Geliebter Blutsbruder von Anmiwin ================================================================================ Kapitel 1: Unbestimmte Sehnsucht -------------------------------- Ich befand mich seit einigen Monaten wieder in Deutschland, um endlich mal wieder meiner Arbeit als Autor nachzugehen – auch ich muss schließlich von irgendetwas leben... Vor fünf Monaten hatte ich mich in St. Louis drüben in Amerika von meinem unvergleichlichen Blutsbruder Winnetou für die Dauer von 2 Jahren getrennt, natürlich nicht, ohne vorher den genauen Zeitpunkt und Ort für unser nächstes Treffen festzulegen. Ich wollte einige Zeit in Deutschland verbringen, um zu schreiben, und dann für ein Jahr in den Orient reisen, um alte Bekannte wie meinen Hadschi Halef Omar zu treffen sowie neue Eindrücke für weitere Reiseerzählungen zu sammeln. Sammeln ist ein gutes Stichwort – ich versuchte mich gerade, für mein neues Buch innerlich zu sammeln, also meine Gedanken zusammenzuhalten – aber irgendwie schaffte ich es nicht. Vor meinem geistigen Auge erschien immer wieder eine schlanke, mittelgroße Gestalt mit unglaublich langem, seidigen, wunderschönen, bläulich schwarzen Haaren, ernstem, männlich-schönen Gesicht und samtigen dunklen Augen, in denen man zu versinken drohte. Und es war nicht das erste Mal, dass mir mein Blutsbruder durch meine Gedanken zog; es geschah seit unserer Trennung und vor allem seit meiner Ankunft in meiner Heimat immer öfter! Das war irgendwie seltsam und vorher noch nie geschehen. Ich versuchte, trotz dieser immer öfter vorkommenden Störungen etwas einigermaßen Gescheites zu Papier zu bringen, was mir auch leidlich gelang. Dann war die Zeit gekommen, mich reisefertig zu machen, um erst den Zug nach Italien und dann das Schiff nach Kairo zu besteigen. In den letzten Nächten vor meiner Abreise gelang es mir immer seltener, ohne Störung durchzuschlafen. Es waren keine richtigen Alpträume, die mich wieder und wieder aus dem Schlaf rissen, sondern eher unbestimmte Angstgefühle. Ich träumte nicht richtig, aber im Schlaf stiegen immer wieder verworrene Bilder in mir auf sowie regelrechte Verlustängste. Meistens wachte ich dann schweißgebadet, mit einem nicht näher zu bestimmenden nagenden Gram in mir auf. Und ständig sah ich beim Aufwachen das gleiche Bild vor mir: eine blutüberströmte Person, die ich aber nur als Silhouette sah und die ich einfach nicht zuordnen konnte. Diese Störungen eisern zu ignorieren versuchend, trat ich dennoch meine Reise an und gelangte auch glücklich, wenn auch etwas übermüdet im Hafen von Genua an, von dem aus das Schiff ablegen sollte. Es gelang mir nicht, das Schiff zu besteigen! Meine innere Unruhe, meine Verlustängste sowie ein tiefer drängender Zwang hielten mich davon erfolgreich ab. Obwohl ich mich selber am liebsten für verrückt erklärt hätte, gehorchte ich dieser inneren Stimme, da sie mich schon so manches Mal vor großer Not bewahrt hatte. Nur – was sollte ich statt dessen tun? Wieder in die Heimat zurück? Ich dachte abends im Hotel über mein weiteres Vorgehen nach, und plötzlich stand die Gestalt meines Winnetou so deutlich vor meinem geistigen Auge, dass ich jetzt genau wusste, warum ich nicht an Bord gegangen war: Ich hatte eine unstillbare Sehnsucht nach der Freiheit Amerikas, der unendlichen Weite der Prärie sowie natürlich und vor allem nach meinem besten Freund! Mich in Gedanken einen sentimentalen Schwachkopf schimpfend, traf ich nicht ohne geringe Vorfreude die Vorbereitungen zu einer weiteren Reise in den Wilden Westen, und je näher die Abreise kam, desto größer stieg in mir die Zuversicht, genau das Richtige getan zu haben. Ja, es war das Richtige, und ich danke heute noch dem Herrgott – denn für mich war niemand anderes als er es gewesen, der meine Schritte in die richtige Richtung lenkte – dafür, dass er mir so deutliche Zeichen gesandt hatte! Kapitel 2: Ein schlimmes Wiedersehen ------------------------------------ Mittlerweile waren einige Wochen ins Land gezogen, und ich hatte mich meinem Ziel, dem Pueblo der Mescaleros, bei denen ich Winnetou zu finden hoffte, schon deutlich genähert. Meine Vorfreude nahm stetig zu, und ich malte mir abends am Lagerfeuer das Zusammentreffen mit meinem Blutsbruder in den schönsten Farben aus. Wie freute ich mich auf die Überraschung, die ich ihm mit meiner für ihn doch unverhofften Ankunft bieten würde! Ich wusste ja, dass ihm die Trennungen genauso schwer fielen wie mir, und bei jedem Wiedersehen kamen wir aus dem Umarmen und Küssen und Drücken gar nicht mehr hinaus. Eigentlich Blödsinn, dachte ich seit einiger Zeit schon manchesmal bei mir, ihn ständig zu verlassen, wo es mir in diesem Land und in seiner Gegenwart doch außerordentlich gut ging und gut gefiel. Aber ich glaubte, dass das Heimweh mich sonst irgendwann überrennen würde, wenn ich nicht regelmäßig nach Deutschland zurückkehrte, und außerdem hatte ich ja noch Familie, vor allem Eltern und Geschwister dort, die ich mit meinem Autorenlohn auch oft unterstützte. Erwähnen muss ich noch, dass ich diese Reise nicht mehr alleine unternahm. Auf dem Schiff nach New Orleans traf ich auf meinen guten alten Bekannten Emery Bothwell, ein schwerreicher Engländer, den ich früher einmal im Orient getroffen und mit dem ich mich sofort bestens verstanden hatte. Er war von wahrhaft hünenhafter Gestalt, kräftig, listig und mit allen Fertigkeiten versehen, die man im Wilden Westen mitbringen musste, wenn man dort bestehen wollte. Er hatte, wie er sich ausdrückte, „im Moment nichts Wichtiges zu tun gehabt“ und sich deshalb mit größter Freude mir und meinem Ziel angeschlossen. Winnetou hatte er vor Jahren durch mich kennengelernt, und der Apatsche hatte einen unauslöschlichen Eindruck bei ihm hinterlassen. Wir näherten uns dem Llano Estacado, der für unerfahrene Menschen so gefährlichen Wüste, die wir durchqueren mussten, um zu den Mescaleros zu gelangen. Am frühen Abend wollten wir auf Helmers Home, einer Farm kurz vor Beginn des Llano, einkehren und dort übernachten. Den Besitzer, ein Deutscher namens Tobias Helmer, kannte ich von vorherigen Aufenthalten sehr gut und freute mich auf ein paar schöne Stunden mit deutscher Unterhaltung. Als wir die Ansiedlung erreichten, gab es ein großes Hallo und das Besitzer-Ehepaar vergoss sogar die eine oder andere Willkommensträne, so groß war ihre Freude, mich wiederzusehen! Außer uns war nur noch ein einziger Gast da, ebenfalls ein Deutscher, ein Arzt von ungefähr fünfzig Jahren, der genug hatte von den chemischen Pillen und Tropfen, mit denen die Ärzte in Deutschland „ihre Patienten zu quälen versuchen“, wie er sich ausdrückte, und der die Überzeugung hegte, dass Medizin auf natürlicher Basis, wie sie vor allem bei Naturvölkern angewandt wird, für die Kranken meistens das weitaus bessere Heilmittel darstellt. Zumindest glaubte er fest daran, dass beide Seiten sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Gegenteil eng zusammen arbeiten sollten, und somit einen viel größeren Heilungserfolg erzielen würden. Deshalb hatte er sich in den Westen aufgemacht, um einen Indianerstamm zu finden, der bereit war, ihn aufzunehmen und sein Naturstudium zu unterstützen gewillt war. Er war heilfroh, in mir einen erfahrenen Westmann zu finden, unter dessen Führung er den gefährlichen Llano durchqueren und von dem er vielleicht sogar anschließend Fürsprache bei den mir bekannten Indianervölkern