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Imperativ

Kontrolle über deine Sinne.
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen wunderschönen guten Tag ihr Lieben,

da bin ich schon wieder und hab das erste richtige Kapitel im Gepäck. Hatte ja angekündigt, dass die Updates unregelmäßig kommen würden. ;) An dieser Stelle nochmal vielen Dank an alle, die den Prolog gelesen, favorisiert oder sogar kommentiert haben! Die Story läuft so langsam an und ich bin sehr gespannt auf eure Vermutungen, würde mich also wahnsinnig freuen von euch zu hören. Viel Spaß mit dem ersten Kapitel und

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen wunderschönen guten Tag ihr Lieben,
ich freue mich sehr, dass ihr wieder mit dabei seid. An dieser Stelle auch nochmal ein dickes Dankeschön an alle Leser und ganz besonders für die lieben Reviews und Favoriteneinträge. Ich hoffe sehr, dass euch die Story auch weiterhin gefallen wird und wünsche euch viel Spaß mit dem neuen Kapitel. Ich würde mich wahnsinnig freuen, anschließend von euch zu hören! :)
Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen wunderschönen guten Tag ihr Lieben,
diesmal hat es ein bisschen länger gedauert, ich hoffe das ist nicht allzu schlimm. Jedenfalls vielen Dank an alle fürs Lesen, Favorisieren und vor allem auch Kommentieren. Das bestärkt mich auf jeden Fall darin, die Idee weiterzuverfolgen. Ich bin sehr gespannt, was ihr von diesem Kapitel haltet. Lasst mir also gerne anschließend eure Meinung da, ich würde mich sehr freuen. :)
Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen

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Prolog

- Prolog -

 

Wie ein schwarzer todbringender Engel wanderte er erhobenen Hauptes die Treppenstufen hinunter und würdigte niemanden um sich herum auch nur eines Blickes. Das schwarze Haar war vorne etwas länger und verdeckte teilweise sein Gesicht, sodass Sakura von der Seite nur seine unglaublich gerade und perfekte Nase und die schmalen, fein geschwungenen Lippen sehen konnte. Seine Haut war ungewöhnlich blass, was im starken Kontrast zu den dunklen Haaren stand und ihm irgendwie eine gewisse Eleganz verlieh. Auch sein Kleidungsstil war elegant, gleichzeitig jedoch irgendwie rebellisch. Eine fast schon paradoxe Kombination, die sie so bisher noch nie gesehen hatte.

 

„Schau ihn nicht  an!“

 

Inos Stimme war ein eindringliches Zischen. Ein Zischen, das mehr als nur deutlich machte, dass Sakura besser daran getan hätte, ihrem Befehl Folge zu leisten. Ein Zischen, bei dem jeder andere sofort winselnd wie ein getretener Welpe den Schwanz eingezogen hätte. Ein Zischen, das im Grunde genommen keinerlei Widerspruch duldete. Doch Sakura konnte nicht anders. Sie musste ihn anstarren.

 

In dem Moment, in dem er den Vorlesungssaal betreten hatte, hatte sich schlagartig die Stimmung im Raum geändert. Sie konnte nicht beschreiben, woran sie das festmachte, aber ihre beste Freundin Ino schien nicht die einzige zu sein, die irgendwie seltsam auf den jungen Mann reagierte. Es war still. Fast schon drückend still. Und das obwohl sich die Studenten noch vor wenigen Sekunden angeregt tuschelnd unterhalten hatten. Immerhin war der Professor noch nicht da und es handelte sich um die erste Vorlesung im neuen Semester. Das bedeutete, dass sich die meisten lange nicht mehr gesehen und dementsprechend viel zu erzählen hatten. Auch Ino gehörte zu diesen Personen. Normalerweise redete sie ohne Punkt und Komma. Doch als er den Raum betreten hatte, waren schlagartig alle verstummt und fixierten plötzlich unruhig das noch unbesetzte Pult am vorderen Ende des Vorlesungssaals.

 

Sie konnte wirklich nicht nachvollziehen, was hier gerade vor sich ging, aber das lag vielleicht daran, dass es sich für sie nur um einen Wahlkurs handelte, den sie Ino zuliebe im Rahmen der allgemeinen Schlüsselqualifikationen belegt hatte. Vielleicht war er ein düsterer Künstler und das ganze hier irgend so ein verkapptes Künstlerding, das sie nicht verstand, weil sie nun mal eigentlich BWL studierte. Jeder hier, abgesehen von ihr, schien diesen Kerl zu kennen und auf irgendeine seltsame Art und Weise auch ein wenig zu fürchten.

 

Als die massive Holztür hinter ihm krachend ins Schloss fiel, zuckten einige erschrocken zusammen.  Der Unbekannte blieb davon jedoch gänzlich unbeeindruckt. Mehr noch, er schien überhaupt nicht zu registrieren, dass sich seine Kommilitonen in seiner Gegenwart plötzlich so seltsam verhielten oder ließ es sich zumindest nicht anmerken. Er bemerkte weder ihre angespannten Gesichter, noch ihre flüchtigen Blicke oder den plötzlich angehaltenen Atem in dem Moment, indem sie ihn erkannt hatten. In aller Seelenruhe bewegte er sich die flachen Stufen hinunter, die Hände in den Hosentaschen und den Blick nach vorne gerichtet.

 

Ein stechender Schmerz ließ Sakura zusammenfahren, als Ino sie plötzlich fest am Unterarm packte hatte und so ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

 

„Au, spinnst du?“

 

Sakura hatte ein bisschen lauter gesprochen als beabsichtigt und falls es überhaupt möglich war, wurde es plötzlich noch stiller als zuvor. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Sie spürte seinen Blick noch bevor sie vorsichtig ihren Kopf zur Seite drehte. Er bohrte sich förmlich in ihren Rücken und löste dabei eiskalte Schauer aus. Als sie ihn dann erwiderte, sah sie in ein paar dunkler durchdringender Augen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so tiefdunkle Augen gesehen. Seine Miene erschien ihr kalt und gleichgültig, so als würde alles um ihn herum einfach an ihm abprallen. Gleichzeitig hatte sie jedoch das Gefühl, als könnte er in ihrem Gesicht alles ablesen. Jede Emotion, jeden einzelnen Gedanken, der ihr in den Kopf geschossen war, seit er den Raum betreten hatte.

 

Sie spürte, wie er sie kurz musterte. Der Schauer verstärkte sich und sie wollte so schnell wie möglich, wieder den Blick abwenden, doch es ging nicht. Es fühlte sich so an, als wäre sie festgefroren, als gäbe es eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen, die nur er trennen konnte. Sie konnte nichts weiter tun, als in sein wunderschönes Gesicht zu sehen und dabei möglichst nicht zu vergessen zu atmen. Inos Hand krallte sich derweilen immer noch in ihren Unterarm.

 

Seine Aura nahm ganz und gar Besitz von ihr. Er strahlte eine gewisse Überlegenheit aus, verbunden mit einer gehörige Portion Arroganz. Am intensivsten aber spürte sie den alarmierenden Hauch von Gefahr, der ihn umgab und plötzlich konnte sie verstehen, warum sich alle in seiner Gegenwart so seltsam verhielten. Ein beunruhigendes Funkeln flackerte für den Bruchteil einer Sekunde in seinen dunklen Augen auf. Ihr Herz begann schneller zu schlagen und erzeugte so ein leicht drückendes Gefühl im Brustkorb. Dann war der Moment auch schon wieder vorbei. Er wandte den Blick ab.

 

Es hatte sich nur um Sekunden gehandelt, doch Sakura war es vorgekommen wie Minuten. Sofort strömte wieder Sauerstoff in ihre Lunge und erst da wurde ihr bewusst, dass sie unwillkürlich doch die Luft angehalten hatte. Sie beobachtete, wie er an ihrer Reihe vorbei ging und schließlich in einer der vorderen Reihen Platz nahm, die so gut wie nie belegt waren, da man dort ähnlich wie im Kino, den Kopf überstrecken musste, um etwas sehen zu können. Ein lautes Klackern ertönte, als er seine Umhängetasche auf dem Sitz neben sich platzierte und es war wie ein Signal für ihre Kommilitonen, die sofort wieder zu ihren Gesprächen zurückkehrten, als wäre nie etwas gewesen.

 

„Wer ist das?“, hauchte Sakura.

 

Zu ihrer Schande musste sie feststellen, dass ihre Stimme dabei tatsächlich ein bisschen zitterte. Der Kerl hatte sie komplett aus dem Konzept gebracht. Ino schnaufte leise und warf dann einen prüfenden Blick nach vorne, wie um sicherzugehen, dass er auch ja nichts von ihrem Gespräch mitbekam.

 

„Sasuke. Sasuke Uchiha. Und du solltest ihm wirklich besser aus dem Weg gehen.“

 

Sie klang unheimlich nervös und ihre Hand, mit der sie ihren Kugelschreiber umschloss war so verkrampft, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Gerade wollte Sakura erneut den Mund öffnen, um sie zu fragen, was genau sie damit meinte, doch als sie Inos beinahe schon verzweifelten Gesichtsausdruck bemerkte, beschloss sie die Frage auf später zu verschieben.

 

Sasuke Uchiha. Warum wurde er von allen so gefürchtet?

-1-

 

Es waren bereits drei Wochen vergangen seit Sakura Sasuke zum ersten Mal gesehen hatte und seitdem war er auch nicht mehr in den Vorlesungen aufgetaucht. Sakura erwischte sich immer wieder dabei, wie sie unauffällig aus den Augenwinkeln in Richtung Tür linste, sobald jemand den Saal betrat und dann fast schon enttäuscht seufzte, wenn sie das Gesicht eines ihrer anderen Kommilitonen erkannte. Obwohl sie Sasuke irgendwie gruselig fand, wollte sie ihn unbedingt noch einmal sehen, und wenn auch nur, um sich überzeugen, dass er kein Hirngespinst von ihr gewesen war. Je mehr Tage vergingen, desto mehr fühlte sich die Begegnung wie ein Traum an, so als hätte sie nie stattgefunden, irgendwie surreal. Und jedes Mal, wenn sie Ino auf das Thema ansprach, wurde sie sofort geblockt.

 

Auch heute hoffte sie insgeheim wieder darauf, ihn zu sehen. Der Kurs hatte drei Wochen Zeit gehabt für ein Projekt, das nun fällig wurde, was bedeutete, dass alle ihr Werk im Büro des Dozenten abgeben mussten. Auch Sasuke. Sakura hatte sich die große Mappe unter den Arm geklemmt und war damit so schnell sie konnte aus dem Vorlesungssaal gestürmt, wo sie bis eben noch einen Vortrag über Markenwerte gehört hatte. Ino hatte ihr Plakat bereits gestern und somit vor der Deadline abgegeben. Sie würde also alleine gehen müssen. Wenn sie etwas Glück hatte, erwischte sie noch den Bus.

 

Das Wasser spritze leicht zu beiden Seiten unter ihren Füßen weg, als sie über den klitschnassen Asphalt lief. So gut es ging, versuchte sie die Mappe vor dem Regen zu schützen, indem sie sich ihre Jacke bis zur Hälfte über den Kopf stülpte. Wahrscheinlich sah sie unglaublich lächerlich damit aus, doch sie konnte nicht riskieren, dass ihre Arbeit nass wurde. Immerhin hatte sie wirklich lange dafür gebraucht. Die Büros der Dozenten befanden sich ganz am anderen Ende des Campus, weswegen sie es auch möglichst vermeiden wollte, zu Fuß gehen zu müssen. An einem schönen warmen Sommertag konnte das durchaus recht angenehm sein, aber bei diesem trüben und regnerischen Herbstwetter war es einfach nur eine Tortur.

 

Sie kam gerade noch rechtzeitig und quetsche sich in den überfüllten Bus. Keiner der Studenten schien heute besonders scharf darauf zu sein, die paar Meter über das Campusgelände zu laufen. Nach ihr sprang noch ein junger Mann mit strohblondem Haar durch die sich bereits schließenden Türen und sie zischte ärgerlich, als er bei seinem unvorsichtigen Manöver mit dem Ellbogen gegen ihre Mappe stieß. Wenn sie die Arbeit endlich heil abgegeben hatte, würde sie wirklich drei Kreuze machen. Genervt schloss sie die Augen.

 

Die Fahrt dauerte glücklicherweise nicht allzu lange und als sich die Türen mit einem gemächlichen Zischen öffneten, war sie eine der ersten, die von der ungeduldigen Schaar nach draußen gedrängt wurde. Sofort zog sie sich wieder die Jacke über den Kopf und steuerte mit großen, zügigen Schritten auf das Bürogebäude auf der anderen Seite der Straße zu. Hinter sich hörte sie, wie sich der Bus schwerfällig wieder in Bewegung setzte. Geschafft. Mit der freien Hand, die nicht die Mappe fest umklammerte, drückte sie die große Glastür auf, die in das Gebäude führte und wollte schon erleichtert aufatmen.

 

Doch in dem Moment, wo sie den ersten Schritt ins Trockene machte, wurde sie von hinten förmlich überrannt. Der Unbekannte hatte wohl die oberste Treppenstufe übersehen und war dadurch in Sakura hineingestolpert. Da Sakura nicht mit diesem Stoß gerechnet hatte, ruderte sie beinahe reflexartig wild mit den Armen, um ihr Gleichgewicht beizubehalten, was ihr auch einigermaßen gelang. Allerdings konnte sie nicht verhindern, dass dabei die Mappe mit ihrer Arbeit zu Boden fiel, woraufhin sich sämtliche Entwürfe quer über das graumelierte Linoleum verteilten.

 

„Verdammt“, fluchte sie ungehalten.

 

Am liebsten wollte sie den Idioten, der sie beinahe umgerannt hatte, anspringen und ihn die gesamte schlechte Laune spüren lassen, die sich über den Tag verteilt bei ihr angestaut hatte. Wahrscheinlich hatte er es auch eilig gehabt, endlich ins Trockene zu kommen. Dennoch hätte er ruhig ein bisschen besser aufpassen können.

 

„Wow“, ertönte es plötzlich gedehnt hinter ihr. „Das sieht großartig aus.“

 

Es war eine männliche Stimme, wenngleich sie auch nicht besonders tief war. Die Anerkennung ließ sich dennoch deutlich heraushören. Sakura fuhr herum und blickte direkt in ein Paar strahlend blauer Augen, die sie fröhlich anleuchteten. Das Gesicht des jungen Mannes kam ihr bekannt vor – es war der Blonde aus dem Bus, der ihre Arbeit schon einmal in Mitleidenschaft gezogen hatte. Sie verengte wütend die Augen zu Schlitzen, wovon er sich jedoch keineswegs einschüchtern ließ.

 

„Hast du das gemacht?“, fragte er stattdessen beeindruckt.

 

Sakura schnaubte.

 

„Denkst du, ich trage das zum Spaß mit mir rum?“

 

Wieder einmal erwies der Typ sich als äußerst resistent gegenüber ihrer unfreundlichen Art oder aber er schien ihren Ärger gar nicht erst zu bemerken. Er ging in die Knie und begann die einzelnen Blätter behutsam wieder einzusammeln, wobei er immer mal wieder inne hielt und betrachtend den Kopf zur Seite legte.

 

„Das sieht echt klasse aus“, betonte er noch einmal. „Oh man, tut mir voll Leid, dass ich dich so über den Haufen gerannt habe! Ich wollte einfach nur schnell ins Trockene. Hoffentlich habe ich nichts kaputt gemacht?“

 

Zum ersten Mal blitzte so etwas wie Schuldbewusstsein in seinem Gesicht auf und er sah Sakura von unten herauf aus großen Augen an. Sie wusste nicht wirklich, was sie von diesem Kerl halten sollte, doch es fiel ihr schwer, ihm weiterhin böse zu sein. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass er möglicherweise nicht ganz unfreiwillig in sie hineingelaufen war. So selten doof konnte sich nun wirklich niemand anstellen. Er hätte sie ja zumindest warnen können, aber es kam ihr fast so vor, als hätte er es darauf angelegt.

 

„Das hoffe ich auch.“

 

Mit grimmiger Miene nahm sie die Blätter entgegen, die er ihr hinhielt und bückte sich dann nach der Mappe. Prüfend betrachtete sie die einzelnen Seiten und ließ sich dafür bei der finalen Version besonders viel Zeit. Immerhin wollte sie diese noch abgeben und jeder Knick oder Schmierer konnte eine Notenstufe schlechter bedeuten. Der Boden hier war nicht gerade das, was sie als klinisch sauber bezeichnen würde. Überall befanden sich nasse Schuhabdrücke von Studenten, die genau wie sie aus dem Regen hier rein gekommen waren.

 

„Sieht gut aus“, stellte sie dann jedoch fest.

 

Der Fremde atmete hörbar erleichtert aus.

 

„Im Ernst, das hätte ich mir niemals verziehen“, beteuerte er. „Studierst du Kunst oder sowas?“

 

Sakura verzog ein wenig das Gesicht. Eigentlich hatte sie gerade wirklich keine Lust darauf, sich weiter mit diesem ungeschickten Typen zu unterhalten. Allerdings musste sie auch zugeben, dass es ihr schon ein wenig schmeichelte, dass ihm ihre Entwürfe so zu gefallen schienen. Normalerweise fühlte sie sich als einzige BWL-Studentin all den anderen in ihrem Kurs deutlich unterlegen. Allein ein einziger Blick auf Inos Arbeit hatte ausgereicht, um ihrem Ego einen erheblichen Dämpfer zu verleihen. Dass der Fremde sie nun so lobte, war wie Musik in ihren Ohren.

 

„Ich habe den Kurs als Wahlfach belegt“, erklärte Sakura schließlich zurückhaltend. „Eigentlich studiere ich BWL.“

 

„BWL?“, wiederholte der Blonde ungläubig. „Das geht ja in eine ganz andere Richtung. Dabei hast du doch ganz offensichtlich ein künstlerisches Talent!“

 

Sakura spürte wie ihre Wangen einen sanften Rotton annahmen und gegen ihren Willen war sie erneut geschmeichelt. Gleichzeitig jedoch wurde sie zunehmend misstrauischer. Entweder dieser Kerl hatte ein wirklich schlechtes Gewissen, weil er sie so umgerannt hatte oder aber das hier war gerade ein ziemlich billiger Versuch, sie anzumachen. Auf jeden Fall sollte sie sich keinesfalls weiter von ihm einwickeln lassen.

 

„Äh, ja danke“, sagte sie schnell. „Aber ich muss dann jetzt auch mal weiter, meine Mappe abgeben und so.“

 

Ihre Arbeit hielt sie nun fest in beiden Händen, damit ihr auf dem Weg zum Büro ihres Dozenten nicht noch ein Missgeschick passieren konnte. Für heute war definitiv schon genug schief gegangen.

 

„Verrätst du mir noch deinen Namen?“, der Fremde blinzelte sie frech an und ein breites Grinsen zog sich von einem Mundwinkel zum anderen.

 

Mittlerweile war sie fast sicher, dass er versuchte, sie anzumachen. Auf eine ziemlich plumpe Art und Weise. Trotzdem verriet sie ihm ihren Namen. Es war vermutlich einfacher, jetzt keine Diskussion mit ihm zu beginnen und sie hatte nicht gerade den Eindruck, dass er sich leicht abschütteln lassen würde.

 

„He cool, Sakura – Das passt zu deinen rosa Haaren! Ich bin Naruto“, stellte er sich seinerseits vor, wobei er immer noch grinste, als würde er gerade verkünden, dass Weihnachten dieses Jahr vorverlegt wurde.

 

„Gut Naruto, ich muss jetzt aber wirklich los“, erinnerte sie ihn erneut. „Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“

 

Sakura drehte sich um und Naruto hob ein letztes Mal die Hand zum Gruß, während sie auf das Treppenhaus zusteuerte. Würde sie nicht genau spüren, dass er sie noch immer mit seinen Blicken verfolgte, hätte sie jetzt vermutlich den Kopf geschüttelt. Was für ein komischer Kauz.

 

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend erklomm sie die Treppe in den zweiten Stock. Während sie sich dem Büro näherte, spürte sie, wie ihr Herz begann immer schneller zu schlagen. Meistens war es ihr mehr als unangenehm, mit einem der Dozenten alleine zu sein, insbesondere, wenn sie eigentlich aus einem anderen Studiengang stammte und somit gänzlich unbekannt war. Außerdem musste sie plötzlich an Sasuke Uchiha denken. Was, wenn er auch gerade dort war, um seine Arbeit abzugeben? Die Chancen standen gar nicht mal so schlecht.

 

Nervös klopfte sie und wurde kurz darauf auch schon hereingebeten. Überraschenderweise erkannte der Dozent sie sofort wieder und wusste sogar, dass sie seinen Kurs als Wahlkurs belegte. Er versprach, das bei seiner Bewertung mit zu berücksichtigen und nahm ihre Arbeit entgegen. Sein geschulter Blick wanderte neugierig über das Plakat und er nickte kurz anerkennend. Dann bedankte er sich bei Sakura und unterschrieb ihr eine Bestätigung dafür, dass sie die Prüfungsleistung im angegebenen Zeitraum vorgelegt hatte. Während er damit beschäftigt war, das entsprechende Formular herauszusuchen, ließ Sakura ihren Blick neugierig durch das Büro gleiten. Dabei konnte sie einen Blick auf die Plakate einiger ihrer Kommilitonen erhaschen, die auf einem Regal im hinteren Teil des Büros lagen. Auch Inos Arbeit war dabei.

 

Wieder fragte sie sich, ob Sasuke sein Werk schon abgegeben hatte. Irgendwie erwartete sie, dass es aus dem Stapel herausstechen würde, auf welche Art und Weise auch immer und vermutete deshalb, dass er noch nicht zur Abgabe erschienen war. Am liebsten hätte sie ihren Dozenten danach gefragt, doch sie hatte keinen vertretbaren Grund dafür und so versuchte sie einfach nur die Zeit hinauszuzögern, bis sie das Büro wieder verlassen musste. Vielleicht tauchte er ja noch auf.

Nachdem sie in aller Ruhe ihre Sachen zusammengepackt und dem Dozenten noch ein paar Fragen bezüglich der Verbuchung der Punkte für den Kurs gestellt hatte, kehrte sie dann aber doch wieder zurück ins Treppenhaus. Schließlich wollte sie sich nicht lächerlich machen. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass Naruto immer noch im Foyer stand. Hatte er etwa auf sie gewartet?

 

Bisher hatte er Sakura noch nicht bemerkt und war stattdessen in ein Telefongespräch vertieft. Seine Miene wirkte ernst, deutlich ernster als während ihres Gespräches vor wenigen Minuten und er redete eindringlich auf seinen Gesprächspartner ein. Dabei nickte er immer wieder mit dem Kopf und schimpfte ab und zu mit unterdrückter Stimme, so als müsse er sich Mühe geben, sich zusammenzureißen.

 

„… er ist aber nicht mehr hier. Schau es dir wenigstens mal an.“

 

Als er sie schließlich bemerkte, entspannten sich seine Gesichtszüge schlagartig und er zeigte wieder sein gewohntes Grinsen. Mit ein paar knappen Worten, die Sakura nicht verstehen konnte, wimmelte er seinen Gesprächspartner ab und kam dann auf sie zu. Etwas unschlüssig blieb sie in der Mitte des Foyers stehen, denn eigentlich hatte sie keine Lust, sich erneut mit Naruto zu unterhalten. Andererseits bot es ihr jedoch einen guten Vorwand, um noch eine Weile zu warten, ob Sasuke nicht doch noch auftauchen würde.

 

„Hey Sakura, wie ist es gelaufen?“, rief Naruto gutgelaunt.

 

Sakura war erstaunt darüber, wie schnell seine Laune umschwenken konnte. Gerade noch hatte er ziemlich verärgert gewirkt und so als hätte er keine Lust auf eine großartige Diskussion gehabt. Jetzt plötzlich strahlte er wie die Sonne höchstpersönlich und wollte sie offenbar erneut in ein Gespräch verwickeln. Obwohl sie sich erst vor wenigen Minuten kennengerlernt hatten, vermittelte Naruto jetzt schon den Eindruck, als würden sie sich ewig kennen. Zumindest für Außenstehende musste es aufgrund seines Verhaltens so aussehen.

 

„Alles gut“, antwortete sie knapp und hielt ihm demonstrativ das Formular unter die Nase.

 

Er nickte zufrieden und verschränkte dann in einer ausladenden Geste die Arme hinter dem Kopf.

 

„Also“, begann er vorsichtig. „Wenn du dann jetzt nicht mehr so ganz unter Stress stehst, hast du ja vielleicht kurz Zeit für mich?“

 

Also hatte sie mit ihrer Vermutung doch Recht gehabt. Naruto hatte die Aktion möglicherweise sogar von Anfang an geplant und wollte sich einfach nur an sie ranmachen. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn er seine Komplimente ernst gemeint hätte. Sofort verhärteten sich ihre Gesichtszüge.

 

„Naruto, nimm es mir nicht übel, aber ich habe wirklich keine besonders große Lust, mit dir Zeit zu verbringen. Eigentlich möchte ich jetzt einfach nur nach Hause.“

 

Für einen Moment lang flackerte das fröhliche Strahlen auf seinem Gesicht und Sakura realisierte, dass ihre Aussage ihn wohl tatsächlich verletzt hatte. Allerdings war er so hartnäckig, dass sie mit reiner Höflichkeit wohl nicht weit gekommen wäre und eigentlich kannte sie ihn ja auch noch gar nicht. Zudem war sie noch immer wütend darüber, dass er ihre Entwürfe auf den Boden befördert hatte. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann hatte Naruto sich wieder gefangen.

 

„Falls du denkst, das soll eine billige Anmache sein – darum geht es mir gar nicht“, beschwor er. „Also nicht, dass du nicht hübsch bist und toll aussiehst und eigentlich bist du auch voll mein Typ und ich würde dich vermutlich anmachen, wenn ich nicht vorher in dich reingerannt wäre…“

 

„Naruto“, unterbrach Sakura ihn ungeduldig. „Komm auf den Punkt.“

 

Die Hoffnung, dass Sasuke noch auftauchen würde, hatte sie mittlerweile irgendwie aufgegeben und selbst wenn, sollte er sie unter keinen Umständen im Gespräch mit diesem Idioten sehen. Wenn sie eines gelernt hatte, dann dass man besser nicht Sasukes Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte. Und das würde Naruto definitiv. Er war laut. Penetrant. Und fast schon überpräsent.

 

„Ein guter Freund von mir ist gerade dabei, ähm… eine Firma zu gründen“, fuhr Naruto beinahe unbeeindruckt fort. „Momentan ist er auf der Suche nach einem geeigneten Logo, aber er ist da irgendwie sehr… kritisch. Ich denke, dass ihm dein Stil möglicherweise gefallen könnte und ich würde dir gerne ein Angebot machen.“

 

Sakura zog überrascht die Augenbrauen nach oben.

 

„Ein Angebot?“

 

-2-

 

Schon von weitem konnte sie sehen, wie er ungeduldig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte und dabei immer wieder den Blick über den großen Platz schweifen ließ. Es war Samstag, weswegen heute nicht allzu viele Studenten unterwegs waren, sodass er sich leicht einen Überblick verschaffen konnte. Die Türen des Busses öffneten sich und Sakura stieg mit gemischten Gefühlen die wenigen Treppenstufen hinauf, die zum Vorplatz der Bibliothek führten. Noch immer wusste sie nicht, ob es eine gute Idee gewesen war, sich auf Narutos Angebot einzulassen. Vielleicht sollte sie doch lieber einfach umdrehen. Noch hatte sie die Gelegenheit dazu.

 

„Hey Sakura!“, Naruto winkte ihr energisch zu, als er sie entdeckt hatte, und es hätte nicht mehr viel gefehlt und er wäre auf der Stelle auf und ab gehüpft.

 

Wieder einmal hätte sie am liebsten die Augen verdreht, doch sie empfand es als respektlos ihm gegenüber und unterdrückte den Drang. Stattdessen hob sie kurz die Hand zum Gruß und rang sich ein flüchtiges Lächeln ab. Naruto störte sich jedoch nicht an ihrem zurückhaltenden Verhalten und schien vielmehr fast schon erleichtert darüber, dass sie überhaupt aufgetaucht war. Wenn man mal ehrlich war, überraschte sie das selbst.

 

Als Naruto ihr vorgeschlagen hatte, das Logo für die Firma seines Freundes zu entwerfen, hatte sie das zunächst für einen Scherz gehalten. Oder aber eine Ausrede, um zu verbergen, dass er wirklich einfach ein Idiot war. Kein Wunder also, dass sie dementsprechend sein Angebot abgelehnt hatte, woraufhin er fast schon in Panik ausgebrochen war und alles versucht hatte, um sie doch noch zu überzeugen, es wenigstens einmal zu probieren. Er war der festen Überzeugung, dass sie die Einzige war, die für die Aufgabe in Frage kam. Sakura fühlte sich fast schon verarscht von ihm und war kurz davor, ihn empört und mit einem weniger freundlichen Kommentar abzuwimmeln, als er schließlich die Sache mit den fünfhundert Euro erwähnte.

 

Narutos Freund war bereit, ihr fünfhundert Euro dafür zu bezahlen, dass sie ihm ein paar Entwürfe vorlegte. Sie, die noch nicht einmal Kunst oder Kommunikationsdesign studierte, sondern einfach nur langweiliges BWL. Aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive heraus, war das eine wirklich dumme Investition, ein viel zu großes Risiko, das sich im Endeffekt höchstwahrscheinlich nicht lohnen würde. Der Freund musste ein noch größerer Idiot sein, als Naruto selbst. Aus Sakuras Perspektive war es ein willkommener Bonus zum Beginn des Semesters, den sie – wenn sie ehrlich war – wirklich gut gebrauchen konnte, nachdem sie erst vor wenigen Tagen einen ganzen Haufen neuer Bücher angeschafft hatte. Und dann war da auch noch der Semesterbeitrag.

 

Nachdem sie sich einen Moment für Smalltalk genommen hatten, hielt Naruto Sakura freudestrahlend die Tür zur Bibliothek auf und bedeutete ihr einzutreten. Aufgrund der Tatsache, dass Sakura sich bereits um einige Minuten verspätet hatte, wollte er wohl möglichst keine Zeit mehr verlieren. Er hatte mit seinem Freund ausgemacht, dass sie sich in der Bibliothek der Uni treffen würde, wo man sich als Student stundenweise abgetrennte Arbeitsräume mieten konnte. Von Naruto wusste sie bereits, dass sein Freund wohl auch noch studierte.

 

„Tasche und Jacke musst du leider hier lassen“, Naruto deutete auf die Reihen mit Schließfächern, die sich direkt rechts neben dem Eingang befanden.

 

Die Bibliothek war in mehrere Bereiche unterteilt. Im unteren Geschoss befanden sich mehrere Reihen mit Computern, die von jedem benutzt werden konnten, genauso wie verschiedene Kopierer und einige Tische zum Arbeiten. Meistens war dieser Teil der Bibliothek gut besucht und auch heute erfüllte mal wieder ein gleichmäßiges Murmeln den großen Raum. Im hintersten Bereich befand sich das Café, das ebenfalls zur Uni-Bibliothek gehörte. Hier unten konnte man sich jederzeit ohne Probleme aufhalten und auch unterhalten, ohne dass es jemanden störte.

 

Wollte man jedoch in den Bereich mit den Büchern, der sich im oberen Geschoss der Bibliothek befand, musste man zunächst seine Jacke und sämtliche Taschen ablegen, bevor man dann die Schranke passieren und die große Wendeltreppe nach oben nehmen durfte. Hier ruhte der Schatz der Universität. Die vielen wertvollen Bücher waren auch der Grund dafür, warum man die Räume nur mit einer durchsichtigen Plastiktüte betreten durfte. Da sich der gemietete Arbeitsraum in diesem Stockwerk befand, mussten sie vorher ihre Sachen wegschließen.

 

Sakura zog den Block mit ihren Entwürfen aus ihrer Tasche und verstaute ihn in einer der Plastiktüten, die man direkt am Eingang bekam. Dann ließ sie die Tür ihres Schließfachs mit einem lauten Scheppern zufallen. Naruto tat es ihr nach und ging dann mit großen zügigen Schritten auf die große Treppe zu. Sakura konnte nichts dagegen tun, dass sich seine hibbelige Art langsam auch auf sie übertrug und in Form von unterdrückter Nervosität ihre Haut zum Kribbeln brachte. Dabei gab es für sie überhaupt keinen Grund, nervös zu sein. Sie würde dem Typen einfach ihre Entwürfe vorlegen, sich das Geld nehmen und wieder nach Hause fahren, wo sie sich etwas zu essen machen würde.

 

Im oberen Stockwerk der Bibliothek war es schon deutlich ruhiger. Dumpf legte sich die Stille über die engen Gänge und der dunkle, bereits plattgetretene Teppichboden schluckte zusätzlich jedes Geräusch, das ihre Schritte machten. Ein paar Gesichter hoben sich aus den Büchern, als sie an den Regalen vorbeiliefen und sahen ihnen neugierig hinterher. Naruto ignorierte die Beobachter und ließ seinen Blick aufmerksam über die verschiedenen Raumnummern gleiten. Dabei zählte er leise mit, bis sie schließlich bei der neun angekommen waren. Ohne zu zögern schlug er mit den Fingerknöcheln mehrmals gegen das dunkle Holz.

 

Schritte näherten sich und dann wurde die Tür unsanft aufgerissen.

 

„Man, wird aber auch Zeit“, ertönte eine leicht schnarrende Stimme.

 

Als Naruto vor ihr den Raum betrat, gab er den Blick frei auf einen jungen Mann, der etwa in ihrem Alter war. Er war groß, relativ schmal gebaut und hatte längeres Haar, das offenbar gefärbt – oder vielmehr entfärbt – worden war. Es war schlohweiß und verlieh ihm irgendwie ein künstliches, fast schon futuristisches Aussehen. Insgesamt musste Sakura sagen, dass er schon jetzt mit seinem schiefen Grinsen irgendwie seltsam auf sie wirkte und doch genau in die Kategorie Leute passte, mit der Naruto wohl normalerweise seine Zeit verbringen würde. Er wirkte mindestens genauso hibbelig wie der Blonde, was daran liegen mochte, dass er eine Dose von irgendeinem billigen Energy-Drink in der Hand hielt.

 

„Ach, halt’s Maul Suigetsu“, winkte Naruto ab und schob den anderen ungeduldig beiseite. „Qualität hat eben ihre Zeit.“

 

„Ihren Preis, meinst du“, korrigierte Suigetsu besserwisserisch und sie hätte schwören können, dass seine Eckzähne deutlich hervorstachen, als er seine Lippen zu einem frechen Grinsen verzog.

 

Naruto stieß ihm unsanft seinen Ellbogen in die Seite und warf ihm wütende Blicke zu. Es schien ihm nicht zu passen, dass Suigetsu ihn vor Sakura so zurechtgewiesen hatte.

 

„Du kannst mich mal“, grummelte er.

 

Suigetsu holte plusterte beleidigt die Wangen auf und ging einen Schritt auf Naruto zu, um ihn am Kragen zu packen.

 

„Es reicht ihr beiden.“

 

Die Stimme kam plötzlich. Schneidend. Kalt. So kal  dass es Sakura mit einem Mal fröstelte und sie bereits bereute, dass sie ihre Jacke unten im Schließfach gelassen hatte und nur noch eine dünne Strickjacke trug. Seine Stimme legte sich wie eine zweite Haut über ihren ganzen Körper und machte ihr das Atmen schwer. Vermittelte den unwiderstehlichen Drang unterwürfig den Kopf zu senken. Ein Befehl, ruhig gesprochen und doch mit so viel Nachdruck, dass sie es kaum noch wagte, sich zu bewegen.

 

Bisher hatte sie nicht bemerkt, dass sich noch weitere Personen im Raum befanden, da Naruto und Suigetsu ihr die Sicht versperrten. Jetzt traten beide wie auf ein unsichtbares Kommando hin beiseite, wobei sie versuchten, möglichst viel Abstand zwischen sich zu bringen. Noch immer warfen sie sich aufgebrachte Blicke zu und Naruto hatte wütend die Hände zu Fäusten geballt. Offenbar war es nicht besonders schwer, ihn auf die Palme zu bringen.

 

Sakuras Blick jedoch wurde von der Person angezogen, deren Stimme sie so aus dem Konzept gebracht hatte. Als sie ihn

schließlich erkannte, weiteten sich ihre Augen kurz vor Schreck und sie vergaß erneut zu atmen. Sasuke erwiderte ihren Blick ruhig. Bestimmend. Fast hatte sie das Gefühl, dass er sie damit festhielt, ihr jegliche Bewegung unmöglich machte.

 

„Ihr seid zu spät“, sagte er ruhig.

 

Es klang mehr wie eine Feststellung als wie ein Vorwurf und doch ließ er absolut keinen Zweifel daran, dass er es nicht tolerieren würde. Sofort senkte Sakura den Blick und biss sich fest auf die Zunge, während sie hörte, wie das Blut in ihren Ohren rauschte. Die Schläge ihres Herzens waren stockend, krampfhaft, so als müsste es sich abmühen, einen normalen Rhythmus beizubehalten. Die Situation hier überforderte sie.

 

Eigentlich hatte sie vorgehabt, die Sache schnell hinter sich zu bringen. Sie hatte damit gerechnet, Narutos idiotischen Freund zu treffen, ihm die Entwürfe zu übergeben und danach schnell abzuhauen. Das Ganze abzuhaken. Kein großes Thema. Ein kleiner Nebenjob eben, wenn auch ein gut bezahlter. Und nun war er hier. Sasuke Uchiha.

 

Sakura erinnerte sich nur zu deutlich an die Worte ihrer besten Freundin Ino. Du solltest ihm wirklich besser aus dem Weg gehen. Aber wie hätte sie auch ahnen sollen, dass ausgerechnet jemand wie Naruto in engerem Kontakt zu diesem Sasuke stand? Die beiden waren wie Tag und Nacht, wie Sonne und Mond, wie schwarz und weiß. Sie konnte sich wirklich nicht vorstellen, was diese beiden miteinander zu tun haben sollten. Hatte sie Naruto möglicherweise falsch eingeschätzt?

 

„Sakura“, Sasukes Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

 

Er kannte ihren Namen. Also war er wohl wirklich der Freund, von dem Naruto gesprochen hatte. Allerdings ergab das alles keinen Sinn. Immerhin studierte er selbst genau wie Ino Kommunikationsdesign und sollte dementsprechend sehr wohl in der Lage sein, ein lächerliches Logo zu entwickeln. Die Vorlage die Naruto ihr gegeben hatte, war nun wirklich keine Herausforderung. Ein stilisierter Fächer in den Farben rot und weiß. Sie sollte daraus etwas machen, ohne zu sehr vom Corporate Design der Firma abzuweichen. Das hätte er ohne Probleme auch selbst geschafft, daran zweifelte sie keine Sekunde.

 

„Deine Entwürfe?“, fragte er und sah sie dabei durchdringend an.

 

Seine Hand hatte er ihr dezent aber fordernd entgegengestreckt. Wie in Trance bewegte Sakura sich auf ihn zu und öffnete mit einem knisternden Geräusch die Plastiktüte, in der sich ihr Zeichenblock befand. Ihre Hände zitterten leicht, als sie ihm den Block übergab. Seine langen schmalen Finger legten sich fest um das Papier. Nun bereute sie es doch, dass sie sich nicht mehr Mühe gegeben hatte und am liebsten hätte sie sich auf dem Absatz umgedreht und wäre davon gelaufen.

 

Sasuke lehnte sich lässig mit dem Rücken gegen den Tisch, der die gesamte Mitte des Raumes einnahm und begann zu blättern. In dem Moment wo er seinen Blick abwandte, sog Sakura befreit die Luft ein. Es war als hätte man einen dicken Knoten in ihrer Brust gelöst. Sie traute sich nun auch, sich in dem kleinen Raum umzusehen und bemerkte, dass noch eine vierte Person anwesend war. Es handelte sich um einen großen, stämmigen Kerl mit rötlichem Haar, der sich für seine Statur jedoch äußerst unauffällig bewegte und bisher noch keinen Mucks gemacht hatte. Stattdessen beobachtete er alles, was in diesem Zimmer geschah aufmerksam und schien jederzeit bereit einzugreifen. In was auch immer.

 

Eine ganze Weile lang sagte Sasuke nichts und blätterte stumm weiter, während seine Augen prüfend über Sakuras Entwürfe glitten. Mit jeder Sekunde die verstrich, wurde sie wieder zunehmend nervöser und wartete nur noch darauf, dass sie endlich wieder verschwinden konnte. Selbst die fünfhundert Euro waren ihr mittlerweile egal, wenn sie so aus seinem Einflussbereich gelangen konnte. Ihre Hände fühlten sich mittlerweile eiskalt an und eine Gänsehaut zog sich unter den Ärmeln der Strickjacke über ihre Arme. Diese Ansammlung von Menschen machte sie nervös.

 

Naruto, bei dem sie mehr und mehr das Gefühl bekam, dass sie sich in ihm grundlegend getäuscht hatte. Suigetsu, der ihr so einen seltsamen, fast schadenfrohen Blick zuwarf, der ihr den Eindruck vermittelte, dass er etwas wusste, was ihr ganz und gar nicht gefallen würde. Dieser augenscheinlich stumme Hüne, der sie allein durch seine Präsenz schon einschüchterte. Und dann natürlich Sasuke, dessen dunkle Aura für sie so überwältigend war, dass sie Schwierigkeiten hatte in seiner Gegenwart normal zu atmen. Jetzt war es zu spät.

 

„Wie lange hast du dafür gebraucht?“, Sasuke wandte seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu.

 

Obwohl er ihr eine Frage stellte, klang er nicht besonders interessiert. Sakura biss sich auf die Unterlippe. Sie konnte ihm ja schlecht verraten, dass sie sich erst vor zwei Tagen daran gesetzt hatte, weil sie zuvor einfach viel zu sehr mit ihrem eigenen Studium zu tun gehabt hatte.

 

„So circa zwei Wochen“, antwortete sie zögerlich und war dabei selbst erstaunt darüber, wie wackelig ihre eigene Stimme klang.

 

„Unsauber“, antwortete Sasuke schlicht. „Wenn du dafür wirklich zwei Wochen gebraucht hast, möchte ich nicht wissen, wie du den Kurs bestehen willst.“

 

Seine Worte waren wie Peitschenhiebe und doch verzog er dabei keine Miene. Sein Gesicht blieb absolut kühl und ausdruckslos, mit einer Spur Arroganz. Sakura konnte nicht verhindern, dass es in ihrem Bauch anfing zu brodeln. Unbewusst hatte er so etwas wie ihren wunden Punkt getroffen, indem er ihre Minderwertigkeitskomplexe in Bezug auf den Kurs noch weiter anschürte.

 

„Ich hab nicht zwei Wochen lang nur an den Entwürfen gearbeitet“, warf sie ihm patzig entgegen. „Ich hab auch noch sowas wie ein Leben und wie du vielleicht weißt, hab ich diesen Kurs freiwillig belegt.“

 

Sasuke schnaubte.

 

„Das ändert nichts an der Tatsache, dass du unsauber arbeitest. Deine Linien sind wackelig und du kriegst es nicht mal hin, sie halbwegs gleichmäßig aussehen zu lassen. Aber was soll man schon von jemandem erwarten, der BWL studiert.“

 

Diesmal gab er sich keinerlei Mühe mehr, seine Arroganz zu überspielen und seine Stimme triefte nur so vor Überheblichkeit. Am liebsten hätte Sakura sich auf ihn gestürzt und ihm den selbstgefälligen Ausdruck aus dem Gesicht geprügelt. Im Allgemeinen konnte sie sehr gut mit Kritik umgehen, insbesondere wenn es sich um konstruktive Kritik handelte, aber in diesem Fall hatte sie das Gefühl, dass er ihr schlicht und ergreifend eins reinwürgen wollte.

 

„Warum hast du dir dann nicht einfach selber ein Logo entworfen und stattdessen die Zeit von jemandem verschwendet, der BWL studiert?“, äffte sie ihn nach.

 

Noch während sie sprach, begann sie sich zu fragen, woher er das überhaupt wusste. Wieviel hatte Naruto ihm von ihr erzählt?

 

„Das lass mal meine Sorge sein“, in Sasukes Augen flackerte für den Bruchteil einer Sekunde ein dunkles Feuer auf.

 

Man konnte deutlich spüren, dass es ihm nicht passte, wie Sakura mit ihm redete. Wahrscheinlich war er es nicht gewohnt, dass ihm jemand so offen die Stirn bot, und auch Sakura wusste nicht, woher sie diesen Mut nahm. Vermutlich wurde er aus der Wut gespeist, die er in ihr entfacht hatte. Wenn sie wütend war, verhielt sie sich oftmals leichtsinnig und tat Dinge, vor denen sie normalerweise zurückgeschreckt wäre. Wie Sasuke Uchiha die Stirn bieten, vor dem Ino sie gewarnt hatte und mit dem ganz offensichtlich etwas nicht stimmte. Allerdings war sie jetzt schon mal in Fahrt gekommen.

 

„Was ist überhaupt dein Problem?!“, fauchte sie. „Wenn dir meine Entwürfe nicht gefallen, dann gib sie mir zurück und ich geh wieder.“

 

Ganz deutlich konnte sie spüren, wie die Stimmung im Raum kippte. Der Hüne spannte die Schultern an und presste die Kieferknochen fest aufeinander, als müsste er sich mühsam beherrschen. Suigetsu warf immer wieder ängstliche Blicke in Sasukes Richtung und war fast unmerklich in eine leicht geduckte Haltung verfallen und falls es überhaupt noch möglich war, wirkte Naruto noch hibbeliger als sonst. Die ganze Zeit über hatte er sich zurückgehalten, doch jetzt hielt es auch ihn nicht mehr in seiner Ecke.

 

„Sasuke, das ist doch erst mal nur ein Entwurf“, beschwor er seinen Freund. „Sie fängt gerade erst an, du musst das Potenzial sehen.“

 

Selbst Naruto verhielt sich ihm gegenüber irgendwie beherrschter. Er wirkte plötzlich erwachsener, seine Worte deutlich besser zurechtgelegt.

 

„Es ist uninspiriert“, widersprach Sasuke.

 

Obwohl Sakura ihn für einen arroganten Arsch hielt, konnte sie nicht verhindern, dass seine Kritik sie erneut härter traf, als sie erwartet hatte. Entschlossen beugte sie sich zu Sasuke vor und riss ihm den Block aus der Hand, bevor er noch mehr unangebrachte Kommentare abgeben konnte. Sie würde jedenfalls nicht den Fehler machen, ihn noch einmal zu Wort kommen zu lassen

 

„Mach’s doch besser“, zischte sie dann und stapfte auf die Tür zu.

 

Sie fing Narutos entschuldigenden Blick auf und sah genau, dass er noch etwas einwerfen wollte, doch sie wandte sich schnell zur Seite und fasste nach dem Türgriff. Das was Sasuke gesagt hatte, hatte sie gekränkt. So unvermittelt, dass sie Schwierigkeiten hatte, die Fassung zu bewahren und das wollte sie ihn auf keinen Fall sehen lassen. Er konnte ihre Technik kritisieren, damit hatte sie kein Problem. Immerhin war sie wirklich noch ein blutiger Anfänger. Aber er hatte ihre Arbeit uninspiriert genannt. Uninspiriert. Das Wort hallte höhnisch in ihren Gedanken wieder. Mit viel zu viel Wucht riss sie die Tür auf.

 

„Ich nehme es.“

 

Wieder einmal schnitt Sasukes Stimme präzise wie ein Skalpell durch die angespannte Stille. Verblüfft drehte Sakura sich noch einmal um und beging den Fehler, ihm erneut in die Augen zu sehen. Obwohl sie keinen Zweifel daran hatte, dass er seine Kritik ernst gemeint hatte, erkannte sie so etwas wie Anerkennung und Neugier darin und wieder einmal fühlte sie sich wie festgefroren. Sein Blick hielt sie fest wie die stabilen Glieder einer Eisenkette.

 

„Was?!“, fragte sie verwirrt.

 

„Was?!“, fragte auch Suigetsu mit großen Augen.

 

Ein sanftes Schmunzeln trat in Sasukes Gesicht.

 

„Juugo, übergib ihr das Geld“, wies er dann den Hünen an, der sofort ein Bündel Geldscheine aus der Brusttasche seines Hemdes zog. „Suigetsu, du wirst sie nach Hause bringen und mit ihr die weiteren Details klären, wie abgesprochen.“

 

Perplex nahm Sakura das Geld entgegen und drückte Juugo stattdessen den Block in die Hand. Sasuke zahlte bar. Irgendwie hatte sie das Gefühl, etwas nicht mitbekommen zu haben. Noch vor wenigen Sekunden hatte er ihre Arbeit niedergemacht, behauptet, dass sie keinerlei Potenzial hatte und nun war er bereit, dafür fünfhundert Euro zu bezahlen? Und was meinte er überhaupt mit weiteren Details? Sie wollte einfach nur noch nach Hause und die ganze Geschichte so schnell wie möglich vergessen, Sasuke Uchiha am besten nie wieder über den Weg laufen und im Notfall den Wahlkurs eben nochmal im nächsten Semester belegen.

 

„Danke, ich brauche niemanden, der mich nach Hause bringt“, lehnte sie hastig ab.

 

„Ich denke schon“, widersprach er ihr. „Eine junge Frau wie du sollte nicht alleine mit so viel Geld durch die Straßen laufen.“

 

Seine Stimme duldete keinen Widerspruch und in dem Moment, wo sie mit einem mulmigen Gefühl den Raum verließ, stellte sie bereits fest, dass Suigetsu sich an ihre Fersen geheftet hatte. Wüsste sie es nicht besser, würde sie behaupten, dass Sasukes Worte wie eine Drohung geklungen hatten und in Kombination mit Suigetsus wissendem Grinsen löste das ein mulmiges Gefühl in ihrem Bauch aus. Ein letztes Mal blickte sie über die Schulter zu Sasuke, der unglaublich anmutig aussah, wie er da noch immer gegen den Tisch gelehnt dastand und ihren Blick erwiderte. Er brannte sich förmlich in ihr Gedächtnis und sie wurde das Gefühl nicht los, dass es nicht das letzte Mal sein würde, dass sie sich begegnet waren.


 

-3-

 

Tatsächlich wollte Suigetsu sich unter keinen Umständen abschütteln lassen und bestand darauf, sie bis nach Hause zu begleiten. Sakura hatte ihm nicht erzählt, dass sie in einem der Studentenwohnheime am Rand der Stadt wohnte, da sie der Meinung war, dass es ihn nichts anging. Außerdem wusste Sasuke ja scheinbar automatisch alles, was sie gegenüber seinen seltsamen Freunde erwähnte. Er hatte ihren Namen gekannt, ihren Studiengang und wusste, dass sie nur als Gasthörer seinen Kurs besuchte. Da musste er nicht auch noch darüber Bescheid wissen, wo sie wohnte.

 

Der Busfahrer warf Suigetsu einen bösen Blick zu, als der hinter Sakura den Bus betrat. In der einen Hand seinen Studentenausweis, in der anderen bereits die dritte Dose Energydrink. Vermutlich hatte er Angst, dass Suigetsu etwas davon verschütten würde. Der Strohhalm, aus dem er in regelmäßigen Abständen ein Schlückchen nahm, wackelte bereits bedrohlich und er schenkte dem Fahrer nur ein provozierendes Lächeln, während er sich an ihm vorbei in den Gang des Busses schlängelte. Sakura entging nicht, wie einige Leute ihn neugierig anstarrten. Er war schon eine sehr spezielle Erscheinung.

 

Seufzend ließ er sich auf den Platz neben sie fallen, was sie dazu veranlasste, noch ein Stückchen mehr ans Fenster zu rutschen. Es passte ihr nicht, dass Sasuke sich so einfach über ihren Wunsch, alleine zu gehen, hinweggesetzt hatte. Nur weil sie eine Frau war, bedeutete das nicht, dass sie nicht selbstständig sein konnte. Sie hatte ihre Arbeit erledigt, hatte ihm die Entwürfe gebracht und damit war die Sache eigentlich erledigt. Es gab für ihn keinen Grund, sich weiter in ihr Leben einzumischen.

