Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 19: Lauschangriff (zwei Tage zuvor) --------------------------------------------- Zwei Tage zuvor: Mein Freund hatte sich unbemerkt bis an die Baumgruppe heranschleichen können und dort tatsächlich zwei Kiowa-Krieger erblickt, die deutlich als Kundschafter zu erkennen waren und unter den Bäumen offenbar für längere Zeit rasten wollten. Winnetou gelang es, sich den beiden so weit zu nähern, dass er jedes Wort, das sie sprachen, erlauschen konnte, und dieses Gespräch war äußerst wichtig für uns. Die beiden Späher redeten nämlich die ganze Zeit über von nichts anderem als von einem geplanten Überfall auf unsere Gesellschaft! Über den dafür geeignetsten Zeitpunkt waren sich der Häuptling dieser Männer und seine Ratsversammlung aber noch nicht ganz einig geworden, weshalb man die beiden Kundschafter losgeschickt hatte, um uns zu belauschen und daraus die beste Möglichkeit für einen Überfall abzuleiten. Offenbar wussten die Indianer, woher auch immer, dass wir auf Goldsuche waren und wollten solange warten, bis wir diesen Fundort aufgesucht hatten und sie uns dort ausrauben, abschlachten und anschließend die Bonanza leeren konnten. Sollte sich diese Möglichkeit durch irgendwelche Umstände doch nicht ergeben, wollten die Rothäute solange warten, bis wir von dem Goldversteck zurückgekehrt waren, um uns dann irgendwie in eine Falle zu locken. Dass die Kiowas von dem Gold wussten, war an sich schon verwunderlich genug, aber noch erstaunter waren wir, als Winnetou erzählte, dass wir sogar offensichtlich von ihnen schon belauscht worden waren! Fast wäre mir daraufhin ein „Uff!“ herausgerutscht, und ich sah meinen Freund voller Erstaunen an. „Ist das möglich? Wann soll das denn nur geschehen sein, mein Bruder?“, fragte ich ihn. „Winnetou denkt, dass die Kiowas gestern Nachmittag die beste Gelegenheit dazu gehabt hatten,“ antwortete er nachdenklich. „Wir alle waren durch die Büffel und die Ankunft Sam Hawkens abgelenkt worden und hatten erst viel später unsere direkte Umgebung auskundschaftet. Vielleicht hat der Lärm der Bison-Jagd die roten Männer angelockt, und zudem waren wir danach sehr unaufmerksam gewesen – unser vorläufiger Lagerplatz war noch nicht gesichert, und trotzdem waren die Gespräche teils in größter Lautstärke geführt worden!“ Ich dachte bei seinen Worten an das Geschrei der Butterfields, das sie erhoben hatten, nachdem Winnetou ihnen den Vorschlag gemacht hatte, seine eigene Bonanza zur Verfügung zu stellen, und nickte ihm zu. „Mein Bruder hat recht – und hatten wir nicht gerade gestern zu dieser Zeit vornehmlich von den Goldfunden gesprochen? Und vor allem, wann wir das Finding Hole erreichen würden?“ Ich stockte kurz, überdachte in aller Eile den Inhalt unserer gestrigen Gespräche und frage dann meinen Freund hastig: „Hatten wir dabei etwa auch den genauen Fundort des Goldes erwähnt?“ Der Apatsche schüttelte den Kopf, als er entgegnete: „Nein, Scharlih – Winnetou hat darüber auch schon nachgedacht, und er ist sich sicher, dass zwar von dem Gold gesprochen wurde, aber der Ship Rock nicht erwähnt wurde. Winnetou hat nur den Zeitpunkt laut gesagt, an dem wir am Fundort eintreffen werden.“ Einigermaßen beruhigt dachte ich weiter über die Bedeutung des Gehörten nach, als mein Freund meine Gedankengänge unterbrach, denn er hatte noch mehr erlauschen können. „Die beiden Krieger der Kiowas haben vor, unser Lager heute Abend noch einmal auszuspähen. Sie warten da oben bei den Bäumen, weil sie genau wissen, dass wir im Laufe des Tages durch dieses Tal kommen und wahrscheinlich auch hier in der Nähe die Nacht verbringen werden. Sie erhoffen sich dadurch, Genaueres über unseren weiteren Weg zu erfahren, damit sie einen vorteilhaften Ort finden können, an dem wir ihnen in die Falle gehen sollen.“ Ich war fast sprachlos. Nur langsam wurde mir klar, welch unglaubliches Glück wir gehabt hatten, dass Winnetou den Indsmen auf die Schliche gekommen war! Wir hätten später vielleicht diesen für uns dann völlig überraschenden Überfall abwehren können, aber ob das ohne Verlust von Leib und Leben vonstatten gegangen wäre, wagte ich zu bezweifeln. Eine Sache wollte mir nicht richtig in den Kopf, und deshalb fragte ich meinen Freund: „Wir hatten doch nach unseren gestrigen Gesprächen im Tal der Büffel Späher ausgeschickt, von denen wir wissen, dass sie die Umgebung unseres Lagerplatzes mit nun wahrlich äußerster Gründlichkeit abgesucht haben. Wieso haben die keine Spuren der Kiowas gefunden?“ Der Apatsche entgegnete daraufhin: „Winnetou kann das auch nicht sicher beantworten, mein Bruder, aber der Boden rund um unser Lager war von vielen felsigen Stellen bedeckt, und ein guter Späher konnte das sehr wohl zu unseren Ungunsten ausnutzen!