Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 36: Hilfe, die von Herzen kommt --------------------------------------- Völlig verblüfft starrten mich Old Surehand und der Doktor an; aus ihren Gesichtern sprach Unglauben und Ratlosigkeit zugleich. Nur Emery nickte verstehend, er sah so aus, als ob er mit so etwas schon gerechnet hätte. „Wie willst du denn das anstellen?“, fragte Surehand mit einer immer noch überrascht klingenden Stimme. „Winnetou wird doch nicht einfach mal so mir nichts, dir nichts seine Heimat verlassen, zumal gerade er doch der Mann ist, auf den es in diesen kriegerischen Zeiten am meisten ankommt!“ „Genau das wird daher auch das wichtigste meiner Argumente sein!“, entgegnete ich bestimmt. „Winnetou weiß, was alles von ihm abhängt, von seiner Persönlichkeit, von seinen Fähigkeiten. Und sollte er sich darüber nicht bewusst sein, dann werde ich oder werden wir ihm das halt noch einmal in aller Deutlichkeit vor Augen führen! Um seinem Volk dienen zu können, muss er auf jeden Fall im Vollbesitz seiner Kräfte sein, und solange er das noch nicht ist, wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als alles dafür zu tun, damit er diesen Zustand irgendwann wieder erreicht!“ „Klingt plausibel“, meinte Emery nachdenklich. „Aber wird nicht allein schon diese Reise viel zu anstrengend für unseren Häuptling werden? Er war meines Wissens doch noch nie in Europa, hat also noch nie solch eine lange Schiffsreise unternommen, oder?“ „Das wird sich alles finden“, antwortete ich. „Vorerst kommen wir hier ja sowieso nicht weg, da muss sich sein Zustand erst einmal deutlich verbessern. Bis New Orleans werden wir anschließend wohl irgendwie für angenehme Reiseumstände sorgen können – und auf dem Schiff kommt natürlich nur die erste Klasse in Frage, alles andere wäre für ihn einfach nicht zumutbar!“ „Es gibt bei der ganzen Geschichte aber noch etwas Grundsätzliches zu bedenken, mein Lieber“, schaltete sich jetzt der Doktor in mahnendem Tonfall ein. Fragend sah ich ihn an. „Du musst vor allen Dingen Folgendes unbedingt beachten: Unser Freund darf auf gar keinen Fall großen Menschenmassen ausgesetzt werden, erst recht nicht in Europa!“ „Nein, natürlich nicht“, stimmte ich sofort zu. „Das würde ihn psychisch zu sehr belasten; ihm sind ja schon hier die stickigen, lärmenden Städte zuwider!“ „Ja, aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich dir dringend davon abrate“, machte Hendrick deutlich. „Du musst bedenken, dass wir Europäer seit Jahrzehnten, teils Jahrhunderten, gewisse Krankheiten in unseren Reihen haben. Jemand mit einem gesunden Immunsystem und über Jahre in diesen Ländern ausgebildetem Abwehrsystem, wie du oder ich, wird daran selten bis nie erkranken - anders sieht das jedoch schon bei Alten, Kindern oder Kranken aus. Aber Winnetou ist noch nicht einmal allein wegen seines schlechten Gesundheitszustandes gefährdet, sondern auch, weil er ja überhaupt keine Abwehrkräfte gegen unsere typischen europäischen Krankheiten in sich tragen kann... und wenn er sich dann mit einem Mal mit Tuberkulose oder Cholera anstecken sollte, würde das auf jeden Fall sein Todesurteil bedeuten!“ Erschrocken sah ich den Arzt an. Daran hatte ich überhaupt noch nicht gedacht! Aber er hatte natürlich recht – diese Ansteckungsgefahr war ein Umstand, auf den wir jedenfalls ganz besonders achten mussten. Ich hatte mir allerdings auch schon vorher einige Gedanken gemacht, welche Orte ich mit meinem Blutsbruder aufsuchen könnte, und ich war mir sicher, dass es mir möglich sein würde, ihn von solcherlei Gefahren fernzuhalten. Das gesamte Vorhaben würde allerdings einen Großteil meiner Ersparnisse aufbrauchen, doch für Winnetous Gesundheit war mir definitiv nichts zu teuer. Mir war natürlich bewusst, dass er, sobald er mitbekam, wie kostspielig das ganze Unternehmen war, mir umgehend einen Teil seines Goldes dafür aufdrücken würde – aber das könnte ich nie und nimmer annehmen. Mein Freund würde endlich einmal bei mir zu Gast sein, und nicht, wie in all den Jahren zuvor, die wir uns schon kannten, ich bei ihm. Und das hieß, dass ich für meinen Gast für alles aufkommen würde, alles andere widersprach jeglichem Ehrgefühl! Nun wandte ich mich wieder meinen Gefährten zu: „Ich denke doch, dass es uns gelingen kann, Winnetou von großen Menschenmassen fernzuhalten, und ich habe mir da vorher auch schon einige Gedanken zu gemacht. Ich möchte allerdings auch nicht, dass er ständig von vielen Menschen begleitet und umringt wird, auch nicht von Männern wie Old Firehand, Emery oder Old Surehand, die ihm gute Freunde sind – ich hoffe doch sehr, dass ihr beiden das versteht, Emery, Surehand, und euch nicht zurückgesetzt fühlen werdet...?“ Fast schon vorsichtig sprach ich diese Frage aus, denn meine Direktheit war natürlich alles andere als ein höflicher Zug von mir. „Natürlich nicht – wo denkst du hin?“, entgegnete Surehand in gespielter Entrüstung. „Um Himmels Willen - niemand von uns wird so empfinden! Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass wir alles daran setzen werden, um unserem Freund eine rasche und gänzliche Genesung zu ermöglichen, und die kann er nun einmal nur durch möglichst viel Ruhe erreichen!“, ereiferte sich jetzt auch Emery. Ich nickte erleichtert, und dann sprach ich den Doktor direkt an: „Ich halte es allerdings auch für viel zu gefährlich, Winnetou nur unter meiner Obhut eine solche Reise zuzumuten – und deshalb möchte ich dich jetzt fragen, Walter, ob du damit einverstanden und dazu bereit wärst, uns zu begleiten?“ Ich hörte, wie der Angesprochene überrascht Luft holte. Mir war natürlich mehr als bewusst, was ich da eigentlich von ihm verlangte: Im Falle seines Einverständnisses würde er gezwungen sein, in sein Heimatland zurückzukehren – dem Land, dessen ignorante Bewohner dafür gesorgt hatten, dass der Mensch, der im Besitz seiner ganzen Liebe gewesen war, sich das Leben genommen hatte, weil er nicht mehr in der Lage gewesen war, einen anderen Ausweg zu sehen. Hendrick hatte Deutschland daraufhin den Rücken gekehrt in der festen Überzeugung, nie wieder einen Fuß dort hinsetzen zu können – und genau deshalb war ich jetzt sehr, sehr gespannt auf seine Antwort! Walter senkte den Kopf und dachte lange nach. Ich störte ihn nicht in seinen Überlegungen, konnte aber aus den Augenwinkeln erkennen, wie Old Surehand ihn erstaunt beobachtete. Dieser wusste ja, wie all unsere anderen Gefährten, gar nichts von Hendricks Beweggründen, die ihn zur Flucht aus Deutschland veranlasst hatten, und deshalb ging er wohl wie selbstverständlich davon aus, dass der Arzt sofort und freudig strahlend zusagen würde. Und es dauerte auch gar nicht lange, da hob Walter seinen Kopf und sah mir offen in die Augen. „Charlie – ich glaube, du ahnst gar nicht, wie sehr ich mich über das Vertrauen freue, das du mir in dieser Sache entgegenbringst! Ich weiß, dass du diese Reise mit Winnetou am liebsten ganz alleine unternehmen möchtest, und dass dann ausgerechnet ich euch begleiten darf, obwohl wir uns doch noch gar nicht so lange kennen – zumindest noch nicht so lange, wie zum Beispiel Emery oder unsere anderen Gefährten hier – das ehrt mich wirklich sehr!“ „Nun hör aber auf“, unterbrach ich ihn schnell. „Du bist uns in den letzten Monaten so sehr ans Herz gewachsen und hast dich dabei als ein Freund entpuppt, auf den man sich in jeder Lebenslage felsenfest verlassen kann – was du mit deinem Steinwurf kürzlich auch eindrucksvoll unter Beweis gestellt hast!“ Hendrick, Emery und Surehand ließen jetzt allesamt ein breites Grinsen sehen, als sie mein Wortspiel bezüglich des Steinwurfs durchschaut hatten; und auch ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als ich fortfuhr: „Außerdem brauche ich dich dringend als Unterstützung – ich brauche deine bemerkenswerten ärztlichen Fähigkeiten, deinen Rat und überhaupt deine ganze Kompetenz – und ich würde Winnetous Gesundheit und sein Leben niemanden lieber anvertrauen als dir, mein Freund, das kannst du mir glauben!“ Jetzt war der Doktor sichtlich gerührt, einen Moment lang sogar regelrecht sprachlos, während ich im Hintergrund Emery mehrfach zustimmend nicken sehen konnte. „Charlie, ich danke dir! Du weißt ja, dass ich eigentlich niemals wieder zurückkehren wollte – aber ihr beiden, vor allem aber das Schicksal Winnetous liegt mir wirklich sehr am Herzen, und im Augenblick ist mir einfach nichts wichtiger! Natürlich begleite ich euch – von ganzem Herzen gerne!“ Herr im Himmel – wie unsagbar erleichtert war ich jetzt über seine Entscheidung! Denn nun wusste ich, dass Winnetou der beste ärztliche Beistand zur Verfügung stehen würde, den es überhaupt geben konnte, wodurch sich das Risiko dieser Reise gewaltig minimieren würde. Bewegt drückte ich dem Doktor die Hand und nickte ihm stumm zu. Doch es gab noch etwas im Zusammenhang mit unserem Vorhaben, was es zu klären gab, und deshalb ergriff ich auch wenig später wieder das Wort. „Eine Sache bereitet mir allerdings noch Kopfzerbrechen. Wenn Winnetou nicht seinen Aufgaben als Häuptling nachkommen kann, wer...“ „Dann wird Entschah-koh seine Vertretung übernehmen – das hat er doch schon oft getan und daher wohl auch die meiste Erfahrung darin“, fiel Surehand mir ins Wort. „Das ist zwar richtig“, entgegnete ich. „Aber Winnetou war schon zu lange nicht mehr bei gewissen den Apatschen verwandten Stämmen gewesen, zwischen denen sich immer mal wieder einige kleinere Scharmützel bilden. Entschah-koh hat bisher sein Bestes getan, um die Betreffenden zu beschwichtigen, ist aber nun einfach an seine Grenzen gestoßen. Es bedarf jetzt wirklich vor allem der Persönlichkeit und der Aura Winnetous, um in diesen Gebieten den Frieden bewahren zu können – und wir dürfen ihm eine solche Reise in den nächsten Monaten einfach nicht zumuten! Doch für Winnetou wäre es furchtbar, mit ansehen zu müssen, wie der von ihm mühsam errungene Frieden in diesen Gegenden auseinanderbricht, da muss also eine Lösung her!