Mörderische Goldgier von Anmiwin ("Geliebter Blutsbruder"- Teil II) ================================================================================ Kapitel 6: Blutige Beweise -------------------------- In der Gegenwart: Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als ich das Geräusch vieler Schritte vor dem Zelteingang vernahm. Abermals wurde das Fell vor dem Eingang heftig zurückgeschlagen, und ein weiteres Mal trat Motawateh mit seinem Gefolge ein. Ein höhnisches Grinsen entstellte sein sowieso schon grobschlächtiges Gesicht nun noch ein wenig mehr; er kam mit schnellen Schritten auf mich zu, hielt mir etwas in seiner Hand entgegen und begann mit vor Spott triefender Stimme: „Sieht Old Shatterhand jetzt ein, dass mein Mund die Wahrheit spricht? Dieser Hund, der sich Häuptling der Apatschen schimpft, befindet sich in meiner Gewalt, wie du jetzt endlich erkennen wirst, und genauso wie du wird er sich noch vor Sonnenuntergang wünschen, niemals geboren worden zu sein!“ Ich warf einen Blick auf den Gegenstand in seiner Hand und spürte, wie mein Herzschlag für einen kurzen Moment aussetzte. Es war eine Kette – eine Kette, bestückt mit Grizzlykrallen und -ohren – Winnetous Halskette! Wie kam der Kerl an Winnetous Eigentum?? Ich sah noch etwas genauer hin und erkannte zu meinem Entsetzen, dass an der Kette Blut klebte – frisches Blut! Ich war nicht in der Lage zu verhindern, dass mir nun dasselbige aus dem Gesicht wich; Motawateh bemerkte es sofort und ließ daraufhin ein fast satanisch wirkendes Grinsen sehen. Ganz kurz sah ich zur Seite und erkannte, dass auch Emery und Sam blass geworden waren; sie hatten die Kette ebenfalls erkannt. Der Kiowa-Häuptling wartete nun einige Augenblicke ab, um zu sehen, ob ich meinem Schrecken jetzt auch mit Worten Ausdruck verleihen würde, aber den Gefallen tat ich ihm natürlich nicht. Er war wirklich nicht der Geduldigste, denn schon nach wenigen Sekunden höhnte er: „Der weiße Kojote hat wohl seine Stimme verloren? Du siehst, ich halte mein Wort: der Pimo ist mein Gefangener, er wird die schlimmsten Qualen ausstehen müssen, die je einem Menschen widerfahren sind, und seine Martern haben auch schon begonnen!“ Diese beunruhigenden Worte veranlassten mich jetzt doch, ihn nochmals genauestens anzusehen, in der Hoffnung, seine Mimik würde ihn der Lüge überführen. Er aber wirkte so selbstsicher und so zufrieden mit sich, dass es mir nicht leicht fiel, den Wahrheitsgehalt seiner Worte anzuzweifeln. Mich schauderte es innerlich, als ich darüber nachsann, was diese Rothäute meinem Freund alles schon angetan haben konnten. Freiwillig hatte dieser dem Kiowahäuptling mit Sicherheit nicht seine Kette überlassen! Motawateh hatte davon gesprochen, dass seine Folter schon begonnen hätte – was bedeutete das? Die Marterung eines solch bedeutenden Kriegers und Häuptlings, wie Winnetou es war, würde niemals still und heimlich vorgenommen werden; man würde dieses Ereignis unter den größten und aufwendigsten Feierlichkeiten über Tage hinweg durchführen. Wir aber hatten bisher keinerlei der dabei zwangsläufig entstehenden Geräusche wie Trommeln oder Kriegsgesänge vernehmen können, überhaupt war es die ganze Zeit über mucksmäuschenstill um unser Zelt herum gewesen, was fast schon auffällig war. Wie mochte es wohl meinem Bruder im Augenblick ergehen? An seiner Kette hatte ich Blutflecken entdeckt – waren diese wirklich von ihm? Konnte es nicht auch ein Trick dieses Schurken sein, um uns, und vor allem mich, bange zu machen? Und wenn ja, aus welchem