“ Ich nickte und versank dann in nachdenkliches Schweigen. Unsere Lage konnte man nun wirklich nicht gerade als günstig bezeichnen. Man hatte uns belauscht, man kannte unser Vorhaben, teils sogar unseren Reiseweg, somit hatten wir kaum eine Möglichkeit, einem Überfall auszuweichen und den Indianern durch eine List zu entkommen, zumindest nicht mit diesen Greenhorns im Schlepptau. Wir wussten zwar jetzt, dass man uns noch einmal belauschen wollte, und somit hatten wir die Möglichkeit, diese Kundschafter aufzuspüren und gefangenzunehmen, aber was dann? Was würde uns das nützen, außer dass dem Haupttrupp der Kiowas sofort klar werden würde, dass wir ihre Absicht erkannt hatten? Sie würden uns trotzdem überfallen, und zwar bei der erstbesten Gelegenheit, die sich ihnen bieten würde. Nur warum? Warum waren wir ihnen so wichtig? Lag es am Gold? Das konnte ich mir eigentlich nicht richtig vorstellen, kannte ich doch die Haltung der Apatschen, die sich aus Gold nun mal so gar nichts machten, und ich hatte bisher angenommen, dass die anderen roten Völker genauso dachten. Deshalb fragte ich auch sofort Winnetou nach seiner Meinung. Er antwortete: „Auch ich habe mich über den Goldhunger der Kiowas gewundert, ich kenne den Grund aber ebenso wenig. Von meinem Vater weiß ich, dass einige Kiowa-Häuptlinge, unter anderem Tangua, genauso wie die Häuptlinge der Apatschen Kenntnisse über einige Goldadern haben, aber es sind längst nicht alle.“ „Kennt mein Bruder den Stamm, dem die beiden Kundschafter angehören?“, wollte ich jetzt wissen. „Nein“, entgegnete er. „zumindest bin ich mir nicht sicher, da sie keine Stammesabzeichen an sich tragen. Aber da wir uns hier an der Grenze zu dem Gebiet der Apsarokee-Kiowas befinden, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass es sich dabei um einen anderen Stamm handeln könnte. Ob die Apsarokees aber Besitzer von Gold oder Silber sind, kann Winnetou nicht sagen!“ „Aber auch wenn sie es nicht wären, ist das doch eigentlich kein Grund, das Leben ihrer Krieger zu riskieren, um uns das Gold zu rauben!“, warf ich ein. „Aus eigenem Antrieb heraus wahrscheinlich nicht“, meinte mein Freund nachdenklich. „Aber wer weiß, vielleicht sind sie von außerhalb beeinflusst worden? Doch es ist nicht nötig, dass wir uns darüber jetzt den Kopf zerbrechen. Viel wichtiger ist die Überlegung, wie wir nun weiter vorgehen sollen.“ „Natürlich, Winnetou hat recht!“, brachte sich jetzt Emery ein. „Ich bin der Meinung, dass wir erst einmal schnellstens zu unseren Freunden zurückkehren und uns bis dahin überlegen, was wir tun werden. Auf keinen Fall dürfen wir die Kundschafter merken lassen, dass Winnetou sie entdeckt und sogar schon belauscht hat, deshalb ist es wichtig, dass wir uns mit den Gefährten weiter so durch das Tal bewegen, als wenn wir völlig unwissend wären!“ Da mussten wir dem Engländer unbedingt recht geben, und so machten wir uns auf den Rückweg zu unserer Reisegruppe, dabei natürlich stets darauf bedacht, dass wir nicht noch im letzten Augenblick von den feindlichen Spähern bemerkt wurden. Als wir dann endgültig außer Sichtweite waren, ritten wir das letzte Stück durch das Tal nebeneinander her und berieten uns dabei. Allen war klar, dass wir irgendeine List würden anwenden müssen, um der Gefahr zu entgehen, und Sam Hawkens war es dann, der den vorerst vielleicht rettenden Gedanken hatte: „Mesch'schurs, ich bin der Meinung, dass wir eine wirklich sehr gastfreundliche Gesellschaft sind und deshalb unseren heute zu erwartenden Besuch auch dementsprechend behandeln sollten, wenn ich mich nicht irre!“ „Ah, Ihr meint, dass wir sie doch gefangen nehmen sollten, lieber Sam?“ fragte ich ihn. „Nein, nein!“ wehrte er lachend ab. „So ein Unfug kann auch nur von einem Greenhorn kommen, hihihi! Nein, im Gegenteil, ich denke, es wäre doch unhöflich von uns, wenn wir den Herrschaften nicht das geben sollten, was sie sich von uns erhoffen!“ Emery und ich sahen uns auf die Worte des kleinen Mannes hin etwas ratlos an, aber Winnetou glaubte zu wissen, worauf der kauzige Westmann hinaus wollte: „Mein weißer Bruder meint, dass wir die Kiowas lauschen lassen sollen? Damit sie das hören, was sie unserer Meinung nach hören sollen?“ „Da, hört Ihr das, verehrtes Greenhorn?“, versuchte Sam mich sofort wieder zu necken. „Nehmt Euch doch mal ein Beispiel an unserem roten Gentleman hier, da könnt Ihr noch was lernen, wenn ich mich nicht irre! Genau so meinte ich es; und wir gewinnen somit auch noch Zeit, uns bis heute Abend zu überlegen, welche Geschichte unsere unsichtbaren Gäste dann zu hören bekommen werden!“ „Das ist richtig brillant, mein Freund, das muss man Euch lassen!