 

„Sakura, darf ich dir einen Rat geben?“, riss Suigetsu sie plötzlich aus ihren Gedanken.

 

Bei jedem seiner Worte stieg ihr der süße, künstliche Geruch von Energydrinks in die Nase. Noch einer, der sich einmischen wollte.

 

„Du wirst es doch sowieso tun, oder?“

 

Normalerweise war es nicht ihre Art, so abweisend zu sein, zumal sie Suigetsu ja noch gar nicht kannte und ihm möglicherweise Unrecht damit tat. Allerdings hatte sie Sasukes Kritik immer noch nicht verdaut und das war ihr gehörig auf die Stimmung geschlagen. Doch wie Naruto ließ er sich von sowas nicht abschrecken.

 

„Du solltest in Zukunft nicht so zickig zu Sasuke sein“, meinte er grinsend und präsentierte dabei wieder seine spitzen Eckzähne. „Das kann er gar nicht leiden und manchmal reagiert er dann etwas empfindlich.“

 

Sakura zog eine Augenbraue nach oben. Abgesehen davon, dass sie sich nicht gerne Vorschriften machen ließ, hatte Suigetsu noch etwas anderes gesagt, was ihr gegen den Strich ging.

 

„In Zukunft?“, wiederholte sie schneidend.

 

Suigetsu nickte energisch.

 

„Oh ja richtig, fast hätte ich’s vergessen. Sasuke hätte dich gerne in seiner“ – er zögerte kurz – „Organisation dabei. Als Grafikerin. Scheinbar hast du echt was auf dem Kasten. Ich hätte nicht gedacht, dass er dich nimmt.“

 

Verärgert zog Sakura die Augenbrauen zusammen. Der Bus fuhr über ein Schlagloch und ruckelte leicht, wodurch ihr leises Knurren übertönt wurde. Ihr war nicht bekannt gewesen, dass es sich bei ihrem Treffen um so eine Art Bewerbungsgespräch gehandelt hatte. Abgesehen davon war sie wirklich nicht im Entferntesten daran interessiert, jemals wieder mit diesem arroganten Uchiha zusammenzuarbeiten. Einmal hatte ihr vollkommen gereicht. Wie kam er überhaupt auf die Idee, dass sie für ihn arbeiten wollte? Und wieso bot er ihr den Job dann nicht persönlich an? Die beiden schienen schlichtweg vorauszusetzen, dass sie daran interessiert war.

 

„Das ist ja schön für Sasuke“, entgegnete Sakura ihm mit einem süßlichen Tonfall. „Aber ich habe leider absolut keine Lust in seiner komischen Organisation mitzumachen.“

 

Suigetsu wackelte mit den Augenbrauen.

 

„Du weißt, dass er gut bezahlt?“

 

Sie verzog das Gesicht. Als ob Geld alles wäre. Sie war zwar Studentin und damit so gut wie immer ziemlich knapp bei Kasse, aber das war noch lange kein Grund, sich Sasukes Willen zu beugen. Jetzt, wo sie sich ihm nicht mehr unmittelbar gegenüber befand, hatte sie das Gefühl plötzlich wieder viel klarer denken zu können. Die Art, wie er mit ihr umgegangen war, war respektlos. Das musste sie sich nicht bieten lassen. Wenn sie Geld brauchte, konnte sie sich noch immer selbst einen Nebenjob suchen. Einen, bei dem man freundlich zu ihr war und sie nicht als uninspiriert bezeichnete.

 

„Danke, ich habe genug Geld“, lehnte sie entschieden ab.

 

Ihr Blick glitt aus dem Fenster und sie wollte Suigetsu so signalisieren, dass die Unterhaltung an dieser Stelle beendet war. Allerdings schien er das anders zu sehen.

 

„Du wohnst in einem Studentenwohnheim“, erinnerte er sie spöttisch.

 

Automatisch verhärteten sich ihre Gesichtszüge. Wenn sie ehrlich war, hatte er Recht. Das Wohnheim war wirklich nicht gerade das modernste und die Leute die darin wohnten, klauten sogar einzelne Socken aus dem Wäscheraum. Hätte sie eine Wahl, würde sie vermutlich noch innerhalb der nächsten Tage von dort ausziehen, aber das würde sie ihm sicher nicht auf die Nase binden.

 

„Na und“, knurrte sie. „Es gefällt mir da.“

 

Eine Weile lang herrschte Stille zwischen den beiden und Sakura begann sich zu fragen, woher er überhaupt wusste, wo sie wohnte. Vorhin hatte er sie noch permanent danach gefragt und sie hatte ihm keine Antwort darauf gegeben. War es ein Bluff? Hatte er geraten? Die Tatsache, dass er genau bei der richtigen Haltestelle auf den Stopp-Knopf drückte und sich dann selbstsicher durch den Gang zwängte, sprach dagegen. Ganz offenbar wusste er sehr genau, wo sie wohnte.

 

Allmählich wurde ihr das Ganze unheimlich und sie hatte das dringende Bedürfnis mit Ino zu sprechen. Immerhin besuchte sie seit mehreren Semestern Kurse, in die auch Sasuke ging, und auch wenn sie nicht darüber reden wollte, wusste sie ganz offensichtlich etwas. Nachdem Sakura nun wohl oder übel Sasukes Aufmerksamkeit erregt hatte, konnte Ino ihr ja schlecht weiterhin ihre Hilfe verwehren. Ino war eine gute beste Freundin. Sie wollte, dass es Sakura gut ging. Deswegen hatte sie sie ja auch vor Sasuke gewarnt. Und Sakura hatte es ignoriert.

 

Sie stiegen aus und wieder steuerte Suigetsu zielsicher die richtige Kreuzung an, die zu ihrem Wohnheim führte. Unauffällig versuchte sie sich ein Stück zurückfallen zu lassen, doch er verlangsamte jedes Mal seinen Schritt und ließ sie wieder aufholen. Aus irgendeinem Grund schien er plötzlich besonders gut gelaunt zu sein und summte sogar ein Lied vor sich hin, das Sakura jedoch nicht kannte.

 

„Also, du willst nicht für Sasuke arbeiten, hab ich das richtig verstanden?“, fragte er noch einmal.

 

So langsam wurde Sakura wütend.

 

„Hast du.“

 

„Dein letztes Wort?“, hakte er noch einmal nach.

 

 „Allerdings“, bestätigte sie knapp.

 

Waren das die Details von denen Sasuke vorhin gesprochen hatte? Augenscheinlich hatte Suigetsu ja den Auftrag bekommen, Sakura für ihn anzuwerben, auch wenn er sich dabei nicht besonders geschickt anstellte. Man konnte ihm aber auch keinen Vorwurf machen, denn schließlich war es Sasuke höchstpersönlich gewesen, der sie mit seiner unsensiblen Kritik vergrault hatte. Aber warum um alles in der Welt wollte Sasuke sie überhaupt in seinem Team haben, wenn er doch so offenkundig nichts von ihrer Arbeit hielt?

 

„Schade“, Suigetsu zuckte mit den Schultern, sah jedoch alles andere als unglücklich aus.

 

Vielmehr hatte Sakura den Eindruck, dass er sich über irgendetwas freute. Eine Mischung aus Vorfreude und Schadenfreude. Seine Miene hatte sich zu einer schiefen Grimasse verändert und auch wenn er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, spürte Sakura, dass hier irgendetwas nicht in Ordnung war. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er wusste, wo sie wohnte. Woher wusste er das?

 

„Sag mal Sakura, kennst du Pain?“, fragte er plötzlich wie aus heiterem Himmel.

 

Fast wäre sie beim Klang seiner schnarrenden Stimme zusammengezuckt. Pain. Schmerz.

 

Vielleicht war das hier ja auch ein ganz harmloses Gespräch und sie interpretierte einfach zu viel hinein. Pain konnte auch einfach nur das neuste Computerspiel sein, über das er sich mit ihr unterhalten wollte. Ein Egoshooter oder ein Online-Rollenspiel. Mit so etwas hatte sie sich noch nie näher befasst, weil es sie einfach nicht interessierte. Bestimmt war Suigetsu einfach jemand, der solche Spiele spielte. Wenn man mal ehrlich war, wirkte er nicht gerade gefährlich. Dieser Juugo – vielleicht. Sasuke – definitiv. Aber das hier war Suigetsu. Ein komischer Kauz, der sie in Sasukes Auftrag nach Hause bringen sollte, weil der ihr nochmal ihre Unzulänglichkeit unter die Nase reiben wollte. Vermutlich bildete sie sich nur etwas ein und ihre Nerven waren nach so einem langen, anstrengenden Tag einfach überstrapaziert.

 

„Ich bin mir nicht sicher, was du meinst“, erwiderte sie dennoch vorsichtig.

 

Suigetsus Grinsen wurde breiter.

 

„In letzter Zeit wurden immer mal wieder Menschen ins Krankenhaus eingeliefert, die wohl in Kontakt mit einer neuartigen Droge gekommen sind. Pain“, erklärte er. „Diese Leute hatten Wahnvorstellungen und waren permanent am Schreien. Pain konfrontiert einen mit Schmerz und Angst, stimuliert entsprechende Areale im Gehirn und erzeugt Bilder im Kopf, die man sich in seinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen könnte“ – er machte eine bedeutungsschwere Pause – „Aber das ist es nicht, was Pain so grausam macht. Du siehst die Dinge nicht nur, du hörst sie, kannst sie spüren, schmecken, riechen, was die Illusion unglaublich real erscheinen lässt.“

 

Während er erzählte, lief er ganz entspannt weiter. Anhand seines Tonfalls konnte man deutlich erkennen, wie sehr ihn das Thema faszinierte, während Sakura spürte, wie ihr immer unwohler wurde. Mittlerweile waren sie dem Wohnheim schon ziemlich nahe gekommen und sie konnte es kaum noch erwarten, in endlich loszuwerden. Das hier driftete in eine Richtung ab, die ihr nicht geheuer war. Seine Gesellschaft war ihr nicht geheuer.

 

„Die Wirkung der Droge lässt erst nach einigen Stunden nach und trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass sie bleibende Schäden in der Psyche der Menschen hinterlässt oder dass die Bilder nie wieder verschwinden“, fuhr Suigetsu unbeirrt fort. „Das Zeug ist komplett geschmacks- und geruchlos. Du merkst nicht, wenn du es einnimmst. Die meisten dachten wohl, sie hätten stinknormales Kokain oder Ecstasy vor der Nase. Ich meine, keiner würde so etwas freiwillig nehmen, oder?“

 

Nun blieb er abrupt stehen und sah sie fragend an. Sakura zuckte mit den Schultern.

 

„Vermutlich nicht.“ Dann äußerte sie mit klopfendem Herzen die Frage, die sie sich schon die ganze Zeit über gestellt hatte. „Aber warum erzählst du mir das alles?“

 

Sein plötzlicher Themenwechsel hatte sie mehr als nur irritiert. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass es sich dabei nicht um ein zufällig gewähltes Thema handelte.  Suigetsu hingegen wirkte immer noch sehr entspannt. Er trank gierig den letzten Schluck seines Energydrinks, bevor er die Dose mit einem lauten Knacken zusammendrückte und achtlos ins Gebüsch am Straßenrand fallen ließ. Unter normalen Umständen hätte Sakura ihn jetzt getadelt, aber sie war gerade viel zu angespannt.

 

„Ich studiere Biochemie“, erklärte Suigetsu schließlich. „Da interessiert man sich für so ein Zeug. Tut mir Leid, wenn ich dich langweile. Du siehst eher nicht so aus, als hättest du irgendwas mit Drogen am Hut.“

 

Ungeniert musterte er Sakura einmal von oben bis unten. Abgesehen von ihren rosafarbenen Haaren sah sie wohl aus wie die typische Durchschnittsstudentin. Ihre Kleidung war mit Ausnahme der großen schwarzen Stiefel, die sie trug, unauffällig. Sie war nicht besonders stark geschminkt, nur ein bisschen Wimperntusche, die ihre großen, grünblauen Augen betonen sollte. Meistens profitierte sie davon, unauffällig zu bleiben.

 

Alles in allem sah sie wohl nicht wie jemand aus, der jedes Wochenende feiern ging und sich die Birne mit Drogen zuballerte. Und das war sie auch nicht. Sie verabscheute Drogen. Sie verabscheute Maßlosigkeit. Und sie verabscheute Menschen, die den einfachen Weg gingen und vor ihrem Leben flüchteten statt sich den Herausforderungen zu stellen.

 

„Nein, ich halte nichts von Drogen“, stellte sie noch einmal klar.

 

Suigetsu nickte mit ernstem Gesicht. Trotzdem sah er so aus, als würde er sie nicht gerade für voll nehmen. Nachdem er so fasziniert über das Thema gesprochen hatte, konnte sie sich durchaus vorstellen, dass er auch schon mal die eine oder andere Droge ausprobiert hatte. Vielleicht nicht gerade dieses Pain-Zeug, aber irgendetwas was einen in die richtige Stimmung versetzte, um Party zu machen. Sakura kannte sich da nicht aus. Sie würde es wahrscheinlich nicht mal merken, wenn er jetzt gerade wie er hier vor ihr stand komplett zugedröhnt war.

 

„Wie ist das denn mit deiner Freundin Ino?“, ein wissendes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Sie ist doch Model. In dem Business ist das doch fast schon normal.“

 

„Bitte was?!“, fragte Sakura erschrocken. „Du kennst Ino?“

 

Suigetsu deutete mit einem Kopfnicken an, dass sie weitergehen sollten und Sakura gehorchte, weil sie momentan viel zu aufgebracht war, um mit ihm zu diskutieren. Außerdem wollte sie unbedingt eine Antwort auf ihre Frage bekommen.

 

„Flüchtig“, gab er schließlich mit einem Schulterzucken zu.

 

Sakura schnaubte. Alles andere hätte sie auch überrascht. Ino war zwar was das Feiern anging deutlich aufgeschlossener als sie selbst, aber was ihre Meinung zu Drogen betraf, waren sich die beiden absolut einig. Würde Suigetsu sie auch nur ansatzweise kennen, wüsste er das.

 

„Ino würde niemals Drogen nehmen“, klärte sie ihn gnädigerweise auf.

 

Die beiden hatten mittlerweile das Wohnheim erreicht und Sakura zog ihren Schlüsselbund hervor. Daran waren auch immer noch die Schlüssel zum Haus ihrer Eltern, die sie aber meistens nur in den Semesterferien besuchte. Bis nach Hause waren es jedes Mal etliche Kilometer und auch das Zugticket konnte sie sich nicht allzu oft leisten. Der Kontakt zu ihren Freunden zuhause war unter dem Semester so gut wie nicht vorhanden und deswegen war sie umso erleichterter, dass sie Ino hatte.

 

Die beiden kannten sich schon ewig, waren fast so etwas wie Schwestern und hatten daher auch entschieden gemeinsam in Konoha zu studieren. Könnte Sakura sich so etwas wie eine Wohnung leisten, würden sie vermutlich auch zusammen wohnen. Da das aber nicht der Fall war und sie zudem keine Almosen von ihrer besten Freundin annehmen wollte, hatte sie sich auf einen Platz im Wohnheim beworben. Es war nicht der schönste Ort, den sie sich zum Leben vorstellen konnte, aber es war günstig und praktisch. Mehr brauchte sie gar nicht.

 

Suigetsu betrat hinter ihr den Eingangsbereich. Scheinbar hatte er tatsächlich vor, sie bis zu ihrer Zimmertür zu begleiten. Sakura blieb stehen und überlegte, wie sie das verhindern konnte. Gerade wollte sie etwas sagen, um ihn doch noch irgendwie abzuwimmeln, als er plötzlich erneut das Wort ergriff.

 

„Freiwillig würde sie auf keinen Fall Drogen nehmen, da stimme ich dir zu“, er trat einen Schritt auf Sakura zu und verzog den Mund zu einem schadenfrohen Grinsen. In seinen Augen funkelte pure Boshaftigkeit. „Aber das Modebusiness ist ein Haifischbecken – da passiert es schnell mal, dass ihr jemand was unterschiebt und wenn sie Pech hat, ist es dann auch noch so ein Teufelszeug wie Pain.“

 

Zum Ende seines Satzes hin klang seine Stimme immer bedrohlicher. Er ließ keinen Zweifel daran, dass es sich hierbei nicht bloß um hypothetische Annahmen handelte. Sakura wich unwillkürlich ein Stück zurück. Hinter ihr befand sich die Wand mit den Briefkästen. Reihe um Reihe türmten sie sich hinter ihr auf, in akkuraten Bahnen angeordnet und allesamt identisch, abgesehen von den Namensschildern, die mal mehr und mal weniger ordentlich darauf geklebt waren. In Sakuras Welt war gerade nichts mehr in Ordnung.

 

„Suigetsu, was willst du von mir?“, fragte sie und versuchte dabei mühsam ihre Stimme zu beherrschen.

 

Sie spürte, worauf das hier hinauslief. Ino hatte sie gewarnt. Sie hatte sie ganz eindeutig davor gewarnt, sich näher mit Sasuke Uchiha zu befassen und jetzt hatte sie sich richtig in die Scheiße geritten. Nicht nur das, sie hatte auch Ino direkt mit in den Abgrund gerissen. Ein Abgrund, der ihr so fremd war, dass er sie erschauern ließ. Es fühlte sich einfach nicht real an.

 

„Ich? Ich will gar nichts von dir“, Suigetsu sah sie gespielt besorgt an und gleichzeitig konnte sie sehen, dass er es genoss.

 

„Aber ich denke, du könntest ruhiger schlafen, wenn jemand ein Auge auf Ino haben würde, auf sie aufpasst. Sasuke hat sehr gute Kontakte in die Branche, die er ohne Probleme nutzen könnte.“

 

Sakura verengte die Augen zu Schlitzen. Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt. Das hier betraf nicht nur sie, sondern auch ihre beste Freundin. Die beste Freundin, die für sie wie eine Schwester war. Am liebsten würde sie die Zeit zurückdrehen und rückgängig machen, dass sie sich jemals auf diesen Auftrag eingelassen hatte. Sie hätte sich nicht von Naruto um den Finger wickeln lassen dürfen.

 

Naruto. Bei dem Gedanken an ihn musste sie schnauben. Sie hatte ihn so sehr unterschätzt. So sehr. Und doch hätte sie ihrem Bauchgefühl trauen müssen, das ihr gesagt hatte, dass er nicht zufällig in sie hineingelaufen war. Sie hatten alles über sie gewusst. Sasuke hatte alles über sie gewusst. Nicht nur was sie studierte, auch wo sie wohnte, was ihr wichtig war, wer ihr wichtig war.

 

„Soll das eine Drohung sein?“

 

Ihre Stimme zitterte leicht. Vor Empörung, weil er es wagte, sie zu erpressen. Vor Scham, weil ein Fremder einfach so in ihr Leben eingedrungen war und scheinbar alles über sie wusste. Vor Verzweiflung, weil sie sich so unglaublich hilflos fühlte. Suigetsus besorgter Gesichtsausdruck verwandelte sich in ein selbstzufriedenes Grinsen.

 

„Lass es uns doch Angebot nennen“, schlug er vor. „Sasuke würde dir sehr gerne ein Angebot machen.“

 


 

-4-

 

Mit viel zu viel Wucht riss Sakura die Tür auf. Man konnte den Windstoß der dadurch entstand, auf dem ganzen Gang bis hin zum Aufzug spüren. Als sie das zaghafte Klopfen gehört hatte, hatte sie darin ihre Chance erkannt, endlich ihrem Ärger Luft zu machen und genau das würde sie jetzt auch tun. Ihre Augen waren zu dünnen Schlitzen verengt und sprühten nur so vor Zorn, als sie ihm, die Hände in die Hüften gestemmt, entgegentrat.

 

„Du“, sie spuckte das Wort aus als wär es vergorener Fisch und bohrte dem perplexen jungen Mann den Finger in die Brust. „Du hast mich reingelegt und wusstest ganz genau, dass ich aus der Scheiße nicht mehr rauskommen würde!“

 

Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände, um eine gewisse Distanz zwischen sich und Sakura zu bringen. Natürlich hatte er es gewusst, so viel war ihr mittlerweile klar und natürlich war ihr zufälliges Aufeinandertreffen auch alles andere als zufällig gewesen. Sasuke hatte ihn vorgeschickt, aus dem einfachen Grund, dass er vergleichsweise harmlos wirkte. Nie im Leben hätte sie geahnt, dass sie durch ihn mit solchen Leuten in Kontakt kommen würde. Leuten, die ihr drohten. Die damit drohten, Ino etwas anzutun.

 

„Hey Sakura, warte mal“, versuchte er sie zu beruhigen. „Das war nichts Persönliches, echt jetzt.“

 

Seine Stimme klang fast schon verzweifelt, flehend. Tatsächlich kaufte sie es ihm sogar ab. Sie hatte sich zwar schon einmal von ihm täuschen lassen, doch sie hatte das Gefühl, dass er ihr nichts vorgespielt hatte, was die Grundzüge seines Charakters betraf.  Er war ein sehr spontaner und offener Mensch. Impulsiv, aber freundlich. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er wirklich jemandem etwas Böses wollte. Aber warum hatte er sie dann da mit reingezogen?

 

Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, überprüfte sie ein letztes Mal, ob sie die Schlüssel eingepackt hatte und zog dann mit Schwung die Tür hinter sich zu. Das Geräusch hallte von den kargen und trostlosen Wänden des Ganges wieder und verlor sich etwas weiter vorne. Es war ihr egal, ob sie damit jemanden beim Lernen gestört oder gar aus seinem Mittagsschläfchen gerissen hatte. Irgendwie musste sie ihrem Unmut Luft machen. Schon wieder hatte Sasuke ihr vorgeschrieben, was sie zu tun hatte. Er zitierte sie herum wie ein Dienstmädchen und das passte ihr überhaupt nicht.

 

Bereits letzte Woche hatte Suigetsu ihr die Entwürfe zurückgebracht, zusammen mit ein paar Fachbüchern zum Thema Logo-Design. Gefühlt auf jeder zweiten Seite klebte ein Post-it, auf dem in fein säuberlicher Schrift ein paar Hinweise notiert waren. Sakura vermutete, dass sie von Sasuke stammten. Nur er schaffte es, bereits durch wenige geschriebene Worte so viel Überheblichkeit zu vermitteln. Er hatte ihr eine Deadline gesetzt, innerhalb derer sie die Entwürfe gemäß seiner Anweisungen noch einmal überarbeiten sollte und heute war diese Deadline abgelaufen. Vermutlich wollte er ihre Fortschritte sehen.

 

Naruto jedenfalls hatte den Auftrag, sie zu ihrem neuen Arbeitsplatz zu bringen – wo auch immer das sein sollte. Man hatte ihr nicht gesagt, wo es hinging. Generell hielten Sasuke und sein Team sich sehr zurück, was Informationen betraf.  Diskretion schien bei ihnen ein großes Thema zu sein und so hatte Suigetsu Sakura auch verboten, mit irgendjemandem über die Sache zu sprechen. Jedes Mal, wenn sie sich mit Ino traf, zerriss es Sakura fast innerlich, weil sie nichts lieber wollte, als ihre beste Freundin zu warnen. Stattdessen musste sie jedes einzelne Wort hinunterschlucken, um sie auf keinen Fall zu gefährden, was dazu führte, dass sie in Inos Gegenwart immer stiller geworden war. Es war ein beklemmendes Gefühl, niemanden zu haben, dem sie sich anvertrauen konnte.

 

Sakura stapfte an Naruto vorbei den Gang entlang und auf den Aufzug zu. Was hatte sie schon für eine Wahl? Sie musste mit ihm gehen, allerdings konnte keiner von ihr verlangen, dass sie sich ihm gegenüber höflich verhielt. Naruto war etwas überrumpelt von ihrem plötzlichen Aufbruch und machte ein paar große Schritte, um sie einzuholen. Kurz bevor sie den Aufzug erreichten, griff er nach ihrem Ärmel, um sie festzuhalten.

 

„Er hätte sonst jemand anderen geschickt“, sagte er leise und eindringlich.

 

Offenbar war es ihm wichtig, dass Sakura ihm die Sache verzieh. Seine strahlend blauen Augen hefteten sich fest an ihre und sie unterbrach schnell den Blickkontakt, da sie ihnen nicht länger standhalten konnte. Anders als bei Sasuke lagen so viele Emotionen darin, dass Sakura das Gefühl hatte, sie würden sie einfach mit sich reißen. Doch noch war sie nicht bereit, Naruto zu verzeihen und deswegen musste sie ihn auf Distanz halten so gut es ging. Um sich nichts anmerken zu lassen, drückte sie auf den Knopf des Aufzugs und fixierte anschließend die grün leuchtenden Zahlen, die anzeigten in welchem Stockwerk der Lift sich gerade befand.

 

Als er schließlich kam, stiegen sie wortlos ein. Es war ein unangenehmes Gefühl als sich die Türen hinter ihnen schlossen und sie auf so engem Raum eingeschlossen wurden. Naruto suchte noch immer ihren Blick, auch wenn er ihren Arm mittlerweile losgelassen hatte und sie starrte verbissen auf den Boden. Man konnte hier nicht ausweichen. Sie hatte das Gefühl, dass sein Schuldbewusstsein sich ihr geradezu aufdrängte und dass sie dem nicht entkommen konnte.

 

„Warum hast du mich nicht gewarnt?“, fragte sie beherrscht.

 

Wieder spürte sie seinen Blick auf sich, doch er wagte es nicht, sie zu berühren.

 

„Er ist mein Freund“, sagte er dann. „Und wir brauchen dich in unserem Team. Ich bin überzeugt davon, dass du die Richtige bist.“

 

„Die Richtige für was?“, hakte sie skeptisch nach.

 

Diese Frage stellte sie sich schon eine ganze Weile. Warum hatte Sasuke ausgerechnet sie ausgewählt, wenn es doch genug andere Leute in ihrem Kurs gab, die weitaus besser zeichnen konnten? Scheinbar hatten sowohl er als auch Naruto gewisse Erwartungen an sie, die sie glaubte nicht erfüllen zu können. Sie war nicht die Richtige.

 

„Das kann ich dir nicht sagen.“

 

Narutos Stimme klang mit einem mal wieder verschlossen und abweisend. Wenn er so war, konnte sie sich schon viel eher vorstellen, dass er ein Teil von Sasukes Team war. Mehr noch, er hatte ihn als seinen Freund bezeichnet. Das schloss dann wohl aus, dass Sasuke ihn ebenfalls erpresste und er nur deswegen so gehandelt hatte. Überhaupt hatte sie nicht den Eindruck, dass Naruto irgendwelche negativen Gefühle Sasuke gegenüber hegte, ganz im Gegenteil. Die beiden schienen sich sehr nahe zu stehen.

 

„Wie kannst du nur mit so jemandem befreundet sein?“, hauchte Sakura ungläubig.

 

Noch immer wollte sie Naruto nicht direkt in die Augen sehen, doch im Spiegel erkannte sie, dass sich ein versonnenes Lächeln auf seinen Lippen ausgebreitet hatte, fast so als würde er sich an eine spezielle Situation erinnern.

 

„Du kennst ihn nicht Sakura“, antwortete er dann mit rauer Stimme, den Blick fest auf die gegenüberliegende Wand geheftet. „Auf den ersten Blick kommt er vielleicht wie ein kaltes Arschloch rüber, aber das ist er nicht.“

 

Eine seltsame Traurigkeit umspielte seine Züge, doch Sakura hatte keine Zeit, sich darüber weitere Gedanken zu machen, da sich in diesem Augenblick die Türen des Aufzugs mit einem metallischen Surren öffneten. Sie traten nach außen in den Eingangsbereich und in dem Moment, wo sie den Aufzug verließen, hatte Naruto auch schon wieder seine typisch unbekümmerte Mine aufgesetzt.

 

„Wir müssen zur Haltestelle“, verkündete er.

 

Da Sakura am äußersten Rand der Stadt wohnte, dauerte die Fahrt etwas länger. Sie fuhren zum Bahnhof, wo sie noch einmal umsteigen mussten, in einen Bus, der sie in die betuchteren Gegenden von Konoha brachte. In diesem Bezirk war sie noch nicht wirklich oft gewesen, was schlicht und ergreifend daran lag, dass sie niemanden kannte, der sich hier eine Wohnung oder gar ein Haus leisten konnte. Abgesehen davon hatte man es als Student sowieso schwer, ohne geregeltes Einkommen an eine Wohnung zu kommen.

 

Es war keine Bonzengegend, aber man konnte doch deutlich sehen, dass die Leute hier wohlsituiert waren. Die Häuser waren mit hübschen kleinen Verzierungen, Türmchen und Balkonen geschmückt, wobei keines davon aussah wie das andere, umgeben von wunderschönen Gärten, die ausnahmslos einen sehr gepflegten Eindruck machten. Selbst unter dem wolkenverhangenen Himmel versprühten sie einen gewissen Charme gepaart mit der Illusion von Vorstadtidylle.

 

Als der Bus an der nächsten Station hielt, stiegen sie aus. Naruto steuerte zielsicher auf einen kleinen Weg zu, der zu ein paar weiteren Anwesen führte, die nicht direkt an der Straße lagen und Sakura zweifelte ernsthaft daran, dass sie hier richtig waren. Sollte er ihr nicht ihren neuen Arbeitsplatz zeigen? Soweit sie wusste, war das hier ausschließlich eine Wohngegend, in der sich keinerlei Büros oder ähnliches befanden.

 

Das Haus, auf das er zuging, reihte sich perfekt in die Gegend ein und stach doch irgendwie hervor. Wie die anderen Häuser auch besaß es eine Garage, sowie einen etwas größeren Garten, der einmal rund um das Gebäude verlief. Allerdings versuchten die Besitzer nicht, mit kunstvoll geschnittenen Hecken und exotischen Blumenbeeten auf sich aufmerksam zu machen, sondern begnügten sich stattdessen mit einem akkurat gestutzten Rasen und ein paar Büschen. Das gesamte Erscheinungsbild wurde von der großen, schweren Eingangstür dominiert, an der ein ebenso imposanter Türklopfer hing. Sakura konnte weder eine Hausnummer, noch ein Namensschild erkennen.

 

Naruto betätigte die Klingel neben dem gusseisernen Eingangstor, das er kurz darauf einfach aufschob. Scheinbar war der Türklopfer nur zur Dekoration gedacht. Sakura folgte ihm den gepflasterten Weg entlang und die Stufen hinauf bis zur Tür. Sie hatte das Gefühl, dass sie von allen Seiten aus beobachtet wurde und die Leute genau sehen konnten, dass sie nicht hierher gehörte. Unwohl sah sie sich um, doch die meisten Fenster waren von Vorhängen verhängt, sodass man nicht hinein schauen konnte. Trotzdem glaubte sie ab und zu, eine Bewegung wahrnehmen zu können.

 

„Scheint niemand da zu sein“, stellte Naruto fest und zog plötzlich einen Schlüssel aus der Tasche.

 

Erst als er ihn ins Schloss steckte und er offensichtlich passte, verwarf Sakura den Gedanken, dass sie hier womöglich einbrechen wollten. Ehrlich gesagt traute sie Sasuke nach der Sache mit Suigetsu so einiges zu. Ein Einbruch hätte sich sicher nicht gut in ihrer Vita gemacht.

 

„Du wohnst hier?“, fragte sie überrascht.

 

Aus irgendeinem Grund hatte sie Naruto nicht zugetraut, dass er aus so einer guten Gegend stammte. Viel eher passte er wie sie in eines der vielen Studentenwohnheime, die in Konoha fast an jeder Ecke zu finden waren oder in eine WG.

 

„Nee, nee“, winkte er lachend ab. „Ich hab nur einen Schlüssel.“

 

Sie betraten das Haus und fanden sich in einer Art Flur wieder, von dem aus eine Treppe in das obere Stockwerk führte und eine in den Keller. Im gesamten Eingangsbereich konnte sie nirgendwo so etwas wie eine Garderobe entdecken – ganz im Gegenteil, hier standen überhaupt keine Möbel. Stünde nicht die Tür zur ihrer rechten Seite einen Spalt breit offen, sodass sie in die geräumige Küche dahinter blicken konnte, hätte sie geglaubt, dass das Haus gänzlich unbewohnt wäre. Es war komplett still hier.

 

„Komm mit.“

 

Naruto ließ ihr gar keine Wahl und packte sie am Unterarm, sodass er sie mit sich die Treppenstufen nach oben ziehen konnte. Fast wäre sie gestolpert, konnte sich jedoch im letzten Moment am kunstvoll gestalteten Holzgeländer festhalten und so ihr Gleichgewicht wiederfinden. Eine Stolpergeschichte im Zusammenhang mit Naruto war wahrlich genug und sie konnte sich sein Grinsen schon ganz genau vorstellen, wenn sie diesmal in ihn hineingefallen wäre. Warum war er nur immer so ungeduldig?

 

Schimpfend stapfte sie ihm hinterher den Flur entlang und hätte sich beinahe zu Tode erschreckt, als sich plötzlich die Tür neben ihr öffnete und ein junger Mann seinen Kopf aus dem Zimmer streckte. Unter seinen Arm hatte er einen Laptop geklemmt.

 

„Warum macht ihr denn so einen Lärm?“

 

Er hat etwas längeres dunkles Haar, das er zu einem hohen Zopf zusammengebunden hatte, sodass es wild vom Kopf abstand und musterte Naruto mit einem strengen Blick wie ein kleines Kind, dem er schon mehrmals gesagt hatte, dass es endlich leiser spielen sollte.

 

„Shikamaru“, rief Naruto und deutete anklagend mit dem Finger auf ihn. „Du bist ja da. Warum hast du nicht die Tür aufgemacht?“

 

Wieder einmal zeichnete er sich durch die Eigenschaft aus, dass er sich durch böse Blicke kein Stück weit einschüchtern ließ. Vielleicht war das der Grund, warum er mit Sasuke befreundet sein konnte. Shikamaru zuckte nur desinteressiert mit den Schultern.

 

„Ich hatte keine Lust aufzustehen. Viel zu lästig.“ Sein Blick fiel auf Sakura. „Die Neue?“

 

Energisch nickte Naruto.

 

„Das ist Sakura. Ich zeig ihr heute ihren Arbeitsbereich. Ist Sasuke da?“

 

„Nein, er hat wieder irgendein Treffen mit einem Großkunden, aber er wollte später nochmal vorbeischauen“, Shikamaru wandte sich an Sakura. „Also hat er sich wirklich für eine Frau entschieden.“

 

Durch die Betonung des Wortes Frau ließ er keinen Zweifel daran, dass er nicht gerade begeistert darüber war. Sein Blick wanderte einmal prüfend über ihr Gesicht, als wolle er abschätzen, ob sie ihm in Zukunft Ärger bereiten würde. Dann nickte er zufrieden und streckte ihr die Hand entgegen.

 

„Schlimmer als Karin kann es ja kaum werden. Ich bin Shikamaru und hier für alles zuständig, was mit Technik zu tun hat. Freut mich dich kennenzulernen.“

 

Trotz seiner offensichtlichen Abneigung gegenüber Frauen wirkte seine Begrüßung seltsamerweise ehrlich und Sakura ergriff seine Hand. Die Vorstellung konnte sie sich sparen, denn das hatte Naruto ja bereits für sie übernommen und für was sie zuständig war, wusste sie selbst noch nicht so genau. Ein bisschen fühlte sie sich dennoch durch seine offene Ablehnung des weiblichen Geschlechts gekränkt.

 

Noch bevor Shikamaru sie in ein Gespräch verwickeln konnte, zog Naruto sie auch schon weiter den Gang entlang und versprach später nochmal zu ihm zu kommen. Scheinbar hatte Shikamaru sowieso vorgehabt eine rauchen zu gehen und war bisher nur zu faul gewesen, seine Arbeit zu unterbrechen und aufzustehen. Was er da genau tat, wusste sie nicht, aber es hatte wohl mit verschiedenen Sicherheitscodes zu tun, die er versuchte zu knacken. Wenn sie es sich recht überlegte, wollte sie auch lieber nichts Genaueres wissen. Sie bekam schon kalte Füße, wenn sie bei Freunden illegal einen Film streamte.

 

Naruto betrat einen Raum am hinteren Ende des Ganges. Als er die Tür aufschob, knisterte es leise und Sakura registrierte verblüfft, dass der gesamte Boden mit Plastikfolie abgedeckt war. Auch die Wände waren abgehängt worden, sodass kein Zentimeter Wand mehr hervorblitzte. Einzig und allein der Heizkörper war nicht unter einer Plane begraben. In der Mitte des Raumes lag ein seltsamer Stapel, der sich aus diversen Kartons und dünneren und dickeren Holzplatten zusammensetzte, die ein wenig an Sperrmüll erinnerten. Ansonsten war das Zimmer bis auf eine antike Kommode aus dunklem Holz komplett leer.

 

„Was ist das für ein Haus?“, fragte Sakura neugierig.

 

Ihr Verdacht, dass hier wirklich niemand wohnte, schien sich immer mehr zu bestätigen. Abgesehen von der Küche hatte sie bisher kaum möblierte Räume gesehen und anscheinend gingen hier sowohl Naruto, als auch Shikamaru und Sasuke ein und aus. Wahrscheinlich besaßen sie alle einen Schlüssel.

 

„Es gehört Sasuke und seinem Bruder“, erklärte Naruto bereitwillig. „Die haben eine Zeit lang hier gewohnt, aber mittlerweile wird es hauptsächlich für die Organisation genutzt.“

 

Während er sprach, schlug er die durchsichtige Plane zurück, die die Kommode bedeckte und zog eine der großen sperrigen Schubladen auf. Sie bot zunächst ein wenig Widerstand, ließ sich dann jedoch mit ein wenig Kraftaufwand öffnen. Es war ein wirklich schönes Stück und Sakura konnte nachvollziehen, warum man es nicht wie die anderen Möbel entsorgt hatte.

 

„Warum wohnen die beiden nicht mehr hier?“, erkundigte sie sich.

 

Es überraschte sie, dass Sasuke einen Bruder hatte. Irgendwie hätte sie ihn eher als Einzelkind eingestuft, aus dem einfachen Grund, dass er es scheinbar gewohnt war, immer zu bekommen, was er wollte. Vielleicht war das nur ein Vorurteil, aber sie selbst war auch Einzelkind und konnte nicht leugnen, dass sie manchmal einen richtigen Dickkopf haben konnte.

Naruto zuckte mit den Schultern.

 

„Sie sind in die Stadt gezogen, das ist näher an der Uni dran und so. Außerdem ist das Haus viel zu groß für die beiden.“

 

„Warum haben sie es nicht verkauft?“

 

Die Frage war ihr einfach so rausgerutscht und doch fand Sakura sie berechtigt. In Narutos Gesicht trat eine gewisse Unentschlossenheit und sie hatte das Gefühl, dass er einen Moment lang innerlich hin- und hergerissen war, bevor er schließlich antwortete.

 

„Erinnerungen, schätze ich.“

 

Damit war das Thema für ihn beendet und er widmete sich wieder der Kommode. Eine Zeit lang wühlte er darin herum, bis er endlich gefunden hatte, wonach er suchte. Triumphierend hielt er ihr ein Paar schwarze Einweghandschuhe unter die Nase. Hatten sie etwa doch vor, irgendwo einzubrechen? Wenn Sasuke wirklich von ihr verlangte, etwas Illegales zu tun, würde sie nochmal ein Wörtchen mit ihm reden müssen.

 

„Willst du mir nicht erstmal sagen, was wir vorhaben?“, fragte Sakura zögerlich.

 

Bisher hatte sich noch immer niemand die Mühe gemacht, ihr zu erklären, was sie hier eigentlich sollte. Die Sache mit der Grafikerin glaubte doch kein Mensch.

 

„Pass auf, wir fangen einfach schon mal an und währenddessen erkläre ich dir, worum es geht, einverstanden?“

 

Naruto wedelte wild mit den Handschuhen vor ihrem Gesicht herum und sie seufzte ergeben. Zwar kannte sie ihn noch nicht besonders lange, doch sie wusste schon jetzt, dass es keinen Sinn machte, eine Diskussion mit ihm anzufangen. Sie griff nach den Handschuhen und streifte sie sich über. Dabei kam sie sich vor wie ein Chefarzt, der kurz davor war einen Operationssaal zu betreten, nur dass ihre Handschuhe schwarz waren und nicht grün. Allein die Farbe assoziierte sie schon mit etwas Verbotenem.

 

„Ich werde nichts Illegales machen“, stellte sie vorsichtshalber klar.

 

Naruto sah sie verblüfft an.

 

„Das verlangt auch niemand von dir. Die Handschuhe sind zu deinem Schutz. Die haben eine spezielle Beschichtung, damit die Farbe die Haut nicht angreift. Du solltest dir auch noch einen Überwurf anziehen.“

 

Er reichte ihr einen seltsam aussehenden Plastikoverall, den er ebenfalls aus der Schublade gezogen hatte.

 

„Farbe?“, wiederholte sie.

 

„Wir grundieren als erstes die Kartons und Holzplatten“, er deutete auf den Stapel in der Mitte des Raumes. „Hast du sowas schon mal gemacht?“

 

Sakura nickte abgehackt. Sie war ziemlich perplex darüber, dass es hier tatsächlich nur darum ging, etwas zu malen. Fast kam sie sich ein wenig doof vor, weil sie ihm unterstellt hatte, irgendetwas Illegales geplant zu haben.

 

Naruto reichte ihr noch eine Atemschutzmaske und verschwand dann aus dem Raum, nur um kurz darauf mit den Farben zurückzukommen. Sakura hatte in der Zwischenzeit vorsichtshalber zusätzlich das Fenster geöffnet. Es war nie ratsam in einem geschlossenen Raum für längere Zeit mit aggressiven Farben zu arbeiten. Der Fensterrahmen war genau wie der Rest des Zimmers sehr sorgfältig abgeklebt worden und doch konnte sie einige Farbspritzer erkennen, wenn sie genau hinsah.

 

Die beiden setzten sich auf den Boden und begannen damit, die erste weiße Farbschicht auf die Kartons aufzutragen. Die Atemmasken schützten sie dabei vor dem beißenden Geruch des Lacks und die Plastikoveralls verhinderten, dass ihre Klamotten schmutzig wurden. Sie kam sich ziemlich lächerlich darin vor, aber mit einem Blick auf Naruto stellte sie fest, dass er auch nicht viel besser aussah. Konzentriert hatte er die Augen verengt und biss sich auf die Zunge, die zwischen seinen Lippen hervorspitzte, während er sorgfältig die Farbe auftrug.

 

„Wofür machen wir das eigentlich?“, erkundigte sie sich.

 

Durch die Maske klangen ihre Stimmen seltsam dumpf. Er hielt einen Moment lang inne und setzte dann eine gewichtige Miene auf.

 

„Also Folgendes“, begann er. „Ich darf dir leider nicht alles sagen, aber es geht gewissermaßen um unseren Lieferanten. Er unterzieht uns jedes Jahr einer… Prüfung.“ Zufrieden mit seiner Wortwahl nickte er bestätigend. „Wir müssen zeigen, dass wir in der Lage sind, sein Produkt bestmöglich an den Mann zu bringen, weil er danach sein Kontiment einteilt.“

 

Unwillkürlich musste Sakura schmunzeln. Offenbar wollte Naruto sie beeindrucken, indem er mit wirtschaftlichen Fachbegriffen um sich warf und verrannte sich dabei gnadenlos.

 

„Kontingent meinst du“, schlug sie ihm lächelnd vor.

 

Die Art und Weise, wie er versuchte ihr zu erklären, was der Sinn und Zweck der Aktion war, wirkte erfrischend unbeholfen. Seltsamerweise fand sie es immer weniger schlimm, mit ihm Zeit zu verbringen und er war definitiv ein sympathischerer Zeitgenosse als Suigetsu. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass er um den heißen Brei herumredete, so vage wie er sich die ganze Zeit über äußerte. Er verbarg etwas.

 

„Hab ich doch gesagt“, behauptete er. „Auf jeden Fall geht es dabei um Marktanteile und so einen Kram, frag mich nicht, das ist eher Sasukes Ding. Ich bin für ihn im Verkauf tätig.“

 

Sakura speicherte das Gesagte sofort ab. Die kleinen Informations-Bröckchen, die er ihr zuwarf, könnten noch einmal wichtig werden.

 

„Aber was hab ich damit zu tun?“, hakte sie noch einmal nach.

 

„Also, wie gesagt, demnächst steht wieder eine Prüfung an und unser Lieferant möchte sehen, ob wir in der Lage sind, uns in verschiedenen Bereichen gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Unser ehemaliger Grafiker ist leider… nicht mehr verfügbar. Das kam ein bisschen überraschend, deswegen haben wir schnell einen Ersatz gebraucht. Und das bist du. Ich bin dafür zuständig, dich für die Prüfung fit zu machen, zumindest in der Anfangsphase“, seine Stimme wurde zum Ende hin immer schneller und Sakura hatte Mühe ihm zu folgen.

 

Also ging es darum, dass Sakura für Sasuke an einer Prüfung teilnehmen sollte, um seinen Lieferanten davon zu überzeugen, dass seine Organisation wettbewerbsfähig war. Und er hatte sie nur ausgewählt, weil ihr Vorgänger plötzlich aus irgendwelchen Gründen nicht mehr antreten konnte. Das bedeutete, dass er gewissermaßen von ihrer Leistung abhängig war. Nicht nur er hatte ein Druckmittel gegen sie. Sie schätzte ihn jedoch nicht wie jemanden ein, der freiwillig die Kontrolle über etwas abgab, insbesondere wenn es sich um etwas so Entscheidendes wie diese Prüfung handelte. Vermutlich hatte er aus irgendeinem Grund keine andere Wahl.

 

„Warum macht er denn die Prüfung nicht selbst?“, fragte sie ein wenig schadenfroh. „Sag bloß, der ach so tolle Kommunikationsdesign-Student ist zu uninspiriert.“

 

„Ist er nicht.“

 

Sakura fuhr erschrocken herum. Diese dunkle, melodische und gleichzeitig autoritäre Stimme hätte sie unter tausenden wiedererkannt. Sasuke stand im Türrahmen, den Unterarm lässig auf der Türklinke abgestützt und sah sie mit einem stechenden Blick von oben herab an, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

 


 

-5-
 

 
 

So schnell sie konnte rappelte Sakura sich auf und zog die Atemschutzmaske vom Gesicht. Sie wollte nicht auch noch vor ihm auf dem Boden knien, wenn er sie schon zur Schnecke machte. Noch dazu kam sie sich sowieso total dämlich vor in dem viel zu großen Plastikoverall, der bei jeder Bewegung knisterte.

 

„Warum muss du dich denn immer so anschleichen?“

 

Naruto war auch aufgesprungen und stellte sich direkt hinter Sakura. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er ihr dadurch so etwas wie Rückendeckung geben wollte und in dem Moment war sie mehr als erleichtert darüber. Noch konnte sie Sasuke nicht wirklich einschätzen und wusste nicht, wie er ihren provokativen Kommentar aufnehmen würde. Nicht umsonst war er nicht für seine Ohren bestimmt gewesen.

 

„Sonst würde ich ja die interessanten Gespräche verpassen“, seine Augen bohrten sich direkt in Sakuras.

 

Sie waren so dunkel und tief, dass sie das Gefühl hatte in einen unendlich tiefen Brunnen zu blicken, an dessen Ende nichts anderes als die Finsternis wartete. Obwohl er nicht zu seiner vollen Größe aufgerichtet war, überragte er sie fast um einen gesamten Kopf, sodass sie den Kopf leicht zurücklehnen musste, um seinen Blick zu erwidern. Ihr war gar nicht aufgefallen, wann er so dicht an sie herangetreten war, doch nun spürte sie seine Präsenz überdeutlich mit jeder Faser ihres Körpers.

 

„Naruto, du kannst Pause machen, Sakura, du wirst mich begleiten“, sagte er schließlich ruhig.

 

Sowohl seine Stimme, als auch seine Mimik ließen keinerlei Rückschlüsse auf seinen Gemütszustand zu. Für Sakura war diese Ungerührtheit noch viel schlimmer, als wenn er sie einfach angeschrien hätte. Es war die trügerische Ruhe, die ihr Angst machte. Möglicherweise nur eine Ruhe vor dem Sturm.

 

Sie spürte, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte und sie langsam in Richtung Tür bugsierte. Naruto. Er stärkte ihr wieder einmal den Rücken und sie war ihm dankbar dafür. Alleine hätte sie sich keinen Millimeter bewegen können. Sasuke trat einen Schritt beiseite und ließ die beiden passieren, bevor er die Tür hinter ihnen schloss. Es fühlte sich an wie das Zuschnappen einer Falle, einer Falle, aus der es für sie von jetzt an kein Entkommen mehr gab. Wenn es das überhaupt jemals gegeben hatte.

 

Naruto verabschiedete sich mit einem kurzen „Bis später!“ und ging  dann die Treppe nach unten, wo er in der Küche verschwand, aus der bereits gedämpfte Stimmen drangen. Sakura glaubte, in einer davon Shikamaru zu erkennen, die andere war ihr gänzlich unbekannt. Offenbar gab es noch mehr Personen, die hier ein- und ausgingen. Je weiter sich Naruto von ihr entfernte, desto mehr spürte sie, wie die Nervosität unerbittlich den Griff um ihre Eingeweide verstärkte. So lange er in ihrer Nähe war, fühlte sie sich irgendwie unbeschwert und es gelang ihr sogar zeitweise die Umstände, die zu all dem hier geführt hatten, zu verdrängen. Nun aber war da nur noch Sasuke.

 

Wieder legte sich eine Hand auf ihren Rücken, doch diesmal war es seine. Ein kalter Schauer kroch über ihre Haut, an der Stelle, wo er sie berührte und die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Es war nur eine hauchzarte Berührung und doch verfehlte sie ihre Wirkung nicht, als er sie bestimmend zu einer Tür auf der anderen Seite des Flurs dirigierte. Er ging dicht hinter ihr, sodass sie fast das Gefühl hatte, jede seiner Bewegungen spüren zu können. Auf jeden Fall aber, ließ er ihr keine Möglichkeit zu entkommen.

 

Sakura schwindelte ein wenig, als ihr sein Geruch in die Nase stieg und sie fragte sich, ob sie in der kurzen Zeit womöglich ein bisschen zu viel von den Farbdämpfen eingeatmet hatte. Wenn sie den Geruch beschreiben müsste, würde sie sagen, dass er nach Gewitter roch. Zumindest erinnerte sie der Geruch an Gewitter, aber das mochte auch daran liegen, dass es an dem Tag, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, wie aus Eimern geregnet hatte. Oder daran, dass sie Gewitter als kleines Kind immer als sehr bedrohlich empfunden hatte, eine Eigenschaft, die sie auch mit Sasuke verband.

 

Sie betraten einen Raum, den Sakura auf den ersten Blick direkt als Büro identifizierte. Zu ihrer linken befand sich ein altertümlicher Schreibtisch aus dunklem Holz, der sie ein wenig an die Kommode im anderen Zimmer erinnerte, und an den Wänden standen hohe Regale, die mit verschiedenen Büchern und Aktenordnern gefüllt waren. Der Blick nach draußen wurde durch eine Jalousie mit beweglichen Lamellen verdeckt, die trotzdem noch genug Sonnenlicht durchließ um zu erkennen, was die gesamte Wand hinter dem Schreibtisch einnahm.

 

Sakura konnte nicht anders, als zu starren. Es war dasselbe Motiv, das auch sie bereits etliche Male in den verschiedensten Variationen gezeichnet hatte und doch hatte sie so etwas noch nie zuvor gesehen. Es war beeindruckend. Einschüchternd. Ihr fiel es schwer, die richtigen Worte dafür zu finden. Die Linienführung war makellos, die Farben perfekt aufeinander abgestimmt. Das Bild war so vielschichtig, dass sie mit jedem Blick weitere Einzelheiten entdeckte, die sie erneut in Staunen versetzten und der Stil war gleichzeitig individuell und universell.

 

„Es ist…“, Sakura hatte noch immer Schwierigkeiten, das auszudrücken, was sie beim Betrachten dieses Werkes empfand.

 

„Alles andere als uninspiriert“, beendete Sasuke den Satz für sie.

