommene Nachricht durchlas. Schließlich seufzte er leise. „Ich muss meine Schwester abholen, anscheinend hat sie es geschafft, sich beim Schlittschuhlaufen zu verletzen.“ „Geht das allein?“, fragte Kieran besorgt. „Klar, ich kriege das schon hin. Komm gut nach Hause, ja?“ „Sag Kathreen gute Besserung.“ Damit verabschiedeten sie sich voneinander und dann trennten sich ihre Wege. Während Richard zu Fuß die nahegelegene Eishalle aufsuchte, nahm Kieran die Bahn, um nach Hause zu kommen. Die Wohnung, in der er lebte, befand sich in einem der äußeren Bezirke von Cherrygrove. Hier gab es keine Kirschbäume mehr, die namensgebend für die Stadt gewesen waren, dafür aber Sandkästen, damit die Bewohner der umliegenden Häuser ihre Kinder dorthin schicken konnten. Inzwischen spielten aber nur noch selten Kinder dort, weil es durch die Medien in den Wohnungen wesentlich interessantere Beschäftigungsmöglichkeiten gab. Im Haus angekommen, das wie üblich nach Feuchtigkeit und Schimmel roch, blickte er erst einmal in die, an der Wand angebrachten Briefkästen, fand aber keinerlei Post für sich oder seinen Vater vor, und lief dann die Treppe hinauf. Wie üblich nahm er immer zwei Stufen auf einmal, ignorierte jene, an denen Teile abgesplittert waren und machte sich auch nichts mehr aus den Kinderstimmen, die er jenseits der Türen hören konnte. Als er an der Stelle vorbeilief, an der das hölzerne Geländer angesägt war, musste er wieder an seinen Cousin denken, wobei ihm einfiel, dass er diesem immer noch noch keine Nachricht geschickt hatte. Vor seiner Wohnungstür angekommen, verwarf er das aber sofort wieder und schloss auf, um in die angenehm riechende Wohnung zu treten. Zumindest an diesem Tag konnte er keinen Essensgeruch wahrnehmen, weswegen er davon ausging, dass sein Vater endlich einmal vernünftig war und sich an die Anweisung seiner Ärzte hielt. Um sich davon auch sofort zu überzeugen, betrat er das Wohnzimmer. Cathan saß auf dem schwarzen Sofa, gegenüber dem Fernseher, der mal wieder lief und irgendeine Show zeigte, die Kieran nicht kannte und die ihn auch nicht im Mindesten interessierte. „Hast du alles erledigt?“, fragte Cathan, ohne ihn anzusehen. Das Fernsehbild spiegelte sich auf seiner Brille, sein schwarzes Haar war noch feucht, offenbar war er erst vor kurzem in der Dusche gewesen. Kieran legte seine Schultasche ab, ehe er das bejahte. „Wie geht es dir heute?“ Statt einer Antwort zuckte Cathan nur mit den Schultern. Dafür, dass er vor einem Monat an Krücken gebunden war und er nun nur noch einen Gehstock benötigte, müsste es ihm eigentlich gut gehen, dachte Kieran sich, aber es kam ihm vor, als würde sein Vater mit jeder Besserung nur schlechter gelaunt sein. Vielleicht lag es aber auch an ihm und seinem Leben, das Cathan einfach nicht verstehen konnte. Eigentlich hasste Kieran diese Atmosphäre zwischen ihnen. Es gab für sie beide nur noch den jeweils anderen, seit seine Mutter gegangen war, aber nach all den Auseinandersetzungen, die sie durchgemacht hatten, fiel es ihm nicht sonderlich leicht, sich mit ihm zu unterhalten. Doch plötzlich, während er noch dastand und überlegte, was er sagen sollte, stellte Cathan den Fernseher stumm und bedeutete ihm, sich neben ihn zu setzen. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen nahm er auf dem Sofa Platz und überlegte, worüber er wohl reden wollen könnte. Er konnte sich nicht erinnern, etwas falsch gemacht zu haben, weder im Haushalt, noch bei den nächtlichen Streifzügen, immerhin achtete er ganz besonders darauf, alles richtig zu machen, seit er vor einem Monat diesem Dämon begegnet war, der sich wegen seiner Nachlässigkeit durch die Stadt gefressen haben musste. „Du erinnerst dich sicher an diesen Freund, von dem ich dir erzählt habe, der seinen Schüler hierher schickt, wenn du eine Auszeit brauchst.“ Kieran kannte seinen Namen nicht, war weder diesem Freund, noch dem Schüler je begegnet, aber er nickte dennoch und fragte sich, weswegen sein Vater ihm das nun erzählte. „Albus, also mein Freund, hat mich heute angerufen, um mir mitzuteilen, dass sein Schüler letzte Nacht nicht wieder nach Hause gekommen ist.“ Ein eisiges Frösteln fuhr seinen Rücken hinab, als er das hörte. Natürlich starben Jäger auf Streifzügen schon einmal, das wusste er, nicht zuletzt deswegen, weil sein Onkel auf diese Art und Weise gestorben war – aber doch nicht hier in Cherrygrove und schon gar nicht in der letzten Zeit. Seit er vor einem Monat diesen verfressenen Dämon getötet hatte, war alles ruhig in der Stadt, was die ganze Sache für Kieran wesentlich einfacher machte. Deswegen traf ihn das umso mehr. „Ist er tot?“, fragte er. Cathan hob ratlos die Schultern. „Ich weiß es nicht. Offenbar wurde bislang noch keine Leiche gefunden, also gehen wir davon aus, dass er noch lebt.“ Kieran überlegte, ihm davon zu erzählen, dass der Dämon damals ihn hatte entführen wollen, aber er beließ es dabei, erst einmal nichts zu sagen, solange er nicht mehr wusste. Außerdem wollte Cathan offenbar gar nichts über einen möglichen Aufenthaltsort wissen oder was diesem anderen Jäger wohl geschehen war und sagte etwas anderes: „Sei bitte vorsichtig, wenn du nachts auf Streife gehst, ja? Ich will nicht, dass dir auch etwas passiert.“ In seinen dunklen Augen war deutlich die Aufrichtigkeit dieses Wunsches zu sehen, die Kieran nicht einfach ignorieren konnte. Also nickte er rasch. „Natürlich. Ich werde aufpassen.“ Cathan atmete erleichtert auf und klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. „Gut, da bin ich erleichtert.“ Damit wandelte sich seine Stimmung auch sofort und rief offenbar sogar den Hunger wieder hervor: „Also, wie wäre es, wenn du deinem armen Vater, der immer noch an die Couch gefesselt ist, und dir selbst, etwas zu essen kochst?“ Kieran erwiderte das Lächeln, das er viel zu selten geschenkt bekam. „Natürlich, sofort, Papa.“ Damit erhob er sich wieder von seinem Platz und strebte direkt in die Küche. Doch dabei dachte er nach wie vor an den verschwundenen Jäger und nahm sich vor, in dieser Nacht nach ihm Ausschau zu halten, in der Hoffnung, dass ihm nichts weiter geschehen war und sein Vater sich keine Sorgen mehr um ihn machen müsste. Kapitel II – Ich bin nicht so unaufmerksam. ------------------------------------------- Faren stellte den Motor ab, worauf das gesamte Auto schlagartig verstummte. Er atmete durch, lauschte den letzten Geräuschen des Metalls, das über den plötzlichen Hitzeverlust scheinbar verwirrt ächzte, und blickte nach draußen. Wie üblich war niemand hier zu sehen, in einem solchen Vorort, in dem jedes Haus über einen Garten verfügte, gab es keinerlei Veranlassung, das eigene Grundstück zu verlassen und in der Gegend herumzulaufen. Das kam für Faren aber auch dementsprechend passend. Normalerweise störte er sich nicht an Gesellschaft, aber es war besser, wenn so wenig Leute wie möglich wussten, dass er hier war, und das auch noch regelmäßig jede Woche zur selben Zeit. Sein Ruf litte mit Sicherheit darunter, wenn das erst einmal bekannt wurde. Von all den mitleidigen Blicken und Fragen nach seinem Befinden ganz zu schweigen. Das hier war sein Geheimnis und das sollte es auch bleiben. Schließlich verließ er das Auto, schloss sorgfältig ab und ging dann auf eines der Häuser zu. Es lag vollkommen still und friedlich da, die Fassade schneeweiß, als käme jeden Abend jemand vorbei, um sie neu zu streichen, die Tür schwarz lackiert mit eingelassenen Milchglasfenstern, die einen nur Schemen sehen ließen. Im Moment sah er allerdings keinen solchen, weswegen er die Gelegenheit nutzte, die Tür einfach zu ignorieren. Der Vorgarten war direkt mit dem hinteren Garten verbunden, es gab keinerlei Zaun, der einen davon abhalten konnte, sich lieber hinten nach einem passenden Weg hinein umzusehen. Ungehindert spazierte Faren also in den Garten, betrachtete den Baum ein wenig, der hier stand – wie üblich konnte er aber keine Änderung feststellen – und blickte dann erst zum Haus, in eines der Fenster im Erdgeschoss hinein. In diesem Zimmer standen neben einem großen Schreibtisch auch ein Bücherregal und Aktenschränke – und ein großes Aquarium, um das er sich im Moment aber nicht kümmerte. In der Mitte des Raums standen ein schwarzes Sofa und ein Sessel um einen niedrigen Glastisch herum. In diesem Sessel saß gerade ein Mann, der etwas in seine geöffnete, auf seinem Schoß liegende, Mappe schrieb. Im Gegensatz zu dem von Kieran, war das schwarze Haar dieses Mannes kurz geschnitten, so dass Faren seine blauen Augen sehen konnte, die vollkommen auf die Notizen fixiert waren. Vorsichtig klopfte er gegen die Fensterscheibe, worauf der Mann innehielt, ihm den Blick zuwandte und die Stirn runzelte. Faren erwiderte das mit einem Lächeln, das sich nicht einschüchtern ließ. Er glaubte fast, das Seufzen des anderen zu hören, als dieser aufstand und das Fenster öffnete. „Ich habe dir doch gesagt, dass du das nicht mehr tun sollst“, tadelte er ihn dabei. „Du sollst doch die Tür benutzen.“ Ungeachtet seiner Worte, trat er dennoch einen Schritt zurück, um Faren hereinzulassen. „Die Tür ist doch langweilig“, erwiderte dieser, während er durch das Fenster kletterte. „Ich mache es lieber so. Dann bin ich auch direkt im Behandlungszimmer.“ Während der Mann das Fenster schloss, trat Faren an das Aquarium, das fast die gesamte linke Wand des Zimmers einnahm und eine abwechslungsreiche Unterwasserlandschaft bestehend aus verschiedenfarbigen Felsen und sich im Wasser sacht bewegenden Pflanzen, bot. Die unterschiedlichsten Fischschwärme schwammen umher und erfüllten es nicht nur mit noch mehr Farben, sondern auch Leben. „Sieht alles gut aus~“, stellte er schließlich zufrieden fest. „Du würdest es nicht bemerken, wenn ich einen Fisch austauschte“, erwiderte der Mann. Faren fuhr herum, damit er wieder einmal sehen konnte wie der andere mit einer Taschenuhr in seiner Hand spielte. „Komm schon, Vincent, ich bin nicht so unaufmerksam, wie du zu denken scheinst.“ Ohne Aufforderung setzte er sich auf das Sofa, während Vincent die Uhr wieder in den Taschen seines Sakkos verstaute. Faren hatte ihn noch nie in etwas anderem als einen schwarzen Anzug gesehen, das weiße Hemd bis zum Hals zugeknöpft und die dunkle Krawatte so eng sitzend, dass es wirkte als müsse er eigentlich Probleme beim Atmen bekommen. „Ich zweifele nicht daran, dass du aufmerksam bist.“ Vincent setzte sich wieder auf den Sessel und nahm auch die Mappe wieder auf. „Ich zweifele nur daran, dass es irgendjemanden gibt, der erkennen könnte, wenn ich die Fische austausche.“ Vincent war, neben Kieran, so ziemlich die seltsamste Person, die Faren kannte. Er sah gut aus, wirkte aber immer äußerst distanziert – und obwohl er ein Therapeut war, schien er so absolut gar keine Ahnung von Menschen und ihren Gewohnheiten zu haben. Manchmal runzelte er die Stirn, wenn Faren ihm etwas erzählte, als frage er sich, ob es wirklich Menschen gab, die derartige Dinge machten. Ein anderes Mal gab er Ratschläge, die sich anhörten, als seien sie aus einem Ratgeberbuch übernommen worden, ohne dass Vincent wirklich verstand, was hinter dem Ratschlag – oder auch dem Problem – steckte. Faren hatte oft überlegt, einfach den Therapeuten zu wechseln, aber er mochte Vincent. Seine Planlosigkeit, trotz seines Berufs, seine anhaltende Ruhe, seine sanfte Stimme, sein Aquarium, seine Taschenuhr, sogar sein Anzug, er mochte einfach alles an diesem Mann. Inzwischen kam auch noch hinzu, dass er ihn an Kieran erinnerte, für den er auch wachsende Sympathie verspürte – also musste er Vincent einfach mögen. Dabei war er anfangs absolut nicht gern zu ihm gegangen, sondern hatte ihn nur auf Wunsch seiner Mutter und auf Empfehlung eines Arztes im Krankenhaus aufgesucht. Auch wenn er nicht wollte, dass jemand anderes davon wusste, konnte er sich inzwischen gar nicht mehr vorstellen, wie es wohl ohne die wöchentlichen Besuche bei Vincent wäre. „Nicht einmal deine Schwester?“, hakte Faren nach. „Vielleicht solltest du es einfach mal ausprobieren?“ Vincent zuckte mit den Schultern, dann warf er einen kurzen Blick auf die Uhr, die ihm gegenüber im Regal stand. „Ich bin dafür, dass wir die Sitzung beginnen.“ Faren schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück, was seine Zustimmung ausdrückte, wie auch Vincent wusste, so dass dieser direkt seine erste Frage stellen konnte: „Wie fühlst du dich?“ Es war diese typische Eröffnungsfrage, die Faren immer wieder lächeln ließ. Es klang nicht danach, als interessiere es Vincent wirklich, sondern lediglich, als ob er nicht wüsste, wie er sonst anfangen sollte, eben als hätte er es irgendwann einmal in einem Buch gelesen. „Och ...“ Faren bemühte sich, nicht mehr zu lächeln, bevor Vincent noch auf den Gedanken kam, dass er ihn nicht ernst nähme. „Eigentlich wie immer. Nicht sonderlich gut, nicht besonders schlecht. Eigentlich sehr neutral.“ Statt einer Erwiderung darauf, machte Vincent sich eine Notiz. Er hatte Faren zwar direkt beim ersten Termin darüber aufgeklärt, dass er jederzeit Einblick in die auf ihn bezogenen Akten und Notizen nehmen dürfte, aber er traute sich nicht, danach zu fragen. Das lag auch nicht daran, dass er eingeschüchtert wäre, er fürchtete sich nur davor, etwas in diesen Unterlagen über sich selbst zu finden, das ihm nicht gefallen könnte. Also vermied er sie lieber und hoffte, dass Vincent sich nicht aufschrieb, dass er ein totaler Idiot sei. „Wie steht es um deinen Schlaf?“ Vincent sah ihn nicht einmal an, da er immer noch damit beschäftigt war, etwas zu notieren; es musste wohl eine sehr lange Beobachtung sein. „Schon besser als die letzten Male. Ich träume seltener von dieser Sache und … na ja, alles in allem schlafe ich jetzt ein wenig besser.“ Nun endlich hielt Vincent wieder inne und hob den Blick, nur ein wenig, so dass es aussah, als runzele er die Stirn. „Dann glaubst du jetzt nicht mehr, dass Dämonen durch die Stadt geistern?“ Natürlich tat er das nicht. Immerhin wusste er, dass es so war, und er besaß auch die passenden Bilder auf dem Handy, um das zu beweisen. Aber er hatte Kieran versprochen, niemandem davon zu erzählen – und seinen Therapeuten sah er auch als Teil dieses Versprechens an. „Ich denke, meine Fantasie ist einfach nur gehörig mit mir durchgegangen. Man weiß doch, wie ein Trauma so sein kann, nicht?“ Dabei wusste er es ganz genauso, nicht einmal in seinen finstersten Albträumen hätte er sich diese Szene auch nur vorstellen können. Es war genau so geschehen, wie es ihn immer wieder heimsuchte, wenn er zu schlafen versuchte – es sei denn, er trank vorher genug oder war zu erschöpft, um sich nachher noch an diese Träume zu erinnern. „Wer hat Lucasta denn dann getötet?“ Dass Vincent ihm diese Frage auch noch stellen musste. Schon wenn er daran dachte, sah er wieder ihr Lächeln vor sich, gefolgt von dem schwarzen Schatten, der sie zu Boden riss und innerhalb kürzester Zeit vor seinen Augen zerfleischte. Er wollte in der Realität die Augen schließen, wusste aber, dass er diese Bilder dann umso realistischer vor sich sähe, und außerdem hätte Vincent sich dann nur wieder Notizen gemacht, ihm vielleicht sogar Tabletten verschrieben, die er gerade nicht gebrauchen konnte, wenn er Kieran weiterhin helfen wollte. „Es war ein tragischer Bahnunfall. Ich schätze, das hat mich nur derart hart getroffen, dass ich mir einredete, dass es Dämonen gewesen sein müssen.