Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 24: Nacht und Tag ------------------------- Nachdem wir unseren Bericht beendet hatten, stand Firehand mit einem Male auf, wohl um seinen Gefühlen irgendwie Luft machen zu können, wobei er wie ein wildgewordener Stier in der steinernen Behausung hin und her zu laufen begann - und dann jagte er uns allen einen gehörigen Schrecken ein, als er völlig überraschend seine Faust mit voller Wucht auf das hölzerne Bettgestell krachen ließ, dass es nur so dröhnte. Ich sah ihm ins Gesicht und war mir sicher, ihn noch nie, wirklich noch nie in einem derart aufgewühlten Zustand gesehen zu haben. Er war hochrot im Gesicht, seine Augen blitzten und seine Hände hatte er so fest zu Fäusten geballt, dass ihnen alle Farbe entwichen war; außerdem zitterte er sogar etwas vor mühsam unterdrücktem Zorn. Voller Groll zürnte er: „Thomson! Schon wieder dieser elende Bastard! Gott, wenn ich diesen Dreckskerl erwische, dann.....“ Hier brach er ab, fast schon atemlos vor rasender Wut – es gab wohl keine Strafe für Thomson, die er als gerecht empfunden hätte für das, was dieser unserem Winnetou angetan hatte. Ich konnte ihn so gut verstehen: Er kannte meinen Blutsbruder seit Jahren, seit dieser gerade erst dem Knabenalter entwachsen war; er war auch schon mit Intschu-tschuna befreundet gewesen und hatte uns immer deutlich spüren lassen, wie sehr er Winnetou liebte, ja, eigentlich fast schon verehrte. Auch Surehand wirkte absolut betroffen und nicht minder zornig, denn er empfand gegenüber Winnetou in der gleichen Weise, und auch er war völlig schockiert über dessen Anblick und das ganze schreckliche Ausmaß der Folter, die dieser hatte erdulden müssen. Als ich den Freunden dann auch noch schilderte – und das fiel mir im Nachhinein immer noch sehr, sehr schwer - mit was für einer unglaublichen Selbstbeherrschung Winnetou all diese Qualen über sich hatte ergehen lassen, ohne dass man ihm auch nur die geringste Regung anmerken konnte, da war es Surehand unmöglich zu verhindern, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. Absolut fassungslos beugte er sich zu unserem bewusstlosen Freund herunter, strich ihm über die Wangen und flüsterte mit belegter Stimme: „Wir werden dich rächen, mein Freund, und das schwöre ich dir, so wahr ich hier sitze! Dieses Schwein wird auf jeden Fall dafür büßen - jeden einzelnen Tritt, jeden einzelnen Messerstich wird er dir hundertfach bezahlen müssen! Wir erwischen den Bastard, und wenn es das letzte ist, was ich in meinem Leben tun werde!“ Dicke Tropfen liefen ihm bei diesen Worten über das Gesicht. Tief ergriffen verfolgten wir anderen diese anrührende Szene, und ich war mir sicher, dass nicht nur ich, sondern auch Firehand und Emery Surehands Schwur im Geiste wiederholten und wir nicht eher ruhen würden, als bis wir den brutalen Gangster gestellt und angemessen bestraft hatten. Es dauerte eine ganze Weile, bis die beiden Westmänner, vor allem aber Firehand, sich wieder vollständig in ihrer Gewalt hatten; dann aber wurde es höchste Zeit, unser weiteres Vorgehen zu besprechen. Da galt es vor allem herauszufinden, ob es den Feinden nicht doch gelungen war, Emery, Winnetou und mich bis hierher zu verfolgen. Denn sollte das der Fall sein, dann konnten wir ziemlich sicher sein, dass sich unter den Verfolgern auch Thomson befand, und das wäre natürlich durchaus in unserem Sinne gewesen. Wir wollten und wir mussten diesen Verbrecher unbedingt in unsere Hände bekommen, koste es, was es wolle! Sollte sich Thomson wirklich dazu entschlossen haben, Winnetous Gold, trotz der damit für ihn verbundenen Gefahr, wieder zurückzuerobern, dann stellte sich zudem die Frage, wie viele Personen ihm überhaupt für einen Rachefeldzug zur Verfügung standen. Waren es nur die zwanzig Kiowas, die uns gefangen gehalten hatten und die wir schließlich überwältigen konnten? Oder würde der Bastard auf den Hauptteil der Kiowas zurückgreifen, die am San-Juan-River lagerten? Würden ihm diese Krieger auch ohne ihren Häuptling Motawateh folgen? Wahrscheinlich ja, aber nicht unbedingt des Goldes wegen, sondern weil sie viel eher ihren Häuptling zu rächen gedachten. Und wie viele Kiowas befanden sich überhaupt zur Zeit an dem Fluss? Das alles mussten wir irgendwie erfahren, doch das würde nicht leicht werden, aus dem ganz einfachen Grund: Wir waren viel zu wenig Personen! Es bestand zunächst einmal die Gefahr, dass es den Feinden, trotz sorgfältigster Spurenvermeidung unsererseits, wirklich irgendwie gelungen war, uns bis hierher zu folgen. Die Festung selber würden sie dann zwar nicht so schnell entdecken, da der Eingang sehr gut verborgen lag und auch nicht einfach so durch Spurensuche zu finden war, denn das gesamte Bergmassiv war von einer steinernen, ebenen Felsplatte umgeben, auf der keinerlei Hufabdrücke oder Sonstiges zurückbleiben konnten. Zudem war der Eingang so schmal, dass man nur einzeln durch den Tunnel hindurch kommen konnte, darum waren zwei Mann mehr als ausreichend, um ihn zu bewachen – diese