 

Im Gegensatz zu Sakura wirkte er gänzlich unbeeindruckt und schien es zu genießen, sie so aus der Fassung gebracht zu haben. Nun also hatte sie einen ungefähren Eindruck davon, was er zu leisten vermochte und allmählich kam ihr seine Kritik gar nicht mehr so unberechtigt vor. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, welchen Maßstab er an ihre Entwürfe angelegt hatte. Je länger sie das Logo betrachtete, desto kleiner fühlte sie sich plötzlich. Genau das hatte er vermutlich beabsichtigt, indem er sie in dieses Büro gebracht hatte.

 

„Setz dich“, forderte Sasuke sie auf und deutete auf den Stuhl gegenüber des Schreibtischs.

 

Er ging zu einer kleinen Vitrine hinüber, in der eine wunderschön geschwungene Glaskaraffe und mehrere Gläser standen und schenkte ihnen beiden ein Glas Wasser ein, bevor er ihr gegenüber Platz nahm. Seine Bewegungen waren fließend bei allem was er tat und Sakura konnte nicht anders, als von dieser Eleganz beeindruckt zu sein. Überhaupt war sie von ihm beeindruckt, obwohl sie das gar nicht wollte. Es war wie eine unsichtbare Anziehungskraft, die sie seit der ersten Sekunde unweigerlich in seine Richtung gezogen hatte, ganz egal was ihr Verstand für Argumente dagegen gebracht hatte.

 

„Trink.“

 

Sakura war versucht, ihm zu sagen, dass sie keinen Durst hatte. Einfach nur, um ihm zu widersprechen, denn in Wirklichkeit hatte sie schon seit Stunden nichts mehr getrunken. Doch ihr Körper reagierte einfach auf seinen Befehl und sie nahm gleich mehrere Schlucke. Er beobachtete sie dabei und schmunzelte dann zufrieden, als die das Glas zurück auf die Tischplatte stellte.

 

„Sakura, sagt dir der Name Pain etwas?“

 

Sie riss erschrocken die Augen auf. Déjà-vu. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie sich von Sasukes Stimme im Gegensatz zu Suigetsus lauter und nerviger Stimme fast schon ein wenig umschmeichelt fühlte. Dennoch war der Inhalt der Botschaft der gleiche. Wollte er ihr drohen? Oder war es möglicherweise schon zu spät? Hastig warf sie einen Blick auf das Glas. Er hatte darauf bestanden, dass sie trank. Sakura spürte, wie ihr mit einem Mal immer wärmer wurde und ihre Hände begannen leicht zu zittern. Er hatte doch nicht…

 

„Es ist eine Droge“, antwortete sie ihm mechanisch.

 

Geruchlos. Geschmacklos. Das war das, was Suigetsu ihr darüber erzählt hatte. Man merkte nicht, wenn man sie zu sich nahm.

 

„Das meinte ich nicht“, widersprach er ihr.

 

Mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand strich er spielerisch über den Rand seines eigenen Wasserglases und beobachtete sie aufmerksam, als würde er auf eine bestimmte Reaktion warten. Sakura spürte, wie ihr Mund immer trockener wurde und widerstand dem Drang, noch einen Schluck zu nehmen. Sie würde ihm ohne weiteres zutrauen, dass er ihr etwas ins Glas gemischt hatte.

 

„Was meinst du dann?“, fragte sie, als sie die Stille schließlich nicht mehr aushielt.

 

Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt und ihre Stimme klang rau wie Schmirgelpapier. Sie wollte endlich wissen, worauf er hinaus wollte. Der Gedanke daran, dass bereits irgendetwas mit fataler Wirkung in ihren Blutbahnen zirkulieren könnte, machte sie wahnsinnig.

 

„Ich spreche von der Person Pain“, erklärte er schließlich. „Naruto hat dir ja bereits erzählt, dass du für mich an der Prüfung teilnehmen wirst und er wird deinen Gegner stellen.“

 

Sakura fragte sich, wieviel von ihrem Gespräch Sasuke wohl mitbekommen hatte. Es gelang ihr kaum, sich auf ihn zu konzentrieren, weil sie viel zu sehr von den Reaktionen ihres eigenen Körpers abgelenkt war. Bildete sie sich das nur ein, oder schlug ihr Herz mit einem Mal viel schneller? Ihre Fingerspitzen fühlten sich seltsam kalt an und kribbelten.

 

„Der Grund, warum ich nicht selbst antrete ist, dass die Regeln es mir verbieten“, fuhr er fort. „Unser Lieferant prüft uns in verschiedenen Disziplinen und jedes Organisationsmitglied darf nur einmal antreten. Damit scheide ich aus.“

 

Sasuke begann das Wasserglas in seiner Hand hin- und herzuwiegen und Sakura konnte nicht anders, als gebannt auf die tanzende Oberfläche zu starren. Wenn er daraus trinken würde, könnte sie endlich sicher sein, dass es gänzlich ungefährlich war. Doch er tat es nicht.

 

„Du wirst es wahrscheinlich mit Deidara zu tun bekommen. Seine Spezialität sind 3D-Graffiti, die so aussehen, als würden sie von innen heraus explodieren. Er ist nicht schlecht, aber er ist nicht so gut, wie ich es bin. Naruto wird dir die Basics zeigen, aber er ist leider nicht besonders talentiert. Wenn du das einigermaßen drauf hast, werde ich dir die Feinheiten beibringen.“

 

Er stellte das Glas wieder auf der Schreibtischplatte ab und sah sie eindringlich an. Erneut schlug ihr Herz schneller. Graffiti also. Das war die Technik, die Naruto ihr beibringen sollte und deswegen waren auch alle Wände und der Boden in dem Zimmer abgeklebt worden. Soweit sie wusste, waren die Farben besonders aggressiv und saugten sich sofort in alle möglichen Oberflächen, wo man sie nur noch sehr schwer oder auch gar nicht mehr abbekam. Sie war sich nicht mal sicher, ob man Graffiti überhaupt in geschlossenen Räumen sprühen sollte, selbst bei geöffnetem Fenster.

 

Noch weniger allerdings gefiel ihr die Vorstellung davon, dass Sasuke sie unterrichten sollte. In seiner Gegenwart fühlte sie sich, anders als bei Naruto, grundsätzlich unwohl. Er schüchterte sie ein und brachte sie dazu, dass sie permanent an sich selbst zweifelte. Dabei dachte sie eigentlich, dass sie das hinter sich gelassen hatte. Sie war eine erwachsene Frau. Erfolgreiche Studentin. Stark. Selbstbewusst. Fleißig. Doch all das vergaß sie augenblicklich, wenn er in ihrer Nähe war. Dann war sie nichts davon.

 

„Wann ist diese Prüfung?“, wollte sie wissen.

 

Er schnalzte mit der Zunge.

 

„Das ist das Problem. Theoretisch könnte sie jederzeit stattfinden, wir werden erst sehr kurzfristig informiert. Deswegen möchte ich auch, dass du ab jetzt jeden zweiten Tag hierher kommst, um mit Naruto zu üben.“

 

Ungläubig riss Sakura die Augen auf. Wie stellte er sich das vor? Sie hatte auch noch andere Verpflichtungen, wie zum Beispiel ihr Studium oder den Haushalt. Eventuell musste sie sich in nächster Zeit einen Nebenjob besorgen, um weiterhin alle nötigen Bücher bezahlen zu können.

 

„Was?“, stieß sie geschockt aus.

 

„Sakura“, die Art wie er ihren Namen aussprach, jagte ihr schon wieder Schauer über den Rücken. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn du freiwillig herkommen würdest. Ansonsten müsste ich mich nach einem geeigneten Druckmittel umsehen und das tue ich nur äußerst ungern. Selbstverständlich wirst du für die Zeit, die du hier verbringst, entlohnt.“

 

Die Sache mit dem Nebenjob hatte sich dadurch wohl erledigt. Allerdings konnte sie sich durchaus Schöneres vorstellen, als ihre Nachmittage hier mit Naruto – oder noch schlimmer einem von den anderen, die sie bis jetzt kennengelernt hatte – zu verbringen. Shikamaru schien ganz in Ordnung zu sein, aber der war allem Anschein nach auch nicht besonders gesprächig und die restlichen Mitglieder von Sasukes Organisation machten ihr irgendwie Angst.

 

Widerspruch war allerdings zwecklos, das ließ Sasuke sie mit seiner Drohung bereits deutlich spüren. Dass er ein geeignetes Druckmittel finden würde, daran zweifelte sie keine Sekunde. Die Prüfung schien ihm wirklich wichtig zu sein. Schließlich hatte auch er vor, seine Zeit dafür zu opfern und wollte ihr die Feinheiten persönlich beibringen.

 

„Was ist das überhaupt für ein Lieferant? Und was passiert, wenn ihr seine Prüfung nicht besteht?“, erkundigte sie sich.

 

Noch immer schlug ihr Herz unnatürlich schnell und sie fühlte sich fast ein wenig so, als hätte sie Lampenfieber. Irrte sie sich, oder war das Schwindelgefühl stärker geworden?

 

„Unser Produkt ist ein wenig kompliziert in der Herstellung und Beschaffung. Aus diesem Grund hat unser Lieferant so etwas wie eine Monopolstellung. Das sollte dir etwas sagen, oder?“, er lächelte süffisant und Sakura spürte trotz ihrer Angst sofort wieder die Wut in sich hochkochen.

 

Aus irgendeinem Grund behandelte er sie stets so, als müsse man ihr jede Kleinigkeit erklären, weil sie von nichts eine Ahnung hatte. Dabei war sie es, die von ihnen beiden BWL studierte und das sogar mit ganz gutem Erfolg. Dass er sie auch noch auf ihrem Fachgebiet unterschätzte, machte sie noch wütender als seine Kritik an ihren Entwürfen. In seinen Augen lag ein lauerndes Funkeln, so als wollte er sehen, ob es ihm gelungen war, sie mit seiner Provokation aus der Reserve zu locken, doch sie schluckte ihren Zorn mühsam herunter.

 

„Ich weiß, was eine Monopolstellung ist“, bestätigte sie mit beherrschter Stimme.

 

Noch konnte sie nicht ausschließen, dass er ihr irgendetwas untergejubelt hatte, um sie für ihren unüberlegten Kommentar zu bestrafen. Da war es nicht besonders klug sich mit ihm anzulegen.

 

„Stell dir vor, Konoha ist in unterschiedliche Bezirke unterteilt“, fuhr er unbeeindruckt fort. „Unserem Lieferanten liegt natürlich daran, dass sich seine Kunden nicht gegenseitig in die Quere kommen und so seine Einnahmen beeinträchtigen. Aus diesem Grund werden die Bezirke jedes Jahr nach bestimmten Kriterien aufgeteilt.“

 

Sakura fragte sich, um was für ein Produkt es sich wohl handeln mochte. Mittlerweile war sie sich zu neunzig Prozent sicher, dass sie hier keinesfalls über legale Prozesse sprachen. Ihre Fantasie spuckte sofort einige mögliche Alternativen aus. Menschenhandel. Auftragsmord. Prostitution. Drogen. Die letzte Option erschien ihr am wahrscheinlichsten, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass Suigetsu ihr bereits damit gedroht hatte. Außerdem passten Sasukes Aussagen in Bezug auf die komplizierte Herstellung. War sie hier wirklich in eine Drogensache reingeraten?

 

„Momentan sind uns sechs von zehn Bezirken zugeteilt“, erklärte Sasuke mit monotoner Stimme. „Das ist ein guter Anfang, aber es bestehen durchaus noch Potentiale.“

 

Aus der Schublade seines Schreibtischs zog er einen großen Stadtplan, den er auseinanderfaltete und vor ihr ausbreitete. Mit einem roten Stift waren verschiedene Linien eingezeichnet worden, die tatsächlich zehn durchnummerierte Bereiche voneinander abgrenzten. Im Gebiet um die Senju-Universität, das die Nummer eins trug, waren die Striche besonders dick.

 

„Uns gehören die Bezirke eins, zwei, vier, sieben, neun und zehn“, er deutete nacheinander auf die entsprechenden Flächen. „Die eins ist der wichtigste Bezirk, weil hier die meisten potentiellen Kunden anzutreffen sind, gleich danach kommt die neun. Dein Bezirk ist die sieben und auch den würde ich nur äußerst ungern verlieren.“

 

Auf der Karte konnte Sakura erkennen, dass es sich bei der neun um den Teil der Stadt handelte, in dem sich besonders viele Clubs und Diskotheken befanden. Die sieben lag relativ zentral in der Stadt und war von der Fläche her eher klein. Allerdings befanden sich hier der Hauptbahnhof und einige Einkaufsstraßen. Ihre Theorie mit den Drogen kam ihr immer wahrscheinlicher vor.

 

„Wem gehören die anderen Bezirke?“, wollte sie wissen.

 

Bei den Bezirken, die Sasuke ihr genannt hatte, war auf der Karte ganz klein das Symbol des Fächers aufgemalt, das sie schon ein paarmal für ihn gezeichnet hatte. Das Symbol seiner Organisation. In allen anderen Feldern entdeckte sie eine kleine Wolke, die ihr seltsamerweise irgendwie bekannt vorkam. Auch ihr eigenes Wohnheim befand sich in einem dieser Bezirke. Nummer fünf.

 

„Damit wären wir wieder bei Pain“, Sasukes Stimme klang ruhig und besonnen. „Seine Organisation trägt den Namen Akatsuki und sie haben in den letzten Jahren rapide an Mitgliedern gewonnen. Unser Lieferant ist bedauerlicherweise sehr angetan von ihren Methoden und damit sind sie unsere größte Konkurrenz. Ihnen gehören die restlichen vier Bezirke und selbstverständlich sind sie auch darauf aus, sich noch weiter zu vergrößern. Das dürfen wir nicht zulassen.“

 

Im Gegensatz zu Naruto, der gerne mal um den heißen Brei herumredete und sich mehr und mehr in seinen Erzählungen verlor, bis er zu einem ganz anderen Thema abgedriftet war, waren Sasukes Angaben kurz und prägnant. Er formulierte konkrete Ziele, wusste genau was er wollte. Sakura fragte sich, was passieren würde, wenn sie Bezirk Nummer sieben nicht für sich gewinnen konnte.

 

Bei dem Gedanken an Suigetsus Drohung kroch die Angst in jede einzelne ihrer Gliedmaßen und verstärkte das Zittern ihrer Hände nur noch, das begonnen hatte, seit sie von dem Wasser getrunken hatte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie schlimm es sein musste, wenn einem das eigene Gehirn solche Streiche spielte. Fest verkrallte sie sich im Saum ihrer Strickjacke, damit Sasuke es nicht bemerkte und versuchte unauffällig tief durchzuatmen. Es machte keinen Sinn, sich jetzt schon verrückt zu machen. Dann würde er ihre Schwäche nur ausnutzen. Vielleicht war es das Beste vom Thema abzulenken. Sakura räusperte sich.

 

„Dieser Pain, es ist doch sicher kein Zufall, dass er genauso heißt wie die Droge.“

 

Sasuke verschränkte die Finger ineinander und stützte den Kopf darauf ab, während ein amüsiertes Lächeln um seine Lippen spielte. Vermutlich hatte er bemerkt, dass sie bewusst ein anderes Thema angeschnitten hatte.

 

„Möglicherweise bringt man ihn damit in Verbindung.“

 

Das hatte sie sich schon gedacht. Sakura nahm all ihren Mut zusammen.

 

„Bringt man dich auch damit in Verbindung?“, fragte sie. „Mit Drogen?“

 

Sasuke legte den Kopf leicht schief. Sie kam nicht umhin, erneut festzustellen, wie unglaublich schön er war, fast unwirklich schön. Seine Gesichtszüge wirkten durch die makellose Haut irgendwie weich und gleichzeitig verliehen ihm die markanten Wangenknochen eine eiserne Härte. Aus irgendeinem Grund traute man schönen Menschen viel weniger zu, wenn es darum ging böse Dinge zu tun. Trotzdem war Sasuke für sie unberechenbar.

 

War sie mit ihrer Frage zu weit gegangen? Es war so unglaublich schwierig, etwas aus seiner Mimik abzulesen und doch konnte sie nicht anders, als ihn ständig genau zu betrachten. Noch nie hatte sie jemanden kennengelernt, der so viele Widersprüche in sich vereinte und sie damit an ihrer eigenen Vernunft zweifeln ließ. Sie war sich sicher, dass er sich seiner Wirkung auf andere Menschen bewusst war und das auch schamlos ausnutzte.

 

„Sakura“, der Name glitt von seinen Lippen wie flüssige Seide. „Du solltest dir dein hübsches Köpfchen nicht über solche Dinge zerbrechen. Allerdings“ – demonstrativ griff er nach seinem Glas Wasser und nahm einen Schluck – „musst du dir keine Sorgen machen, dass ich dir irgendetwas unterjubeln würde. Das ist nicht mein Stil. Ich lasse die Leute gerne bei vollem Bewusstsein leiden.“

 

Sie wusste nicht, ob sie wirklich erleichtert über seine Aussage sein sollte. Also hatte er es bemerkt und sie die ganze Zeit über mit dem Gedanken gefoltert, dass irgendetwas in dem Getränk sein könnte. Er hatte mit ihren Ängsten gespielt, ohne ihr dabei ein einziges Mal wirklich offen zu drohen, subtil und effektiv. Das nannte man dann wohl Placebo-Effekt.

 

-6-

 

 

Sakura saß an einem der Rechner in der Bibliothek. Mittlerweile las sie den Satz bestimmt schon zum sechsten Mal, ohne dabei auch nur einen Teil des Inhalts wirklich zu erfassen. Es fiel ihr zunehmend schwer sich zu konzentrieren und das lag nicht nur daran, dass sie die letzte Nacht wirklich kaum geschlafen hatte. Das Training mit Naruto verlangte ihr wirklich alles ab. Neben den Treffen, die alle zwei Tage stattfanden und sich oft bis in die Abendstunden zogen, erhielt sie an ihren freien Tagen den Auftrag, sich über die verschiedenen Techniken und Stile zu informieren.

 

An sich ein recht interessantes Thema, das Problem war nur, dass sie auch noch andere Dinge hatte, um die sie sich kümmern musste, wie zum Beispiel ihr BWL-Studium. Doch jedes Mal, wenn sie versucht hatte, diesen Punkt vorsichtig bei Sasuke anzusprechen, hatte er ihr nur ein müdes Lächeln geschenkt. Seine eigenen Ziele  hatten ganz klar Priorität und er hatte nun mal einen straffen Zeitplan gesetzt. Nur zu gerne erinnerte er sie daran, was passieren würde, wenn sie ihren Bezirk, den Bezirk Nummer sieben, verlieren würde und dabei fand er immer wieder neue Methoden, sie in die Enge zu treiben.

 

Letztlich blieb ihr also nichts anderes übrig, als trotzdem zu versuchen, alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen und darunter litt dann bedauerlicherweise ihr Schlaf. Sie nahm einen großen Schluck aus dem Pappbecher, der neben der Tastatur stand und verzog kurz darauf angewidert das Gesicht. Das Zeug, das sie an den Automaten in der Bibliothek verkauften, hatte die Bezeichnung Kaffee eigentlich überhaupt nicht verdient. Wenn überhaupt konnte man ihn nur mit jeder Menge Zucker und Milch runterspülen und selbst dann schmeckte er noch scheußlich.

 

Konzentriert kniff sie die Augen zusammen und las den Satz ein siebtes Mal. Sie war gerade dabei, sich über den 3D-Stil zu informieren, die Art von Graffiti, die ihr Gegner Deidara bevorzugte. Naruto hatte ihr ein paar Beispiele von ihm gezeigt und sie musste zugeben, dass sie ein wenig eingeschüchtert war. Es würde einiges nötig sein, um den Kerl zu schlagen. Leider konnte Naruto ihr nur bedingt weiterhelfen, da er selbst  hauptsächlich mit einfachen Tags arbeitete und es ihm schlicht und ergreifend an Erfahrung fehlte. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass es seine Hauptfunktion war, für sie den Babysitter zu spielen und einfach nur ein Auge auf sie zu haben. Dennoch war sie froh, dass er da war.

 

Naruto hatte die spezielle Fähigkeit, Menschen zu motivieren und wieder aufzubauen, wenn sie kurz vor dem Verzweifeln waren. Sie verdankte es ihm, dass sie nicht schon unzählige Holzbretter vor Wut einfach zersägt und anschließend aus dem Fenster geworfen hatte. Er animierte sie, nicht aufzugeben und es einfach nochmal zu versuchen, wenn sie einen Fehler gemacht hatte. Und das war gerade am Anfang sehr häufig passiert. Als sie von Pappe auf Holz umgestiegen waren, hatte Sakura zunächst einige Schwierigkeiten gehabt, weil sich die Saugkraft des Materials drastisch geändert hatte. Mit Naruto und seinen Tipps hatte sie das am Ende dann einigermaßen in den Griff gekriegt.

 

Ganz anders war da Suigetsu. Ab und zu, wenn Naruto mal keine Zeit hatte, schickte Sasuke ihn, um ihre Fortschritte zu überwachen. Meistens saß er nur auf einem Stuhl in der Ecke und spielte auf seinem Handy, während er ihr abfällige Blicke zuwarf und nichts Besseres zu tun hatte, als ständig herumzukritisieren. Natürlich handelte es sich nicht um konstruktive Kritik, denn Suigetsu hatte noch weniger Ahnung von Graffiti als ein Schluck Wasser. Es machte ihm einfach Spaß Sakura auf die Palme zu bringen und sie konnte absolut nichts dagegen unternehmen. Selbst als er einmal aus Versehen seinen Energydrink über ihre Arbeit gekippt hatte, war ihr nichts anderes übrig geblieben, als es so hinzunehmen und nochmal von vorne anzufangen. Mit Sasuke im Rücken, konnte er sich einfach alles herausnehmen.

 

Beim Gedanken an Sasuke wurde Sakuras Griff um den Kaffeebecher unwillkürlich fester. Es passte ihr gar nicht, dass der Kerl sie so dermaßen in der Hand hatte. Immer wieder ließ er durchsickern, was er alles über sie wusste. Und das war viel. Zu viel. Beinahe jeden Aspekt ihres Lebens und hatte sie noch so sehr versucht, ihn geheim zu halten. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass Shikamaru dahinter steckte. Keine Festplatte war vor ihm sicher, alles was über Elektronik gesteuert wurde, konnte er übernehmen und dazu bringen, genau das zu tun, was er wollte. Er war ein verdammtes Genie. Ein Genie, das blöderweise Sasuke mit Informationen versorgte. Wenn sie doch nur im Gegenzug irgendetwas über ihn in Erfahrung bringen könnte.

 

Sakura seufzte. Das alles hatte doch keinen Sinn mehr. Ihre Gedanken schweiften sowieso dauernd ab und vielleicht war es an der Zeit, eine kleine Pause einzulegen. Unentschlossen öffnete sie ein neues Browserfenster und starrte dann eine Zeit lang auf den blinkenden Cursor im Suchfeld der Startseite. Einen Moment lang zögerte sie noch, dann begannen ihre Finger zu tippen. Sie war zwar kein Genie wie Shikamaru, dennoch sollte es möglich sein über eine Internetsuche wenigstens an ein paar Informationen zu kommen.

 

Sasuke Uchiha.

 

Es gab gleich mehrere Treffer. Doch ihre erste Euphorie verflog sofort wieder, als Sakura erkannte, dass sich die Treffer allesamt auf einen anderen Sasuke Uchiha bezogen. Auch die Bildersuche ergab keine neuen Informationen. Nichts. Als hätte jemand sämtliche Informationen getilgt, die irgendetwas mit ihm zu tun hatten. Sakura verengte die Augen zu Schlitzen. Sie würde ihre rosafarbene Haarpracht darauf verwetten, dass auch hier Shikamaru die Finger im Spiel gehabt hatte. Frustriert schnaubte sie und löschte einen Buchstaben nach dem anderen wieder, bis nur noch ein Wort stehen blieb.

 

Uchiha.

 

Das Suchergebnis veränderte sich und zeigte plötzlich vor allem Einträge einer Firma an. Uchiha Solutions. Normalerweise hätte Sakura den Einträgen keine weitere Beachtung geschenkt, doch die Tatsache, dass die Firma ihren Sitz in Konoha hatte, machte sie stutzig. Ein paar Klicks später hatte sie sich auf die Homepage navigiert und begann zu lesen. Es handelte sich um ein gewöhnliches mittelständisches Unternehmen, das wohl ganz gute Gewinne abwarf und sich im Rahmen verschiedener Projekte sozial engagierte. Insbesondere das Thema Drogenmissbrauch durch Jugendliche schien der Firma ein Anliegen zu sein. Irritiert runzelte Sakura die Stirn. Das alles sprach ganz und gar dagegen, dass es hier eine Verbindung zu Sasuke gab.

 

Als nächstes sah sich Sakura das Impressum an. Geschäftsführer war ein sogenannter Hiruzen Sarutobi, von dem sie im Rahmen ihres Studiums sogar schon mal etwas gehört hatte. Der Mann hatte ein sehr gutes Gespür für den Markt und Innovationen und war dafür bekannt, dass er junge Firmen in ihrem Aufstieg unterstützte. Allerdings hatte sie bisher noch nie davon gehört, dass er selbst eine Firma leitete. Wer auch immer ihn als Geschäftsführer eingesetzt hatte, hatte damit definitiv einen großen Coup gelandet.

 

Sakuras Augen wanderten weiter über die Zeilen. Es waren noch ein paar Kontaktdaten und Verantwortliche für die Zweigstellen der Firma angegeben, doch das war es nicht, was sie interessierte. Noch immer wollte sie wissen, ob sie Sasuke irgendwie mit dem Unternehmen in Verbindung bringen konnte. Es konnte kein Zufall sein, dass er den Namen Uchiha trug. Erst am Ende der Seite wurde sie schließlich fündig. Inhaber: I. Uchiha. Gründer: Fugaku Uchiha und Mikoto Uchiha. Kein Sasuke.

 

Noch immer war Sakura nicht bereit aufzugeben. Das mysteriöse I sagte ihr erst mal absolut gar nichts und es würde schwierig werden, darüber noch mehr herauszufinden. Stattdessen kopierte sie die Namen der beiden Gründer in ihre Suchleiste und startete den Suchauftrag. Wieder tauchte ganz oben die Homepage von Uchiha Solutions auf, dicht gefolgt von verschiedenen Webseiten, auf denen ihre Produkte verkauft wurden. Der letzte Eintrag auf der Seite stammte jedoch von einer Lokalzeitung und schien auf den ersten Blick nichts mit der Firma zu tun zu haben. Kartellkrieg in Amegakure – Missglückte Übergabe fordert zivile Opfer. Sakuras Herz schlug augenblicklich schneller.

 

Ihre Hand verkrampfte leicht, als sie auf die Überschrift des Artikels klicke und somit auf die Webseite der Lokalzeitung weitergeleitet wurde. Es handelte sich um den Konoha-Kurrier, kurz KK, den sie selbst abonniert hatte, seit sie hier studierte. Normalerweise konzentrierte sie sich hauptsächlich auf den Wirtschaftsteil, in dem eher selten Nachrichten über die Opfer von Drogenkriegen zu finden waren. Dieser Artikel war jedoch komischerweise ebenfalls dem Wirtschaftsresort zugeordnet. Neugierig begann Sakura zu lesen.

 

Der Artikel begann wie üblich mit den wichtigsten Informationen. Amegakure war eine der Nachbarstädte von Konoha und wurde seit Jahren von einem Drogenkartell beherrscht, das von einem Mann namens Hanzo geleitet wurde. In Verbrecherkreisen nannte man ihn auch den Salamander, weil er seine Feinde wohl gerne mit Gift aus dem Weg räumte. Der Salamander war einen Deal mit den Sabakuno-Geschwistern aus Suna eingegangen – was genau dieser Deal beinhaltete, konnte nie wirklich nachgewiesen werden. Allerdings war bei der Übergabe wohl etwas schief gelaufen und Hanzo, der persönlich anwesend gewesen war, hatte eine Schießerei eröffnet, bei der es auch mehrere zivile Opfer gegeben hatte.

 

Ab hier wurde es interessant. Neben ein paar namenlosen Bürgern, waren zudem die Firmengründer Fugaku und Mikoto Uchiha unter den Opfern gewesen. Sie hatten sich aufgrund eines geschäftlichen Termins in Amegakure befunden und waren ebenfalls zwischen die Fronten geraten. Während Mikoto direkt vor Ort verstorben war, hatte man Fugaku noch in das örtliche Krankenhaus gebracht und erfolglos versucht ihm bei einer Notoperation das Leben zu retten. Nach dem Tod beider Firmengründer, ging das Unternehmen an den Sohn der beiden über, der zu diesem Zeitpunkt einundzwanzig  Jahre alt war. Statt selbst die Führung zu übernehmen, hatte er einen Geschäftsführer eingesetzt – Hiruzen Sarutobi.

 

Dieser Abschnitt erklärte zumindest, warum sich der Artikel im Wirtschaftsteil der Zeitung befand. Sakura spielte kurz mit dem Gedanken, dass es sich bei dem Sohn um Sasuke gehandelt haben könnte. Er war ein Uchiha und er lebte in Konoha. Allerding verwarf sie die Idee schnell wieder, als sie auf das Datum des Artikels sah. Der Vorfall war bereits sechs Jahre her und von Naruto wusste sie, dass Sasuke erst zweiundzwanzig war. Die beiden kannten sich schon aus der Schule und hatten zusammen Abitur gemacht. Naruto erwähnte nahezu ständig, dass er es ohne Sasukes Hilfe vermutlich gar nicht an die Uni geschafft hätte. Abgesehen davon begann Sasukes Name nicht mit I.

 

Trotzdem wurde sie den Gedanken nicht los, dass es irgendeine Verbindung zwischen Sasuke und dieser Firma geben musste. Wieder öffnete sie die Suchmaske und konzentrierte sich diesmal darauf, nach Informationen zu dem Vorfall in Amegakure zu suchen, statt speziell den Namen Uchiha einzugeben. Noch Wochen danach waren die Zeitungen voll davon gewesen und der Fall war immer seltsamer geworden. Allem Anschein nach hatte es nie eine Festnahme gegeben, da die Beteiligten an der Schießerei alle nach und nach plötzlich verschwunden waren. Angefangen bei Hanzo, dem Salamander, bis hin zu sämtlichen Handlangern der Sabakuno-Geschwister, die vor Ort gewesen waren. Den Geschwistern selbst konnte man nie eine Beteiligung nachweisen.

 

In ihrer Recherche stieß Sakura schließlich auch wieder auf den Namen Uchiha. Im Amegakure Anzeiger war zum ersten Mal die Rede von einem weiteren Sohn, den Fugaku und Mikoto Uchiha zurückgelassen hatten. Zum Zeitpunkt der Schießerei war er noch nicht volljährig gewesen, sodass man dem älteren Bruder das Sorgerecht für ihn übertragen hatte. Das könnte passen. Ihren Berechnungen zufolge war Sasuke gerade mal sechzehn Jahre alt gewesen, als der Vorfall passierte. Ihr Herz pochte schneller bei dem Gedanken daran, dass sie möglicherweise auf etwas gestoßen war.

 

„Seit wann interessierst du dich denn für Drogenkriege? Ist das der Grund warum du dich in letzter Zeit überhaupt nicht mehr blicken lässt?“

 

Erschrocken zuckte Sakura zusammen und drehte ruckartig den Kopf zur Seite, sodass sie ein leichtes Brennen in ihrem Nacken spürte.

 

„Ino, was machst du denn hier?“, fragte sie überrascht.

 

Ihre beste Freundin hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah sie vorwurfsvoll an.

 

„Du lässt mir ja gar keine andere Wahl“, schimpfte sie. „Man bekommt dich überhaupt nicht mehr zu Gesicht und du wagst es, dich noch als meine beste Freundin zu bezeichnen?“

 

Sakura wusste, dass sie es nicht ernst meinte und doch spürte sie einen kleinen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen. Seit sie regelmäßig mit Naruto trainierte, hatte sie tatsächlich kaum noch Zeit für Ino gehabt und sie ständig mit irgendwelchen fadenscheinigen Ausreden abgespeist. Am liebsten wollte sie ihr einfach die Wahrheit erzählen und gleichzeitig hatte sie riesige Angst davor, dass Ino herausfinden könnte, was Sache war. Da es Sakura nie besonders lange gelang, etwas vor ihr geheim zu halten, war sie ihr schlichtweg aus dem Weg gegangen. Schuldbewusst senkte sie den Blick.

 

„Tut mir Leid“, murmelte sie entschuldigend. „Ich hab momentan einfach wahnsinnig viel für die Uni zu tun.“

 

Sakura betete, dass Ino ihr diese Lüge abkaufen würde. Sie war tatsächlich jemand, der durchaus mal für ein paar Tage abtauchen konnte, wenn Prüfungen anstanden, aber das Semester hatte erst begonnen und das wusste auch Ino.

 

„Für die Uni?“, wiederholte sie ungläubig. Ihre Stimme klang dabei laut und schrill und sie nahm keinerlei Rücksicht darauf, dass die Leute um sie herum alles hören konnten. „Lernt ihr seit Neustem, wie man einen Bandenkrieg anzettelt?“

 

Es war unüberhörbar, dass Ino ihr die Lüge nicht abkaufte und Sakura konnte ihre Skepsis durchaus nachvollziehen. Da half nur eins, volle Kraft voraus. Für einen Rückzieher war es jetzt zu spät. Zum Glück kannte Ino sich nicht sonderlich gut aus mit BWL und das Thema interessierte sie meistens auch nicht besonders.

 

„Nicht ganz. Wir befassen uns mit alternativen Organisationsformen und den daraus entstehenden Problemen für den Markt.“

 

Sakura zwang sich zu lächeln und Inos bohrenden Blick zu erwidern. Wenn ihre beste Freundin eine Lüge witterte, konnte sie noch furchteinflößender sein als Sasuke, und das sollte schon etwas heißen. Es war jedes Mal eine Tortur ihr Geschenk bis zu ihrem Geburtstag wirklich geheim zu halten, sodass es am Ende noch eine Überraschung war. Ino hatte so etwas wie einen unsichtbaren Radar für Dinge, die man vor ihr verbergen wollte. Sakura durfte sich auf keinen Fall etwas anmerken lassen, denn wenn sie etwas mitbekommen sollte, befand sie sich automatisch in Gefahr.

 

„Du lügst, Sakura Haruno“, sagte Ino schlicht und bohrte ihr den Zeigefinger in die Brust. „Da ist irgendetwas im Busch und ich weiß, dass du versuchst, es vor mir geheim zu halten.“

 

Sakura schluckte und verschränkte ihre Finger ineinander, um den Drang zu unterdrücken, ständig damit herumzuspielen. Sie konnte deutlich sehen, dass Ino verletzt war. Verletzt von der Tatsache, dass ihre beste Freundin ein Geheimnis vor ihr hatte und ihr deswegen eiskalt ins Gesicht log. Mehr noch, dass sie kaum noch Zeit für sie hatte und ihr offensichtlich aus dem Weg ging. Sakura hatte das Gefühl, mit jedem Atemzug mehr und mehr an ihrem schlechten Gewissen zu ersticken, doch sie konnte ihr einfach nicht die Wahrheit sagen.

 

„Ino“, begann sie. „Es tut mir wirklich leid. Es ist nur… es gibt da eine gewisse Veränderung in meinem Leben und die beansprucht momentan einfach meine Zeit.“

 

Plötzlich wurden Inos blaue Augen groß und begannen zu leuchten. Unwirsch schob sie die Tastatur beiseite hüpfte dann auf die Arbeitsplatte direkt vor Sakura, wobei sie fast den scheußlichen Kaffee umgekippt hätte. Mit ihren Händen packte sie fest Sakuras Oberarme und beugte sich dann weit nach vorne, um ihr direkt in die Augen sehen zu können.

 

„Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, fragte sie mit einem bedrohlichen Grinsen und dieses Grinsen war dabei noch viel schlimmer als der enttäuschte Ausdruck, den sie zuvor gezeigt hatte. „Wie heißt er?“

 

Vollkommen überrumpelt weiteten sich Sakuras Augen.

 

„Wie heißt wer?“

 

Ino sah sie mit einem strengen Blick an, als wollte sie Sakura ermahnen, sie nicht für dumm zu verkaufen.

 

„Na der Typ, der dir so den Kopf verdreht hat.“

 

Hinter Sakuras Stirn begann es zu rattern. Allmählich wurde ihr klar, was für Schlüsse Ino aus ihrem Verhalten gezogen hatte und dass sie ihr damit unwissentlich die perfekte Ausrede geliefert hatte. Ungünstig war nur, dass sie nun einen Namen hören wollte und so wie Sakura ihre beste Freundin kannte, würde es nicht nur bei dem Namen bleiben. Sie musste sich schleunigst eine glaubwürdige Geschichte einfallen lassen, wenn sie noch auf den fahrenden Zug aufspringen wollte. So eine Gelegenheit würde sich nicht noch einmal bieten. Auch wenn es ihr wehtat, ihre beste Freundin belügen zu müssen, wusste sie, dass sie es nur zu deren eigenen Schutz tat. Das musste sie sich nur immer wieder vor Augen führen.

 

„Ist das denn so wichtig, wie er heißt?“

 

Es war ein schwacher Versuch, mit einer Gegenfrage den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, das war Sakura bewusst und doch fiel ihr gerade keine bessere Strategie ein, um Zeit zu schinden, bis sie sich einen Plan überlegt hatte.

 

„Also gibt es tatsächlich jemanden“, rief Ino mit funkelnden Augen.

 

Die Enttäuschung darüber, dass sie in den letzten Tagen so sehr vernachlässigt worden war, schien auf einen Schlag wie weggeblasen zu sein. Seit Sakura denken konnte, versuchte Ino bereits sie mit irgendeinem Kerl zu verkuppeln und war überzeugt davon, dass man als Frau alleine nicht glücklich sein konnte. Sie selbst war seit über zwei Jahren mit Darui zusammen, einem Model aus Kumogakure, das sie bei einem ihrer Shootings kennengelernt hatte. Sakura konnte den Kerl irgendwie nicht leiden, weil er auf sie sehr oberflächlich wirkte, aber Ino war ihm ganz und gar verfallen. Und solange Ino glücklich war, war Sakura es auch.

 

„Ich hab nicht gesagt, dass es jemanden gibt“, widersprach sie halbherzig und verschränkte die Arme vor der Brust.

 

Wenn Ino den Köder schlucken sollte, musste sie ihr die Informationen scheibchenweise geben.

 

„Sakura, du kannst vor mir einfach nichts geheim halten“, sprang Ino tatsächlich darauf an. „Denkst du mir ist nicht aufgefallen, dass du in letzter Zeit immer so müde bist. Der Kerl muss dich ja ganz schön auf Trab halten, wenn du in der Nacht nicht zum Schlafen kommst.“

 

Augenblicklich lief Sakura knallrot an. Der Kerl, der sie wirklich auf Trab hielt, war Sasuke und in diesem Zusammenhang wollte sie nun wirklich nicht an ihn denken. Schnell verscheuchte sie die Bilder, die vor ihrem inneren Auge aufgetaucht waren und presste Ino die Hand auf den Mund.

 

„Psst, nicht so laut“, fauchte sie. „Jeder hier kann uns hören.“

 

Tatsächlich waren einige Augenpaare auf sie gerichtet, die sich jetzt jedoch schnell wieder ihren Bildschirmen zuwandten. Ino hatte ein Talent dafür, die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen, was nicht zuletzt an ihrer lauten und durchdringenden Stimme lag. Allerdings hatte sie im Gegensatz zu Sakura auch kein Problem damit, wenn Leute sie anstarrten. Sie zog Sakuras Hand von ihrem Mund.

 

„Okay, folgender Deal“, begann sie verschwörerisch. „Ich halte die Klappe, wenn du mir dafür seinen Namen verrätst.“

 

In Sakuras Augen war das zwar kein Deal, sondern schlichtweg Erpressung, aber sie hatte das untrügerische Gefühl, dass es keinen Unterschied machen würde, wenn sie ihr das jetzt erklärte. Stattdessen brauchte sie so schnell wie möglich einen Namen. Einen Namen, der Ino möglichst nicht misstrauisch machen würde. Sasuke Uchiha fiel also schon mal raus. Es musste jemand sein, den sie nicht kannte und der ihr auch nicht bei der nächsten Gelegenheit zufällig über den Weg laufen würde. Trotzdem konnte sie nicht einfach so jemanden erfinden, der gar nicht existierte, das würde Ino merken.

 

Auf der Suche nach Antworten ließ sie ihren Blick hektisch durch die Bibliothek gleiten. Für Ino musste es so aussehen, als würde sie sich vergewissern, ob ihnen wirklich niemand zuhörte. Vor der Cafeteria tummelten sich mittlerweile die Leute, weil es dort im Gegensatz zum Automaten für ein paar Cent mehr ordentlichen Kaffee gab und außerdem auch ein paar kleinere Gerichte. Die Klapptafel neben der Tür verkündete wie jeden Tag das heutige Angebot. Ramen. Und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Im Grunde genommen war es nicht einmal gelogen, wenn sie behauptete, dass er der Mann war, der ihre Zeit beanspruchte.

 

„Naruto“, antwortete Sakura schließlich. „Er heißt Naruto.“

 

-7-

 

Bedauerlicherweise konnte Sakura nicht behaupten, dass der Zwist zwischen ihrem bisherigen Leben und der Zeit, die das Training für Sasuke in Anspruch nahm, in irgendeiner Weise erträglicher geworden wäre. Seit ihrem Gespräch mit Ino hatte sie versucht, wieder mehr Zeit für ihre beste Freundin einzuplanen, was sie regelmäßig ein paar zusätzliche Stunden Schlaf kostete, in denen sie dann ihren Unistoff nachholte. Das alles ging aber nicht spurlos an ihr vorbei. Sie fühlte sich müde, ausgelaugt und schlapp. Und schuld daran war nur Sasuke Uchiha.

 

Immer wieder erwischte sie sich dabei, wie sie in Gedanken Möglichkeiten durchspielte, wie sie seiner Organisation doch noch entkommen konnte. Irgendwo musste der Kerl eine Schwachstelle haben und wenn sie die erst mal gefunden hatte, konnte er sie nicht mehr dazu zwingen, ihre Zeit für ihn zu opfern. Sie würde ihm und seinen komischen Freunden den Rücken kehren und nie wieder auch nur ein Wort über die Sache verlieren. Der einzige, den sie vielleicht ein bisschen vermissen würde, war Naruto, doch das spielte erstmal keine Rolle, denn bisher war ihr sowieso noch kein brauchbarer Einfall gekommen. Es schien absolut unmöglich Sasuke zu entkommen, ausweglos.

 

An diesem Tag war es besonders schlimm, denn Ino hatte sie ohne etwas zu ahnen in einen Zwiespalt gebracht, als sie sie völlig aufgelöst angerufen hatte. Normalerweise sollte sie seit knapp dreißig Minuten beim Training mit Naruto sein, doch stattdessen war sie hier, in der Cafeteria der Bibliothek und widersetzte sich damit ganz klar Sasukes Befehlen. Sakura hatte lange mit sich gerungen, bevor sie schließlich eine Entscheidung getroffen hatte. Offenbar war es ein Notfall und Naruto würde das bestimmt verstehen. Er würde sie nicht verpfeifen, daran glaubte sie ganz fest. Trotzdem wurde ihr mit jedem Blick auf die große Uhr an der Wand über der Eingangstür ein wenig mulmiger.

 

„Er ist so ein verdammter Mistkerl“, schimpfte Ino empört und riss sie so aus ihren Gedanken.

 

Es war ein wenig schwierig sich auf das Gespräch zu konzentrieren, wenn sie im Hinterkopf ständig durchspielte, was passieren würde, wenn Sasuke herausfand, dass sie hier war statt mit Naruto zu üben. Abgesehen davon war sie auch heute wieder unendlich müde und hatte höchstens fünf Stunden geschlafen.

 

„Ino, er hat dich überhaupt nicht verdient. Er ist es nicht wert, dass du dich so aufregst“, versuchte sie Ino zum wiederholten Mal zu beruhigen.

 

Es ging um Darui, ihren Freund, beziehungsweise mittlerweile Exfreund. Offenbar hatte er sie auf einer seiner Reisen mit einer Kollegin betrogen und das wohl auch nicht zum ersten Mal. Nachdem sie das erfahren hatte, hatte sie sofort angerufen und sie in die Cafeteria bestellt, die praktischerweise direkt in der Mitte zwischen Sakuras Studentenwohnheim und ihrer Wohnung lag. Außerdem brauchte Ino grundsätzlich etwas Süßes, wenn sie sich über irgendetwas aufregte und davon gab es hier reichlich. Die Cafeteria war ihr gemeinsamer Ort, an dem sie sich regelmäßig über alles und jeden auskotzten, wenn sie ein Problem hatten.

 

„Ich verstehe es einfach nicht“, Inos Tonfall ging wieder in ein wehleidiges Klagen über. „Ist sie hübscher als ich? Intelligenter? Verdient sie mehr? Verdammt, ich hätte letzte Woche den Job in Kumogakure doch annehmen sollen. Wahrscheinlich dachte er, dass ich nicht genommen wurde und sie sich für eine andere entschieden haben. Mit so einer Versagerin will doch niemand zusammen sein.“

 

Sanft legte Sakura ihr eine Hand auf den Unterarm. Das ging nun schon eine ganze Weile lang so, dass ihre Stimmung ständig vom einen ins andere Extrem schwankte. Zuerst war sie wütend und wollte Darui am liebsten in seine Einzelteile zerlegen für das, was er ihr angetan hatte, und im nächsten Moment versank sie plötzlich in Selbstzweifeln und gab sich die Schuld an dem Ganzen.

 

Für viele war es kaum zu glauben, dass so jemand wie Ino tatsächlich an sich selbst zweifeln konnte. Sie war schön, schlau, erfolgreich und wirkte nach außen hin immer stark und so als könnte nichts an ihrem Selbstbild rütteln. In Wirklichkeit aber war auch sie nur ein Mensch. Ein Mensch mit Ecken und Kanten, Schwächen und Fehlern. Ein Mensch mit Unsicherheiten, auch wenn sie sich die normalerweise nicht anmerken ließ. Nur vor Sakura zeigte sie sich angreifbar und Sakura würde wie immer da sein, um ihre beste Freundin wieder aufzurichten und ihr zu der Stärke zu verhelfen, die sie nach außen hin präsentierte.

 

„Ino, sag doch sowas nicht“, widersprach sie ihr deshalb vorwurfsvoll. „Du bist eine tolle und starke Frau und es gibt wahrscheinlich keine, die hübscher ist als du. Jeder Mann würde dir zu Füßen liegen und wenn Darui das nicht sieht, dann hat er dich auch nicht verdient.“

 

Sakura wusste, dass es Floskeln waren, nur ein schwacher Trost. Dass es nicht ausreichen würde, um ein gebrochenes Herz zu flicken. Doch in dem Moment in dem sie es sagte, meinte sie jedes einzelne Wort auch genauso. Ino war für sie in vielerlei Hinsicht schon immer ein Vorbild gewesen und sie bewunderte sie auch jetzt noch, wie sie hier vor ihr saß, den Blaubeermuffin auf ihrem Teller zerpflückte als wäre es Darui höchstpersönlich und die Angelegenheit trotz allem noch mit Fassung trug. Sakura hätte sich längst in ihr tristes Wohnheimzimmer zurückgezogen, die Tür abgeschlossen und sich heulend auf ihr Bett geworfen, das sie dann die nächsten drei Wochen nicht mehr verlassen hätte. Doch Ino war hier, in einem öffentlichen Café, nicht mal eine Stunde nachdem sie von dem Betrug erfahren hatte. Das war der Unterschied zwischen ihnen beiden.

 

„Du hast Recht“, bestätigte Ino grimmig. Mittlerweile hatte ihre Stimmung schon so oft gewechselt, dass Sakura langsam nicht mehr hinterher kam. „Dieser miese Drecksack weiß überhaupt nicht, was ihm eigentlich entgeht. Er denkt, er könnte so mit mir umgehen? Pah, dem werde ich’s zeigen. Ich werde mir den heißesten Kerl an der ganzen Uni schnappen und dann werden wir ja sehen, wer hier nicht gut genug ist.“

 

Ihre Hand ballte sich zur Faust und ein paar Muffin-Krümel fielen zurück auf den Teller. Es war mittlerweile ihr dritter Muffin. Zuerst Vanille, dann Schoko und jetzt Blaubeere. Aus Erfahrung wusste Sakura, dass es ab dem vierten Muffin kritisch wurde, denn dann hatte Ino sich wirklich nicht mehr im Griff. Zum Glück waren die Kirsch-Muffins heute schon aus gewesen.

 

„Sakura, wir gehen morgen Abend feiern“, verkündete sie. „Ich muss mir einen heißen Typen schnappen und du wirst mitkommen, als seelische Unterstützung.“

 

Sakura konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, das Gesicht zu verziehen. Es war nicht so, dass sie ihre beste Freundin nicht unterstützen wollte, aber sie wusste bereits, wo das Ganze enden würde. Jeder Kerl, der noch ein Paar funktionierende Augen im Kopf hatte, würde versuchen sich an Ino ranzumachen, während sie einen nach dem anderen abblitzen lassen würde, bis sie am Ende zufrieden war. Es war ihre Art, ihr Selbstwertgefühl wieder aufzubessern und fast schon zu einem Ritual geworden. Nach jeder Beziehung, die sie beendet hatte, war sie mit Sakura zusammen feiern gegangen, aber bisher hatte es noch nie damit geendet, dass es ihr danach langfristig besser ging. Es war lediglich eine Illusion, der sie sich einen Abend lang hingeben konnte. Die Illusion, dass es ihr völlig egal war, dass ihr gerade jemand das Herz gebrochen hatte.

 

„Bin dabei“, verkündete Sakura dennoch.

 

In Inos Augen flackerte es kurz. Sie wusste selbst, dass das keine Lösung war.

 

„Danke“, sagte sie dennoch leise.

 

Eine Weile lang schwiegen die beiden und Sakura ließ ihren Blick durch das Café gleiten. Unwillkürlich blieb ihr Blick dabei wieder an der Uhr über der Tür haften. Mittlerweile war sie schon fast eine Stunde zu spät und sie betete, dass Naruto sie nicht verpfeifen würde.

 

„Wo wolltest du vorhin eigentlich hin, als ich dich angerufen habe?“

 

Ino war natürlich nicht entgangen, dass sie immer wieder nervöse Blicke in Richtung Uhr warf. Sakura winkte schnell ab.

 

„Das ist nicht so wichtig, ich kann da auch noch später hin.“

 

„Zu Naruto?“, hakte Ino nach.

 

Sakura wollte ihre beste Freundin nicht belügen und noch weniger wollte sie ihr gerade jetzt eine heile, funktionierende Beziehung vorspielen. Also schüttelte sie den Kopf.

 

„Nein, er hat zu tun.“

 

Da sie Ino nicht direkt in die Augen sehen konnte, ließ sie ihren Blick wieder durch das Café streifen und hätte daraufhin fast einen Herzinfarkt bekommen. Da war er. Und er steuerte direkt auf ihren Tisch zu. Seine Miene ließ wie immer nicht das Geringste erahnen und trotzdem war Sakura sich sicher, dass sein Besuch nichts Gutes bedeuten konnte. Sie hatten sich mit Absicht weit an den Rand gesetzt, wo sonst niemand saß, damit sie sich ungestört unterhalten konnten. Das hier war ihr Stammplatz, die Tische um sie herum waren allesamt leer und überhaupt war die Cafeteria um diese Zeit nicht wirklich gut besucht. Es war Freitagnachmittag, die meisten fuhren lieber nach Hause und genossen die ersten Stunden ihres Wochenendes, statt die Zeit in der Bibliothek zu verbringen. Aber er war hier. Und das konnte kein Zufall sein. Also hatte Naruto sie tatsächlich verpfiffen.