“ Bei seiner Mutter und dem Psychologen im Krankenhaus hatte diese Ausrede damals geholfen. Aber vermutlich hätten sie sogar akzeptiert, wäre seine Behauptung, dass Lucasta an sich nur ein reines Fantasiegebilde war, gewesen. Vincent war aber weder seine Mutter, noch sein Psychologe aus dem Krankenhaus, er zog die Augenbrauen zusammen und durchbohrte ihn mit einem Blick, der deutlich sagte, dass er Faren nicht glaubte und er nun auf eine Korrektur dieser Aussage wartete. Er dagegen versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und lächelte nun doch wieder. Das kleine Blickduell der beiden forderte einiges von Faren, aber schließlich, gerade als er dachte, dass er es nicht mehr aushielt, senkte Vincent den Blick und notierte weiter. Faren atmete kaum merkbar auf, erst in diesem Moment bemerkte er, dass sich sein ganzer Körper angespannt hatte. Also gab er sich Mühe, sich wieder zu entspannen und wartete geduldig, dass Vincent fertig wurde. „Wie kommt es, dass sich dein Schlaf verbessert hat?“ Er konnte schlecht sagen, dass es beruhigend zu wissen war, dass es sich bei Kieran um einen so verantwortungsvollen Jäger handelte und er ihn noch dazu immer begleiten durfte. Also zuckte er mit den Schultern. „Wahrscheinlich fange ich nur einfach an, mich mit diesen unausweichlichen Dingen abzufinden. Dass ich Luc nicht helfen konnte und sie tot ist und es keine Dämonen gibt.“ Überzeugt wirkte Vincent nicht, aber er notierte es sich dennoch. Eigentlich war Faren sehr stolz darauf, dass er sich derart gut verstellen konnte, dass sogar ausgebildete Psychologen darauf hereinfielen – aber gerade Vincent, der scheinbar nie einen vernünftigen therapeutischen Abschluss geschafft hatte, gelang es immer wieder, ihn zu durchschauen. Allerdings sagte er nicht wirklich etwas darauf und Faren konnte nur vermuten, dass er selbst nicht so genau wusste, wie er reagieren sollte, wenn einer seiner Patienten ihn derart anlog. „Dann werde ich dir heute nichts verschreiben.“ „Ist mir recht. Ich nehme sowieso nur ungern Tabletten. Ich meine, abgesehen von den bunten Party-Tabletten natürlich~.“ Faren lachte, aber Vincent reagierte nicht im Mindesten auf diesen Scherz. Stattdessen klopfte er mit seinem Füller gedankenverloren gegen die Mappe. „Wie läuft es in der Schule?“ Wenn er bedachte, dass er als Jugendlicher auf einer Elite-Schule gewesen war, die er aus tiefstem Herzen gehasst hatte, so war der zweite Bildungsweg, auf den er hauptsächlich Bellinda gefolgt war, eigentlich ein sehr schlechter Scherz. Manchmal langweilte er sich sogar im Unterricht, aber das war immer noch besser als seine damalige Schulzeit. Vor allem weil er endlich Freunde hatte, mit denen die Pausen auch Spaß machten. „Es läuft gut. Ich bin echt super in Physik und Biologie~. Und der Rest ist auch in einem sehr hohen Bereich.“ Nicht mehr in dem 1er-Bereich, in dem er sich damals hatte bewegen müssen, aber selbst der 2er-Bereich war, dafür dass er nie lernte und manche Klausuren mit Kater schrieb, extrem gut. Dafür klopfte er sich nach jeder Arbeit, die er zurückbekam, wieder auf die Schulter, wenn es schon niemand sonst tat. Besonders Bellinda nicht, die ihn immer scharf ansah und ihn daran erinnerte, dass er so viel besser sein könnte, wenn er sich nur Mühe gab. „In letzter Zeit bin ich auch viel mit Kieran zusammen, der hat einige Seiten, die mir vorher nicht bewusst waren.“ Bislang hatte er sich bei den Therapiestunden hauptsächlich über ihn beklagt, weil er Kieran eben als seltsam eingestuft hatte. Aber inzwischen wusste er ihn wesentlich mehr zu schätzen, schon allein weil er neben der Schule auch noch jagen ging. Nicht jeder könnte dieser Doppelbelastung standhalten, aber Kieran schaffte es und dafür verdiente er Respekt. „Was für Seiten?“ „Ist das so wichtig? Ich meine, er ist hier nicht der Patient, oder?“ Statt gegen die Mappe zu tippen, begann Vincent nun, den Füller in seiner Hand zu drehen, wobei er gedankenverloren an Faren vorbeisah. „Stimmt, ich war nur neugierig.“ Dann zuckte er mit den Schultern und blickte auf seine Notizen hinab, wo er sich noch etwas hinzuschrieb. Faren zog seine Brauen zusammen. War das der richtige Zeitpunkt, einmal nach den Notizen zu fragen? Nein, er machte das lieber nicht. Vielleicht schrieb er nur gerade auf, dass Faren Interesse an Kieran hatte und das wollte er dann erst recht nicht lesen. Dementsprechend froh war er dann auch, als Vincent den Blick wieder hob und die Sitzung mit wesentlich harmloseren Fragen vorsetzte, genau wie es sein sollte. Nach dem Ende der Stunde verabschiedete Faren sich von Vincent, dessen Gesichtsausdruck sich kein einziges Mal mehr geändert hatte, und verließ das Haus. Dort atmete er erst einmal tief auf, da es nun eine weitere Woche dauerte, bis zu seinem nächsten Termin. Das war immer der beste Zeitpunkt, denn direkt nach dem Termin dauerte es am längsten, bis wieder einer fällig war. Da Vincent ihn gezwungen hatte, die Haustür zu benutzen, fiel sein Blick direkt auf sein Auto – und auf die Person, die sich dagegen lehnte. Im ersten Moment wallte Ärger in ihm auf, aber bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass es sich bei dieser Person um eine junge Frau handelte, deren blondes Haar in der Sonne regelrecht zu glitzern schien, als wäre sie gerade einem Märchen entsprungen. Das ließ ihn dann doch lächeln und mit federnden Schritten nähergehen. „Hey~. Hübscher Wagen, oder?“ Sie stellte sich aufrecht hin, als sie bemerkte, dass er mit ihr sprach, verschränkte aber die Arme vor ihrer Brust. Dann blickte sie zwischen ihm und dem Wagen hin und her, was ihm genug Zeit gab, etwas zu erkennen, das er direkt als nächsten Aufhänger nutzte: „Die Lackierung passt zu deinen blauen Augen~. Du solltest deswegen unbedingt mit mir eine Spritzfahrt unternehmen.“ Er förderte den Schlüssel zutage, erntete aber kein Lächeln von ihr, nicht einmal eine Anerkennung seiner Worte, stattdessen stellte sie die Frage, die ihn irritiert innehalten ließ: „Kennst du Kieran Lane?“ Die feinen Härchen auf seinem Nacken stellten sich auf, rieten ihm eindeutig zur Vorsicht. Wieder musterte er sie, aber nichts an ihr deutete darauf hin, dass sie ein Dämon oder sonst irgendwie gefährlich war. Dennoch sollte er vorsichtig sein. „Sollten wir uns nicht erst mal gegenseitig vorstellen? Ich bin Faren Griffin~.“ Er reichte ihr die Hand und erwartete, dass sie diese nur fragend ansehen würde, wie es in diesen Serien und Filmen immer geschah, aber stattdessen ergriff sie diese und lächelte dabei sogar ein wenig. „Seline Silverburgh, freut mich sehr. Also? Kennst du Kieran Lane?“ „Wir sind in derselben Klasse.“ Besser, er blieb weiterhin erst einmal auf sicherem Gelände. „Was willst du denn von ihm? Normalerweise wird er nicht von so umwerfend schönen Frauen angesprochen, das ist mein Job~.“ Wieder reagierte sie nicht darauf, ihre neutrale Miene kehrte zurück. „Ich weiß, dass dir seine Identität als Dämonenjäger bekannt ist.“ Faren spürte regelrecht, wie ihm sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. War er zu unaufmerksam gewesen? Hatte er unbemerkt etwas ausgeplaudert? Oder versuchte sie gerade nur, ihn an der Nase herumzuführen? Wer war sie überhaupt? „Dämonen?“ Er lachte. „Guter Witz.“ „Das ist kein Witz.“ Zur Demonstration zog sie ihr Handy hervor und zeigte ihm das Display, das genau dieselbe Oberfläche zeigte, wie jenes von Kieran – sie wusste es also schon von allein. „Wenn du so viel weißt, kannst du ihn sicher selbst finden.“ Sie ließ ihr Handy wieder sinken. „Das könnte ich. Aber ich weiß, dass er ein sehr misstrauischer Mensch ist. Deswegen benötige ich jemanden, dem er vertraut, der mich ihm vorstellt.“ Faren musste schmunzeln. „Da hast du den falschen erwischt, fürchte ich. Kieran vertraut mir nicht.“ „Ich denke, du irrst dich“, hielt sie entgegen, worauf er beim Aufschließen seines Wagens innehielt. „Würde er dir nicht vertrauen, wärst du schon lange nicht mehr am Leben. Außerdem habe ich beobachten können, dass er dir den Rücken zudreht und in deinem Wagen eingeschlafen ist, er vertraut dir sehr.“ Er ignorierte mal, dass sie die beiden eine Weile gestalkt haben musste, um das alles beobachten zu können, er fragte auch nicht nach, ob es normal für Jäger war, Mitwisser zu töten; sein ganzes Denken konzentrierte sich gerade darauf, dass Kieran ihm vertraute und dass ihn das freute. Faren hob den Blick wieder, um ihrem zu begegnen, und nickte. „In Ordnung, dann komm mit. Ich fahre jetzt direkt zu ihm.“ Kapitel III – Hast du denn eine Spur? ------------------------------------- Am Abend, nachdem es endlich dunkel geworden war – was im Sommer unglücklicherweise erst kurz vor zehn Uhr war –, wartete Kieran vor einem Bahnhof im Industriegebiet. Um diese Zeit war meist alles verlassen in dieser Gegend, abgesehen von zufällig vorbeikommenden Obdachlosen oder zwielichtigen Drogenhändlern, die ihm alle nur einen kurzen Blick widmeten, wenn sie vorbeigingen. Gut, vielleicht waren sie auch keine Drogenhändler, sondern nur herumstreunende, schlaflose Menschen, aber so genau dachte er dann doch nicht darüber nach. Wäre er irgendjemand anderes, käme ihm vielleicht die Frage in den Sinn, für was diese Leute ihn wohl hielten, aber er war eben Kieran und der kümmerte sich nicht um solche Dinge. Nachdem Faren ihm sich als Assistent aufgedrängt hatte, war da die Überlegung gewesen, die für die Streifen notwendigen Waffen in dessen Auto aufzubewahren. Damit wäre es Faren möglich gewesen, Kieran einfach zu Hause abzuholen, was für beide Zeitersparnis bedeutet hätte und für Kieran zusätzlich auch noch weniger Rückenschmerzen – und weniger Geldverschwendung für das Schließfach an diesem Bahnhof. Aber sie waren schnell davon abgekommen, weil immer die Gefahr bestand, dass Faren in eine Verkehrskontrolle geraten könnte. Und wie sollte er erklären, dass er eine Sporttasche mit den unterschiedlichsten Schuss-, Schlag- und Stichwaffen mit sich führte? Außerdem wollte Kieran nicht, dass sein Assistent wusste, wo er lebte. Es genügte, dass Faren seine Handynummer besaß. Gerade als Kieran mit gerunzelter Stirn an diesen dachte, fuhr Faren tatsächlich mit seinem Wagen vor. Der dunkelrote Lack war an manchen Stellen bereits zerkratzt, was nur zeigte, wie unvorsichtig damit umgegangen wurde, auch wenn er selber nie Zeuge davon geworden war. Er wollte sich schon entspannen, als er bemerkte, dass neben Faren noch jemand im Auto saß. Augenblicklich spannte er sich an und begann Faren anzuknurren, als dieser aus dem Wagen stieg: „Was denkst du dir dabei, hier einfach jemanden mitzubringen?“ Eigentlich wäre er lieber laut geworden, aber dafür war hier nicht der passende Ort, deswegen beherrschte er sich. Faren wäre vermutlich ohnehin genauso cool geblieben wie im Moment. Er lächelte Kieran kokett an. „Ja, heute wird aus unserer trauten Zweisamkeit nichts~. Aber wie wäre es mit-“ „Nein“, unterbrach Kieran ihn zischend. „Was auch immer du vorschlagen willst, lass es einfach.“ Während dieses kurzen Schlagabtauschs stieg auch die zusätzliche Person endlich aus, so dass er sie mustern konnte, allerdings konnte er sich nicht erinnern, ihr jemals begegnet zu sein. „Du bist Kieran Lane?“, fragte sie über das Auto hinweg. Sein Blick huschte wieder an ihr hoch und runter, suchte nach sichtbaren Waffen oder Beulen in ihrer Kleidung, die auf versteckte hinwiesen. Er konnte nichts davon sehen und sein Handy reagierte auch nicht, also konnte er problemlos zustimmen. „Und wer bist du?“ „Seline Silverburgh.“ Sie wartete wohl auf eine Reaktion seinerseits, mit der er aber nicht dienen konnte. Diesen Namen – sowohl Vor- als auch Nachnamen – hatte er noch nie zuvor gehört, deswegen hob er ein wenig die Schultern an, um ihr das zu signalisieren. Sie verzog das Gesicht. „Ich bin eine der Jägerinnen aus Lanchest.“ Damit konnte er schon eher etwas anfangen. Cherrygrove war eine große Stadt, aber nichts im Vergleich zum benachbarten Lanchest. Er war noch nie dort gewesen, verspürte auch kein Verlangen danach, aber er hatte einmal gehört, dass es dort derart viele Dämonen gab, dass sie sich nicht in irgendwelchen Seitengassen verstecken oder auch nur verkleiden mussten. Entsprechend gab es auch viele Jäger, die versuchten, das Problem in den Griff zu bekommen. Anders als in Cherrygrove, wo es eben nur ihn gab, solange sein Vater nicht arbeiten konnte. „Was möchtest du dann hier?“ „Ist das nicht offensichtlich?“ Faren konnte wohl nicht ertragen, dass er keine Aufmerksamkeit bekam und lenkte sie deswegen wieder auf sich. „Sie will mehr über dich erfahren, weil du so großartig bist~.“ Auch wenn ihm das wohl schmeicheln sollte, empfand Kieran das als ein wenig unnötig. Er warf ihm einen kurzen Blick zu, der ihm sagen sollte, dass er besser still war. Faren lächelte weiterhin, war aber hoffentlich für den Rest der Unterhaltung leise. „Nicht so wirklich“, meinte Seline auf seine Worte, sprach aber weiter mit Kieran: „Es geht mir eigentlich darum, dass ich auf der Suche nach einem anderen Jäger bin. Ein Schüler meines Vaters, der letzte Nacht in dieser Stadt patrouilliert hat.“ Ein eiskalter Schauer lief Kieran den Rücken hinab. „Er ist derjenige, der verschwunden ist, oder?“ Also war ihr Vater der Freund seines Vaters, über den nie ein erklärendes Wort verloren wurde. Kein Wunder, dass sie eine Reaktion auf ihren Namen erwartet hatte. „Das ist richtig. Und ich bin hier, um ihn zu suchen.“ „Hast du denn eine Spur?“ „Ich weiß, wo sein Handy sich das letzte Mal eingeloggt hat. Von dort wollte ich starten.“ Das war sehr vorteilhaft. Auch wenn Kieran daran zweifelte, dass sie dort jemanden finden könnten, genausowenig wie eine Spur, die sie weiterbrächte. Die einzige Erklärung, die er für das Verschwinden aufbrachte, war eine Entführung durch Dämonen. Aber er wollte auch keine voreiligen Schlüsse ziehen, immerhin bestand die Möglichkeit, dass etwas anderes geschehen und der Dämon vom letzten Monat eine Ausnahme gewesen war. „Wofür brauchst du dann mich?“, hakte Kieran nach. „Ich kenne mich hier nicht aus.“ Kein Zeichen von Verlegenheit oder auch nur die geringste Demut, ihr Gesicht blieb vollkommen ausdruckslos. „Deswegen benötige ich jemanden, der mich zu dieser entsprechenden Straße und weiter bringt.“ Selbst mit einer Karte konnte es schwer sein, seinen Weg zu finden, und wenn man zu Fuß unterwegs war, müsste man laufen, sofern man sich nicht mit dem Bus- und Bahnsystem auskannte. Mit dem Taxi zu fahren barg die Möglichkeit, dass man Misstrauen erweckte oder später identifiziert werden konnte, wenn es zu irgendwelchen Ermittlungen kommen sollte. Also blieb ihr wirklich nur, sich ihm, der über alles Bescheid wusste, anzuschließen, und er wollte sie nicht damit im Regen stehen lassen. Allerdings war es nicht sein Auto, deswegen warf er einen Blick zu Faren, der ihm ernst zunickte. Nach dieser Bestätigung wandte er sich wieder Seline zu. „In Ordnung. Wir machen es.“ Auf der Fahrt erfuhren sie, dass der verschwundene Schüler Russel hieß. In der Nacht zuvor hatte er in einer Gasse patrouilliert, die Kieran zu gut kannte. Es war ein Ort, an dem sich häufig Dämonen aufhielten, meist in menschlicher Verkleidung, um Drogen zu verkaufen. In dieser Nacht war aber keiner von ihnen hier. Während Faren im Auto wartete, wie üblich, blickte Seline sich aufmerksam um. Für Kieran wirkte allerdings alles wie immer, was ihn nur noch einmal darin bestärkte, dass sie hier nichts finden könnte, was ihr weiterhalf. Sie sah allerdings wesentlich genauer hin, ging dann in die Knie und hob eine Brille auf. Die Gläser waren zerbrochen, der Rahmen verbogen. „Er muss angegriffen worden sein.