brauchten ja nur jeden Eindringling, der aus dem Tunnel heraustrat, niederzuschießen! Allerdings war es schon früher einmal einer großen Anzahl feindlicher Indianer völlig unvermutet gelungen, sich von den steilen Felswänden abzuseilen und die Festung samt Bewohner zu überfallen, da sie wider Erwarten den Berg und seine außergewöhnliche Beschaffenheit gekannt hatten. Daher durften wir diese Möglichkeit keinesfalls ausschließen, was hieß, dass wir auch in der unmittelbaren Umgebung der Festung Wachen aufstellen mussten. Die Pelzjägerschaft Old Firehands bestand aus genau zwanzig Männern, aber die reichten bei weitem nicht aus, um einerseits die Festung zu überwachen und im Ernstfall verteidigen zu können, sich andererseits aber auch auf die Suche nach Thomson zu machen, denn dazu würden wir weit mehr Westmänner benötigen. Wir mussten ja davon ausgehen, dass der Kerl mit mindestens fünfzig Kriegern auftauchen konnte, und daher waren die zwanzig Jäger allein schon für die Verteidigung des Versteckes notwendig. Woher aber sollten wir Unterstützung bekommen? Natürlich von Winnetous Apatschen, die sich mit den Goldsuchern und dem Doktor zur Zeit in Farmington befanden. Niemand wäre besser für derlei Erkundungsgänge geeignet als die so überaus fähigen Mescaleros. Sollten wir also warten, bis Sam Hawkens, der ja unterwegs war, um so schnell wie möglich den Doktor zu holen, wieder mit dem Rest der Gesellschaft hier auftauchte? Und wie lange würde das dauern? Wir hatten vor Sams Aufbruch kurz besprochen, dass er nicht nur mit Walter Hendrick die Festung aufsuchen, sondern natürlich auch die Apatschen und die Goldsucher mitführen sollte. Familie Butterfield war unserer Meinung nach hier mitsamt ihrem neuen Reichtum sowieso am sichersten aufgehoben, und zudem war ja ganz klar abzusehen, dass die Genesung Winnetous eine längere Zeit in Anspruch nehmen musste. So, wie ich seine treuen Apatschen einschätzte, würden diese, sobald sie von den schrecklichen Geschehnissen erfahren hatten, natürlich alles daran setzen, so schnell wie möglich an die Seite ihres geliebten Häuptlings zu eilen und dort auch so lange zu bleiben, bis er sich wieder sicher im Pueblo der Mescaleros befinden würde. Es wurde also beschlossen, erst einmal auf die Ankunft unserer Reisegruppe zu warten, wobei wir natürlich alle inständig hofften, dass es Sam Hawkens gelingen würde, sich unbehelligt bis Farmington durchzuschlagen. Selbst wenn er die Nacht durchreiten sollte – und ich war mir sicher, er würde das tun, alleine aus Sorge um das Leben Winnetous – würde er nicht eher als morgen Mittag die Stadt erreichen. Es hatte auch keinen Sinn, ihm ein oder zwei Männer nachzusenden, um ihn im Falle eines Angriffes zu unterstützen, denn es war kaum möglich, richtig einzuschätzen, wo genau der kleine Westmann sich zur Zeit befand. Von Farmington aus bis hierher hatte man nochmals mindestens acht Stunden zu reiten, so dass wir frühestens morgen Abend nach Einbruch der Dunkelheit mit dem Eintreffen der Gefährten rechnen konnten. Sollte das allerdings bis übermorgen früh nicht geschehen sein, so mussten wir davon ausgehen, dass Sam unterwegs etwas zugestoßen war. An einen derart ungünstigen Fall wollte ich aber lieber gar nicht denken, denn das hätte ja zu bedeuten, dass es noch einen weiteren Tag dauern würde, bis jemand von uns den Doktor herbringen konnte, und ich wollte mir ehrlich gesagt nicht so recht vorstellen, dass Winnetou so lange ohne ärztliche Hilfe durchhalten musste. Zudem würde uns die Sorge um den kauzigen Westmann ebenfalls das Leben sehr schwermachen, und wir würden natürlich nichts unversucht lassen, ihn zu finden und, wenn nötig, auch aus der größten Gefahr zu retten. Im Augenblick aber konnten wir nicht viel unternehmen. Das einzige, was wir aber auf alle Fälle zu tun gedachten, war, ein oder zwei Kundschafter hinauszuschicken, die mit äußerster Vorsicht die Umgebung der Festung ausspähen sollten, um die eventuelle Ankunft unserer Feinde so früh wie möglich zu entdecken. Und vielleicht ergab sich daraus auch die Gelegenheit, Thomson in unsere Hände zu bekommen, sollte er sich tatsächlich in unsere Nähe wagen! Liebend gern hätte ich mich sofort für diese Aufgabe bereit erklärt, denn die Ergreifung dieses Bastards, um ihn für das, was er Winnetou angetan hatte, endlich zur Rechenschaft ziehen zu können, lag mir wirklich sehr am Herzen. Aber noch wichtiger als das war mir natürlich Winnetou, und darum war ich auch fest entschlossen, ihm nicht eine Sekunde von der Seite zu weichen, solange er sich in dem so schlechten, eigentlich schon lebensgefährlichen Zustand befand. Emery allerdings war sofort Feuer und Flamme für dieses Vorhaben und wäre am liebsten in der nächsten Minute losgestürmt, aber unsere beiden Freunde bestanden vehement darauf, dass der Engländer und ich uns erst einmal gründlich erholten. Wir hatten während unserer Gefangenschaft ja auch den ein oder anderen Schlag oder Tritt erhalten, doch die waren wirklich überhaupt nicht erwähnenswert im Vergleich