 

„Das ist schade, vielleicht kannst du ihn ja morgen mitbringen?“, Ino schien noch nichts bemerkt zu haben. „Ich würde ihn wirklich gerne mal kennenlernen.“

 

Sasuke kam näher. Bisher hatte er sie noch nicht direkt angesehen und doch war Sakura sich sicher, dass er sie registriert hatte. In einer Hand hielt er eine Kaffeetasse, aus der heißer Dampf trat, woraus sie schloss, dass er noch nicht lange hier war. In der anderen Hand hielt er einen Collegeblock, den sie schon öfter bei ihm gesehen hatte. Mit geschmeidigen Bewegungen stellte er die Tasse auf dem Tisch ab, der sich direkt hinter Ino befand, und zog dann den Stuhl zurück. Was hatte er vor?

 

„Weißt du Ino, ich glaube das ist keine so gute Idee“, stammelte sie und versuchte dabei nicht zu auffällig zu ihm hinüber zu starren. „Wir sollten lieber mal wieder einen richtigen Mädelsabend zusammen machen. Ich finde da haben Männer nichts verloren.“

 

Sasuke hatte sich tatsächlich hingesetzt und begann jetzt, sich seelenruhig auf seinem Block Notizen zu machen. Er hatte ihr das Gesicht zugewandt, sodass sie jede seiner Regungen genau verfolgen konnte, tat jedoch noch immer so, als hätte er sie nicht bemerkt. Es machte sie nervös, dass er hier war und offensichtlich wusste, dass sie ihr Training geschwänzt hatte.

 

„Ach komm schon“, meinte Ino empört. „Ihr seid doch frisch verliebt, da will man am liebsten jede freie Minute miteinander verbringen. Außerdem will ich Naruto unbedingt mal kennenlernen! Du erzählst so wenig über ihn und dabei seid ihr jetzt schon seit ein paar Wochen zusammen.“

 

Sasukes Kopf ruckte nach oben. Ihre Blicke trafen sich und Sakura sah darin ehrliches Erstaunen, gefolgt von offenem Zorn. Sakura wandte schnell den Kopf zur Seite, um seinen bohrenden Blicken zu entgehen und sah stattdessen in Inos flehendes Gesicht. Sie hatte keine Ahnung, warum es ihr plötzlich so wichtig war, Naruto kennenzulernen. Allerdings verfluchte sie sich jetzt schon dafür, dass sie seinen Namen genannt hatte, als ihre beste Freundin nicht locker gelassen hatte. Sie und Naruto. Das war absurd. Und das würde Ino auch merken, sobald sie ihm das erste Mal begegnete.

 

„Ihr könntet mir den Glauben an die Liebe wieder zurückgeben“, ließ sie dennoch nicht locker. „Nach dem, was du bisher erzählt hast, scheint er im Gegensatz zu Darui wirklich in Ordnung zu sein.“

 

Sakura schämte sich für das, was sie jetzt tat, aber sie musste die Chance ergreifen und so schnell wie möglich das Thema wechseln. Sasuke konnte jedes einzelne Wort mithören und das was er da zu hören bekam, war definitiv nicht nach seinem Geschmack. Seine sonst so beherrschte Miene wirkte nun ganz und gar nicht mehr gelassen und in dem kurzen Moment, in dem sich ihre Blicke getroffen hatten, hatte sie sehr genau gespürt, dass er alles andere als begeistert war. 

 

„Darui ist aber auch wirklich ein Arschloch“, griff Sakura das Gesagte auf. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass er dir das angetan hat.“

 

Es war schmutzig. Es war armselig. Es war einer besten Freundin nicht würdig. Aber die Taktik funktionierte und Ino stürzte sich sofort wieder auf das Thema, genauso wie auf die Reste ihres Blaubeer-Muffins. Die Schimpftiraden begannen von vorne, genauso wie die Stimmungsschwankungen und schon nach kurzer Zeit war Naruto wieder vergessen. Sie ließ sich noch eine Weile über ihren Exfreund aus, wobei Sakura ihr jedes Mal inbrünstig zustimmte, bis Ino schließlich erschöpft schnaufte und die Hände sinken ließ, mit denen sie die ganze Zeit über wild gestikuliert hatte.

 

„Ich glaub, ich brauch noch einen Muffin“, stellte sie fest.

 

Der kritische Punkt war also erreicht und Sakura selbst hatte sie dorthin gebracht.

 

„Soll ich dir einen holen?“, bot sie deswegen an.

 

Ino nickte und so stand sie auf und machte sich auf den Weg in Richtung Theke. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken daran, ihre beste Freundin jetzt alleine zu lassen. Insbesondere im Anbetracht der Tatsache, dass Sasuke direkt hinter ihr saß und die beiden die ganze Zeit über beobachtet hatte. Trotzdem durfte sie sich auf keinen Fall irgendetwas anmerken lassen und musste darauf vertrauen, dass er in ihrer Abwesenheit nichts anstellen würde. Im Grunde genommen waren sie hier an einem öffentlichen Ort, was sollte er da schon tun?

 

Wie immer, wenn man es eilig hatte, kam es Sakura so vor, als würde sich die Dame an der Kasse extra viel Zeit lassen. Sie hatte lediglich einen Muffin, sowie eine Tasse Tee für sich selbst zur Beruhigung gekauft und trotzdem tippte die Verkäuferin ewig lange auf der Tastatur herum. Grummelnd nannte sie ihr den Preis und Sakura knallte ihr den bereits abgezählten Betrag auf die Theke. Natürlich musste die Frau noch einmal nachzählen, bevor sie ihr schließlich zunickte und sich bedankte. So schnell sie konnte, hastete Sakura um die Ecke und blieb wie vom Donner gerührt stehen.

 

Sasuke saß nicht mehr auf seinem Platz. Der Block lag immer noch da und auch die Kaffeetasse hatte er stehen lassen. Mittlerweile war sie entweder leer oder nicht mehr ganz so heiß, auf jeden Fall hatte sie aufgehört zu dampfen. Ein Blick auf ihren Stammplatz genügte und sie wusste auch, wo er war, nämlich dort, wo sie selbst noch vor wenigen Minuten gesessen hatte. Er war in ein Gespräch mit Ino vertieft. Sakuras Herz schlug schneller und sie zwang sich sich wieder in Bewegung zu setzen. Sie durfte ihn auf keinen Fall länger mit ihr alleine lassen. Außerdem würde sie verhindern, dass Ino auch nur einen weiteren Schluck von ihrem Latte Macchiato nahm.

 

Im Endeffekt kam es anders. Sasuke hatte sie bemerkt, woraufhin er ihr ein spöttisches Lächeln schenkte und sich von seinem Platz erhob, noch bevor sie überhaupt am Tisch angekommen war. Er sagte irgendetwas zu Ino, was sie nicht verstehen konnte und schnappte sich dann seinen Block vom Nebentisch. Kurzerhand riss er die Seite heraus, die er vorhin noch so eifrig beschrieben hatte und drückte sie ihr in die Hand. Dann kam er auf Sakura zu.

 

Er ging so dicht an ihr vorbei, dass sie spüren konnte, wie sich ihre Arme für den Bruchteil einer Sekunde streiften. Wie immer, wenn er sie berührte, wurde sie von einem leichten Schauer erfasst, bei dem sich ihr Herz kurzzeitig zusammenzog. Unsicherheit. Angst. Nervosität. Das war das, was sie spürte, wenn er ihr zu nahe kam. Und Sasuke Uchiha wusste das. Es umgab ihn wie eine dunkle Aura, die sich schwerfällig auf jeden legte, der sich in seiner Umgebung aufhielt und verlieh ihm diese Überlegenheit, die er mit jeder einzelnen seiner Poren ausstrahlte. Er ließ sie keine Sekunde lang aus den Augen, bis er an ihr vorbeigegangen war und den Ausgang der Cafeteria ansteuerte. Die Botschaft war klar – sie hatte einen Fehler gemacht und dafür würde sie büßen.

 

Mit wackeligen Beinen kehrte Sakura zu ihrem Platz zurück. Wenn sie nicht alles täuschte, lag noch immer ein Hauch seines Geruchs in der Luft, wie ein aufziehender Sturm. Ein Sturm, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sich direkt über ihrem Kopf zu entladen und jeder, der in ihrer Nähe war würde darunter leiden. Sakura reichte ihrer besten Freundin den Muffin.

 

„Was wollte er?“, fragte sie dann.

 

Ino hielt noch immer das Blatt in der Hand, das er ihr überreicht hatte und Sakura versuchte unauffällig einen Blick darauf zu werfen. Es sah aus wie eine Skizze. Eine sehr aufwändige Skizze, die er nie im Leben nebenbei hätte machen können, während er ihr Gespräch belauscht hatte. Es war kein Graffiti, sondern erinnerte sie eher an etwas abstraktes, das aus verschiedenen Formen und Schattierungen bestand, die trotz ihrer Diversität wunderbar miteinander harmonierten.

 

„Es geht um einen Kurs, den wir zusammen haben“, erklärte Ino. „Wir müssen in kleinen Gruppen zusammenarbeiten und er war letzte Woche nicht da. Deswegen fehlt ihm ein Partner.“

 

Sakura entging nicht die winzige Spur von Stolz, die in ihrer Stimme mitschwang. Sie war stolz darauf, dass er ausgerechnet sie gefragt hatte.

 

„Ino“, rief sie entrüstet. „Du hast selber gesagt, dass man sich lieber von ihm fernhalten sollte. Der Typ ist mir nicht geheuer. Er soll sich jemand anderen suchen.“

 

Es gelang ihr nicht den leisen Hauch von Verzweiflung zu verbergen, doch Ino schien insgeheim bereits einen Schritt weiter zu sein. Im Gegensatz zu Sasuke war es nicht schwer, ihr jeden einzelnen Gedanken vom Gesicht abzulesen. Sie war drauf und dran, ihre Vernunft einfach über Bord zu werfen.

 

„So schlimm ist er nicht“, widersprach sie Sakura. „Er hat eigentlich einen ganz netten Eindruck gemacht.“

 

Ganz nett war in den Fall wohl etwas untertrieben. Ino schien völlig hin und weg von Sasuke zu sein. Wenn sie von ihm sprach, nahmen ihre Augen einen leicht verklärten Ausdruck an, den sie krampfhaft durch einen gespielt desinteressierten Blick vor Sakura zu verbergen versuchte. Außerdem konnte man nur allzu deutlich ihre innere Zerrissenheit sehen – sie wusste ganz genau, dass mit Sasuke irgendetwas nicht stimmte, aber offenbar wollte sie es in dem Moment einfach verdrängen. Was hatte er getan, dass sie nun einfach ihre Bedenken über Bord warf? Auch wenn sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, war es unverkennbar, dass er sie bereits erfolgreich eingewickelt hatte.

 

„Da stimmt doch irgendetwas nicht“, beharrte Sakura weiterhin auf ihrem Punkt.

 

Es musste ihr unter allen Umständen gelingen, Sasuke von Ino fernzuhalten. Nicht auszudenken, was es bedeuten würde, wenn die beiden wirklich in einer Projektgruppe zusammenarbeiteten.

 

„Was soll das denn jetzt heißen?“, fragte Ino eingeschnappt. „Vorhin hast du noch gesagt, dass mir jeder Mann zu Füßen liegen würde und jetzt glaubst du plötzlich, dass etwas nicht stimmt, wenn mich einer anspricht? Bist du eifersüchtig, Sakura?“

 

Sie befanden sich nun auf ganz gefährlichem Terrain. Durch die Sache mit Darui war Ino gerade mehr als nur empfindlich, was das Thema Männer betraf. Wahrscheinlich hatte Sasuke das schamlos ausgenutzt und ihr mit ein paar Schmeicheleien Honig ums Maul geschmiert, wofür sie momentan bedauerlicherweise sehr empfänglich war. Es ließ sich nicht bestreiten, dass er ein durchaus attraktiver Mann war, sogar verdammt attraktiv, was die Sache nicht gerade besser machte, aber er war eben auch ein gefährlicher Mann. Und das wusste Ino. Eigentlich.

 

„Ich verstehe nur nicht, warum du mich erst vor ihm warnst und jetzt plötzlich mit ihm zusammenarbeiten willst“, beteuerte sie.

 

Ino seufzte und schob ihr das Blatt Papier rüber, dass er zurückgelassen hatte, sodass sie ungehindert einen Blick darauf werfen konnte.

 

„Ich wäre dumm, wenn ich nicht mit ihm zusammenarbeiten würde. Er hat mir seine Skizzen gezeigt und die sind verdammt nochmal genial. Es geht nur um diesen einen Kurs. Warum soll ich also sein Angebot nicht annehmen?“

 

Weil er manipulativ ist. Weil er gefährlich ist. Weil er versucht, mich auf diese Weise weiter unter Druck zu setzen. All diese Gründe schossen Sakura sofort in den Kopf, doch sie schwieg. Sie konnte Ino ja schlecht die Wahrheit sagen und sie konnte auch nicht zugeben, dass sie Sasuke näher kannte, als ihrer besten Freundin bewusst war.

 

„Du hast wohl recht“, räumte sie deswegen ein. „Aber bitte überleg es dir trotzdem nochmal. Ich habe bei ihm kein gutes Gefühl.“

 

Mehr als diese Warnung auszusprechen blieb ihr im Moment nicht übrig. Egal, was sie sagen würde, sie stieß bei ihrer dickköpfigen Freundin auf Granit. Es war grundsätzlich schwierig, ihr Dinge auszureden, die sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte – da waren die beiden sich ausnahmsweise mal ähnlich. Doch wenn sie Ino nicht dazu kriegen würde, sich von Sasuke fernzuhalten, musste sie eben versuchen, Sasuke irgendwie von ihr fernzuhalten. Es würde auf jeden Fall nicht leicht werden, doch es war die einzige Möglichkeit, die ihr noch einfiel.

 

„Sakura, mach dir keine Sorgen“, Ino schien ihren beunruhigten Gesichtsausdruck bemerkt zu haben und lächelte sie aufmunternd an. „Aus Fehlern lernt man und ich bin nicht naiv. Nochmal lasse ich mich nicht von so einem Arschloch manipulieren.“

 

Doch sie konnte sagen, was sie wollte. Sakura wusste, dass sie gegen Sasuke keine Chance haben würde. Wenn Darui die Kreisliga der manipulativen Arschlöcher widerspiegelte, dann war Sasuke die Champions League. Er hatte ein ganz anderes Kaliber, spann unbemerkt seine Fäden, wickelte seine Opfer ein, nur um anschließend mit ihnen zu spielen wie mit Marionetten, die seinem Willen zu gehorchen hatten. Und wenn die es merkten, war es bereits zu spät. Ino war mehr als nur naiv, wenn sie glaubte ihm tatsächlich gewachsen zu sein.

 

In Sakura wuchs zunehmend der Entschluss heran, dass sie etwas gegen Sasuke unternehmen musste. Jetzt auf der Stelle. Solange er nur ihr das Leben zur Hölle machte, hatte sie damit umgehen können, aber nachdem er jetzt auch noch ihre beste Freundin mithineinzog, musste sie sich schleunigst etwas einfallen lassen. Auch wenn alles in ihr sich bei dem Gedanken daran zusammenzog, sie musste mit ihm reden und sie musste ihn davon überzeugen, dass er von Ino ablassen sollte. Egal wie.  

-8-

 

Sakura nahm einen der hinteren Ausgänge, die aus dem Bibliotheksgebäude führten. Von hier aus war der Weg zur Haltestelle kürzer und wenn sie Glück hatte, würde sie den Bus noch erwischen. Vielleicht konnte sie noch etwas gut machen, wenn sie wenigstens jetzt beim Training erschien. Im Notfall würde sie auch Überstunden machen und bis in die Nacht hinein arbeiten, wenn das bedeutete, dass Sasuke sie dafür in Ruhe ließ. Es war schon ziemlich spät und hatte bereits begonnen zu dämmern. Sakura gähnte und blinzelte dann die Tränen weg, die sich in ihren Augenwinkeln gebildet hatten. Noch immer war sie schrecklich müde, doch sie würde sich zusammenreißen.

 

Gerade wollte sie um die Ecke biegen und den schmalen Weg hinunter zur Brücke einschlagen, der eine Art Abkürzung darstellte, als plötzlich jemand von hinten ihren Arm packte und sie gegen die nächste Wand drückte. Sie war so überrascht, dass sie einen leisen Schrei ausstieß. Die Person hatte einen festen Griff und bewegte sie vollkommen lautlos, sodass sie sie zuvor nicht bemerkt hatte. Es war nicht schmerzhaft, doch sie hatte keinerlei Bewegungsfreiheit und ihr Blick war mangels Alternativen gegen die Backsteinwand gerichtet. Ihr Puls beschleunigte sich.

 

„Wo willst du hin?“, ertönte schließlich eine bekannte Stimme.

 

Sasuke. Er war nicht derjenige der sie festhielt, doch er konnte nur wenige Schritte entfernt von den beiden stehen. Irgendwie hatte sie bereits geahnt, dass er es nicht dabei belassen würde, doch sie hatte zumindest erwartet, dass sie eine Schonfrist hatte, bis sie beim Uchiha-Haus angekommen war. Offenbar hatte sie sich getäuscht. Eigentlich wollte sie sich bis dahin noch einen Plan überlegen, wie sie ihm gegenübertreten sollte.

 

„Zu Naruto“, antwortete Sakura mit betont ruhiger Stimme.

 

Er sollte nicht sehen, wie nervös sie war. Wenn er ihre Unsicherheit bemerkte, würde es schwer werden, überhaupt mit ihm zu verhandeln.

 

„Bist du dafür nicht ein wenig spät dran?“, man konnte das Missfallen in Sasukes Tonfall nicht überhören.

 

Er hasste Unpünktlichkeit, das wusste sie mittlerweile. Bereits bei ihrem ersten Treffen war sie zu spät gewesen und das hatte nicht gerade zur Besserung seiner Laune beigetragen. Aus den Augenwinkeln versuchte sie, die Umgebung abzusuchen, doch niemand war in der Nähe, der bemerken konnte, was hier gerade vor sich ging. Sie war auf sich alleine gestellt.

 

„Mir ist etwas dazwischen gekommen“, entgegnete sie tonlos.

 

Schritte ertönten und Sasuke kam ein Stück näher. Sie nahm eine Bewegung hinter sich war.

 

„Ich hoffe, das war es wert“, sagte er dann.

 

Der feste Griff, mit dem die zweite Person ihr den Arm verdreht hatte, lockerte sich ein wenig und Sakura sah dies als Erlaubnis, sich umzudrehen. Es war Juugo gewesen, der sie festgehalten hatte. Er stand so dicht bei ihr, dass sie sich augenblicklich durch seine imposante Statur eingeschüchtert fühlte. Aus irgendeinem Grund schien er kaum jemals von Sasukes Seite zu weichen. Der stand nur wenige Zentimeter neben ihm und hatte die Arme entspannt vor der Brust verschränkt, als würde ihn das alles überhaupt nichts angehen. Sakura hob ihren Blick und sah ihm dann trotzig in die Augen.

 

„Es ging um Ino“, erwiderte sie mit fester Stimme.

 

Natürlich war es das wert gewesen. Sie hätte ihre beste Freundin unmöglich in so einer Situation hängen lassen können. Aber all das wusste er bereits. Er hatte ja Teile ihres Gespräches mit angehört.

 

„Das ist keine Entschuldigung.“

 

Sasukes Blick war kalt und unnachgiebig und Sakura musste sich beherrschen, um ihm nicht auszuweichen. Es fühlte sich so an, als würde er sie mehr und mehr in einen Strudel ziehen, aus dem es kein Entkommen mehr gab und der ihr nach und nach den Boden unter den Füßen wegriss. Sie atmete tief ein.

 

„Das war eine einmalige Situation und es wird nicht wieder vorkommen.“

 

Sasuke lächelte. Doch es war kein freundliches Lächeln, sondern vielmehr ein belustigtes, als würde er sich darüber amüsieren, dass sie glaubte eine Wahl zu haben.

 

„Das wird es in der Tat nicht. Dein Unterricht bei Naruto ist beendet, ab jetzt werde ich deine Ausbildung persönlich übernehmen. So etwas wie heute wird nie wieder passieren.“

 

Sakura schluckte. Vor diesem Moment hatte sie sich die ganze Zeit über gefürchtet, denn bisher hatte Sasuke nur gelegentlich ihre Fortschritte überwacht. Und selbst da war er eigentlich niemals zufrieden gewesen. Naruto war zwar oft nervig und anstrengend, aber er hatte sie immer wieder aufgebaut und motiviert weiterzumachen. Wenn sie am liebsten frustriert und erschöpft alles hingeschmissen hätte, gab er ihr die Energie für einen neuen Versuch. Fehlschläge wurden von ihm heruntergespielt und er sah sie als Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Das würde bei Sasuke garantiert nicht passieren. Er würde schlicht und ergreifend keine Fehlschläge dulden.

 

„Verstanden“, bestätigte sie leise.

 

„Gut“, sagte er ruhig. „Dann fahren wir jetzt zurück in die Zentrale. Du wirst dein verpasstes Training aufholen.“

 

Wie auf ein unsichtbares Kommando hin setzte Juugo sich in Bewegung, allerdings nicht zur Bushaltestelle, sondern hinüber zu den Parkplätzen. Einen Moment lang zögerte Sakura noch, dann folgte sie ihm und Sasuke ebenfalls. Juugos Wagen stand auf den Parkplätzen der juristischen Fakultät, die sich in einer der mittleren Reihen befanden. Sie stiegen ein, Sasuke vorne, Sakura auf der Rückbank. Ein bisschen fühlte sie sich wie ein kleines Kind, das von zu Hause abgehauen war und nun von den wütenden Eltern zurückgebracht wurde. Demütigend. Die ganze Fahrt über schwiegen sie und auch als sie aus dem Auto stiegen, wurde kein Wort geredet.

 

Das änderte sich erst, als Sasuke die Tür aufschloss. Offenbar hatte Suigetsu bereits auf sie gewartet, denn er stand im Flur und konnte sein Grinsen kaum unterdrücken, als er die kleine Gruppe erblickte. Aus irgendeinem Grund wirkte er sogar noch aufgedrehter als sonst, was bei ihm wirklich etwas heißen sollte. Allerdings hatte er ausnahmsweise mal keinen Energy Drink in der Hand, sondern einen altmodischen Schlüssel. Sasuke warf ihm einen prüfenden Blick zu.

 

„Habt ihr ihn?“, fragte er knapp.

 

Suigetsu zog triumphierend eine Augenbraue nach oben und seine Lippen kräuselten sich zu einem sadistischen Grinsen.

 

„Er gehört ganz dir“, säuselte er dann.

 

In einer ausladenden Handbewegung reichte er Sasuke den Schlüssel, als wäre er ein kostbares Geschenk und deutete dabei eine leichte Verbeugung an. Sasukes Miene blieb unverändert und er reichte den Schlüssel an Juugo weiter.

 

„Bereitet ihn schon mal vor, ich kümmere mich später darum. Zuvor hab ich hier noch etwas zu klären.“

 

Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er von Sakura sprach, die augenblicklich spürte, wie sich ihre Muskeln verkrampften. Diese ganze Szene hier ließ nichts Gutes erahnen und Sakura ging davon aus, dass mit ihn eine Person gemeint war. Eine Person, die sich vermutlich nicht ganz freiwillig hier befand. Und bevor Sasuke sich um diese Person kümmern würde, war zunächst jemand anders fällig. Sie. Was auch immer dieses Kümmern bei ihm zu bedeuten hatte.

 

Juugo nahm den Schlüssel entgegen und verschwand dann mit Suigetsu die Kellertreppe hinunter. Sakura war nie dort unten gewesen und wenn sie es sich recht überlegte, wollte sie auch nicht unbedingt wissen, was sich dort befand. Im Moment wohl eine Person, die Sasuke auf irgendeine Art und Weise verärgert hatte und die Suigetsu für ihn aufgespürt hatte. Je weniger Sakura darüber wusste, desto besser. Manchmal konnte sie immer noch nicht glauben, in was sie da hineingeraten war, wollte es nicht glauben.

 

Sasuke bedeutete ihr, ihm die Treppe hinauf zu folgen und sie betraten gemeinsam sein Büro. Unwillkürlich wurde ihr Blick sofort wieder von dem großen Graffiti an der Wand hinter dem Schreibtisch angezogen und sie fragte sich, ob sie jemals so gut wie er werden könnte. Diesmal bat er sie nicht, sich zu setzen, weswegen sie unschlüssig zwischen den beiden Stühlen stehen blieb. Vielleicht würde es ja ganz schnell gehen und sie konnte wieder gehen und sich dem Training widmen.

 

„Sakura“, er verschränkte die Finger ineinander und lehnte sich entspannt in seinem Drehstuhl zurück. „Du weißt, dass mir dieser Wettbewerb sehr wichtig ist und du weißt, dass ich alles dafür tun würde, ihn zu gewinnen. Alles. Also warum tust du so etwas und zwingst mich dazu, es dir noch einmal deutlich zu machen?“

 

Sakura holte tief Luft.

 

„Es ging um Ino. Sie ist wie eine Schwester für mich und sie hat mich in dem Moment gebraucht“, sie zwang sich dazu, ihm in die Augen zu sehen. Irgendwie musste es ihr gelingen, ihn zu überzeugen und an sein Herz zu appellieren – falls er denn eines hatte. „Ich bin mir sicher, du würdest für deinen Bruder auch auf der Stelle alles stehen und liegen lassen, wenn es sein muss.“

 

Für den Bruchteil einer Sekunde konnte sie eine Veränderung in seinem Gesichtsausdruck erkennen und sie fragte sich, ob sie möglicherweise auf etwas gestoßen war. Genau genommen wusste sie nicht sicher, ob sie mit ihrer Aussage Recht hatte, aber wenn sie davon ausging, dass er der Junge aus dem Zeitungsartikel war, mussten die beiden sich sehr nahestehen. Immerhin hatte sein Bruder das Sorgerecht für ihn erhalten.

 

„Das tut nichts zur Sache“, wehrte er ab.

 

Seine Haltung hatte sich deutlich versteift und Sakura war sich nicht sicher, ob es klug war, an dieser Stelle weiter zu bohren. Trotzdem musste sie ihn unbedingt irgendwie davon überzeugen, Ino in Ruhe zu lassen. Nach dem, was sie unten im Treppenhaus mitbekommen hatte, sollte man Sasuke unter keinen Umständen unterschätzen. Das hier war kein Kindergarten, das hier waren Kriminelle, die auch nicht vor schwerwiegenden Straftaten zurückschreckten.

 

„Selbst wenn es keine Rolle spielt, bin immer noch ich diejenige, die den Fehler gemacht hat. Sie hat damit überhaupt nichts zu tun, also bitte… bitte Sasuke… lass sie da raus und halte dich von ihr fern. Ich mach alles, was du willst.“

 

Es war ihr mittlerweile egal, ob er die Verzweiflung aus ihrer Stimme heraushören konnte. Sasuke konnte in ihr sowieso lesen, wie in einem offenen Buch und dieses Wissen nutzte er auch jedes Mal aus, um es gegen sie zu verwenden. Er drohte ihr zwar nicht offen, so wie Suigetsu es gelegentlich tat, um sie daran zu erinnern warum sie hier war, aber seine Psychospielchen waren um einiges schlimmer als das.

 

„Du würdest also alles für sie tun?“

 

Seine Neugierde schien geweckt und ein interessiertes Leuchten trat in seine Augen. Ein Leuchten, dass ihr nur allzu deutlich machte, dass er der Jäger war und sie die Beute, die keine andere Wahl hatte, als sich auf sein Spiel einzulassen. Der Begriff alles war natürlich sehr dehnbar und als sie ihn gebraucht hatte, hatte sie nicht damit gerechnet, dass Sasuke sich direkt so darauf stürzen würde. Allerdings war sie auch niemand, der nachträglich einen Rückzieher machte und wenn sie Ino beschützen wollte, hatte sie im Grunde genommen gar keine andere Wahl.

 

Noch bevor sie ihm jedoch antworten konnte, ertönte aus dem unteren Geschoss ein markerschütternder Schrei. Sakura zuckte erschrocken zusammen. Es war ein Mann, der schrie und kurz darauf folgte ein dumpfes Geräusch, als hätte jemand mit voller Wucht eine ziemlich robuste Tür zugeschlagen. Was ging da unten bloß vor sich? Sie warf Sasuke einen verunsicherten Blick zu, doch der blieb wie immer gänzlich ungerührt. Ihn schien es viel mehr zu interessieren, wie ihre Antwort ausfallen würde.

 

„Ja, würde ich“, antwortete sie zögerlich.

 

Was sollte er schon tun? Er konnte sie schlecht zusammenschlagen lassen, wenn er sie noch für den Wettkampf brauchte. Damit fielen auch alle anderen Möglichkeiten weg, die bleibende Schäden hinterlassen würden. Allerdings zweifelte sie nicht daran, dass Sasuke seine Methoden hatte, um Leute zu bestrafen, die nicht das taten, was er von ihnen verlangte. Subtilere Methoden.

 

„Gut, ich werde dir eine Chance geben, es wieder gutzumachen.“

 

Am liebsten hätte Sakura erleichtert ausgeatmet, Ino war aus der Schussbahn, aber sie wusste noch immer nicht, was er sich für sie überlegt hatte.

 

„Danke“, sagte sie dennoch.

 

Wieder ertönte von unten ein Schrei. Diesmal deutlich gedämpfter. Zum Ende hin brach die Stimme des Mannes weg und sie schauderte bei dem Gedanken daran, was Juugo und Suigetsu wohl gerade mit ihm anstellten. Bisher hatte sie noch nie mitbekommen, dass Sasuke Leute hierherbringen ließ und es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie es auch diesmal nicht mitbekommen hätte.

 

„Sakura, du solltest mit deinen Gedanken nicht abschweifen, wenn ich dir schon eine Chance gebe“, mahnte Sasuke und zog die oberste Schublade seines Schreibtischs auf.

 

Er tat einfach so als würde er die Schreie nicht hören. Oder aber er hörte sie und es berührte ihn einfach nicht. Sakura ertrug es nicht, wenn sie mitbekam, wie andere Leute leiden mussten, selbst wenn sie die Person nicht kannte. Das hier war falsch. Sie sollte die Polizei rufen und ihnen sofort mitteilen, was hier geschehen war. Doch dafür hatte sie viel zu viel Angst. Angst um ihre beste Freundin Ino. Und Angst um sich selbst, auch wenn sie sich dafür hasste.

 

„Was soll ich tun?“, fragte sie beherrscht.

 

In einer flüssigen Bewegung zog Sasuke ein paar kleine Plastiktüten aus der Schublade, die er gerade eben geöffnet hatte und verteilte sie auf der Tischplatte. Etwa die Hälfte davon war gefüllt mit weißem Pulver, die andere Hälfte mit diversen Tabletten in verschiedenen Farben und Formen. Hätte sie es nicht längst schon geahnt, wüsste sie spätestens jetzt, dass Sasukes Organisation in Drogengeschäfte verwickelt sein musste. Er konnte wirklich keine Angst davor haben, entdeckt zu werden, wenn er ihr das so offen zeigte.

 

„Naruto hat für dieses Wochenende einen Auftrag von mir bekommen und du wirst ihm Gesellschaft leisten“, erklärte er. „Ich möchte, dass du dich unauffällig verhältst und keinen Ärger machst, sonst müsste ich mein Angebot eventuell noch einmal überdenken.“

 

Also wollte er, dass sie Naruto auf seiner Drogentour begleitete. Er hatte ihr gegenüber einmal erwähnt, dass er im Verkauf für Sasuke tätig war und nun wurde ihr auch klar, was er damals damit gemeint hatte. Sie würde sich strafbar machen. Zumindest aber wäre sie ein Mitwisser. Aber war sie das nicht schon längst? Im Grunde genommen hatte sie schon viel zu viel gesehen oder gehört, ohne irgendetwas dagegen zu unternehmen. Sie war feige. Aber er hatte ihren wunden Punkt gefunden.

 

„Dafür hältst du dich von Ino fernh?“, fragte sie zur Sicherheit noch einmal nach.

 

„Dafür vergesse ich, dass du heute deinen Unterricht verpasst hast“, korrigierte er.

 

Sakura ballte ihre Hände zu Fäusten.

 

„Du hast gesagt, dass du sie da rauslässt.“

 

Ihre Wut schien ihn zu amüsieren, denn er lächelte nur.

 

„Und du hast gesagt, dass du für sie alles tun würdest, weil sie für dich ist wie eine Schwester“, er sah sie mit einem herausfordernden Blick an. „Das würde ich gerne überprüfen.“

 

Sakura sollte sich also für ihn strafbar machen, ohne dafür die Garantie zu bekommen, dass er sich von ihrer besten Freundin fernhielt. Sie schnaubte wütend und versuchte so gut es ging, ihren Zorn unter Kontrolle zu halten. Ganz offensichtlich machte es ihm Spaß sie zu provozieren und wahrscheinlich wartete er nur darauf, dass sie eine Dummheit beging, wodurch er sie dann noch weiter in die Ecke drängen konnte. Diesen Gefallen würde sie ihm aber auf keinen Fall tun.

 

„Dann überprüf es“, forderte sie ihn heraus.

 

Nach außen hin wirkte sie deutlich gefasster, als sie es in Wirklichkeit war. Die Angst schnürte ihr zunehmend die Kehle zu und sie wollte eigentlich gar nicht wissen, was er sich für sie überlegt hatte.

 

Spielerisch ließ er eines der Päckchen durch seine Finger gleiten. Die Tabletten darin sahen unscheinbar aus. Weiß und in der Form einer Ellipse. Sie hatten keine Prägung, kein Symbol  was darauf hindeuten konnte, worum es sich dabei handelte. Es waren etwa zwanzig Stück in der Tüte und sie alle waren vollkommen identisch. Wie gebannt starrte sie auf seine Finger.

 

„Weißt du was das ist?“, fragte er betont beiläufig.

 

Sakura schüttelte den Kopf. Vermutlich irgendeine Art von Drogen. Wahrscheinlich das Zeug, was sie am Wochenende gemeinsam mit Naruto verkaufen sollte.

 

„Das macht nichts“, Sasukes Mundwinkel verzogen sich leicht. „Du wirst es herausfinden.“

 

Er hielt in seiner Bewegung inne und legte das Päckchen zurück auf den Tisch, woraufhin er es mit zwei Fingern zu ihr herüberschob. Gleichzeitig ließ er sie keine Sekunde lang aus den Augen. Sakuras Herz schlug schneller, überschlug sich fast vor Panik. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie starrte auf das Platiktütchen, das direkt vor ihr lag. In aller Ruhe begann Sasuke die restlichen einzusammeln und verstaute sie wieder in der Schublade, während er ihre Reaktion in vollen Zügen genoss. Dann stand er auf, ging zu der kleinen Vitrine und kam schließlich mit einem Glas Wasser zurück.

 

„Hier, das macht es vielleicht etwas leichter. Oder hast du nur große Töne gespuckt, als du gesagt hast, dass du für sie alles tun würdest?“

 

Spott. Seine Stimme triefte nur so vor Spott und sie wäre am liebsten quer über die Tischplatte gesprungen, um ihn am Kragen zu packen und gegen die nächste Mauer zu schlagen. Dass er das von ihr verlangte, war eines der schlimmsten Dinge, die er ihr antun konnte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie Drogen auch nur angerührt, selbst mit Alkohol war sie stets zurückhaltend gewesen. Es gab nichts, was sie mehr hasste, als wenn sie die Kontrolle über ihren eigenen Körper verlor, über ihre eigenen Gedanken.

 

Noch wusste sie nicht, was dieses Zeug bewirken würde, aber gerade das machte es umso schlimmer. Abgesehen davon hatte sie Suigetsus Worte nicht vergessen. Er hatte ihr von Pain erzählt und wenn sie eines wusste, dann dass sie niemals in Kontakt mit dieser Droge kommen wollte. Niemals. Keiner würde so etwas freiwillig nehmen, oder? Das waren seine Worte gewesen. Und nun verlangte Sasuke von ihr, dass sie etwas schluckte, von dem sie die Wirkung nicht kannte.

 

Aber es ging um Ino. Ihre beste Freundin Ino. Wahrscheinlich würde die keine Sekunde lang überlegen, wenn sie an ihrer Stelle wäre und sie würde niemals zulassen, dass jemand Sakura wehtat. Sakura schämte sich dafür, dass sie dennoch zögerte. Mit leicht zitternden Fingern öffnete sie die Plastiktüte und ließ eine der Tabletten herausgleiten. Ihre Handfläche war schwitzig und die ganze Hand zitterte. Mit der anderen Hand griff sie nach dem Glas und verharrte dann in dieser Position. Alles in ihr verkrampfte. Sie konnte es nicht. Sie konnte es einfach nicht tun. Verzweifelt schloss sie die Augen.

 

Sasuke ging um den Schreibtisch herum und stellte sich dicht hinter sie. Sie könnte die Wärme spüren, die von seinem Körper ausging und sie war sich sicher, dass er die Angst spürte, die jede Pore ihres Körpers gerade ausstrahlte. Langsam beugte er sich zu ihr vor, während Sakura nicht in der Lage war, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.

 

„Du hast die Wahl“, hauchte er dicht neben ihrem Ohr. „Du oder sie.“

 

Es war eine Lüge. Sie hatte keine Wahl. Was auch immer diese Tablette mit ihr anstellen würde, sie könnte es sich niemals verzeihen, wenn sie Ino ans Messer liefern würde. Das was er hier mit ihr machte, war Psychoterror. Wie er schon einmal zu ihr gesagt hatte, er ließ die Leute gerne bei vollem Bewusstsein leiden. Er gaukelte ihr vor, sie hätte eine Wahl. Zwang sie dazu, sich bewusst dafür zu entscheiden, dieses Zeug einzunehmen.

 

Fest umschloss Sakura das Wasserglas, das er ihr bereitgestellt hatte. Mittlerweile zitterten nicht nur ihre Hände, sondern ihr ganzer Körper und sie musste sich zusammenreißen, um die Tablette nicht ausversehen fallen zu lassen. Egal, was ab jetzt passieren würde, sie wusste, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Die einzig richtige Entscheidung.

 

„Ich hasse dich, Sasuke Uchiha“, zischte sie und schob sich die Pille in den Mund.

 

Dann trank sie das Wasserglas in einem Zug aus.

 

-9-

 

Bevor er ging, um sich mit seinem Gast im Keller zu befassen, gab er ihr eine Vorlage und den Auftrag, sie möglichst detailgetreu auf eine Holzplatte zu sprühen. Sie sollte ihr Training nachholen. Dann ließ er sie allein. Normalerweise wäre Sakura froh darüber, doch im Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher als Gesellschaft zu haben. Sobald sie nämlich alleine war, kam die Angst. Die Angst und die Gedanken daran, was mit ihr passieren würde, nachdem sie die Pille geschluckt hatte. In ihrer schlimmsten Horrorvision war es Pain. Auch wenn sie Sasuke nicht zutraute, dass er ihren Verstand aufs Spiel setzen würde, blieb ein gewisser Restzweifel bestehen.

 

Sie versuchte sich zu beherrschen. So gut wie möglich nicht daran zu denken. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch begann sie damit, die Outlines auf das Holz zu übertragen. Damit sie nicht ständig auf dem Boden kauern musste, hatte sie es auf einer angenehmen Höhe an der Staffelei befestigt. Trotzdem fühlte sie sich irgendwie verkrampft. Mehr als sonst, bemühte sie sich, die Sprühdose nicht allzu lange auf eine Stelle zu halten und die Linien so gerade wie möglich zu ziehen. Wenn Sasuke zurückkommen würde und sie hatte Mist gebaut, würde er sie garantiert alles noch einmal von vorne machen lassen.

 

Während sie mehr oder weniger konzentriert arbeitete, hörte sie immer wieder die Schreie. Es waren jetzt mehr geworden, lauter und in kürzeren Abständen. Dass Sasuke sich zu den anderen in den Keller gesellt hatte, tat dem Gast nicht besonders gut. Was auch immer sie von ihm wollten, Sakura zweifelte nicht daran, dass sie es am Ende bekommen würden. Und je früher sie es bekamen, desto früher würde Sasuke wieder zurück zu ihr kommen. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie seine Anwesenheit herbeisehnte oder doch lieber allein bleiben wollte. In der drückenden Stille, in der sie von ihren eigenen Gedanken immer mehr eingekreist wurde.

 

Ab und zu überlegte Sakura, ob sie Naruto eine SMS schreiben sollte. Vielleicht war er auch hier im Haus, immerhin hätten sie heute Nachmittag Unterricht gehabt, und vielleicht würde er ihr auch Gesellschaft leisten. Seine Anwesenheit beruhigte sie und er konnte bestimmt ihre Gedanken zerstreuen und sie ablenken, bis sie alles überstanden hatte. Allerdings wusste sie noch immer nicht, ob nicht Naruto höchstpersönlich sie bei Sasuke verpfiffen hatte. Sie hatte ihn schon einmal gründlich unterschätzt.

 

Die Zeit verging rasend und tropfte gleichzeitig unglaublich zäh dahin. Sakura wartete angespannt darauf, dass sich irgendetwas an ihrem Zustand verändern würde und das Warten zermürbte sie mit jeder Sekunde mehr. Immer wieder bildete sie sich ein, dass ihre Beine leicht zitterten oder dass ihr Puls deutlich erhöht war, doch das konnte sie genauso gut auf ihre Angst zurückführen. Sie hatte erbärmliche Angst.

 

Dann kam die Kälte. Das Zittern an ihrem Körper verstärkte sich immer mehr und sie war sich sicher, dass es nicht nur an ihrer Furcht lag. Sie fror. Ihre Finger fühlten sich eiskalt an und es wurde zunehmend schwerer die Sprühdosen zu halten. Der warme Strickpullover, den sie trug, reichte nicht aus, um die Wärme in ihrem Körper zu halten und auf ihrer Haut bildete sich eine Gänsehaut. Fest biss sie die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten. Das mussten die ersten Auswirkungen der Droge sein. Paradoxerweise war sie fast schon erleichtert, dass es endlich angefangen hatte.

 

Als sie das Gefühl hatte, es nicht mehr auszuhalten, stellte sie die Dose auf den Boden und rieb ihre Handflächen gegeneinander. Um sich aufzuwärmen hüpfte sie ein paar Mal auf der Stelle auf und ab und warf dabei immer wieder verstohlene Blicke zur Tür. Solange sie niemand sehen konnte, musste es ihr auch nicht peinlich sein. Viel Effekt erzielte sie dadurch jedoch nicht und schließlich gab sie es auf. Am besten, sie versuchte einfach schnell hier fertig zu werden, damit sie dann nach Hause und in ihr warmes Bett konnte.

 

Routiniert griff sie nach der Sprühdose und setzte sie erneut an. Es war schwierig ihre Hand ruhig zu halten, doch wenn sie sich konzentrierte, gelang es ihr. Sie versuchte alles auszublenden, die Angst, die Kälte, die Schreie und auch ihre Müdigkeit. Die ganze Zeit schon fühlte sie sich so unglaublich müde und nur das Adrenalin, dass durch ihren Körper schoss, seit Sasuke aufgetaucht war, hielt sie noch wach.

 

Als er schließlich wieder das Zimmer betrat, zuckte sie kurz zusammen. Sie hatte ihn nicht kommen hören, weil sie so sehr auf ihre Arbeit fokussiert war, um ja keine Fehler zu machen. Mittlerweile hatte Sakura schon mit dem Fill-in begonnen und sie sah deutlich, wie sein kritischer Blick über ihr Werk wanderte. Hier und da blieb er kurz hängen, stolperte über die Stellen, an denen sie zu lange verharrt oder an denen ihre Hand zu stark gezittert hatte. Ihm entging nichts, das wusste sie genau und doch sagte er kein Wort und sah ihr stattdessen nur weiter zu, wie sie ihre Arbeit machte.

 

Irgendwann raschelte es hinter ihr und als sie sich umdrehte, sah sie, dass er die Plane zur Seite geschoben hatte, um besser an die Heizung zu kommen. Er drehte den Temperaturregler ein Stück nach oben und ließ die Folie dann wieder sinken. Obwohl sie so gut es ging versucht hatte, vor ihm zu verbergen, wie sehr sie fror, hatte er es gemerkt. Dabei wollte sie vor ihm auf keinen Fall Schwäche zeigen. Sie würde das hier durchziehen und dann nach Hause fahren, wo sie hoffentlich die restlichen Auswirkungen der Droge irgendwie verschlafen konnte.

 

„Mir ist nicht kalt“, behauptete sie.

 

Ihr ganzer Körper war verspannt, so sehr bemühte sie sich, nicht zu zittern. Sasuke kam ein paar Schritte auf sie zu, bis er direkt vor Sakura stand und drückte ihr Kinn nach oben, sodass sie ihn ansehen musste.

 

„Du hast blaue Lippen“, sagte er knapp.

 

Seine Hand auf ihrer Haut brannte wie glühende Kohlen und sie entwand sich seinem Griff. Im Gegensatz zu ihr trug er keine Einweghandschuhe.

 

„Und wenn schon“, schnaubte sie.

 

Nachdem er ihr irgendwelche Drogen gegeben hatte, musste er jetzt nicht einen auf fürsorglich machen, darauf konnte sie wirklich verzichten. Von seinen Psychospielchen hatte sie genug und seine Berührungen fühlten sich unangenehm an. Viel zu warm. So als würde man einen Erfrierenden unter eine heiße Dusche stellen.

 

Sasuke zuckte mit den Schultern und trat zurück. Die Heizung ließ er trotzdem an und er sagte auch nichts mehr zu dem Thema. Stattdessen setzte er sich auf den einzigen Stuhl im Raum und begann zu zeichnen. Das tat er in letzter Zeit öfter und Sakura vermutete, dass es etwas mit dem bevorstehenden Wettbewerb zu tun hatte. Trotzdem spürte sie immer wieder seine Blicke im Rücken und er ließ sie niemals allzu lange aus den Augen. Sie hatte das Gefühl, dass er nicht den Fortschritt ihrer Arbeit überwachte, sondern viel mehr sie selbst. Als würde er auf etwas Spezielles warten. Wieder fragte sie sich, was er ihr gegeben hatte.

 

„Wird es mich abhängig machen?“, Sakuras Stimme zitterte.

 

Wenigstens das wollte sie wissen. Wenigstens das musste er ihr sagen. Sasuke sah nur kurz von seinem Block auf, dann widmete er sich wieder seiner Zeichnung.

 

„Nein.“

 

Erleichtert atmete sie aus. Sie wandte sich wieder der Holzplatte zu und trat einen Schritt zurück, um einen besseren Überblick zu haben. Es war nicht gut, allzu nah heranzugehen beim Sprühen, aber manchmal verlor sie sich einfach in den Details. Man konnte deutlich erkennen, welche Linien sie zuerst gezogen hatte und auch das Fill-in reichte nicht mal ansatzweise an die Qualität heran, die sie sonst zustande brachte. An einigen Stellen würde sie ausbessern müssen. Frustriert biss sie sich auf die Unterlippe.

 

Als sie diesmal die Sprühdose anhob, spürte sie plötzlich, dass es ihr unglaublich schwer fiel, den Arm oben zu halten. Es fühlte sich an als wären ihre Gelenke aus Pudding, ihre Muskeln nichts weiter als dehnbare Gummifäden und die Sprühdosen mit zentnerschweren Gewichten behangen. Vor Schreck hätte sie beinahe die Dose fallen lassen, doch im letzten Moment packte sie beherzt mit der rechten Hand zu und zwang sich, den Arm oben zu behalten. Er zitterte unkontrolliert und sie biss die Zähne zusammen. Noch eine weitere Auswirkung der Drogen also. Wie sollte sie so halbwegs ordentlich Farbe auftragen?

 

„Stimmt irgendwas nicht?“, erkundigte sich Sasuke scheinheilig und legte seinen Stift beiseite.

 

Mit Sicherheit wusste er genau, was nicht stimmte. Er konnte genau sehen, wie sehr Sakuras Arm zitterte, doch auch jetzt wollte sie nicht nachgeben.

 

„Nein, alles in Ordnung“, widersprach sie ihm knirschend.

 

Sogar das Sprechen bereitete ihr Probleme. Ihre Zunge fühlte sich seltsam schwer an und gleichzeitig irgendwie wie ein Fremdkörper, der nicht in ihren Mund gehörte. Allmählich breitete sich ein Kribbeln in ihren Fingerspitzen aus und sie schloss die Hand probehalber ein paar Mal zur Faust. Noch gelang es ihr, aber sie hatte den Eindruck, dass es mit der Zeit schwerfälliger wurde.

 

Eigentlich müsste sie die Farbe wechseln, aber die Verschlusskappen gingen schon so nicht besonders leicht auf. In ihrem Zustand würde sie das garantiert nicht schaffen, also griff sie erneut zu Dunkelrot. Das Ergebnis würde ein wenig abweichen von der Vorlage, die ihr Sasuke gegeben hatte, aber bisher hatte er sich noch nicht beschwert. Wahrscheinlich interessierte er sich gerade sowieso mehr für den Entwurf, den er nun schon seit einer Weile auf seinem Block skizzierte.

 

Wieder hob sie den Arm an und wieder war er so verdammt schwer. In dem Moment wo sie den Sprühkopf betätigte, verließ sie ihre Kraft und die Dose fiel mit einem lauten Klappern zu Boden, wo sie direkt vor Sasukes Füße rollte. Ihre Atmung ging immer schwerer und sie fühlte sich ausgelaugt wie nach einem Marathon. Schwach. So unglaublich schwach. Dabei wollte sie ausgerechnet vor ihm keine Schwäche mehr zeigen. Sasuke griff nach der Sprühdose und hielt sie einen Moment lang betrachtend in den Händen. Dann legte er den Block beiseite und kam auf sie zu.

 

Sakuras Beine wurden weich. Das kribbelnde Gefühl breitete sich rasend schnell in ihrem Körper aus und wurde mehr und mehr zu einem Gefühl der Taubheit. Sie hatte das Gefühl jegliche Kontrolle über ihre Muskeln zu verlieren und griff schnell nach der Staffelei, um sich daran festzuhalten. Das Holz entglitt ihren Fingern, die sich gar nicht wirklich geschlossen hatten und sie schwankte. Es lag nicht an ihrem Gleichgewichtssinn, der war völlig intakt. Es waren ihre Beine, die sich plötzlich anfühlten wie Wackelpudding und sich strikt weigerten ihren Befehlen zu gehorchen.

 

Wenige Sekunden lang gelang es ihr noch, sich aufrecht zu halten, dann gaben sie nach. Ohne etwas dagegen tun zu können, sank Sakura plötzlich nach vorne auf die Knie und hätte Sasuke nicht in dem Moment genau vor ihr gestanden und sie an den Schultern gepackt, wäre das eine außerordentlich unangenehme Kollision mit dem Boden geworden.

 

„Alles in Ordnung, hn?“, schmunzelte er.

 

Sakura konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen traten. Sie fühlte sich so unglaublich hilflos und erbärmlich. Er wusste, dass sie schwach war, es war nicht mehr zu übersehen, und sie hatte es nicht mehr länger geschafft sich zusammenzureißen. Jetzt wollte sie wenigstens nicht auch noch vor ihm anfangen zu weinen.

 

„Tut mir Leid Sakura, Strafe muss sein“, raunte er.

 

Sein Blick war ungewöhnlich sanft, fast schon zärtlich. Im Gegensatz dazu hielt er sie fest gepackt, da ihr ganzes Körpergewicht nun auf ihm lastete. Sie hatte die Kontrolle über sämtliche Muskeln verloren und war ihm dadurch komplett ausgeliefert. Würde er sie loslassen, würde sie fallen.

 

Doch das tat er nicht. Er legte sich einen ihrer Arme über die Schulter und griff dann unter ihrem anderen Arm hindurch. Auf diese Weise schleifte er sie hinüber zu dem Stuhl, auf dem er vor wenigen Sekunden selbst noch gesessen hatte und ließ sie vorsichtig darauf sinken. Es fühlte sich komisch an, wenn die eigenen Füße einfach nur noch wie Klötze hinter einem hergezogen wurden.

 

Obwohl Sakura nicht in der Lage war, sich eigenständig zu bewegen, spürte sie alles. Er war ihr so nah. Und sie hasste es, dass es sie nicht einfach völlig kalt ließ. Sie hasste es und sie hasste ihn. Vor allem aber hasste sie sich selbst für ihre Schwäche. Noch einmal nahm sie all ihre Kraft zusammen und versuchte, ihren Arm anzuheben, doch es hatte keinen Sinn. Nichts passierte. Es war als würden die Kommandos an ihre Muskeln nie dort ankommen.