“ Kieran ging einige Schritte an ihr vorbei, zwischen zwei Mülltonnen fiel ihm auch etwas ins Auge. Es war ein Handy und es schien noch zu funktionieren. „Ist das seines?“ Mit raschen Schritten kam Seline näher und kniete sich nun auch neben das Handy, um es aufzuheben. Ein rascher Blick genügte ihr aber, um es zu bestätigen. „Was ist nur passiert?“ „Offensichtlich wurde er von jemandem oder etwas angegriffen.“ Aber es gab keine Leiche, nicht einmal Blut. Das bedeutete, er musste noch leben. Oder er wurde einfach woanders hingebracht, um dort zu sterben. Warum jedoch sollte sich ein Dämon diese Mühe machen? Sie entführen Jäger aus einem anderen Grund. Ich kenne ihn nicht, aber es muss einen anderen Grund geben. Hätte er nur Gelegenheit bekommen, seinen mutmaßlichen Entführer zu fragen. „Aber wo ist er jetzt?“, fragte Seline. Es war sinnlos, ihr nichts davon zu erzählen, stattdessen wurde es wirklich einmal Zeit, nachdem er nun doch schon den Verdacht erhärtet hatte. „Ich denke, er wurde von einem Dämon entführt.“ Seline starrte ihn entgeistert an, als hätte er ihr eben erzählt, dass Außerirdische dafür verantwortlich waren. Also beschloss er, es noch zu ergänzen: „Vor einem Monat hat ein anderer Dämon einmal versucht, mich zu entführen.“ Da er diesen damals getötet hatte, konnte es nicht derselbe sein. Vielleicht war es sogar aus einem vollkommen anderen Motiv heraus geschehen. „Warum hast du das niemandem gemeldet?“ „Wem hätte ich es denn melden sollen?“ Gut, er hätte es Cathan erzählen können, aber wäre das so zielgerichtet gewesen? Sein Vater hätte sich dann nur unnötig Sorgen gemacht, genau das, was Kieran ja vermeiden wollte. Aber Seline gab ihm ohnehin eine andere Antwort: „Es wäre gut gewesen, das Abteracht zu melden.“ Perplex sah er sie an. „Wem?“ Sie wollte ihm wieder antworten, aber da schnitt ihr ein nicht weit entfernter Schrei das Wort ab. Gleichzeitig stürmten sie in die Richtung los, aus der er gekommen war. Nur eine Seitenstraße weiter fanden sie Ursache und Grund des Schreis. Eine Frau kniete auf dem Boden, neben einem leblosen Körper, unter dem sich eine Blutlache auszubreiten begann. Kieran griff bereits nach seinem Handy, um einen Krankenwagen zu rufen, erkannte aber sofort, dass es zwecklos war, als er näherkam. Eine Wunde klaffte auf seinem Hals, tief genug, dass Kieran sehen konnte, dass die Halsschlagader durchtrennt war. Dafür war derart viel Kraft und Entschlossenheit nötig, dass es ein Dämon gewesen sein musste – aber das Opfer hielt selbst eine blutige Rasierklinge in der Hand. Ein derart brutaler Selbstmord, mitten auf der Straße, war ungewöhnlich, das wusste selbst Kieran. Seline übernahm wie selbstverständlich die Opferbetreuung und kniete sich neben die Frau, die inzwischen hemmungslos zu schluchzen begonnen hatte. Kieran blickte sich derweil um, suchte nach Spuren eines Dämons, fand aber, wie erwartet, keine. Dennoch zweifelte er weiterhin daran, dass es sich dabei um einen freiwilligen Selbstmord handelte. Er wollte nicht glauben, dass es jemanden gab, der aus freien Stücken einen solchen Weg wählte. Andererseits hatte er noch nie wirklich darüber nachgedacht. Egal wie schlimm es in seinem Leben gestanden hatte, für ihn war da noch nie die Frage gewesen, ob er sich umbringen sollte, schon allein weil er wusste, was danach aus einem selbst wurde. Vielleicht gab es doch Menschen, die sogar diese Methode dafür wählten? „Er hat einfach“, brachte die Frau schluchzend hervor, „einfach … das Messer gezogen und dann ...“ „Hat er davor irgendetwas gesagt?“, fragte Seline. Die Frau fuhr sich mit der Hand über die Augen, fragte sich womöglich, was das für eine bescheuerte Frage wäre, antwortete aber dennoch: „Er hat plötzlich über alle schlimmen Dinge in seinem Leben gesprochen. Sachen, von denen ich nicht einmal wusste.“ Ihr Körper wurde vom Schluchzen geschüttelt, so dass sie nicht weitersprechen konnte. Kieran war ratlos, was das zu bedeuten hätte – außer dass dieser Mann sich nun bald in einen Suizid-Dämon verwandelte – aber Seline sagte es wohl durchaus etwas, sie hatte ihre Stirn gerunzelt und erhob sich ebenso nachdenklich. „Wir werden Hilfe rufen“, versprach sie der Frau, dann winkte sie Kieran, mit ihr zu kommen. Er folgte dieser Aufforderung und ging mit ihr, bis sie wieder eine andere Querstraße erreichten. „Ich werde ein Münztelefon dafür benutzen“, erklärte sie. „Damit wir nicht zurückverfolgt werden. Unsere Anwesenheit könnte sonst zu unangenehmen Fragen führen.“ Dem konnte er nicht widersprechen, vor allem weil er auch eine Pistole in einem verborgenen Holster mit sich führte. „Auf welches Ergebnis bist du bei der Befragung gekommen?“ Eigentlich interessierte ihn diese Sache mit Abteracht mehr, aber es war auch wichtig zu wissen, ob sie etwas mit diesen Aussagen anfangen konnte. Sie nickte und starrte dabei grimmig geradeaus. „Vor einigen Jahren, als Russel sich uns gerade angeschlossen hat, gab es in Lanchest einen Dämon, den wir getötet haben.“ Er fragte sich, was das mit dieser Sache zu tun hatte, unterbrach sie aber nicht, sondern lauschte weiterhin aufmerksam. „Dieser Dämon tötete Menschen nicht selbst. Er gab ihnen den Wunsch ein, Selbstmord zu begehen, indem sie sich mit einer Klinge die Halsader durchschneiden. Dafür holte er die finstersten Erinnerungen hervor, die sie in ihrem Gedächtnis trugen, bis sie es nicht mehr aushielten.“ Erschrocken sog er die Luft ein. Genau wie bei dem Opfer gerade eben. Aber wenn sie diesen Dämon getötet hatten … „Der Feind damals war Russels Mutter gewesen, sie hat auf diese Weise Selbstmord begangen und wurde damit zu einem Dämon.“ Also gab es doch jemanden, der einen solch drastischen Weg wählte. Aber weswegen? Was konnte derart schlimm sein, dass man sogar so weit ging, sich selbst solche Schmerzen zuzufügen, ehe man an seinem eigenem Blut erstickte? „Aber wenn ihr sie getötet habt, kann sie ja unmöglich jetzt hier sein.“ „Das ist richtig“, sagte sie. „Deswegen denke ich, dass Russel der neue Dämon ist.“ Kapitel IV – Ich glaube nicht, dass ich dir guttue. --------------------------------------------------- „Also entführen Dämonen Jäger, um sie ebenfalls zu Dämonen zu machen?“ Kieran war froh, dass Faren trotz dieser Frage weiterhin den Blick auf die Straße gerichtet hielt. Normalerweise neigte er dazu, überall hinzusehen, nur nicht auf die Fahrbahn. Nachts war es sicherlich in Ordnung, da gab es immerhin nicht viel Verkehr, aber dennoch bevorzugte Kieran es, wenn er sich nur auf eine Sache konzentrierte. Die Tasche war bereits wieder in ihrem Schließfach, Faren bestand aber darauf, Kieran zumindest in die Nähe seiner Wohnung zu bringen, deswegen hatte er die Adresse eines Supermarkts genannt, in dem er vor Beginn des zweiten Bildungswegs gearbeitet hatte. „Jedenfalls dieser Dämon“, antwortete Kieran. „Ich weiß ja nicht, was der mit mir machen wollte, der mich vor einem Monat zu entführen versuchte.“ Damals war es ihm nur durch Faren gelungen, sich aus dem Griff seines Feindes zu befreien und ihn doch noch zu besiegen. Er hoffte aber, dass Faren, der immerhin dadurch in Gefahr geraten war, das nicht zu seiner Gewohnheit machte, deswegen ließ er ihn immer im Auto warten. Seline war zu dem Schluss gekommen, dass Russel deswegen entführt worden war und er nun als Dämon durch die Gegend zog und anderen Menschen nun zum Selbstmord trieb, so wie auch schon seine Mutter. Als sie auseinandergegangen waren, hatte Seline ihn ernst angesehen und ihn gebeten, ihr bei der Suche nach diesem Dämon zu helfen. Was sie dann mit ihm tun wollte, hatte sie nicht verraten, aber er erinnerte sich noch gut an ihren Gesichtsausdruck, der erstmals verändert war. Eine bittende Miene, mit Augen, die kurz davor standen, zu weinen. Natürlich war ihm kein Ausweg geblieben, er hatte zugestimmt und dann Faren auf dem Heimweg über alles in Kenntnis gesetzt. „Na ja, aber warum hätte er dich sonst entführen sollen?“ Wenn Kieran das nur wüsste. Vielleicht wollten sie alle wirklich Dämonen aus Jägern machen, was aber auch ein sehr schauriger Plan war. Diente das einem höheren Zweck oder wollten sie nur ihre natürlichen Feinde ausschalten? „Wir können das alles nicht erklären, indem wir einfach nur Mutmaßungen anstellen. Wir müssen das auf einem anderen Weg herausfinden.“ „Indem wir einen Dämon entführen?“ Faren lachte über seinen eigenen Scherz. Kieran sparte sich jeden Kommentar dazu, während er den Blick aus dem Fenster richtete. Die vorbeiziehenden Bürgersteige waren vollkommen leer. Niemand stand in den Lichtkegeln der Laternen, selbst hinter den Fensterscheiben brannte größtenteils kein Licht mehr. Es war die beste Zeit des Tages, wenn man von Faren absah, der einfach nicht still sein konnte. „Also, wie war das?“, bewies er das auch sogleich wieder. „Er bringt dich dazu, dich umzubringen, indem er dir einfach deine schlimmsten Erinnerungen vorspielt?“ Kieran hatte sich einige Gedanken darüber gemacht. Es konnte keine flächenweiter Effekt sein, weil sonst die Begleiterin des Mannes ebenfalls betroffen gewesen wäre. Stattdessen musste die Beeinflussung irgendwo anders erstmals geschehen sein, denn wer trug schon einfach so Rasierklingen mit sich herum? Also hatte er sie vorher besorgt, um sie dann einzusetzen. Aber weswegen so spät? Warum ließ der Dämon derart viel Zeit zwischen dem Kauf und der Durchführung vergehen? Und dann noch zufällig, als er und Seline in der Gegend waren. Oder war das beabsichtigt? Sein Kopf begann bei all diesen Überlegungen zu schmerzen. Seufzend stützte er den Ellenbogen auf die Tür und bettete dann sein Kinn auf seinem Handrücken. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Faren ihm einen kurzen, besorgten Blick zuwarf. „Hast du denn irgendwelche finsteren Erinnerungen, die man gegen dich nutzen könnte, Kieran?“ Er dachte darüber nach, rief sich einige Dinge wieder ins Gedächtnis, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein. Mein Leben ist nicht rosarot verlaufen, aber es gibt nichts, was mich derart hoffnungslos werden lassen könnte.“ Nicht einmal der Tag, an dem seine Mutter ihn und seinen Vater verlassen hatte. Auch nicht alle Auseinandersetzungen, die er je mit seinem Vater geführt hatte. Und auch nicht, wie schlecht er in der Mittelschule von seinen Mitschülern behandelt worden war. Egal aus welchem Winkel er das alles betrachtete, und wie, subjektiv gesehen, furchtbar jedes einzelne Ereignis gewesen sein mochte, in Kierans Leben waren sie allesamt zweitrangig. Es störte ihn mehr, dass er jagen gehen und das verheimlichen musste. „Dann bist du ja safe.“ Faren klang seltsam erleichtert bei dieser Feststellung. „Ich sollte wohl besser auf mich selbst aufpassen.“ Kieran runzelte missbilligend die Stirn. Er löste sich wieder von seiner Hand und sah zu Faren hinüber, damit dieser bemerkte, wie wenig er von dieser Aussage hielt. „Was denn?“, wurde er unschuldig gefragt. „Ich bezweifle, dass jemand wie du etwas so Schlimmes erlebt hat, dass ein Dämon das ausnützen könnte, um ihn umzubringen.“ So fröhlich wie er immer war, geradezu nervenaufreibend, konnte er unmöglich etwas Schlimmes durchgemacht haben. Weder in diesem, noch in seinem letzten Leben. Kieran weigerte sich, das einfach zu glauben. Damit löste er wohl etwas in Faren aus, denn dieser hielt unvermittelt den Wagen mitten auf der Straße und stellte sogar den Motor ab. Glücklicherweise gab es hier aber gerade keinen Verkehr. Für einen Moment starrte Faren einfach nur geradeaus auf die Straße hinaus. Seine Hände klammerten sich um das Lenkrad, seine Finger tippten einen ungleichmäßigen Rhythmus. Im Kontrast dazu atmete er ruhig und gleichmäßig, aber sein Gesicht war dermaßen ernst, dass Kieran von Schauern übermannt wurde. Noch nie zuvor hatte er Faren so gesehen, und obwohl er versuchte, sich einzureden, dass der andere gerade nur schauspielerte, um ihm ein schlechtes Gewissen zu machen, konnte er das selbst nicht so recht glauben. Schließlich stieß Faren ein tiefes Seufzen aus, das geradewegs aus dem Innersten seiner Seele zu kommen schien, und löste die Hände vom Lenkrad. Er rollte den rechten Ärmel seines Hemds hoch und deutete auf eine lange Narbe, die sich dort an seinem Ellenbogen befand. Bislang hatte Kieran sich nie Gedanken darüber gemacht, aber nun fiel ihm auf, dass Faren tatsächlich immer nur langärmelige Kleidung trug, egal bei welchem Wetter. „Diese Narbe habe ich wegen meinem Vater“, erklärte Faren, der plötzlich wesentlich älter klang als sonst. „Er hatte mir, nicht zum ersten Mal, den Arm gebrochen. Diesmal aber derart kompliziert, dass ich nicht um eine Operation herumkam.“ Kieran hatte sich noch nie etwas gebrochen, aber er stellte sich das als äußerst schmerzhaft vor – besonders wenn der eigene Vater, eine Person, die einen eigentlich beschützen sollte, der Täter war. Allein die Vorstellung, Cathan könne ihm etwas Derartiges antun, schien etwas in seinem Inneren sterben lassen zu wollen. „Es erforderte mehrere Nägel, wochenlange Physiotherapie und kostete mich viele Schmerzen, um den Arm endlich wieder bewegen zu können. Weil ich solange trotzdem zum Unterricht musste, wurde ich gezwungen, mit der linken Hand schreiben zu lernen.“ Er ließ den Arm sinken und betrachtete seine linke Hand, fast lag ein gewisser Stolz darin. „So großartig wie ich bin, hat das natürlich funktioniert~.“ Kieran hoffte, er kehre jetzt zu seinem sorglosen Ich zurück, aber stattdessen fuhr er wieder ernst geworden fort: „Das war nur eine der Spitzen in seiner jahrelangen Misshandlung, die aus den nichtigsten Gründen geschehen konnte. Schon wenn ich seiner Ansicht nach falsch gegessen habe, wurde ich verprügelt und an mein Bett gefesselt. Ich musste auf eine Eliteschule gehen, die ich leidenschaftlich gehasst habe, und natürlich wurden von mir nur perfekte Noten erwartet. Wenn ich es wagte, mit einer 2 nach Hause zu kommen, wurde ich wochenlang in mein Zimmer gesperrt, und durfte nur Wasser und Brot zu mir nehmen.“ Das war absolut kein Vergleich zu Cathans Umgang mit Kieran. Auch wenn sie sich stritten, wussten sie beide, dass da immer noch Liebe war, die sie miteinander verband. Bei Faren und seinem Vater war nichts davon zu sehen. Er fragte sich, wie er all das Leid so gut verbergen konnte, dass niemand auch nur im Entferntesten etwas davon ahnte. Oder war Kieran nur nicht aufmerksam genug? Er hoffte, dass das endlich alles war, aber Faren fuhr erneut fort: „Eines Nachts konnte ich fliehen. Danach lebte ich drei Jahre auf der Straße, gemeinsam mit einer Bande von Jugendlichen. Zu denen gehörte auch Lucasta.“ Für einen kurzen Moment nur ging sein Blick schwärmerisch ins Leere, seine Gesichtszüge wurden wieder weich. Selbst für Kieran war diese Mimik eindeutig: Faren hatte sie geliebt. „Mein Vater starb, während ich auf der Straße lebte. Anscheinend infolge eines Verkehrsunfalls.“ Es musste eine wunderbare Erlösung gewesen sein, als diese Nachricht gekommen war. Kieran glaubte sogar, sich an die Berichte über diesen Unfall zu erinnern – allerdings war das Opfer als guter Mensch bezeichnet worden, geliebt von einer ganzen Gemeinde. „Ich habe trotzdem weiter mit Luc auf der Straße gelebt, weil wir frei waren.“ Faren lächelte wieder, er erinnerte sich offenbar an etwas sehr Schönes. „Es war anstrengend, aber uns gefiel das.