“ „Nun gut – wenn Moses nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg halt zu Moses kommen!“, begann Emery zu sinnieren. „Und wie genau meinst du das?“, fragte ich ihn. „Ist doch ganz einfach: Die Vertreter der Parteien, die miteinander im Augenblick eine solche Fehde austragen oder kurz davor stehen, werden ausnahmsweise jetzt einmal ins Pueblo zitiert! Dort kann Winnetou den Herrschaften dann eindringlich ins Gewissen reden, ohne dass er eine belastende Reise unternehmen muss. Und wenn anschließend alles geklärt ist, könnt ihr drei sofort nach Europa aufbrechen!“ „Richtig!“, schaltete sich jetzt auch Surehand ein. „Es wäre sowieso sinnvoll, mit Winnetou, sobald er dazu wieder in der Lage ist, erst einmal zum Pueblo zurückzukehren, damit er dort alles Wichtige für die Zeit seiner Abwesenheit in die Wege leiten kann. Ich glaube ja nicht, dass ihn die Apatschen aufgrund seiner Erkrankung als Häuptling abwählen werden – oder siehst du das anders?“ „Ich glaube und hoffe es nicht“, entgegnete ich. „Obwohl ich mir gar nicht mehr so sicher bin, ob es für Winnetou nicht sogar eine Erleichterung wäre, wenn er sein Leben nicht mehr diesem schweren Amt unterordnen müsste....“ „Nein, nein, nein!“, empörte sich Surehand sofort. „Das Volk der Apatschen ohne Winnetou als Häuptling, solange dieser unter den Lebenden weilt – niemals! Eine unmögliche Vorstellung! Den Mann kann keiner ersetzen, und ich bin mir sicher, das sieht jeder Einzelne seines Stammes genauso!“ „Auch ich kann es mir eigentlich gar nicht anders vorstellen“, gab ich zu. „Trotzdem stehen wir dann immer noch vor dem Problem, wie dieses Volk während seiner Abwesenheit geschützt werden kann, vor allem vor den weißen Landräubern, den umherziehenden Tramps und dem anderen Gesindel – und nicht zuletzt vor den nicht gerade wenigen voreingenommenen Militärs!“ „Hm - ich hätte da eventuell eine gute Antwort auf deine Frage“, warf nun Surehand wieder ein. „Zunächst einmal wäre es sehr sinnvoll, unseren General Collister um Unterstützung zu bitten. Er hat Winnetou doch mehr als einmal seine Hilfe angeboten, und da Collister jetzt wieder einmal durch ihn und durch uns viel Arbeit abgenommen worden ist, wird er mit Sicherheit sein Einverständnis dazu geben und all seinen Einfluss geltend machen, um die um das Apatschenland herum liegenden Forts für die Belange der Mescaleros und der anderen Stämme zu gewinnen. Und wir – wir alle hier könnten noch viel mehr tun....“ Mit diesen Worten sah Surehand nun vor allem Emery an, der gespannt lauschte. „Eigentlich könnten wir alle hier doch auch so einiges an Hilfestellung geben, oder nicht? Während unsere drei Freunde nach Europa in die Sommerfrische fahren, trommeln wir Zurückbleibenden halt noch einmal die anderen Weggefährten von Helmers Home zusammen - vielleicht gewinnen wir sogar noch einige andere dazu - und dann werden wir das ganze nächste Jahr im Apatschenland verbringen und jeden Banditen zum Teufel jagen sowie sämtlichen Soldaten auf die Finger klopfen, die es wagen, den Frieden dort zu stören!“ Sprachlos starrte ich den Freund an. Das war ein Vorschlag, wie ich ihn nie erwartet hätte! „Das wäre allerdings die beste Lösung“, begann ich nach einer kleinen Weile, in der ich noch mit meiner Überraschung zu kämpfen hatte. „Aber glaubst du wirklich, dass dir das gelingen wird? Dass du all unsere Freunde für diese Aufgabe begeistern kannst?“ „Natürlich!“, sagte Surehand im Brustton der Überzeugung. „Du und Winnetou, ihr habt beide wohl jedem von uns schon einmal aus der Patsche geholfen, und oft genug habt ihr dabei sogar euer eigenes Leben riskiert. Und gerade Winnetou, der nun wirklich allen Grund hätte, einem Weißen jede Hilfe zu versagen, hat uns gegenüber oft genug seine Hilfsbereitschaft und seinen Gerechtigkeitssinn unter Beweis gestellt! Daher bin ich mir auch sehr sicher, dass jeder einzelne unserer Gefährten sich freuen würde, wenn sich ihm endlich einmal eine Gelegenheit böte, unserem Apatschenhäuptling etwas davon zurückzugeben!“ „Das sehe ich ganz genauso“, pflichtete Emery ihm sofort bei. „Außerdem haben wir ja noch einige Wochen Zeit, bevor wir uns überhaupt mit Winnetou auf den Weg zum Pueblo machen können. In dieser Zeit sollten wir vier – Charlie natürlich ausgenommen - vielleicht ein wenig in der Gegend herum reisen und versuchen, so viele unserer ehemaligen Weggefährten wie möglich aufzutreiben und zu rekrutieren!“ „Genau das machen wir!“ Surehand klang fast schon ein bisschen begeistert, als er den Gedanken weiter spann: „Sam Hawkens und Firehand werden uns mit Sicherheit sofort unterstützen, und vielleicht macht auch noch jemand von den Pelzjägern mit!“ Emery fiel jetzt ebenfalls noch etwas ein: „Wäre es nicht vielleicht auch sinnvoll, so viele befreundete Indianerstämme wie möglich von der ganzen Sache zu informieren? Es gibt doch auch unter den Roten genug bedeutende Männer, die großen Einfluss auf weite Teile des indianischen Volkes haben, und sie alle könnten später mithelfen, dass während Winnetous Abwesenheit der Frieden unter allen Umständen gewahrt wird!