 

Allmählich machte sich Panik in ihr breit und sie schloss voller Entsetzen die Augen. Wie lange würde dieser Zustand anhalten? Würde sie sich überhaupt wieder bewegen können? Im Grunde genommen war sie Sasuke völlig ausgeliefert und er konnte mit ihr machen, was er wollte. Wenn sie nur an die Schreie von dem Typen aus dem Keller zurückdachte, wurde ihr schlecht. Was hatten sie ihm angetan? Würde er ihr das gleiche antun?

 

Entgegen ihren Erwartungen entfernte Sasuke sich von ihr, als er sie einigermaßen stabil hingesetzt hatte und sich sicher sein konnte, dass sie nicht mehr vom Stuhl rutschen würde. Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, dass er drauf und dran war den Raum zu verlassen und sie wollte schreien. Das würde sie nicht ertragen. Jetzt hier alleine zu sein, möglicherweise stundenlang auf diesem Stuhl zu sitzen, ihr unfertiges Werk anzustarren und keinen Finger rühren zu können. Der Ton blieb ihr im Hals stecken. Nicht einmal schreien konnte sie.

 

„Sasuke“, hauchte sie flehend.

 

Er drehte sich noch einmal zu ihr um und warf ihr einen seltsamen Blick zu, den sie nicht definieren konnte. Dann ging er durch die Tür und sie war tatsächlich alleine. Wieder sammelten sich Tränen in ihren Augen, doch auch diesmal gelang es ihr, sie zurückzukämpfen. Es hatte keinen Sinn, jetzt zu weinen. Sie hatte ja noch nicht einmal die Kraft um sich die Tränen anschließend wegzuwischen. Wenn sie sich vorstellte, dass Suigetsu sie so sehen könnte. Der würde definitiv seinen Spaß daran haben und sie diesen Moment nie wieder vergessen lassen.

 

Sakura versuchte sich auf ihre Wut zu konzentrieren, da sie feststellte, dass es ihr dabei half, die Panik im Griff zu behalten. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich daran fest. Ihre Atmung beruhigte sich ein bisschen, doch gleichzeitig trat auch wieder die Kälte mehr und mehr in den Vordergrund. Sie fror. Obwohl Sasuke die Heizung hochgestellt hatte und es in diesem Raum wahrscheinlich viel zu stickig sein musste, fror sie noch immer.

 

Sakura hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Fünf Minunten, zehn Minuten oder sogar dreißig Minuten. Sie hatte ihr Zeitgefühl völlig verloren und war nur noch darauf fokussiert, nicht vollkommen auszurasten. In ihrem derzeitigen Zustand war sie der Situation vollkommen ausgeliefert und konnte sowieso nichts dagegen unternehmen. Als sie ein Geräusch hörte, versuchte sie trotz besseren Wissens den Kopf zu drehen, um zu sehen, wer da den Raum betrat.

 

Erst als er sich ihrem Blickfeld näherte, erkannte sie, dass es Sasuke war und schluchzte erleichtert auf. Auf der einen Seite war er der Letzte, den sie sehen wollte, auf der anderen Seite war sie so unendlich froh darüber, dass er zurückgekehrt war. Sie hielt es nicht mehr aus alleine. Keine Sekunde länger. In der linken Hand hielt er eine Decke, die er nun vorsichtig über ihren Schultern ausbreitete, wobei er ihren Oberkörper leicht nach vorne gegen seine Brust lehnte. Er fühlte sich noch immer warm an, aber diesmal war es eine willkommene Wärme, keine unangenehme. Sie wollte sich noch dichter an ihn drängen, es war ihr sogar egal, dass es sich um Sasuke handelte, aber nur wenige Augenblicke später lehnte er sie wieder zurück und zog die Decke vor ihrer Brust zusammen.

 

„Du bleibst heute Nacht hier“, verkündete er.

 

Sakuras Augen weiteten sich vor Schreck und wieder versuchte sie zu sprechen, doch es kam nur ein undefinierbarer Laut aus ihrer Kehle. Wenn sie die ganze Nacht alleine auf diesem Stuhl verbringen musste, würde sie noch den Verstand verlieren. Sasuke bemerkte ihren erschrockenen Gesichtsausdruck und fügte noch hinzu: „Naruto wird dich nachher auf ein Zimmer bringen.“

 

Naruto. Also war er wirklich hier. Ein weiterer kleiner Lichtblick, an den sie sich klammern konnte und sie hoffte nur, dass er sich nicht zu viel Zeit lassen würde. Hoffte, dass sie sich bis dahin wenigstens ein bisschen wieder bewegen können würde und dieser Albtraum endlich ein Ende hatte. Denn genau das war es, ein wahrer Albtraum.

 

Sasuke ging hinüber zur Staffelei und nahm die Holzplatte ab. Ein dicker dunkelroter Strich verlief quer durch das Logo, an der Stelle, wo ihr die Sprühdose abgerutscht war. Er stellte die Platte in eine Ecke des Raumes mit der bemalten Fläche zur Wand. Scheinbar wollte er sie auch nicht mehr sehen.

 

„Das muss besser werden“, sagte er dann. „Ich weiß nicht, was ihr die ganze Zeit über gemacht habt, aber das reicht bei weitem nicht.“

 

Sakura musste plötzlich daran denken, dass er gehört hatte, wie Ino von ihr und Naruto als Paar gesprochen hatte. Sollte seine Aussage eine Anspielung darauf sein? Und glaubte er wirklich, dass die beiden etwas miteinander hatten? Wenn ja, könnte das unter anderem eine Erklärung dafür sein, dass er sich dazu entschieden hatte, sie ab jetzt selbst zu unterrichten, statt es weiterhin Naruto zu überlassen.

 

Ein heftiger Schüttelkrampf überkam Sakura, sodass die Decke wieder von ihren Schultern rutschte. Sofort spürte sie, wie die Kälte wieder in ihren Körper drang und konnte doch nichts tun, um sich dagegen zu schützen. Sasuke kam auf sie zu und rückte die Decke wieder zurecht. Auf eine verquere Art und Weise war sie ihm dankbar dafür, dass er ihr zur Seite stand, aber auf der anderen Seite hasste sie ihn, weil er für ihren Zustand verantwortlich war. Die ganze Zeit über musterte er sie, ließ sie für keine Sekunde aus den Augen.

 

Irgendwann ließ er sich schließlich neben sie auf den Boden sinken, den Oberkörper gegen die Wand gelehnt und ein Bein locker angewinkelt. So saßen sie da und schwiegen. Warteten. Diesmal hatte sie das Gefühl, dass die Zeit irgendwie schneller verging. Seltsamerweise beruhigte seine Präsenz sie. Nicht so, wie es bei Naruto meistens der Fall war, sondern auf eine andere Art und Weise, die sich mehr wie Kapitulation anfühlte. Die Erkenntnis, dass sie an ihrer Lage sowieso nichts ändern konnte, brachte sie dazu, ihren Kampf aufzugeben und sich dem Schicksal zu fügen. Müde schloss sie ihre Augen.

 

Sie wurde davon wach, dass sie plötzlich eine leichte Auf- und Abbewegung registrierte. Sakura hatte überhaupt nicht gemerkt, dass sie eingeschlafen war und erschrak erst einmal, als sie feststellte, dass sie ihren Körper noch immer nicht bewegen konnte. Erst langsam kamen die Erinnerungen an den gestrigen Abend zurück und an die Pille, die sie genommen hatte, um Ino zu schützen. Sie spürte allerdings auch, dass sie nicht mehr auf dem Stuhl saß. Jemand trug sie auf seinem Arm.

 

„Fuck Sasuke, das war zu hart“, erkannte sie Narutos Stimme. „Was sollte das? Was wolltest du damit testen?“

 

Er sprach die Fragen laut aus, es klang jedoch nicht so, als würde er tatsächlich eine Antwort erwarten. Eher so als würde er mit sich selbst sprechen. Bei jedem seiner Worte spürte sie die Vibrationen in seiner Brust. Also war er derjenige, der sie trug. Sie blinzelte und öffnete dann schwerfällig die Augen, versuchte gleichzeitig mit einem undefinierbaren Geräusch auf sich aufmerksam zu machen. Naruto erschrak sich so sehr, dass er sie beinahe fallen gelassen hatte.

 

„Sakura verdammt, erschreck mich doch nicht so“, fluchte er, bemüht sein Gleichgewicht wiederzufinden.

 

Sie standen in einem der Gästezimmer, die sich ebenfalls im ersten Obergeschoss des Hauses befanden. Naruto ließ sie vorsichtig auf eines der beiden Betten sinken und sah sie eine Weile lang einfach nur an. Dann trat plötzlich ein schmerzvoller Ausdruck auf sein Gesicht. 

 

„Warum zum Teufel hast du mir nicht Bescheid gesagt? Ich hätte dich doch gedeckt, wenn ich es früher gewusst hätte. Sasuke stand plötzlich in der Tür und scheiße man, mir ist auf die Schnelle einfach keine gute Ausrede eingefallen. Ich hab kompletten Mist gelabert und er hat mich voll durchschaut. Und warum hast du dieses Zeug geschluckt? Sasuke würde niemals… er hätte das nicht tun dürfen.“

 

Er redete so schnell, dass Sakura Mühe hatte, jedes einzelne Wort zu verstehen. Seine Stimme klang rau und gleichzeitig voller Verzweiflung. Noch nie hatte sie ihn schlecht über Sasuke reden hören, doch gerade schien er seine Wut nur mit aller Kraft unterdrücken zu können. Wut. Anspannung. Verzweiflung. Sakura konnte in seinem Gesicht nur allzu deutlich sehen, dass er sich selbst die Schuld an dem gab, was passiert war. Wie hatte sie nur eine Sekunde lang glauben können, dass er sie ans Messer geliefert hatte?

 

„Es tut mir Leid“, flüsterte sie und versuchte sich an einem Lächeln.

 

Tatsächlich gehorchten ihr die Muskeln in ihrem Gesicht zumindest zu einem kleinen Teil wieder. Noch immer fühlte sie sich schwach. Erschöpft. Hilflos. Aber jetzt war zumindest Naruto hier und der konnte ihr ein Stückchen von ihrer Kraft zurückgeben. Mit ihm an ihrer Seite würde sie das hier durchstehen. Dieses Martyrium, das Sasuke ganz speziell für sie ausgewählt hatte. Sie würde es durchstehen, um ihm zu zeigen, dass sie nicht schwach war. Sie würde es Ino zuliebe durchstehen. Und sie würde es um ihrer selbst willen durchstehen.

 

Aber eines stand dennoch fest: Sie würde nie wieder in ihrem Leben Drogen anrühren. Nie wieder.

-10-

 

 

Es war laut. Es war voll. Und es war überhaupt nicht Sakuras Ding. Schon von dem Augenblick an, in dem sie den Club über den lilafarbenen Teppich im Eingangsbereich betreten hatten, wollte sie am liebsten sofort wieder umkehren. Allerdings stand das leider nicht zur Debatte. Also versuchte sie, so unauffällig wie möglich zu bleiben – ein Unterfangen, in dem sie praktisch so eine Art Profi war – und hielt sich stets dicht bei Naruto. Der zumindest hatte sich wahnsinnig gefreut, als sie ihm eröffnet hatte, dass sie ihn in Sasukes Auftrag am Wochenende begleiten würde, auch wenn er ziemlich überrascht gewesen war.

 

Die Auswirkungen der Droge hatte sie recht gut überstanden. Sie spürte zwar deutlich, dass ihr Schlaf fehlte und fühlte sich auch immer noch geschlaucht von den Ereignissen, aber sie hatte den ersten Teil der Abmachung erfüllt. Nun folgte Teil zwei und genau aus diesem Grund war sie hier. Naruto hatte sie vor weniger als einer Stunde zuhause abgeholt und gemeinsam waren sie mit dem Taxi dann ins Shippuden gefahren. Er hatte zwar nicht mit ihr darüber gesprochen, aber Sakura wusste, dass er Drogen dabei hatte, die er den Abend über unter die Leute bringen würde, und das allein machte sie schon nervös.

 

Es dauerte nicht lange, bis die ersten Gäste des Clubs auf Naruto zukamen. Man schien ihn hier zu kennen und auch er schien seine Kunden zu kennen, denn oft verwickelte er sie in einen kurzen Plausch, bevor er ihnen in einem unbeobachteten Moment das kleine Plastiktütchen zusteckte. Die Leute mussten ihm nicht sagen, was sie wollten, er wusste es. Und sie kannten auch den Preis dafür. Das alles lief so glatt und unscheinbar ab, dass Sakura nur staunen konnte. Ihr selbst wurde dabei kaum Beachtung geschenkt, nur ab und zu glitt ein musternder Blick über ihren Körper, der in einem viel zu kurzen Kleid steckte. Ino hatte es damals für sie ausgesucht.

 

Bei dem Gedanken an Ino musste sie leise seufzen. Sie war ganz und gar nicht begeistert gewesen, als Sakura ihr für den heutigen Abend abgesagt hatte. Allerdings hatte sie am Telefon aufgrund der Nachwirkungen der Droge wohl wirklich so beschissen geklungen, dass sie es ihr nicht übel nahm. Selbst Naruto schien schockiert über Sasukes Methoden zu sein und hatte erwähnt, dass es normalerweise nicht seine Art war, seine Mitarbeiter für kleinere Vergehen direkt so hart zu bestrafen. Er vermutete, dass es an der bevorstehenden Prüfung lag und die Organisation sich einfach keine Ausfälle leisten konnte.

 

Es war Sakura unheimlich unangenehm gewesen, mit ihm über das Thema zu sprechen. Natürlich hatte er Fragen gehabt, wollte wissen, wie es überhaupt so weit gekommen war, aber sie wollte die Sache am liebsten so schnell wie möglich vergessen und einfach nicht mehr daran denken. Von Sasuke wusste er nur, dass sie die Pille freiwillig genommen hatte, ohne zu wissen, worum es sich dabei handelte. Dass er sie mit irgendetwas unter Druck gesetzt hatte, konnte er sich dann selbst zusammenreimen. Scheinbar hatten die beiden eine kleine Meinungsverschiedenheit gehabt, bevor Naruto Sakura ins Gästezimmer gebracht hatte, aber darüber wollte er wiederum nicht reden.

 

Selbstbewusst schlängelte Naruto sich durch die tanzende und feiernde Meute. Man konnte nur allzu deutlich erkennen, dass das hier sein Terrain war und genauso bewegte er sich auch. Seine Augen glitten wachsam über die Reihen von Köpfen, als würde er nach etwas Bestimmtem Ausschau halten und gleichzeitig schien er ein Gespür dafür zu haben, wer umgekehrt auf der Suche nach ihm war. Sakura traute sich nicht wirklich hinzuschauen, aber seine Einnahmen überstiegen bereits nach weniger als einer Stunde das, was sie im Monat zur Verfügung hatte – inklusive Miete.

 

Irgendwann steuerte Naruto eine kleine Sitzecke am Rande der Tanzfläche an. Dort war gerade ein Platz frei geworden und Sakura ließ sich erleichtert neben ihm in die Polster sinken. Ihre Füße taten weh. Die hohen Schuhe waren pures Gift und sie fragte sich, wie Ino tagtäglich in diesen Dingern arbeiten konnte. Außerdem hatte sie das Gefühl, es keine Sekunde länger in diesem Gedränge auszuhalten, was auch ein bisschen daran lag, dass sie ihrem Körper noch nicht so ganz traute. Jedes Mal, wenn jemand sie anrempelte und sie drauf und dran war, das Gleichgewicht zu verlieren, hielt sie für einen kurzen Moment den Atem an und fühlte sich in ihre gestrige Hilflosigkeit zurückversetzt.

 

Plötzlich sprang Naruto von seinem Platz auf und begann wie ein Wilder den Arm hin- und herzuschwenken. Neugierig reckte Sakura den Kopf in die Höhe, um zu sehen, wem er da zuwinkte und entdeckte schließlich ein bekanntes Gesicht in der Menge. Allerdings ließ es sie nicht gerade Freudensprünge vollführen und sie verzog stattdessen weniger enthusiastisch das Gesicht. Bis eben war der Abend noch einigermaßen erträglich gewesen, doch das konnte sich ganz schnell ändern.

 

Suigetsu hatte sie mittlerweile auch entdeckt und kam breit grinsend auf sie zu. An seiner Seite ging eine junge Frau, die etwa im gleichen Alter war wie Sakura und einen unfassbar kurzen Rock trug. Ihr Haar war leuchtend rot und fiel ihr teilweise ins Gesicht, wodurch es zur Hälfte die schmale, schwarz-umrandete Brille verdeckte. Dennoch wirkte ihr Blick unheimlich durchdringend und fast schon herausfordernd. Sie hatte etwas Lauerndes an sich, als sie auf die kleine Tischgruppe zukam.

Naruto und Suigetsu begrüßten sich mit Handschlag, während die Frau ihm nur kurz zunickte und sich dann wortlos auf einem der Hocker niederließ.

 

„Sakura – Karin, Karin – Sakura“, stellte Naruto die beiden vor, während er abwechselnd auf sie deutete.

 

Sofort spürte sie Karins prüfenden Blick auf sich. Bei dem Namen klingelte irgendetwas, aber sie konnte es beim besten Willen nicht zuordnen.

 

„Du bist also die Neue?“

 

Ihr Tonfall klang nicht gerade begeistert, mehr so als würde sie ihr am liebsten auf der Stelle die Augen auskratzen.

 

„Sieht so aus“, bestätigte Sakura.

 

Aus irgendeinem Grund war die Rothaarige ihr jetzt schon unsympathisch und sie hatte das Gefühl, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Aus ihrer Frage schloss sie, dass Karin ebenfalls ein Teil von Sasukes Organisation war und plötzlich fiel ihr auch wieder ein, wo sie den Namen schon einmal gehört hatte. Bei dem kurzen Gespräch mit Shikamaru hatte der behauptet, dass sie gar nicht schlimmer sein konnte als Karin. Allerdings wusste sie nicht, ob sie diesem Urteil trauen konnte, denn er schien insgesamt nicht besonders gut auf Frauen zu sprechen zu sein.

 

„Scheiße man, du sollst das Zeug verkaufen und nicht selber einwerfen“, ergriff Karin schließlich wieder das Wort und klang dabei fast ein wenig schadenfroh.

 

Ihr Blick wanderte einmal über Sakuras Gesicht, verharrte dabei mehrere Sekunden an den dicken Augenringen und den eingefallenen Wangen. In den grellen bunten Lichtern, die immer wieder über die Wände zuckten, musste sie noch schlimmer aussehen, als sie sich fühle. Trotzdem brauchte die dumme Kuh ihr das nicht auch noch so schamlos unter die Nase zu reiben. Die beiden kannten sich gerade einmal ein paar Minuten und sie wagte es bereits, sich ein Urteil über ihr Leben zu bilden. Suigetsu rutschte neben Sakura auf die Bank und rempelte sie dabei unsanft an, was sie mit einem Zähneknirschen quittierte.

 

„Ah, du kennst doch Sasuke“, mischte er sich nun auch in das Gespräch mit ein. „Wer nicht hören will, muss fühlen.“

 

Ein gehässiges Grinsen zierte seine Lippen. Also wusste auch er darüber Bescheid, was passiert war. Sakura fühlte sich unglaublich bloßgestellt und musste ein paar Mal schlucken, um das eklige Gefühl im Hals loszuwerden, das sich mit einem Mal gebildet hatte. Karins Blicke bohrten sich in ihre Haut, so als wollte sie ihr keinen Nanometer Privatsphäre gönnen, jetzt, nachdem sie offensichtlich auf eine interessante Geschichte gestoßen war.

 

„Was hat er ihr gegeben?“, bohrte sie neugierig nach.

 

Sakura presste fest die Lippen aufeinander und starrte auf die Tischplatte. Sie wollte nur noch weg hier. Die beiden waren gerade dabei, sie nach Strich und Faden vorzuführen und sie konnte nichts, absolut gar nichts dagegen tun. Auf ihrer rechten Seite saß Naruto, links versperrte Suigetsu ihr den Weg.

 

„Eine meiner Spezialmischungen“, erzählte Suigetsu feixend. „An sich ziemlich ungefährlich, aber trotzdem unangenehm. Es sorgt dafür, dass…“

 

Gerade hatte Sakura sich damit abgefunden, dass er die ganze Geschichte noch einmal auspacken und die beiden sich jede grausame Einzelheit in ihren Gedanken ausmalen würden, als ein lautes Poltern sie plötzlich alle zusammenzucken ließ.

 

„Suigetsu, es reicht“, sagte Naruto entschieden. Seine Hand, mit der er eben auf die Tischplatte gehauen hatte, bebte leicht. „Es war keine Strafe, es war ein Test. Und Sakura hat diesen Test bestanden. Ihr habt nicht das Recht, euch über sie lustig zu machen. Soweit ich weiß, hat sich bisher keiner von euch Sasukes Anerkennung auf diese Weise verdient.“

 

Überrascht weiteten sich Karins Augen und auch Sakura blinzelte verblüfft. Noch nie hatte sie Naruto so autoritär erlebt, auch wenn er schon des Öfteren mal etwas lauter wurde, insbesondere bei seinen kleinen Streits mit Suigetsu. Außerdem war sie bisher auch davon ausgegangen, dass es sich um eine Strafe gehandelt hatte. Sasuke hatte zwar gesagt, dass er gerne etwas überprüfen würde, aber sie hatte es als Teil ihrer Bestrafung gesehen.

 

„Was soll das heißen, sie hat sich seine Anerkennung verdient?“, fauchte Karin gereizt. „Weil sie freiwillig ein paar Pillen geschluckt hat, ohne rumzuheulen? Als ob man Sasuke mit so etwas beeindrucken könnte.“

 

Naruto blitzte sie herausfordernd an. Ganz offenbar hatte er da einen wunden Punkt bei ihr getroffen. Sakura war einfach nur unendlich froh, dass er das Gespräch von ihr weggelenkt hatte und versuchte sich zwischen den beiden Männern so klein zu machen wie nur möglich.

 

„Jedenfalls mehr, als mit einem kurzen Rock und ein paar Nuttenstiefeln“, entgegnete Naruto provokant.

 

Spielend leicht hatte er den Spieß umgedreht und stattdessen sie an den Pranger gestellt. An der Art, wie die beiden miteinander umgingen, glaubte Sakura zu erkennen, dass er in der organisationsinternen Hierarchie weiter oben stand. Empört blies Karin die Wangen auf, während Suigetsu plötzlich von einem Lachkrampf geschüttelt wurde. Sie trat ihm unsanft gegen das Schienbein und bohrte dann ihren Zeigefinger in Narutos Brust.

 

„Du hast nicht den Hauch einer Ahnung, wie sehr Sasuke mich schätzt. Da kann die Kleine noch so viel von Suigetsus Zeug schlucken – er wird sie niemals so sehen, wie er mich jetzt sieht.“

 

Suigetsu begann wieder los zu prusten. „Als Nutte?“

 

Mit einem lauten Kreischen begann sie auf ihn einzudreschen, doch er lachte nur noch lauter und wehrte sich halbherzig gegen ihre Schläge. Zornig griff sie nach ihrer Tasche, warf erst Naruto und dann Sakura einen giftigen Blick zu, bevor sie sich schließlich verzog und in Richtung Bar verschwand.

 

„Was für eine unerträgliche Zicke“, kommentierte Suigetsu trocken. „Sobald es um Sasuke geht, wird sie zur Furie.“

 

Sakura hatte die ganze Zeit über nur reglos dagesessen und das Gespräch beobachtet. Nun spürte sie, wie Naruto ihr von der Seite besorgte Blicke zuwarf und versuchte ihm ein kurzes Lächeln zu schenken. Er sollte sich keine Sorgen um sie machen und sie war ja auch nicht aus Zucker. Den ein oder anderen dummen Kommentar zu ihrer Person konnte sie durchaus verkraften, auch wenn sie zugeben musste, dass sie froh war, dass er sich eingemischt hatte. In dieser Umgebung hier fühlte sie sich einfach unsicher und sie wusste auch noch nicht, was sie sich gegenüber den anderen Organisationsmitgliedern herausnehmen durfte. Auf Ärger hatte sie so schnell erst mal keine Lust mehr.

 

„Naruto“, Suigetsu beugte sich einmal quer über den Tisch. „Hast du was für mich da?“

 

Erwartungsvoll hielt er die Hand auf und wackelte mit den Augenbrauen, doch Naruto schien nicht besonders begeistert zu sein.

 

„Du weißt, dass Sasuke das nicht gerne sieht.“

 

Grinsend zuckte er mit den Schultern.

 

„Komm schon, was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Danach verschwinde ich auch wieder.“

 

Die Vorstellung davon, Suigetsu endlich loszuwerden, schien Naruto dann doch noch zu überzeugen. Er zog ein Päckchen mit mehreren bunten Pillen hervor, auf die jeweils unterschiedliche Symbole geprägt worden waren. Sie sahen gänzlich harmlos aus, doch Sakura konnte sich kaum vorstellen, dass sie das auch waren. Die Harmlosesten waren oftmals die Schlimmsten, das lernte man schon in der Unterstufe.

 

„Warum nimmst du eigentlich nicht dein eigenes Zeug?“

 

Trotz seiner Zweifel schob Naruto ihm das Tütchen über den Tisch und Suigetsus Augen richteten sich sofort gierig darauf. Ungeduldig öffnete er es und warf sich ohne zu zögern eine grüne Pille mit einem Blatt darauf ein.

 

„Die Qualität von Orochimaru ist einfach besser“, erklärte er überzeugt.

 

Unwillkürlich fühlte sich Sakura an den gestrigen Abend zurückerinnert und schauderte leicht. Für Suigetsu schien es vollkommen normal zu sein, Drogen zu nehmen. Er hatte keine Angst vor ihrer Wirkung, ganz im Gegenteil, er legte es sogar darauf an und darüber hinaus befasste er sich auch noch mit deren Herstellung. Niemand geringeres als er war für das Zeug verantwortlich, dass Sasuke ihr gestern gegeben hatte. Sie fragte sich, ob er eine Art Labor im Haus der Uchihas hatte.

 

„So, und jetzt verzieh dich“, verlangte Naruto.

 

Brav rutschte Suigetsu von der Bank und hob noch ein letztes Mal die Hand zum Gruß, bevor er sich wieder ins Getümmel stürzte. Sakura hatte den Eindruck, dass er sowieso keine Lust gehabt hätte, noch länger bei ihnen rumzusitzen. Auch Naruto erhob sich, nachdem er einen kurzen Blick auf sein Handy geworfen hatte.

 

„Na dann mal zurück an die Arbeit.“

 

Sie tat es ihm gleich und hielt sich dicht hinter ihm, als er sich einen Weg durch die Menge bahnte. Es war mittlerweile schon weit nach Mitternacht und die Stimmung hatte sich richtiggehend aufgeheizt. Ausgelassenes Lachen drang an ihr Ohr, überall bewegten die Leute ihre Körper exzessiv im Takt der Musik, schmiegten sich aneinander oder waren gänzlich versunken in ihrer eigenen Welt. Die flackernden Lichter, die alle paar Sekunden ihre Farbe wechselten, verliehen dem ganzen etwas Magisches, als würden sie sich in einer anderen Welt befinden. Fern vom Alltag. Fern von jeglicher Realität.

 

Bei jedem Schritt spürte Sakura den Bass in ihrem Körper widerhallen. Vorhin noch hatte sie ihn als aufdringlich empfunden, aber jetzt löste er irgendwie ein warmes Kribbeln in ihr aus. Die Tatsache, dass Naruto sich so für sich eingesetzt hatte, hatte ihr ihre Sicherheit zurückgegeben und sie fühlte sich auch nicht mehr so unwohl, wie zu Beginn des Abends. Fast gelang es ihr zu verdrängen, warum sie heute hier waren. Zumindest so lange, bis sie den Club durch eine Hintertür verließen.

 

Draußen war es kalt. Obwohl sie zuvor noch ihre Jacken geholt hatten, fror Sakura erbärmlich in ihrem kurzen Kleidchen und wenn sie sich nicht gestern schon eine dicke Erkältung eingefangen hatte, dann würde sie es spätestens heute tun. Zu allem Überfluss nieselte es leicht, doch Naruto hatte ihr erklärt, dass sie hier einen wichtigen Kunden treffen würden. Vergeblich versuchte sie sich ein bisschen aufzuwärmen, indem sie die Arme fest um den Körper schlang und er warf ihr einen mitleidigen Blick zu. Sie biss die Zähne zusammen.

 

Immer wieder liefen Menschen an ihnen vorbei. Sie alle hatten sich – genau wie Sakura und Naruto – herausgeputzt und waren auf dem Weg ins Shippuden. Selbst um diese Uhrzeit noch strömten sie herbei, als hätte der Papst höchstpersönlich seinen Besuch angekündigt. Der besagte Kunde schien allerdings nicht dabei zu sein, auch wenn sich eine Menge zwielichtiger Typen auf dem Platz hinter dem Club tummelten. Naruto wurde zunehmend nervöser und verlagerte immer wieder sein Gewicht vom einen auf das andere Bein. Alle paar Minuten zog er sein Handy hervor, warf einen Blick auf das Display und schnaubte dann. Der Kunde war wohl zu spät.

 

Die Straßenlaternen spendeten mehr Schatten als Licht und sie bildete sich ständig ein, dass irgendjemand sie anstarrte. Sie sollte hier nicht sein. Das was sie hier taten, war verboten. Eine Straftat. Wenn man sie erwischen würde, konnten sie dafür im Gefängnis landen, möglicherweise sogar für mehrere Jahre. Drinnen war es einfacher gewesen, da hatte sie sich einreden können, dass es niemand bemerkt hatte. So viele Leute waren um sie herum gewesen, die ihnen Schutz geboten hatten vor ungewollten Blicken. Hier draußen standen sie praktisch auf freiem Feld und um die Ecke warteten bereits die Türsteher des Clubs.

 

Ein Auto bog in die Straße ein. Geblendet von den Scheinwerfern schloss Sakura kurzzeitig die Augen. Ein paar der Gestalten um sie herum setzten sich unruhig in Bewegung und verschwanden in Richtung Club, während Naruto ganz ruhig stehen blieb und wartete. Sie hörte Autotüren schlagen und gerade als sie sich fragte, ob es sich möglicherweise um den ominösen Kunden handelte, erkannte sie, dass es ein Polizeiauto war. Panisch riss sie die Augen auf.

 

„Naruto, wir sollten verschwinden“, drängte sie leise.

 

Mittlerweile war es schon deutlich leerer auf dem kleinen Hinterhof geworden, sodass sie nur umso mehr auffallen würden. Diese Situation hier war so ziemlich das schlimmste Horrorszenario, das sie sich hatte vorstellen können. Hier draußen erwischt zu werden, mit Naruto, der Drogen im Wert von mehreren ihrer Monatsmieten bei sich trug. Er würde nicht den Hauch einer Chance haben, das Zeug irgendwo zu verstecken und keiner würde ihm glauben, dass es ihm nicht gehörte.

 

„Guten Abend die Herrschaften.“

 

Zwei Polizisten waren aus dem Auto gestiegen und hatten die Straße überquert. Ein weiterer war um die Ecke gegangen und wechselte dort vermutlich ein paar Worte mit den Türstehern. Sakura blieb wir angewurzelt stehen und war vollkommen unfähig sich zu rühren. Für Flucht war es jetzt sowieso schon zu spät. Es wäre viel zu auffällig und in diesen verdammten Stöckelschuhen konnte sie unmöglich rennen. Auch Naruto bewegte sich keinen Millimeter und vergrub die Hand in der Tasche mit den Tütchen. Es raschelte leise. Verräterisch. So wie sie ihn kannte, würde er alles auf sich nehmen und versuchen sie aus der Sache rauszuhalten, vielleicht indem er behauptete, sie habe von den Drogen nichts gewusst. Aber das konnte sie unmöglich zulassen.

 

„Wir würden gerne einmal in Ihre Taschen sehen, wenn Sie nichts dagegen haben. Bloß eine Routinekontrolle.“

 

Sakura konnte genau sehen, wie sich einige der Personen plötzlich leicht versteiften. Diejenigen, die genau wie sie zu spät die Gefahr realisiert hatten und keine Möglichkeit mehr hatten zu fliehen. Bestimmt waren sie nicht die einzigen, die Dreck am Stecken hatten.  Verzweifelt versuchte sie Narutos Blick einzufangen, doch der sah starr zu den beiden Polizisten hinüber und schien sie gar nicht zu beachten. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass sie tatsächlich so ein Pech haben sollten. Wäre der ominöse Kunde rechtzeitig aufgetaucht, wären sie schon längst wieder drinnen und in Sicherheit. Vielleicht hatte Naruto deswegen ständig auf die Uhr gesehen.

 

Die beiden Polizisten teilten sich auf und begannen die Leute von zwei Seiten her zu kontrollieren, sodass sich niemand unentdeckt verdrücken konnte. Manche leerten tatsächlich bereitwillig ihre Taschen, andere begannen mit den Beamten zu diskutieren und versuchten sich noch irgendwie davor zu drücken. Der Polizist, der von ihnen gesehen weiter weg stand, hatte bereits das erste Tütchen Gras konfisziert und nahm soeben die Personalien des jungen Mannes auf. Nicht mehr lang und auch sie würden ihre Taschen leeren müssen. Fieberhaft überlegte Sakura, wie sie aus der Situation entkommen konnten, doch ihr wollte partout nichts einfallen.

 

„Guten Abend.“

 

Der zweite Polizist war mittlerweile bei ihnen angekommen. Seine Stimme klang ruhig und ausgesprochen melodisch. Im Gegensatz dazu schlug ihr Herz wie wild gegen ihren Brustkorb und war völlig aus dem Takt geraten. Der Mann sah ihr fest in die Augen und sie hatte das Gefühl, dass sie absolut nichts vor ihm verbergen konnte, dass er genau wusste, dass sie schuldig war. Seine Augen waren unfassbar dunkel, im Schatten der Laternen sahen sie sogar richtiggehend schwarz aus und im Moment waren sie für Sakura einfach nur furchteinflößend. Gleichzeitig fühlte es sich irgendwie vertraut an.

 

„Junge Dame, haben Sie etwas bei sich, von dem ich wissen müsste?“, fragte er sachlich.

 

Trotz seiner Zurückhaltung war er irgendwie einschüchternd. Sakura schüttelte stumm den Kopf. Wenn sie auch nur ein Wort sagen würde, würde sie sich durch ihre zitternde Stimme verraten.

 

„Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich einmal einen Blick in Ihre Handtasche werfen würde?“

 

Nervös ließ sie den Riemen ihres kleinen Täschchens über die Schulter gleiten und übergab sie ihm widerstandslos. Ihr fiel auf, dass er sehr gepflegte Hände hatte, als er die Tasche öffnete und einmal mit der Taschenlampe hineinleuchtete. Es war nicht besonders viel drin. Nur ihr Geldbeutel, ihr Handy und ein bisschen Makeup. Probehalber warf er auch einen Blick in das Portemonnaie und nickte dann zufrieden.

 

„Vielen Dank“, sagte er.

 

Vielleicht bildete sie es sich nur ein, weil ihr Herz in dem Moment so ungeheuer schnell schlug, aber sie hatte den Eindruck, dass sein Blick noch etwas länger als nötig auf ihr verweilte. Wahrscheinlich spürte er, dass sie etwas vor ihm zu verbergen hatte und versuchte herauszufinden, was es war. Nachdem er nichts bei ihr gefunden hatte, würde er jetzt garantiert bei Naruto weitersuchen. Und Sakura wusste, dass er dort fündig werden würde.

 

„Junger Mann, würden Sie bitte einmal für mich ihre Taschen leeren?“

 

Der Reisverschluss machte ein sirrendes Geräusch und Naruto stülpte bereitwillig die Taschen seiner Jacke um, sodass nun das Futter zu sehen war. Wie erwartet waren sie leer, immerhin hatte er die Jacke gerade erst wieder an der Garderobe abgeholt. Scheinbar spekulierte er darauf, dass sich der Polizist damit zufrieden geben würde, doch das tat er bedauerlicherweise nicht.

 

„Die Hosentaschen bitte auch.“

 

Sakura konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören. Sie waren geliefert. Der Beamte stand ganz dicht vor Naruto, so als würde er bereits erwarten, dass der jeden Moment die Flucht ergreifen wollte. Auf diese Weise schirmte er ihm jeden möglichen Fluchtweg ab und hatte gleichzeitig alle seine Bewegungen im Blick. Langsam griff Naruto in seine Hosentaschen und zog die Tütchen hervor. Es waren sieben Stück. Drei davon mit Pulver, vier mit Tabletten. Sakura schloss resigniert die Augen.

 

„Vielen Dank.“

 

Zu Sakuras Verblüffung trat der Polizist einen Schritt zurück und Naruto schob die Tütchen seelenruhig zurück in seine Hosentasche.

 

„Immer wieder gern“, sagte er.

 

Als wäre nie etwas gewesen, ging der Beamte ein paar Schritte weiter zu einer kleinen Gruppe von Jugendlichen, die bereits nervös auf der Stelle traten. Ungläubig starrte sie auf seinen Hinterkopf. Sein schwarzes Haar, das er hinten zu einem Zopf gebunden hatte, glänzte im spärlichen Licht, doch er drehte sich nicht noch einmal zu ihnen um. Als wäre nie etwas gewesen.

 

„Komm Sakura, wir gehen“, Naruto berührte sie leicht an der Schulter und sie zuckte erschrocken zusammen.

 

Noch immer war sie total angespannt und voller Adrenalin. Ihr Körper hatte noch nicht begriffen, dass die Gefahr vorüber war. Sie wollte Fragen stellen, wollte fragen, warum der Polizist einfach weitergegangen war, doch sie ahnte, dass das hier weder der geeignete Zeitpunkt noch der geeignete Ort für solche Fragen war. Deswegen folgte sie Naruto einfach nur, der mit ihr um die Ecke ging zum vorderen Eingangsbereich des Clubs. Hier war es schon deutlich heller. Im Abstand von wenigen Zentimetern waren neben dem lilafarbenen Teppich kleine Lampen aufgestellt, die den Weg in den Club erleuchteten. Die Schlange war bereits kleiner geworden, aber noch immer wartete eine beachtliche Anzahl an Leuten auf ihren Einlass.

 

Naruto steuerte ein Taxi an, das nur wenige Meter vom Shippuden entfernt am Straßenrand parkte. Vom Hinterhof aus konnte man es nicht sehen, sodass wir uns außerhalb des Sichtfelds der Polizisten befanden. Energisch klopfte er gegen die hintere Scheibe, die kurz darauf heruntergelassen wurde. Sakura erkannte einen Mann mit grauer Sturmfrisur, dessen Gesicht zur Hälfte von einer dunklen Maske verdeckt war, als wollte er nicht erkannt werden.

 

„Hatake, was soll das?“, zischte Naruto aufgebracht. „Willst du mich verarschen?“

 

Der Mann hob abwehrend die Hände, sah jedoch nicht besonders eingeschüchtert aus.

 

„Ganz ruhig Naruto“, beschwichtigte er ihn. „Die Bullen haben erst heute wieder eine Ladung von diesem Pain-Zeug hochgenommen, da kann man nie vorsichtig genug sein. Es war klar, dass sie zusätzliche Kontrollen durchführen.“

 

Naruto griff in seine Hosentasche und warf ihm die restlichen sieben Päckchen auf den Schoss. Sakura sah sich erschrocken um, aus Angst, die Türsteher könnten etwas mitbekommen haben, doch die beiden Männer sahen demonstrativ in eine andere Richtung. Es schien sie überhaupt nicht zu interessieren, was hier nur wenige Meter von ihnen entfernt vorging.

 

„Wärst du pünktlich gewesen, hätten wir überhaupt keine Probleme bekommen“, stellte Naruto klar.

 

Der Mann – Naruto hatte ihn Hatake genannt – reichte ihm ein Bündel Geld und zuckte dann mit den Schultern.

 

„Ich bin auch rechtzeitig losgefahren, aber dann hieß es im Radio, dass die Polizei wegen diesem Pain-Zeug den Hafen gesperrt hat und ich wusste ja nicht, wie weitläufig die Sperrung ausfallen würde. Außerdem würde ich nur ungerne in der Nähe von einem Container Drogen aufgegriffen werden. Da bin ich lieber gleich außenrumgefahren. Du verstehst?“

 

Naruto knurrte nur leise.

 

„Komm Sakura, wir gehen“, murmelte er zum zweiten Mal an diesem Abend.

-11-

 

In Sakuras Augen sammelten sich Tränen, allerdings nicht vor Trauer oder Wut. Sie war gerade dabei Zwiebeln zu schneiden und blinzelte ein paar Mal energisch, als ihr Handy plötzlich ein summendes Geräusch von sich gab. Verärgert runzelte sie die Stirn und trocknete sich dann die Hände an einem Geschirrtuch ab, um das Display zu entsperren. Schon auf den ersten Blick konnte sie sehen, dass die Nachricht von Sasuke kam. Kurz, prägnant und bloß keine Höflichkeitsfloskeln.

 

Wir treffen uns in einer Stunde.

 

Sie seufzte entnervt. Das war es dann wohl mit ihrem Abendessen. Vielleicht sollte sie es sich doch wieder angewöhnen in die Mensa zu gehen, auch wenn der Fraß dort zum Kotzen schmeckte. Mit Studenten konnte man es ja machen. Schnell wusch sie sich die Hände und verstaute die bereits zerkleinerten Zwiebeln im Gefrierfach. Wenn sie sich beeilte, hatte sie noch genug Zeit, um sich unterwegs eine Kleinigkeit beim Bäcker mitzunehmen. So wie sie Sasuke mittlerweile kannte, könnte der Unterricht durchaus etwas länger dauern und sie hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Jetzt war es kurz vor sieben.

 

Routiniert schlang sie sich den dicken Wollschal um den Hals und griff dann nach ihrem Wohnungsschlüssel. Draußen war es bitterkalt und insbesondere der schneidende Wind machte ihr zu schaffen. So schnell wie möglich versuchte sie den Weg zur Bushaltestelle zurückzulegen, nur um dann festzustellen, dass der Bus wie immer zu spät kam. Verärgert ging sie auf der Stelle auf und ab und pustete sich dabei immer wieder warme Luft in die Handflächen. Warum musste Sasuke sie auch ausgerechnet so spät am Abend zu sich bestellen?

 

Mit Naruto war das alles einfacher gewesen. Sie hatten feste Zeiten gehabt und Sakura konnte ihren Tagesablauf um die Treffen herum planen, auch wenn selbst das manchmal schon eine Herausforderung gewesen war. Sasuke war meistens den ganzen Tag lang unterwegs, hielt sich nur selten im Uchiha-Haus auf und gab ihr dann für gewöhnlich erst kurzfristig Bescheid, wenn er Zeit für Training hatte. Dafür saßen sie dann oft bis tief in die Nacht über den Entwürfen und Sasuke ließ sie erst gehen, wenn er mit ihrer Arbeit zufrieden war. Immer wieder hatte sie feststellen müssen, wie schwer es war, ihn zufrieden zu stellen. Und immer wieder hatte sie sich mit ihm die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, nur um am nächsten Tag total übermüdet zu entscheiden, dass sie ihre Vorlesung schwänzen würde.

 

Als endlich der Bus vorfuhr, atmete Sakura erleichtert aus. Wie nicht anders zu erwarten, drängten sich die Leute bereits dicht an dicht und sie musste sich möglichst schmal machen, um noch mithineinzupassen. Sie hasste es, wenn im Winter die Busse überfüllt waren, weil dann alle in ihren dicken Jacken zu schwitzen begannen und gleichzeitig die klamme Kälte von draußen immer wieder hereinströmte. Zum Glück dauerte die Fahrt zum Bahnhof nicht allzu lange und Sakura hatte noch genug Zeit, sich ein paar Brezen zu besorgen, bevor sie den Anschlussbus in Richtung Uchiha-Haus nahm. Der war schon deutlich leerer, sodass sie sogar einen Sitzplatz bekam.

 

Wie immer hatte sie ein leicht mulmiges Gefühl, als sie die Klingel drückte und kurz darauf das Eingangstor einfach aufschob. Meistens war es nicht abgeschlossen, was daran lag, dass die Kälte das Schloss ziemlich in Mitleidenschaft gezogen hatte. Dafür quietschte das Tor aber so laut, dass jeder Ankömmling sofort bemerkt wurde. Manchmal hatte Sakura das Gefühl, dass die Leute in den umliegenden Häusern sie misstrauisch anstarrten, sobald sie das Anwesen betrat. Gerade als sie die Stufen zur Haustür hinaufstieg, wurde diese auch schon aufgerissen.

 

„Was willst du denn hier?“, Karin musterte sie einmal skeptisch von oben bis unten und gab sich dabei keinerlei Mühe ihr Missfallen in irgendeiner Art und Weise zu verbergen. „Naruto ist nicht da.“

 

Ihr letztes Treffen war nun knapp zwei Wochen her und Sakura hätte gut und gerne auch weiterhin auf sie verzichten können. Karin trug wie sie eine dicke Winterjacke und hatte ihr Gesicht zum Teil mit einem dunkelgrauen Wollschal verhüllt. Entweder, sie war gerade erst angekommen oder sie war drauf und dran aufzubrechen. Letzteres wäre Sakura lieber. Im Hintergrund konnte sie Juugo erkennen, der gerade dabei war, in seinen eleganten schwarzen Mantel zu schlüpfen, was schon mal dafür sprach, dass die beiden gerade auf dem Sprung waren.

 

„Ich will zu Sasuke“, erklärte Sakura knapp.

 

Sie hatte keine Lust, sich vor irgendwem zu rechtfertigen, doch Karin versperrte noch immer den Weg und schenkte ihr nun ein abschätziges Lächeln.

 

„Schätzchen, ich denke nicht, dass er gerade Zeit für dich hat.“

 

Man konnte deutlich spüren, dass sie sich absolut überlegen fühlte und es genoss von oben herab mit Sakura zu reden. Die beschloss jedoch, dass es Zeit wurde, ihr das Grinsen aus dem Gesicht zu wischen.

 

„Das denke ich schon“, widersprach sie energisch. „Er hat mich nämlich herbestellt. Und jetzt lass mich bitte durch, damit ich ihn nicht weiter warten lassen muss.“

 

Demonstrativ ging sie einen Schritt näher auf Karin zu, die sie jedoch nur skeptisch musterte und mit einem Mal ausgesprochen verstimmt wirkte. Offenbar hatte sie wirklich geglaubt, dass Sakura einfach nur auf gut Glück in der Zentrale aufgetaucht war. Auf jeden Fall aber wollte sie sie unter keinen Umständen durch und somit zu Sasuke lassen.

 

„Was sollte er denn von dir wollen?“, erkundigte sie sich spitz.

 

Obwohl sie versuchte, es zu überspielen, merkte man ihr ihre Unsicherheit ein wenig an. Es war ein kleiner Triumph, wenn auch nur ein winzig kleiner, und Sakura fühlte sich irgendwie beschwingt. Was es auch für einen Grund haben mochte, dass diese Frau so sehr auf Sasuke fixiert war, er schien ihre Schwachstelle zu sein und das konnte sie sich eventuell noch zu Nutze machen.

 

„Karin, geh ihr aus dem Weg“, erklang plötzlich eine melodische Stimme vom Treppenabsatz, die gleichzeitig keinerlei Widerspruch duldete. „Es geht dich nichts an, was ich von Sakura will und soweit ich mich erinnere, habe ich euch einen Auftrag gegeben.“

 

Augenblicklich versteifte sich Karin und trat einen Schritt zur Seite, sodass Sakura ohne Probleme passieren konnte. In ihren Augen loderten Wut und Scham und sie fixierte angestrengt den Boden, um Sasuke nicht ansehen zu müssen. Scheinbar konnte sie es nicht  verkraften, dass er sie vor Sakura in ihre Schranken verwiesen hatte. Erst Naruto und nun auch noch er. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ sie den Eingangsbereich und Juugo warf Sasuke nochmal einen fragenden Blick zu, bevor er ihr hinterherging.

 

„Lass uns anfangen“, sagte Sasuke ungerührt.

 

Er drehte sich auf dem Treppenabsatz um und Sakura beeilte sich aus ihren Sachen zu schlüpfen, um ihm zu folgen. Aus irgendeinem Grund wirkte er ein wenig angespannt und sie wollte ihn nicht noch mehr verärgern. Im Vorbeigehen sah sie, dass die Tür zu Shikamarus Büro offen stand. Der Informatiker schien nicht da zu sein. Überhaupt war es relativ still im Haus und Sakura vermutete, dass sie alleine waren. Normalerweise war zumindest Juugo da, der dann meistens unten in der Küche saß und sich mit Zeitunglesen die Zeit vertrieb, aber der war ja gerade mit Karin verschwunden.

 

Sie versuchte möglichst nicht daran zu denken und konzentrierte sich stattdessen auf ihre Arbeitsroutine. Noch immer machte Sasukes Anwesenheit sie nervös und seit der Sache mit Suigetsus Droge war es nur noch schlimmer geworden. Er hatte ihr gezeigt, wozu er fähig war und nochmal wollte sie so etwas nicht durchmachen müssen. Diese hundertprozentige Abhängigkeit.

 

Es war vollkommen krank, aber aus irgendeinem Grund empfand Sakura ihm gegenüber so etwas wie Dankbarkeit. Dankbarkeit, weil er ihr eine Wahl gelassen hatte, obwohl er ihr eigentlich keine Wahl gelassen hatte. Dankbarkeit, weil er sie bestraft und gleichzeitig auf sie Acht gegeben hatte. Unter dem Einfluss der Droge war sie vollkommen schutzlos gewesen und er hätte das ohne weiteres ausnutzen können. Doch das hatte er nicht getan. So schmerzvoll und erniedrigend die Situation auch gewesen war, sie hatte eine gewisse Intimität zwischen ihnen beiden geschaffen, der sie sich nicht entziehen konnte und sich war sich sicher, dass auch er es spürte. Normalerweise wäre sie ihm so gut es ging aus dem Weg gegangen, aber ausgerechnet jetzt hatte er beschlossen ihren Unterricht persönlich zu übernehmen.

 

„Ich möchte, dass du heute das hier sprühst“, Sasuke hatte sich ebenfalls schwarze Einweghandschuhe übergestreift und reichte ihr nun ein Blatt Papier.

 

Dabei achtete er peinlich genau darauf, sie nicht ausversehen zu berühren. Seit dem Vorfall behandelte er sie noch kühler und abweisender als zuvor, fast so als wolle er sie auf Abstand halten. Insgesamt hatte sich die Stimmung zwischen ihnen geändert und sie umkreisten sich schon seit Tagen gegenseitig wie misstrauische Katzen. Während der Unterrichtsstunden sprachen sie nie mehr als nötig miteinander und die meiste Zeit über saß Sasuke auf dem Stuhl und beobachtete sie bei ihrer Arbeit. So wie an dem Tag, an dem er ihr die Drogen gegeben hatte.

 

Noch etwas hatte sich geändert. Sasuke war kritischer als sonst, falls das überhaupt noch möglich war. Er beobachtete jeden ihrer Schritte mit Argusaugen und ließ jedes Mal ein verächtliches Schnauben hören, wenn sie sich irgendwo einen Schnitzer erlaubte. Sakura hasste dieses Geräusch und doch stachelte es sie an, ihr Bestes zu geben. Sie wollte Sasuke um jeden Preis davon überzeugen, dass die harte Arbeit am Ende zu einem Ergebnis führen würde. Sie trainierte nicht um ihretwillen, sie wollte ihn überzeugen. Sie wollte Sasuke Uchiha zeigen, dass sie keine uninspirierte BWL-Studentin war. Wollte ihm ein anerkennendes Lächeln abringen, nur ein winzig kleines. Wenn er zufrieden war, wusste sie, dass sie es geschafft hatte.