“ freute sich Emery über Sam's wirklich guten Einfall. Auch ich lobte meinen früheren Lehrmeister ausgiebig, woraufhin er über das ganze Gesicht strahlte, doch so richtig stolz war er wohl vor allem über den anerkennenden Gesichtsausdruck des Apatschen, der zwar nichts sagte, seine Augen aber dafür um so mehr sprechen ließ. Nun beeilten wir uns noch ein wenig mehr und kamen bald darauf beim Versteck unserer Gefährten an. Schnell informierten wir die Apatschen und den Doktor über die unerwartete Wendung, die die letzte Stunde genommen hatte, während Emery zur gleichen Zeit den Butterfields irgendeine harmlose Geschichte auftischte und somit dafür sorgte, dass die Jünglinge sich nicht ängstigten und sich deshalb auch weiterhin so unauffällig wie immer benahmen. Kurz darauf wurde wieder aufgesessen, denn wir wollten uns den feindlichen Spähern so schnell wie möglich zeigen, bevor diese noch Verdacht schöpften. Winnetou schickte jetzt Tsain-tonkee als Kundschafter voraus, der allerdings nur die unmittelbare Gegend vor uns zum Schein ausloten sollte. Mein Freund war sich sicher, dass es den Kiowas sonst auffallen würde, wenn wir diese in der hiesigen Gegend übliche und auch wichtige Vorsichtsmaßnahme ausfallen lassen würden. Gleichzeitig sollte der Apatsche auch nach einem geeigneten Nachtlager Ausschau halten, welches aber so günstig liegen musste, dass die Rothäute glauben würden, wir hätten es so gewählt, damit eventuelle Feinde nur schwer an uns herankommen konnten, in Wirklichkeit aber ein Auskundschaften für sie gut möglich war. Außerdem war es wichtig, dass wir die feindlichen Späher gleichzeitig selber, ohne die Gefahr ein Entdeckung, beobachten konnten, denn wir mussten ja wissen, wann diese kamen und auch wieder gingen. Wieder ritten Emery, Sam, Winnetou und ich nebeneinander her und berieten uns dabei über unser weiteres Vorgehen. Was sollten wir den Kiowas nur für eine Geschichte auftischen? Meine Gedanken kreisten unentwegt um diese Frage herum, und einen davon äußerte ich nun auch vor den Freunden: „Es wäre vielleicht von Vorteil, wenn wir einem Überfall nicht auswichen, denn das würde uns nicht viel nützen, aber wenn wir die Späher glauben lassen ließen, dass es ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Leichtes sein würde, ihr Ziel zu erreichen...?“ Winnetou nickte und fiel sofort mit ein: „Mein Bruder liest meine Gedanken! Wir müssen es so aussehen lassen, als ob wir schon im Besitz des Goldes wären und...“ Er unterbrach sich, denn offenbar kam ihm gerade ein guter Gedanke. Mehrere Minuten vergingen, in denen der Blick meines Freundes sinnend auf Iltschis langer Mähne ruhte. Kurz darauf nickte er dann auch mit einem sehr entschlossenen Gesichtsausdruck und teilte uns seinen vorläufigen Plan mit: „Die Kiowas wollen unser Gold. Sie waren sich noch unsicher über ihr Vorgehen: Sollen sie uns heimlich bis zur Bonanza folgen und uns dann dort überfallen? Oder warten, bis wir, beladen mit dem Staub des Todes, an einem für sie günstigen Ort vorbeikommen, um uns dort auszurauben? Ersteres wäre für uns nicht gut, denn Winnetou möchte nicht, dass sie dem Berg des Goldes zu nahe kommen. Also werden wir es heute Abend so aussehen lassen, als ob wir schon morgen den besagten Berg erreichen würden, der für einen Überfall aber überhaupt nicht geeignet scheint. Daher werden die Feinde sich dazu entschließen, uns an einem Ort zu überfallen, der sich dafür besser anbietet, am besten eine kleine Schlucht. Winnetou ist sich sicher, dass wir morgen, am späten Nachmittag, wenn wir den Weg zu dem vermeintlichen Berg von der Zeit abrechnen, nur eine einzige Schlucht passieren werden, die sich auch sehr gut für einen Überfall eignen würde – vor allem für einen Überfall durch uns!“ Ah, jetzt verstand ich, worauf er hinaus wollte! „Winnetou denkt, dass wir die Kiowas die Schlucht von beiden Seiten besetzen lassen sollen, wir aber befinden uns zu diesem Zeitpunkt schon hinter ihnen und schließen sie dann selber ein?“ „Genauso ist es, mein Bruder!“ Winnetou schenkte mir jetzt wieder einen seiner unnachahmlichen Blicke, der mein Innerstes erglühen ließ und mich gleichzeitig mit einer Wärme einzuhüllen schien, in die ich mich am liebsten sofort fallengelassen hätte. Es war wirklich ein Segen, von diesem Mann geliebt zu werden! Der Zauber dieses winzigen Augenblickes verflog aber sofort, als Sam sich einmischte: „Hihihi – auch ein blindes Huhn findet einmal ein Körnchen – da solltet Ihr Euch jetzt aber bloß nichts drauf einbilden, verehrtes Greenhorn! Im übrigen frage ich mich gerade: Wenn wir Westmänner und die Apatschen uns hinter den Kiowas befinden und diese letztendlich einschließen – wer bitte schön soll sich dann noch in der Schlucht aufhalten? Die verehrten Indsman möchten ja schließlich irgendjemandem in das Tal folgen, wenn ich mich nicht irre! Wir können doch wohl nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, dass unser Kindergarten da hinten dieser Aufgabe auch nur im Entferntesten gewachsen sein wird? Das könnte ja sogar unser Greenhorn hier besser, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Emery grinste in sich hinein, beantwortete dann aber Sam's Frage: „Ich glaube, dass wir unsere Schützlinge gar nicht erst in die Nähe der Schlucht lassen, sondern sie vorher in einem sicheren Versteck unterbringen sollten, oder was meint ihr?