“ Freiheit mochte den beiden sehr wichtig gewesen sein. Kieran war sich nicht sicher, ob er das nachvollziehen konnte, immerhin war er noch nie wirklich eingesperrt worden – abgesehen von seiner Tätigkeit als Jäger, aber er liebte das Jagen inzwischen, also ließ es sich nicht vergleichen. Faren schien nicht fortfahren zu wollen, machte aber auch sonst nichts weiter. Also blieb es an Kieran, alles voranzutreiben: „Was ist geschehen?“ Heute war das erste Mal, dass er von Lucasta hörte, also musste ihr etwas zugestoßen sein. Er glaubte nicht, dass Faren und sie sich lediglich getrennt hatten, da steckte mit Sicherheit mehr dahinter, sonst wäre sein Verhalten ein anderes. „Eines Tages wurde Lucasta vor meinen Augen von einem Dämon zerfetzt.“ Das war etwas, das Kieran ansatzweise nachvollziehen konnte, eine finstere Erinnerung versuchte, sich ihren Weg in die Freiheit zu erkämpfen, wurde aber rasch wieder von ihm unter Schutt begraben, ehe sie hervorbrechen konnte. „Ein Jäger kam, um mich zu retten, aber für sie war es bereits zu spät.“ Farens Stimme zeugte von Reue und Bitterkeit, nichts von beidem hatte Kieran jemals zuvor bei ihm gehört. „Ich erinnere mich nicht, was danach geschehen ist, ich bin erst im Krankenhaus wieder aufgewacht.“ Ein Jäger. Das musste sein Vater gewesen sein. Kieran glaubte sogar, sich an jene Nacht zu erinnern, in der ein blasser, wortkarger Cathan nach Hause zurückgekommen war und sich bis zum Sonnenaufgang im Bad eingeschlossen hatte. Faren überkreuzte die Arme auf dem Lenkrad und beugte sich vor, bis er mit dem Oberkörper fast darauf lag. „Niemand wollte mir glauben, dass Lucasta von einem Dämon getötet worden war. Weder mein Psychologe, noch meine persönliche Krankenschwester, nicht einmal meine Mutter.“ Nun überraschte es ihn nicht mehr, dass Faren so enthusiastisch gewesen war, als er herausgefunden hatte, dass Kieran Dämonen jagte. Und es erklärte auch, weswegen er sofort damit einverstanden gewesen war, niemandem sonst davon zu erzählen. „Ich dachte mir dann aus, dass sie bei einem Autounfall starb und ich das nur nicht verkraften konnte. Dann ließen sie mich endlich wieder gehen und ich zog bei meiner Mutter ein.“ Faren lachte humorlos, ein leerer, hohler Ton, der sich falsch anhörte. „Ich wollte eigentlich allein wohnen, aber ohne Job, ohne Anspruch auf amtliche Unterstützung und mit dem Aktenvermerk selbstmordgefährdet ist das gar nicht so einfach.“ Kierans Innerstes war durch Eiswasser ersetzt worden. Eine solche Geschichte hätte er hinter Faren niemals erwartet. Nicht einmal ansatzweise. Aber nun wusste er nichts darauf zu sagen. „Vielleicht kannst du dir jetzt vorstellen, wie froh ich gewesen war, als ich endlich einen richtigen Dämon fand – und gleichzeitig einen Jäger, dich. Ich wusste, ich konnte es keinem erzählen, aber es gab mir selbst Seelenfrieden, nachdem ich mich schon selbst davon überzeugt hatte, dass Lucasta ganz anders gestorben war und ich es mir nur einbildete.“ Kieran glaubte, jeden Moment ersticken zu müssen. Für Faren war er also ein Symbol der Wahrheit, deswegen tat er das alles. Aber es war falsch. Kieran hätte es niemals zulassen dürfen. Schließlich wandte Faren ihm den Blick zu. Er wirkte müde, ausgelaugt, seine hellen braunen Augen, die sonst immerzu vor Freude und Charme funkelten, waren leblos. Wie schaffte er es nur, all diese Emotionen vorzuspielen? „Denkst du jetzt immer noch, dass ich keinen Grund hätte, mir Sorgen zu machen?“ Kieran fühlte sich auf unangenehme Art und Weise wieder an den aktuellen Dämon erinnert. Zuvor war er überzeugt gewesen, dass er sich zumindest um seine Freunde, abgesehen von Allegra, keine Sorgen machen musste. Aber nun war da eine Flamme in seinem Inneren angefacht worden, die bitter brannte und deren Rauch aus Reue zu bestehen schien. Er hätte Faren niemals sein Assistent werden lassen dürfen. Um diesem Gefühl zu entgehen und Faren keine Antwort geben zu müssen, öffnete er die Tür. Allerdings hielt er inne, ehe er ausstieg. „Statt mit mir unterwegs zu sein, solltest du dich lieber von mir fernhalten. Ich glaube nicht, dass ich dir guttue.“ Damit verließ er den Wagen, ließ die Tür hinter sich zufallen und bewegte sich mit raschen Schritten davon. Er sah nicht hinter sich, um festzustellen, ob Faren ihm folgte. Aber er hatte bislang noch keine Anstalten gemacht, ihn aufzuhalten und vom Motor war auch nichts zu hören. Als Kieran um eine Ecke bog, sah er, dass der Wagen immer noch dort stand, wo er zuvor gewesen war, Faren sah ihm lediglich hinterher. Gut so. Wenigstens du solltest sicher sein. Wenn es kein Zufall gewesen war, dass gerade dieser Mann in der Nähe von ihm und Seline sich umgebracht hatte, müsste das bedeuten, dass der Dämon einen Plan verfolgte und damit alle in ihrer Nähe in Gefahr waren. Und wenn das bedeutete, dass es sicherer für Faren wäre, wenn Kieran nicht bei ihm war, dann musste er das umsetzen. Außerdem – auch wenn er es sich nur ungern eingestehen wollte – schockierte ihn Farens Geschichte, von der er nicht einmal im Mindesten etwas geahnt hatte, und seine eigene Respektlosigkeit seinem Assistenten gegenüber. Er hätte wissen müssen, dass jeder Mensch seine eigene Last mit sich trug, er hätte nie annehmen dürfen, dass die von Faren derart gering war, dass er sie nicht im Mindesten beachten musste. Er bog in eine weitere Seitengasse ab, um den Weg nach Hause abzukürzen. Dann hörte er, wie Faren seinen Motor startete und der Wagen sich langsam entfernte. Genau wie es sein sollte ... In seinem Inneren spürte Kieran eine eigenartige Mischung aus Zufriedenheit und Trauer, die ihm bereits jetzt schon einen schlechten Schlaf versprach. Kapitel V – Sterben ist gar nicht so schlimm -------------------------------------------- „Fuck!“ Faren war die ganze Heimfahrt über damit beschäftigt, zu fluchen. Da er nun allein fuhr, gab es auch niemanden, der sich daran stören könnte, dass er das tat. Außerdem hatte er, nur um sicherzugehen, die Musik aufgedreht. Die Bässe dröhnten in seinen Ohren, vibrierten durch seinen Körper und ließen sicher den ein oder anderen Bewohner der Häuser, an denen er vorüberfuhr, aus dem Schlaf erwachen. Darum kümmerte er sich aber auch nicht. Warum sollte er auch? Es gab wichtigere Dinge, auf die er sich im Moment konzentrieren musste, wie etwa seinen Zorn. Warum genau er so wütend war, wusste er dabei nicht. Zuerst glaubte er, dass es einfach daran lag, dass Kieran ihn nicht ernstnahm, ja, er bezweifelte sogar, dass Faren ein schlechtes Leben führen könnte. Sicher, das war gleichzeitig ein großes Kompliment an seine Fähigkeit, eine Maske aufzusetzen und sich nichts von dem anmerken zu lassen, was ihn immer noch heimsuchte. Aber es war eben auch ein Geständnis von Kieran, dass er Faren niemals als ebenbürtig betrachten könnte. Doch je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass sein eigentliches Problem darin lag, dass er es gerade geschafft zu haben glaubte, Kieran einigermaßen zu knacken und ihn dann mit dieser Geschichte glattweg wieder verscheucht hatte. Ihm lag etwas an dem anderen, nicht nur weil er ein Jäger und damit indirekt eine Bestätigung für seine Ängste und eine neue Hoffnung war, nein, da war noch mehr. Bis vor kurzem war Kieran für ihn einfach nur ein langweiliger Eigenbrötler gewesen, der jeden anderen auf Abstand zu halten versuchte und auf Berührungen geradewegs allergisch und teilweise sogar mit Gewalt reagierte. Doch seit jener Nacht, in der es ihm möglich gewesen war, Kieran beim Kampf gegen einen wahrhaftigen Dämon zu beobachten, war er interessant geworden – und das eben nicht nur als Kämpfer, sondern auch wegen vielen anderen Gründen. Er redete nicht viel, das stimmte immer noch, und Kieran war auch der Überzeugung, dass er absolut nichts von sich preisgab. Dabei war seine Körpersprache, der er sich offensichtlich nicht bewusst war, so überaus vielsagend, dass Faren ihn inzwischen genau zu kennen glaubte. Und vielleicht war es dieser Glaube, der ihm die Illusion vorgegaukelt hatte, dass auch Kieran ihn so kennen müsste, obwohl dieser eigentlich nicht dazu neigte, Menschen zu beobachten und dementsprechend einschätzen zu können. Nur weil jemand gut darin war, Dämonen einzuschätzen, um ihn sie möglichst effektiv zu bekämpfen, bedeutete das nicht, dass sich das auch auf Menschen umsetzen ließ. Kieran kannte Faren nicht im Mindesten und hatte immer an seinen Vorurteilen ihm gegenüber festgehalten. Genau das hatte der andere erkannt und deswegen war er, vermutlich aus Scham, wenn er ihn richtig einschätzte, geflohen. Ihn zu schützen war in dieser Instanz nur ein Vorwand für Kieran gewesen, sich schnell aus der Affäre zu ziehen – aber womöglich glaubte er auch noch selbst daran, um sich den anderen Grund nicht eingestehen zu müssen. Faren verzog sein Gesicht. Wann immer er all diese Gedanken spann, fiel ihm nur wieder auf, wie viel Zeit er auf der Straße verbracht hatte. Dort war es überlebenswichtig gewesen, Menschen innerhalb kürzester Zeit einschätzen zu können. Verschwendete man nur seine Zeit oder konnte man etwas Geld oder sogar Lebensmittel schnorren? War der angebliche Drogendealer wirklich ein solcher oder doch nur ein Polizist in Zivil? War der nette Kerl, der oft mit einem ins Plaudern kam vielleicht nur ein Freund seines Vaters, der für diesen spionieren sollte? Mit der Zeit hatte Faren einen sechsten Sinn dafür entwickelt, wann einer Person zu vertrauen war und wann nicht. Lediglich Kieran war ihm früher aufgrund seiner Auffälligkeit immer wieder durch die engen Maschen geschlüpft. Inzwischen hatte er ihn durchschaut, erkannt was für ein guter und aufregender Mensch war und hatte eigentlich nichts anderes wollen, als für diesen dasselbe zu sein, damit sie sich ebenbürtig sein könnten – und dann vermasselte er es wegen eines Dämons durch diese Erzählung. Er müsste am nächsten Tag unbedingt mit Kieran noch einmal in Ruhe darüber sprechen. Vielleicht könnte er diese Situation doch noch retten. So tief wie er in Gedanken versunken war, fuhr er vollkommen automatisch – weswegen er die Gestalt auf der Straße erst bemerkte, als sie von seinen Scheinwerfern erfasst wurde. Erschrocken riss er das Steuer herum und trat gleichzeitig auf die Bremse. Mit einem lauten Quietschen schlitterte das Auto zur Seite, zog an der Gestalt vorbei und kam schließlich, ohne jede Kollision, zum Stehen. Faren hielt weiter das Lenkrad umklammert, atmete tief durch, wies sein wie wild schlagendes Herz an, sich zu beruhigen. Die einzige Geräuschquelle war weiterhin seine Musik, die ohne das Dröhnen des Motors plötzlich noch wesentlich lauter zu sein schien und sogar seine Haut zum Vibrieren brachte. Er drehte die Musik ein wenig leiser, als das Kreischen des Sängers einsetzte – und erinnerte sich wieder an die Gestalt. „Oh, fuck ...“ Hastig warf er einen Blick über seine Schulter und entdeckte die Person immer noch auf der Straße stehen. Sie war vollkommen in Schwarz gekleidet, ein Umhang verhüllte ihren Körper, aber immerhin war sie nicht getroffen worden und konnte noch stehen. Dennoch musste er sichergehen, dass es ihr wirklich gut ging. Ein rhythmisches Piepsen erinnerte ihn, kaum hatte er die Fahrertür geöffnet, daran, dass das Licht immer noch an war, aber das interessierte ihn gerade nicht. Mit großen Schritten lief er zu der Gestalt hinüber. „Ist alles okay? Sind Sie verletzt?“ Es erfolgte keine Reaktion, was Farens Frustration des Abends nur ein wenig in die Höhe beförderte. „Was machen Sie denn auch mitten in der Nacht auf der Straße? Das ist echt gefährlich.“ Selbst wenn man in einer so verlassenen Gegend herumstand, in der um diese Zeit sonst niemand mehr unterwegs war. Da immer noch keine Reaktion folgte, schwand Farens Geduld allmählich. „Hey, Mann, bist du Teil einer Sekte oder sowas? Ich hab da echt keinen Nerv dafür.“ Wäre dies ein Horrorfilm und er der Zuschauer, hätte er dem Protagonisten nun geraten, schnellstens in sein Auto zu steigen und die Flucht zu ergreifen. Dummerweise war dies das wahre Leben und er war genervt und zunehmend frustriert, weswegen ihm dieser Gedanke im Moment vollkommen fremd blieb. Er griff nach der Schulter seines Gegenübers. „Das ist jetzt nicht mehr lustig.“ Im selben Moment, in dem seine Hand Kontakt mit dem anderen fand, hob dieser seine eigene und packte damit blitzschnell Farens Unterarm. Erschrocken wollte er zurückweichen, sich losreißen, doch etwas anderes hielt ihn wie elektrisiert an seinem Platz. Vor seinem inneren Auge sah er wieder Lucasta vor sich, doch ihm blieb nur genug Zeit, um sie zu erkennen, dann wurde sie von einem Dämon zu Boden gerissen. Die kräftigen Kiefer schlossen sich um sie, zermalmten mühelos ihre Knochen, das Knirschen fuhr ihm durch Mark und Bein. Während er das untätig beobachten musste, unfähig, einfach die Augen zu schließen, spürte er wieder die Schläge seines Vaters. Er fühlte, wie seine eigenen Knochen brachen, wie seine Glieder taub vor Schmerz wurden, wie ihm das Atmen schwerfiel. Und inmitten all dieser Erinnerungen, die auf ihn einströmten, hörte er plötzlich eine ihm unbekannte Stimme. Eine, die voller Mitleid zu sein versuchte und eigentlich doch vor Hinterlist triefte: „Wäre es nicht besser, gar nicht zu existieren?“ Er wollte sofort vehement widersprechen, aber ihm fehlte die Kraft dafür. Die Schmerzen und Lucastas spritzendes Blut nahmen ihm jede Fähigkeit zu handeln oder auch nur an etwas Positives zu denken. „Sterben ist gar nicht so schlimm“, fuhr die Stimme einschmeichelnd fort. „Man hört einfach nur auf zu existieren.“ Da war etwas Wahres daran. Jeder Mensch stirbt einmal, das wusste Faren natürlich. Also warum, fuhr ihm durch den Kopf, diesen Moment nicht einfach selbst in die Hand nehmen und vorziehen zu einem Zeitpunkt, der einem besser gefiel? Und wann könnte dieser Zeitpunkt besser sein, als am nächsten Tag? Aber dann wäre Kieran wieder ganz allein unterwegs, ohne jemanden, der ihm half. Der Gedanke an den Jäger, seinen Freund, wollte ihm wieder Optimismus einflößen, ihn davon abhalten, auch nur an den Tod zu denken, ungeachtet dessen, was er hier vor sich sah und spüren konnte. „Er wird auch sterben“, erwiderte die Stimme, beinahe hasserfüllt. „Er hat dich allein gelassen. Er nimmt dich nicht ernst. Auf ihn musst du nicht zählen.“ Richtig. Kieran wollte ihn ohnehin nicht als Freund haben. Mit Sicherheit wäre es ihm egal, wenn Faren aufhörte zu existieren. Er bedeutete ihm nichts und deswegen sollte auch Kieran ihm nichts bedeuten. Vergessen waren all seine Überlegungen von vorhin. Kieran war kein guter Mensch, er war überhaupt kein Mensch. Kieran war ein Jäger, etwas, das es gar nicht geben dürfte. Seine Existenz war wider der Natur und würde über kurz oder lang – eher kurz – auch noch enden. Aber vorher könnte er zusehen, wie Faren starb. Unwiderruflich. Vielleicht überdachte die kalte, herzlose Kreatur, die Kieran genannt wurde, ihre Meinung zu ihm dann noch einmal, auch wenn es dann bereits zu spät war. „Ja“, wiederholte er wie in Trance, „es wäre besser, zu sterben.“ Mit diesen Erinnerungen, die ihn belasteten, war leben keine Option mehr. Es wurde Zeit für ihn, loszulassen, endgültig. Die Stimme wirkte zufrieden – obwohl sie nichts mehr sagte, war das zu spüren –, die lebhaften Erinnerungen kehrten in die Tiefen seines Gedächtnisses zurück, aber nicht ohne ihn mit einem leisen Stechen zu verstehen zu geben, dass sie immer noch da waren und bei Bedarf jederzeit an die Oberfläche zurückkehren könnten. Als Faren wieder klar sehen konnte, war die Gestalt verschwunden, seine Hand wieder frei. Nichts hielt ihn mehr davon ab, wieder einzusteigen und nach Hause zu fahren. Alles in seinem Inneren war angenehm ruhig, gelassen, keine seiner Sorgen belastete ihn mehr. Wer ihn hätte sehen können, wäre über das unheimliche Lächeln auf seinem Gesicht, das so ungewöhnlich für ihn war, erstaunt gewesen. Genau wie über seine folgenden Worte: „Morgen ist ein guter Tag zum Sterben.