 

Wann war es ihr so wichtig geworden, ihn zu beeindrucken? Er kritisierte sie beinahe in einer Tour, aber die Momente in denen er mal ein Lob aussprach, waren jedes Mal wie eine heiße Tasse Tee und eine warme Decke, nachdem man stundenlang draußen durch den Regen gelaufen war. Bei ihm konnte sie sich sicher sein, dass er es auch so meinte. Seine Komplimente waren an diesen Tagen, an denen sie sich stundenlang gegenseitig anschwiegen und der seltsam angespannten Atmosphäre trotzten, ihre Luft zum Atmen, auch wenn sie das niemals zugeben würde.

 

Als sie das Blatt von ihm entgegennahm, konnte sie schon auf den ersten Blick erkennen, dass es sich um einen seiner eigenen Entwürfe handelte. Er war vielschichtig, aufwändig und anspruchsvoll. Das bedeutete, dass sie wohl tatsächlich einen Großteil der Nacht hier verbringen würde. Allein. Mit Sasuke. Sein Blick lag ruhig auf ihr und seine Augen schienen sie mal wieder zu durchdringen, als versuchte er abzuschätzen, ob sie in der Lage sein würde, seinen Entwurf umzusetzen. Sakura wusste es ehrlich gesagt selber nicht.

 

„Du kannst anfangen“, sagte er tonlos.

 

Eigentlich hätte sie erwartet, dass er sich wieder auf dem kleinen Stuhl niederlassen würde, doch stattdessen blieb er dicht hinter ihr stehen. Es war eine Unregelmäßigkeit in seinem Verhalten und das machte sie nervös. Irgendwie hatte sie das Gefühl, das heute generell etwas anders war, auch wenn sie es nicht wirklich benennen konnte. Schon im Treppenhaus hatte sie seine angespannte Stimmung gespürt und in diesem kleinen Raum war sie nur umso präsenter. Fast schon erdrückend.

 

Wie immer begann Sakura mit den Outlines, nachdem sie sich zunächst einen Überblick verschafft hatte. Sie sprühte auf eine Spanplatte, ein Material, das relativ viel Farbe saugte, was bedeutete, dass sie in mehreren Schichten arbeiten musste. Noch etwas, was sie Zeit kosten würde. Sasukes Nähe machte sie irgendwie nervös, doch sie konnte es nicht ändern und versuchte ihn stattdessen auszublenden. Seufzend machte sie sich ans Werk und wie erwartet kam sie nur sehr langsam voran. Besonders das Fill-in hatte es in sich. Die Übergänge waren kompliziert und erforderten viel Geschick. An einigen Stellen musste sie die Linien nochmal nachziehen, weil sie zu dick aufgetragen hatte und die ganze Zeit über spürte sie Sasukes kritische Blicke auf sich. Sie wechselte den Sprühkopf und wollte gerade wieder ansetzen, als er plötzlich ihr Handgelenk festhielt.

 

„Das würde ich nicht machen“, sagte er eindringlich.

 

Durch die plötzliche Berührung hätte sie beinahe vor Schreck die Farbflasche fallen lassen. Es war das erste Mal seit Wochen, dass er sie anfasste und obwohl er Handschuhe trug, fühlte es sich seltsam persönlich an. Viel zu nah, viel zu intensiv. Vor allen Dingen aber kam es unerwartet. So unerwartet, dass Sakura, die bis eben in ihre Arbeit vertieft gewesen war, plötzlich vollkommen aus der Bahn geworfen wurde.

 

„Äh, was?“, fragte sie verwirrt.

 

Wortlos ließ Sasuke ihr Handgelenk los und deutete auf die Vorlage. Es dauerte einen Moment, bis Sakura sich wieder gefangen hatte und es bei ihr schließlich klick machte. Sie hatte sich für den falschen Aufsatz entschieden, die Linien würden viel zu dick werden und auf diesem Untergrund eventuell sogar verlaufen.

 

„Das war ein Anfängerfehler“, stellte Sasuke missbilligend fest. „Du solltest dich besser konzentrieren.“

 

Er hatte Recht. Über diesen Status war sie eigentlich längst hinaus, aber seine Gegenwart machte sie einfach nervös. Seine Fähigkeiten machten sie nervös. Das war ihr mit Naruto nie passiert. Er war jemand, der wenn überhaupt nur einfache Tags verwendete und dessen Wissen kaum über die Grundlagen hinausging. Graffiti war nicht sein Ding, er machte das nur nebenbei und hatte sich nie sonderlich dafür interessiert. Dementsprechend war er auch nie besonders streng gewesen. Seine Unterrichtsmethoden glichen denen an einer Waldorfschule. Sasuke war anders. Seine Fähigkeiten waren einschüchternd und seine Methode lautete Erziehung mit dem Rohrstock.  

 

„Es tut mir Leid“, sagte Sakura leise und biss fest die Zähne zusammen.

 

Es war ihr peinlich, dass er sie noch auf solche Selbstverständlichkeiten hinweisen musste. Hätte er sie gerade eben nicht aufgehalten, hätte sie vermutlich das ganze Bild versaut und nochmal von vorn beginnen müssen. Oder zumindest den Ausschnitt nochmal neu ausarbeiten. Beim Gedanken daran, wieviel Zeit das alles gekostet hätte, zogen sich bei Sakura sämtliche Eingeweide zusammen. Wahrscheinlich hätten sie noch bis zum Sonnenaufgang hiergesessen und dabei war es bereits weit nach Mitternacht.

 

„Das hier ist das Logo für den Wettbewerb. Das heißt, dass es perfekt sitzen muss“, erklärte Sasuke ungeduldig. „Ich weiß nicht, wieviel Zeit uns noch bleibt, aber du musst diesen Entwurf so sehr verinnerlichen, dass du ihn notfalls im Schlaf an deine Zimmerdecke sprühen könntest.“

 

Überrascht sah Sakura ihn an. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass er sie jetzt schon das finale Logo sprühen ließ. Entweder es lag wirklich daran, dass ihnen allmählich die Zeit davon lief oder aber er traute ihr zu, dass sie das schaffen würde. Nach ihrem kleinen Faux-Pass gerade eben, glaubte sie eher an Ersteres. Das würde auch erklären, warum er die ganze Zeit über so angespannt war und nicht wie sonst auf dem Stuhl Platz genommen hatte. Das hier war nicht einfach nur irgendeine Übung.

 

„Ich krieg das hin“, Sakuras Stimme klang deutlich zuversichtlicher, als sie sich selbst im Moment fühlte.

 

Mit geschickten Handgriffen tauschte sie den Sprühkopf aus und wählte eine dünnere Variante, mit der sie präziser arbeiten konnte. Zusätzlich trat sie ein Stück zurück, damit nicht zu viel Farbe auf einmal auf die Oberfläche traf und dadurch verlief. Sasuke nickte ihr bestätigend zu und sie setzte erneut an. Der Gedanke, dass es sich um das finale Bild für den Wettbewerb handelte, sorgte nicht gerade dafür, dass sie entspannter war. Im Gegenteil, der Druck war plötzlich immens und sie wünschte, er hätte einfach nichts gesagt.

 

Sasuke wirkte unzufrieden. Einen Moment lang zögerte er noch, dann legte er plötzlich seine Hand auf ihre und übernahm die Führung der Dose. Es fühlte sich seltsam an, wie wenn in der Fahrschule der Fahrlehrer aufs Gas trat und das Auto sich bewegte, obwohl man selber gar nichts gemacht hatte. Sakura versuchte ihre Hand locker zu lassen, um seine Bewegungen aufzunehmen und dabei einen möglichst gleichmäßigen Strahl zu erzeugen. Das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen.

 

„Du bist zu verkrampft“, stellte Sasuke fest. „Versuch mehr aus dem Handgelenk zu arbeiten. Deine Kontrolle über die Linienführung ist schon ganz gut, aber es ist alles noch zu steif.“

 

Noch immer stand er schräg hinter ihr. Er war einen Schritt näher gekommen, um nach ihrer Hand zu greifen und es war alles so schnell gegangen, dass Sakura jetzt erst realisierte wie nah er ihr war. Im Gegensatz zu ihr trug er keinen lächerlichen Plastiküberwurf, um seine Klamotten zu schützen, wodurch sie deutlich die Wärme spüren konnte, die sein Körper abstrahlte. Wann hatte er beschlossen, die Distanz aufzugeben, die sie beide so vehement zwischen sich aufgebaut hatten?

 

Einen Moment lang verhakten sich ihre Blicke ineinander und sie versuchte irgendetwas darin zu lesen, doch es gelang ihr nicht. Es war, als hätte er eine undurchdringbare Mauer aufgebaut, die es jedem unmöglich machte auch nur eine Emotion aus seinem Gesicht abzulesen. Sakura fragte sich, ob es etwas mit dem Tod seiner Eltern zu tun hatte – wenn  Fugaku und Mikoto Uchiha denn wirklich seine Eltern waren. Überhaupt fragte sie sich, was ihn zu dem Menschen gemacht hatte, der er heute war. Unwillkürlich musste sie an Narutos Worte denken. Du kennst ihn nicht, Sakura. Zu gerne hätte sie gewusst, was sich hinter diesen kalten Augen verbarg.

 

Ein Quietschen ertönte und die beiden unterbrachen ihren Blickkontakt. Das Geräusch kam Sakura irgendwie vertraut vor, auch wenn sie es im ersten Moment nicht zuordnen konnte. Sasukes Körper spannte sich sofort an und er wandte den Kopf zur Tür, die nur leicht angelehnt war. Draußen war es komplett still, doch Sakura spürte, dass irgendetwas nicht stimmte und hielt unwillkürlich den Atem an, um zu lauschen. Ein kaum wahrnehmbares Kratzen war zu hören und schließlich ein Klicken, als die Haustüre geöffnet wurde.

 

„Hast du Naruto gesagt, dass wir noch hier sind?“, fragte Sasuke energisch.

 

Sakura schüttelte den Kopf. Auf seiner Stirn bildete sich eine zornige Falte.

 

„Ich schätze mal, dann kriegen wir Besuch“, stellte er fest. „Du bleibst hier, egal was passiert. Komm mir bloß nicht in die Quere, verstanden? Ich kümmere mich darum.“

 

Sakuras Augen waren vor Schreck geweitet. Was meinte er mit Besuch? Es klang nicht gerade danach, als wären das Leute, die man gerne nachts in seinem Haus zu Gast hatte. Außerdem wollte er sie doch wohl nicht wirklich hier allein lassen.

 

„Wer ist das?“, flüsterte sie mit erstickter Stimme.

 

Sasuke griff nach der Vorlage für den finalen Entwurf und steckte sie dann ordentlich zusammengefaltet in seine Hosentasche.

 

„Bleib einfach hier“, schärfte er ihr noch einmal ein, ohne auf ihre Frage einzugehen.

 

Er betonte jedes Wort einzeln. Sein Blick duldete keinen Widerspruch und als er schließlich das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss, blieb Sakura brav wo sie war. Was hätte sie auch anderes tun sollen? Allem Anschein nach war gerade irgendjemand dabei, in das Haus einzubrechen und dank der vielen Drogen, die hier überall herumlagen, konnte Sasuke ja schlecht die Polizei rufen. Ausgerechnet heute war Juugo nicht da. Dem hätte sie ohne weiteres zugetraut, dass er kurzen Prozess mit den Einbrechern machte.

 

Eine Zeit lang passierte nichts, dann ging plötzlich das Licht im Zimmer aus. Sakura tastete sofort nach dem Lichtschalter und betätigte ihn einige Male, doch es blieb dunkel. Irgendjemand – wahrscheinlich Sasuke oder die Einbrecher – hatte wohl den Strom abgestellt. Im Dunkeln war es gleich noch viel unheimlicher und sie klammerte sich unwillkürlich an die Tür. Am liebsten hätte sie abgeschlossen, doch zu diesem Zimmer gab es keinen Schlüssel und wenn doch, dann steckte er außen. Aus dem Erdgeschoss hörte man ein lautes Poltern und kurz darauf die Stimme eines Mannes.

 

„Verfluchte Drecksscheiße, man. Der kleine Pisser hat den Saft abgedreht.“

 

Also war Sasuke derjenige gewesen, der den Strom abgeschaltet hatte. Vielleicht erwartete er sich dadurch in irgendeiner Weise einen Vorteil. Schließlich kannte er das Haus wie seine Westentasche. Sakura hielt den Atem an und drückte ihren Kopf gegen das Holz der Tür. Sie wollte wissen, was da unten vor sich ging. Eine zweite Stimme ertönte, deutlich leiser als die erste, sodass sie nicht verstehen konnte, was die Person sagte. Dann folgte ein lautes Lachen, das sie wieder dem Mann von vorhin zuordnen konnte.

 

„Deidara, du bist so eine Pussy. Wenn irgendwo was in die Luft fliegt, wirst du direkt feucht, aber wenn es dunkel ist, pisst du dich an oder was? Jetzt hör auf zu flennen und geh mir aus dem Weg, du Flasche.“

 

Deidara. Den Namen hatte sie in letzter Zeit schon so oft gehört, dass sie ihn im Schlaf buchstabieren konnte. Er war der Mann, gegen den sie im Wettbewerb antreten sollte. Der, der für seine außergewöhnlichen 3D-Graffitis bekannt war. Sie hatte schon einige seiner Werke gesehen und musste zugeben, dass er wirklich beeindruckende Fähigkeiten hatte, auch wenn er oftmals dazu neigte, etwas zu übertreiben. Dass er hier war, konnte nichts Gutes bedeuten. Immerhin war er ein Mitglied von Akatsuki und er war definitiv nicht allein. Es war mindestens ein weiterer Mann im Haus. Ein Mann, der scheinbar dazu neigte, exzessiven Gebrauch von Schimpfwörtern zu machen und Sakura hatte das unbestimmte Gefühl, dass er auch in anderen Bereichen seines Lebens ziemlich skrupellos sein konnte. 

-12-

 

Dumpfe Schritte von schweren Stiefeln auf Holz erklangen und mit jeder Sekunde, die verstrich, näherte sich das Geräusch immer mehr. Die Treppe knarzte bedrohlich. Zwei Paar. Es waren zwei Paar Schuhe. Scheinbar hatten die Männer beschlossen, sich zuerst im Obergeschoss umzusehen und Sakura fragte sich unwillkürlich, was sie hier wollten. Ihr Vorgehen wirkte nicht besonders durchdacht. Sie waren einfach durch die Haustür gekommen, sodass Sasuke sie sofort bemerkt hatte, und auch jetzt polterten sie ohne Rücksicht auf Verluste durch das Haus wie Naruto, wenn er in der Küche Nudelsuppe roch. Es schien ihnen nicht wichtig zu sein, unbemerkt zu bleiben. Vielleicht wollten sie sogar entdeckt werden oder aber es war ihnen einfach egal.

 

Insbesondere die letzte Option machte Sakura Angst. Wer wusste schon, woher die Kerle das Selbstbewusstsein nahmen, hier einfach aufzukreuzen und sich im Haus umzusehen. Entweder sie waren unglaublich dumm oder es gab für sie schlicht und ergreifend keinen Grund sich vor einer Entdeckung zu fürchten. Momentan war Sasuke der einzige, der hier war und ihnen eventuell gefährlich werden konnte und selbst seine Chancen schätzte sie eher gering ein.

 

Die Schritte waren nun am obersten Treppenabsatz angelangt, wo sie vom breiten Läufer, der zum Schutz auf dem Parkettboden lag, gedämpft wurden. Obwohl die Tür geschlossen war, konnte Sakura die Männer vor ihrem geistigen Auge genau vor sich sehen. Sah, wie sie im gemächlichen Tempo den Flur entlang schritten und dabei ein Zimmer nach dem anderen überprüften. Die Türen flogen nur so auf und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie auch beim Übungszimmer angekommen waren.

 

Es war dunkel im Zimmer, die Jalousie war heruntergelassen, sodass nicht einmal Mondlicht hereindrang und vielleicht wenn sie Glück hatte, konnte sie das zu ihrem Vorteil nutzen.  Vorsichtig, um nicht aus Versehen ein Geräusch zu machen, trat sie ein paar Schritte zurück und stellte sich dann dicht an die Wand hinter der Tür. Bisher machten sich die Männer, soweit sie das einschätzen konnte, nicht wirklich die Mühe die Zimmer ausgiebig zu durchsuchen. Was auch immer ihr Ziel war, momentan wirkte es eher so, als würden sie sich erst mal einen Überblick verschaffen und vielleicht konnte sie tatsächlich unentdeckt bleiben, wenn sie auch diesen Raum nicht allzu genau unter die Lupe nahmen.

 

Adrenalin rauschte durch ihre Adern und sie fühlte sich seltsam aufgekratzt, als die Schritte näher kamen und direkt vor der Tür stehen blieben. Dann senkte sich die Türklinke herab. Ihr Gehirn verlangte nach mehr Sauerstoff, doch sie erlaubte es sich nur ganz flach zu atmen, um die Männer nicht auf sich aufmerksam zu machen und ballte ihre Hand fest zur Faust, damit sie nicht zitterte. Du bleibst hier, egal was passiert. Vielleicht hatte Sasuke Recht gehabt und das hier war tatsächlich der sicherste Ort, vielleicht hatte er sie aber auch ins offene Messer rennen lassen, während er sich selbst in Sicherheit brachte.

 

Eine schwarze Silhouette tauchte in ihrem Blickfeld auf. Es war viel zu dunkel, um irgendwelche Details zu erkennen, doch sie sah, dass der Mann relativ breit gebaut war und einen längeren Mantel trug. Mit selbstbewusstem Gang schritt er in die Mitte des Zimmers und entfernte sich dadurch zunehmend aus Sakuras Blickfeld, das zu einem Großteil von der halb geöffneten Tür verdeckt war. Wenn sie ihn nicht sehen konnte, konnte er sie auch nicht sehen. Dennoch pochte ihr Herz wie wild in ihrer Brust und sie hatte das Gefühl, dass es im ganzen Raum wiederhallte. Wenn sie sich nicht schnell in den Griff bekam, würden sie sie hören.

 

Unmittelbar vor ihr nahm sie eine weitere Bewegung war und wäre beinahe zusammengezuckt, als eine zweite Gestalt das Zimmer betrat. Sie bewegte sich deutlich weniger schwerfällig als der große Mann und schien gleichzeitig etwas zurückhaltender zu sein. Ein grelles Licht, das vom Display eines Smartphones stammte leuchtete auf und bildete einen kleinen kugelförmigen Bereich rund um das Gesicht. Es sah sehr feminin aus, schmal und hatte eher weiche Züge. Vor allen Dingen aber wirkte es unglaublich jung. Einen Moment lang, überlegte Sakura ob es sich um eine Frau handeln konnte, bis die Person schließlich das Wort ergriff.

 

„Hidan, kannst du vielleicht mal ein bisschen langsamer machen? Der Uchiha könnte theoretisch hier irgendwo sein. Ich hab keine Lust, mich auch noch mit ihm rumzuschlagen.“

 

Seine Stimme klang verhältnismäßig tief. Also keine Frau. Dennoch war ein gewisser Respekt aus seinem Tonfall herauszuhören, genauso wie eine gehörige Portion Abneigung, als er Sasukes Namen aussprach.

 

„Wo bleibt denn dann der ganze Spaß?“, fragte der zweite Mann, den er gerade mit Hidan angesprochen hatte. „Ich hab richtig Bock dem Kleinen ordentlich auf die Fresse zu geben, wenn er sich her traut.“

 

Ein sadistisches Lachen ertönte, das Sakura sofort alle Haare zu Berge stehen ließ. Offensichtlich hatten es die Männer – oder zumindest dieser Hidan – wirklich auf eine Konfrontation angelegt, und mit jeder Sekunde, die verstrich, bezweifelte sie zunehmend, dass sie hier heil wieder rauskommen würde. Egal wo Sasuke sich gerade befand, er musste gehört haben, dass sie in den ersten Stock gegangen waren und genau wie sie wusste er, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie Sakura entdeckten. Wenn er nicht so etwas wie einen Plan hatte, wäre sie geliefert.

 

„Wir hätten das alles auch etwas dezenter machen können“, protestierte der Jüngere der beiden und ging noch ein Stück weiter nach links, sodass auch er aus Sakuras Blickfeld verschwand. „Du hast einfach keinen Stil und das ist genau der Grund, warum ich es hasse, Aufträge mit dir anzunehmen.“

 

Ein unterdrücktes Kichern ertönte.

 

„Jetzt piss dich mal nicht ein, Barbie, dein Rumgeheule geht mir langsam auf die Eier. Ohne mich hättest du schon komplett verschissen. Mach dich lieber nützlich und leuchte mal hier rüber.“

 

Der Lichtstrahl wanderte zur rechten Seite des Raumes. Dorthin, wo die Staffelei stand. Gleichzeitig traten die Männer wieder weiter in ihr Blickfeld und Sakura drückte sich noch mehr hinter die Tür, immer darauf bedacht, nicht die Folie an der Wand zu berühren. Das Knistern hätte sie sofort verraten.

 

„Jackpot, bitches“, grölte Hidan.

 

Die beiden Männer traten näher an die Spanplatte mit dem Entwurf heran und beugten sich weit nach vorne, um alles genau in Augenschein zu nehmen. Dadurch schirmten sie das Licht weitgehend von Sakura ab, sodass sie kaum noch etwas erkennen konnte. Hatten sie es etwa auf den Entwurf abgesehen?

 

„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das das Richtige ist“, stellte der Jüngere fest. „Es sieht zwar aus wie ein Entwurf von Sasuke, aber die Linien sind viel zu breit.“

 

Ganz offensichtlich kannte er sich mit der Materie aus, denn ansonsten wären ihm diese Kleinigkeiten niemals aufgefallen. Auch Sasukes Arbeit schien er sehr gut zu kennen. Allem Anschein nach handelte es sich also tatsächlich um Deidara und was die beiden da machten, hätte man in wirtschaftlichen Kreisen wohl als Industriespionage bezeichnet. Hidan lachte.

 

„Wahrscheinlich war der Wichser selber breit, als er das gesprüht hat.“

 

„Oder es ist von ihr“, warf Deidara ein.

 

Sakuras Herz setzte für einen Schlag aus. Also wussten die beiden von ihr. Und sie wussten auch, dass Sasuke sie unterrichtete. An sich war das nicht weiter verwunderlich, immerhin hatte sie selbst sich auch über ihren Gegner informiert, aber es war ein seltsames Gefühl zu wissen, dass diese Männer sich mit ihrer Existenz beschäftigt hatten. Im Gegensatz zu Deidara war sie in der Branche kein bekanntes Gesicht. Es musste ungemein schwieriger sein, etwas über sie und ihre Fähigkeiten herauszukriegen. Trotzdem war es diesen Männern offenbar gelungen.

 

„Dann ist das hier sozusagen die Loser-Edition von seinem Entwurf“, stellte Hidan fest. „Besser als gar nichts. Mach ein Foto, Sunnyboy, und dann suchen wir weiter.“

 

Deidara hob sein Handy an und trat einen Schritt zurück. Da er die Taschenlampenfunktion deaktiviert hatte, um ein Foto zu machen, wurde es schlagartig ein wenig dunkler im Raum und Sakura musste die Augen zusammenkneifen, um überhaupt noch etwas zu erkennen. Hidan stand mit dem Rücken zu ihr, nur wenige Zentimeter von ihr entfernt. Deidara etwas seitlich davon. Es war recht leicht die beiden voneinander zu unterscheiden, selbst wenn sie nicht sprachen. Zum einen anhand der Statur, zum anderen hatte Deidara sein langes Haar teilweise oben am Kopf zusammengebunden, während Hidan seines zurück gegelt trug und dadurch ein wenig an einen schmierigen italienischen Mafioso erinnerte.

 

Ein gleißendes Blitzlicht erhellte den Raum und Sakura schloss geblendet die Augen. Reflexartig hob sie einen Arm, um sich vor dem Licht zu schützen, wobei sie mit dem Ellbogen gegen die Wand in ihrem Rücken stieß. Die Folie knisterte verräterisch. Erschrocken hielt sie den Atem an und für ein paar schreckliche Sekunden lang, herrschte in dem Raum absolute Stille, in der Sakura sich fragte, ob die beiden sie bemerkt hatten. Dann stand Hidan auch schon neben ihr. Grob griff er nach ihrem Arm und zerrte sie hinter der Tür hervor, direkt in den Lichtkegel von Deidaras Handy.

 

„Sieh an, sieh an. Wen haben wir denn hier?“, schnarrte er. „Sasukes kleine Sprayer-Hure.“

 

Seine Stimme war unangenehm und mindestens so aufdringlich wie das Geräusch einer Kettensäge. Viel schlimmer jedoch war der Geruch seines Aftershaves, der ihr jetzt, wo sie so dicht bei ihm stand, unerbittlich in die Nase stieg. Er war unglaublich penetrant. Herb und gleichzeitig süßlich. Einfach widerlich. Vor allem aber penetrant. Als Sakura jedoch versuchte, sich aus seinem harten Griff zu winden, zog er sie nur noch näher an seinen Körper und hielt ihre Hände hinter dem Rücken zusammen. Übelkeit kam in ihr hoch.

 

In aller Ruhe leuchtete Deidara ihr mitten ins Gesicht und betrachtete sie einmal von oben bis unten.

 

„Das ist sie“, bestätigte er dann mit einem Kopfnicken.

 

Wieder versuchte Sakura sich irgendwie zu befreien und ruckte wild mit ihren Armen. Sie könnte versuchen, nach einem der beiden zu treten, aber wenn es schief ging, würde es anschließend schlecht für sie aussehen. Außerdem hatte Hidan die Tür zugeschlagen, nachdem er sie aus ihrem Versteckt gezerrt hatte und nun versperrte Deidara ihr den Fluchtweg.

 

„Ich denke, das könnte lustig werden“, Hidans stimme triefte nur so vor boshafter Vorfreude. „Ich schlage vor, wir zwei Hübschen sehen uns noch ein wenig im Haus um und suchen nach den Originalentwürfen, während unser Sunnyboy sich weiter mit deinem Amateurpfusch beschäftigt.“

 

Ohne dass Sakura etwas dagegen machen konnte, drückte er sie in Richtung Tür. Auch wenn sie nicht genau sagen konnte, woher diese Ahnung kam, hatte sie das Gefühl, dass es nicht klug war, mit Hidan allein zu sein. Deidara schien zumindest noch einen Funken Vernunft in sich zu haben, doch in den Augen des Älteren leuchtete der pure Wahnsinn. So gut sie konnte stemmte sie sich mit den Füßen dagegen, woraufhin er ihr unsanft in die Kniekehlen trat, sodass sie beinahe gestürzt wäre.

 

„Wenn du rumzickst, gibt’s ein paar aufs Maul, Herzchen“, warnte er. „Ein Ton und ich schneide dir deine verdammte Zunge raus.“

 

Sakura spürte kühles Metall an ihrer Wange und zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass er ein Springmesser gezogen hatte. Die Klinge lag sanft, fast schon zärtlich auf ihrer Haut und nur eine winzig kleine Bewegung würde genügen, um die dünne Oberfläche zu durchbrechen. Sie hatte keinerlei Zweifel daran, dass er seine Drohung wahr machen würde. Erschrocken hörte sie auf, sich gegen ihn zu wehren und ging folgsam einen Schritt nach dem anderen in Richtung Tür.

 

„Lass sie ganz, verdammte Scheiße nochmal“, fluchte nun auch Deidara. „Wenn Orochimaru das rauskriegt, werde ich am Ende noch disqualifiziert oder so. Dann war der ganze Aufwand umsonst.“

 

In Gedanken dankte sie Deidara gefühlte fünftausendmal, auch wenn sie nicht das Gefühl hatte, dass Hidan sich sonderlich davon beeindrucken ließ.

 

„Heul doch.“

 

Grob stieß er sie hinaus auf den Flur und leuchtete dann mit seinem eigenen Handy den Weg. Offenbar wusste er genau, wo er hinwollte, denn er schob sie zielstrebig in Richtung von Shikamarus Büro. Normalerweise schloss der Informatiker grundsätzlich ab, wenn er nicht im Haus war, doch die Tür stand offen und anhand des Schlosses, das ziemlich demoliert aussah, vermutete Sakura, dass die Männer es bereits aufgebrochen hatten.

 

„Umdrehen“, befahl Hidan knapp.

 

Ihr war nicht wirklich wohl bei dem Gedanken, ihm den Rücken zuzuwenden, doch Sakura tat, was er von ihr verlangte und kurz darauf spürte sie, wie sich etwas Schmales um ihre Handgelenke schloss und unangenehm in ihre Haut einschnitt. Hidan ließ sie los und trat einen Schritt zurück, sodass sie erst mal tief durchatmen konnte. Dennoch war sie noch immer sehr in ihren Bewegungen eingeschränkt und selbst wenn er sie nicht gefesselt hätte, wüsste sie nicht, was sie gegen ihn unternehmen sollte. Er war größer als sie. Er war ganz offensichtlich skrupellos. Und er war bewaffnet.

 

„Hinsetzen“, wies er sie an und deutete auf das braune Ledersofa in der Ecke des Zimmers.

 

Es war ein mehr als ungewohnter Anblick, es unbesetzt zu sehen. Normalerweise saß hier grundsätzlich Shikamaru, der entweder ein Nickerchen machte oder in irgendwelche Programmcodes vertieft war. Nur wenn er in seiner Funktion als Doktorand mal wieder ein Seminar an der Uni halten musste, erhob er sich aus dem bequemen Polster. Selbst die Kaffeemaschine stand an einer strategisch günstigen Stelle, nämlich so, dass er sie auch im Liegen noch bequem erreichen konnte. Darunter die Kaffeetasse  mit zwei Würfeln Zucker. Shikamaru pflegte zu behaupten, dass dadurch das Koffein schneller ins Blut gelangte. Sakura hatte diese Aussage nie angezweifelt.

 

Ohne ihr weitere Beachtung zu schenken, ging Hidan auf den Schreibtisch zu und klappte den silbernen Laptop auf. Während er hochfuhr, lief er ein paar Mal ungeduldig sein Springmesser auf- und zuklappen und fuhr sich durch das silbergraue Haar. Sakura konnte nicht anders, als ihn wie hypnotisiert anzustarren, jederzeit bereit auf einen unerwarteten Angriff zu reagieren. Die ganze Zeit über trug er ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, doch sie ließ sich von seiner unbekümmerten Miene nicht täuschen. Er genoss das alles hier.

 

Er war derjenige gewesen, der darauf bestanden hatte, mit Krawall in das Haus einzudringen, während Deidara ein dezenteres Vorgehen bevorzugt hätte. Er war derjenige, der unbedingt auf eine Konfrontation mit Sasuke aus war, während Deidara auf diese Begegnung lieber verzichten würde. Er war definitiv derjenige, vor dem man mehr Angst haben musste. Und doch spürte Sakura plötzlich, wie eine seltsame Ruhe in ihr einkehrte, jetzt wo sie ein bisschen Abstand zwischen sie gebracht hatte und wo nicht ständig der penetrante Geruch von Hidans Aftershave in ihre Nase stieg.

 

Ihre Überlebensinstinkte waren geweckt und drängten alle anderen Emotionen in den Hintergrund. Die Angst. Die Hoffnungslosigkeit. Die Wut. Ihre Sinne schienen seltsam geschärft, ihr Kopf war komplett klar. Sakura war auf sich allein gestellt und es würde auch niemand kommen, um sie zu retten. Sie war mit Hidan alleine und eins war sicher, vor diesem Mann durfte man keine Schwäche zeigen, das würde ihn nur weiter anstacheln. Es war wichtiger als je zuvor in ihrem Leben, dass sie sich zusammenriss.

 

„Fuck“, fluchte Hidan und schlug mit der flachen Hand einmal auf die Tastatur.

 

Der Laptop war hochgefahren und zeigte den üblichen Startbildschirm. In der Mitte befand sich ein leeres Feld, in dem auffordern ein Cursor blinkte. Passwort.

 

Wütend beugte er sich über den Laptop, die Hände links und rechts auf dem Schreibtisch abgestürzt und starrte den Bildschirm an, als könnte er ihn so dazu bringen sich freiwillig zu ergeben. Was auch immer Hidans Funktion bei Akatsuki war, er war jedenfalls kein Hacker, denn sonst würde ihn so etwas Einfaches wie ein Passwort nicht so dermaßen aus der Fassung bringen. Heutzutage hatte so ziemlich jedes Gerät eine Passwortsicherung. Was hatte er erwartet?

 

Mit großen Schritten kam er auf das Sofa zu und packte dann ihren Oberarm. Er riss sie nach oben und zog sie hinüber zum Schreibtisch, drückte sie dort auf die Knie und ihren Kopf dicht an den Bildschirm.

 

„Das Passwort?“, fragte er ungeduldig.

 

Wäre die Situation nicht so bedrohlich, hätte Sakura vermutlich angefangen zu lachen. Offensichtlich kannten Akatsuki Sasuke doch nicht so gut, wie sie dachten, denn sonst hätten sie gewusst, dass er was Informationen anbetraf mehr als nur paranoid war. Der Einzige, der ihn in der Hinsicht noch übertraf, war vermutlich Shikamaru. Informationen waren sein Job, er wusste wie brisant sie sein konnten und genau aus diesem Grund konnte er sie auch nach Belieben auftauchen und wieder verschwinden lassen. Als ob solche vorsichtigen Menschen ausgerechnet ihr das Passwort für einen Laptop anvertrauen würden.

 

„Ich weiß es nicht“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

 

Ihre Stimme klang überraschend fest, doch Hidan schien ihr nicht zu glauben. Ohne Vorwarnung schlug er ihr Gesicht einmal auf die Tischplatte. Nicht besonders fest, aber es reichte, um ein unangenehmes Pochen in ihrem Kopf zu hinterlassen und sie keuchte erschrocken auf. Nur mühsam konnte sie den Drang unterdrücken, sich an die Nase zu fassen, aus der nun warmes Blut sickerte. Sie hatte nicht damit gerechnet. Offenbar war er noch um einiges launischer und unberechenbarer, als sie zunächst angenommen hatte.

 

„Ich geb‘ dir noch eine Chance, Zuckerpuppe“, raunte Hidan dicht an ihrem Ohr. „Sag mir das verdammte Passwort und wir können das hier noch friedlich regeln. Andernfalls werde ich dir dein nutzloses Gehirn durch die Gedärme rausziehen.“

 

Er packte sie an den Haaren und zog ihren Kopf in den Nacken. An ihrer Kehle konnte sie wieder das kühle Metall des Springmessers spüren und es kostete sie einiges an Überwindung, jetzt nicht zu schlucken. Hidans süßlicher Geruch verursachte bei ihr Übelkeit und sie schmeckte Blut an ihrer Lippe, das vermutlich von ihrer Nase stammte. Sie hatte vorhin kein Knacken gehört, also war sie wahrscheinlich nicht gebrochen, aber das bedeutete ja nicht, dass sich das nicht noch ändern konnte.

 

„Das Passwort“, wiederholte er noch einmal zischend.

 

Sein Griff in ihren Haaren wurde fester und Sakura spürte bereits ein ziehendes Prickeln an ihrer Kopfhaut. Irgendwie musste es ihr gelingen Zeit zu schinden. Daran, dass sie durch Zufall irgendwie das Passwort herausfinden konnte, glaubte sie nicht. Shikamaru war ein verdammtes Genie, was bedeutete, dass er seine Daten sicherlich ausreichend schützte.

 

„Ich weiß das Passwort nicht auswendig“, behauptete sie. „Es ist ziemlich lang und kompliziert, aber es steht in meinen Notizen. Ich kann sie schnell holen.“

 

Es war ein ziemlich durchschaubarer Versuch, aber Sakura musste irgendetwas sagen oder er würde seine Drohung tatsächlich wahrmachen. Sie kannte das Passwort nicht und sie würde auch niemals darauf kommen. Dafür wusste sie zu wenig über Shikamaru. Er arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni und schrieb nebenbei an seiner Doktorarbeit. Dass er für Sasuke tätig war, lag hauptsächlich daran, dass er zu bequem war, in einem richtigen Büro anzufangen. Hier hatte er seine Freiheiten und konnte nebenbei noch den Unikram erledigen, ohne dass ihn jemand nervte.

 

Die Aufgaben, die Sasuke ihm erteilte, langweilten ihn nicht so schnell und stellten eine willkommene Herausforderung für zwischendurch dar, bei der er jedoch nicht sein heißgeliebtes Sofa verlassen musste. Er trank viel Kaffee, rauchte und spielte gerne Shogi. Abgesehen davon wusste sie so gut wie nichts über ihn, was es ihr ermöglichen würde, auf sein Passwort zu kommen. Alles was ihr blieb, war also auf Zeit zu spielen und zu hoffen, dass möglicherweise Sasuke irgendeinen Plan hatte.

 

„Lüg mich nicht an, Liebes. Das wird dir nicht gut bekommen. Deidara pisst sich vielleicht in die Hosen, aber mir ist es scheiß egal, was Orochimaru für ein Problem hat.“

 

Demonstrativ drückte Hidan das Messer ein bisschen fester gegen ihren Hals und Sakura spürte ein leichtes Brennen an der Stelle, wo es ihre Haut durchbrach. Der Riss war fein, kaum der Rede wert, aber die Bedeutung der Drohung war klar. Auf den ersten Blick mochte Hidan vielleicht nicht gerade der Hellste sein, aber er merkte, wenn man ihn anlog. Also musste sie es wohl oder übel mit der Wahrheit versuchen.

 

„Ich weiß das Passwort wirklich nicht.“

 

Zu ihrem Erstaunen fühlte sie sich immer noch vergleichsweise ruhig. Möglicherweise pure Resignation im Angesicht der Situation. Was sollte sie auch schon machen? Hidan zog sie dichter an sich heran, strich mit dem Messer hauchzart über die Haut an ihrem Hals. Sakuras gesamter Körper war angespannt und sie traute sich nicht zu atmen. Ihre Übelkeit lähmte sie und sie zwang sich, das beklemmende Gefühl herunterzuschlucken.

 

„Bist du dir sicher?“, hakte er noch einmal nach. „Das würde nämlich bedeuten, dass du gerade nutzlos für mich geworden bist und zufällig hasse ich kleine Nutten wie dich. Was würde wohl Sasuke dazu sagen, wenn wir ein paar Spritzer Blut über seine kargen weißen Wände verteilen?“ 

-13-

 

 

Trotzig schloss Sakura die Augen. Sie wusste nicht, wo sie in dem Moment den Mut hernahm, doch vermutlich lag es daran, dass sich noch immer alles anfühlte wie ein schrecklicher Traum. Irgendwie unrealistisch.

 

„Tu, was du nicht lassen kannst“, sagte sie ruhig.

 

Es fühlte sich fast so an, als würde all das sie gar nicht betreffen, als wäre sie nur ein Zuschauer in dieser Situation, der jederzeit gehen konnte, wenn es ihm zu viel wurde. Ihr eigener Geist bewahrte sie durch diese künstliche Distanz davor durchzudrehen, ein psychologischer Schutzmechanismus. Sie ließ es einfach nicht an sich heran. Dabei stand Hidan noch immer dicht hinter ihr. So dicht, dass sie jede seiner Bewegungen spüren konnte. Die Klinge lag auf ihrer Haut und übte zunehmend sanften Druck aus.

 

„Willst du gar nicht betteln?“, Hidans Stimme klang fast schon enttäuscht.

 

Sakura schnaubte.

 

„Danke, ich verzichte.“

 

Die Klinge glitt ihren Hals entlang bis hinauf zu ihrer Wange, wo Hidan sie knapp unterhalb von ihrem rechten Auge verweilen ließ. Mühsam versuchte Sakura die Angst hinunterzukämpfen, die sich immer wieder brodelnd ihren Weg an die Oberfläche bahnen wollte. Wenn sie jetzt doch noch die Nerven verlor, würde sie ihm damit nur einen Gefallen tun. Sie schloss die Augen und atmete tief durch.

 

Gerade hatte sie sich auf das Schlimmste gefasst gemacht, als sie ein lautes Rumpeln, gefolgt von einem erstickten Schrei erschrocken zusammenzucken ließ. Es kam aus einem der anderen Zimmer. Der Richtung nach zu urteilen vermutlich sogar aus dem Übungsraum. Auch Hidan hatte es gehört und zu ihrer großen Erleichterung ließ er schließlich die Klinge sinken, nur um sie kurz darauf wieder auf die Beine zu ziehen. Offenbar hatte er vor nachzusehen, was da draußen vor sich ging und würde sie nicht unbeobachtet hier zurücklassen.

 

Bestimmend bugsierte er sie durch die Tür hinaus auf den Gang. Hier draußen gab es kein Fenster, durch das Mondlicht hereindringen könnte, wodurch es noch einmal bedeutend dunkler war. Sakuras Augen hatten sich an das Dämmerlicht des Laptops gewöhnt und sie hatte Schwierigkeiten überhaupt irgendetwas zu erkennen. Allerdings schien außer ihnen niemand anderes hier zu sein. Unwillkürlich fragte sie sich, ob Sasuke auf Deidara getroffen war. Vielleicht hatte er sich doch nicht aus dem Staub gemacht, sondern die Gunst der Stunde genutzt und den Sprayer überrascht.

 

Zielstrebig steuerte Hidan auf das Übungszimmer zu und riss ungeduldig die Tür auf. Das erste was Sakura sah als er mit seinem Handy den Raum ableuchtete, war die umgekippte Staffelei, die auf dem Boden lag. Die Holzspanplatte war in der Mitte gesprungen und eines der beiden Teilstücke war ein paar Zentimeter zur Seite gerutscht, wie zwei Hälften, die sich einander sehnsüchtig entgegenstreckten. Als nächstes fiel ihr Blick auf Sasuke, der in einer Ecke des Zimmers stand und Deidara fest im Griff hatte, sodass der sich keinen Millimeter rühren konnte. Ein röchelndes Geräusch drang aus seiner Kehle und er versuchte erfolglos Sasukes Unterarm von seinem Hals wegzuziehen.

 

Am liebsten hätte sie geweint vor Erleichterung. Sasuke war da und es war ihm gelungen Deidara zu überwältigen. Das bedeutete, dass sie möglicherweise eine Chance hatten. Wenn ihm auch nur ein bisschen was an ihr lag, würde er vielleicht versuchen, ihr zu helfen. Immerhin hatte er ihr befohlen hier zu warten, wodurch die beiden sie überhaupt erst geschnappt hatten.

 

„Ich glaube, du hast da was, was mir gehört“, knurrte Hidan ungehalten.

 

Er nickte in Richtung Deidara, der noch immer in Sasukes Griff zappelte wie ein Fisch an Land. Gleichzeitig zog er Sakura unsanft nach vorne, um ihren Körper wie ein Schutzschild zu benutzen und ließ mit einer geschmeidigen Bewegung das Messer aufschnappen.

 

„Dasselbe gilt für dich“, erwiderte Sasuke mit ruhiger Stimme.

 

Sein Blick ruhte dabei auf Sakura, taxierte ihr Gesicht, blieb für ein paar Sekunden an den dünnen Schnitten an ihrem Hals hängen und verweilte dann an dem Blut, das aus ihrer Nase strömte. Vermutlich sah das alles schlimmer aus, als es im Endeffekt war, auf jeden Fall aber hatte es ihn verärgert. Auf seiner Stirn zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine tiefe Falte, die ganz bestimmt nichts Gutes zu bedeuten hatte.

 

„Alles klar Prinzessin, das nennt man dann wohl Pattsituation“, stellte Hidan gänzlich unbeeindruckt fest.

 

Noch immer wirkte es so, als wäre all das für ihn nur ein Spiel. Ein Spiel, bei dem es ihm nichts ausmachte, das ein oder andere zu verlieren. So hatte er beispielsweise für Deidara kaum einen Blick übrig. Ganz im Gegenteil, er schien richtig erfreut über die Situation und genoss das hilflose Röcheln seines Kollegen.

 

„Lass meine Sprayerin los, dann bekommt ihr euren zurück“, forderte Sasuke kühl.

 

Zur Untermauerung seines Standpunktes drückte er noch ein wenig fester zu und Sakura zweifelte keine Sekunde lang daran, dass er ihm mit einem einzigen Handgriff das Genick brechen könnte. Hidan war skrupellos, aber Sasuke war es auch. Und seltsamerweise war sie gerade froh, in dieser Situation jemanden wie ihn an ihrer Seite zu haben.

 

„Wenn du deine kleine Hure zurückhaben willst, musst du uns danach gehen lassen“, forderte Hidan seelenruhig.

 

Spielerisch ließ er das Messer durch die Finger gleiten und drückte Sakura mit der freien Hand noch ein bisschen näher an seinen Körper. Sein Geruch umhüllte sie, wickelte sie in einen dicken Nebel und sie hatte das Bedürfnis zu husten. Sasuke würde niemals auf seine Forderungen eingehen, dafür war er viel zu stolz. Auch, wenn er sie wahrscheinlich für diesen dämlichen Wettbewerb brauchte.

 

„Das werden wir ja sehen“, antwortete Sasuke abweisend.

 

Hidan lachte leise. Es war ein ganz und gar unangenehmes Lachen. Gehässig. Böse. Und es jagte Sakura eiskalte Schauer über den Rücken.

 

„Oh ja, das werden wir“, bestätigte er breit grinsend. „Weißt du, mein Boss wird zwar sauer sein, wenn unserem kleinen Sunnyboy hier was passiert, aber eigentlich konnte ich Deidara sowieso noch nie leiden.“

 

Sakura konnte sehen, wie sich Deidaras Augen vor Schreck weiteten und sofort nahm er wieder seine Bemühungen auf, sich aus Sasukes unerbittlichem Griff zu befreien. Der jedoch ließ nicht locker und fixierte stattdessen Hidan mit eiserner Miene, der nun begann eine von Sakuras Haarsträhnen um das Messer zu wickeln. Dabei kam er ihrem Gesicht immer wieder bedrohlich nahe und sie hielt angespannt die Luft an. 

 

„Deidara ist mir scheiß egal. Du hingegen hast ganz eindeutig was übrig für die Kleine“, stellte Hidan fest. „Also bin ich in der besseren Verhandlungsposition. Übergib ihn mir einfach, wir verschwinden und damit sind wir quitt.“

 

Hinter Sasukes Stirn begann es zu arbeiten. Sein Mund wurde zu einem dünnen Strich und er verengte die Augen zu Schlitzen. Natürlich passte es ihm nicht, dass Hidan Forderungen an ihn richtete und dementsprechend wollte er nicht klein beigeben. Gleichzeitig aber konnte Sakura sehen, dass er wusste, das Hidan das, was er sagte, wirklich ernst meinte. Deidara war ihm komplett egal, er würde ihn ohne mit der Wimper zu zucken opfern und das einzige, was ihn daran störte, war der Anschiss, den er daraufhin von seinem Boss bekommen würde.

 

Wenn sie zuvor noch geglaubt hatte, dass die beiden in etwa gleich skrupellos waren, sah sie jetzt in Sasukes Augen, dass sie sich getäuscht hatte. Er musterte sie aufmerksam, ließ sie keine Sekunde lang aus den Augen und suchte jeden Zentimeter ihres Körpers nach weiteren Verletzungen ab. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und seine Nasenflügel bebten vor Wut. Sakura glaubte, dass sie ihn noch nie zuvor so angespannt erlebt hatte. Eine ungewöhnliche Mischung aus Besorgnis und Zorn flackerte ein letztes Mal in seinen Augen auf, bevor er sich wieder an Hidan wandte.

 

„Fast“, sagte er mit rauer Stimme und lockerte den Griff um Deidaras Hals.

 

Der stolperte sofort einen Schritt von ihm weg und rang hechelnd nach Luft. Mit heiserer Stimme begann er irgendetwas vor sich her zu schimpfen, was verdächtig nach „Scheiß Uchihas“ klang und versuchte Abstand zwischen sich und Sasuke zu bringen. Der jedoch packte ihn am Arm und zog ihn nochmal zurück.

 

„Wenn ich dich das nächste Mal erwische, werde ich dir jeden Finger einzeln brechen“, prophezeite er düster.

 

Dann holte er mit dem Ellbogen aus und rammte ihn dem völlig überraschten Deidara ohne zu Zögern ins Gesicht. Blut strömte aus seiner Nase und er verpasste ihm einen unsanften Schubs in Richtung Hidan.

 

 „Jetzt sind wir quitt.“

 

Hidan lachte nur und ließ das Messer zuschnappen. Augenblicklich fühlte Sakura sich so, als hätte man ihr eine zentnerschwere Last von den Schultern genommen und sie sog erleichtert Luft in ihre Lungen. Hidan nahm in aller Seelenruhe den Arm von ihrer Hüfte und trat einen Schritt zurück. So schnell sie konnte durchquerte Sakura den Raum, bis sie dicht neben Sasuke stand. Ihre Beine zitterten und fühlten sich unglaublich wackelig an. Allmählich wurde sie sich zunehmend bewusster, dass gerade ihr Leben, zumindest aber ihre körperliche Unversehrtheit auf dem Spiel gestanden hatten. Es war kein böser Traum. Das hier war die Realität und sie hatte sich bis gerade eben tatsächlich in den Händen eines gewalttätigen Irren befunden. Die Erkenntnis brach wie ein Monsun über sie herein und lähmte sämtliche ihrer Sinne.

 

Stumm beobachtete sie, wie Hidan das Zimmer verließ, wobei gleichzeitig das Leuchten seines Handydisplays immer schwächer wurde. Mit jedem schweren Schritt, den er sich von ihr wegbewegte, hatte sie das Gefühl besser atmen zu können. Dieser Mann machte ihr mehr Angst als alles andere in ihrem Leben. Auch Deidara hatte sich in Bewegung gesetzt, zögerte jedoch plötzlich und drehte sich im Türrahmen noch einmal zu ihnen um.

 

„Du bist genauso schlimm wie dein Bruder“, seine Stimme bebte leicht. „Ihr Uchihas haltet euch vielleicht für etwas Besseres,  aber im Prinzip ist euer ach so tolles Engagement auch nichts anderes als Geldwäsche. Wenn du wirklich glauben willst, dass er ein guter Mensch ist, dann machst du dir etwas vor. Ohne deinen Bruder wäre ich nicht da, wo ich jetzt stehe. Du kannst dich also bei ihm bedanken, wenn ich deiner Kleinen im Wettbewerb den Arsch aufreißen werde. Und glaub mir, das werde ich.“

 

Sein Blick triefte nur so vor Verachtung und das Blut, das noch immer in kleinen Schüben aus seiner Nase quoll, verstärkte diesen Eindruck zusätzlich. Sie sah schief aus und wahrscheinlich hatte Sasuke sie ihm gebrochen. Seltsamerweise empfand Sakura in diesem Moment tatsächlich so etwas wie Mitleid mit dem Kerl, obwohl er auch ihr gerade gedroht hatte. Abgesehen von Hass erkannte sie deutlich etwas anderes in seiner Miene – Verzweiflung – und auf eine groteske Art und Weise konnte sie sich mit ihm identifizieren.

 

„Du solltest jetzt besser mein Haus verlassen“, entgegnete Sasuke ihm mit bedrohlich tiefer Stimme. „Ich habe vielleicht zugestimmt, dass ich euch gehen lassen werde, aber das trifft nicht auf Jugo zu.“

 

Deidara leckte sich ein wenig nervös über die blutigen Lippen und ließ seinen Blick zwischen ihnen hin- und hergleiten. Schließlich heftete er sich auf Sakura.

 

„Egal womit er dir droht, du kannst noch aussteigen“, sagte er eindringlich. „Es gibt Leute, die dich schützen würden, genauso wie es Leute gibt, die dir ohne zu zögern Schlimmeres antun würden. Ich hab nichts gegen dich persönlich, also überleg dir gut, ob du wirklich für ihn ...“

 

„Das reicht“, Sasukes Stimme war schneidend.

 

Drohend war er einen Schritt nach vorne getreten und Deidara wich unwillkürlich ein Stück zurück, sodass auch er draußen auf dem Gang stand. In seiner Mimik war deutlich der innere Kampf abzulesen, den er gerade ausfocht. Irgendetwas schien ihm noch auf der Zunge zu liegen, was er unbedingt loswerden wollte, doch gleichzeitig zeigte Sasukes Drohung bei ihm Wirkung. Was auch immer er bisher für Erfahrungen mit Uchihas gemacht hatte, er unterschätzte sie jedenfalls nicht. Trotzdem wollte Sakura unbedingt wissen, was er noch zu sagen hatte. Zum ersten Mal hatte sie gehört, wie jemand über Sasukes Bruder sprach, diesen mysteriösen Mann, dem Uchiha Solutions gehörte und dessen Namen sie noch nicht einmal kannte und sie wurde das Gefühl nicht los, dass es irgendwie von Bedeutung war. Dies hier war ihre bisher beste Möglichkeit, mehr über Sasuke zu erfahren.