“ Wir nickten, und Winnetou ergriff wieder das Wort: „Mein weißer Bruder hat Recht. Wir bringen die Butterfields vorher in Sicherheit und werden uns selber als Köder in die Schlucht begeben, natürlich verkleidet, während meine Krieger beide Ausgänge hinter den Kiowas besetzen und sie somit mit uns einschließen werden. Zwei von uns werden dann die Feinde am vorderen Ausgang mit ihren Gewehren von vorne bedrohen, die anderen zwei die am hinteren Ausgang. So haben die Kiowas überhaupt keine Möglichkeit mehr, uns noch anzugreifen, ohne selber große Verluste zu erleiden. Und wenn wir dann, sobald die Kundschafter uns heute Abend belauschen werden, noch dazu den Anschein erwecken, dass sich nur noch die Greenhorns in die Schlucht begeben werden – natürlich mit ihrem Goldfund – und wir anderen uns noch am Fundort von ihnen trennen und in die entgegengesetzte Richtung reiten wollen, dann werden sie es auch nicht unbedingt für nötig halten, allzu vorsichtig zu sein und zu viele Krieger für den Überfall abzustellen!“ Emery musste jetzt schwer an sich halten, um nicht vor Begeisterung in die Hände zu klatschen, so sehr gefiel ihm dieser Plan. „Das ist wirklich eine vortreffliche Idee! Denn wenn die Indsmen mit keinen allzu großen Schwierigkeiten rechnen und deshalb nicht vorsichtig genug sind, wird es für uns deutlich leichter werden, sie zu überrumpeln! So machen wir es, so kann es gar nicht schief gehen!“ Sam war mit unserem Vorhaben offenbar ebenfalls mehr als einverstanden, was er jetzt auch äußerte: „Ja, wir werden dafür sorgen, dass unser liebenswerter Besuch am Ende ganz schön dumm aus der Wäsche gucken wird, wenn ich mich nicht irre, hihihi!“ Auch ich war sehr zufrieden mit unserem Plan, mahnte aber zur Vorsicht: „Ja, lieber Sam, wenn wir es klug anstellen, wird die Sache gut gelingen, aber dafür müssen viele Kleinigkeiten beachtet werden und es darf auch nicht der geringste Fehler gemacht werden, sonst ist alles verloren. Im Gegensatz zu den Kiowas müssen wir also doppelt und dreifach vorsichtig und umsichtig sein!“ Winnetou nickte bestätigend und fügte noch hinzu: „Wir werden uns, sobald wir gelagert haben, nochmals genauestens absprechen, was wir in Anwesenheit der feindlichen Späher sagen werden. Zudem müssen wir unseren Schützlingen zumindest einen Teil der Wahrheit sagen, damit sie uns heute Abend nicht verraten werden, gleichzeitig aber sollten wir dafür sorgen, dass sie nicht übermäßig geängstigt werden, denn auch dadurch könnten sie Fehler machen!“ Wir stimmten ihm zu und beschlossen daher, alles weitere an unserem Lagerplatz zu besprechen. Jetzt unterhielten wir uns nur noch über belanglose Dinge, denn es musste ja davon ausgegangen werden, dass wir nun unter ständiger Beobachtung standen, und da durften wir unter keinen Umständen auffallen. Kurz vor dem Talausgang kam Tsain-tonkee von seinem Kundschafter-Ritt zurück, um seinen Häuptling von dem Ergebnis zu unterrichten. Er hatte in ungefähr zwei Meilen Entfernung einen für unser Vorhaben äußerst geeigneten Ort zum Lagern gefunden, den er Winnetou und uns jetzt beschrieb. Als er geendet hatte, konnten wir ihm nur Recht geben, seiner Beschreibung nach war der Platz wie für uns geschaffen. Winnetou dankte seinem Späher freundlich, hatte dann aber schon einen weiteren Auftrag für ihn. Nach einer kurzen Ruhepause sollte er sich zusammen mit einem der anderen Apatschen zu einem längeren Ritt aufmachen, um die besagte Schlucht aufzusuchen, die mein Freund für den Überfall der Kiowas und unseren Gegenschlag ausgesucht hatte. Tsain-tonkee sollte überprüfen, ob dieser Ort wirklich die einzige Möglichkeit für einen Angriff durch die feindlichen Indianer bot und gleichzeitig herausfinden, ob das alles auch in den zeitlichen Rahmen passte, den wir uns gesteckt hatten. Dieser Ort sollte ja so weit entfernt liegen, dass wir ihn am morgigen späten Nachmittag erreichen würden. Normalerweise würden wir viel schneller dort sein, aber wir mussten ja morgen so tun, als ob wir erst einen Umweg zu dem Fundort des Goldes machen würden, damit die Kiowas dachten, wir hätten die Taschen voller Gold, wenn sie uns überfielen. Wir hofften darauf, dass die Späher, die uns zur Zeit beobachteten, unseren beiden Kundschaftern keine große Beachtung schenken würden, so dass es nicht auffiel, wenn diese einen längeren Ritt unternahmen; auch konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie von anderen Kiowas verfolgt werden würden. Später am Nachmittag erreichten wir dann auch den von Tsain-tonkee ausgewählten Lagerplatz und zeigten