zu den Verletzungen des Apatschen. Aber wir hatten auch eine schlaflose Nacht hinter uns, genauso wie die fast vierundzwanzig Stunden währende, vor allem für die Seele qualvolle Gefangenschaft, und, nicht zu vergessen, eine recht strapaziöse Flucht. Somit setzten die beiden Gefährten nun alles daran, uns zum Ausruhen in einem der Gasträume zu bewegen, wobei sie bei mir allerdings mit ihrem Wunsch auf Granit bissen. Wie schon so oft in der Vergangenheit wehrte ich auch jetzt wieder eisern all diese Versuche ab, da ich meinen Winnetou auf keinen Fall auch nur eine Minute lang aus den Augen lassen wollte. Surehand und Firehand kannten diesen Wesenszug ja schon von mir aufgrund der Geschehnisse auf Helmers Home, trotzdem bemühten sie sich noch eine ganze Zeit lang, mich zu überreden, bevor sie schließlich aufgaben und mir eine Bettstatt direkt neben meinem Freund herrichteten. Ich sah darin zwar keine Notwendigkeit, da ich mir sicher war, sowieso vor Sorgen um ihn nicht schlafen zu können, doch ich wollte unsere Gastgeber keinesfalls vor den Kopf stoßen, sie meinten es ja nun mehr als gut mit mir. Nachdem wir uns alle noch einmal davon überzeugt hatten, dass im Augenblick von uns alles Menschenmögliche für Winnetou getan worden war und wir ohne ärztliche Hilfe einfach nicht mehr weiterkamen, verließen meine drei Gefährten, von denen Surehand nun den ersten Erkundungsgang übernehmen würde, den Raum. Ihnen war natürlich bewusst, dass ich mich wohl mittlerweile danach sehnte, mit meinem Blutsbruder alleine zu sein, gerade nach den furchtbaren Stunden der vergangenen Tage, also zogen sie sich taktvoll zurück, und ich war wirklich äußerst dankbar dafür. Gerade eben erfasste ein erneuter Fieberkrampf den Körper meines Freundes und schüttelte ihn förmlich durch, so dass ich sofort die gleiche Position einnahm wie schon damals, als er aufgrund seiner schweren Verletzungen tagelang mit dem Tod kämpfte. Auch jetzt entkleidete ich mich wieder halb, um ihn mit meinem Körper zu wärmen und ihn spüren zu lassen, dass ich bei ihm war, dass er in meinen Armen geschützt und geborgen ruhen konnte. Obwohl diese Situation alles andere als beruhigend und friedlich war, genoss ich es doch auch irgendwie, meinen Geliebten wieder in meinen Armen halten zu können, zumal ich aufgrund seiner zuversichtlichen Worte vom vergangenen Tag eigentlich sicher sein durfte, dass ich ihn nicht verlieren würde. Es war nun einmal seit vielen Tagen das erste Mal, dass ich ihn ganz für mich hatte, und allein seine Nähe und seine Wärme zu spüren, ließ mein Innerstes langsam etwas zur Ruhe kommen, trotz der angespannten Lage und meiner großen Sorgen um Winnetou. Ganz fest hielt ich ihn in meinen Armen, bemüht, sein heftiges Zittern irgendwie einzudämmen, atmete dabei seinen Duft ein, trotz des Fiebers ein immer noch überaus aromatischer Wildkräuter-Duft, welcher allein mir schon irgendwie ein Gefühl der Geborgenheit und des Heimkommens gab – Gott, wie liebte ich diesen Menschen! Aber was sollte, was konnte ich nur tun, um ihm zu helfen, sich wenigstens etwas besser zu fühlen? Ein weiterer Krampf durchschüttelte nun den Körper meines Freundes, und einmal mehr blieb mir nichts anderes übrig, als ihn fest an mich zu drücken und ihm immer wieder den Schweiß von Gesicht und Oberkörper zu wischen. Gerade dieses starke Schwitzen und der damit verbundene Flüssigkeitsverlust bereiteten mir mehr und mehr Sorgen, denn auch aufgrund des enormen Blutverlustes, bedingt durch die über Stunden anhaltenden Blutungen des vergangenen Tages, war sein Körper von einer gefährlichen Dehydration bedroht. Wie sehnte ich mich in diesen Momenten nach der Ankunft unseres Doktors! Walter Hendrick, der ja schon einmal durch die völlig neue Methode einer venösen Flüssigkeitszufuhr Winnetous Leben gerettet hatte, war meine einzige Hoffnung, um die tödliche Gefahr von ihm irgendwie noch abwenden zu können. Eine andere Wahl hatte ich im Augenblick auch gar nicht, denn mein Freund lag jetzt in tiefer Bewusstlosigkeit, wodurch sämtliche Versuche fehlschlugen, ihm auf die klassische Art und Weise immer und immer wieder etwas Wasser einzuflößen. Ich gab das auch schnell wieder auf, da es in seinem Zustand einfach zu gefährlich war. Es wurde eine harte, schlaflose Nacht. Der Zustand des Apatschen verschlechterte sich von Stunde zu Stunde immer noch ein wenig mehr, das Wundfieber wütete in ihm und er strahlte inzwischen eine Hitze aus, dass man glauben sollte, er müsse innerlich verbrennen. Mittlerweile war sein Körper dadurch so stark dehydriert, dass er sogar kaum mehr schwitzte. Seine Atmung war ganz flach, der Puls zeitweise fast nicht mehr zu spüren; dann wiederum raste sein Herz förmlich, und das in einem Tempo, dass ich eine lange Zeit in größter Angst verbrachte, weil ich befürchtete, es würde vor Überanstrengung irgendwann einfach stehenbleiben. Zwischendurch fühlte sich seine Haut mit einem Male eiskalt an, und ich bemühte mich in solchen Momenten nach Kräften, ihn so gut wie möglich wieder zu wärmen, indem