“ Kapitel VI – Das war Farens Idee. --------------------------------- Am nächsten Tag war Samstag und das bedeutete für Kieran, dass er Zeit mit Richard und Aydeen verbrachte. Etwas, das er gern tat, selbst wenn es manchmal anstrengend war – so wie auch an diesem Tag wieder. Aydeen hatte sich mit einem Lächeln im Gesicht an seinem rechten Arm untergehakt, Richard lief mit neutraler Miene links von ihm. Das war beides nicht sonderlich ungewöhnlich, aber er spürte dennoch, dass sein Freund wesentlich verstimmter war, als er eigentlich sein sollte. Am liebsten hätte er sofort mit ihm darüber gesprochen, aber da es wohl an Aydeens Anwesenheit lag, ging das natürlich schlecht. Also versuchte Kieran gute Miene zu machen und folgte dem sanften Zug seiner Freundin, während sie ihn durch die größte Einkaufsstraße von Cherrygrove lotste. Er war nur selten hier und ihm fiel auch sofort wieder auf, weswegen das so war. Viel zu viele Menschen tummelten sich auf der ohnehin schon breiten Straße, die auf beiden Seiten von Geschäften gesäumt war, so dass man Probleme bekam, sich fortzubewegen, wenn man ein wenig schneller als der Hauptstrom laufen wollte. Selbst nachts herrschte hier Betrieb, weswegen Kieran es vorzog, hier nicht zu patrouillieren – und Dämonen vermutlich auch nicht. Boutiquen wechselten sich mit Schuhläden ab, mit trendigen Cafés, vereinzelten Fastfood-Restaurants, großen Elektronikmärkten und auch mit einem einzigen, traurigen Buchladen, in dem gerade die Regale leergeräumt wurden. Es war nicht so, dass die Menschen nicht mehr lasen, nur konsumierten sie ihre Bücher nun lieber nicht mehr auf Papier, sondern in Form eines Mikrochips, der, eingelegt in das passende Gerät, auch gleichzeitig Hintergrundinformationen, Bemerkungen des Autors und gewisse andere Kleinigkeiten liefern konnte. Der Vorteil war, neben diesem Informationsüberfluss, dass die Chips leichter waren und wesentlich weniger Platz wegnahmen. Deswegen mussten die altmodischen richtigen Bücher in diesem Laden ihre bislang angestammten Plätze freimachen. Vor diesem Schaufenster blieb Aydeen stehen und blickte mit einer traurigen Miene hinein. Eine der Verkäuferinnen reinigte gerade ein Regal mit einem Tuch, nachdem ihr Kollege es geräumt und die alten Bücher achtlos in einen Karton neben sich hatte fallenlassen. Neben ihr stand wiederum bereits eine neue Kiste, in der sich die Mikrochips in ihren kompakten Verpackungen befanden. „Was wird aus all den Büchern?“, fragte Richard. Auch wenn er sich nicht für das Lesen interessierte, bemerkte er offenbar doch, dass Aydeen und auch Kieran über diesen Anblick bestürzt waren. Jedenfalls interpretierte Kieran diese Frage als Versuch, sie ein wenig abzulenken. „Ich glaube, sie werden auf einem Flohmarkt verkauft“, sagte Aydeen, ehe ihr Blick auf die unzähligen Kisten in einem anderen Bereich des Ladens fiel. „Oder vielleicht auch alle auf einmal an einen Trödler verkauft, der sie dann nach und nach irgendwie an Sammler weiterverkauft.“ Richard runzelte die Stirn. „Könnte man sie nicht einfach irgendwohin spenden? An Waisenhäuser, zum Beispiel? Ich hab neulich eine Sammlung für ein solches gesehen.“ Auf diesen Gedanken war Kieran noch gar nicht gekommen, aber da stand etwas Entscheidendes dagegen: „Dafür bekämen sie ja kein Geld mehr. Auch wenn man nicht mehr den vollen Preis für alle Bücher bekommt, will man die Verluste minimieren.“ Jedenfalls hatte sein Vorgesetzter im Supermarkt, vor seiner zweiten Schulzeit, so argumentiert, wann immer Kieran von ihm angewiesen worden war, die abgelaufenen Lebensmittel, die noch gut waren, zur Preisreduktion auszuschreiben. Richard nickte verstehend, seine Stirn glättete sich wieder. Im selben Moment zog Aydeen schon erneut an Kierans Arm. „Lass uns weitergehen, bevor wir noch völlig deprimiert sind.“ Diesen Zustand, so war ihm schon öfter aufgefallen, wollte sie mit aller Macht vermeiden. Er fragte nicht, weswegen, sondern tat dann einfach das, was sie wollte. So auch diesmal, indem er seinen Weg fortsetzte. Richard schien immer noch bemüht, das Thema zu wechseln, um seinerseits eine deprimierende Stimmung zu vermeiden: „Kieran, hast du dich gestern Abend wieder mit Faren getroffen?“ Die Erwähnung dieses Namens allein sorgte für einen Stich in Kierans Brust. Ein heißes Gefühl von Reue überschwemmte ihn, als er wieder daran dachte, wie ungerecht er Faren behandelt hatte. Wäre ihm seine Geschichte vorher bekannt gewesen, wäre es nicht soweit gekommen. „Ja. Warum fragst du?“ „Weil ich wissen wollte, ob du eine Ahnung hast, was mit ihm los ist. Heute Morgen war er ein bisschen seltsam.“ Hatte Richard ihn etwa schon gesehen? Aber nein, soweit er wusste, überprüfte Richard regelmäßig jeden Morgen seinen Anibook-Account auf Neuigkeiten. „Mir ist nichts aufgefallen, als wir uns verabschiedet haben.“ Kieran war eigentlich ein schlechter Lügner, aber in diesem Fall wollte auch sein schlechtes Gewissen ihn davor schützen, sich selbst noch einmal zu belasten. „So … na ja, vielleicht wirkt da noch die Trennung von Yuina nach.“ Kieran hatte sie nie getroffen, aber der Name sagte ihm dennoch etwas. Yuina war eine Medizinstudentin, die Faren getroffen hatte, als sie Zuschauer bei einem seiner Fußballspiele gewesen war – und er sich das Handgelenk gebrochen hatte. Offenbar hatte er sich, bei ihrer Erste Hilfe Aktion dann so sehr in sie verliebt, dass sie so lange von ihm um ein Date gebeten worden war, bis sie zugesagt hatte. Danach waren sie zumindest zwei oder drei Wochen ein Paar gewesen. Jedenfalls wenn das mit der Trennung der Wahrheit entsprach. Vielleicht ging es aber auch nur um eine räumliche Trennung. Kieran war nicht sonderlich offen für Tratsch und bekam daher vieles nicht mit, besonders wenn Faren nicht davon erzählte. „Was ist denn mit Yuina?“, hakte er nach. „Weißt du es nicht? Sie war ja nur als Gaststudentin hier und fährt bald in ihr Heimatland zurück. Sie will keine Fernbeziehung und hat sich deswegen von Faren getrennt. Das ist grad mal eine Woche her.“ Es wunderte Kieran, dass Faren das so einfach geschehen ließ. Jemand, der geradezu um ein Date bettelte, hätte doch auch in einer solchen Situation alles daran setzen müssen, diese Beziehung aufrecht zu erhalten. Wofür gab es denn Internet, Telefone und auch Postwege? Aber vielleicht war Faren dann doch nicht wirklich interessiert gewesen. „Schade“, seufzte Aydeen, „die beiden sahen auf den Bildern wie ein schönes Paar aus.“ Sie war ebenfalls Mitglied bei Anibook, also war sie dort mit Sicherheit auch mit Faren befreundet und war so in den Genuss dieser Bilder gekommen. Kieran dagegen wusste nicht einmal wie Yuina aussah, aber es kümmerte ihn auch nicht wirklich. Er wusste, was Faren wirklich beschäftigte und war deswegen froh darum, dass sie einen wesentlich harmloseren Grund dafür annahmen. Er spürte jedenfalls kein Verlangen danach, sie zu korrigieren. „Ah“, entfuhr es Richard plötzlich, „wenn man vom Teufel spricht.“ Vor einer Drogerie blieben die drei wieder stehen – und Kieran sah sich zum ersten Mal seit seinem abrupten Abschied in der Nacht zuvor, mit Faren, der gerade den Laden mit einer Einkaufstüte verließ, konfrontiert. Allerdings machte der andere keinen sonderlich zermürbten Eindruck, eigentlich sah er sogar aus wie immer. Kieran spürte eine Mischung aus Erleichterung – es war schön zu sehen, dass es ihm gut ging – und Ärger – also lag ihm ohnehin nichts an Kieran, wenn er dessen Bruch so schnell verzeihen konnte – darüber. „Hey~“, grüßte Faren sie alle lächelnd, „was führt euch hierher?“ „Schaufensterbummel“, antwortete Aydeen und beäugte seine Tasche. „Und was hast du da?“ Er warf einen kurzen Blick hinunter. „Ach, nur ein paar Kleinigkeiten des täglichen Lebens. Wattestäbchen, Wattepads, Rasierklingen ...“ Kieran zog sofort die Brauen zusammen, aber Faren lachte das weg und strich sich über den kurz-geschnittenen Kinnbart. „Ein schöner Mann muss ja auch was dafür tun, um so zu bleiben.“ Dabei rümpfte er kaum merklich, und nur für einen Sekundenbruchteil, die Nase, so dass Kieran der Überzeugung war, es sich nur eingebildet zu haben. Oder er hatte sich gerade daran erinnert, wie schlecht die Nacht zuvor ausgegangen war. „Was hast du jetzt noch vor?“, fragte Richard. „Hast du nicht Lust, uns zu begleiten?“ Ein Mittel zum Zweck, damit Aydeen ein wenig abgelenkt werden könnte, davon war Kieran überzeugt. Es verwirrte ihn eher, dass er tatsächlich hoffte, dass Faren zustimmte. Doch zu seiner Enttäuschung schüttelte dieser bedauernd mit dem Kopf. „Sorry, ich hab heute noch einiges vor. Und heute ist der beste Tag dafür.“ Er lächelte, wie immer eigentlich, aber etwas daran störte Kieran. Allerdings meldete ihm sein schlechtes Gewissen, dass einzig es dafür verantwortlich war, weil er sich in der Nacht zuvor so unmöglich aufgeführt hatte. Faren sagte bestimmt nur aus Rücksicht den anderen beiden gegenüber in ihrer Gegenwart nichts darüber. „Ach so.“ Richard gab sich wirklich Mühe, nicht enttäuscht zu wirken. „Dann viel Spaß bei, was auch immer du vorhast.“ „Den werde ich haben.“ Damit verabschiedete Faren sich bereits von ihnen, wobei er Kieran einen längeren Blick zuwarf – aber in seinen Augen konnte dieser tatsächlich etwas Wütendes blitzen sehen. Er musste ihn wirklich sehr verletzt haben. Unwillkürlich zog er daher den Kopf ein wenig mehr zwischen seine Schultern, als könne er damit die Angriffsfläche verkleinern. Aydeen, die ihn immerhin als unerschrockenen Dämonenjäger kannte, warf ihm dafür einen irritierten Blick zu. Erst nachdem Faren ihnen den Rücken gekehrt hatte und bereits außer Hörweite war, entspannte Kieran sich wieder. „Was ist denn los?“, fragte Aydeen. Er wich ihrem besorgten Blick aus. „Ach, nichts weiter.“ „Sieht aus, als wäre Faren sauer auf dich.“ Also war es auch Richard aufgefallen. Er musste schon wieder lügen. Vielleicht sollte er einmal herausfinden, ob es irgendwo einen Kurs gab, um zu lernen, wie das leichter vonstatten ging. „Kann sein, dass ich gestern etwas Blödes zu ihm gesagt habe. Du weißt, dass wir beide uns nicht sonderlich gut verstehen.“ Glücklicherweise war schon so gut wie jeder in der Klasse darauf aufmerksam geworden, dass Kieran sich nicht selten genervt von Faren zeigte – was einmal im Latein-Unterricht auch zu einer hitzigen Diskussion um die Übersetzung eines eigentlich simplen Satzes geführt hatte. Der Rest der Klasse war amüsiert gewesen, sogar Faren im Nachhinein, während Kieran selbst eine Woche danach immer noch gekocht hatte. Dabei war es ihm einfach nur ums Prinzip gegangen und er hatte dadurch nichts verloren oder gewonnen. Eigentlich war er damals aber auch noch davon ausgegangen, dass Faren ein dämlicher Idiot sei, der einfach nur zu dumm für seine erste Schule gewesen war und sie darum abgebrochen hatte. Mit seinem neuen Wissen war diese Diskussion damals für ihn noch einmal wesentlich schlimmer. „Eben“, bemerkte Richard, „deswegen wundert mich auch, dass ihr beide plötzlich so viel Zeit miteinander verbringt.“ Dem misstrauischen Blick wich er diesmal nicht aus, sondern erwiderte ihn betont neutral … falls so etwas überhaupt möglich war. „Das war Farens Idee. Er meinte, wir sollten doch versuchen, miteinander auszukommen, wenn wir schon in derselben Freundesgruppe sind. Seitdem drängt er sich mir dauernd auf.“ Das war jedenfalls nicht ganz gelogen, seine Position als Assistent hatte er sich auch nur ertrotzt. Aber das war ja nun auch hinfällig, also sollte Kieran sich keine Gedanken mehr darum machen. Richard musterte ihn noch einen Moment, als könne er so erkennen, ob Kieran log – dieser hoffte, dass sein Freund das nicht könne – dann zuckte er mit den Schultern. „Klingt wirklich nach etwas, das Faren täte. Aber übertreibt es nicht, okay? Bell meinte, er hat einiges hinter sich.“ Also wusste Bellinda zumindest, dass seine Vergangenheit nicht vollkommen unkompliziert verlaufen war. Das hätte sie Kieran ruhig auch mal mitteilen können. „Oh nein.“ Aydeen hielt sich erschrocken eine Hand vor den Mund. „Was ist ihm denn passiert?“ Als Richard mit den Schultern zuckte, fühlte Kieran sich zumindest ein wenig erleichtert. Immerhin war er also nicht der einzige, der nichts Genaues gewusst hatte – nur dass es bei ihm eben bedeutete, gar nichts gewusst zu haben. „Bell wollte nicht mehr ins Detail gehen. Sie sagte nur, dass es große Spannungen in Farens Familie gab und er deswegen lange Zeit nicht zu Hause gewesen war. Mehr hat sie mir nicht erzählt.“ Aber immerhin war es mehr als sie Kieran erzählt hatte. Bei Gelegenheit sollte er sie darauf ansprechen. „Das klingt wirklich furchtbar traurig“, sagte Aydeen, selbst ohne jedes Detail. Immerhin ersparte sie damit Kieran eine Erwiderung, die er auch gar nicht bringen konnte. Besonders da in diesem Moment bereits sein Handy klingelte. Er hoffte, dass es sich dabei um Faren handelte, der ihm eine Chance zur Entschuldigung geben wollte – aber stattdessen war es Seline, mit einer sehr knappen Nachricht: Wir müssen reden. Sofort. Nur mit Mühe gelang es Kieran, sich von Richard und Aydeen loszueisen, und schlussendlich gelang es ihm auch nur indem er ihnen versprach, sich nächste Woche mehr Zeit für sie zu nehmen. Seline erwartete ihn in einem kleinen Café in einem der äußeren Bezirke. Dort war es ruhig und die Kellner desinteressiert genug, dass sich keiner für ihr Gespräch interessierte. Sie waren die einzigen Gäste und die Kellnerin sah Kieran nur einmal kurz, als sie ihm eine Cola brachte, die von Seline bestellt worden war, dann verschwand sie wieder in den hinteren Bereich. „Worüber willst du mit mir sprechen?“, fragte Kieran. „Hast du dir heute schon die Stadtkarte auf deinem Handy angesehen?“ Er schüttelte mit dem Kopf. Erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass sie ihr Handy in der Hand hielt. Es war ein teuer aussehendes Modell, champagnerfarben, mit weißen Swarovski-Kristallen, die, wenn er es richtig sah, eine Blume formten. „In dieser Stadt ist ganz schön wenig los“, sagte sie. „Darum bin ich den ganzen Tag mit der Karte herumgelaufen, um eine Spur des Dämons oder seines nächsten Opfers zu finden.“ Ehe er darauf einging, interessierte ihn noch etwas anderes, besonders da sie es auch nicht eilig zu haben schien: „Sieht das in deiner Stadt anders aus?“ „Ja. In Lanchest gibt es so viele Dämonen, dass sie sogar tagsüber auf den Straßen sind. Da erfordert es einiges an Arbeit, die Dämonenjagd verborgen zu halten. Aber hier ...“ „Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“ „Ein sehr gutes. Das bedeutet, dass es hier einen sehr erfolgreichen Jäger gibt, der die Dämonen einschüchtert.“ Kieran wagte nicht einmal, auch nur daran zu denken, dass er gemeint sein könnte, dafür war er auch noch nicht lange Jäger. Und die meisten Dämonen, denen er bislang begegnet war, schienen nicht sehr beeindruckt von ihm gewesen zu sein. „Das muss mein Vater sein, also Cathan.“ Seline neigte den Kopf. „Ja, ich gehe auch davon aus. Selbst in meiner Stadt hat man schon einiges von ihm gehört. Aber darum ging es mir ja nicht.“ „Worum dann?“ „Du warst heute, kurz vor meiner Nachricht, mit dem Dämon zusammen.“ Er schüttelte automatisch mit dem Kopf. „Das kann nicht sein. Die anderen beiden sind keine Dämonen, dafür lege ich die Hand ins Feuer.