Grund? Und wenn es wirklich das Blut Winnetous war, wie schwer mochte er verletzt sein? Befand er sich tatsächlich hier im Lager der Kiowas oder hatte er entfliehen können, war vielleicht bei seiner Flucht im Kampf verwundet worden? Die Sorge um den edelsten und besten meiner Freunde schnürte mir die Kehle zu und machte mir das Herz schwer. Vielleicht brauchte er genau jetzt, in diesem Moment, dringend meine Hilfe, und ich saß hier gefesselt in diesem Zelt fest, als Gefangener von Motawateh! Was konnte dieser nur von uns wollen? Aus welchem Grund hatte er uns überwältigt und gefangen genommen? Er hatte von Winnetous Gold gesprochen und von Freunden der Kiowas, die sich dieses Reichtums bemächtigen wollten – sollte das der Grund sein? Allerdings hatte er auch eine Beleidigung erwähnt, die ihm von Winnetou einst zugefügt worden war, und da die meisten Roten nicht nach Gold trachteten, andererseits aber jede ihnen jemals zugedachte Beleidigung irgendwie zu rächen versuchten, war das wohl der alleinige Grund für seinen offensichtlichen Hass auf meinen Freund. Und da ich, wie allgemein auch unter den indianischen Völkern bekannt, dessen engster Freund und Vertrauter war, genügte diese Tatsache dem Kiowa-Häuptling, um zu beschließen, mich Winnetous Schicksal teilen zu lassen. All diese Gedanken durchliefen mein Gehirn in Sekundenschnelle, und während dieser kurzen Zeit hatte Motawateh mich mit stillem, höhnischen Vergnügen betrachtet. Als ich jetzt immer noch nichts sagte und auch sonst, zumindest äußerlich, keinerlei Anzeichen von Angst und Schreck oder zumindest Sorge um den Apatschen sehen ließ, verließ ihn seine freilich nur kurz andauernde Geduldsphase schon wieder und er giftete in meine Richtung: „Glaubt die weiße Kröte namens Old Shatterhand es nun? Motawateh spricht keine Lüge, wenn er dir sagt, dass dieser räudige Kojote, der sich der Häuptling der Apatschen schimpft, in diesem Augenblick die größten Qualen ausstehen muss!“ Ich bemühte mich, meiner Mimik den Ausdruck absoluter Gleichgültigkeit zu verleihen, als ich ihm antwortete: „Das einzige, was ich hier sehe, ist eine Kette, wie es sie wohl viele gibt. Wer sagt mir, dass es wirklich die des berühmtesten aller Häuptlinge ist? Der unbekannte Kiowa hier vor mir wäre doch niemals Manns genug, ihm diese zu entwenden!“ Wieder wurde ich nun Zeuge eines höchst interessanten Farbwechselspiels in dem Gesicht des Angesprochenen. Er machte eine Bewegung, wie um mir einen weiteren Tritt zu verpassen, unterließ es aber doch, da er wohl zu der Einsicht gekommen war, sich durch seine vorherigen Unbeherrschtheiten schon zu sehr eines Häuptlings unwürdig verhalten zu haben. Seine Wut konnte er aber nicht gänzlich unterdrücken; sie war ihm deutlich anzusehen, als er mir jetzt entgegen zischte: „Elender Wurm! Dein Hochmut wird dir viel schneller vergehen, als dir lieb sein kann! Du wirst mir nicht weismachen können, dass du die Halskette deines Blutsbruders nicht erkennst!“ Lächelnd entgegnete ich ihm: „Vielleicht ist sie es wirklich. Aber selbst wenn es so wäre, dann ist das noch lange kein Beweis, dass sich der große Häuptling der Apatschen in deiner Gefangenschaft befindet! Wie sollte dir auch dieses Kunststück gelingen! Wahrscheinlich habt ihr Winnetou nach einem kurzen Kampf mit euch, aus dem er als Sieger hervorgegangen war, aus den Augen verloren und seine Kette wurde ihm während des Gefechts vom Hals gerissen. Beantworte mir eine Frage: Wenn er wirklich dein Gefangener ist, wieso hältst du ihn dann getrennt von uns fest und mühst dich stattdessen eine unverhältnismäßig lange Zeit ab, mir seine Anwesenheit zu beweisen, anstatt ihn sofort hierher ins Zelt zu schaffen? Hast du solch eine Furcht vor uns, dass du das dich nicht getraust, Winnetou und Old Shatterhand zusammen zu bringen, obwohl wir unbewaffnet und zudem gebunden sind?