“ Jetzt sah ich mich doch genötigt, beschwichtigend die Hände zu heben und meine Gefährten in ihrem Eifer etwas zu bremsen, obwohl ich mich wirklich sehr über ihr unglaubliches Engagement für meinen Winnetou freute – hier wurde einmal mehr der Wahrheitsgehalt dieser Weisheit deutlich bewiesen: Wer Gutes sät, wird Gutes ernten! Und doch durften wir in dieser hochwichtigen Angelegenheit nichts überstürzen, also rief ich die beiden erst einmal zur Mäßigung auf: „Haltet ein! Bisher sind all eure Vorschläge gut und richtig gewesen; sie werden der Sache gewiss mehr als dienlich sein – und doch sollten wir mit der Einbeziehung fremder Indianerstämme vorsichtig sein und uns hier erst einmal den Rat von Winnetou und seinen Unterhäuptlingen einholen!“ „Nun, da hast du wahrscheinlich Recht“, gab Surehand zu. „Vielleicht sollten wir die Angelegenheit auch erst einmal mit Sam, Firehand und Tsain-tonkee ausführlich besprechen, bevor wir Hals über Kopf einfach loslegen!“ „Aber nicht mit Charlie, zumindest nicht mehr heute“, bestimmte der Doktor jetzt im strengen Ton. „Ihr seht doch, dass ihm fast die Augen zufallen – also jetzt mal schnell raus hier, der Rest wird morgen besprochen, zum Kuckuck noch mal!“ Als wären sie einfache Soldaten auf dem Exerzierplatz, nahmen Surehand und Emery den Befehl entgegen und wandten sich gerade gehorsam zum Gehen, als ich ihnen noch schnell hinterherrief: „Einen Augenblick noch! Ich habe mittlerweile jedes Zeitgefühl verloren – welcher Tag ist heute?“ „Kein Wunder, dass du das nicht weißt - du hast ja auch die letzten Tage komplett verschlafen“, grinste Emery verschmitzt. „Es sind jetzt genau sieben Tage seit dem Kampf vergangen!“ „Und Thomson befindet sich immer noch in sicherer Verwahrung?“ erkundigte ich mich weiter. „Aber natürlich!“, bestätigte Surehand jetzt mit Nachdruck. „Den Kerl lassen wir unter Garantie nicht mehr laufen! Aber wir haben alle zusammen beschlossen, dass wir erst über ihn zu Gericht sitzen, wenn Winnetou wieder so weit wohlauf ist, dass er dem ganzen Prozess zumindest beiwohnen kann – immerhin ist er der Hauptgeschädigte!“ Jetzt war ich wirklich beruhigt und verabschiedete die beiden mit einem sehr zufriedenen Lächeln. Aber der Doktor hatte Recht gehabt – ich war in den letzten Minuten tatsächlich von einer solch heftigen Müdigkeit übermannt worden, dass es mir sehr schwer fiel, ihr noch irgendwie standzuhalten. Deshalb sprach ich auch gar nicht mehr viel, sondern stellte Hendrick jetzt nur kurz die Frage, die für mich im Augenblick am wichtigsten war: „An Winnetous Zustand hat sich nichts geändert? Es sind keine neuen Komplikationen aufgetreten?“ „Nein, mein Lieber, da brauchst du im Augenblick keine Sorge haben“, versicherte mir der Arzt sofort. „Er steht immer noch unter dem Einfluss starker Schlaf- und Schmerzmittel, daher geht es ihm auch den Umständen entsprechend gut!“ Zu der Müdigkeit gesellte sich jetzt nochmals eine große Erleichterung. Doch ich konnte ihr keinen Ausdruck mehr verleihen, also begnügte ich mich damit, dem Doktor noch einmal dankbar zuzunicken, und Sekunden später war ich schon wieder eingeschlafen. Beim nächsten Mal wurde ich nicht von einem Flüstern, sondern durch das leise Geplätscher von Wasser geweckt. Rasch schlug ich die Augen auf und setzte mich ein wenig auf, um einen besseren Blick auf Winnetous Lager zu bekommen, wo das Geräusch seinen Ursprung hatte. Ich gewahrte Tsain-tonkee, der in diesem Augenblick damit beschäftigt war, Winnetous Körper ausgiebig zu reinigen, und er schien diese Aufgabe mit einer wahren Hingabe auszuführen. Nun aber hatte er bemerkt, dass ich erwacht war, und wandte sich mir sofort zu: „Tsain-tonkee bittet um Verzeihung, dass er Old Shatterhands Schlaf gestört hat“, entschuldigte er sich sogleich bei mir. „Mein roter Bruder mag sich keine Gedanken machen – er hat mich nicht gestört. Ich will doch nicht den ganzen Tag verschlafen“, beruhigte ich ihn. Dann betrachtete ich meinen geliebten Freund genauer, doch es waren immer noch keine Anzeichen auszumachen, dass es ihm mittlerweile besser ging. Daher wandte ich mich an den jungen Unterhäuptling, um seine Meinung über Winnetous Zustand zu hören. Er antwortete: „Der Oberhäuptling der Apatschen liegt in einem tiefen Schlaf, so dass sein erkranktes Herz die nötige Ruhe bekommt. Allerdings bewirkt die Entzündung, dass er weiterhin fiebert. Wir können es zwar durch die heilenden Säfte der Osha-Pflanze immer wieder absenken, aber es klingt nie ganz ab. Doch solange dem Häuptling keinerlei Anstrengungen zugemutet werden, befindet er sich nicht in unmittelbarer Gefahr. Old Shatterhand mag sich also nicht so viele Sorgen machen!“ „Hmpf – zu spät, ist schon längst geschehen....