uns äußerst zufrieden mit seiner Wahl. Sofort machten wir uns daran, alles so herzurichten, dass die feindlichen Besucher scheinbar äußerst günstige Umstände für ihren Lauschangriff vorfinden würden, während wir keine großen Schwierigkeiten damit haben würden, die Feinde selber zu beobachten. Nachdem wir damit fertig waren, setzten mein Freund und ich uns kurz ins Gras, um etwas zu ruhen, und dabei beobachtete ich unbewusst die Butterfields sowie unseren Doktor, die wie immer das Lager herrichteten, Holz holten, ein Feuer entfachten und für eine gewisse Bequemlichkeit sorgten, wie sie es auch in den letzten Tagen getan hatten. Wir alle hielten das für eine gerechte Aufteilung, denn dafür waren die Herrschaften ja von den Nachtwachen befreit und hatten auch sonst tagsüber nicht viel zu tun. Ich beobachtete nun den Doktor genauer, der gerade Winnetous und meine Decken ausbreitete. Einen Moment lang stutzte ich, dachte kurz nach. Mir fiel jetzt auf, dass der Arzt sich eigentlich seit Beginn unserer Reise an vor allem um unsere Bequemlichkeit gesorgt hatte und – er hatte auch jedes Mal den Schlafplatz von meinem Freund und mir ausgewählt. So auch gestern, als wir unter der Tanne wirklich vor fast allen Blicken geschützt gelegen hatten und auch deswegen eine so herrlich erfüllende Stunde erleben durften. Ob Walter das mit Absicht tat? Auch jetzt schien es so, als ob er darum bemüht war, dass wir am Abend soviel Ruhe wie möglich vor den Gefährten haben würden. Er wusste ja als einziger von dem wahren Verhältnis zwischen Winnetou und mir – ob er uns dadurch Gelegenheit geben wollte, dass wir uns, trotz der Anwesenheit so vieler Menschen, so nah wie möglich sein konnten? Ich sah Hendrick noch eine Weile zu. Dieser räumte unsere Sachen erst an den einen Platz, schien zu überlegen, sah sich nach den Gefährten um, um zu sehen, wo diese ihre Lagerstätte herrichteten und entschied dann, unsere Decken doch an einem anderen Platz auszubreiten. Da dieser tatsächlich noch geschützter vor den Blicken der anderen lag, kam ich zu dem Schluss, dass der Doktor damit wirklich eine gewisse Absicht zu verfolgen schien, was mir ein breites Lächeln auf das Gesicht lockte. Winnetou, der neben mir saß und wieder einmal völlig in sich versunken war, bemerkte meine veränderte Mimik trotzdem sofort und fragte nach dem Grund meiner Erheiterung. Ich teilte ihm meine Beobachtungen mit und jetzt musste auch er leise lächeln. „Winnetou ist froh, dass Manitou uns diesen Mann geschickt hat“, sagte er. „Einen so treuen und ehrlichen Freund, der sich um seine Mitmenschen so sehr sorgt, begegnet man nicht allzu oft!“ „Da gebe ich dir uneingeschränkt recht, mein Bruder“, antwortete ich. „Und nicht zu vergessen, einen besseren Arzt hätten wir nicht finden können, mit Ausnahme von dir!“ Jetzt schüttelte mein Freund den Kopf und entgegnete: „Nein, Scharlih – Winnetou hat sich schon mehrmals davon überzeugen können und das auch oft genug am eigenem Leib, dass der Doktor doch einiges mehr an Kenntnissen über die Heilung von Menschen besitzt als ich, aber Winnetou wird weiter von ihm lernen!“ Ich legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter und erwiderte: „Ja, wahrscheinlich ist es so, mein Freund, aber du darfst nicht vergessen, dass auch Walter von dir lernt und sich auch schon einiges von euren Heilmethoden angeeignet hat. Aber so sollte es doch eigentlich immer sein: Beide Rassen, beide Völker lernen voneinander und tauschen sich aus, so dass sich beide weiterentwickeln und nicht eines davon auf der Strecke bleibt und völlig unterdrückt wird! Ach, könnte es doch immer so sein....“ Ich ließ ein sehnsuchtsvolles Seufzen hören, so dass Winnetou mich lächelnd an sich drückte und dabei zustimmend nickte. Schweigend saßen wir so lange Zeit beieinander, jeder den Blick träumerisch in weite Ferne gerichtet. Gegen Abend wurde es dann ernst. Mit Jagen und dem Zubereiten des Essens brauchten wir keine Zeit zu vertrödeln, wir hatten genug gebratenes Bison-Fleisch dabei, dass es noch für mehrere Tage reichen würde. Jeder unserer Männer wurde genauestens instruiert, wie er sich in den kommenden Stunden zu verhalten hatte. Auch der Doktor wusste über die drohende Gefahr Bescheid, und er wollte die Aufgabe übernehmen, sich in dem entscheidenden Zeitraum um die Butterfields zu kümmern, denen wir natürlich nichts von dem geplanten Indianer-Überfall gesagt hatten. Emery hatte ihnen irgendeine harmlose Geschichte aufgetischt, und so machten unsere Schützlinge den ganzen Abend über auch den von uns gewünschten unbefangenen Eindruck. Winnetou würde, damit wir alle genau wussten, wann sich die feindlichen Kundschafter in der Umgebung unseres Lagers aufhielten, sich beizeiten auf den Weg machen und die Kiowas auf Schritt und Tritt verfolgen. Es gab dank der hervorragenden Lage unseres