“ Das hochrote Gesicht des Indianers färbte sich noch einen Ton dunkler, aber es gelang ihm tatsächlich, seine Gefühle zu kontrollieren, zumindest für diesen Moment noch. Betont ruhig antwortete er dann auch: „Meine Krieger sind zur Zeit damit beschäftigt, dem Pimo das Fleisch vom Körper zu schälen. Wir glauben, dass ihr diesen Anblick nicht ertragen könntet und nur noch wie räudige Köter winseln würdet, aus diesem Grund befindet er sich nicht hier. Ich aber habe mit dir noch zu reden. Du alleine hast die Macht, die Qualen deines Freundes abzukürzen und ihn schnell sterben zu lassen. Du musst mir nur eine Frage wahrheitsgemäß beantworten!“ Ich sah ihn aufmerksam an, bemühte mich aber, mir mein großes Interesse nicht anmerken zu lassen, denn jetzt würde ich wahrscheinlich den Grund unserer Gefangenschaft erfahren. „Nur zu,“ entgegnete ich ihm denn auch mit großem Gleichmut, „Ich bin mir sicher, dass ich dir unzählige Fragen beantworten könnte und auch müsste, um deinen geistigen Horizont wenigstens etwas zu erhellen!“ Mit dieser spitzen Bemerkung hatte ich erreicht, dass Motawateh nun endgültig der Kamm schwoll und er vor mühsam unterdrückter Wut zu zittern begann. Er beugte sich soweit vor, dass seine Nasenspitze beinahe die meinige berührte, und flüsterte jetzt fast schon, mit zusammengebissenen Zähnen, um zu verhindern, dass er vor Zorn losschrie: „Jede deiner Unverschämtheiten mir gegenüber wird zur Folge haben, dass der Apatsche noch fürchterlicher gefoltert wird, als du es dir in deinen schlimmsten Alpträumen überhaupt vorstellen kannst! Ich sage es noch einmal: Du hast es in der Hand, ob und wie sehr er zu leiden hat, also sieh dich vor! Wirst du mir nun meine Frage beantworten?“ Innerlich amüsierte ich mich köstlich, trotz der nagenden Sorge um meinen Freund, über die Leichtigkeit, mit der ich diesen Kiowa zur Weißglut treiben konnte, und antwortete ihm deshalb in fast schon fröhlicher Weise: „Es ziemt sich nicht für einen Häuptling, Ungeduld zu zeigen, wusstest du das nicht? Aber damit du dich nicht weiter vor deinen Kriegern blamieren musst, bin ich bereit für deine Frage!“ Er stieß ein unwilliges Schnauben aus, ließ sich aber weiter nicht anmerken, dass ihn meine Zurechtweisung getroffen hatte, und begann jetzt endlich: „Die Kröte namens Winnetou hatte Gold bei sich, sogar nicht wenig. Woher stammt es? Wo liegt der Fundort?“ Der Häuptling musterte mich jetzt gespannt, da ich nicht sogleich antwortete, denn mir schossen in Sekundenschnelle mehrere Fragen durch den Kopf. Das konnte der Kerl doch jetzt nicht im Ernst glauben, dass ich ihm eine Bonanza meines Blutsbruders verraten würde! Dachte er wirklich, dass ich über dessen Goldgruben von ihm in Kenntnis gesetzt worden war? Überhaupt, wieso wandte er sich nicht an Winnetou selber, wenn er ihn doch in seiner Gewalt hatte? Und seit wann trachteten die Kiowas überhaupt so nach Gold? Etwas unentschlossen, wie ich mich jetzt weiter verhalten sollte, sah ich Motawateh prüfend an und zögerte kurz mit der Antwort, so dass diesem nun doch wieder der Geduldsfaden riss und er mich förmlich andonnerte: „Du sollst antworten, du Hund! Bedenke, dass der stinkende Kojote da draußen jede deiner Verweigerungen mit seinem Blut zu bezahlen hat!