Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 13: Eine gefährliche Begegnung (11 Tage zuvor) ------------------------------------------------------ 11 Tage zuvor: Am nächsten Morgen wurden wir durch ein lautes Klopfen an der Tür geweckt. Wir fuhren hoch und stellten erstaunt, fast schon erschrocken fest, dass der Vormittag mittlerweile weit vorangeschritten war. Normalerweise waren wir stets bei Sonnenaufgang munter, aber ich konnte mir schon denken, aus welchem Grund uns dieser Tiefschlaf beschert worden war... Vor der Tür ertönte nun die leicht belustigt klingende Stimme Emerys: „Sagt einmal, lebt ihr noch, ihr beiden? Ist alles in Ordnung?“ „Natürlich!“, antwortete ich schnell, wobei ich mich wirklich zusammennehmen musste, um meine aufkommende Heiterkeit zu unterdrücken. Das fiel mir nicht leicht, und Winnetou machte es mir auch nicht gerade einfacher, denn er lächelte mir leise, aber unverhohlen ins Gesicht. Ich sah ihm an, dass er sich im Stillen köstlich amüsierte, da es mir nun überlassen blieb, unsere massive Verspätung zu erklären, denn von ihm, dem Schweigsamen, wurde natürlich keine erwartet. Leider fiel mir im Augenblick überhaupt keine Ausrede ein, und so rief ich noch einmal schnell Richtung Tür: „Entschuldige bitte unsere Verspätung, wir werden sogleich herunterkommen!“ Natürlich gab sich Emery damit nicht zufrieden, zumindest nicht ohne noch eine Frage hinterher zu schicken: „Bist du denn damit einverstanden, wenn der Doktor euch einen kurzen Besuch abstattet? Der gute Mann hatte schließlich gestern Abend keine Gelegenheit mehr gefunden, sich von eurer intakten Gesundheit zu überzeugen. Er wollte sich vor allem mal die Schmarre in deinem Gesicht ansehen sowie nochmals Winnetous Lunge abhören. Aufgrund eurer Verspätung beginnt er aber allmählich, sich Sorgen zu machen!“ Etwas entnervt ließ ich meinen Blick gen Himmel, in diesem Fall gen Zimmerdecke schweifen und sah wieder kurz zu Winnetou herüber, dessen Elfenbeinzähne nun in ihrer ganzen Pracht zu bewundern waren. Er rührte sich nicht und lächelte mich nur weiterhin erwartungsvoll an; seine ganze Haltung drückte aus, dass er gespannt war, wie ich reagieren würde. Mein Mund formte ein tonloses, ironisches „Danke sehr!“ in seine Richtung, dann wandte ich mich wieder zur Tür und rief Emery zu: „Dann melde unserem überfürsorglichen Walter doch bitte, dass wir uns pudelwohl fühlen...“ - bei diesen Worten senkte Winnetou seinen Blick zu Boden, krampfhaft bemüht, seiner Belustigung nicht laut Ausdruck zu verleihen; er dachte natürlich genau wie ich an die letzte Nacht - „...und dass wir einfach nur mal ausgeschlafen haben, da in den nächsten Tagen an eine durchgehende Nachtruhe wohl kaum mehr zu denken sein wird!“ Emery antwortete nun auch zu unserem Glück in seiner gewohnt launigen Art: „Wird gemacht! Ich sehe euch dann später...“. Seine Schritte entfernten sich von der Tür, und ich stieß den unwillkürlich angehaltenen Atem langsam wieder aus. Winnetou stand immer noch lächelnd an Ort und Stelle und sah gedankenverloren auf unser Bett hinab. Ich ahnte, was ihm durch den Kopf ging, denn auch ich dachte mit einer gewissen Portion Wehmut daran, dass wir in den nächsten Tagen auf die intensive Nähe des jeweils anderen würden verzichten müssen. Dann aber schalt ich mich selber einen Narren; in den letzten Monaten war ich so oft mit ihm intim gewesen wie noch nie zuvor in meinem ganzen Leben überhaupt mit einem Menschen. Es sollte doch wohl somit möglich sein, sich ein paar Tage lang in Enthaltsamkeit zu üben! Allerdings war ich auch noch nie in meinem Leben einem Menschen begegnet, der mich so sehr, und das nicht nur körperlich, in seinen Bann gezogen hatte, wie es Winnetou tat. Mein Freund aber trug sich noch mit einem anderen Gedanken herum. Er wandte sich wieder mir zu, ließ seinen unvergleichlichen Blick lange und innig auf mir ruhen und begann dann, vorsichtig fragend: „Scharlih?