Nachtlagers nur einen einzigen Weg, auf dem sich die Späher vermeintlich unbemerkt uns nähern konnten, und da wollte mein Freund auf sie warten und ab dann nicht mehr aus den Augen lassen. Wir hatten ein paar Zeichen verabredet, mit denen er uns die Ankunft der Beobachter mitteilen konnte, ebenso wie den Zeitpunkt, wenn sie sich wieder entfernten. Ich hingegen würde mich in einiger Entfernung hinter ihm aufhalten, um ihn notfalls unterstützen zu können, falls es zu einem unvermuteten bösen Zwischenfall kommen sollte. Das entsprach auf jeden Fall meinem Wunsch, hatte ich mir doch schon vor Monaten geschworen, immer über meinen Winnetou zu wachen und ihn zu schützen, wo es nur ging! Inzwischen kam Tsain-tonkee mit dem ihn begleitenden Apatschen von seinem Kundschafter-Ritt zurück und erstattete uns sofort Bericht. Es war tatsächlich so, wie Winnetou vorausgesagt hatte: Die besagte Schlucht war die einzige weit und breit, die sich für einen Überfall eignete, das restliche Gelände, welches wir im Laufe des morgigen Tages durchqueren würden, fiel dagegen komplett aus. Bevor es völlig dunkel wurde – denn vorher würden die Späher auf keinen Fall hier auftauchen – schmiedeten wir noch einen guten Plan für den nächsten Tag; jedes Detail wurde besprochen, es durfte nichts vergessen werden. Wir überlegten uns, wo wir die Butterfields während der Zeit verstecken sollten, an der der Überfall in der Schlucht stattfinden würde. Tsain-tonkee hatte aber auch daran gedacht und schon eine relativ große, aber sehr versteckt liegende Grotte auf dem Weg zur Schlucht ausfindig gemacht. Dort würden sich also unsere Schützlinge und der Doktor in Sicherheit befinden, während wir anderen die Falle an der Schlucht vorbereiteten. Das konnte in der Zeit geschehen, in der die Feinde uns auf dem Berg des Goldes wähnten. Das Gelände dort war laut Tsain-tonkee so unübersichtlich, dass die Kiowas uns wahrscheinlich immer wieder aus den Augen verlieren und somit nicht bemerken würden, was wir eigentlich vorhatten. Außerdem wollten wir die Schlucht heute Abend mehrere Male laut erwähnen, so dass die Roten uns wahrscheinlich sowieso dort erwarten und gar nicht weiter unserer Fährte folgen würden. Mein Freund und ich beschlossen, uns morgen zudem selber an die Fersen der feindlichen Rothäute zu heften, um herauszufinden, ob sie wirklich diese Schlucht für den Überfall auf uns nutzen wollten. Vor allem mussten wir, bevor wir die Falle zuschnappen ließen, uns vergewissern, wie viele Kiowas genau beteiligt sein würden, denn nur so konnten wir ihren Angriff gezielt abwehren. Dann wurde es Zeit. Winnetou und ich verschwanden in der ersten Dämmerung in dem unseren Lagerplatz umgebenden Wäldchen, die anderen setzten sich so hin, dass man sich ihnen problemlos von hinten nähern und sie „belauschen“ konnte. Kurz darauf ertönte auch schon zweimal der Schrei einer Schleiereule, das war Winnetous Zeichen. Jetzt galt es! Der Doktor hatte sich mit den Butterfields etwas abseits von dem Rest der Truppe gesetzt und verwickelte diese in eine für sie interessante Unterhaltung, welche aber nur das Ziel hatte, sie von den Apatschen und Westmännern abzulenken. Sie sollten nicht hören, worüber die sich unterhielten, weil sie sich sonst sehr wundern würden, dass der Inhalt der Gespräche doch deutlich von dem Vorhaben abwich, das für den morgigen Tag eigentlich geplant war. Später am Abend informierten uns die Gefährten dann über den Verlauf ihrer Unterhaltung, denn Winnetou und ich hatten aufgrund unserer Horchposten ja nichts davon mitbekommen. Unsere Abwesenheit hatten die Freunde lautstark damit erklärt, dass wir uns im Augenblick ausgiebigst um unsere Hengste kümmerten, da eines der Tiere angeblich lahmte. Da alle Pferde weiter entfernt von unserem Lager an einer zweiten Lichtung an einem Wasserlauf weideten, konnten wir darauf vertrauen, dass die Kundschafter sich nicht weiter um diese Sache kümmern würden. Weiterhin unterhielten sich die Männer dann nicht minder laut über die Beschaffenheit des angeblichen Berges, wobei sie aber vermieden, die genaue Lage zu erwähnen, denn diesen Ort gab es ja hier in der Nähe gar nicht. Sie vermittelten dabei den Eindruck, als wäre die Gegend da oben so ungünstig beschaffen, dass jeder, der das Gespräch mitbekam, sich sofort sagen musste, dass man dort auf keinen Fall einen Überfall durchführen konnte, genauso wie auf dem Weg dort hoch und wieder zurück. Zuletzt wurde noch von der anschließenden Weiterreise gesprochen, die ja getrennt verlaufen sollte; zumindest sollten die Kiowas das denken. Sam Hawkens hatte während ihres fingierten Gespräches unseren Schützlingen lauthals den Weg bis nach Farmington beschrieben, wo sie ihre Schätze eintauschen könnten, damit den Lauschern auch der Grund für die „alleinige“ Weiterreise der Goldsucher klar wurde. Da wir