“ Auch wenn er zuerst angenommen hatte, dass es sich bei Aydeen um einen Dämon handelte, die ihn nur zu verführen und dann zu töten versuchte. Inzwischen wusste er allerdings sehr genau, dass sie kein Dämon war und Richard genausowenig. Und Faren war ebenfalls keiner. „Dann vielleicht nicht mit dem Dämon selbst, aber mit einem seiner Opfer. Fällt dir da vielleicht einer von deinen Begleitern ein, dessen Vergangenheit schlimm genug wäre, dass sie ihn in den Selbstmord treiben könnte?“ Aydeen konnte er direkt ausschließen, Richard nach kurzem Nachdenken auch – aber dann war da auch noch Faren gewesen. Allein dieser Gedanke ließ Schauer über Kierans Rücken laufen. „Ist das Opfer vielleicht weggegangen, kurz vor oder nach deiner Nachricht?“ „Kurz vorher“, bestätigte sie und damit auch gleichzeitig all seine Ängste. „Warum sitzen wir dann noch hier?“, fragte Kieran, der sich nur noch mit Mühe auf seinem Stuhl halten konnte. „Wir sollten die Person aufsuchen, die das nächste Opfer wird!“ „Denkst du denn, er wird sich so schnell umzubringen versuchen?“ „Er hat sich gerade Rasierklingen gekauft, als wir uns getroffen haben! Deswegen hatte das Opfer gestern auch eine bei sich, er hatte sie kurz zuvor erst gekauft!“ Darum war auch der Begleiterin nichts aufgefallen, genau wie Faren eben, hatte sich das letzte Opfer vollkommen normal verhalten. Selines Ruhe ließ sich auch von seiner steigenden Aufregung nicht unterbrechen. Aber immerhin stand sie endlich auf. „Ich habe dich nicht ohne Grund hierher gerufen … das Opfer ist ganz in der Nähe, wir müssen die alte Lagerhalle nur noch aufsuchen. Und ja, es ist noch am Leben.“ Kaum hörte er diese Worte, sprang Kieran bereits auf, ohne seine Cola auch nur angerührt zu haben, und sprintete in Richtung Tür. All seine Gedanken kreisten nur noch um Faren – und darum, dass er sich unbedingt bei diesem entschuldigen müsste. Aber dafür müsste Faren erst einmal überleben und Kieran würde alles dafür tun, dass das auch geschähe. Kapitel VII – Ich werde diesen Kampf niemals aufgeben! ------------------------------------------------------ Endlich war Leben in Seline gekommen, so dass Kieran, geleitet von ihr, den Weg in die Lagerhalle – ein altes Gebäude mit eingeschlagenen hohen Fensterscheiben im verlassenen Teil des alten Industriegebiets – schnellstmöglich zurücklegen konnte. Selbst einen Zugang fand er mit ihrer Hilfe schnell, so dass er durch eine Halle wanderte, nur geleitet von einem Paar Fußspuren im staubigen Boden, die, so hoffte er, von Faren stammten. Sein Weg führte ihn an einzelnen verlassenen Kisten, leeren Metallregalen, die mit eingetrockneten fragwürdigen Flüssigkeiten beschmiert waren, und zerbrochenen Scheiben vorbei. Manchmal hörte er das leise, empörte Quietschen von Ratten, wenn sie sich tiefer in die Dunkelheit zurückzogen, um dort ihre Ruhe zu haben. Seline war nicht mehr bei ihm, sie hatte eine Strategie entwickelt, die es erforderlich machte, dass sie sich trennten, weil sie dann eingriff, sobald Faren abgelenkt war. Kieran hoffte nur noch, dass ihm das gelänge, besonders nachdem sie gestern derart auseinander gegangen waren und er immerhin unter dem Einfluss des Dämons stand. Die Fußspuren endeten schließlich im Eingangsbereich der Halle. Faren saß dort auf einem vergessenen Tisch, seine Beine schwangen sacht, während er ein leises Lied summte. Er hielt inne, als er bemerkte, dass Kieran nun ebenfalls anwesend war – und lächelte diesen an. „Hey~. Ich dachte nicht, dass du kommen würdest.“ Kieran war so erleichtert, ihn lächeln zu sehen, er hoffte, dass diese ganze Sache mit dem Dämon schon wieder vorbei wäre, dass es Faren gelungen war, sich selbst zu befreien. Aber dann fiel ihm die Rasierklinge in Farens Hand auf. Bislang war noch kein Blut zu sehen, aber das konnte nur eine Frage der Zeit sein, Kieran wurde von Unruhe erfasst. Sollte er hinrennen und ihm die Klinge aus der Hand schlagen, ihn anschreien, so wie er es gerade tun wollte? Oder sollte er lieber möglichst ruhig bleiben, um ihn zu überzeugen, dass er sich nichts antun dürfte? Die Entscheidung fiel ihm unsäglich schwer, er spürte selbst, wie er zu zittern begann, als er ein wenig die Arme hob. „Faren, komm schon, lass das. Ich weiß, dass du das nicht willst.“ Etwas flackerte in den Augen des anderen auf, er verzog das Gesicht. „Woher willst du denn wissen, was ich will? Du kennst mich nicht einmal wirklich.“ Hatte ihn das wirklich derart verletzt? Kieran hatte nicht im Mindesten geahnt, dass er Faren so wichtig geworden war, dass er nicht nur seine Vergangenheit mit ihm teilte, sondern auch derart emotional auf eine Zurückweisung reagierte. Oder verstärkte der Dämon das nur? „Faren, wie ich mich verhalten habe, tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen, sondern dich nur beschützen, indem ich dich nicht mehr unnötig in Gefahr bringe.“ Ein freudloses, amüsiertes Lachen folgte auf diese Worte. „Das hat ja blendend funktioniert.“ Hätte Kieran geahnt, dass er dem Dämon so schnell in die Klauen lief, wäre er nicht einfach ausgestiegen und verschwunden. Aber woher hätte er das bitte wissen sollen? „Ich dachte nicht, dass es so laufen wird“, entschuldigte Kieran sich. „Aber jetzt bin ich da. Du bist nicht mehr allein.“ Faren hob die Hand mit der Rasierklinge, die so klein und unscheinbar war, und drehte sie zwischen seinen Fingern, ohne sich daran zu verletzen. „Du bist wirklich wegen mir gekommen?“ Er musterte Kieran genauer, dieser hoffte, dass er die Schweißtropfen auf seiner Stirn bemerkte, der sich schneller hebende und senkende Brustkorb, Zeichen dafür, dass er sich beeilt hatte. Und hoffentlich interpretierte er sie auch richtig. Tatsächlich ließ er die Klinge wieder ein wenig sinken. „Du bist wegen mir so schnell gekommen.“ Kieran nickte. „Richtig. Ich bin so schnell wie möglich gekommen, um dir zu helfen. Also bitte ...“ Er machte einen Schritt auf Faren zu, worauf dieser sich ruckartig vom Tisch erhob. Er schloss die Hand um die Klinge, nach kurzer Zeit tropfte Blut zwischen seinen Fingern hindurch. Kieran hielt sofort wieder inne. „Du solltest lieber vorsichtig sein, Jäger“, sagte Faren mit einer dunklen Stimme, die nicht die seine zu sein schien. „Dieser Körper ist zerbrechlich. Du willst ihn doch nicht wirklich verlieren.“ Kieran hielt den Blick weiterhin auf seine Hand gerichtet, fast schon in der Erwartung, dass die Klinge durch die Haut stieß. Aber es geschah glücklicherweise nicht. „Ich weiß nicht, wer du bist ...“ Kieran richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Farens Gesicht, seine Augen flackerten noch immer. „Aber ich werde nicht zulassen, dass du ihn endgültig zerstörst. Faren hat das nicht im Mindesten verdient.“ Der andere schmunzelte amüsiert – aber es erlosch sofort wieder, genau wie das Flackern. „Du bist also wegen mir gekommen.“ Es war erneut Faren, immer noch unter dem Einfluss des Dämons, den Kieran in dieser Form nicht bekämpfen konnte. Es erfüllte ihn mit kalter Wut, dass ein Feind es wagen konnte, sich derart hinterrücks um seine gerechte Strafe zu drücken. Sobald er den wahren Dämon erst einmal fand, zog er ihn sofort zur Rechenschaft, er würde keine Ausrede gelten lassen. Nichts entschuldigte die Art und Weise, wie er mit seinen Opfern spielte, ehe er sie wegwarf wie kaputtes Spielzeug. „Natürlich bin ich wegen dir gekommen“, sagte Kieran. „Wir sind doch Freunde. Nichts kann mich davon abhalten, dir zu helfen.“ Es war das erste Mal, dass er es wirklich aussprach. Er kannte Faren seit fast einem Jahr, aber noch nie hatte er sich und den anderen auch nur ansatzweise als Freunde vorstellen können, höchstens als gute Bekannte – und nun ging er soweit. Nicht nur um Faren zu retten, nach diesem Monat, in dem sie jeden Tag mehrere Stunden miteinander verbracht hatten, fühlte er sich wirklich wie ein Freund des anderen. Egal wie genervt er oft auch von ihm war, wie idiotisch Faren auch sein konnte, er wollte ihn und die gemeinsame Zeit nicht verlieren. Deswegen war er nun hier. Und er wollte den Dämon seine Entschlossenheit spüren lassen. Deswegen streckte er die Hand nach ihm aus. Faren sah sie an, schien einen Augenblick lang unschlüssig, wie er damit verfahren sollte – dann rammte er die Rasierklinge in Kierans geöffnete Hand. Scharfer Schmerz zuckte bis in seine Schulter hinauf. Mit einem Schmerzensschrei zuckte Kieran zurück, griff automatisch nach der steckengebliebenen Klinge und zog sie mit einem Ruck wieder heraus. Das Blut tropfte von dem Metall herunter, aber die Wunde begann bereits, sich wieder zu verschließen. Heilkräfte sind wirklich nützlich. Gerade als er Faren darauf hinweisen wollte, dass dieser nun außer Gefahr sein sollte, weil er nun seine Rasierklinge besaß, zog sein Gegenüber bereits eine neue hervor. Kieran fluchte innerlich, da er schon wieder vergessen hatte, dass Faren vorhin eine ganze Packung kaufte. „Kieran, liegt dir auch daran, zu sterben?“ Eigentlich wollte er die Klinge wütend zu Boden werfen und dem Dämon mitteilen, dass er nicht weiter mit ihm spielen könne und er Faren nun befreien wolle, auch wenn er noch nicht wusste, wie das funktionieren sollte. Aber diese Frage ließ ihn geradezu erstarren. „Was?“ Faren nahm die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger und musterte diese, als sei sie ganz besonders faszinierend. „Sterben ist seltsam, oder? Man verschwindet einfach und alles, was man bislang geschafft hat, wird entweder vergessen oder bekommt ein vollkommen anderes Ansehen. Man wird ein Teil der Vergangenheit.“ Es war Farens Stimme, aber Kieran wollte nicht glauben, dass es auch seine eigenen Gedanken, seine Worte, waren. Jemand musste ihm diese einflüstern oder sie zumindest derart angefacht haben, dass sie außer Form geraten waren. „Meinst du nicht, es wäre leichter, direkt zu sterben? Warum sollten wir uns durch ein grausames Leben quälen, wenn der Notausgang doch so deutlich offen steht und nur darauf wartet, dass wir hindurchgehen?“ Da hörte Kieran es auch. Ein Flüstern, von dem er geglaubt hatte, es tief in seiner Jugend in sich eingesperrt zu haben. Und wieder sagte es ihm vor allem eines: Lass es sein. Gib endlich auf. Stirb einfach. Es ist ganz leicht. „Ich wurde von meinem Vater misshandelt“, fuhr Faren fort, „musste mitansehen, wie ein Dämon meine Freundin auffrisst. Und du musst Nacht für Nacht umherziehen, Dämonen bekämpfen, dich verletzen, alle anderen fernhalten. Das ist doch kein Leben.“ Kieran sah das anders, lebte er doch erst wirklich auf, wenn er Dämonen jagte, aber seine Zunge weigerte sich, das in Worte umzusetzen. Die Stimme flüsterte weiter in sein Ohr, gleichzeitig aber auch in seinem Inneren, um ihn ebenfalls vom Sterben zu überzeugen. Etwas, das Kieran nicht akzeptieren konnte. „Deswegen haben wir jetzt gemeinsam die Gelegenheit, zu gehen.“ Faren streckte Kieran seine zerschnittene, blutende Hand entgegen. Es wäre so einfach, sie zu ergreifen, nachzugeben und dem Flüstern zu folgen. Tatsächlich hob er bereits die eigene Hand, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Er konnte das nicht tun. Er durfte nicht. Schon gar nicht, wenn es um Faren ging. Faren, den es nur ein einziges Mal gab, der so viel Lebensfreude besaß, die nicht einfach verloren gehen dürfte. Faren, sein Freund und Partner, der seine Hilfe benötigte, um sein Leben fortzusetzen. Diese Gedanken ließen das Flüstern endgültig verstimmen und verbannten es wieder an einen weit entfernten Ort in seinem Inneren, der hoffentlich nicht mehr so schnell entdeckt wurde. Er schlug Farens Hand unsanft beiseite. „Ich werde diesen Kampf niemals aufgeben! Nicht auf diese Weise! Und du solltest das auch nicht!“ Da sein Gegenüber noch nichts zu erwidern versuchte, ergriff er die Gelegenheit, um direkt weiterzusprechen: „Ich weiß, dass das Leben wirklich schwer sein kann. Aber es lohnt sich. Wenn du durchhältst und es meisterst – und ich weiß, du kannst es – dann wirst du auch dafür belohnt.“ Er zumindest hatte nun Richard und Aydeen, eine Belohnung, die mehr wert war als alles andere. Er war überzeugt, dass es so etwas auch für Faren geben könnte, wenn er nur nicht aufgab. Vielleicht mochte es bislang nicht so ausgesehen haben, aber Kieran wusste, dass eine Belohnung für Faren wartete, irgendwo. Und er war überzeugt, dass Faren das ebenfalls wusste. Dieser runzelte nach der kleinen Rede die Stirn, wirkte sonst aber nicht weiter beeindruckt. „Ist das wirklich deine Antwort?“ „Ist es.“ Kieran nickte noch einmal nachdrücklich. Mit der folgenden Reaktion hatte er allerdings nicht gerechnet. Ohne Vorwarnung sprang Faren ihm entgegen. Kieran war nicht darauf vorbereitet gewesen, stürzte schmerzhaft zu Boden, jeglicher Sauerstoff wurde aus seinen Lungen gepresst. Sein Rücken brannte bei jedem neuen Atemzug, den er benötigte, um wieder kostbare Luft in seinen Körper zu bekommen. Faren positionierte sich auf seinem Unterleib, so dass er unmöglich wieder aufstehen konnte, ohne den anderen nicht mit Gewalt von sich zu stoßen und dabei möglicherweise zu verletzen. Farens Augen waren dunkler,als sie eigentlich waren, jedenfalls glaubte Kieran das, da er sich gerade nicht sicher war, ob er sich da nicht nur irrte. „Wenn du nicht bereit bist, freiwillig zu gehen“, begann Faren mit neutraler Stimme, „werde ich dich eben zwingen, mit mir zu kommen.“ Er hob die Hand mit der Rasierklinge, die aufgrund des Blutes bereits rutschig sein musste, um sie an Kierans Hals zu setzen. Er wartete nicht darauf, dass er das Metall spürte, stattdessen versuchte er, Farens Hand festzuhalten. Es gelang Kieran, ihn am Gelenk zu fassen zu bekommen, was dazu führte, dass sein Angreifer sich für einen Moment nicht bewegte, wohl versuchte, die Situation zu eruieren, um eine neue Strategie zu spinnen. Kieran spürte Farens viel zu schnellen Puls in seinem Handgelenk, er kämpfte gegen den Einfluss des Dämons. Aber es musste schwer sein, besonders für jemanden, der sonst nichts damit zu tun hatte. „Faren, ich weiß, dass du mich hören kannst. Es ist wichtig, dass du diesen Dämon in deinem Inneren bekämpfst, du musst diesen Einfluss wieder loswerden. Das bist nicht du. Der Faren, den ich kenne, würde das nie tun.“ Nach diesen Worten hielt er unwillkürlich den Atem an, während er auf die Reaktion wartete. Faren bewegte sich kein Stück, sah ihn einfach nur mit seinen dunklen Augen an, die sich nicht weiter zu klären begannen. Dann kräuselten sich seine Lippen zu einem Lächeln, das Kieran einen Schauer über den Rücken jagte. „Denkst du wirklich, eine derartige Ansprache könnte dir helfen? Dein Leben ist verwirkt, Jäger!“ Mit einem kraftvollen Ruck riss er sich aus Kierans Griff los, holte wieder aus und wollte die Klinge niedersausen lassen. Kieran überlegte fiebernd, die Gedanken rasten in seinem Kopf, aber alle Lösungen, die ihm einfielen, beinhalteten, dass Faren dabei verletzt wurde, und das wollte er keinesfalls in Kauf nehmen. Seine Augen blieben auf der Rasierklinge, die wie in Zeitlupe auf ihn zukam – und plötzlich verstärkte sich das Gewicht auf seinem Körper noch einmal und Farens wütende Stimme erklang: „Was soll das?! Lass mich los!“ Kieran wandte den Blick wieder von der Klinge ab und entdeckte Seline, die Faren von hinten um den Hals gepackt hatte und gerade versuchte, ihn niederzuringen. Sie mochte eine Jägerin sein und damit eigentlich über mehr Kraft verfügen als er, aber unter dem Einfluss des Dämons und seinem Adrenalin, schien er dennoch ein ernstzunehmender Gegner zu sein. Wenn Kieran ihr und Faren helfen wollte, war das der beste Zeitpunkt. Kierans Lunge protestierte äußerst schmerzhaft, als er sich langsam unter seinem Angreifer herauswand. Er konnte darauf keine Rücksicht nehmen, er musste glauben, dass es nichts Schlimmes war und er sich später Ruhe gönnen könnte. „Du musst ihn festhalten!