“ „Ja, mein Bruder?“, entgegnete ich, gespannt wartend, was ihn beschäftigte. Winnetou hingegen suchte offensichtlich nach den richtigen Worten: „Glaubst du, dass....bist du sicher, dass unsere so heftigen Empfindungen....ob das alle Menschen in einer solchen Intensität fühlen können wie wir? Ob Mann und Frau es genauso fühlen können? Ich meine....“ Hier stockte er wieder, überlegte, wie er mir seinen Gedankengang nahebringen konnte. Ich aber wusste ja schon, was er meinte, trat auf ihn zu und legte meinen Arm um ihn, während er weitersprach: „Winnetou hat des öfteren rote Krieger über ihr Zusammensein mit ihren Squaws sprechen hören, und er hatte immer das Gefühl, dass es den Männern nur darum ging...ja, eigentlich wollten sie nur ihre Pflicht erfüllen...“. Hier brach er ab, warf mir einen fast hilflosen Blick zu. Verstand ich, was er sagen wollte? Ja, ich verstand ihn. Wahrscheinlich wurden ihm unsere wahrhaft heftigen Intimitäten, die mittlerweile in einem so wilden Rausch wie gestern Abend gipfelten, langsam etwas unheimlich. Und ich wusste auch, was ich ihm antworten sollte, waren mir doch schon ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen! Leise lächelnd drückte ich ihn an mich und begann: „Es ist immer wieder erstaunlich, wie ähnlich sich die Menschen doch sind, unabhängig von ihrer Hautfarbe und Nationalität! Auch ich habe einige Male die gleichen Beobachtungen gemacht wie du; auch ich habe schon derlei Gespräche von Männern mitbekommen, es scheint wirklich überall das Gleiche zu sein! Doch ich kann mir schon vorstellen, worin der Unterschied besteht: Wir müssen bedenken, wie oft es vorkommt, dass Mann und Frau heiraten, ohne dass einer den anderen liebt; das gibt es sowohl bei den weißen wie auch bei den roten Völkern. Zumindest die Frauen dürfen äußerst selten ihren zukünftigen Ehemann alleine aussuchen, sie werden oftmals gezwungen, einen bestimmten Mann zu ehelichen – sei es durch ihre Väter, durch wirtschaftliche Not, durch den Mann selber! In diesen Beziehungen fehlt schlicht und ergreifend die Liebe, oder sie findet nur einseitig statt. Und wie oft benutzt der Mann seine Frau nur, einerseits um sich abzureagieren, andererseits um, wie du schon richtig sagtest, seine Pflicht zu erfüllen, denn es fehlen einfach die Gefühle füreinander. Zwischen uns beiden ist das aber völlig anders: Uns ist das große Glück vergönnt worden, dass wir einander lieben. Wir lieben den anderen mehr als unser eigenes Leben, wir wünschen einander nur das Beste, und ich bin mir sicher, dass solch heftige Empfindungen, wie wir sie während unseres Zusammenseins immer wieder verspüren, nur möglich sind, wenn man einander wirklich und wahrhaftig liebt! Und das ist mit Sicherheit unabhängig davon, ob diese Gefühle zwischen Mann und Frau oder gleichgeschlechtlichen Paaren stattfinden.“ Winnetou hatte nun auch seinen Arm um meine Taille gelegt und schwieg für kurze Zeit. Er dachte über meine Worte nach und kam dann wohl zu einem übereinstimmenden Ergebnis, das er auch in Worte kleidete: „Mein Bruder Scharlih spricht die richtigen Worte. Es gibt keinen Unterschied zwischen einer Beziehung zu Mann oder Frau, sondern nur, ob geliebt wird oder nicht.“ Er nickte noch einmal bestätigend, zog mich dann in seine Arme und hielt mich ganz fest. Ich erwiderte seine Umarmung, presste ihn förmlich an meinen Körper und legte meine Stirn sacht an seine, während ich ihm zuflüsterte: „Ich liebe dich, mein Freund!“ Er hob seinen Kopf etwas an, küsste mich leicht auf den Mund, ließ dann seine Lippen hauchzart an meiner Wange entlang bis zu meinem Ohr streifen und flüsterte: „Mein Bruder – Winnetou kann keine Worte finden, die den Umfang seiner Liebe zu dir beschreiben könnten...