alle, nachdem wir vom Ship Rock zurückgekehrt waren, sowieso diese Stadt aufsuchen wollten, schöpften die verhinderten Goldsucher während Sam's Ausführungen auch keinen Verdacht. Natürlich wurde auch die Schlucht erwähnt, weil die Gefährten laut „überlegten“, ob das ein guter Ort wäre, an dem die Butterfields am morgigen Abend rasten könnten. Dass wir den Fundort des Goldes schon morgen erreichen würden und nicht, wie von den feindlichen Spähern bei ihrem ersten Lauschangriff im Tal der Büffel gehört, erst am darauffolgenden Tag, erklärten die Männer so, dass wir einfach schneller als gedacht unterwegs gewesen wären, da man die Entfernung nicht so genau hatte einschätzen können. Alles in allem kann man sagen, dass an diesem Abend alles gut ging und unsere Pläne bis dahin reibungslos funktionierten. Weder Winnetou noch ich wurden von den Kiowas entdeckt, als diese wieder zurück huschten, mein Freund dagegen hatte sie von Anfang bis Ende im Blick gehabt und überzeugte sich dann auch noch einmal, ob die feindlichen Späher die Umgebung unseres Lagers tatsächlich verlassen hatten, indem er ihnen noch eine längere Zeit hinterher schlich. Später erzählte er mir, dass er sie gerne ganz bis zu ihrem Lager verfolgt hätte, um vielleicht den Häuptling der Roten zu belauschen, damit wir über die nächsten Schritte der Feinde sicher Bescheid wissen würden. Aber leider hatten die Späher in einiger Entfernung ihre Pferde versteckt, also befand sich ihr Lager nicht in der Nähe, und selbst wenn Winnetou seinen Iltschi dabei gehabt hätte, er hätte ihnen niemals in dieser Dunkelheit völlig geräuschlos folgen können – die Gefahr einer Entdeckung wäre unverhältnismäßig hoch gewesen. Nachdem er wieder zurückgekehrt war, setzten wir Westmänner und die Apatschen uns sofort zusammen und besprachen die Ereignisse in aller Ausführlichkeit. Vor allem eine Frage stand im Raum: Würden die Kiowas auf unsere List hereinfallen? Würden sie die besagte Schlucht auch wirklich als Falle für uns auswählen? Sie kannten diese Gegend hier ja wie ihre eigene Westentasche, und somit war es eigentlich fast nicht möglich, dass sie bei der guten Gelegenheit nicht zugriffen! Zumal wir ihnen die Sache noch einmal richtig schmackhaft gemacht hatten, indem wir ihnen suggeriert hatten, dass sie ja nur die unerfahrenen Butterfields zu überfallen brauchten, da Westmänner und Apatschen in die entgegengesetzte Richtung reiten wollten. Den Rest der Nacht verbrachten wir in angespannter Ruhe. Wer an der Reihe war, zu wachen, tat das in höchster Aufmerksamkeit, denn jetzt wussten wir die Feinde ja ganz sicher in der Nähe. Die Anderen versuchte zwar zu schlafen, aber das gelang nicht allen gleich gut. Nur die Butterfields machten eine Ausnahme, sie waren sich ja überhaupt keiner drohenden Gefahr bewusst, und da sie auch nicht sensibel genug waren, die angespannte Stimmung wahrzunehmen, die sich über unserem Lager ausgebreitet hatte, schliefen sie in der Nacht so friedlich wie die Kinder. Winnetou und ich waren es gewohnt, auch in Ausnahmesituationen die Ruhe zu bewahren, und so schliefen auch wir beide wie immer tief und fest, wenn wir nicht gerade zur Nachtwache eingeteilt waren. Doch trotz der großen Anspannung, und trotzdem sich alles auf den geplanten Überfall konzentrierte, vergaß ich nicht, meinen Freund zwischendurch immer wieder zu beobachten. Ab und zu berührte ich ihn wie zufällig mit einer Hand leicht an seinem Rücken, um zu sehen, ob er vielleicht doch kurz vor Schmerzen zusammenzuckte; und auch der Doktor, der sich zwar nicht mehr getraute, Winnetou in dieser hochkonzentrierten Situation für eine nochmalige Untersuchung zu sich zu bitten, ließ den Apatschen nicht aus den Augen und verfolgte, wo es nur ging, jede seiner Bewegungen. Aber dieser hatte sich entweder völlig unter Kontrolle oder es ging ihm wirklich wieder gut; zumindest ließ er sich auch nicht das Geringste anmerken. Seltsamerweise war mein ungutes Gefühl, diese Ahnung, dass irgendetwas Schlimmes in naher Zukunft geschehen würde, nicht völlig verschwunden, wurde aber gerade jetzt, wo die Gefahr uns doch so nahe war, nicht intensiver, im Gegenteil, ich nahm es kaum mehr wahr. Es verschwamm irgendwie, wie Nebelschwaden, die man sieht und doch nicht greifen kann. Der nächste Morgen verging wie im Fluge. Winnetou und ich entfernten uns so unauffällig wie möglich von unserem Lager und gingen mal wieder auf Kundschaft. Wir nahmen an, dass ab jetzt jeder unserer Schritte beobachtet werden würde, sollte man unseren Köder geschluckt haben, und davon wollten wir uns jetzt überzeugen. Beide gingen wir in getrennte Richtungen davon und trafen nach ungefähr einer Stunde wieder im Lager zusammen, wo wir den Gefährten das Ergebnis unserer Suche mitteilten. Winnetou begann: „Oben auf dem kleinen Hügel, der sich links vor die Bergkette schiebt, befindet sich ein Posten der Kiowas. Er sitzt weit oben in dem großen Hickory-Baum, der vorne aus dem Wäldchen herausragt. Dort hat er die Möglichkeit, einen sehr großen Umkreis unserer Umgebung zu überwachen, kann also dadurch unseren Aufbruch und auch einen Teil des Weges, den wir reiten werden, beobachten.