“, rief Seline ihm zu, während Faren ihr bereits einen Schnitt im Gesicht zufügte; doch dieser heilte noch fast im selben Moment. Kieran reagierte sofort, nahm Faren die ohnehin rutschig gewordene Klinge und die dazugehörige Tüte ab, damit er keine Gefahr mehr darstellte. Das Fauchen des anderen ignorierte er dafür, lauschte lieber dem Klang, als die Klingen sich auf dem Boden verbreiteten. Dann, obwohl seine Lungen immer noch brannten, packte er Faren an den Armen, um ihn nun selbst festzuhalten. Dabei achtete er darauf, dass er ihm nicht auch noch Schmerzen zufügte, obwohl Faren kaum etwas davon zu bemerken schien, da er immer noch wild fauchend um sich zu schlagen versuchte, nur um an der Kraft seiner Gegner zu scheitern. Wie sollte es nun aber weitergehen? Gerade als er bei Seline nachhaken wollte, ließ diese Farens Hals los, griff dafür aber mit beiden Händen an seine Wangen und drehte sein Gesicht zu sich. Das erstaunte ihn so sehr, dass er schlagartig verstummte und sie genauso verwirrt ansah, wie Kieran sich gerade fühlte. „Was tust du?“ Er war sich nicht einmal sicher, wer von ihnen beiden diese Frage gestellt hatte, aber Seline kümmerte sich ohnehin nicht um eine Antwort. Stattdessen näherte sie sich mit ihrem Gesicht dem von Faren – und presste dann ihre Lippen auf seine. Fast hätte Kieran, aufgrund der Überraschung, Faren losgelassen, fasste sich aber in dem Moment wieder, in dem der andere sich reflexartig regte und von seinen Feinden zu lösen versuchte. Sein Griff verfestigte sich, worauf Faren wieder innehielt, sich aber verkrampfte. Wenn das vorbei war, dürfte er zumindest blaue Flecken zurückbehalten, was Kieran jetzt schon ein schlechtes Gewissen bescherte. Aber wenn es nun einmal nicht anders ging … Seline ließ sich davon nicht beirren und hielt den Kuss aufrecht – bis Kieran glaubte, sehen zu können, wie etwas Schwarzes aus Farens Mund hervorkam und in den von Seline überging. Kaum war diese Masse aus ihm verschwunden, erschlafften Farens Gelenke, er löste sich von Seline und sank lautlos in die Knie. Kieran kniete sich neben ihn, damit Faren nicht vollkommen stürzte, sondern sich stattdessen gegen ihn lehnen konnte. Er lebte noch, sein Puls hatte sich wieder normalisiert, aber er war bewusstlos. „Das war wirklich knapp ...“, murmelte Kieran kaum hörbar. „Wehe, du weißt das nicht zu würdigen, wenn du wieder wach wirst.“ Seline stand immer noch, stützte sich aber am Tisch ab und wischte sich über den Mund. Plötzlich wirkte sie nicht mehr erhaben und stark wie noch zuvor, sondern nur noch geschwächt, wenn er ihr blasses Gesicht so betrachtete, besonders während sie ihre zitternde Hand noch immer vor ihren Mund hielt. Sie erwiderte seinen Blick, was in ihm das Bedürfnis weckte, etwas zu sagen, um diese seltsame Situation zu entschärfen. „Also ...“ Er zögerte einen kurzen Moment, aber Farens Gewicht, das gegen seine Schulter drückte, bestärkte ihn darin, dass er wirklich einmal nachfragen sollte. „Was hast du gerade gemacht?“ Sie atmete mehrmals tief ein, dann nahm sie die Hand herunter und hielt sie sich auf den Magen. „Ich habe eine meiner individuellen Fähigkeiten angewendet.“ Was das bedeuten sollte, wusste er auch nicht so recht, aber ihm blieb keine Zeit, nachzuhaken, da sie bereits fortfuhr: „Ich habe ihm die Dunkelheit, von der er wegen des Dämons befallen war, ausgesaugt. Wenn er wieder aufwacht, wird er ganz der Alte sein.“ Kieran atmete auf und sah auf Farens Gesicht hinab, das friedlich und entspannt wirkte, ganz anders als noch zuvor. Er war gerettet, alles wurde wieder gut. Nun musste er nur noch warten. Das sollte ich hinbekommen. Warten bin ich gewohnt. Kapitel VIII – Geht es dir besser? ---------------------------------- Seline hatte sich lange beherrscht, aber irgendwann hatte sie sich wenige Meter weiter hinter ein Regal begeben und übergab sich seitdem dort fast pausenlos. Es gab immer wieder kurze Momente der Stille, in denen nichts geschah, ehe sie dann wieder hustend zu würgen begann. Kieran fragte sich, ob sie überhaupt noch etwas in sich hatte, was sie von sich geben könnte, versuchte sonst aber, sich nicht weiter damit zu beschäftigen. Stattdessen sah er lieber auf Faren hinab, der noch immer nicht bei Bewusstsein war. Er lag auf dem Boden, lediglich seinen Kopf hatte Kieran auf seinen Beinen gebettet. Eigentlich wäre es ihm anders lieber gewesen, aber keiner von ihnen trug eine Jacke, seinen Pullover hatte Kieran nicht ausziehen wollen – so weit ging die Sorge dann doch nicht – aber auf dem Boden hatte er Farens Kopf auch nicht einfach liegenlassen wollen. Die Tüte mit den Rasierklingen lag weit entfernt von ihnen, so dass Kieran sie nicht einmal im Blick behalten konnte, was ihm aber auch lieber so war. Er wollte nicht dauernd daran erinnert werden, was beinahe geschehen wäre. Faren wirkte entspannt, friedlich, geradewegs beneidenswert, wie Kieran fand. Aber immerhin war er nicht mehr davon besessen, sich umzubringen. Selbst die Schnitte, die er sich bereits zugefügt hatte, bluteten nicht mehr. Alles könnte noch gut werden. Hoffentlich weißt du auch zu schätzen, dass ich mein Date dafür früher beendet habe. Und hoffentlich war Richard deswegen nicht allzu wütend. Er sollte sich lieber Gedanken darum machen, wie er das wiedergutmachen könnte. Aydeen störte sich mit Sicherheit nicht daran, immerhin wusste sie von seinem eigentlichen Beruf. Aber vorerst wurde das mit den Überlegungen nichts, denn plötzlich begann Faren sich zu regen und stieß dabei ein leises Seufzen aus. Seine Augen flatterten kurz, dann schlug er sie bereits auf, nur um gleich danach wieder skeptisch zu blinzeln. „Kieran, was … ist los?“ „Geht es dir besser?“, fragte dieser, statt eine Antwort zu geben. „Fühlst du noch immer das Bedürfnis, dir etwas antun zu wollen?“ Das war etwas sehr direkt, aber er machte sich eben Sorgen. Faren sollte das zu schätzen wissen, statt sich darüber zu beklagen – aber offenbar dachte er daran gerade gar nicht. Mit einem leisen Stöhnen griff Faren sich an die Stirn und legte dann seine Hand vor seine Augen. „Ich hatte gehofft, das wäre nur ein Traum gewesen.“ „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.“ Vorsichtig setzte Faren sich aufrecht hin, ohne die Hand herunterzunehmen. Kieran war sich nicht sicher, ob er noch etwas dazu sagen sollte, ob es notwendig war, ihn zu trösten, deswegen schwieg er einfach, sah ihn aber weiterhin an. Schließlich wurde ihm aber wohl bewusst, dass sie nicht allein waren, denn plötzlich nahm er die Hand doch herunter und warf einen Blick über seine Schulter. Von seiner Position aus war aber nichts zu sehen. „Wer ist denn noch hier?“ „Seline. Sie hat dich gerettet.“ Farens Blick ging abrupt wieder zu ihm. „Was? Wie denn das?“ „Sie hat dich geküsst“, antwortete Kieran möglichst tonlos, damit kein falscher Eindruck entstand. „Und das Böse dabei einfach aus dir herausgesaugt.“ So groß wie Farens Augen plötzlich wurden, bereute er bereits, es ihm gesagt zu haben. Es war ein eigenartiges, ihm unbekanntes Gefühl, das ein wenig in seinem Inneren nagte – besonders als Faren dann auch noch ein lautes Wehklagen ausstieß und den Kopf hängen ließ. „Da werde ich mal von so einer gut aussehenden Frau geküsst und ich bekomme davon nicht einmal etwas mit!“ Übertrieben viel Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. Er sah wieder Kieran an. „Meinst du, sie küsst mich noch einmal?“ „Das bezweifle ich stark.“ Seine eigene Stimme war kalt. Ohne Mitleid. Das hatte er sich nicht verdient. Faren raufte sich mit der Hand das Haar, konnte Kieran aber auch damit nicht weiter erweichen. Beim nächsten Mal … nein, da würde er es sich auch nicht zweimal überlegen, ihn zu retten, aber er würde dann erst gar nichts von ihm erwarten, sobald er wieder wach wurde. Während Faren sich noch in seiner Verzweiflung erging, hörte Kieran schließlich Schritte und entdeckte dann Seline, die nicht weit entfernt stand. Sie hielt sich immer noch den Magen, aber es schien ihr besser zu gehen – wenn er davon absah, dass sie viel zu blass war und an ihrem Mundwinkel dunkelrote Flüssigkeit klebte, die ihn sofort an Blut denken ließ. Was geschah mit ihr, wenn sie diese Boshaftigkeit aus einem Opfer saugte? Sie bemerkte seine Blick und wischte sich mit dem Handrücken über ihre Lippen, bis der Schmutz beseitigt war. Dann erhob sie die Stimme: „Da du jetzt wieder wach bist, kannst du uns vielleicht erzählen, was geschehen ist.“ Faren wandte sich ihr auch endlich zu und musterte sie für einen kurzen Moment. Glücklicherweise hielt er sich mit seinen Kommentaren zurück, da er wohl ebenfalls bemerkte, wie schlecht es ihr ging. Wie von ihr verlangt, erzählte er von der Gestalt vor seinem Wagen, von ihrer Berührung, von finsteren Gedanken, die dabei durch seinen Kopf gegangen waren. „Dann war ich überzeugt davon, dass es besser wäre, mich umzubringen“, schloss er die Erzählung ab. „Und deswegen habe ich das alles getan.“ Er hob die Schultern und schaute dabei möglichst unschuldig. Kieran spürte wieder ein Nagen in seinem Inneren, anders als das vorherige, eher schmerzhaft als mit Wut erfüllt. Wenn er nur nicht aus dem Auto ausgestiegen wäre, dann wäre das mit Sicherheit nicht passiert. Er hätte bei Faren bleiben sollen, dann wäre ihm diese Erfahrung erspart geblieben. Seline hatte derweil die Arme verschränkt, eine ihrer Hände stützte ihr Kinn, ihre Brauen waren nachdenklich zusammengezogen. „Das trifft sich mit dem, was die Freundin des letzten Opfers uns erzählte.“ „Und was soll das jetzt bringen?“, fragte Kieran. „Wir haben dadurch immer noch keine richtige Spur, die uns zu dem Dämon selbst führt.“ Seline hob ihr Handy. „Ich habe seine Signatur, das genügt, dass ich über Abteracht herausfinden kann, wo genau er sich nun versteckt.“ „Was genau ist dieses Abteracht denn?“ Obwohl Kieran sich dafür interessierte, war es Faren, der die Frage schlussendlich stellte. Seine Neugier war offenbar ebenfalls geweckt worden. Seline konzentrierte ihren Blick aber auf Kieran. „Das ist die Vereinigung der Dämonenjäger. Kennst du sie denn wirklich nicht?“ Er schüttelte mit dem Kopf. „Aber du verbindest dich doch auch mit dem Server, um zu kämpfen, oder?“ „Ich gehe davon aus.“ Plötzlich fühlte Kieran sich nicht einmal mehr im Mindesten selbstbewusst, sondern eher dumm und naiv, weil er es nie hinterfragt hatte. „Ich mache aber nur das, was mein Vater mir beigebracht hat.“ „Cathan Lane ist ein Mitglied von Abteracht“, bestätigte Seline. „Aber er hat der Jäger-Vereinigung an sich schon lange den Rücken gekehrt. Ich weiß jedoch nicht, weswegen.“ Dann müsste er wohl doch seinen Vater danach fragen. Mit Sicherheit wäre das Kämpfen wesentlich einfacher, wenn sie noch aktive Mitglieder Abterachts wären. Aber andererseits hatte er vielleicht durchaus seine Gründe dafür. Das könnte er jedoch nur in einem persönlichen Gespräch ergründen. „Wenn das hier länger anhält“, fuhr Seline fort, „werde ich dir beibringen, wie du dir das Leben mithilfe des Servers wesentlich einfacher machen kannst. Du kannst, zum Beispiel, Waffen beschwören, statt sie ständig mit dir tragen zu müssen. Dann brauchst du auch Faren nicht mehr.“ Dieser wollte scheinbar gerade empört etwas erwidern, aber Kieran kam ihm zuvor: „Faren macht mehr für mich, als mich und meine Waffen zu transportieren. Selbst mit diesem Trick bräuchte ich ihn noch.“ Aus den Augenwinkeln sah er, wie Faren innehielt und dann sogar zu lächeln begann. „Aber es wäre für uns beide wesentlich sicherer, wenn er nicht mehr die Waffen durch die Gegend fahren müsste.“ Wer wusste schon, ob er nicht doch irgendwann einmal in eine Polizeikontrolle geriet? Kieran wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass Faren Probleme mit dem Gesetz bekam. „Dann zeige ich es dir bei Gelegenheit“, sagte Seline, die sich vermutlich denken konnte, dass Cathan es auch weiterhin nicht täte. „Vorerst konzentriere ich mich aber mit Abterachts Hilfe darauf, Russel zu finden.“ „Was willst du tun, wenn du ihn gefunden hast?“, fragte Kieran. „Etwas Ähnliches, wie ich es mit Faren getan habe.“ Eine reine Feststellung, keine Hoffnung, sie zweifelte nicht daran. „Ich werde ihn von dem Einfluss jedes Dämons befreien, der ihn womöglich unter seine Kontrolle gebracht hat.“ „Ganz allein?“ Das hätte sie doch immerhin nicht einmal bei Faren gerade eben geschafft. Wie sollte es ihr dann bei einem möglicherweise aggressiven Dämonen mit wesentlich mehr Kraft gelingen? Sie legte eine Hand an ihr Kinn. „Das könnte wirklich schwer werden, da gebe ich dir recht.“ Faren klopfte sofort auf Kierans Schulter. „Dann nimm doch ihn hier als den idealen Begleiter. Er ist immerhin auch ein Dämonenjäger. Also könnt ihr einfach zusammenarbeiten.“ Sie musterte Kieran, sagte aber nichts, es sah eher so aus, als müsste sie überlegen, ob sie ihn das wirklich fragen sollte – oder konnte. Und er nahm ihr das auch nicht ab, denn er war sich nicht sicher, ob er an der Seite der erfahreneren Jägerin etwas ausrichten könnte. Vielleicht stand er ihr auch eher im Weg. Und bislang hatten sie auch noch nie ernsthaft miteinander gekämpft – genau genommen hatte Kieran noch nie an der Seite irgendeiner Person gekämpft. Möglicherweise war er für derartige Partnerschaften gar nicht geeignet. Noch während er sich derart kleinredete, wurde er von Selines Stimme wieder unterbrochen: „Würdest du mir denn helfen, Kieran?“ Verblüfft hielt er in seinen Gedanken inne. „Darf ich denn?“ Eine bessere Frage wäre wohl gewesen, ob sie niemand anderen deswegen fragen könnte, aber diese war die erste, die ihm in den Sinn kam und sie beantwortete es mit einem Nicken. „Ich würde mich sogar freuen, wenn du mir helfen könntest. Allein wird es sonst viel zu schwer für mich – und die Wahrscheinlichkeit, dass Russel etwas zustößt, ist mir zu hoch.“ „Verständlich. Melde dich jederzeit bei mir, wenn du eine Spur hast oder sonst noch etwas benötigst.“ Sie nickte und machte dann Anstalten, sich abzuwenden, um wegzugehen. „Hey, soll ich dich heimfahren?“ Farens Frage hielt sie doch noch einmal auf. „Ich hab das Auto in der Nähe stehen.“ Kieran seufzte lautlos und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sagte nichts, hoffte aber, dass Faren seine Signale bemerkte – dessen Aufmerksamkeit war aber gerade vollkommen auf Seline gerichtet. Zu Kierans Erleichterung schüttelte sie mit dem Kopf. „Nein, danke. Ich komme gut allein zurecht.“ Ehe er noch etwas sagen konnte, huschte sie davon, nun offenbar nicht mehr von ihrer vorherigen Übelkeit beeinflusst. Umso besser. Faren seufzte leise, über diese verpasste Chance, was Kierans Aufmerksamkeit wieder auf ihn lenkte. „Schön zu sehen, dass es dir schon wieder gut genug geht, dass du flirten kannst.“ Aus Prinzip blickte er zur Seite, als Faren ihn ansah, aber dennoch entging ihm das Schmunzeln des anderen nicht. „Bist du etwa eifersüchtig, Kieran?“ „Worauf denn?“ Es klang wesentlich patziger als beabsichtigt. Plötzlich spürte er, wie Faren den Arm um seine Schultern legte. „Mach dir keine Sorgen, Kieran. Du bleibst immer mein bester Kumpel.“ „Welche Freude.