“. Daraufhin schlang er seine Arme um meinen Nacken und ließ sich wieder in unsere Umarmung fallen. Für eine kurze Zeit verweilten wir so, genossen einfach nur die Wärme und die Nähe des anderen, bis ich schließlich seinen Kopf in meine Hände nahm und ihn lange und intensiv küsste. Ich war so unendlich glücklich mit diesem Mann! Es fiel mir wieder einmal so schwer, ihn schließlich loslassen zu müssen, aber wir wurden unten in der Stube der Schumanns erwartet und unsere Verspätung war ja jetzt schon etwas auffällig. Auch Winnetou löste sich nun äußerst widerstrebend von mir, strich mir noch einmal federleicht mit seinem Handrücken über die Wange und warf mir einen letzten liebevollen Blick zu. Nach einer kurzen Morgentoilette machten wir uns dann auf den Weg nach unten, auf in ein neues Abenteuer. In der Stube wurden wir als erstes durch Walter Hendrick begrüßt. Er warf einen prüfenden Blick auf uns beide und erkannte wohl anhand unserer Mienen, dass es uns wirklich gut ging und seine ärztliche Kunst in keinster Weise benötigt wurde. Damit gab er sich dann auch zufrieden. Es dauerte nicht lange, dann war unsere ganze Gesellschaft reisefertig. Wir, das waren die zehn Butterfields, Tsain-tonkee mit ebenfalls zehn Apatschen, Emery, Winnetou und ich. Zumindest dachte ich, dass es bei diesen vierundzwanzig Personen bleiben würde. Allerdings hatte ich Dr. Hendrick nicht in meine Berechnungen mit einbezogen, aus gutem Grund übrigens, denn ich traute ihm einen solch abenteuerlichen Ritt, und dann noch am Rande eines feindlichen Gebietes, eigentlich gar nicht zu. Walter Hendrick aber war ganz anderer Meinung. Für ihn stand schon seit unserem Entschluss, den Ship Rock aufzusuchen, fest, dass er uns begleiten würde. Als er dann am gestrigen Abend erfahren hatte, dass Winnetou anschließend die Stadt Farmington zwecks einiger Besorgungen aufsuchen wollte, war er überhaupt nicht mehr zu halten gewesen, denn er wollte und musste seine medizinischen Vorräte dringendst auffüllen. Ich war allerdings der Meinung, dass er uns auch genauso gut eine Liste mit seinen Wünschen würde mitgeben können, denn ansonsten kam zu den zehn Greenhorns der Familie Butterfield noch ein elftes hinzu! Deshalb nahm ich ihn kurz beiseite, um ihm seine mangelnde Erfahrung im Westen sowie seine fehlenden Schießkünste vor Augen zu führen, wonach er mir aber lächelnd antwortete: „Die brauche ich an eurer Seite auch gar nicht, mein lieber Charlie! Was ich aber brauche, sind eine Reihe bestimmter Medikamente und medizinisches Material, und das muss ich unbedingt persönlich auswählen können, darin hast du leider nicht das richtige Geschick, wenn ich ehrlich bin. Und was ihr ebenfalls gut gebrauchen könnt, ist ein Arzt, wenn diesen jungen Männern in ihrem Übermut oder auch euch anderen wegen genau dieses Übermutes etwas passiert – auch darin hast du nicht gerade allzu viel Erfahrung, mein Freund, und deshalb sind wir gleichberechtigt, was die nötigen Fähigkeiten anbelangt, findest du nicht auch?“ Nach dieser längeren und in einem wirklich sehr überzeugenden Ton gehaltenen Rede musste ich nun doch lachen; Walter konnte manchmal recht anhänglich sein und ließ vor allem Winnetou und mich nicht gerne ohne ihn ziehen. Also zog ich Winnetou zu Rate. Dieser musterte unseren Doktor erst erstaunt, dann mit einem prüfenden Blick, und da wusste ich schon, wie seine Entscheidung ausfallen würde. Seitdem Hendrick sich mit seiner so liebevollen, selbstlosen und wahrhaft aufopferungsvollen Pflege um meinen Freund gekümmert hatte, und das monatelang, obwohl er Winnetou ja vorher gar nicht gekannt hatte, seitdem hatte Walter bedingungslos dessen Herz erobert und konnte von ihm fast alles verlangen. Aus diesem Grund schlug mein Freund dem Arzt dessen Wunsch auch nicht ab; im Gegenteil, ich war mir sogar sicher, dass er sich vornahm, ein besonderes Augenmerk