“ Daraufhin ergänzte ich: „Und auf der gegenüberliegenden Hügelkette befindet sich ebenfalls ein Späher, auch er hat sich eine große Kiefer, die alle anderen überragt, als Ausguck ausgesucht. Hat mein Bruder Winnetou noch andere Späher oder ihre Spuren gesichtet?“ „Nein“, antwortete er schlicht. „Ich auch nicht“, fuhr ich fort. „Somit können wir wohl davon ausgehen, dass man uns unsere Geschichte abgenommen hat. Jetzt kommt es darauf an, dass wir keinen Fehler machen!“ Alle nickten bei meinen Worten. Wir hatten währenddessen natürlich darauf geachtet, ja keinen Blick zu den besagten Späher-Posten zu werfen, denn wir wollten nicht riskieren, dass die Indianer doch noch Verdacht schöpften. Während dieses Gespräches hatten wir nur kurz beieinander gestanden; jetzt lösten wir die Gruppe auch sofort wieder auf und begannen, in aller Ruhe zusammenzupacken. Dabei unterhielten wir uns zwanglos, und hier und da wurde auch schon mal gelacht. Vor allem Sam trug mit seinen lustigen Witzen zur allgemeinen Erheiterung bei, und auch Emery mit seiner launigen Art sorgte dafür, dass von der über dem Lager liegenden Anspannung kaum etwas zu spüren war und unsere Schützlinge dadurch auch weiterhin nicht das Geringste ahnten. Innerhalb kürzester Zeit waren wir wieder reisefertig und brachen auf. Winnetou wusste genau, bis wohin wir von den in den Bäumen sitzenden Spähern zu sehen waren, und als wir diesen Bereich verlassen hatten, begannen wir unseren Plan auszuführen. Die Butterfields waren völlig überrascht, als sie von mir plötzlich aufgefordert wurden, mitsamt dem Doktor dem voraus reitenden Tsain-tonkee und einem weiteren Apatschen ruhig zu folgen, ohne Aufsehen zu erregen oder unnötige Fragen zu stellen. Noch erstaunter waren sie, als ich mir Teile ihrer Oberbekleidung erbat, denn die würden wir brauchen, um die Kiowas zu täuschen. Tsain-tonkee und sein Apatsche wichen auch sofort von unserem Weg ab, denn Winnetou hatte es seinem besten Mann überlassen, die Familie zu der besagten Grotte zu führen, da der sich durch seine Kundschafter-Ritte hier mittlerweile auskannte. Mein Freund und ich hingegen verließen die restlichen Gefährten in dem Moment, als wir einen kleinen Bach überquerten, denn dadurch, dass wir beide nun für längere Zeit in seinem Bett ritten, wurden unsere Spuren verwischt und niemand, der uns vielleicht verfolgte, würde erkennen, dass wir uns von der Gruppe getrennt hatten. Genauso gut war kurz zuvor die Fährte der Butterfields und ihrer Führer verwischt worden, und wir hofften inständig, dass eventuelle Verfolger weiterhin den restlichen Apatschen sowie Emery und Sam folgen würden, die allesamt hintereinander ritten, so dass niemand erkennen konnte, um wie viele Pferde es sich eigentlich in Wirklichkeit handelte. Diese würden ungefähr bei der Hälfte der Strecke zur Schlucht ebenfalls vom Weg dorthin abbiegen, aber so, dass die Fährte dabei deutlich zu sehen blieb. An dieser Stelle, hatte uns Tsain-tonkee gesagt, ging es direkt steil bergauf, so dass unsere Verfolger vermuten mussten, dass unsere gesamte Gesellschaft hier zum Berg des Goldes abgebogen war. Sie würden dann hoffentlich von einer weiteren Verfolgung absehen, weil sie zum einen ja durch unsere Gespräche im Lager „wussten“, dass dort oben kein Überfall möglich war, und weil sie zum anderen den eigentlichen Angriff in der Schlucht vorbereiten mussten. Nach einiger Zeit schlugen mein Freund und ich einen Bogen und ritten ein ganzes Stück wieder in die Richtung zurück, aus der wir mit den Gefährten gekommen waren. Als wir uns unserer eigenen Fährte bis auf Sichtweite genähert hatten, ließen wir unsere Hengste einige Meter entfernt zwischen den Bäumen stehen und suchten uns einen Platz im dichten Gebüsch am Rande der Spur, wo wir vor den Blicken der Kiowas verborgen blieben. Lange mussten wir nicht warten. Kurz darauf hörten wir das leise Knacken eines zerbrechenden Zweiges, dann ein Rascheln, verursacht von Pferdehufen, die auf am Boden liegendes Laub traten – da kamen sie schon! Zwei Krieger, ohne Stammesabzeichen; wahrscheinlich die beiden, die auf den hohen Bäumen am Morgen ihre Posten bezogen hatten. Sie folgten unserer Fährte in gebührendem Abstand, schienen dieser aber keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken, wahrscheinlich, weil sie das Ziel unseres Rittes genau kannten. Umso besser für uns, so würden diese Späher sich viel leichter täuschen lassen! Ab jetzt aber waren die Kiowas die Gejagten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)