“, murmelte ich und sah mich dann aufmerksam im ganzen Raum um. Offenbar war unser Doktor gerade nicht anwesend, und diesen Umstand nutzte ich jetzt auch sofort aus, indem ich die Beine aus dem Bett schwang, um dann zum ersten Mal seit Tagen wieder aufzustehen. Leicht fiel mir das nicht, ich spürte, dass ich über viel weniger Kräfte verfügte, als ich vorhin in noch liegender Position angenommen hatte. Nun schwindelte mir auch noch etwas, was ich aber darauf zurückführte, dass sich mein Kreislauf erst einmal wieder an die ungewohnte Haltung und Anstrengung gewöhnen musste. Im gleichen Augenblick spürte ich eine Hand in meinem Rücken, dann noch eine auf meiner Schulter, die mich sogleich zu stützen begannen. Ich sah zur Seite und legte Tsain-tonkee nun meine Hand auf seinen Arm, während er mich weiterhin ziemlich besorgt betrachtete. „Mein Bruder muss keine Sorge haben; es geht mir wirklich gut!“ Mit diesen Worten versuchte ich mich an den ersten, noch unsicheren Schritten; und es gelang mir auch fast sofort, mich einigermaßen unauffällig zu bewegen, doch zur Sicherheit behielt ich meine Hand noch auf dem Arm des Unterhäuptlings. Dieser musterte mich weiterhin recht kritisch, half mir aber trotzdem, die kurze Strecke bis zu Winnetous Lager zurückzulegen. Kaum war ich dort, setzte ich mich sofort an dessen Seite, nahm seine Linke in beide Hände, drückte einen sanften Kuss auf seinen Handrücken und presste sie dann fest an meine Brust. Unendlich gerührt sah ich in sein blasses und mittlerweile fast schon hageres Gesicht, betrachtete seine trotzdem immer noch wunderschönen Gesichtszüge, die langen, schwarzen Wimpern, die schön geformten Augenbrauen, die jetzt scharf hervortretenden Wangenlinien und nicht zuletzt seine halbvollen, sanft geschwungenen Lippen, die ich am liebsten ebenfalls geküsst hätte – doch das wagte ich natürlich nicht, da Tsain-tonkee nun mal anwesend war und ich schon mit meinem Handkuss gerade eben sehr viel Gefühl gezeigt hatte. Trotzdem konnte ich mich in keinster Weise des Verlangens erwehren, jetzt mit meiner Rechten sachte über die Wangen meines Freundes zu streicheln, und nun spürte ich auch deutlich, dass er in den letzten Tagen und Wochen einiges an Gewicht verloren haben musste. Wie sollte es auch anders sein – seit dem Kampf wurde sein Körper nur noch von den Infusionen versorgt und ernährt, und da er ja nie auch nur ein Gramm Fett angesetzt hatte, wurde sein von Natur aus schon sehr schlanker Körper jetzt natürlich gleich der Reserven beraubt. Und trotzdem war ich in diesem Moment einfach nur unglaublich froh, ihn hier vor mir liegen zu sehen, so froh, dass wir nun doch unseren Lebensweg gemeinsam meistern durften! Am liebsten hätte ich ihn nun in meine Arme gezogen und an meine Brust gedrückt, aber die Anwesenheit des jungen Unterhäuptlings verbot mir natürlich strikt solch intensive Liebesbezeugungen. Tsain-tonkee ließ sich jetzt aber auch in seiner Tätigkeit nicht mehr weiter stören. Er beendete die körperliche Reinigung meines Freundes und machte sich nun daran, ein duftendes Öl in seine Hände zu gießen. Dann rieb er seine Handflächen einige Augenblicke aneinander, um sowohl Hände als auch Öl anzuwärmen, und begann schließlich, Oberkörper sowie Arme des Apatschenhäuptlings ausgiebig zu massieren. Ich kannte das ja schon von der Zeit auf Helmers Home, als mein Freund dort zum ersten Mal in langer Bewusstlosigkeit gelegen hatte – das lange Liegen konnte nämlich ganz schnell, trotz immer wieder wechselnder Lagerung, die Haut wund werden lassen, außerdem mussten Knochen, Muskeln und Gelenke wiederholt durchbewegt werden, um eine Versteifung zu verhindern; und all dem wurde durch die intensiven Massagen mit einem besonderen Öl vorgebeugt und erreicht. Diese Aufgabe hatte bisher ich immer übernommen, und da ich mich schon wieder recht stark und wohl fühlte, bat ich daher jetzt auch Tsain-tonkee, mir die weitere Pflege zu überlassen. Abermals erntete ich von ihm einen kritischen Blick, doch dann schien er zu dem Schluss zu kommen, dass mir wohl wirklich keine Gefahr mehr drohte, und überließ mir das Öl mit einem, wie mir schien, wissenden Lächeln. Ich sah ihn daraufhin genauer an – ahnte er etwas? Doch aus seinen unbewegten Gesichtszügen konnte ich nichts lesen; allerdings drehte er sich im gleichen Moment um und verließ den Raum, was in mir doch leisen Zweifel über seine Ahnungslosigkeit hinsichtlich der wahren Beziehung zwischen Winnetou und mir erweckte. Doch ich machte mir darüber nicht allzu viele Gedanken, da mir während unserer gemeinsamen und sehr innigen Zeit im Pueblo in den letzten Monaten schon oftmals hier und da wissende Blicke und teils verstohlene Gespräche der Bewohner aufgefallen waren. Winnetou hatte mir ganz zu Anfang unserer Liebesbeziehung erzählt, dass es unter den Apatschen einige Krieger gab, die anstatt einer Squaw einen Mann liebten; darüber wurde dann auch nie viel Aufhebens gemacht. Warum also sollte das unter seinen Stammesangehörigen jetzt anders sein, nur weil es in diesem Fall ihren Häuptling betraf? Es war für mich jedes Mal überwältigend zu sehen, wie sehr die Mescaleros an ihrem Anführer hingen; gerade während seiner