“ Aus Sorge um Winnetou entschloss ich mich nun doch, ihm zu Willen zu sein, obwohl es mir wahrhaftig nicht leicht fiel. „Wie kommst du dazu, zu vermuten, dass ich den Fundort eines Goldschatzes kennen sollte? Weißt du nicht, dass ein so großer Häuptling, wie es Winnetou ist, niemals irgendjemanden dieses Wissen weitergeben würde, sogar mir nicht, auch wenn wir uns noch so nahe stehen? Du behauptest, er wäre dein Gefangener; mit dieser deiner Frage beweist du mir aber das Gegenteil, denn sonst würdest du deinen Willen ja bei Winnetou selber einfordern!“ Motawateh, der schon wieder zornesrot im Gesicht war, schrie mich daraufhin voll ungeduldiger Wut an: „Wirst du mir endlich verraten, woher Winnetou sein Gold hat, du räudiger Köter?“ „Ich kann es dir nicht sagen, da ich keines seiner Verstecke kenne“, antwortete ich knapp und sagte damit auch die Wahrheit, denn mein Freund hatte mir in all den Jahren, die wir uns kannten, niemals eine solche Bonanza gezeigt, da er nicht riskieren wollte, dass ich irgendwann doch, wie fast alle Weißen, von dem „Tödlichen Staub“ ins Verderben gezogen werden würde. „Du kannst den großen Häuptling der Apatschen doch höchstpersönlich fragen“, riet ich Motawateh weiter. „Aber das wirst du nicht tun, du kannst es nicht tun, denn er befindet sich ja gar nicht hier in eurem Lager, richtig?“ Der Anführer der Kiowas konnte sich kaum mehr beherrschen. Sein mühsam unterdrückter Grimm ließ ihn nur noch heiser krächzen, als er mir erwiderte: „Ich glaube dir kein Wort! Der Apatsche, der so wenig Mut besitzt wie ein Präriehase, hat dein Blut getrunken und du seines; er vertraut dir darum mehr als jedem anderen. Du kennst das Versteck des Goldes, und du wirst es mir verraten, sonst wird der Pimo dafür fürchterlich büßen müssen. Ich werde dir soviel Zeit geben, die ihr Weißen fünf Minuten nennt, danach bringe ich dir einen weiteren Beweis für die Anwesenheit deines Freundes. Wenn du dann anschließend nicht mit der Wahrheit herausrückst, werden dir seine Schmerzensschreie in jeder Sekunde deines restlichen Lebens, welches aber nur noch kurz währen wird, in den Ohren klingen!“ Mit dieser unheilvollen Drohung verließ er zum zweiten Mal das Zelt. Ich sah meine Kameraden an. Emerys Gesichtsausdruck war so sorgenvoll, wie ich mich innerlich fühlte; und die Augen des stets heiteren Sam Hawkens hatten nun endgültig ihr lustiges Funkeln verloren. Trotzdem versuchte er, mir Mut und Zuversicht zu vermitteln. „Lasst Euch jetzt nur nicht von diesem Choleriker einen Bären aufbinden, mein geliebter Sir! Der Kerl klopft doch nur große Sprüche, um uns einzuschüchtern – aber das wird ihm nicht gelingen, so wahr ich Sam Hawkens heiße!“ Ich nickte nur, und jetzt fiel auch Emery ein: „Aber die Halskette – sie stammt doch von Winnetou, richtig, Charlie?“ Ich nickte und verspürte einen dicken Kloß im Hals, als ich erwiderte: „Ja, sie gehört ihm, soviel ist sicher. Es klebte Blut daran, und ich muss gestehen, dass mein Herz alles andere als frei von Sorge um ihn ist, wobei ich immer noch nicht richtig glauben kann, dass dieser Motawateh Winnetou in seiner Gewalt hat. Wieso hält er ihn dann nicht mit uns zusammen gefangen? Das ergibt für mich einfach keinen Sinn!“ Emery hatte sich über diesen Umstand wohl auch schon mehrfach Gedanken gemacht, denn er äußerte jetzt eine Vermutung. „Vielleicht ist es die Absicht des Kiowa, dich über Winnetous Schicksal im Ungewissen zu lassen, um dich zu zermürben, so dass du doch noch das Versteck des Goldes verrätst.