 

Ein letztes Mal sah Deidara Sakura an. Bedeutungsvoll. Eindringlich. Dann drehte er sich um und sie hörten seine hastigen Schritte die Treppe hinunterpoltern. Sofort griff Sasuke nach seinem Handy und entsperrte mit einer geübten Handbewegung das Display. Momentan war sein Handy die einzige Lichtquelle im Raum und als er es sich ans Ohr hielt, versiegte auch diese.

 

„Jugo, du musst zurückkommen. Sofort“, lautete seine knappe Anweisung.

 

Also hatte er zuvor geblufft, als er angedeutet hatte, dass dieser bereits auf dem Weg sein würde. Einen Moment lang fragte sich Sakura, warum er ihn erst jetzt dazu zog, doch im Grunde genommen war es nicht weiter wichtig. Vielmehr kreisten ihre Gedanken um das, was Deidara gesagt hatte. Um Sasukes Bruder. Darum, dass er ihm die Schuld an allem gab, was ihm widerfahren war. Er hatte ihr einen Ausweg geboten, vielleicht, weil er ihre Lage kannte und sie verstand. Und möglicherweise hatten sie ja sogar mehr gemeinsam als ihr Interesse für Kunst.

 

„Komm mit“, befahl Sasuke knapp und zerschnitt mit einem kleinen Taschenmesser die Kabelbinder, mit denen Hidan ihre Hände gefesselt hatte.

 

Mit großen Schritten ging er aus dem Raum und ebenfalls in Richtung Treppe. Wahrscheinlich wollte er den Strom wieder anschalten. Obwohl es mühsam war ihm zu folgen, beeilte Sakura sich, da sie jetzt unter keinen Umständen alleine oben bleiben wollte und hielt sich entkräftet am Treppengeländer fest. Ihre Beine fühlten sich noch immer wackelig an und die Begegnung mit Deidara und Hidan steckte ihr tief in den Knochen. Möglicherweise war Sasuke sowas ja gewohnt, aber sie war es nicht. Für sie war das hier ganz und gar nicht alltäglich gewesen. 

 

Er ließ sie kurzerhand in der Küche zurück, während er im Keller verschwand. Ein paar Minuten lang war es stockdunkel und Sakura wagte nicht, sich zu rühren. Das dumpfe Pochen in ihrem Hinterkopf war einem unerträglichen Ziehen gewichen, das bis nach vorne zu ihren Schläfen reichte und ihr gesamtes Denken blockierte. Trotzdem wirbelte alles in ihrem Kopf durcheinander. Allen voran Deidaras Andeutungen und Sasuke, der so spät aufgetaucht war, dass sie schon geglaubt hatte, er hätte das Haus längst verlassen. Was hatte er so lange gemacht?

 

Als das Licht plötzlich wieder anging, schloss sie geblendet die Augen. Die unerwartete Helligkeit brannte auf ihrer Netzhaut und das Ziehen in ihrem Kopf wurde schlimmer, bis es schließlich unerträglich war. Hidan war nicht gerade sanft mit ihr umgegangen und der Schlafmangel und die Ereignisse des heutigen Abends taten ihr Übriges. Erschöpft vergrub sie das Gesicht in den Händen. Das alles war allein Sasukes Schuld.

 

„Sakura?“

 

Seine Stimme klang fast schon sanft, als er ihr von hinten eine Hand auf die Schulter legte.

 

„Fass mich nicht an“, zischte sie wütend.

 

Ruckartig zog sie den Stuhl zurück und stand dann auf, um zum Spülbecken zu gehen. Jetzt wo sie wieder Licht hatte, konnte sie sich endlich das ganze Blut aus dem Gesicht waschen. Der Geschmack lag noch immer wie Blei auf ihrer Zunge und an manchen Stellen hatten sich bereits Krusten gebildet, die ein ekliges Spannen auf der Haut verursachten, auch wenn ihre Nase mittlerweile aufgehört hatte zu bluten.

 

„Sakura“, setzte Sasuke erneut an. Er stand noch immer dicht neben dem Stuhl, auf dem sie bis eben gesessen hatte und hatte eine Hand auf der Lehne abgestützt. Ganz deutlich spürte sie, wie sein prüfender Blick auf ihr lag und irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. „Es tut mir Leid, wie das gelaufen ist und es lag nicht in meiner Absicht, dass du verletzt wirst.“

 

Überrascht sah sie ihn an. Da lag etwas in seinem Blick, was sie nicht kannte, auch wenn er versuchte, es vor ihr zu verbergen. Sorge. Allerdings schien es vielmehr die Sorge zu sein, was Deidaras Worte in ihr ausgelöst haben könnten, als die um ihren aktuellen Zustand. Er befürchtete, dass sie einen Weg finden könnte, seine Organisation zu verlassen, dass Deidara sie wirklich überzeugen könnte, ihm den Rücken zu kehren. Zum ersten Mal fühlte sie sich ihm ein kleines bisschen überlegen. Und das obwohl sie gerade wahrscheinlich einfach nur erbärmlich aussah, mit der vor Schreck blassen Haut, den dunklen Augenringen und der blutenden Nase.

 

„Schön für dich“, schnaubte sie. „Nur seltsamerweise hab ich davon absolut nichts gemerkt, als irgend so ein Irrer beschlossen hat, mich mit seinem Messer aufzuschlitzen.“

 

Sasuke blieb erstaunlich ruhig, während es in ihr zunehmend brodelte. Er musste gehört haben, dass die beiden die Treppe hinauf gegangen waren, insbesondere Hidan war nicht gerade unauffällig gewesen, und trotzdem hatte er sie alleine gelassen.

 

„Er hat dich aber nicht aufgeschlitzt.“

 

Unwillkürlich fasste Sakura an ihren Hals. Die dünnen roten Linien, dort wo das Messer ihre Haut gestreift hatte, brannten leicht und auch wenn sie schnell verheilen würden, konnte sie die Angst, die sie in diesem Moment gespürt hatte, wahrscheinlich nie vergessen. Am schlimmsten war die Gewissheit gewesen, dass Hidan seine Drohung tatsächlich wahrmachen würde. Er hatte sie ohne Vorwarnung auf den Tisch geschlagen, nachdem sie ihm das Passwort nicht nennen konnte.

 

„Er hat mir fast die Nase gebrochen“, erinnerte sie Sasuke.

 

Die Konsequenzen davon bekam sie jetzt immer noch zu spüren und das konnte selbst er nicht übersehen. Doch Sasuke zuckte nur mit den Schultern.

 

„Ich hab Deidara die Nase gebrochen.“

 

Ungläubig sah Sakura ihn an.

 

„Soll mir das jetzt helfen?“, fauchte sie. „Was hat er überhaupt gemeint, als er gesagt hat, dass dein Bruder an allem Schuld ist?“

 

Sofort sah sie, wie sich ein dunkler Schatten über Sasukes Gesicht legte und seine Miene wurde noch verschlossener, als sie es sowieso schon war. Stumm reichte er ihr ein Geschirrtuch und sie hielt es unter den kalten Wasserstrahl, während er scheinbar noch überlegte, ob er ihr auf diese Frage antworten sollte.

 

„Ich weiß nicht, was er damit bezweckt, aber es ist eine Lüge“, sagte er schließlich. „Deidara ist einfach an die falschen Leute geraten. Mein Bruder hat damit nichts zu tun.“

 

Sakura wrang das Geschirrtuch aus und faltete es dann zu einer kleinen Rolle zusammen, die sie sich in den Nacken legte. Dann drehte sie sich vollends zu ihm um und blitzte ihn herausfordernd an. Aus irgendeinem Grund hatte sie gerade das Bedürfnis sich mit ihm anzulegen. All die aufgestauten Emotionen brauchten irgendein Ventil und er schien dafür in diesem Moment perfekt geeignet.

 

„Aber er lässt zu, dass du das Geld aus den Drogendeals wäschst, indem du sie als Spenden für die gemeinnützigen Projekte von Uchiha Solutions tarnst?“

 

Er wirkte ehrlich verblüfft, wahrscheinlich weil er sich fragte, woher sie diese Informationen hatte. Sie genoss den Hauch von Genugtuung, den sie dadurch gewann, dass sie ihm einmal einen Schritt voraus war.

 

„Du solltest nicht alles glauben, was er so von sich gibt“, stellte er klar.

 

Aus seiner Tonlage ging jedoch hervor, dass er das nicht nur auf die Anspielungen auf seinen Bruder bezog. Sakura verschränkte die Arme vor der Brust.

 

„Er hat gesagt, dass ich mir gut überlegen soll, ob ich wirklich für dich arbeiten möchte“, griff sie das nächste Thema auf.

 

Deidaras Angebot hallte in ihrem Kopf wieder. Es gibt Leute, die dich schützen würden. Zweifellos hatte er von Akatsuki gesprochen. Auch wenn es auf den ersten Blick verlockend klingen mochte, wusste sie, dass es keine wirkliche Alternative war. Es klang nach einer Option der Hölle zu entkommen, doch in Wirklichkeit würde sie nur einem anderen Teufel ins Fegefeuer folgen. Akatsuki waren vermutlich keinen Deut besser als Sasukes Organisation. Allein die Tatsache, dass dort Menschen wie Hidan arbeiteten, war für sie Grund genug, die Möglichkeit schon von vornherein kategorisch auszuschließen.

 

„Er hat dir auch gedroht, aber dabei hat er etwas Entscheidendes vergessen. Du bist Teil meines Teams, das heißt, dass ich dafür sorgen werde, dass Akatsuki sich von dir fernhalten.“

 

Ihr war durchaus bewusst, dass man diese Aussage auf zweierlei Arten interpretieren konnte. Zum einen bedeutete es wohl, dass er einen weiteren Angriff verhindern würde, zum anderen hieß es genauso, dass er sie nicht gehen ließ. Nicht zu Akatsuki und auch sonst nirgendwohin.

 

„Ich weiß“, erwiderte sie deshalb nur.

 

Sasuke nickte zufrieden.

 

„Gut.“

 

Sakura setzte sich zurück an den Tisch und drehte ihm den Rücken zu. Das Gespräch war ermüdend und sie hatte keine Lust mehr, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Außerdem nahm ihr Kopfschmerz immer weiter zu und verhinderte, dass sie in Ruhe nachdenken konnte.

 

„Ich hab wirklich keine Ahnung, was daran gut sein soll“, murmelte sie gefrustet.

 

Sasuke lehnte sich an den Rand des Tisches und verschränkte die Arme vor der Brust. Offenbar hatte er nicht vor, sie jetzt in Ruhe zu lassen.

 

„Sakura, lass mich dir ein Angebot machen.“

 

Genervt massierte sie sich ihre Schläfen. Das Pochen im Kopf war noch schlimmer als das in ihrer Nase. Wann hatte sie heute zum letzten Mal etwas getrunken? Bemüht unauffällig schielte sie zu dem Glas hinüber, das Sasuke ihr gebracht hatte, doch sie wollte es nicht nehmen. Nicht von ihm.

 

„Ich denke, ich habe genug von deinen Angeboten“, wehrte sie ab.

 

Im Grunde genommen machte Sasuke Uchiha niemals ein Angebot. Er gab Befehle, die man nicht ablehnen konnte und sie hasste es. Vor allem jetzt wollte sie einfach nur ihre Ruhe haben, doch Sasuke ließ nicht locker.

 

„Ich denke, du solltest es dir wenigstens anhören.“

 

Resigniert zuckte sie mit den Schultern und gab einen zustimmenden Laut von sich. Mehr würde er nicht bekommen. Sasuke schien sich jedoch damit zufrieden zu geben.

 

„Wenn der Wettbewerb vorbei ist und du deinen Bezirk verteidigt hast, lasse ich dich gehen“, verkündete er.

 

Augenblicklich ruckte ihr Kopf nach oben. Die schnelle Bewegung sorgte dafür, dass das Geschirrtuch zu Boden fiel und sich die Schmerzen nur noch verstärkten. Doch in diesem Moment war das absolut zweitrangig.

 

„Ist das dein Ernst?“, hakte sie misstrauisch nach.

 

In seinen Augen lag ein belustigtes Funkeln. Er drückte sich mit einer eleganten Bewegung vom Rand des Tisches weg und stellte sich dann direkt neben sie. Dann beugte er sich dicht an ihr Ohr. Ihr Puls schoss unkontrolliert in die Höhe, zum einen weil er ihr so nahe war und zum anderen, weil er ihr gerade eine Möglichkeit eröffnet hatte, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hatte vorstellen können.

 

„Das ist der Unterschied zwischen mir und Akatsuki“, hauchte er.

 

Ihr Herz schlug schneller. Also hatte er es wohl ernst gemeint. Und selbst wenn es möglicherweise nur eine Taktik war, um sie daran zu hindern, doch noch zu Akatsuki überzulaufen – sie funktionierte. Gleichzeitig spürte sie, wie die Hoffnung den ganzen Hass in ihr einfach verpuffen ließ. Obwohl sie immer noch wütend auf Sasuke sein wollte, konnte sie es plötzlich nicht mehr.

 

„Hier“, versöhnlich hielt er ihr eine Tablette unter die Nase, doch sie sah ihn nur skeptisch an.

 

Für den Bruchteil einer Sekunde zuckte ein amüsiertes Lächeln in seinem Mundwinkel und Sakura war sich kurz nicht sicher, ob sie es sich nur eingebildet hatte.

 

„Das ist nur Ibuprofen“, beruhigte er sie.

 

Obwohl die Situation bis vor wenigen Sekunden noch sehr angespannt gewesen war, spürte sie schon wieder diese seltsame Vertrautheit zwischen ihnen. Sie konnte nicht erklären, woher das Gefühl kam, aber es war plötzlich da und gleichzeitig so intensiv, dass sie davor zurückschreckte. Sasuke handelte mit Drogen. Sasuke erpresste sie. Sasuke scheute sich nicht, anderen Menschen Gewalt anzutun. Wenn man es kurz und knapp zusammenfasste, war er einfach ein schlechter Mensch und doch fühlte sie sich in seiner Nähe wohl.

 

Wenn er ihr so nahe war, vergaß sie plötzlich, dass das alles hier eigentlich seine Schuld war und sie vergaß, dass sie ihn eigentlich hassen wollte. Immer wieder stieß er sie in den Abgrund, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken und sah ihr zu wie sie fiel. Trotzdem ließ er niemals zu, dass sie unten aufschlug. Es war absurd, aber in manchen Momenten gab er ihr das Gefühl, dass sie es verdient hatte, dass sie ihm gar keine andere Wahl ließ, als so zu handeln. Sie hasste ihn und gleichzeitig war sie ihm dankbar. Sie fürchtete ihn und gleichzeitig fühlte sie sich bei ihm sicher.  Ihre Gefühle waren komplett widersprüchlich, doch statt sich zu neutralisieren, schaukelten sie sich gegenseitig in die Höhe.

 

Noch einmal warf sie einen prüfenden Blick auf die kleine weiße Tablette, die er ihr entgegenhielt. Natürlich hatte sie Vorbehalte und das konnte man ihr ja wohl kaum verübeln. Und eigentlich hatte sie sich geschworen, nie wieder irgendetwas von Sasuke Uchiha entgegenzunehmen, was auch nur annähernd Ähnlichkeit mit einer Tablette hatte, aber jetzt gerade brachte der Schmerz in ihrem Kopf sie um. Widerwillig nahm sie sie entgegen und schob sie sich in den Mund. Selbst wenn er sie vergiften wollte, im Moment war es ihr vollkommen egal. Sie wollte nur noch, dass der Schmerz endlich aufhörte.

-14-

 

Es klickte, als ein Schlüssel ins Schloss gesteckt und herumgedreht wurde. Sakura zuckte erschrocken zusammen und sah zur Küchentür.

 

„Keine Sorge, das ist nur Jugo“, beruhigte Sasuke sie sofort.

 

Sie saßen noch immer am Esstisch und er hatte ihr gegenüber auf dem Stuhl Platz genommen. Die ganze Zeit über hatten sie kaum noch ein Wort miteinander gewechselt und ein paar Mal waren ihr fast die Augen zugefallen. Doch Sasuke wollte sie nicht gehen lassen, bevor sie nicht noch ein paar Dinge geklärt hatten. Wenn Jugo endlich auftauchte, bedeutete das vielleicht, dass sie bald nachhause konnte. Sie sehnte sich nach ihrem Bett und ihrer kuschelig warmen Decke und wollte einfach nur noch schlafen, um diesen schrecklichen Tag zu vergessen. Wenigstens wurden durch die Tablette die Kopfschmerzen allmählich besser.

 

Auf dem Gang ertönten schlurfende Schritte und kurz darauf tauchte ein ihr bekanntes Gesicht im Türrahmen auf, das jedoch nicht zu Jugo gehörte.

 

„Ist bei euch alles in Ordnung?“, erkundigte sich Shikamaru besorgt.

 

Es war offensichtlich, dass er gerade erst aufgestanden war und dass ihn wohl irgendetwas aus dem Schlaf gerissen hatte. Seine Haare waren noch unordentlicher als sonst zurückgebunden und sein Blick war trüb und verschlafen. Offensichtlich hatte er sich seine Jacke ziemlich hastig übergezogen, denn die Kapuze hing noch halb unter dem Kragen und auch so wirkte er recht zerknittert.

 

„Du hättest nicht extra herkommen müssen“, entgegnete Sasuke ihm, ohne dabei wirklich auf die Frage einzugehen.

 

Shikamaru betrat die Küche und sein Blick blieb an Sakura hängen. Wahrscheinlich sah sie schon besser aus als noch vor wenigen Minuten, aber trotzdem sah man ihr die Strapazen deutlich an. Auf seiner Stirn bildete sich eine nachdenkliche Falte.

 

„Ich hab mir Sorgen gemacht, als der Penner dich auf die Tischplatte geknallt hat. Geht es dir gut?“

 

Sakura nickte verblüfft. Zu mehr war sie gerade nicht im Stande. Woher wusste Shikamaru, was Hidan getan hatte? Bisher hatte sie nicht einmal Sasuke erzählt, was genau vorgefallen war. Fast war es so, als hätte er das Ganze selbst miterlebt.

 

„Shogi“, sagte er plötzlich.

 

Irritiert runzelte sie die Stirn.

 

„Was?“

 

„Shogi ist das Passwort für den Laptop“, erklärte Shikamaru knapp. „Falls er dich das nächste Mal fragt, kannst du ihm das ruhig sagen. Es sind keinerlei Daten drauf. Die sind alle hier.“

 

Aus dem Innenfutter seiner Jacke zog er ein rechteckiges Gehäuse hervor, das Sakura auf den zweiten Blick als externe Festplatte identifizieren konnte. Mit dem Finger tippte er ein paarmal kurz auf die Oberfläche und legte sie dann zwischen ihnen auf die Tischplatte.

 

„Wonach könnten sie gesucht haben?“, wollte Sasuke wissen.

 

Shikamaru zuckte nur mit den Schultern und setzte sich dann auf den freien Stuhl neben Sakura.

 

„Nachdem Hidan versucht hat den Laptop hochzufahren, hat er nichts mehr gesagt, was uns irgendwelche Hinweise geben könnte. Zumindest hab ich nichts mitbekommen, außer dass er ständig nach dem Passwort gefragt hat. Er könnte alles Mögliche gesucht haben.“

 

Allem Anschein nach, hatte Shikamaru sie also beobachtet. Ihr fiel nur eine Möglichkeit ein, wie er das gemacht haben konnte. Wahrscheinlich hatte der Laptop eine Art Alarm, wenn sich ein Unbefugter daran zu schaffen machte und übertrug anschließend über die Webcam ein Bild an ihn. Allerdings hatte Hidan zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht besonders viel von sich gegeben, was Aufschluss über seine Motive geben konnte. Zuvor allerdings schon.

 

„Als wir im Übungsraum waren, hat Deidara den Entwurf mit seinem Handy abfotografiert“, erinnerte sich Sakura. „Sie wussten aber, dass es meine Arbeit war, deswegen wollte Hidan nochmal nach dem Original suchen.“

 

Shikamarus Gesichtsausdruck verfinsterte sich und er warf Sasuke aus dem Augenwinkel einen seltsamen Blick zu, den sie nicht recht deuten konnte.

 

„Was für ein glücklicher Zufall, dass Sakura genau zu der Zeit oben war und die beiden belauschen konnte“, seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. „Wären sie zuerst dir begegnet, hätten wir jetzt wahrscheinlich überhaupt keinen Anhaltspunkt, was sie wollten.“

 

Offensichtlich ging er ganz und gar nicht davon aus, dass es sich um einen Zufall handelte und auch Sakura begann mehr und mehr zu zweifeln. Möglicherweise war das genau die Erklärung, die sie die ganze Zeit über gesucht hatte. Der Grund, weswegen er sich so viel Zeit gelassen hatte, bis er schließlich ebenfalls nach oben gekommen war. War er wirklich so skrupellos? Sie sah fragend hinüber zu Sasuke, doch der zog nur eine Augenbraue nach oben und bedachte Shikamaru mit einem mahnenden Blick.  

 

„Wie du schon sagtest, ein Zufall“, er betonte das letzte Wort besonders eindringlich. „Außerdem bleiben noch viele weitere Fragen. Selbst wenn sie es wirklich auf den Originalentwurf abgesehen haben, woher wussten sie, dass wir ausgerechnet heute damit arbeiten würden?“

 

„Ich denke, dass sie noch viel mehr wussten“, warf Shikamaru ein. „Sakura und du wart heute allein hier. Wie oft kommt das vor? Normalerweise ist Jugo so gut wie immer da, wo du auch bist und ich bin meistens auch bis weit nach Mitternacht im Haus. Es kommt mir so vor, als hätten die beiden darüber Bescheid gewusst. Nicht mal Hidan ist so blöd und marschiert einfach in ein Haus, in dem gleich mehrere Personen anwesend sind. Insbesondere Jugo hätte ihm gefährlich werden können, aber Sakura ist nun wirklich kein Hindernis.“ Er warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. „Nimm es mir nicht übel.“

 

Sakura winkte schnell ab. In Gedanken war sie immer noch bei dem, was Shikamaru zuvor gesagt hatte und war dem Gespräch dementsprechend nicht wirklich gefolgt. Er hatte Sasuke indirekt unterstellt, dass er sie mit Absicht oben allein gelassen hatte, damit sie für ihn Informationen beschaffen konnte. Wenn man mal ehrlich war, hatte diese Methode ja auch funktioniert, was nicht zuletzt daran lag, dass die beiden Eindringlinge keine Gefahr in ihr gesehen hatten. Vor Sasuke hätten sie vermutlich niemals so frei geredet.

 

Immer wieder ließ sie ihren Blick über sein Gesicht gleiten, in der Hoffnung irgendetwas darin lesen zu können, doch er hatte absolut dichtgemacht. Keinerlei Hinweise, keinerlei Emotionen, nur noch kühles und logisches Schlussfolgern. Für ihn schien die Sache mit Sakura kein Thema mehr zu sein und stattdessen beschäftigten ihn jetzt vielmehr die Gründe für den Einbruch.

 

„Es ist kein Zufall, sie wussten es“, verkündete Sasuke überzeugt. „Ich habe zwar keine Ahnung, woher sie ihre Informationen haben, aber wahrscheinlich ist das auch nicht das einzige, was sie herausgefunden haben.“

 

„Du meinst den Zeitpunkt für den Wettbewerb?“, hakte Shikamaru nach.

 

Sasuke nickte.

 

„Wahrscheinlich dauert es nicht mehr lange. Ich würde höchstens noch mit einer Woche rechnen, eher vier bis fünf Tage.“

 

Sakura spürte, wie sich ihre Brust ein wenig zusammenzog. Bisher hatte sich das alles immer noch recht abstrakt angefühlt. Niemand wusste genau, wann oder wo der Wettbewerb stattfinden würde, was die Bedingungen waren und wie lange sie noch Zeit hatten. Obwohl sie immer im Hinterkopf behalten hatte, wofür sie trainierte, waren es doch immer nur sie und Naruto in dem kleinen Übungszimmer gewesen. Später dann war Naruto durch Sasuke abgelöst worden. Trotzdem hatte für sie nie eine reale Gefahr bestanden, sie war immer in einem geschützten Raum geblieben. Mit dem Wettbewerb würde sich das ändern.

 

Abgesehen davon schoss ihr Sasukes Angebot wieder in den Kopf. Er würde sie gehen lassen, was bedeutete, dass auch Ino außer Gefahr sein würde. Allerdings war die Voraussetzung dafür, dass es ihr gelang ihren Bezirk, den Bezirk Nummer sieben, gegen Deidara zu verteidigen. Momentan fühlte sie sich einfach noch nicht bereit dafür. Da waren noch so viele Baustellen, an denen sie gemeinsam mit Sasuke arbeiten musste, und obwohl sie oftmals stundenlang gemeinsam übten, war sie noch weit entfernt von dem, was nötig sein würde, um Akatsuki zu schlagen. Aber sie musste es schaffen. Für Ino und sich selbst zuliebe.

 

„Sakura, wie genau haben sie sich den Entwurf angesehen?“

 

Sie erschrak kurz, als Sasuke sich plötzlich wieder direkt an sie wandte. Das Rauschen des Bluts in ihren Ohren hatte sie gänzlich abgeschottet von dem, was um sie herum geschah. Abgesehen davon nahm ihre Müdigkeit immer mehr zu und Sakura hatte wirklich Mühe, die Augen offenzuhalten, geschweige denn sich zu konzentrieren. Es war einfach viel zu viel geschehen und ihr Gehirn begann allmählich zu protestieren, wollte keine weiteren Informationen mehr aufnehmen oder verarbeiten.

 

„Ziemlich genau“, antwortete sie schließlich mit rauer Stimme. „Deidara hat einen Blick dafür, deswegen wusste er auch, dass der Entwurf von dir kommt. Außerdem haben sie ja ein Foto gemacht.“

 

Nachdenklich trommelte Sasuke mit seinen Fingerspitzen auf die glänzende Oberfläche der Festplatte, was Shikamaru nur mit einem missgestimmten Knurren kommentierte. Im Hinblick auf seine Technik verstand er absolut keinen Spaß, doch Sasuke ignorierte das vollkommen.

 

„Was denkst du? Reicht das aus, um ihre Fähigkeiten zu analysieren?“

 

Shikamaru seufzte.

 

„Du bist der Fachmann“, sagte er dann. „Aber wir haben, wie du wolltest, jemanden ausgewählt, von dem absolut nichts im Internet und auch sonst nirgendwo zu finden ist. Die Abgaben für die Uni habe ich aus dem System gelöscht. Das heißt, sie haben wirklich nur dieses eine Bild. Und wer weiß, wie die Qualität von dem Foto ist, in dem Raum gab es ja kein Licht. Außerdem ist es jetzt zu spät, um nochmal umzusatteln.“

 

Ungläubig sah Sakura ihn an.

 

„Ihr habt euch mich ausgesucht, weil ich keine Sachen von mir im Internet veröffentlicht habe?“

 

Sasuke schmunzelte.

 

„Jedenfalls nicht, weil du die Beste im Kurs warst.“

 

Empört schnaubte Sakura. So einfach war es also? Sie hätte einfach nur irgendeine Zeichnung von sich ins Netz stellen müssen und schon wäre sie für Sasuke Uchiha nicht mehr interessant gewesen. Es ging ihm nur darum, jemanden zu finden, über den Akatsuki keine Nachforschungen anstellen konnten, sodass er ihnen gegenüber einen Wettbewerbsvorteil hatte. Im Grunde genommen hatte sie wohl einfach nur Pech gehabt.

 

„Es gab auch noch andere Kriterien“, warf Shikamaru ein. „Aber du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Leute alles, was sie machen, sofort irgendwo hochladen. Es war ganz schön mühsam, jedes Mal sämtliche Webseiten zu durchsuchen.“

 

Ein bisschen hatte sie das Gefühl, dass er sie irgendwie aufmuntern wollte, doch es funktionierte nicht. Die ganze Zeit über hatte sie gedacht, dass es ihr Fehler gewesen war und dass sie irgendetwas falsch gemacht hatte. Nun zu erfahren, dass es nichts weiter als ein dummer Zufall war, dass seine Wahl gerade auf sie gefallen war, war wie ein harter Schlag in die Magengrube. Aus Shikamarus Aussage schloss sie zudem, dass Sasuke sogar mehrere potentielle Kandidaten gehabt hatte. Wahrscheinlich war ihr erstes Zusammentreffen mit Naruto nochmal sowas wie ein finaler Test gewesen, nachdem sie nichts von ihr im Netz gefunden hatten. Sie hatte ihre Mappe fallen lassen und er hatte ihre Arbeiten gesehen. So konnte Sasuke sich zumindest sicher sein, dass er keine komplette Amateurin anheuerte.

 

„Super“, murmelte sie frustriert.

 

Deswegen hatte er sich auch für sie entschieden, obwohl er mit ihrer Arbeit nicht wirklich zufrieden gewesen war. Ihm war es schlicht und ergreifend auf andere Faktoren angekommen. 

 

„Du bist sehr lernfähig“, ergriff Sasuke überraschend das Wort. „Ich kenne deine Noten und du bist eine der Besten in deinem Jahrgang. Außerdem kannst du mit Stress und Druck umgehen und du bist nicht sofort verschreckt, wenn dir jemand gegenübersteht, der potentiell gefährlich sein könnte.“

 

Überrascht sah sie ihn an und wusste nicht so recht, was sie von seiner Aussage halten sollte. Soweit sie sich zurückerinnerte, war das so ziemlich das einzige Kompliment, das Sasuke ihr jemals gemacht hatte. Sie fühlte sich unglaublich geschmeichelt, auch wenn sie das am liebsten nicht einmal vor sich selbst zugeben wollte, und gleichzeitig war sie misstrauisch, weil sie irgendeine Strategie dahinter vermutete. Erst sagte Sasuke ihr, dass sie gehen konnte, wenn sie den Wettbewerb gewann, jetzt machte er ihr plötzlich Komplimente. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte.

 

„Ich dachte, du hältst nicht besonders viel von BWL-Studenten“, sagte sie deshalb nur.

 

„Tue ich auch nicht“, bestätigte er.

 

Ein Geräusch ließ sie alle drei aufhorchen und Sakura konnte nicht verhindern, dass ihr Herz erneut schneller schlug. Wahrscheinlich würde es noch eine ganze Weile dauern, bis sie das Quietschen des Gartentors nicht mehr mit etwas Negativem verbinden würde. Das dumpfe Pochen des Türklopfers ertönte und Shikamaru erhob sich von seinem Stuhl, um nachzusehen wer draußen war. Ein kühler Windstoß kam durch den Flur in die Küche, als er die Haustür öffnete und kurz darauf hörten sie Stimmen. Es war Jugo.

 

Wahrscheinlich hatte er selbst keinen Schlüssel, weil er meistens mit Sasuke unterwegs war. Nachdem er das Haus betreten hatte, gab Sasuke ihm die Kurzfassung der Ereignisse des heutigen Abends und bat Jugo dann sich umzusehen, ob Deidara und Hidan irgendwelche Spuren hinterlassen hatten. Außerdem fragte er ihn, wer alles gewusst hatte, dass er heute nicht im Haus sein würde. Angeblich niemand außer ihnen. Obwohl Sasuke immer noch misstrauisch wirkte, schien er Jugo in der Hinsicht zweifelsfrei zu glauben.

 

Sakura selbst war sich nicht sicher, ob Hidan und Deidara wirklich Bescheid gewusst hatten, denn wenn sie ehrlich war, traute sie insbesondere Hidan auch zu, dass er einfach drauf losgestürmt wäre. Es schien ihn nicht besonders zu kümmern, wer ihn erwischen könnte, fast so, als wäre er gänzlich unbesiegbar. Wahrscheinlich dachte er das wirklich über sich. Im Gegensatz dazu war Deidara die ganze Zeit über sehr nervös gewesen, was nicht gerade dafür sprach, dass er sich sicher war, nicht doch von Jugo erwischt zu werden. Möglicherweise interpretierten Sasuke und Shikamaru an dieser Stelle einfach zu viel in die Situation hinein.

 

Wieder saßen sie zu dritt am Küchentisch und warteten auf Jugo, der in der Zwischenzeit die anderen Zimmer, insbesondere im oberen Stock absuchte. Sakura unterdrückte mühsam ein Gähnen und stützte ihren Kopf auf der Handfläche ab, während sie erschöpft die Augen schloss. Auch Shikamaru neben ihr wirkte ziemlich müde und so als würde er am liebsten direkt wieder zurück in sein Bett oder zumindest auf die bequeme Couch in seinem Büro.

 

„Wir müssen uns noch um Hidan kümmern. Er darf damit nicht davonkommen“, wandte Sasuke sich an ihn. „Sieh zu, was du da machen kannst.“

 

Seine Stimme klang wieder einmal scharf und schneidend und sein Blick war entschlossen. Wahrscheinlich passte es ihm gar nicht, dass zwei Akatsuki so ohne weiteres in sein Territorium eingedrungen waren. An Deidara hatte er sich bereits gerächt, indem er ihm die Nase gebrochen hatte, doch Hidan hatte Sakura als Schutzschild benutzt und konnte dadurch unbehelligt wieder gehen. Wenn er seinem eigenen Ruf nicht schaden wollte, durfte er so etwas nicht zulassen.

 

Shikamaru stellte die Ellenbogen auf den Tisch und legte seine Fingerkuppen aneinander. Dann runzelte er nachdenklich die Stirn. Diesen Ausdruck hatte Sakura schon einige Male bei ihm gesehen und man sollte ihn in einem solchen Moment besser nicht stören.

 

„Ich denke, ich habe schon eine Idee“, sagte er nach einer Weile. „Überlass das mir.“

 

Sasuke nickte zufrieden. Offenbar wusste er, dass er sich auf seinen Techniker verlassen konnte.

 

„Und wir brauchen einen neuen Entwurf“, wandte er sich schließlich an Sakura. „Uns läuft die Zeit davon, deswegen erwarte ich, dass du morgen um drei hier bist.“

 

Sie sah ihn hoffnungsvoll an.

 

„Heißt das, ich darf jetzt gehen?“

 

Auf der einen Seite wollte sie nicht alleine sein, auf der anderen Seite würden sie all diese Gespräche über den Wettbewerb, über Hidan und Deidara und insgesamt über Akatsuki noch wahnsinnig machen. Sie wollte sich damit nicht mehr befassen und brauchte endlich ein wenig Ruhe, um den heutigen Tag abzuschließen. Mit ihrer lädierten Nase und den Schnitten am Hals konnte sie aber schlecht mitten in der Nacht bei Ino auftauchen und erwarten, dass die keine Fragen stellen würde.

 

„Wenn Jugo fertig ist, wird er dich zu Naruto fahren“, verkündete Sasuke.

 

Irritiert zog Sakura die Augenbrauen zusammen.

 

„Zu Naruto?“

 

Damit hatte sie jetzt wohl als letztes gerechnet. Bei all dem Chaos und dem Durcheinander hatte sie Naruto vollkommen vergessen und genau genommen keinen einzigen Gedanken an ihn verschwendet.

 

„Du solltest in nächster Zeit vielleicht nicht allein bleiben“, warf Shikamaru ein, der die Idee ebenfalls zu befürworten schien. „Akatsuki sind sich offenbar für nichts zu schade und bei Naruto bist du in Sicherheit.“

 

Erst wollte sie protestieren, doch dann beschloss sie, dass es sowieso keinen Sinn hatte. Für eine Diskussion fühlte sie sich gerade zu ausgelaugt. Insbesondere für eine Diskussion mit Sasuke.

 

„Okay“, murmelte sie stattdessen nur.

 

Glücklicherweise dauerte es nicht mehr lange bis Jugo seinen Rundgang durch das Haus beendet hatte. Sakura schnappte sich ihre Jacke und den Wollschal, den sie sich sogleich um den Hals wickelte. Es war zwar mitten in der Nacht und dementsprechend war auf den Straßen kaum jemand unterwegs, doch man konnte nie wissen und sie wollte unter allen Umständen unangenehme Fragen vermeiden. Schweigend folgte sie Jugo zu seinem Auto und stieg dann an der Beifahrerseite ein.

 

Ihr ganzer Körper fühlte sich angespannt. Die Schmerzen in ihrem Kopf nahmen während der Fahrt wieder ein klein wenig zu und zogen sich bis hinter in ihren Nacken. Sie zitterte ein wenig. Im Auto war es so unglaublich kalt, obwohl Jugo bereits die Heizung angeschaltet hatte und sie war sich nicht sicher, ob die Kälte vielleicht von innen kam. Die ganze Zeit über sprachen sie kein Wort und Sakura starrte aus dem Fenster und auf die vorbeirauschenden Lichter, die irgendwie eine beruhigende Wirkung auf sie hatten. Irgendwann fiel ihr auf, dass sie wohl ihren Skizzenblock im Haus vergessen hatte. Normalerweise trug sie ihn immer bei sich, doch gerade war es ihr einfach nur herzlich egal. Sie würde ihn morgen abholen. 

 

Als sie schließlich ankamen, stieg Jugo mit ihr aus und begleitete sie bis zur Haustür. Naruto wohnte in einem ziemlich großen Mehrparteienhaus, das von außen einen relativ heruntergekommenen Eindruck machte. Bisher war sie erst einmal bei ihm gewesen, als er sie nach dem Sprayen mit zu sich nach Hause genommen und für sie Ramen gekocht hatte. Zuvor hatte er Stunden damit verbracht, sie zu überreden, seine Ramen wenigstens einmal zu probieren, denn angeblich waren es die besten in ganz Konoha.

 

Sakura mochte Ramen nicht besonders, aber ihm zuliebe war sie mitgekommen und zu ihrer Überraschung war es ein ganz lustiger Abend geworden. Jetzt wo sie wieder vor seiner Tür stand, hatte es einen ganz anderen Grund und sie wünschte sich für einen Moment, dass sie einfach wieder gemeinsam Ramen essen könnten. Mit leicht zitternden Fingern betätigte sie die Klingel und musste nicht lange warten bis er die Tür aufriss.

 

Offenbar hatte Sasuke ihn bereits informiert, denn er wirkte nicht besonders überrascht. Naruto war so anders als Sasuke, er gab sich keinerlei Mühe seine Gefühle zu verbergen und ihm konnte man immer sofort alles vom Gesicht ablesen. Er überhäufte einen praktisch damit. In seinen Augen stand die pure Sorge und als er Sakura schließlich fest in seine Arme schloss, wurde sie wieder einmal von seinen Emotionen mitgerissen. Sie schluchzte auf und spürte augenblicklich, wie sich all die Anspannung in ihrem Körper löste und sie gegen ihn sank.

 

Es war einfach zu viel. Es war einfach viel zu viel. Die ganze Zeit über hatte sie sich zusammengerissen und versucht irgendwie mit der Situation klarzukommen, umgeben von Menschen, die das alles scheinbar wie nichts wegsteckten und vollkommen rational an die Dinge heran gingen. Aber in dem Moment wo sie all diese Emotionen in Narutos Augen gesehen hatte, konnte sie sich einfach nicht mehr zusammenreißen. Und sie war froh, dass er einfach da war und sie festhielt.

 

Fünfzehn

-15-

 

Es war kein Traum. Das war das erste, was Sakura bewusst wurde, als sie ihre Augen aufschlug. Die Ereignisse vom letzten Abend waren tatsächlich real, genau wie die Schnitte an ihrem Hals. Sie lag nicht in ihrem eigenen Bett, sondern in dem von Naruto, der wiederum auf der Couch geschlafen hatte. Von draußen drangen vereinzelte Sonnenstrahlen am orangenen Vorhang vorbei durch das Fenster und warfen leuchtende Reflexionen auf die Wand neben dem Bett. Es musste bereits Mittag sein, was bedeutete, das Naruto sie vermutlich aus Rücksicht nicht geweckt hatte.

 

Einen kurzen Moment lang spielte Sakura mit dem Gedanken einfach liegen zu bleiben, dann schwang sie jedoch ihre Beine aus dem Bett. Das Laminat fühlte sich kalt unter ihren nackten Füßen an und sie schlüpfte schnell in ein paar Socken. Ihre restliche Kleidung lag noch immer wild verstreut auf dem Boden. Nachdem sie die Blutspritzer auf dem kuscheligen Wollpullover entdeckt hatte, hatte sie ihre Klamotten gar nicht schnell genug loswerden können und war mehr als erleichtert gewesen, als Naruto ihr eines von seinen T-Shirts zum Schlafen angeboten hatte. Nun jedoch begann sie damit, alles wieder aufzusammeln. Schließlich wollte sie sein Schlafzimmer in einem ordentlichen Zustand hinterlassen.

 

Mit dem Klamottenstapel in der Hand betrat sie dann das Wohnzimmer, wobei sie peinlich genau darauf achtete, möglichst nicht das am Stoff festgetrocknete Blut zu berühren. Sobald sie zuhause war, würde sie den Pullover erst einmal einweichen. Auf diese Weise konnte sie zwar nicht die Erinnerungen, zumindest aber die Flecken auswaschen und danach musste sie wahrscheinlich auch gleich wieder los, um pünktlich bei Sasuke zu sein. Ihr blieb nicht viel Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten und das bedeutete, dass sie es wohl einfach abhaken musste. Den Rat hatte ihr auch Naruto gestern Nacht gegeben.

 

Als sie das Wohnzimmer betrat, saß er gerade auf dem Sofa und sah sich irgendeine Zeichentrickserie im Fernsehen an. Da er sie noch nicht bemerkt hatte, räusperte sie sich verlegen.

 

„Sakura“, er sprang vom Sofa und strahlte sie fröhlich an „Konntest du ein wenig schlafen?“

 

Sie nickte nur und versuchte ihm ebenfalls ein kurzes Lächeln zu schenken. Er sollte sich keine Sorgen um sie machen, doch sie wusste, dass er das tat. Mittlerweile würde sie ihn ohne zu zögern als einen sehr guten Freund bezeichnen. Auch wenn sie am Anfang misstrauisch gewesen war, hatte Naruto mehrfach bewiesen, dass man sich auf ihn jederzeit verlassen konnte. Die Menschen in seiner Umgebung waren ihm zweifellos wichtig. Solchen Leuten begegnete man nur ganz selten im Leben und auch, wenn sie in einige unschöne Dinge verstrickt worden war, war Sakura mehr als nur froh, dass sie ihn getroffen hatte. Es war jetzt schon schwierig, das alles durchzustehen, aber ohne ihn wäre es vermutlich unmöglich.

 

„Pass auf, du gehst schnell duschen und ich mach uns solange Frühstück“, schlug er vor. „Ich hab dir schon ein Handtuch bereitgelegt und einen Pullover von mir, damit du das Ding nicht mehr anziehen musst.“

 

Er nickte in Richtung des Klamottenstapels, den sie noch immer fest umklammert hielt.

 

„Danke, Naruto“, sagte sie leise.

 

Es war überflüssig zu erwähnen, dass sie sich dabei nicht nur auf seine letzte Aussage bezog,.

 

„Du musst mir nicht danken, ich mache das gerne“, erwiderte er und setzte in dem Versuch die Stimmung ein wenig aufzulockern ein schelmisches Grinsen auf. „Trinkst du eigentlich Kaffee? Ich mag das Zeug nämlich nicht, aber für Sasuke hab ich immer ein bisschen was da. Nur dürfen wir ihm dann nicht sagen, dass du was davon getrunken hast, sonst gibt es vielleicht Ärger.“

 

Einen kurzen Moment lang zögerte Sakura. Der Kaffee gehörte Sasuke und der wäre sicher nicht begeistert, wenn er wüsste, dass sie sich einfach daran bedient hatte. Auf der anderen Seite schuldete er ihr quasi noch etwas, weil er sie gestern in so eine unangenehme Situation gebracht hatte.

 

„Ich würde einen nehmen“, entschied sie schließlich.

 

Schmunzelnd verschwand Sakura im Bad, während Naruto das Frühstück vorbereitete. Nur kurze Zeit später saßen sie beide an dem kleinen Esstisch, jeder mit einer Portion Rührei und Toast vor sich. Naruto trank ein paar Schlucke Milch direkt aus der Tüte, während Sakura eine Tasse Kaffee vor sich stehen hatte. Irgendwie erfüllte es sie mit Genugtuung, dass sie Sasuke auf diese Weise eins auswischen konnte. Es duftete köstlich und für einen Moment lang fühlte sie sich richtig geborgen. Solange bis Naruto wieder den gestrigen Abend ansprach.

 

„Du musst dir wegen Akatsuki echt keine Sorgen machen. Sasuke passt schon auf.“

 

Skeptisch zog Sakura eine Augenbraue nach oben.

 

„So wie er gestern aufgepasst hat?“, ihr Tonfall klang schon wieder ein wenig patzig, auch wenn sie das gar nicht wollte.

 

Es war Naruto gegenüber unfair und sie sollte ihre Launen nicht immer an ihm auslassen. Sasuke war in diesem Fall der Übeltäter und derjenige, der ihren Frust verdient hatte. Demonstrativ nahm sie einen Schluck aus der Kaffeetasse. Der Kaffee war stark, fast schon zu stark für ihren Geschmack, aber jetzt gerade tat es einfach nur gut und es machte sie wach.

 

„Ich bin mir sicher, dass er die Situation im Griff hatte“, erklärte Naruto überzeugt. „Er hätte nie zugelassen, dass dir wirklich was passiert.“

 

Sie zuckte nur abwehrend mit den Schultern. So sicher war sie sich da nicht. Zumindest aber hatte er sie gestern Nacht nicht allein gelassen, sondern war so geistesgegenwärtig gewesen, sie zu Naruto zu schicken. Auch wenn Sasuke nicht der Typ Mensch war, der sich persönlich um andere kümmerte, sorgte er zumindest dafür, dass jemand da war, der diese Aufgabe übernehmen konnte. Insgeheim fragte sie sich, ob es überhaupt jemanden gab, der Sasuke so wichtig war, dass er dieses Prinzip verletzen würde. Vielleicht Naruto? Oder sein Bruder?

 

 „Was ist eigentlich mit meinem Vorgänger passiert?“, erkundigte sie sich.

 

Die Frage hatte sie sich schon öfter gestellt, aber bisher war nie der richtige Zeitpunkt gekommen, sie auszusprechen. Abgesehen davon, dass sie sich nicht mal wirklich sicher war, ob sie die Antwort überhaupt hören wollte. Sasukes Geschäftsmodell war nicht gerade risikofrei.

 

„Du meinst Sai?“, fragte Naruto und schob sich eine Gabel voll Rührei in den Mund.

 

Er hob beide Augenbrauen und sah sie erwartungsvoll an. Sakura hatte das Gefühl, dass er irgendwie Zeit schinden wollte, auch wenn sie nicht wirklich wusste, warum. Vielleicht hoffte er, ihrer Frage doch noch irgendwie ausweichen zu können.

 

„Kann sein, dass er so hieß“, bestätigte Sakura.

 

Der Name war schon ein paar Mal gefallen, aber sie war sich nicht mehr ganz sicher. Alles was sie wusste war, dass der Kerl wohl ziemlich gut gewesen war. Bisher war es ihm immer gelungen, den Bezirk Nummer sieben ohne Probleme gegen Akatsuki zu verteidigen. Was sie allerdings nicht wusste, war warum Sasuke dieses Jahr auf ihn verzichten musste. Es konnte zwar immer noch eine ganz harmlose Erklärung sein, wie beispielsweise ein Auslandssemester oder ein Umzug. Doch ihr Instinkt sagte ihr, dass da mehr dahintersteckte.

 

„Was ist mit ihm passiert?“, hakte sie noch einmal nach.

 

Naruto wich ihrem Blick aus. Sie konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn ratterte und er versuchte wohl gerade, sich die richtigen Worte zurechtzulegen.

 

„Hm ja, das war eine blöde Sache“, murmelte er dann und verzog das Gesicht zu einer schiefen Grimasse. „Sai wollte mit dem ganzen Drogenzeug nichts zu tun haben, weißt du? Ihm ging es immer nur ums Sprayen und das war sein Ding. Sasuke hat ihn auch machen lassen, solange er seine Arbeiten erledigt hat, aber irgendwann war er plötzlich vom einen auf den anderen Tag verschwunden und hat sich nicht mehr gemeldet. Wir haben dann durch einen Kontaktmann erfahren, dass er festgenommen wurde.“

 

Innerlich atmete Sakura erleichtert auf. Festgenommen. Das war schon mal besser als spurlos verschwunden oder möglicherweise sogar tot.

 

„Aber läuft das nicht meistens auf eine Geldstrafe und Sozialstunden hinaus?“, erkundigte sie sich.

 

Seitdem sie wusste, dass Sasuke vorhatte, sie irgendwann zum Sprayen auf die Straße zu schicken, hatte sie sich schlau gemacht. Im Prinzip war in einem strafrechtlichen Verfahren eine Verurteilung von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe möglich, in der Praxis kam dies jedoch nur in seltenen Fällen und bei Wiederholungstätern vor. Demnach müsste Sai längst wieder auf freiem Fuß sein.

 

„Das dachten wir auch“, bestätigte Naruto. „Aber dann haben sie seine Wohnung durchsucht und Drogen bei ihm gefunden. Ziemlich große Mengen. Und auch nicht die üblichen weichen Drogen, sondern den richtig harten Shit, inklusive Pain. Die Polizei hat erst ein paar Tage davor bei einer Razzia Unmengen von dem Zeug gefunden, das aber nicht zugeordnet werden konnte. Die Päckchen, die er in seiner Wohnung versteckt hatte, kamen aus der gleichen Lieferung und so konnten sie ihn damit in Verbindung bringen.“

 

Sakuras Augen weiteten sich vor Schreck. Dadurch, dass Sai ihr Vorgänger in der Organisation war, fühlte sich sich ähnlich wie bei Deidara auf irgendeine Weise mit ihm verbunden. Sie teilten gewissermaßen ein Schicksal. Dass es für ihn so geendet hatte, wollte sie sich gar nicht vorstellen und Narutos Tonfall deutete zudem daraufhin, dass er ihn für unschuldig hielt.

 

„Denkst du, dass er wirklich etwas damit zu tun hatte?“, hakte sie trotzdem noch einmal nach.

 

Unwillkürlich musste sie an die Situation denken, in der der Polizist sie beide am Hintereingang des Shippuden durchsucht hatte. Auch Naruto war nicht so unschuldig, wie man auf den ersten Blick meinen konnte, und sie hatten in dem Moment einfach nur Glück gehabt, dass der Kerl offenbar eingeweiht gewesen war. Die Situation hätte noch böse enden können. Sowohl für sie als auch für Naruto.

 

„Sai? Niemals!“, entgegnete der im Brustton der Überzeugung. „Er ist zwar manchmal ein ziemlich seltsamer Kautz, aber soweit ich weiß, war er immer komplett clean und hat sich auch sonst aus allem herausgehalten.“

 

Sakura glaubte ihm, was die Sache jedoch nicht unbedingt besser machte. Denn es bedeutete, dass dort ein Unschuldiger für etwas im Gefängnis saß, mit dem er eigentlich nichts zu tun hatte.

 

„Habt ihr nochmal persönlich mit ihm darüber gesprochen? Ich meine, irgendwo müssen die Drogen ja herkommen.“

Naruto schüttelte langsam den Kopf.

 

„Sasuke denkt, dass es keine so gute Idee wäre, wenn wir plötzlich im Gefängnis aufkreuzen. Sai würde uns nie verpfeifen, aber am Ende ziehen sie noch eine Verbindung zu uns und finden wirklich etwas. Es ist besser für ihn, wenn wir uns da nicht blicken lassen.“

 

Auf der einen Seite konnte sie das Argument nachvollziehen, auf der anderen Seite war sie der Meinung, dass Sasuke es sich etwas zu leicht machte. Einer seiner Leute war festgenommen worden und das, als er in seinem Auftrag irgendetwas erledigt hatte. Offenbar hatte Sasuke zudem Beziehungen zur Polizei, sonst wäre die Sache damals im Shippuden nicht so glimpflich abgelaufen. Konnte er ihn also nicht da rausholen oder wollte er es einfach nur nicht?