langen Genesungsphase im letzten halben Jahr war das mehr als deutlich geworden, weil sein Volk da zum ersten Mal überhaupt wirklich hatte zittern müssen um das Leben seines geliebten Häuptlings. In dieser Zeit hatten sich die Bewohner des Pueblos fast überschlagen, um ihm die lange Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten, und jeder noch so kleine Fortschritt seiner Genesung hatte jedes Mal zu wahren Freudentänzen geführt – all das hatte mich seinerzeit tief bewegt, und daher war ich mir fast sicher, dass der überwiegende Teil der Apatschen dem Häuptling alles Glück dieser Erde wünschte, welcher Art auch immer dieses sein mochte! Tief in Gedanken versunken machte ich mich daran, jeden einzelnen Muskel meines Geliebten zu bearbeiten, ihn mal sanft, mal fest zu massieren und seine Haut dabei gleichzeitig elastisch und geschmeidig zu halten. Mir selbst taten diese Handlungen unendlich gut, beruhigten sie doch mein Innerstes merklich, wo die Sorge und die Angst um meinen Freund ständig an die Oberfläche durchzubrechen drohten. Und doch genoss ich es sehr, ihn endlich einmal wieder für mich ganz alleine zu haben und ihm gleichzeitig ganz nahe sein zu dürfen, so dass ich mir für die Massagen deutlich mehr Zeit ließ, als es eigentlich vonnöten gewesen wäre. Zwischendurch wunderte ich mich allerdings, warum bisher weder der Unterhäuptling noch der Doktor wieder aufgetaucht waren, aber mittlerweile konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass Tsain-tonkee dem Arzt über mein Tun berichtet hatte und beide Männer nun dafür sorgten, dass mein Blutsbruder und ich nicht gestört wurden – zumindest Hendrick hätte ich das allemal zugetraut! Mit allen Sinnen genoss ich die körperliche Anwesenheit Winnetous, die Wärme, die sein Leib ausstrahlte, auch wenn es eine fiebrige Wärme war, die weiche Haut, die im schönsten Bronzeton erglänzte, die immer noch muskulöse und wirklich perfekt definierte Gestalt – meine Liebe zu diesem Mann war unendlich, und ich konnte es mir absolut nicht vorstellen, dass ich irgendwann nicht mehr so empfinden könnte, oder noch schlimmer, irgendwann ohne ihn durchs Leben gehen zu müssen. Besonders lange verweilte ich an der noch frischen, aber schon leicht verkrusteten Verletzung auf seiner linken Schulter. Ganz sanft ließ ich meine Finger darüber gleiten, voller Schuldbewusstsein, weil ausgerechnet ich, sein bester Freund und engster Vertrauter, ihm diese Wunde zugefügt hatte – und obwohl ich doch genau wusste, dass ich mit seinem Einverständnis gehandelt hatte, war ich mir alles andere als sicher, ob ich mir diese Tat jemals würde verzeihen können. Mir war natürlich bewusst, dass Winnetou diese recht kleine Verletzung als völlig belanglosen Kratzer abgetan hätte, wenn er ansprechbar gewesen wäre, und trotzdem war ich alleine schon wegen dieses „Kratzers“ sehr froh, dass er im Augenblick keinerlei Schmerzen ertragen musste – ich wollte einfach nicht, dass er wegen mir auch nur den Hauch einer Missempfindung verspürte! Lange, lange Zeit saß ich so an Winnetous Seite, während meine Massage ganz allmählich in ein sanftes Streicheln übergegangen war, da ich seinen Körper nicht überfordern wollte. Leise sprach ich währenddessen mit ihm, berichtete ihm von meinen Plänen, mit ihm für mindestens ein Jahr nach Deutschland zu gehen, erzählte ihm von all den schönen Plätzen, die ich ihm dann zeigen wollte – er konnte mich natürlich nicht hören, aber ich war mir sicher, dass er meine Anwesenheit genau spürte. Und darum redete ich einfach weiter. Sprach von meinen furchtbaren Ängsten, die ich um ihn gelitten hatte und immer noch litt, von meiner unbändigen Freude, als ich erkannt hatte, dass auch er im letzten Moment noch gerettet worden war und wir unseren Lebensweg weiterhin gemeinsam gehen durften, von meinem Schuldbewusstsein, allein schon wegen der kleinen Wunde, vor allem aber wegen meinem Versuch, ihn zu erschießen – im Nachhinein erschien mir das alles so absurd, so unfassbar! Wahrscheinlich um mit mir selbst irgendwie ins Reine zu kommen, erklärte ich meinem bewusstlosen Freund nochmals meine Beweggründe für mein Handeln, erwähnte mein vermeintliches Wissen, dass er sich zu diesem Zeitpunkt in unmittelbarer Lebensgefahr befunden hatte, dass Thomson ihn Sekunden später zumindest schwer verletzt hätte, und dass ihm im Falle seines Überlebens dann ein unglaublich grausamer Leidensweg bevorgestanden hätte. Und seltsamerweise bekam ich nach einiger Zeit das Gefühl, als würde er nicht nur genau zuhören, sondern gleichzeitig auch seine Seele sprechen lassen, und diese lautlose Sprache drang in mein gepeinigtes Gewissen mit aller Macht vor, so dass ich kurz darauf eine wunderbare Erleichterung in meinem Herzen fühlte, als ob mein Gewissen nun reingewaschen wäre von allen Schuldgefühlen – allein seine körperliche Anwesenheit legte sich wie Balsam auf meine Seele! Ich weiß nicht, wie lange ich so bei meinem Freund gesessen hatte, aber irgendwann wurden wir dann