auf ihn zu richten und dafür zu sorgen, dass Hendrick auf unserem Ritt keinen Unannehmlichkeiten ausgesetzt sein würde. Seine Reitkünste hatten sich ja auch in den letzten Monaten deutlich verbessert, und da Winnetou ihm das zur Zeit beste Pferd seiner berühmten Zucht geschenkt hatte, sollte der Doktor eigentlich keine Schwierigkeiten haben, mit uns mithalten zu können. Unser Weg zum Ship Rock würde uns bis in die nordwestlichste Ecke New Mexicos führen; und wenn nichts Besonderes geschah, dann sollten wir wohl nach fünf Tagen unser Ziel erreicht haben. Die Siedler hatten uns die Taschen mit Proviant dermaßen vollgepackt, dass es für bestimmt für die doppelte Zeit reichen würde und wir daher keine unnötige Zeit mit Jagen vergeuden mussten. Der Abschied war wieder einmal ein äußerst herzlicher; man wünschte uns alles Gute und viel Glück und bat uns dringendst, auf dem Rückweg nochmals in der Siedlung Station zu machen, was wir auch versprachen, wenn nicht irgend etwas Unvorhergesehenes dazwischen kommen würde. Dann endlich brachen wir auf. Schon in diesen ersten Minuten bekam ich ein ungutes Gefühl bei dem Anblick der Familie Butterfield, deren Mitglieder sich alle schon den ganzen Vormittag über in recht aufgekratzter Stimmung befanden und die sich jetzt, im Augenblick des Aufbruchs, alle auf einmal ihre Hüte vom Kopf rissen, diese in die Luft warfen und jubelnd den Beginn einer neuen und besseren Zeit für sich und ihre Lieben daheim feierten. Und mit dieser ausgelassenen Meute sollten wir es durch unwegsame Wildnis, über den Rio Grande, durch die Ausläufer der Zuni Mountains und zu guter Letzt entlang des feindlichen Kiowa-Gebietes schaffen? Ich sah mich gezwungen, den Herrschaften erst einmal eine gehörige Ansprache zu halten. Emery kam direkt hinzu, und zu zweit machten wir den Butterfields eindringlich klar, dass wir sofort umkehren und sie bei ihren Familienangehörigen in Carlsbad abliefern würden, sobald sie unseren Anweisungen nicht mehr Folge leisten sollten. Wir hielten ihnen vor, wie unglaublich wichtig es war, sich in solchen Gegenden, wie wir sie durchreiten wollten und mussten, so ruhig wie möglich zu verhalten; außerdem wurden die jungen Leute von uns nochmals an ihre Gefangenschaft durch Thomson und seine Bande erinnert - und das half. Man konnte ihren Gesichtern ansehen, dass niemand der Männer nochmals eine solche Todesangst durchleben wollte, wie sie sie in den Händen der Verbrecher wohl erlitten hatten, und ab diesem Moment ritten sie folgsam und ruhig zwischen uns und hielten sich, zumindest vorerst, an sämtliche unserer Anweisungen. Die ersten beiden Tagesreisen verliefen friedlich und ohne besondere Vorkommnisse, wir kamen gut voran und auch die angehenden Goldsucher machten keinerlei Probleme. Natürlich waren wir weiterhin in Sorge über den Verbleib von Thomson und seinem Kumpan, deshalb umritten immer zwei von uns, die Butterfields sowie der Doktor natürlich ausgenommen, die ganze Gesellschaft in einem großen Umkreis. Genauso hatten wir es auch auf dem Weg nach Fort Summer gehandhabt, um auszuschließen, dass sich der Erzschurke in unserer Nähe befand. Winnetou und ich ließen uns zusätzlich oftmals weit zurückfallen und suchten nach Spuren von etwaigen Verfolgern, konnten aber keinerlei Anzeichen von feindlichen Wesen entdecken. Somit sah ich am Morgen des dritten Tages frohgemut und guter Dinge der Weiterreise entgegen, auch meine Bedenken hinsichtlich der Butterfields waren verschwunden. Wie sehr ich mich da allerdings getäuscht hatte, sollte dieser Tag auf eindringliche Weise zeigen! Die Sonne stand fast im Zenit, und Winnetou, der wie meistens ein Stück weit voraus ritt, um das Gelände auszukundschaften, hatte schon begonnen, sich nach einem geeigneten Lagerplatz umzusehen, an dem wir zwei Stunden rasten und die größte Mittagshitze abwarten konnten. Wir befanden uns auf einer Hochebene oberhalb des Rio Grande und wollten diesen auch heute noch überqueren. Diese Hochebene bestand aus kurzem Präriegras und war von großen Felsblöcken durchsetzt. Hier und da taten sich kleine Schluchten auf, die wir ab und zu durchqueren konnten, die aber oftmals ins Nichts führten. Die jungen Männer unterhielten sich unseren Anweisungen gemäß leise miteinander, bis auf einmal einer von ihnen laut aufschrie: „Habt Ihr das gerade auch gesehen, Mesch'schurs? So ein großes Tier ist mir ja noch nie unter die Augen gekommen!