ich ihn in einen großen Stapel von Grizzly-Fellen einpackte und mich zusätzlich mit meinem ganzen Körper an ihn schmiegte, auch um meinen geliebten Freund irgendwie vor dem furchtbaren Schüttelfrost zu schützen, zumindest so lange, bis er sich vor Hitze einmal mehr erneut aller Decken entledigte. Am schlimmsten aber waren die Fieberkrämpfe, die von Mal zu Mal quälender wurden. Dabei wurde er so dermaßen heftig von einem schnellen Zittern gepackt, dass auch ich mich dem nicht mehr erwehren konnte und mit ihm durchgeschüttelt wurde. Gegen Morgen begann Winnetou zu phantasieren. In völlig unzusammenhängenden Satzfetzen murmelte er vor sich hin, stöhnte zwischendurch laut auf, warf seinen Kopf hin und her oder bäumte sich mit einem Male hoch auf, um sich dann auf meinen sanften Druck hin völlig erschöpft in die Felle zurücksinken zu lassen. Dieses Verhalten wiederholte sich wieder und wieder, doch ebenso gab es während dieser schrecklichen Stunden auch Phasen, in denen er wie leblos in meinen Armen lag und ich mich des Öfteren voller Sorge erst einmal davon überzeugte, dass mein Freund auch tatsächlich überhaupt noch atmete. Es waren furchtbar anstrengende Stunden, die mich und mit Sicherheit erst recht meinen Blutsbruder immens forderten und uns kaum einen Moment der Ruhe ließen. Winnetous Fieberphantasien erstreckten sich allmählich über einen immer länger währenden Zeitraum, und es war offensichtlich, dass er währenddessen unter großen Ängsten litt. Ich weiß nicht, welche grausamen Bilder ihm das Fieber vorgaukelte, aber seinen leise vor sich hin gestammelten Worten, oftmals begleitet von einem gequält wirkenden Stöhnen, entnahm ich, dass es vor allem um die schlimmen Verluste ging, die er in seinem Leben schon verkraften musste, sei es durch den Tod seiner Eltern und seiner geliebten Schwester, genauso wie durch die Morde an seiner ersten großen Liebe, Ribanna, und seinem hochgeachteten weißen Lehrer, Klekih-petra, die ihn damals wirklich tief, tief getroffen hatten. Ich bemühte mich nach Kräften, meinen Freund zu beruhigen, wenn ihn solch ein Alp wieder einmal übermannte und er sich, regelrecht mit sich selbst kämpfend, auf seinem Lager hin und her warf. Meistens gelang mir das auch irgendwie, sobald ich ihn fest an mich drückte, so dass er mich ganz nahe bei sich spürte. Aufgrund seiner heftigen Bewegungen allerdings ließ es sich nicht vermeiden, dass einige der Stichwunden hin und wieder erneut zu bluten begannen, und ich hatte alle Mühe, diese schnellstmöglich nochmals zu verbinden, vor allem, weil er sich so oft im Fieberwahn aufbäumte oder teilweise sogar vollständig verkrampfte. Bedingt durch den großen Flüssigkeitsmangel war es aber unbedingt notwendig, jede auch noch so geringe Blutung zu verhindern oder zumindest sofort einzudämmen, denn schon jetzt war seine gesundheitliche Lage mehr als bedenklich. Ich verging in diesen Stunden vor Sorge und hatte mehr als einmal das Gefühl, dass die Zeit stehengeblieben sein musste, so unendlich lang kam mir jede einzelne Minute vor. Winnetous Zustand wechselte nun auch noch immer schneller von rastloser, gequälter Unruhe bis hin zu tiefer Bewusstlosigkeit, und gerade wenn die Letztere anhielt, musste ich mich fast pausenlos davon überzeugen, ob überhaupt noch ein Lebenszeichen vorhanden war, da sein Herzschlag und seine Atmung in diesen Momenten kaum mehr zu spüren waren. Zwischendurch versuchten Emery, Surehand und auch Old Firehand, der inzwischen von seinem Kundschaftergang zurückgekehrt war, mich so gut wie es ging zu unterstützen, doch das war fast nicht möglich, denn Winnetou reagierte auf die Anwesenheit und erst recht auf die Berührungen der Gefährten mit noch größerer Unruhe. Er war natürlich überhaupt nicht bei sich, trotzdem schien er genau zu spüren, wer sich ihm näherte, denn in meinen Armen wurde er meist sofort deutlich ruhiger. Nach zwei durchwachten Nächten und der strapaziösen Gefangenschaft war ich natürlich vollkommen übernächtigt und fühlte mich total ausgelaugt, aber die fortwährende Angst um meinen geliebten Blutsbruder bewirkte, dass ich zumindest zu diesem Zeitpunkt überhaupt nichts davon spürte, ebenso wenig wie Hunger oder Durst. Auch hier bemühten sich unsere Gastgeber nach Kräften um meine Bedürfnisse und drängten mich in immer kürzer werdenden Abständen, mich endlich einmal auszuruhen oder zumindest etwas zu essen, doch ich konnte mich gerade einmal zu einer Kleinigkeit zwingen. Und selbst davon ließ ich einen Teil stehen, da genau in dem Moment ein erneuter Anfall von Schüttelfrost meinen Freund erfasste und mich sofort wieder an seine Seite eilen ließ. Die Gesichter der drei Westmänner, die sich zur Zeit alle in dem Raum befanden, sprachen Bände, als sie Winnetous qualvolles Leiden beobachteten. Es war deutlich zu sehen, dass ihre Herzen gerade überquollen vor Mitleid mit ihm, sie sich aber gleichzeitig völlig hilflos fühlten, weil es nichts mehr gab, was sie noch für ihn hätten tun können. Old Firehand versuchte zwischendurch, mich und auch die