schließlich doch von unserem Doktor gestört, der sich offenkundig davon überzeugen wollte, dass es uns beiden auch wirklich gut ging. Er begrüßte mich mit einem Lächeln, und ich war ehrlich gesagt heilfroh, dass er nicht schon wieder lospolterte, weil ich gegen seinen Willen aufgestanden war. Allerdings wusste ich auch einmal mehr nicht genau, was für ein Tag heute war, denn ich hatte absolut keinen Überblick darüber, wie lange ich eigentlich geschlafen hatte; daher war es ja auch durchaus möglich, dass schon wieder ein neuer Tag angebrochen war und ich somit die offizielle Erlaubnis des Arztes besaß. Hendrick trat an unsere Seite, fragte zuerst nach meinem Befinden und überzeugte sich gleich darauf mittels seiner Instrumente, ob ich mit der Schilderung meines Zustandes, den ich mit „wunderbar“ betitelt hatte, nicht doch die absolute Unwahrheit gesagt hatte. Aber kurz darauf schien auch er sehr zufrieden mit mir, so dass er sich sofort im Anschluss wieder um Winnetou bemühen konnte. Nach einer eingehenden Untersuchung, währenddessen ich ihn genau beobachtet hatte, setzte er sich neben uns, mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht anders als unentschlossen bezeichnen konnte. Jetzt sah er mich auch genau in der gleichen Weise an, so dass ich sofort nachfragte: „Was gibt es, Walter? Stimmt irgendetwas nicht?“ „Nein, nein, keine Sorge, mein Freund, das ist es nicht – an Winnetous Zustand hat sich nichts geändert. Allerdings...“ „Du machst dir trotzdem um irgendetwas Gedanken, richtig?“, unterbrach ich ihn jetzt. „Ein wenig, ja. Ich bin mir einfach nicht sicher, was jetzt sinnvoller ist: Einerseits tut unserem Freund dieser tiefe Schlaf und die damit verbundene Ruhe und Schmerzfreiheit unendlich gut, andererseits aber verliert er mittlerweile zunehmend an Gewicht – und das ist alles andere als gut für ihn, gerade in seinem sowieso schon arg strapazierten Gesundheitszustand! Deshalb überlege ich gerade, ob ich ab jetzt, zumindest vorübergehend, das Schlafmittel weglassen sollte. Er würde somit wahrscheinlich im Laufe des Tages aufwachen und dann auch hoffentlich in der Lage sein, etwas zu sich zu nehmen. Aber dadurch wird sich das Risiko einer Überanstrengung sicherlich wieder erhöhen – und unsere Sorgen somit nicht gerade abnehmen!“ Nachdenklich sah ich den Freund an. Sollte ich das jetzt entscheiden? Nein – Walter war der kompetente Mediziner, nicht ich. Meine Aufgabe bestand darin, ihn so gut wie möglich zu unterstützen und auf meinen Winnetou einzuwirken, damit er sich in jedem Fall an Hendricks Vorgaben hielt. Und daher ermutigte ich den Doktor jetzt auch: „Walter – egal was du tust und wie du entscheidest: ich werde auf jeden Fall dahinter stehen, denn ich weiß, dass du nur das Beste für Winnetou willst!“ „Vielen Dank für dein Vertrauen, Charlie!“, gab der Angesprochene fast schon erleichtert zurück. „Dann werden wir jetzt dafür sorgen, dass er im Laufe des heutigen Tages wieder zu sich kommt – aber wir, vor allem du, musst all deinen Einfluss auf ihn geltend machen und alles dafür tun, dass er ruhig bleibt!“ Ich versprach es ihm natürlich hoch und heilig und bekam daraufhin auch gleich eine Aufgabe zugewiesen. Walter bestimmte, dass ich mich auch wieder legen sollte, dieses Mal aber direkt neben dem Apatschen, um sofort reagieren zu können, wenn dieser nach so langer Zeit wieder zu sich kommen würde. Ich kam dem natürlich auch sofort nach, und mein eigener, immer noch nicht völlig wiederhergestellter Gesundheitszustand sorgte dann auch schnell dafür, dass ich rasch einschlief, nachdem ich mich fest an den warmen, fiebrigen Körper meines Freundes angeschmiegt hatte. Als ich nach einigen Stunden wieder erwachte, hatte sich immer noch nichts getan. Winnetou schlief weiterhin tief und fest, aber – das Fieber war merklich abgesunken! Ich konnte es fast nicht glauben, doch Walter war der festen Überzeugung, dass dieser Umstand mit meiner körperlichen Nähe zu dem Apatschen zusammenhing. „Er spürt dich einfach, Charlie“, behauptete der Arzt steif und fest. „Deine Anwesenheit wirkt sofort beruhigend auf seinen Geist und Körper ein – wir haben das doch in früheren Zeiten schon mehrfach festgestellt, also warum glaubst du es nicht einfach?“ Ich musste nun doch lächeln ob seines Eifers, mich zu überzeugen, doch ich konnte ihm nicht mehr antworten, da in diesem Moment Emery, Sam, Firehand und Surehand den Raum betraten. Den fast schon entsetzten Blick unseres Doktors ahnte ich mehr, als dass ich ihn sah, doch bevor er wieder aufbrausen konnte, weil seiner Meinung nach die Ruhe im Krankenzimmer durch die Anwesenheit so vieler Menschen empfindlich gestört wurde, machte Firehand eine beschwichtigende Geste und bemühte sich, ihn dahingehend zu besänftigen: „Keine Sorge, Walter, wir sind ganz leise! Wir möchten nur mit Charlie kurz unser weiteres Vorgehen besprechen.