“ Kieran rollte mit den Augen. Allerdings spürte er, wie sich Wärme in seiner Brust auszubreiten begann, nachdem er das gehört hatte. Es war lange her, seit er das zuletzt gefühlt hatte, glaubte er jedenfalls. Vielleicht war es aber auch noch nie da gewesen. Er war sich einfach nicht sicher. Aber mit Sicherheit würde er das gegenüber Faren auch niemals zugeben, den ging das immerhin gar nichts an. Er löste seinen Arm wieder von Kieran, der ihn seltsamerweise sofort vermisste. „Also, wollen wir dann los? Ich glaube, du hast noch einiges mit deinem Dad zu besprechen.“ „Kannst du in deinem Zustand überhaupt fahren?“ Kieran ließ die Arme wieder sinken und sah Faren endlich richtig an. „Du warst gerade immerhin bewusstlos. Eine ganze Weile sogar.“ „Ach, das wird schon.“ Er winkte desinteressiert ab. „Bis wir beim Auto sind, bin ich schon wieder topfit, ehrlich.“ Dann richtete er sich auf, ging einige Schritte – und begann heftig zu schwanken. Schnell war auch Kieran auf den Beinen, dann neben ihm, damit er ihn stützen könnte. Faren lehnte sich schwer gegen seine Schulter, was aufgrund des Größenunterschieds dafür sorgte, dass er einige Mühe hatte, das Gleichgewicht zu bewahren. „Habe ich es dir nicht gesagt?“ „Schon gut, schon gut“, erwiderte Faren, ohne dabei im Mindesten kleinlaut zu klingen. „Hilfst du mir hier wenigstens raus? Ich würde gern nach Hause und ein wenig schlafen.“ Er könnte ihm draußen einfach ein Taxi rufen und dann selbst nach Hause gehen, um direkt mit seinem Vater zu sprechen. Aber diese Möglichkeit gefiel ihm nicht so wirklich. Schon einmal war Faren ohne ihn an einen Dämon geraten war, noch einmal ließ er das mit Sicherheit nicht mehr zu. „Ich begleite dich nach Hause. Ich will sichergehen, dass du auch gut dort ankommst.“ Kapitel IX – Ist das deine Wohnung? ----------------------------------- Faren wohnte gar nicht weit entfernt von dieser Halle, wie Kieran feststellte, als er zehn Minuten später bereits mit ihm in einem Aufzug stand. Die Fahrt mit dem Taxi war wirklich eine gute Wahl gewesen, denn inzwischen konnte Faren sich kaum noch auf den Beinen halten. Er lehnte mit dem Rücken gegen die Fahrstuhlwand, atmete schwer ein und aus, während Schweißtropfen ihre Spuren auf seinem bleich gewordenen Gesicht hinterließen. Es war … eigenartig, Faren so zu sehen. Kieran konnte nicht sagen, ob es Sorge war oder ein schlechtes Gewissen. Beide Gefühle kannte er zu gut. Aber jenes, das bei dem aktuellen Anblick entstand, war ihm reichlich unbekannt. Es rumorte mit einer erstaunlichen Hitze in seinem Inneren und sorgte dafür, dass ihm viel zu warm war, während er darauf wartete, dass sie die vierte Etage erreichten. Bislang schien der Aufzug dafür aber ewig zu brauchen. Schließlich traten sie aber in den, durch die wenigen Fenster, halbdunklen Gang. Schon nach wenigen Schritten – die bei Faren sehr wackelig gewesen waren – hielten sie wieder an einer Tür. Sie war aus einfachem braunen Holz, so wie alle anderen in diesem Gebäude scheinbar, aber jemand hatte sich die Mühe gemacht, einen Kranz daran anzubringen. Kein weihnachtlicher, sondern ein sehr neutraler, in blau gehalten, mit einem Spruchband, das Willkommen aufgestickt hatte. Kieran zweifelte daran, dass es sich hierbei um Farens Wohnung handelte, doch als dieser endlich seinen Schlüssel aus seiner Tasche gefischt hatte, passte der tatsächlich ins Schloss. Die Tür öffnete sich – und begrüßte die beiden mit einem Geruch, den Kieran absolut nicht mit Faren verbinden konnte. Er war nicht unangenehm, aber auch nicht derart herb, wie es sonst für ihn üblich war. Eigentlich war es mehr der Geruch von Kirschen, weswegen er für einen Moment doch glaubte, dass sie in der falschen Wohnung waren. Doch Faren ging bereits hinein, deswegen folgte Kieran ihm in den dunklen Gang und schloss die Tür hinter sich wieder. Eine an der Wand angebrachte LED-Lichterkette spendete ein wenig trübes Licht, in dem Kieran einige der dort hängenden Bilder erkennen konnte. Sie alle zeigten eine Frau und einen Mann in verschiedenen Stadien ihres Lebens, manchmal auch mit einem kleinen braunhaarigen Jungen, dessen Lächeln nicht ganz so echt wirkte wie das der anderen. Zwischen all diesen Leuten fand er aber auch ein Bild von Faren, der in die Kamera grinste, während er neben einer grauhaarigen Frau stand, die auch schon auf den anderen Fotos zu sehen gewesen war – nur eben in unterschiedlichen Stadien. „Ist das … deine Wohnung?“, fragte er zögernd. Faren war bislang damit beschäftigt gewesen, seinen Schlüssel wieder an den Haken zu hängen. Nachdem es ihm endlich gelungen war, wandte er sich Kieran zu. „Komm, mach dich nicht lächerlich. Als ob ich mir eine Wohnung leisten könnte. Hier wohnt meine Mutter, ich habe nur das Glück, dass ich auch hier leben darf.“ Kieran erinnerte sich wieder an das Gespräch, das sie erst gestern in seinem Auto geführt hatten. Da hatte er bereits erwähnt, dass er bei seiner Mutter eingezogen war, aber er war davon ausgegangen, dass das eine Weile her wäre und Faren sich inzwischen eine eigene Wohnung gesucht hatte. Aber vielleicht ging es ihm immer noch zu schlecht dafür. „Ist sie gerade hier?“, hakte Kieran nach. „Nope. Sie arbeitet als Krankenschwester, da hat sie viel zu tun.“ Er hätte nicht gedacht, dass die Mutter dieses … Nichtsnutz derart sozial war. Andererseits dürfte er auch nicht mehr so negativ von Faren denken. Nicht nachdem sie so gute Freunde geworden waren. Auch wenn es Kieran immer noch eigenartig vorkam, sie beide als solche zu sehen. Statt weiter über derartige Dinge nachzudenken, folgte er Faren durch eine offene Tür, aus dem Raum dahinter war ein blaues Leuchten zu sehen, dessen Quelle er im ersten Moment ignorierte. Mit einem lauten Seufzen ließ Faren sich mit dem Gesicht voran auf ein Bett fallen. Kieran fragte sich allerdings, wie er darin gut schlafen konnte, immerhin stand es lediglich mit dem Kopfende an der Wand, während beide Seiten frei waren. So konnte man sich doch nicht sicher fühlen. Da Faren ihn nicht bat, zu gehen, kam Kieran zu der Entscheidung, dass er sich noch umsehen könnte, wenn er schon hier war. Einfach nur um mehr über ihn herauszufinden, damit er die Ungerechtigkeit, dass Faren ihn so einfach durchschaute, ausgleichen könnte. Über dem Bett befand sich eine rote Lichterkette, die jemand mühevoll dort angebracht haben musste. Im Moment war sie nicht eingeschalten, aber Kieran konnte sich schon denken, für welche Anlässe er sie im Normalfall gebrauchte – besonders als ihm erst einmal auffiel, was sich in einer kleinen Schale auf Farens Nachttisch befand. Über derartige Dinge wollte er allerdings nicht nachdenken und sah sich daher lieber weiter um. An der Wand, an der das Bett stand, hingen verschiedene gerahmte Bilder. Die meisten von ihnen zeigten eine junge Bellinda gemeinsam mit dem braunhaarigen Jungen, den Kieran bereits auf den Fotos im Flur gesehen hatte – und der wohl Faren sein musste. Gemeinsam mit Bellinda sah er aber wesentlich fröhlicher aus als mit seinen Eltern. Daneben war auch ein Bild der ganzen Freundesgruppe, wobei Kieran wie üblich mit gesenktem Blick, nur am Rand, neben Richard, zu sehen war. Wenn er sich selbst so betrachtete, wirkte er wirklich gar nicht wie ein Jäger, seine Tarnung war perfekt. Wesentlich interessanter war ein Foto, dessen Rahmen besonders auffällig mit Glitzer, Herzen und Sternen verziert war, fast schon kitschig. Hinter dem Glas war eine Abfolge von Bildern zu sehen, die aus einem Fotoautomaten stammen mussten. Darauf war eindeutig Faren zu sehen, auch wenn er ein wenig verhärmt aussah, dafür wirkte sein Lächeln wesentlich echter und fröhlicher. Neben ihm war eine junge Frau zu sehen, die nicht weniger fröhlich wirkte, auch wenn sie ebenfalls schon bessere Tage gesehen haben musste. Aber das rote gelockte Haar sah dennoch faszinierend gut gepflegt aus. Kieran musste gar nicht erst fragen, um wen es sich bei dieser Frau handelte, es musste einfach Lucasta sein. Allein schon von ihrem Aussehen und ihrem herzlichen Lächeln auf diesem Bild, glaubte Kieran, zu verstehen, warum Faren sie geliebt hatte. Weil ihm dieser Gedanke unangenehm wurde und wie ein Insekt über seinen Nacken zu kriechen schien, wandte er sich von diesen Bildern ab und sah sich lieber weiter um. Sein Blick fiel auf die blaue Lichtquelle, die sich als Aquarium herausstellte. Es stand auf der anderen Seite des Raumes, an der Wand neben dem Fenster. Im ersten Moment wollte Kieran näher herantreten, aber dann erkannte er, dass sich keine Fische im Inneren befanden, nur Pflanzen, die sich leicht im Wasser wiegten. „Warum sind da keine Fische?“ „Zu viel Arbeit.“ Kieran sah zu Faren hinüber. Er hatte ihm den Kopf halb zugewandt, so dass eine Hälfte seines Gesichts zu sehen war. Selbst in diesem Moment musterte er Kieran noch mit einer erstaunlichen Neugierde, die er trotz der Müdigkeit aufrechterhalten konnte. „Es ist dir zu viel Arbeit, dich um Fische zu kümmern?“ Faren zuckte mit den Schultern. „Ich habe auch nicht so viel Interesse an denen. Ich mag aber das Leuchten und die Pflanzen.“ Gut, das verstand Kieran in gewisser Weise. Außerdem bedeuteten auch Fische Verantwortung und er schätzte Faren, selbst jetzt noch, als jemand ein, der einer solchen nicht gewachsen war. Neben dem Aquarium stand ein brauner Schrank, der offen war. Hemden und Hosen hingen nicht nur von den Regalbrettern herab, statt sauber gefaltet darauf zu liegen, sondern waren auch davor auf dem Boden verstreut, Jacken waren so lose auf ihren Kleiderbügeln befestigt, dass sie fast herunterliefen. Aber der eigentliche Blickfang befand sich auf der Tür des Schrankes. Es war ein Poster mit einem Mann in einer schwarzen Lederjacken und blauen Jeans, der cool schmunzelnd in die Kamera sah. Kieran fragte sich, was ihn mehr verwunderte: Dass Faren das Poster eines Mannes auf einer Schranktür hatte, statt das einer Frau oder dass es sich dabei um jemanden handelte, den sogar Kieran kannte: „Weswegen hast du ein Poster von David Hasselhoff hier?“ „Der Hoff hat Deutschland wiedervereint.“ Keine Spur von Spott oder Ironie. „Jeder sollte ein Poster von ihm in seiner Wohnung haben.“ Kieran wandte den Blick von dem Bild ab und sah Faren wieder an. „Meinst du das ernst?“ „Natürlich. Jeder weiß doch, dass der Geschichtsunterricht in Schulen nur Propaganda ist, deswegen gebe ich da wirklich nicht viel darauf.“ Da er wirklich so wirkte, als wäre ihm das vollkommen ernst, ging Kieran lieber nicht weiter darauf ein. Am Ende wurde daraus nur eine Diskussion, die nur wieder dazu führte, dass er wütend wurde. Also ließ Kieran den Blick weiterwandern, solange Faren weiterhin keinen Einspruch erhob. Gegenüber des Bettes befand sich das Fenster und direkt davor stand ein Tisch, der aber hauptsächlich mit Computer-Zubehör vollstand. Der Bildschirm war aus, daneben standen einige Fachbücher zu den Themen Computer-Probleme oder Websiten-Programmierung – Kieran hatte nicht einmal gewusst, dass Faren sich dafür interessierte. Die Tastatur war so abgenutzt, dass manche Buchstaben schon nicht mehr zu lesen waren, die Maus sah dagegen neu aus. Daneben lag auch noch ein Headset. Lediglich der Computer an sich stand unter dem Tisch, war aber ebenfalls nicht eingeschalten. An der letzten Wand, direkt neben der Tür, hing eine Pinnwand, auf der mehrere Fotos und beschriebene Zettel befestigt waren. Wie Kieran beim Überfliegen feststellte, handelte es sich um Farens Handschrift – die erstaunlich schön aussah, selbst wenn er etwas, wie hier, eilig hingeschmiert hatte. Erst nach dieser Feststellung betrachtete Kieran die Fotos genauer. Überrascht stellte er fest, dass es sich samt und sonders um Dämonen handelte. Sie waren alle verkleidet, trugen normale Menschenkleidung, die sie in den Straßen der Stadt vor allzu neugierigen Blicken verbergen sollten. Kapuzenpullover, Handschuhe, dicke Winterjacken, alles, um auch ja nicht aufzufallen. Nur der Kamera gelang es, Momente einzufangen, in denen man sehen konnte, worum es sich wirklich handelte. Im einfallenden Licht glänzende Schuppen, unter einer Kapuze hervorlugende leuchtende Augen und von innen heraus glühende Schluchten auf der Haut, das alles war nur zu erkennen, weil die Kamera genau im richtigen Moment betätigt worden war. Die Zettel daneben beschrieben jeweils, woher genau das Foto stammte, in welche Ecke der Stadt Faren sich verirrt hatte. Einige der Bilder zeigten auch lediglich die zurückgelassene Kleidung, nicht selten mit Verbrennungsspuren, die von einem Kampf herrührten. Einerseits wirkten diese Bilder wie Kunst, andererseits waren sie deprimierend, deswegen wandte er sich lieber davon ab und sah wieder Faren an. „Du hast dir wirklich viel Arbeit damit gemacht“, bemerkte Kieran, dabei deutete er mit dem Daumen über seine Schulter. Inzwischen hatte Faren sich auf den Rücken gedreht, er sah ebenfalls auf die Fotos. „Hm, eigentlich gar nicht so viel wie es aussieht. Ich kann das aber schwer einschätzen, weil ich selten auf die Uhr gesehen habe, wenn ich unterwegs war, um zu fotografieren.“ Er klang dabei so dermaßen nüchtern, dass der Anschein erweckt wurde, er wäre auf einer Safari gewesen, mit ähnlich hohem Risiko für Leib und Leben. „Die meisten Bilder entstanden mit einem guten Objektiv, damit ich aus der Ferne fotografieren kann. Nur das eine, das ich von dir gemacht habe, entstand mit meinem Handy. Ich habe nämlich gar nicht erwartet, in der Nacht was zu finden und war nur zufällig in der Gegend.“ Das Bild von jener Nacht konnte Kieran nicht an der Pinnwand finden, aber Faren erahnte wohl seine Gedanken: „Natürlich habe ich das nicht aufgehängt. Man weiß ja nie, wer hier alles herumspioniert, da muss ja niemand wissen, dass du die jagst.“ Das war wirklich ein guter Gedanke von ihm. Er war wohl doch umsichtiger als Kieran es ihm zugestehen wollte. Da es sonst nichts mehr anzusehen gab und er das Gesehene erst einmal verarbeiten wollte, beschloss er, dass es wohl besser wäre, erst einmal nach Hause zu gehen. Immerhin war es sicher keine gute Idee, hier zu lange zu bleiben. Am Ende lockte er nur irgendetwas an – oder Richard erfuhr davon und kam auf falsche Gedanken. Das wollte Kieran lieber vermeiden. „Kann ich dich jetzt allein lassen? Brauchst du noch irgendetwas?“ Faren winkte ab. „Ich komme klar, solange ich zu Hause bin. Danke, dass du mich hergebracht hast. Ohne dich hätte das wahrscheinlich echt unglücklich geendet.“ Kieran zweifelte daran, dass Faren es überhaupt bis zu seinem eigenen Wagen geschafft hätte, sprach es aber nicht aus. Stattdessen trat er näher ans Bett und reichte Faren die Hand, worauf dieser sofort einschlug. „Melde dich, wenn etwas ist“, bat Kieran. „Ich komme dann, um dir zu helfen.“ Der Anflug eines Lächelns erschien auf Farens Gesicht. „In Ordnung. Aber das gilt auch für dich. Wenn du Probleme mit irgendwas Menschlichem hast, meld dich.“ Dann verließ Kieran die Wohnung, mit dem Aufzug fuhr er wieder nach unten und versuchte, sich wieder ein wenig zu beruhigen. Faren ging es gut. Er hatte bis zum Ende normal mit ihm gesprochen, es gab keinen dämonischen Einfluss mehr in seinem Inneren. Alles war wieder normal. Doch gerade als er das dachte, spürte er die Vibration seines Handys in seiner Tasche. Während er es herauszog, hoffte er, dass es nur eine vollkommen harmlose Nachricht war und es nicht zu Toten gekommen war, während er sich mit Faren beschäftigt hatte. Es war eine Mitteilung von Seline – und sie erhellte seine Stimmung schlagartig: Ich habe Russels Versteck gefunden. Wir treffen uns morgen um 19 Uhr am C-TV Fernsehstudio. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)