anderen ein wenig abzulenken, indem er ausführlich über seinen intensiven Kundschaftergang berichtete, obwohl letztendlich nichts dabei herausgekommen war außer der Tatsache, dass im Augenblick wohl noch alles ruhig war. Da wir uns bereits in der Mittagszeit befanden und durch die Helligkeit eventuelle Spuren garantiert entdeckt worden wären, vor allem von diesem erfahrenen Westmann, durften wir uns im Moment wohl relativ sicher fühlen. Doch auch hier sehnte ich mich ein wenig nach der Ankunft der Apatschen, vor allem wegen Tsain-tonkee. Er war nun einmal unser Spähfuchs, und wenn es jemandem gelingen würde, Spuren zu entdecken, die vor ihm vielleicht schon fünf andere übersehen hatten, dann war das der frisch gekürte Unterhäuptling der Mescaleros! Außerdem ist ja allgemein bekannt, dass viele Augen mehr sehen als nur zwei, und vorher konnte ich mich nicht vollkommen sicher fühlen. An Winnetous Zustand änderte sich auch fast den ganzen restlichen Tag über nichts, er wurde eher noch schlechter, sofern das überhaupt noch möglich war. Sein Körper glühte weiterhin vor Fieber, seine Krämpfe wurden noch heftiger und ließen ihn in immer schneller werdenden Abständen erzittern, die gefährliche Dehydration schritt weiter voran und sorgte somit dafür, dass der Apatsche schwächer und schwächer wurde. Dadurch verminderten sich langsam auch die schrecklichen Albträume, zumindest hoffte ich das, da er kaum mehr sprach und auch das plötzliche Aufbäumen und die hilflose Unruhe mehr und mehr nachließen. Aber offenbar war mein Freund einfach nur zu sehr geschwächt, um weiterhin derart heftige körperliche Reaktionen zeigen zu können, doch das hieß nicht, dass ihn diese grässlichen Phantasien nicht doch noch heimsuchten. Das dem tatsächlich so war, zeigte sich mir, als mein Geliebter mit einem Mal meinen Namen flüsterte, und das sogar mehrmals hintereinander. Sofort zog ich ihn wieder fest in meine Arme, streichelte ihm das Gesicht, über seine Stirn, die Wangen, und konnte wieder einmal nicht fassen, welch unnatürliche Hitze immer noch von ihm ausging. Winnetou hielt seine Augen geschlossen, rief mich aber weiterhin beim Namen, wobei seine Stimme nun drängender klang, fast schon gehetzt; auch seine Atmung ging jetzt heftiger. „Winnetou! Ich bin doch hier, so sieh mich doch an!“, versuchte ich, ihn irgendwie zu beruhigen, doch ohne Erfolg. „Scharlih! Bitte....Scharlih....nicht....“ flüsterte er jetzt gequält; vor Schwäche konnte er nicht mehr lauter sprechen. War er etwa gar nicht wach? Quälten ihn wieder die unsichtbaren Geister, die das Fieber mit sich brachte? Ich war erschrocken über die deutlich herauszuhörende Angst, die in seiner Stimme mitschwang, und bemühte mich schnell ein weiteres Mal, ihn dazu zu bringen, die Augen zu öffnen, so dass er mich endlich sehen konnte. Aber auch diese Versuche schlugen fehl, und ich war nun sicher, dass er noch einmal von furchtbaren Traumbildern geplagt wurde. Einen Augenblick später rief er wieder leise: „Scharlih....bitte....geh nicht....ich kann doch nicht....Mein Bruder....Winnetou liebt dich doch....“ Bei diesen Worten versuchte er sogar noch, halb mit dem Oberkörper hochzukommen, doch sofort drückte ich ihn wieder zurück auf sein Lager, wohlwissend, dass gerade jetzt, in seinem hochgradig geschwächten Zustand, jede noch so kleine Anstrengung sein Todesurteil bedeuten könnte. Aber sein Flehen, seine fast schon greifbare Angst hatten mich zutiefst schockiert. Was sollte ich nur tun? Noch einmal kam es von ihm: „Scharlih! Nicht! Geh nicht .... geh nicht, bitte! Wie soll ... Winnetou denn nur ... ohne ... Scharlih ... bitte ... lass mich doch nicht ...“ Als jetzt auch noch ein heiseres Schluchzen seine Worte begleitete und ihm nun sogar die Tränen in die Augen stiegen, war ich absolut fassungslos. Was um Himmels Willen quälte ihn denn so? Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Hatte mein Freund schon vorher von seinen furchtbaren Verlusten phantasiert, die ihm im Laufe seines noch so jungen Lebens widerfahren waren, so konnte es sich hier doch nur um seine seelische Verfassung handeln, in der er sich jedes Mal bei unseren Abschieden oder während unserer langen Trennungen in den vergangenen Jahren befunden haben musste. Das Fieber erlaubte mir jetzt einen tiefen Einblick in sein Seelenleben, Einblicke, die er mir in all den Jahren verwehrt hatte, um mich nicht zu beunruhigen und meinen Lebensweg nicht durch seine Gefühle zu beeinflussen. Oh Winnetou! Was musste mein Freund in früheren Zeiten gelitten haben wegen mir und meinem Egoismus! Wie schämte ich mich jetzt für meine Selbstherrlichkeit und meine Gedankenlosigkeit! Wie furchtbar elend und verlassen musste er sich, gerade in kriegerischen Zeiten, gefühlt haben – wegen mir, ausgerechnet wegen mir, der ich immer geglaubt hatte, die Gerechtigkeit in Person zu sein und gerade an meinen Freunden immer selbstlos und richtig gehandelt zu haben! Ich kann gar nicht mehr sagen, wie schrecklich, wie furchtbar ich mich in diesen Minuten – oder waren es