“ Es war der junge Frederic, einer der beiden Unglücklichen, die wir aus den Händen der Banditen befreit hatten und der mir damals schon als nicht gerade sehr mutig erschienen war. Er war mit seinem Pferd mittlerweile seitlich aus der Gruppe ausgebrochen und starrte ängstlich, aber gleichzeitig auch neugierig auf einen mannshohen Felsen, hinter dem sich eine kleine, kaum zwei Meter breite und nicht sehr tiefe Schlucht auftat. Sofort wendete ich meinen Hatatitla und ließ ihn in Richtung des jugendlichen Mannes traben, wobei ich ihm laut zurief: „Schreit doch nicht so laut, Master Frederic! Was gibt es denn so Dringendes, was Euch zu einem solchen Aufstand verleiten lässt?“ „Eine Schlange!,“ rief er mir nicht weniger laut als vorher entgegen. „Ich bin mir sicher, das war eine Schlange! Und was für ein riesiges Vieh! Ihr müsst Euch das ansehen, sie steckt hier hinter dem Felsen!“ Etwas genervt schloss ich kurz die Augen, bevor ich mich ihm weiter näherte und dabei mahnend zurief: „Das werde ich mit Sicherheit nicht tun und Ihr auch nicht, Frederic! Schlangen sind hier keine Seltenheit, aber viele davon sind giftig. Kommt also schnell da weg!“ Leider aber hatte er sich dem Felsen schon zu weit genähert, und sein unerfahrener Rotschimmel, welcher am Felsen sofort begonnen hatte, zu grasen, geriet in Blickkontakt mit der Schlange. Ich konnte erkennen, dass es sich dabei um eine Klapperschlange von über einem Meter Länge handelte, die sich sofort zusammengerollt hatte und nun bedrohlich anfing zu rasseln. Frederics Pferd erschrak daraufhin heftig, sprang mit allen Vieren fast gleichzeitig in die Luft, so dass sein Reiter beinahe abgeworfen wurde, und begann dann, Hals über Kopf die Flucht nach vorne anzutreten. Leider wählte es nicht den sichersten Weg, also direkt hinter Winnetou her, der weit vorne an der Spitze unserer Gesellschaft ritt und dem es deshalb ein Leichtes gewesen wäre, das flüchtende Tier wieder einzufangen, sondern es schnellte hart an der Kante der engen Schlucht entlang, die hier zwar nicht tiefer als drei Meter war, aber wenn Pferd und Reiter hier stürzen sollten, würde es trotzdem mit Sicherheit alles andere als glimpflich abgehen, dessen war ich mir gewiss. Natürlich hatte ich meinen Hengst sofort herumgerissen und nahm die Verfolgung auf, doch das noch junge Tier von Frederic entwickelte in seiner Panik eine Schnelligkeit, die ich ihm niemals zugetraut hätte. Ich wusste zwar, dass es auf alle Fälle meinem Hatatitla unterlegen sein würde, aber bis ich Pferd und Reiter eingeholt hatte, konnte noch ein großes Unglück geschehen. Undeutlich hörte ich hinter mir die Schreie und Schreckensrufe der restlichen Familienmitglieder; und als ich mich kurz umdrehte, gewahrte ich drei oder vier Apatschen, die sich zu meiner Unterstützung an meine Fersen geheftet hatten, unter ihnen natürlich auch Tsain-tonkee. Und dann sah ich links von mir einen flüchtigen Schatten auftauchen, der sich kurze Zeit später als rasend schneller Reiter entpuppte – Winnetou! Er hatte natürlich das Unglück bemerkt, und seine Position weit vorne an der Spitze unserer Truppe war eine Günstigere gewesen als meine, denn er war schneller bei dem flüchtenden Tier, weil er ihm auf seinem diagonalen Ritt den Weg abschneiden konnte. Es