“ „Emery, ich kann es nicht verraten, selbst wenn ich es wollte“, erwiderte ich. „Winnetou hat mich aus gutem Grund niemals über einen solchen Ort in Kenntnis gesetzt. Er war zwar immer wieder sehr bemüht, mir mit seinem Reichtum auszuhelfen, wenn ich mal wieder knapp bei Kasse war, aber so oft es irgendwie ging, habe ich versucht, selber für meinen Unterhalt aufzukommen, meistens durch schriftstellerische Aktivitäten, wenn wir in größeren Städten unterwegs waren. Ich wollte es nie zulassen, und Winnetou ebenfalls nicht, dass das Gold in unserer Freundschaft eine Rolle spielt oder sich sogar zwischen uns stellt.“ Einige Sekunden schwiegen wir, dann begann Emery von neuem: „Ich verstehe nur nicht, wieso dieser Motawateh sich so hartnäckig an dich hält? Er muss sich doch darüber im Klaren sein, dass diese Tatsache unseren Verdacht, dass sich Winnetou gar nicht in seiner Gewalt befindet, nur erhärtet! Wieso versucht er nicht, das Geheimnis aus dem Apatschen selber herauszupressen?“ „Weil er genau weiß, dass Winnetou es ihm niemals, auch nicht unter den schlimmsten Martern, verraten würde!“, antwortete ich. „Er bemüht sich zwar sehr, den Eindruck zu erwecken, dass er den berühmten Häuptling nur verachtet, aber in Wirklichkeit kann er dessen Eigenschaften und Fähigkeiten wohl sehr gut einschätzen und er ist sich deshalb sicher, dass seine Bemühungen, ihm den Ort eines seiner Placers zu entlocken, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.“ „Na, hoffentlich kommt er dann nicht auf den Gedanken, dich im Beisein von Winnetou zu foltern, damit dieser doch noch nachgibt – sollte er sich wirklich in Gefangenschaft befinden“, meinte Emery sorgenvoll. „Ich denke nicht“, entgegnete ich. „Denn auch in diesem Fall würde Winnetou sich und den Traditionen seines Volkes und seiner Väter nicht untreu werden. Er würde nichts verraten.“ „Auch wenn es sich um seinen besten Freund handelt?“, fragte Emery, fast schon entsetzt. „Er würde dein Leben für das Geheimnis des Goldes opfern? Das kann ich nicht glauben!“ „Es wäre aber so, denn unser Leben ist in den Augen der Kiowas sowie schon verwirkt“, begann ich mit meiner Erklärung. „Würde der Apatsche aus Angst um mich das Versteck verraten, würden wir trotzdem getötet werden, und mit diesem Verrat an seinem Volk hätte Winnetou zudem noch seinen und auch meinen Namen entehrt – weil wir dadurch unsere Furcht vor den Marterungen und dem Tod bewiesen hätten. Das würde Winnetou niemals zulassen!“ „Aber ob dieser aufgeblasene Kiowahäuptling das auch weiß?“ mischte sich jetzt Sam in unser Gespräch ein. „Der macht nämlich auf mich irgendwie den Eindruck, als ob er nicht einen Funken Ehre im Leib hat; vielleicht weiß er sogar gar nicht, was das ist, hihihi!“ Mein unerschütterlicher Sam hatte also seinen Humor schon wiedergefunden, wie er mit diesen Worten gleich bewies. „Der Kerl hat wahrscheinlich keine Ahnung, dass es Menschen gibt, die nicht aus Angst vor dem Tod gleich sogar mit dem Teufel jeden erdenklichen Pakt eingehen würden, wenn ich mich nicht irre! So wollen wir daher ernsthaft hoffen, dass er meinem geliebten Greenhorn hier nicht doch noch das ein oder andere Löchlein in die Gestalt sticht, das ergäbe nämlich einen ganz und gar unfeinen Gesamteindruck, hihihihi!“ Trotz unserer nicht gerade zur Erheiterung dienenden Lage musste ich nun doch ob der Worte des kleinen Mannes schmunzeln, wurde aber daraufhin sofort wieder ernst. „Wir sollten unser Gehirn nun aber allmählich wieder dazu benutzen, einen Weg zu finden, wie wir uns befreien können. Ich selber verspüre nämlich nicht das geringste Bedürfnis, noch eine weitere Nacht hier zu verbringen!