Stunden? - gefühlt hatte, als mein geliebter Freund mir durch seine Fieberphantasien seine seelische Not offenbarte. Es waren wirklich tiefschwarze Stunden für mich, denn ich konnte nicht mehr tun als ihn festzuhalten und seinen Qualen, den körperlichen wie den seelischen, hilflos zuzusehen. Das alles nahm ihn natürlich noch zusätzlich schrecklich mit – er brachte bald auch nur noch ein heiseres Krächzen heraus, flüsterte trotzdem und unter Tränen wieder und wieder meinen Namen und wurde schließlich von einem verzweifelten Schluchzen nur so geschüttelt, als ihm das Fieber wohl meinen endgültigen Abschied, ja, vielleicht sogar meinen Tod vorgaukelte! Mittlerweile liefen auch mir die Tränen nur so über das Gesicht, und allmählich verlor ich sogar den Glauben daran, dass Winnetou diese Strapazen ohne weiteres überleben würde. Bis zum Abend waren es noch ein paar Stunden hin – wie um alles in der Welt sollte sein geschwächter Körper nur so lange durchhalten können? Im Augenblick befand ich mich mit dem Kranken ganz alleine im Raum, und das war vielleicht auch gut so, denn mit einem Male wurde ich von einer derart hilflosen Verzweiflung überwältigt, dass ich mich ihr überhaupt nicht mehr erwehren konnte und ich mich heftig aufschluchzend mit dem Kopf auf Winnetous Oberkörper sinken ließ, wo ich meinen Gefühlen einfach nur noch freien Lauf ließ. In diesem Zustand fanden mich dann letztendlich die Gefährten, in deren Gesellschaft sich zu meiner großen Überraschung – und bei seinem Anblick fuhr ich wie von der Tarantel gestochen in die Höhe – der Doktor, unser guter Doktor Walter Hendrick befand! Er hatte es doch viel schneller als erwartet bis hierher geschafft! Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich, und als ich mich erhob und ihm entgegenging, hatte ich tatsächlich weiche Knie, auch meine Hände zitterten merklich bei unserer Begrüßung. Walters Gesichtsausdruck war schon bei seinem Eintritt mehr als ernst gewesen, und als er jetzt einen ersten Blick auf meinen Blutsbruder warf, verwandelte sich dieser in schiere Fassungslosigkeit. Wortlos stellte er seine Tasche ab und begann dann in aller Eile mit einer ersten Untersuchung, deren Ergebnis das Erschrecken in seinen Augen nur noch vergrößerte. Hastig kramte er in seiner Tasche, holte einige Utensilien hervor und begann, so schnell es ging, eine Infusion zu legen. Anschließend besah er sich jede einzelne Wunde ganz genau, behandelte und verband sie dann, und mit jeder versorgten Verletzung wuchs die Zornesfalte auf seiner Stirn ein klein wenig mehr. Stumm saß ich daneben und hielt die Linke meines geliebten Freundes mit beiden Händen an meine Brust gedrückt. Ich war so dermaßen froh und glücklich über die Tatsache, dass die Last der Verantwortung endlich von meinen Schultern genommen und in Walters kompetente Hände gelegt worden war – mir war richtiggehend leicht ums Herz, und auch die Hoffnung auf Winnetous Überleben hatte wieder mit einem Schlag Einzug in mein Innerstes gehalten. Doch natürlich war ich mir darüber bewusst, dass die Rettung meines Freundes keinesfalls eine Selbstverständlichkeit war, dafür ging es ihm einfach zu schlecht, und der Doktor konnte schließlich auch keine Wunder vollbringen. Wir hatten überhaupt großes Glück, dass er schon jetzt, am frühen Abend, eingetroffen war und mir war klar, dass er sich und seinem Pferd einfach alles abverlangt haben musste, um so schnell wie möglich helfen zu können. Auch die Gefährten sprachen ihn auf diese Tatsache an, doch der Arzt winkte beinahe unwirsch ab, da er in seiner Konzentration nicht gestört werden wollte, und meinte nur knapp, er würde uns alles andere später erzählen. Daher beobachtete ich weiterhin stillschweigend, wie Hendrick mit äußerster Sorgfalt eine Verletzung nach der anderen versorgte und verband, Winnetou anschließend nochmals untersuchte und ihm letztendlich einige Medikamente verabreichte, bevor er sich mit grollender Stimme an mich wandte – es war deutlich zu spüren, dass er nur mühsam seine rasende Wut im Zaum halten konnte. „Kann man euch beide eigentlich noch nicht einmal für wenige Tage alleine lassen, Himmel Herrgott noch mal?“, donnerte er urplötzlich los, im höchsten Grade zornig, so dass die anderen Anwesenden tatsächlich erschreckt zurückzuckten. „Da verabschiedet man sich von euch bei bester Gesundheit und verlässt sich auf euer Versprechen, dass ihr auf euch aufpasst – nur um euch, oder vielmehr vor allem Winnetou, kurze Zeit später in einem derart katastrophalen Zustand vorzufinden! Das kann doch alles einfach nicht wahr sein!