dauerte auch nicht lange, da kam er dem unglücklichen Butterfield so nahe, dass er nach dessen Pferd fast greifen konnte. Leider aber war der junge Mann, der sich kaum noch auf seinem Rotschimmel halten konnte, so in Panik geraten, dass er die nahende Hilfe nicht bemerkte. Mittlerweile schrie er vor Angst so laut, dass er sein Tier damit nur noch konfuser machte. Es bemerkte Winnetou, der sich ihm seitlich näherte, und wohl auch mich knapp hinter ihm, und sein Fluchtinstinkt trieb es nun hart an die Kante der Schlucht. Die ersten Steine bröckelten schon in die Tiefe, und das Pferd begann, gefährlich zu straucheln. Endlich war es Winnetou gelungen, sich Ross und Reiter so weit zu nähern, dass er Hilfe bringen konnte. Er tat einen einzigen panthergleichen Satz – und saß nun direkt hinter Frederic im Sattel! Sofort beugte er sich an dem jungen Mann vorbei und bemühte sich krampfhaft, die fast auf den Boden schleifenden Zügel zu ergreifen, während er gleichzeitig hart kämpfen musste, um Frederic im Sattel zu halten. Dieser drohte nämlich aufgrund seines nun noch vermehrt strauchelnden Pferdes herunterzustürzen, und er wäre dabei unweigerlich in die Schlucht gefallen. Jetzt aber waren es beide Reiter, die sich in größter Gefahr befanden, wie ich entsetzt feststellen musste! Frederics Rotschimmel schnellte nämlich mittlerweile so nah am Rand der Schlucht entlang, dass ein Sturz fast schon unvermeidlich schien. Winnetou, dem es inzwischen gelungen war, die Zügel des Tieres zu ergreifen, mühte sich nach Kräften, das Pferd zum Stehen zu bringen, erreichte aber nur, dass es langsamer wurde, aber die lebensgefährliche Stellung an der Kante beibehielt und dort nun höchst nervös umhertänzelte. Gerade in dem Augenblick, als einer der Hinterhufe den Halt verlor und ins Nichts wegbrach, hatte ich Pferd und seine Reiter erreicht, griff nun auch sofort nach den Zügeln, ließ meinen Rappen alle Viere fest in den Boden stemmen, schlang die Zügel um meinen Sattelknauf und erreichte damit, dass der Rotschimmel, dessen zweiter Hinterlauf nun auch an der Kante wegzurutschen drohte, doch noch einen festen Halt fand und sich so weit nach oben tasten konnte, dass er schließlich mit allen Vieren wieder festen Boden unter den Hufen fand. Langsam ließ ich jetzt meinen Hengst rückwärts gehen und zog damit das verängstigte Tier weiter von dem Rand der Schlucht weg und damit aus der akuten Gefahrenzone heraus, während Winnetou den völlig entnervten und vor Angst schlotternden jungen Mann festhielt - dieser machte nämlich den Eindruck, als ob er sich keine Sekunde mehr im Sattel würde halten können. Endlich konnten wir sicher sein, dass wir die schlimme Situation wieder im Griff hatten. Ich sprang ab und half meinem Freund, Frederic aus dem Sattel zu heben, der sich daraufhin sofort auf den Boden kauerte, sein Gesicht in beide Hände verbarg und am ganzen Körper haltlos zu zittern begann. Ich setzte mich dazu, legte meinen Arm um seine Schulter und sprach leise und beruhigend auf ihn ein, während Winnetou sich um den Rotschimmel bemühte und es ihm nach kurzer Zeit auch gelang, das Tier soweit zur Ruhe zu bringen, dass es sich, allerdings immer noch mit schlotternden und bebenden Flanken, Hatatitla und Iltschi anschloss, die beide schon wieder seelenruhig zu grasen begonnen hatten. Ich warf dem Apatschen einen äußerst erleichterten Blick zu, als er zu uns trat, denn das hätte auch ins Auge gehen können! Es hatte wirklich nicht viel gefehlt, und er wäre zusammen mit Frederic und dem Rotschimmel in die Schlucht gestürzt. Winnetou sah meine Erleichterung und nickte mir sofort beruhigend zu, setzte sich an meine Seite und gemeinsam erwarteten wir den Rest der Gesellschaft, die sich in höchster Eile genähert hatten und uns jetzt endlich erreichten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)