“ „Ich auch nicht“, fiel Sam sofort wieder ein. „Obwohl ich es einfach traurig fände, wenn wir die Gastlichkeit dieses Ortes und die liebevolle Zuwendung der Kiowas so schnell wieder aufgeben müssten, und auch der unbekannte Häuptling dieser Indsmen hier mit seiner so überwältigenden Freundlichkeit uns gegenüber wird mir wirklich fehlen, wenn ich mich nicht irre!“ Eine Weile blieb es nun still; jeder von uns sann über einen Ausweg nach, dann schüttelte Sam so heftig den Kopf, dass seine Perücke hin und her rutschte und erklärte: „So - ich habe nachgedacht, aber im Augenblick fällt mir nichts ein, wenn ich mich nicht irre! Jetzt seid Ihr dran und nun könnt Ihr mal beweisen, dass aus dem ausgewachsenem Greenhorn tatsächlich ein halbwegs akzeptabler Westmann geworden ist, hihihih!“ Bei diesen Worten sah er mich herausfordernd an, konnte aber nicht verhindern, dass seine kleinen Äuglein lustig funkelten und sich in seinem dichten Bartgestrüpp ein Zucken um die Stelle herum, wo man den Mund vermuten würde, bemerkbar machte. Natürlich sprach er nicht im Ernst und dachte weiterhin über eine Lösung nach, aber um nichts in der Welt würde er sein launiges und humorvolles Wesen unterdrücken. Ich begann mich jetzt noch einmal genauestens im Zelt umzusehen, welches nun endgültig vom Tageslicht erhellt wurde, und suchte angestrengt nach einer Möglichkeit, um unsere Fesseln durchtrennen zu können. Es brannte kein Feuer im Zelt, womit wir die Stricke hätten irgendwie durchbrennen können, aber da wir ja noch zusätzlich an tief im Boden eingelassenen Pfählen gefesselt waren, hätte uns das auch nichts genützt. In Gedanken ging ich dann den gesamten Inhalt meiner Taschen durch. Ich war zwar überzeugt, dass die Indianer uns komplett unserer Sachen beraubt hatten, aber... Richtig - in einer versteckten Seitentasche meiner Weste bewahrte ich doch immer ein Taschenfedermesser auf, welches mir schon in so mancher Notlage aus der Patsche geholfen hatte! Sollte ich auch dieses Mal das Glück haben, dass die Kiowas es nicht entdeckt hatten? Ich versuchte mein Möglichstes, irgendwie an der besagten Stelle der Weste zumindest fühlen zu können, aber da meine Hände nicht wie so oft nach vorne, sondern nach hinten gebunden worden und zudem noch am Pfahl befestigt waren, waren sämtliche Bemühungen umsonst. Ja, wenn wir uns gegenseitig, auch mit gefesselten Händen, hätten betasten können, wäre die Sache vielleicht von Erfolg gekrönt worden, aber so.... Ich hatte aber weiter keine Zeit mehr, meine Anstrengungen fortzusetzen, denn jetzt wurden zum dritten Mal an diesem Morgen die Felle am Zelteingang zurückgeschlagen und Motawateh trat erneut ein. Wieder hielt er etwas in den Händen, und wieder ging er direkt auf mich zu und hielt es mir vors Gesicht, allerdings ohne ein Wort zu sagen. Doch wurde ich von ihm genauestens beobachtet, denn er wollte wohl keine auch noch so geringe Reaktion meinerseits verpassen. Ich warf einen Blick auf den Gegenstand, den er mir zeigte, und erschrak fast zu Tode. Diesmal hielt er eine lange Strähne seidig schwarzen, teils bläulich schimmernden Haares in den Händen, und diesmal bestand kein Zweifel, dass es von Winnetou war, denn daneben lag ein Teil der Klapperschlangenhaut, mit der mein Freund sein reiches Haar immer durchflochten hatte – und beide Teile waren vollgesogen mit Blut! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)