“ Genau wie Old Firehand viele Stunden zuvor hieb nun auch Walter, dessen Stimme gegen Ende seine Rede immer lauter geworden war, seine Faust mit voller Wucht auf den nächstbesten Gegenstand, in diesem Fall ein kleiner Beistell-Tisch, auf dem sich einige Utensilien zur Versorgung des Verletzten befanden, die jetzt natürlich alle herunterfielen und in verschiedene Richtungen davon kollerten. Wütend vor sich hin grummelnd, hob der Doktor ein Teil nach dem anderen wieder auf, und ich half ihm dabei. Ich kannte ihn ja genau und wusste, dass er es keinesfalls so meinte – er suchte einfach nur ein Ventil für seine Ängste und Sorgen um Winnetou, den er im Laufe des letzten Jahres sehr lieb gewonnen hatte, und er wusste sich nicht anders zu helfen, als seinem Herzen auf diese Weise etwas Luft zu machen. Außerdem hatte er dem Apatschen schon zweimal, teilweise in letzter Sekunde, das Leben gerettet und dafür all seine ärztliche Kunst aufbieten müssen, und nun war er gezwungen, ein weiteres Mal mit anzusehen, wie dieser wieder einmal um sein Leben kämpfte, wobei niemand voraussagen konnte, ob er es auch dieses Mal schaffen würde – es wurde jetzt auch für unseren Doktor im Moment einfach alles etwas zu viel. Einige Augenblicke später jedoch hatte Hendrick sich wieder einigermaßen in seiner Gewalt, und nun sah er mich zum ersten Mal genauer an. „Dich hat der Mistkerl aber auch nicht gerade verschont, richtig?“ Er deutete dabei auf meinen Mundwinkel, den eine schon verkrustete Platzwunde zierte, aufgrund des Faustschlags, den ich von Motawateh während einem seiner Wutanfälle erhalten hatte. „Bist du noch anderweitig verletzt?“, fragte der Doktor weiter. Gerade wollte ich verneinen, da berichtete Emery ihm auch schon von dem heftigen Fußtritt in die Seite, der auch auf Motawatehs Konto ging, sowie der Beule an meinem Hinterkopf, die ich mir eingefangen hatte, als der Kiowa-Häuptling mich mit voller Wucht hin und her geschüttelt hatte, so dass ich mit dem Hinterkopf äußerst unsanft Bekanntschaft mit dem Holzpfahl machen musste, an dem ich gefesselt gewesen war. Ich warf dem Engländer einen gespielt grimmigen Blick zu, revanchierte mich aber sofort, indem ich Walter nun auch von den Faust- und Ellenbogenschlägen erzählte, die erst Emery und dann auch Sam von den Kiowas erhalten hatten. Natürlich bestand unser Doktor jetzt mit großer Vehemenz darauf, dass wir ihn diese geringfügigen Blessuren ebenfalls behandeln ließen. Wir wehrten uns auch lieber nicht dagegen, da er sich sowieso schon in einer äußerst aufgebrachten Stimmung befand, aber im Gegenzug wollte ich natürlich jetzt ganz genau wissen, wie es meinem geliebten Freund ging und wie Hendrick nun Winnetous Zustand beurteilte. Walter betastete gerade die wirklich prächtige Beule an meinem Hinterkopf, als ich ihn zu der gewünschten Auskunft drängte. Einen Augenblick lang schwieg er, seufzte dann kurz auf und begann: „Es ist eigentlich fast genauso wie beim letzten Mal. Wenn unser Freund hier nicht eine so überaus hervorragende körperliche Konstitution besitzen würde, wäre sein Leben wirklich keinen Pfifferling mehr wert gewesen.“ Er unterbrach sich und warf Winnetou einen langen Blick zu. „Sollte es gelingen, seinen Flüssigkeitsverlust wieder auszugleichen, wäre zumindest die größte Gefahr gebannt, und da sind die Infusionen natürlich wieder eine große Hilfe. Am meisten Sorge aber bereitet mir das hohe Fieber und das durch den Blutverlust und vor allem durch die Folter geschwächte Herz. Beides zusammen ist überhaupt keine gute Kombination, wie wir ja schon einmal leidvoll erfahren mussten. Zum Glück konnte ich einige wirkungsvolle Medikamente in Farmington erstehen, die mich hoffen lassen, dass er mit ihrer Hilfe diese Krise irgendwie überwinden wird.“ Er atmete jetzt tief durch und fuhr dann fort: „An beiden Seiten seines Brustkorbes, vor allem aber an der linken, sind schwerste Prellungen vorhanden, und mindestens eine Rippe ist linksseitig angeknackst, vielleicht aber auch gebrochen. Erst wenn die Schwellungen etwas zurückgegangen sind, kann ich dann auch genau sehen, ob nicht noch mehrere Rippen in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Diese Prellungen und Rippenverletzungen werden noch lange für ziemlich starke Schmerzen sorgen, und das bedeutet für die nächsten Wochen: Schonung, Schonung und nochmals Schonung!“ Jetzt legte der Doktor mir seine Hand einfühlsam auf meinen Arm und fragte, dieses Mal mit ganz sanfter Stimme: „Hat er seit seiner Ankunft hier nochmal mit dir sprechen können? Ich weiß von Sam, dass Winnetou mehrere Male bei Bewusstsein war und dann jedes Mal auch alle Sinne beisammen hatte, was man bei dem hohen Fieber schon fast ein Wunder nennen muss. Hat sich seitdem daran etwas geändert?“ Ich zögerte ein wenig mit der Antwort, denn allein die Erinnerung an Winnetous seelische Qualen während seiner Fieberphantasien ließen wieder meine Tränen hinter den Augenlidern brennen. Ich schluckte ein, zwei Male, räusperte mich und antwortete dann mit fester Stimme: „Nein, er ist nicht mehr zu sich gekommen. Er hat unter furchtbaren Fieberkrämpfen gelitten und dabei oftmals phantasiert, und... und das hat ihn alles noch zusätzlich fürchterlich mitgenommen...“ Hier brach ich ab, denn das Mitleid mit meinem Freund drohte mich wieder zu überwältigen. Walter sah mir wohl an, dass mich die Geschehnisse der vergangenen Stunden sehr bedrückten, denn jetzt legte er mir freundschaftlich den Arm um die Schulter und versuchte, mir Mut zuzusprechen: „Charley – dein Freund ist so unendlich stark! Und er ist das vor allem deshalb, weil er dich an seiner Seite weiß, und wenn es auch nur im Unterbewusstsein ist! Er wird niemals aufgeben, eben weil es dich gibt und er für dich alles tun würde! Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass er genau gespürt hat, dass du bei ihm warst, und vielleicht hat er dir auch deshalb im Fieberwahn seine Seele öffnen können. Und wenn er dir sogar fest versprochen hat, zu überleben, dann wird dem auch so sein, glaube mir!“ Einen Augenblick lang schwieg er und drückte mich währenddessen noch fester an sich, ich aber hatte einen solchen Kloß im Hals, dass ich überhaupt nichts erwidern konnte. Dann fuhr Walter fort: „Ohne Hilfe schafft er es natürlich nicht, aber du weißt ja, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit er so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommt. Und allein die Tatsache, dass du bei ihm bist, lässt ihn alle Schmerzen vergessen und hilft ihm, wieder gesund zu werden.“ Er nickte, als ob er seine Worte selbst noch einmal bestätigen wollte, und dann wurde sein Ton wieder etwas geschäftsmäßiger, als er fragte: „Bist du der Meinung, dass er während seiner Krämpfe oder auch sonst unter starken Schmerzen gelitten hat?“ Einen Moment lang überlegte ich, meinte aber dann: „Ich glaube nicht. Es waren eher das Fieber und die Seelenqual, unter der er zu leiden hatte, zumindest seit unserer Ankunft hier. Vorher – ja vorher muss es schlimm für ihn gewesen sein, obwohl er es sich kaum hat anmerken lassen.“ Ich sah jetzt auch zu meinem geliebten Freund hinunter, der nun wieder in tiefer Bewusstlosigkeit lag, und fragte Hendrick dann leise: „Glaubst du, dass er im Augenblick noch etwas davon spürt?“ Walter legte mir sofort wieder die Hand auf meine Schulter und antwortete schnell: „Ganz bestimmt nicht, Charley! Du siehst ja, wie ruhig er jetzt schläft, zumal ich ihm auch noch einiges an Schmerzmitteln verabreicht habe. Und das werde ich auch weiterhin tun, zumindest solange, bis die Wunden vernarbt sind, da kann er später auch sagen, was er will!“ Der energische Tonfall, der in Walters letzten Worten mitschwang, ließ mich jetzt doch leise lächeln. Dieses Thema war schon des Öfteren Gegenstand kleinerer, aber sehr harmloser Meinungsverschiedenheiten der beiden gewesen. Gleichzeitig wusste ich doch, dass er Winnetou, wenn möglich, immer alle Wünsche von den Augen ablas – aber umgekehrt war das genauso! Nun, es würde sich ja zeigen, wer von den beiden sich in dieser Hinsicht dann durchsetzen würde.... Urplötzlich spürte ich nun mit aller Macht, wie mich Müdigkeit und völlige Erschöpfung überfielen. Das war auch nicht weiter verwunderlich, da ich in den letzten Tagen und Nächten fast nicht geschlafen hatte. Ich hätte mich dem wohl auch nicht mehr weiter erwehren können, selbst wenn der Doktor jetzt nicht riguros darauf bestanden hätte, dass ich mich endlich einmal zur Ruhe legte. Da ich meinen Winnetou ja nun in guten Händen wusste, gab ich meinem Verlangen deshalb auch gerne nach. Um nichts in der Welt hätte ich mich aber davon abbringen lassen, mich zumindest ganz nah bei meinem Freund zur Ruhe zu legen, und Hendrick befürwortete das auch. Er war weiterhin davon überzeugt, dass meine Nähe und Wärme dem Apatschen nur gut tun konnten und ihm bei seiner Genesung eine große Hilfe sein würden. Mir fielen jetzt fast schon die Augen zu, und daher verzichtete ich auf alle Speisen, die mir von unseren Gastgebern mehr oder weniger aufgedrängt wurden, zumal ich sowieso keinen Hunger verspürte. Der Doktor bestand jetzt auch darauf, dass die Anwesenden den Raum verließen, da vor allem Winnetou strikte Ruhe brauchte, und natürlich folgten die Freunde auch sofort seiner Aufforderung. Schnell entkleidete ich mich und kroch zu meinem Blutsbruder unter die Decken. Forschend warf ich nochmal einen Blick in sein Gesicht, aber dieses erschien mir - zum ersten Mal seit Tagen - völlig entspannt und friedlich, so dass ich sicher war, dass es ihm im Augenblick nicht so schlecht gehen konnte. Beruhigt kuschelte ich mich in die Felle und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen. Als ich erwachte, war es heller Tag, zumindest sagten mir das die Sonnenstrahlen, die vorwitzig durch die halb zurückgezogenen Felle lugten, die vor dem Eingang angebracht waren. Ich konnte dennoch nicht sagen, wie spät oder was für ein Tag es überhaupt war, hatte aber das Gefühl, dass ich sehr, sehr lange geschlafen haben musste. Ich fühlte mich so wohl wie lange nicht mehr, höchst erquickt und mehr als ausgeschlafen, so dass ich fast der Meinung war, Bäume ausreißen zu können. Dann aber fielen mir die letzten Ereignisse wieder ein, und sofort durchfuhr mich ein heißer Schreck. Winnetou! Lebte er? Wie ging es ihm wohl? Ruckartig drehte ich meinen Kopf zur Seite – und blickte in die weit geöffneten, samtig schimmernden Augen meines besten Freundes, der mich leise lächelnd ansah. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)