 

Es ließ sich jedenfalls nicht leugnen, dass durch den Verlust von Sai eine große Lücke im Team entstanden war. Der Aufwand, den es für Sasuke bedeutete, sie für den Wettbewerb auszubilden, war das alles unmöglich wert. Egal womit Sai ihn möglicherweise verärgert hatte. Letztendlich hatte es für Sasuke also vor allen Dingen Nachteile, dass sein Sprayer nicht mehr verfügbar war.

 

Umgekehrt profitierten insbesondere Akatsuki von den gegebenen Umständen, da sie vorher nie in der Lage gewesen waren, Sai zu schlagen. Mit Sakura hatten sie nun einen denkbar einfachen Gegner vor sich, der zum einen keinerlei Erfahrung hatte und zum anderen leicht einzuschüchtern war. Nachdem Hidan und Deidara ihr bereits so offensiv gedroht hatten, konnte sie sich nur zu gut vorstellen, dass die Gruppe auch in der Drogensache mitdrinsteckte.

 

„Was denkst du, wer Sai die Päckchen untergejubelt hat? Akatsuki?“, sprach sie ihren Verdacht laut aus.

 

Die Alternativen wären, dass Sasuke entweder selbst die Verhaftung veranlasst hatte – aus welchen Gründen auch immer – oder es gab eine dritte, bisher unbekannte Partei, die ihre Finger mit im Spiel hatte. Allerdings schien es nicht gerade einfach zu sein, an so eine große Menge Pain zu kommen, wenn man nicht gerade die richtigen Kontakte zur Hand hatte, und Akatsuki und Sasuke waren derzeit nun mal die Big Player im Geschäft. Sie hätten es mit Sicherheit mitbekommen, wenn irgendjemand solche Mengen orderte.

 

„Auf den ersten Blick klingt das logisch“, stimmte Naruto ihr zu. „Aber es ist nicht ihr Stil. Akatsuki machen zwar schmutzige Geschäfte, aber sie würden niemals jemand anderen die Drecksarbeit für sie erledigen lassen und die Polizei da mitreinziehen. Also entweder, da hatte jemand etwas persönlich gegen Sai oder…“

 

Er kam nicht mehr dazu seinen Satz zu beenden, da in diesem Moment ein Schlüssel im Schloss der Wohnungstür herumgedreht wurde. Sakura konnte nicht verhindern, dass ihr Körper sofort auf das Geräusch reagierte und sich selbst in Alarmbereitschaft versetzte. Wahrscheinlich würde sie noch eine ganze Weile lang so reagieren, immer in Erwartung eines ungebetenen Gastes. Ruckartig drehte sie sich auf ihrem Stuhl um, um zu sehen, wer sie da so unangekündigt störte. Es war Sasuke.

 

Neben sich spürte sie, wie Naruto sich anspannte. Auch er schien alles andere als begeistert von der Ankunft seines besten Freundes zu sein und irgendetwas sagte ihr, dass die beiden gerade nicht besonders gut aufeinander zu sprechen waren. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung trotz des ernsten Themas noch relativ locker gewesen. Jetzt fühlte sie sich an als hätte irgendwo jemand einen Stromhebel umgelegt und würde kontinuierlich immer wieder mehrere tausend Volt durch die Luft jagen.

 

Sasukes Blick streifte einmal kurz über den gedeckten Tisch und blieb dann ein wenig zu lange an dem viel zu großen Pullover hängen, in dem sie fast unterging. Obwohl Naruto ihr etwas von seinen Klamotten geliehen hatte, fühlte sie sich gerade nackter als je zuvor.

 

„Was willst du hier, Sasuke?“, fragte Naruto patzig. „Sakura wäre schon rechtzeitig rübergekommen.“

 

Tatsächlich hätte sie sich gar nicht getraut, noch einmal eine Verspätung zu riskieren. Die Konsequenzen des letzten Males waren ihr nur noch allzu deutlich in Erinnerung und außerdem hatte sie jetzt, wo sie wusste, dass nach dem Wettbewerb theoretisch alles vorbei sein konnte, eine ganz neue Motivation. Sie musste gewinnen. Und dafür brauchte sie nun mal Sasuke.

 

„Hallo Naruto, ich freu mich auch, dich zu sehen“, entgegnete der spöttisch. „Leider kann ich nicht mehr bis heute Nachmittag warten. Wir haben ein Problem.“

 

Sakura schnaubte.

 

„Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn wir mal keins hätten.“

 

Eigentlich hatte sie den Gedanken nicht laut aussprechen wollen, doch er war ihr einfach so rausgerutscht. Vielleicht war Sarkasmus die einzige Möglichkeit, die ihr blieb, um irgendwie mit ihrer Situation klarzukommen.

 

„Was ist denn so wichtig, dass du nicht warten konntest?“, erkundigte sich Naruto misstrauisch.

 

Obwohl er ihm nicht angeboten hatte, sich zu setzen, zog Sasuke einen Stuhl zurück und nahm wie selbstverständlich ebenfalls am Esstisch Platz. Da er einen Schlüssel für Narutos Wohnung hatte, war es wahrscheinlich nichts ungewöhnliches, dass er einfach so vorbeikam, aber normalerweise hatte Naruto auch nichts dagegen. Jetzt taxierte er ihn mit wütenden Blicken und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust.

 

„Wir haben ein wenig Zeitdruck“, erklärte Sasuke knapp. „Ich habe vorhin eine Nachricht von Orochimaru bekommen und so wie es aussieht, findet der Wettbewerb schon diesen Samstag statt.“

 

Sakura spürte, wie ihr Herz ein paar Takte aussetzte. Bis Samstag waren es nur noch wenige Tage. Noch dazu kannte Deidara jetzt den finalen Entwurf, was bedeutete, dass sie entweder nochmal eine Schippe drauflegen oder ganz von vorne anfangen mussten. Nicht gerade die besten Voraussetzungen zur Verteidigung ihres Bezirkes.

 

„Das ist... früh“, stellte sie ein wenig geschockt fest. „Wo sollen wir so schnell einen neuen Entwurf herbekommen?“

 

Sasukes Lippen verzogen sich zu einem dünnen Strich. Das Thema schien ihn mehr als nur zu ärgern und Sakura konnte sich auch ungefähr vorstellen, woran das lag. Für ihn selbst war es wahrscheinlich nicht allzu schwer, ein neues Logo zu entwerfen, das den Anforderungen des Wettbewerbs genügen würde. Allerdings reichte es ja nicht, dass er es zeichnen konnte. Letztendlich musste sie das Logo an die Wand bringen und dafür brauchte sie so viel Übung, wie sie nur irgendwie kriegen konnte.

 

„Drei“, knurrte Sasuke wütend. „Wir brauchen drei neue Entwürfe. Orochimaru hat wohl ein wenig an den Regeln geschraubt, nachdem es die letzten Jahre immer wieder Unstimmigkeiten gegeben hatte.“

 

Naruto, der gerade einen Schluck aus seiner Milchpackung hatte nehmen wollen, verschluckte sich und begann unkontrolliert zu husten.

 

„Das ist ein Witz, oder?“, fragte Sakura ungläubig.

 

Soweit sie das bisher beurteilen konnte, besaß Sasuke so etwas wie Humor nicht, aber vielleicht war das ja tatsächlich ein kläglicher Versuch, sie alle reinzulegen. Doch Sasuke machte keine Witze.

 

„Orochimaru hat Vorgaben gemacht für die Orte, an denen gesprüht werden soll. Ein Ort, der schwer erreichbar ist. Ein Ort, an dem viele Leute das Graffiti sehen können. Und ein Ort, der im Gebiet des Gegners liegt. Der Schwierigkeitsgrad der Orte, wird in die Bewertung miteinbezogen und derjenige, der am Ende zwei Battles für sich entscheiden kann, gewinnt.“

 

In Sakuras Gedanken tauchten sofort verschiedene Plätze auf, an denen es vor Graffiti nur so wimmelte. Sie würde zum ersten Mal in der Öffentlichkeit sprühen und dann auch noch an Orten, die möglicherweise gefährlich oder gut bewacht waren. Bisher war sie immer von einem Logo ausgegangen. Nun waren es drei.

 

„Als du ‘Samstag‘ gesagt hast, hast du aber nicht gemeint, dass alle drei Graffitis an einem Tag umgesetzt werden müssen, oder?“, wandte sie sich an Sasuke.

 

Der Begriff Tag war in diesem Kontext sowieso irreführend. Sie musste zumindest warten, bis die Dämmerung angebrochen war, damit sie möglichst unentdeckt ans Werk gehen konnte. Andernfalls würde es keine fünf Minuten dauern, bis irgendwer die Polizei alarmierte und man sie festnehmen würde. Also blieben ihr im Prinzip nur die wenigen Stunden, in denen es dunkel genug war, um sich ungesehen zu bewegen und das war selbst für ein Graffiti ein enger Zeitrahmen.

 

„Doch, genau das“, widersprach Sasuke bitter. „Und das bedeutet, dass wir einen perfekten Zeitplan brauchen. Wir können uns keine Fehler mehr leisten.“

 

Beinahe hätte Sakura gelacht. Keine Fehler mehr? Sie war eine blutige Anfängerin und das bedeutete, dass sie noch unzählige Fehler machen würde. Insbesondere, wenn man von ihr verlangte, drei Logos innerhalb von einer einzigen Nacht zu sprühen. In Sakuras Augen war das ganz und gar unmöglich und sie fragte sich, ob Deidara von dieser Regeländerung genauso überrascht worden war wie sie.

 

„Ich nehme an, du hast diesen perfekten Zeitplan schon. Sonst wärst du jetzt nicht hier“, warf Naruto ein.

 

Seine Stimme klang im Gegensatz zu Sakura hoffnungsvoll und er strahlte eine gewisse Zuversicht aus.

 

„Richtig“, bestätigte Sasuke. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte ihn abschätzend. „Und ich bin auch hier um mit dir zu sprechen, Naruto. Als Ausgleich für die erschwerten Bedingungen darf Sakura jeweils eine Begleitperson mitnehmen. Wir waren der Meinung, dass…“

 

„Ich mache es“, unterbrach Naruto ihn sofort.

 

Er hatte nicht eine Sekunde lang gezögert. Er hatte nicht einmal gefragt, wohin es gehen würde. Sakura war noch damit beschäftigt, die Information zu verarbeiten, dass sie nicht alleine gehen musste, da hatte er sich schon eingeklinkt und schenkte ihr ein aufmunterndes Grinsen. Drei Logos in einer Nacht. Naruto gab ihr in diesem Moment das Gefühl, dass es irgendwie doch machbar sein würde und obwohl Sakura am liebsten niemanden mit in die Sache hineinziehen wollte, war sie einfach nur unendlich erleichtert, dass er an ihrer Seite war.

 

„Sehr gut.“ Sasuke nickte zufrieden. „Dann geht ihr beide zum Bahnhof. Karin und ich übernehmen die beiden anderen Orte.“

Sakura horchte auf.

 

„Karin? Vergiss es“, widersprach sie entschieden. „Nie im Leben mach ich das mit ihr.“

 

Wenn sie ehrlich war, war sie auch nicht besonders scharf darauf, mit Sasuke unterwegs zu sein, aber in diesem Fall war er immer noch das kleinere Übel. Karin hatte schon mehrmals deutlich gemacht, wie wenig sie von Sakura hielt und wahrscheinlich würde sie sich auch diesmal nicht zurückhalten. Wenn sie eines nicht gebrauchen konnte, dann war es eine unerträglich laute Zicke, die ihr pausenlos mitteilte, dass sie sowieso nichts auf die Reihe bekam. Und deswegen kam sie als Begleiterin überhaupt nicht in Frage.

 

„Das steht nicht zur Debatte“, entgegnete Sasuke jedoch entschieden. „Karin ist gut in dem, was sie tut und außerdem vertraue ich ihr."

 

Sakura schnaubte. Wenn sie nach Suigetsus Andeutungen ging, wollte sie wahrscheinlich gar nicht so genau wissen, womit Karin sich Sasukes Vertrauen verdient hatte. Fakt war jedoch, dass sie selbst kein besonders gutes Verhältnis zu ihr hatte und ihr deswegen keinen Zentimeter weit über den Weg traute.

 

„Das ist ja schön für dich, aber ich bezweifle, dass sie mir freiwillig helfen wird“, startete sie einen letzten Versuch, ihn davon zu überzeugen, seine Meinung nochmal zu ändern.

 

Allmählich wurde Sasuke ein wenig ungeduldig und warf ihr einen strengen Blick zu. Er war es offenbar nicht gewohnt, von ihr Gegenwind zu bekommen und versuchte gleichzeitig, sich irgendwie zusammenzureißen. Er brauchte Sakura. Und seit Deidaras Angebot, die Seiten zu wechseln, war er noch vorsichtiger als sonst.

 

„Das wird sie“, sagte er entschieden.

 

„Kann ich nicht einfach mitgehen?“, mischte sich nun auch wieder Naruto ein.

 

Sasuke begann sich entnervt die Schläfen zu massieren.

 

„Ein Begleiter pro Ort, Naruto“, antwortete er betont langsam. „Das ist jetzt wirklich nicht so schwer zu verstehen. Karin ist fest eingeplant und darüber werde ich nicht diskutieren. Drei Orte bedeutet außerdem, dass in den nächsten Tagen sehr viel Arbeit auf uns zukommt, weil wir drei Entwürfe brauchen. Dank dem Einbruch gestern Nacht haben wir momentan nicht mal einen.“

 

Damit hatte er leider Recht. Und gleichzeitig hatte er elegant das Thema gewechselt.

 

„Und wo kriegen wir auf die Schnelle drei Entwürfe her?“, fragte Sakura skeptisch.

 

Die Sache mit Karin hatte sie noch immer nicht abgehakt, aber wahrscheinlich hatte es keinen Sinn, jetzt mit ihm darüber zu diskutieren. Spätestens wenn Karin sich ebenfalls dagegen sträuben würde, ihre Begleitperson zu sein, müsste er sich sowieso nach einer anderen Lösung umsehen. Selbst Shikamaru wäre wahrscheinlich hilfreicher als diese Furie. Zuerst einmal aber hatten sie andere Probleme, um die sie sich kümmern mussten, und das waren die Entwürfe.

 

„Wir arbeiten zusammen“, erklärte Sasuke, so als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Hast du dein Skizzenbuch hier?“

 

Sakura war ein bisschen überrumpelt und wusste nicht recht, was sie dazu sagen sollte. Bedeutete das etwa, dass er sie in gewisser Art und Weise als Künstlerin anerkannte? Selbst wenn es nur die Notlösung im Angesicht des Zeitdrucks war, konnte sie nicht verhindern, dass sich ein warmes Gefühl in ihrem Bauch ausbreitete. Allerdings lag das Skizzenbuch noch immer im Haus der Uchihas.

 

„Nein, ich… hab es nicht mitgenommen.“

 

„Das macht nichts“, warf Naruto schnell ein. „Ich denke ich kann ein paar Blätter auftreiben.“

 

Sasuke nickte zufrieden.

 

„Hn.“

 

Sechzehn

-16-

 

Es war ein seltsames Gefühl, wenn das eigene Leben in den Händen einer anderen Person lag. Und noch viel seltsamer war es, wenn diese Person ausgerechnet Karin war. Sakura konnte noch immer nicht fassen, dass Sasuke sich für sie als ihre Partnerin entschieden hatte und noch viel weniger, dass Karin letztendlich ohne zu murren zugestimmt hatte. Sie könnte sich ungefähr einhundert Personen vorstellen, die sie in diesem Moment gerade lieber an ihrer Seite haben würde, und dazu zählte sogar ihr Chemielehrer aus der zehnten Klasse, was wirklich etwas heißen sollte. Doch im Endeffekt stand sie hier nun mit Karin und musste zusehen, wie sie das Beste aus der Situation machen konnte.

 

Stehen war in diesem Zusammenhang allerdings sowieso das falsche Wort. Vielmehr hing sie in der Luft, nur gehalten von einem dicken und dennoch elastischen Seil, das an den Gurten an ihrem Körper befestigt war. Karin stand oben auf der Tenchi-Brücke und sicherte sie, was ihr jedoch alles andere als ein sicheres Gefühl gab. Ein Fehler und sie würde ungebremst in die Tiefe stürzen. Und so einen Sturz konnte niemand überleben.

 

Sakuras Beine zitterten. Zum einen vor Angst und zum anderen, weil sie sich mit ihnen von der Betonwand der Brücke abdrücken musste, um nicht unkontrolliert durch die Luft zu schlingern. Sie war nicht besonders sportlich und hier waren bedauerlicherweise Muskeln gefragt. Es trennten sie nur noch wenige Meter von dem kleinen Vorsprung im vorderen Drittel der Brücke, den sie unbedingt erreichen musste, doch es kam ihr vor wie ein halber Marathon.

 

Zentimeter für Zentimeter schob sie sich vorwärts und klammerte sich dabei fast schon panisch an das raue Seil. Die Gurte schnitten in ihre Haut und in diesem Moment war das das schönste Gefühl, das sie sich vorstellen konnte. Auf diese Weise wusste sie wenigstens, dass die Gurte sie tragen würden. ‘Ein Ort, der schwer erreichbar ist‘, so hatte die Vorgabe gelautet und Sasuke hatte sich bei der Wahl des Ortes wirklich selbst übertroffen.

 

Während die Pfeiler der Tenchi-Brücke über und über mit Graffiti beschmiert waren, gab es genau einen Fleck, der noch immer in seinem ursprünglichen monotonem Grau glänzte. Niemandem war es bisher gelungen, an den kleinen Vorsprung zu kommen, um sein Zeichen zu hinterlassen. Aber wahrscheinlich war bisher auch niemand auf die Idee gekommen, sich in einer waghalsigen Aktion von der Brücke abzuseilen, um dann das letzte Stück zu klettern.

 

„Alles okay bei dir, Sakura?“

 

Karins Stimme durchschnitt die nächtliche Stille wie ein Schuss. Zum Glück war außer ihnen niemand hier. Das hatten sie mehrmals überprüft, denn andernfalls hätte man sie spätestens jetzt bemerkt.

 

„Ja, ich hab‘s gleich“, gab Sakura zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück.

 

Sie war selbst überrascht davon, wie dünn ihre Stimme in diesem Moment klang. Wahrscheinlich lachte sich Karin da oben auf der Brücke gerade einen Ast ab, weil sie sich so ungeschickt anstellte und sich vor Angst fast in die Hosen machte, aber sollte sie erst mal an ihrer Stelle in knapp zehn Metern Höhe herumklettern.

 

„Wir sind noch im Zeitplan“, informierte Karin sie sachlich.

 

Als ob Sakura sich gerade irgendwelche Gedanken um den dummen Zeitplan machen würde. Sie war froh, wenn sie hier am Ende lebend wieder herauskam und dabei war es ihr vollkommen egal, ob sie noch genug Zeit haben würde, die anderen beiden Orte aufzusuchen. Sie wollte einfach nur überleben.

 

„Sakura, hast du gehört?“

 

Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie sagen, dass Karin fast schon ein wenig besorgt klang.

 

„Ja“, antwortete Sakura angespannt und zog dann einmal kurz am Seil, um zu signalisieren, dass Karin sie noch ein Stückchen weiter runterlassen sollte.

 

Es war nicht mehr weit bis zum Vorsprung und auch wenn sie dann irgendwann endlich angekommen war, hatte sie es noch lange nicht geschafft. Der zweite Teil der Aufgabe bestand darin, das Logo, das sie gemeinsam mit Sasuke entworfen hatte, möglichst präzise an die Betonwand zu bringen. Sie würde nicht viel Bewegungsfreiheit haben, was es ihr erschweren würde, die richtigen Sprühdistanzen einzuhalten und deswegen musste sie besonders aufpassen, was sie da tat. Sie durfte sich keine Fehler leisten.

 

Ihre Fußspitze berührte den kleinen Vorsprung und Sakura atmete erleichtert aus. Es tat gut, endlich wieder waagerechten Boden unter sich zu spüren. Sie gönnte sich eine kurze Verschnaufpause, bevor sie sich schließlich ganz auf den kleinen Vorsprung zog. Die Dosen klapperten leise in ihrem Rucksack, als sie ihn von ihren Schultern streifte und neben sich auf den Boden stellte. Sie hatte gerade mal knapp einen Quadratmeter Fläche, auf dem sie stehen konnte, aber aus der Nähe wirkte es zumindest deutlich großzügiger als vom Geländer der Brücke aus. Sakura hatte es sich schlimmer vorgestellt.

 

„Ich fang jetzt an“, verkündete sie laut genug, damit Karin sie hören konnte.

 

Das Seil war nun nicht mehr straff gespannt und baumelte lose an ihrer Seite, sodass sie davon nicht beim Arbeiten behindert wurde. Sie holte die Atemschutzmaske aus ihrem Rucksack und streifte sich dann die Kapuze von ihrem Kopf, um sie überzuziehen. Sowohl Karin als auch sie trugen komplett schwarze Kleidung, damit sie in der Nacht noch schwerer zu erkennen waren. Ein bisschen fühlte Sakura sich damit wie ein Ninja auf geheimer Mission, aber sie verstand die Notwendigkeit. Hier unten auf dem Vorsprung, der komplett im Schatten und verborgen vor sämtlichen Blicken lag, konnte sie zumindest auf die Kapuze verzichten.

 

Nachdem sie sich einen Überblick über die Fläche gemacht hatte, die ihr zur Verfügung stand, begann sie wie immer mit den Outlines. Obwohl sie zuvor die ganze Zeit über nervös gewesen war, fühlte sie sich nun plötzlich von einer inneren Ruhe erfüllt und hatte das Gefühl, dass sie es tatsächlich schaffen könnte. Der Entwurf war ihr vertraut. Sie hatte ihn gemeinsam mit Sasuke erarbeitet. Und auch wenn der Großteil des Logos auf seinen Ideen basierte, gingen ihr die Outlines von der Hand, als hätte sie jeden einzelnen Strich davon selbst entworfen.

 

Die Zeit verging wie im Flug und das Graffiti nahm langsam Form an. Auch wenn es nicht gerade einfach war, mit der begrenzten Fläche zum Stehen auszukommen, gelang es Sakura immer besser, sich damit zu arrangieren. Sie fühlte sich konzentrierter als je zuvor und all ihre Sinne waren geschärft. Vermutlich hing das mit dem Adrenalin zusammenhing, das ihr Körper ausschüttete, seit sie damit begonnen hatte, sich von der Tenchi-Brücke abzuseilen. Karin erkundigte sich zwischendrin immer mal wieder nach ihrem Fortschritt und gab ihr die Zeit durch, die ihnen noch blieb. Es würde eng werden, das war von vornherein klar gewesen, doch sie lagen gut im Plan.

 

Als Sakura die letzten Schattierungen vornahm, konnte sie kaum glauben, dass sie es tatsächlich geschafft hatte. Sie hatte etwas Illegales getan. Hatte eine Brücke besprüht und damit öffentliches Eigentum beschmutzt. Doch sie hatte auch etwas geschafft, was vor ihr noch niemandem gelungen war und dieses Gefühl erfüllte sie mit Stolz. Es war nochmal etwas anderes, hier draußen in der Öffentlichkeit zu sprühen, wo es theoretisch jeder sehen konnte. Jeder würde sehen, dass es ihr gelungen war, an diesen Ort zu gelangen. Den Ort, der schwer erreichbar war. Den Ort, den niemand vor ihr erreicht hatte. Sakura war wie berauscht.

 

Als sie schließlich fertig war, fiel es ihr schwer, sich von dem Anblick zu lösen. Doch sie hatten nicht mehr viel Zeit, bis sie am nächsten Ort sein mussten. Naruto war bestimmt so nervös, dass er schon seit Stunden am Treffpunkt herumlungerte und sie wollte ihn ungern noch länger warten lassen.  Eine Sprühdose nach der anderen wanderte wieder zurück in den Rucksack, wobei Sakura peinlich genau darauf achtete, nichts liegen zu lassen. Sämtliche Spuren und Fingerabdrücke könnten am Ende auf sie zurückzuführen sein und ihr somit das gleiche Schicksal bescheren wie Sai. Darauf konnte sie nun wirklich verzichten.

 

Zuletzt kramte sie ihr Smartphone aus der vorderen kleinen Tasche des Rucksacks. Ohne das Beweisfoto wäre die ganze Aktion hier vollkommen wertlos. Das Licht blendete sie, als sie das Display entsperrte und sie trat einen Schritt zurück um das Logo komplett ins Bild zu bekommen. Im Dunkeln war es schwer zu erkennen, ob sie nicht ausversehen doch die Ränder abgeschnitten hatte. Sakura achtete darauf, dass sie auch den Blitz eingestellt hatte und trat dann noch ein Stück zurück.

 

Zu weit. Sie merkte es daran, dass ihre Ferse plötzlich mitten in der Luft hing, doch da war es bereits zu spät. Sakura verlor ihr Gleichgewicht und kippte nach hinten. Erschrocken ruderte sie mit den Armen und versuchte sich irgendwie an der Betonwand festzuhalten, doch es gab nichts, wonach sie hätte greifen können. Mit einer Hand hielt sie noch immer das Handy und das Gewicht des Rucksacks zog sie zusätzlich in die Tiefe. Sie stieß einen knappen Schrei aus.

 

Das Bild vor ihren Augen kippte und statt dem Graffiti trat das Geländer der Brücke in ihr Blickfeld. Es waren bestimmt einige Meter, die sie schon nach unten geklettert war, aber sie wusste, dass es noch einige Meter mehr waren, die nun unter ihr lagen. Sie nahm alles wie in Zeitlupe war. Spürte, wie sich ihre Fußsohlen langsam komplett von der Kante es Vorsprungs lösten. Sah wie ihre linke Hand hilflos in die Luft griff. Das Seil, das sie eigentlich halten sollte, baumelte noch immer lose neben ihrem Körper und war dadurch vollkommen nutzlos geworden. Sakura kniff die Augen zusammen. Sie fiel.

 

Und dann war es, als hätte jemand die Vorwärtstaste eines Videorekorders gedrückt. Alles ging so schnell, dass die Eindrücke um sie herum zu einem bunten Strudel aus einzelnen Bilderfetzen wurden. Nichts davon war greifbar und selbst ihre Gedanken wirbelten wie wild durch ihren Kopf und weigerten sich, auch nur ansatzweise fokussiert zu bleiben. Sie vermischten sich mit ihren Gefühlen. Angst. Wut. Verzweiflung. Und das einzige, was sie noch wusste, war das zwischendrin immer wieder das Bild von Sasuke auftauchte. Was er wohl dazu sagen würde, dass sie letztendlich wieder versagt hatte?

 

Ein Ruck ging durch das Seil und Karins Stimme drang wie aus weiter Ferne an Sakuras Ohren.

 

„Sakura!“

 

Ihr Fall wurde abgebremst. Sie bewegte sich noch immer, aber nun schlingerte sie unkontrolliert durch die Luft und drehte sich dabei wieder und wieder um die eigene Achse. Ihr wurde schwindelig und sie verlor komplett die Orientierung. Geistesgegenwärtig schlang sie die Arme um ihren Kopf, um ihn davor zu schützen, irgendwo aufzuprallen, aber um sie herum war nichts, woran sie sich hätte stoßen können. Sie baumelte mitten in der Luft. Nur gehalten von dem Seil und von Karin, die offenbar schnell genug reagiert hatte.

 

„Sakura!“, rief Karin noch einmal. „Alles okay bei dir?“

 

Übelkeit kam in ihr hoch. Das hier hätte ganz leicht schief gehen können und das nur, weil sie einen Moment lang unaufmerksam gewesen war. Sie gab sich ein paar Sekunden, um halbwegs wieder runterzukommen und schluckte dann den dicken Klumpen an Speichel herunter, der sich in ihrem Mund gesammelt hatte. Seltsamerweise fühlte er sich trotzdem komplett trocken an.

 

„Ich bin okay“, antwortete sie dann mir krächzender Stimme.

 

Es war nicht besonders laut gewesen, aber Karin hatte sie wohl gehört.

 

„Ich zieh dich jetzt langsam hoch“, verkündete sie. „Versuch, dich mit deinen Beinen an der Brücke abzustützen sobald du sie erreichen kannst.“

 

Noch vor wenigen Minuten hätte Sakura niemals gedacht, dass sie irgendwann einmal dankbar dafür sein würde, dass sie Karin mit dabei hatte. Jetzt gerade wollte sie ihr am liebsten die Füße küssen. Während sich das Seil langsam auspendelte, spürte Sakura, wie sich ihr Puls langsam wieder beruhigte. Die Übelkeit allerdings blieb. Es hätte so leicht schief gehen können und noch hatten sie das Foto nicht, dass sie Orochimaru anschließend als Beweis vorlegen mussten.

 

Stück für Stück zog Karin sie wieder nach oben und jetzt erst merkte Sakura, dass sie deutlich weniger tief gefallen war, als es sich angefühlt hatte. Der Vorsprung befand sich nur wenige Meter über ihrem Kopf und sie konnte von hier aus bereits Teile des Graffitis sehen. Ihr Smartphone hielt sie zum Glück immer noch in der Hand, auch wenn diese ununterbrochen zitterte und sie konnte es kaum noch erwarten, das hier endlich hinter sich zu bringen. Sie wollte wieder festen Boden unter den Füßen haben.

 

Sobald der Vorsprung in Reichweite kam, streckte sie ihre Füße danach aus. Das Seil spannte ein wenig, aber sie erreichte ihn ohne Probleme und zog sich erleichtert auf die kleine Plattform. Ihre Hände zitterten noch immer, aber irgendwie gelang es ihr, ein halbwegs passables Foto von dem Logo zu machen. Wichtig war nur, dass man erkennen konnte, worum es sich dabei handelte. Orochimaru würde später sowieso nochmal ein paar von seinen Leuten vorbeischicken, um es sich genauer anzusehen.

 

Vor ihren Augen tanzten kleine Sternchen von dem grellen Blitzlicht und sie blinzelte ein paar Mal, bevor sie an dem Seil zog, damit Karin sie komplett hochholte. Alles in ihr sträubte sich dagegen, den sicheren Boden unter ihren Füßen wieder aufzugeben, aber andererseits wollte sie ja auch nicht die komplette Nacht auf dieser Brücke verbringen. Schlimmer als vorhin konnte es ja fast nicht mehr werden und diesmal würde sie einfach noch besser darauf Acht geben, wohin sie trat.

 

Ihre Füße lösten sich leicht vom Boden und sie klammerte sich fast schon paranoid am Seil fest.

 

„Sakura, du musst schon ein bisschen mithelfen“, schimpfte Karin von oben.

 

Es war nicht so, dass Sakura nicht wollte, aber ihr ganzer Körper war noch immer wie in Schockstarre und vollkommen verkrampft, so als hätte sie ihn seit Jahren nicht mehr bewegt. Schwerfällig spannte sie die Muskeln in ihrem Bein an und drückte sich dann mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Wand. Sie kamen nur sehr langsam voran. Sakura, weil sie nahezu durchgehend schreckliche Angst hatte abzurutschen und sich vor jedem Schritt genauestens absicherte, wohin sie trat. Und Karin, weil auch ihre Kräfte allmählich nachließen. Schließlich aber schafften sie es und als Sakura ihren müden Körper über das Geländer der Brücke schwang, hätte sie am liebsten losgeheult.

 

Sie ließ sich einfach auf den Boden fallen, wobei ihr der Rucksack von den Schultern glitt. Karin war sofort bei ihr.

 

„Geht es dir gut? Hast du dich verletzt?“

 

Ihr Blick glitt suchend über Sakuras Körper und als sie keine offensichtlichen Schrammen oder ähnliches entdecken konnte, atmete sie erleichtert auf. Man konnte auch in ihrem Gesicht deutlich die Anspannung erkennen und Sakura war ehrlich überrascht, dass es sie so sehr mitgenommen hatte. Bisher war sie davon ausgegangen, dass es Karin nicht besonders jucken würde, wenn ihr irgendetwas zustieß. Eher im Gegenteil. Aber das was sie nun sah, war eine vollkommen aufgelöste Karin, die sich tatsächlich Sorgen zu machen schien.

 

„Ich hab nur einen Schreck bekommen, sonst ist alles gut“, winkte sie schnell ab.

 

Es war ein komisches Gefühl, Karin plötzlich so anders zu erleben. Und mit einem Mal fühlte Sakura sich unglaublich schlecht und schuldig, weil sie so ein negatives Bild von ihr gehabt hatte. Im Grunde genommen wusste sie kaum etwas über Karin und doch hatte sie sich sofort ein Urteil über sie erlaubt.

 

„Hast du das Foto?“

 

Sakura nickte und streckte ihr zum Beweis das Handydisplay entgegen. Die Qualität war nicht unbedingt die beste, aber zumindest war das Foto nicht verwackelt und dank dem Blitz sogar ziemlich gut ausgeleuchtet, sodass man das Logo gut erkennen konnte.

 

„Verdammt, das ist gut“, murmelte Karin anerkennend. „Deidara sollte sich warm anziehen.“

 

Sie streckte ihr die Hand entgegen und Sakura ergriff sie, um sich aufhelfen zu lassen. Sie mussten dringend weiter, wenn sie den Zeitplan einhalten wollten. Wahrscheinlich hatten sie durch Sakuras Tollpatschigkeit schon viel zu viele kostbare Minuten verloren. Ihre Beine zitterten leicht, als sie wieder stand, doch sie schnappte sich wortlos den Rucksack und folgte Karin zu ihrem Wagen.

 

Sie hatte ihr Auto am einen Ende der Brücke direkt neben dem kleinen Waldweg geparkt. Wenn man nicht wusste, wo es stand, hätte man es leicht übersehen können, da es von mehreren dichten Sträuchern und kleinen Bäumen verdeckt wurde. Sakura verstaute den Rucksack auf der Rückbank und ließ sich dann auf den Beifahrersitz fallen. Sobald Karin den Schlüssel ins Schloss gesteckt hatte, schallten die lauten Klänge von belangloser Popmusik aus den Boxen. Laut. Viel zu laut. Auf dem Hinweg hatten sie dadurch kaum ein Wort miteinander gesprochen, worüber Sakura mehr als nur dankbar gewesen war, aber gerade hatte sie das Bedürfnis, etwas zu sagen.

 

Entschieden regelte sie die Lautstärke herunter und öffnete den Mund. Ihr fiel nichts ein. Sie wusste nicht, was sie überhaupt sagen wollte. Karin hatte ihr das Leben gerettet. Was sagte man in so einem Fall?

 

„Wir können auch etwas anderes hören“, bot Karin schulterzuckend an, während sie den Motor anließ.

 

Offenbar hatte sie ihre Handlung komplett falsch gedeutet. Der Wagen rollte von dem kleinen Trampelpfad, der eigentlich viel zu schmal für die breiten Reifen war, zurück auf die Straße. Es knirschte laut unter den Rädern, was nun, da die Musik leiser gestellt war, nur viel deutlicher zu hören war.

 

„Nein, nein“, sagte Sakura schnell. „Ich wollte nur… ich wollte nur sagen, dass… Danke, Karin.“

 

Zu mehr war sie gerade nicht im Stande. Wahrscheinlich war in ihrem Gehirn immer noch viel zu viel Adrenalin, sodass sie nicht fähig war, auch nur einen zusammenhängenden Satz zu bilden. Alles was sie wusste, war, dass sie ohne Karin vermutlich nicht mehr am Leben wäre und dass sie sich unbedingt bei ihr bedanken musste.

 

„Dafür war ich doch da“, meinte Karin abwehrend.

 

Ihre Augen waren fest auf die Straße gerichtet, sodass sie Sakura nicht ansehen musste. Die Situation war ihr allem Anschein nach unangenehm. Sie schwiegen eine Weile und fuhren einfach nur den schlecht beleuchteten Weg entlang. Die Brücke verschwand immer weiter hinter ihnen und bald schon war sie nur noch ein dunkler Fleck, der im Rückspiegel kleiner und kleiner wurde. Die Dunkelheit und Stille um sie herum, tat Sakura gut. Es beruhigte sie und half ihr, nach und nach eine innere Distanz zu den Ereignissen aufzubauen. Trotzdem war da noch immer etwas, das sie aufwühlte.

 

„Es ist nur…“, setzte sie erneut an. „Ich dachte immer, du kannst mich nicht leiden. Jedes Mal, wenn wir uns begegnet sind, gab es Streit. Ich hatte das Gefühl, dass du mich unter keinen Umständen in der Organisation haben wolltest.“

Karin seufzte resigniert.

 

„Das wollte ich auch nicht. Aber das hatte nichts mit dir persönlich zu tun.“

 

Sakura sah sie verwirrt an.

 

„Wie meinst du das?“

 

Im Grunde genommen hatten sie sich vom ersten Moment an in den Haaren gehabt. Karin war ihr gegenüber mehr als nur gehässig aufgetreten und sie hatte dieses Verhalten ohne zu zögern erwidert. Und das sollte nichts Persönliches gewesen sein?

 

„Es geht um Sasuke“, begann Karin zu erklären. „Du kannst mich jetzt gerne auslachen, so wie Suigetsu und die anderen, aber er ist mir eben wichtig. Mehr als das. Seit ich ein Teil dieser Organisation bin, wünsche ich mir nichts mehr als seine Anerkennung. Und ich weiß, dass er ein richtiges Arschloch sein kann, aber es gibt nichts Schöneres, als wenn er dir sagt, dass du etwas gut gemacht hast. Wenn er zufrieden mit deiner Arbeit ist.“

 

Auch wenn Sakura das nur ungern zugab, kam ihr das durchaus sehr bekannt vor. Ihre eigenen Gefühle gegenüber Sasuke waren ebenfalls mehr als nur ambivalent. Die Faszination, die er auf einen ausüben konnte, diesen Drang, seine Anerkennung zu erhalten, war mit purer Logik nicht zu erklären. Dennoch hörte sie bei Karin noch eine weitere Nuance heraus. Während Sakura nahezu ununterbrochen gegen dieses Gefühl anzukämpfen versuchte, schien Karin geradezu süchtig danach zu sein.

 

„Es ist nicht so, dass ich mir einbilde, dass Sasuke irgendetwas für mich empfinden würde“, fuhr sie fort. „Aber zumindest hab ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es irgendwann einmal so sein könnte. Und solange ich noch die einzige Frau in seinem Leben war, war das gar nicht mal so abwegig.“

 

Also war sie tatsächlich in ihn verliebt. Sakura wollte sich gar nicht vorstellen, um wieviel schlimmer es für sie sein musste, seine Anwesenheit und seine Launen Tag für Tag zu ertragen, immer in der Hoffnung, dass er sie irgendwann einmal mit anderen Augen sehen würde. Die Sprüche zu ertragen, die Suigetsu ihr regelmäßig an den Kopf knallte. Denn dass sie noch Hoffnung hatte, war unverkennbar herauszuhören. Allerdings war es eine schmerzhafte Hoffnung und eine, die sie mit jedem weiteren Tag nur noch mehr vergiften würde. Sasuke war nicht dazu in der Lage zu lieben.

 

„Aber dann bist du gekommen. Aus heiterem Himmel. Er hat dich persönlich rekrutiert und ist ab diesem Zeitpunkt wie eine Glucke um dich herumgeschwirrt.“ Karin sah sie aus dem Augenwinkel heraus fragend an, fast so als erwarte sie von ihr eine Erklärung für sein Verhalten. „Er hat dich einfach so in die Organisation aufgenommen. Hat dich persönlich trainiert. Lässt dich sogar an dem verdammten Wettbewerb teilnehmen.“

 

„Ich bin nur eine Notlösung.“

 

Sakura wusste selber nicht, warum sie das sagte. Die Worte waren einfach so aus ihrem Mund gekommen. Vielleicht, weil der verletzte Ausdruck in Karins Augen auch ihr wehtat. Vielleicht, weil sie ihre ehemalige Feindin jetzt in einem ganz anderen Licht sah. Vielleicht aber auch einfach, um sich selbst noch einmal deutlich zu machen, was ihre Rolle in dem ganzen Drama war. Sasuke sah in ihr nicht mehr. Und das würde er auch nie. Sie war einfach nur die Notlösung, für die er sich gemeinsam mit Shikamaru entschieden hatte, nachdem Sai nicht mehr verfügbar gewesen war.

 

„Das bist du nicht“, widersprach Karin. „Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich Sasuke mittlerweile sehr gut kenne. Er würde sich niemals mit einer Notlösung zufrieden geben.“

 

Erneut wollte Sakura ihr widersprechen, doch sie konnte in ihrem Gesicht sehen, dass Karin ihr sowieso nicht glauben würde. Sie war verletzt. Sie war traurig. Aber wie sie gesagt hatte, handelte es sich nicht um etwas Persönliches.

 

„Er hat gesagt, dass er mich gehen lässt… wenn ich den Wettbewerb gewinne.“

 

Wieder wusste Sakura nicht, warum sie ihr das erzählte. Doch für den Bruchteil einer Sekunde sah sie tatsächlich ein hoffnungsvolles Schimmern in Karins Augen. Auch wenn es für den Moment vielleicht das Richtige gewesen war, würde er ihr am Ende das Herz brechen, da war Sakura sich sicher. Und wenn Karin schlau war, würde sie der Organisation ebenfalls so schnell wie möglich den Rücken kehren. Aber verliebte Menschen verhielten sich in den seltensten aller Fälle schlau.

 

„Wir sind da“, unterbrach Karin ihre Gedanken.

 

Der Wagen rollte auf einen kleinen Parkplatz in der Seitenstraße hinter dem Bahnhof und kam schließlich mit einem letzten Brummen des Motors zum Stehen. Damit war ihr Gespräch wohl beendet. Sakura stieg aus und schnappte sich den Rucksack von der Rückbank. Dann sah sie sich unauffällig um. Nicht weit von ihnen entfernt entdeckte sie eine unförmige Gestalt, die sich nervös im Schatten herumdrückte und ungeduldig auf etwas zu warten schien. Naruto.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Herzlich willkommen zu Imperativ - Kontrolle über deine Sinne !

Ich freue mich, dass ihr hierher gefunden habt und bin sehr gespannt auf eure Meinung.
Der Prolog ist ein wenig kurz, die folgenden Kapitel werden vermutlich länger.
Updates kommen vorerst noch unregelmäßig, weil ich noch nicht weiß, wie ich zum Schreiben komme.
Ich muss mich immer erst reinfinden in eine neue Story. :)

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Was das wohl für ein Angebot ist? Und was für eine Organisation hat Sasuke? Wofür braucht er Sakura? Und was hat Pain damit zu tun?
Schreibt mir gerne eure Vermutungen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier also das neue Kapitel von Imperativ, ich hoffe es hat euch gefallen.
Ich werde mich ab jetzt mal an einem wöchentlichen Upload-Rhythmus versuchen,
aber versprechen kann ich leider nichts, weil bald wieder die Uni losgeht ;)
Jedenfalls würde ich mich riesig über Feedback freuen, wenn euch das Kapitel gefallen hat
und natürlich auch, falls ihr gerne Kritik loswerden wollt.

Einen guten Start in die Woche und herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,

ich hab mich jetzt für den Samstag als Upload-Tag entschieden. Falls es dagegen irgendwelche Einwände gibt, immer raus damit. ;) Vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel, ich hab mich sehr gefreut und ich freue mich, wenn ich auch diesmal wieder von euch höre. Was haltet ihr von Pain? Hat Sakura überhaupt eine Chance? Schreibt mir einfach eure Gedanken. :)

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,

vielen Dank für das Feedback zum letzten Kapitel. :) So langsam gibt es immer mehr Informationen und ich bin sehr gespannt, was ihr davon haltet. Hat schon jemand irgendwelche Ideen oder Vermutungen? ;)

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)

Vielen, vielen Dank für die Rückmeldungen zum letzten Kapitel. Ich hab mich sehr gefreut und es ist immer spannend, eure Gedanken zu lesen. Was haltet ihr von den Entwicklungen rund um Ino? Macht Sasuke diesmal Ernst?

Ich hoffe ihr habt einen schön gruseligen Halloween-Abend
und wünsche euch allen noch ein tolles Wochenende.
Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben und vielen vielen Dank für euer Feedback zum letzten Kapitel. :)
Mit diesem hier ist dann wohl der Kuschelkurs erst mal vorbei
und ich bin sehr gespannt, was ihr dazu sagt.
War es die richtige Entscheidung von Sakura?
Und was für eine Droge hat Sasuke ihr gegeben? Oder ist es wieder nur ein Placebo?
Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr von euch hören lasst
und wünsche euch allen ein schönes Wochenende. :)
Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,

heute gibt es das Kapitel schon ein bisschen früher,
weil ich noch so viel Kram für die Uni zu erledigen habe
und euch nicht unnötig warten lassen will.
Ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat
und bin unglaublich gespannt, was ihr zu Sasukes Verhalten zu sagen habt.
Würde mich freuen von euch zu hören
und wünsche euch allen ein superschönes Wochenende. :)

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,

vielen herzlichen Dank für euer Feedback zum letzten Kapitel. :)
Das hier ist jetzt eines meiner Lieblingskapitel
und ich bin sehr gespannt, was ihr dazu sagt.
Insbesondere zu den neuen Personen, die aufgetaucht sind. ;)
Ich freue mich auf eure Meinung
und wünsche allen ein schönes, entspanntes Wochenende!
Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Einen wunderschönen guten Abend ihr Lieben <3

Tut mir Leid, dass ich heute ein wenig spät dran bin,
aber ich hatte bis eben gerade Besuch.
Vielen Dank für euer Feedback zum letzten Kapitel
und all die Spekulationen und Vermutungen waren sehr interessant zu lesen. ;)
Und schon wieder tauchen ein paar neue Gestalten auf.
Hat jemand ne Idee, wer es ist?
Unter allen Antwortenden wird ein Dose virtueller Weihnachtsplätzchen verlost. ;D

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen ihr Lieben :)

Ich hoffe, ich habe euch nicht zu sehr geschockt mit Hidan :D
Einige von euch haben ja schon richtig erraten, dass er der zweite Mann ist
und die dürfen sich die virtuellen Weihnachtsplätzchen jetzt einfach teilen
und genüsslich kauen, während es für Sakura langsam eng wird. ;)
Vielen Dank nochmal für euer Feedback zum letzten Kapitel
und ich würde mich freuen, auch diesmal wieder von euch zu hören. <3

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling-

PS: Falls mir jemand sagen kann, ob man das Kapitel eventuell als Adult einstufen sollte, wäre ich auch sehr dankbar. Mit sowas bin ich mir immer recht unsicher. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)
Und da ist Sasuke auch schon, gerade noch rechtzeitig. Aber wo war er die ganze Zeit und warum hat er sich so viel Zeit gelassen? Bin sehr gespannt auf eure Meinung und eure Gedanken zum Kapitel.
Euch allen ein supertolles Wochenende und
Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen ihr Lieben,

ich wollte nur kurz Bescheid sagen, dass es ab diesem Kapitel hier eine kleine Pause geben wird. Mein vorgeschriebener Vorrat ist aufgebraucht und über die Feiertage weiß ich leider nicht, wie viel ich zum Schreiben kommen werde. Ich hoffe auf euer Verständnis und versuche so bald wie möglich weiterzumachen. Der Plot steht schon, es muss nur noch aufgeschrieben werden. Würde mich trotzdem sehr über Kommentare freuen. :)

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Einen wunderschönen guten Tag ihr Lieben,

es hat ein wenig gedauert, aber hier ist nun das nächste Kapitel zu Imperativ und ich hoffe sehr, dass es euch gefällt. Vielen, vielen Dank nochmal für eure lieben Kommentare zum letzten Kapitel und ich würde mich auch diesmal wieder unglaublich über euer Feedback freuen. Genießt euer Wochenende und habt eine gute Zeit <3

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,

noch sind Semesterferien und da dachte ich mir, das muss man direkt ausnutzen und ein bisschen schreiben. ;) Ich hoffe, ihr freut euch über das neue Kapitel und würde mich sehr über Feedback freuen.

Herzliche Grüße
-Zerschmetterling- Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (129)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  MissBlackBloodSakura
2022-02-17T09:36:19+00:00 17.02.2022 10:36
Bitte schreib ganz schnell weiter ☺
Bitte nicht abbrechen 😔
Von:  theSille
2017-03-16T14:13:31+00:00 16.03.2017 15:13
Ich finde die Story voll toll.... ich warte schon auf die Fortsetzung.... ich bin schon ganz gespannt oder die denn Wettbewerb gewinnen und sakura da heil raus kommt...
Von:  stoffelfuchs
2017-02-10T12:06:17+00:00 10.02.2017 13:06
Coole Story! :) Wär schön, wenn du weitermachen würdest!
Von:  Dragonmaster
2016-09-26T01:04:34+00:00 26.09.2016 03:04
Ich liebe diese Story! Und ich hoffe dass du bald weiter Schreiber.:-)
Von:  Kleines-Engelschen
2016-04-15T20:54:22+00:00 15.04.2016 22:54
ein tolls kapitel! weiter so

greetz
Von:  XxGirlyxX
2016-04-10T22:01:50+00:00 11.04.2016 00:01
Bin wirklich überrascht, dass das mit Karin und sakura so gut klappt. Hätte ich echt nicht gedacht 😂
Es kann aber echt noch schwierig zwischen den beiden werden, wenn es wirklich um sasuke geht? Oder?
Ich lass mich überraschen
LG XxGirlyxX
Von:  franny
2016-04-08T06:45:49+00:00 08.04.2016 08:45
Super mega tolles Kapitel!!!!
Hätte ja nicht gedacht das die Zusammenarbeit mit Karin so gut klappt!:-)
Bin gespannt wie die zweite Aufgabe klappt!
Schreib schnell weiter :-)
Glg franny
Von:  Tini1996
2016-04-06T12:40:42+00:00 06.04.2016 14:40
Super geschrieben,
habe das vorherige Kapitel jetzt auch gelesen:)
Hast du super aufgebaut, Karin mal anders zu erleben,
finde ich schön, auch wenn ich sie selber nicht wirklich mag,
aber man muss sie ja nicht immer schlecht da stellen lassen, sie hat auch gefühle, nur zeigt sie das anders.
Sakura hat sich gut geschlagen, ich hätte auch eine mords Angst gehabt..
Ganz liebe grüße sasusaku2
Antwort von:  Tini1996
30.12.2016 20:49
Eine Frage wann geht es hier weiter? Bzw geht es überhaupt noch weiter?^^
Von:  Annabella
2016-04-05T17:12:57+00:00 05.04.2016 19:12
Hey
Das war wieder ein einfach mega kapi
WOW. WOW. WOW
Einfach mega geil ehrlich
Bin so happy das wieder Eun kapi kam
Bin so mega gespannt wie es weiter geht
So spapannend. Das Gespräch mit Karin war sehr aufschlussreiche ◆ einfach toll das kapi
Ich glaube ich wiederhole mich ach egal
Bin gespannt
Lg Annabell ♡
Von:  MaddieFreeman
2016-04-05T12:46:14+00:00 05.04.2016 14:46
Und auf ein neues!
Es geht gleich als erstes mit Karin los? Arme Sakura. Allerdings scheint Karin sich ja zu benehmen. Ich glaube ich würde sterben, wenn ich so'ne Aktion von einer Brücke machen müsste! Und dann auch noch mit Karin als Sicherung! Aber ein Glück hat Sakura die Sache dort gerockt. Trotz des kleinen Hängers am Ende... ;)
Anscheinend ist Karin doch nicht so "böse". Sie scheint sogar ganz O.K. zu sein. Mal sehen wie es nach dem Wettbewerb sein wird. Vielleicht bleibt sie ja so freundlich?

Als nächstes steht also das Bild mir Naruto an ... Ich bin gespannt wie Sakura das ganze angehen wird. Immerhin ist Naruto eine Frohnatur, der sie vielleicht mit seinem hibbeligen Wesen aus der Fassung bringen kann, anderst als Karin von der Sakura ja anfangs als "Feindin" dachte. Aber ich glaube Naruto wird sie eher aufbauen und ihr ein gefühl von Sicherheit geben, ganz egal wie waghalsig die nächste Kulisse sein wird.

Ich freue mich schin riesig auf das nächste Kapitel, mach bitte schnell weiter!

LG
Maddie♥


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