“ Mit diesen Worten setzte er sich an meine Seite und begann zu berichten: „Wie gut, dass du wach bist! So können wir dich endlich auf den neuesten Stand bringen: Wir haben mit Collister gesprochen, und dieser hat sich, ohne zu zögern, sofort dazu bereit erklärt, uns zu helfen! Ein Teil seiner Kompanie wird weiterhin zum Schutz der Festung hierbleiben, bis wir mit Winnetou aufbrechen, um uns anschließend bis zum Pueblo Geleit zu geben. Collister selbst wird mit dem Rest seiner Soldaten allerdings schon morgen früh aufbrechen, um sämtliche Forts, die sich in der näheren Umgebung des Apatschenlandes befinden, aufzusuchen, damit er mit den Kommandanten derselben sprechen und sie auf das kommende Jahr einschwören kann. Er möchte natürlich auch, dass unter allen Umständen der Frieden in der Region gewahrt wird, und er hat dahingehend schon im ganzen letzten Jahr auf seine Vorgesetzten eingewirkt, die größtenteils jetzt auch auf seiner Linie sind. Er...“ Firehand unterbrach sich, weil ihn mein völlig verblüffter Gesichtsausdruck offenbar sehr belustigte. „Hast du von Collister etwas anderes erwartet, Charlie?“ „Nein, das nicht...“, antwortete ich, immer noch regelrecht verdattert. „Aber ich konnte mir nie und nimmer vorstellen, dass er mit einem solchen Eifer an die Sache herangehen würde – und dabei auch noch Erfolg haben könnte!“ „Na, da kannst du mal sehen: nicht alles auf dieser Welt ist schlecht, selbst beim Militär gibt es solche Ausnahmen, was aber wahrlich selten genug ist!“, fiel jetzt Emery ein, und alles nickte. Old Firehand fuhr fort: „Collister weiß sehr genau, wie unglaublich wichtig unser Winnetou für die gesamte Region hier ist; man merkt ihm auch deutlich an, wie leid ihm dieser tut und wie sehr er sich wünscht, dass der Häuptling wieder vollständig genesen wird! Aber solange dieser für sein Einflussgebiet nicht zur Verfügung stehen kann, sieht es der Kommandant genau wie wir: Dann müssen für die nächste Zeit einfach mal alle zusammenhalten – Weiß und Rot, Militär und Zivilisten. Collister hat versprochen, seinen ganzen Einfluss darauf zu verwenden, dass die Kommandanten der in Frage kommenden Forts sowohl mit den Apatschen als auch mit uns Westmännern zusammen arbeiten werden, und das in gleichberechtigter Weise!“ Ich war sprachlos. So etwas hatte ich mir schon immer erhofft, und ausgerechnet jetzt, wo Winnetou so schwer erkrankt war, würde sein größter Wunsch Wirklichkeit werden! Zumindest der Wille war da, aber allein das war schon mehr, als wir es je zu hoffen gewagt hatten. Wenn alle Verantwortlichen in dieser Region zusammenarbeiten würden, dann konnte das doch nur auf eine friedliche Lösung hinauslaufen! Doch Firehand hatte noch mehr zu berichten: „Wie nicht anders zu erwarten war, haben wir alle natürlich Surehands Vorschlag zugestimmt, und das von Herzen gerne! Wir vier werden ebenfalls morgen früh aufbrechen, um so viele unserer ehemaligen Weggefährten zusammenzutrommeln, wie es nur geht. Jeder von uns weiß mindestens zwei oder drei Aufenthaltsorte von dem einen oder dem anderen, und somit dürfte es höchstens zwei, drei Wochen dauern, bis wir zumindest mit Antworten, im besten Falle aber mit den Kameraden höchstpersönlich wieder hier erscheinen werden. Und diese Zeit wird es ja auf jeden Fall noch brauchen, bis unser Freund hier wieder so weit ist, als dass er die Reise zum Pueblo antreten kann, oder nicht?“ Diese Frage war an den Doktor gerichtet, der auch gleich zustimmend nickte. Weil Firehand ein Pause machte, übernahm es jetzt Emery, mir weiter zu berichten: „Vor zwei Stunden sind Entschah-koh und Til Lata hier eingetroffen. Wie sie das innerhalb von acht Tagen geschafft haben statt der zehn, die es einmal für den Boten hin und für die beiden samt zwanzig Apatschen zurück gebraucht hätte, weiß ich nicht – die Sorge um ihren Häuptling hat sie wohl so sehr umgetrieben, dass sie alles aus ihren Tieren herausgeholt haben müssen! Jedenfalls haben sie erst lange mit Tsain-tonkee gesprochen, dann mit uns Westmännern sowie dem Kommandanten, und sie sind soweit mit unseren Plänen einverstanden. Darüber hinaus wollen sie Boten aussenden, nicht nur an alle den Mescaleros freundlich gesonnenen Stämme, sondern vor allem an diejenigen, die miteinander im Clinch liegen. Sie bitten dadurch alle Vertreter dieser Stämme zu einer großen Zusammenkunft im Pueblo, an der natürlich auch Winnetou teilnehmen sollte. Für die beiden Häuptlinge ist es daher wichtig zu erfahren, zu welchem Zeitpunkt dieser ungefähr wieder für ein solches Palaver zur Verfügung stehen kann – und außerdem möchten sie sich natürlich so schnell wie möglich selbst ein Bild von Winnetous Zustand machen. Beide warten jetzt darauf, dass du ihnen den Zutritt gewährst.“ Die letzten Worte hatte Emery an den Doktor gerichtet, und dieser stimmte natürlich sofort einem Besuch der beiden zu. Also verließen die vier Westmänner jetzt die Kammer, nicht ohne mir aber vorher zu versichern, dass sie vor ihrer Abreise am nächsten Morgen nochmals einen kurzen Abschiedsgruß an mich richten wollten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)