erhoffte. Da es bis zu den Apatschen nur noch einige Tagesreisen zu absolvieren galt und der Arzt namens Walter Hendrick sowie seine Absichten mir auf Anhieb sympathisch waren, entschloss ich mich, mit dem Einverständnis von Emery, ihm seine Mitreise zu erlauben. Es war später Nachmittag, als wir alle gemütlich auf der Bank unter einem großen Baum vor dem Hause saßen, unsere letzten Erlebnisse einander erzählten und den Tag unter viel Gelächter und guten Unterhaltungen ausklingen ließen. Plötzlich zeigte Dr. Hendrick auf einen dunklen Punkt, der sich in größerer Entfernung von uns befand und langsam näherkam: „Da scheint aber jemand nicht so gut aus der Wüste entlassen worden zu sein“ sagte er. Und wirklich, bei näherem Hinsehen erkannten wir einen Reiter, der zusammengesunken auf seinem Pferd saß, welches sich nur noch mühsam und stolpernd fortbewegen konnte. Wir standen alle auf und schirmten unsere Augen mit den Händen von der Sonne ab, um den Reiter besser sehen zu können. „Ich glaube, der braucht tatsächlich Hilfe!“ erklärte der Arzt und begann, dem Unbekannten entgegenzugehen. Auch wir anderen setzten uns in Bewegung. Nach einigen Sekunden, in denen ich den Reiter immer besser erkennen konnte, hielt ich erschrocken inne und sah noch einmal genauer hin. Schwarzes Pferd – heller Leib – rot um die Mitte – schwarzes, langes Haar.....das konnte doch nicht sein!? Oder? Ich begann zu rennen, überholte den Doktor und mit jedem Schritt stieg die schreckliche Gewissheit. „Iltschi!“ rief ich dem Pferd entgegen. Es hob seinen schönen Kopf und beschleunigte seine Schritte – es hatte meine Stimme erkannt. Nun sprang ich den beiden förmlich entgegen. Als ich ankam und der edle Rappe schnaubend vor Erschöpfung mich trotzdem freudig begrüßte, hob ich zitternd den Kopf der zusammengesunkenen Gestalt, der auf dem Hals des Pferdes lag, leicht an, um ihr Gesicht zu erkennen – und stand starr vor Schreck. Es war mein Blutsbruder Winnetou! Doch wie sah er aus! Sein Gesicht war eingefallen, die Augen lagen in tiefen Höhlen, seine Lippen waren aufgesprungen, sein Haar vollgesogen von Blut aus einer tiefen Wunde an der Schläfe, welches auch sein halbes Gesicht bedeckte. „Winnetou!!“ schrie ich panisch auf, griff im gleichen Moment zu und begann, ihn aus dem Sattel zu ziehen. Hinter mir erscholl die ebenso schreckensstarre Stimme Emerys: „Warte! Ich helfe dir!“ Er griff gleichfalls zu und gemeinsam ließen wir den Apatschen vorsichtig auf den Boden gleiten. Ich nahm seinen Kopf in meinen Schoß, strich ihm die Haare aus der Stirn, rieb seine Schläfen, versuchte, seinen Puls zu ertasten, was mir mit meiner vor Angst zitternden Hand aber nicht gelang, rief seinen Namen, kurz, tat alles, was mir einfiel, um ihn zu einer Reaktion zu bewegen, die aber nicht kam, da er in tiefer Bewusstlosigkeit lag. Inzwischen war der Arzt hinzugekommen und jetzt zeigte sich, dass ich da wirklich keinen Kurpfuscher, wie sie in jenen Tagen im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ihr Unwesen trieben, vor mir hatte, sondern einen gut ausgebildeten Mediziner, der sofort wusste, was zu tun war. Er legte seine Finger erst auf die Halsschlagader, dann auf Winnetous Handgelenk, griff danach unter sein Jagdhemd und legte die Hand auf seine Brust, um ein Lebenszeichen zu ertasten. „Sein Herz schlägt, ... zwar langsam, unregelmäßig, kaum spürbar, aber ... es schlägt. Auch die Atmung....“hier unterbrach Dr. Hendrick sich erschrocken, denn er hatte seine Hand wieder hervorgezogen und sah nun, dass diese rot von Blut war. Jetzt erst bemerkten wir, dass Winnetous Hemd im linken Brustbereich von getrocknetem Blut rotgefärbt war. „Um Gottes Willen!“ hörte ich neben mir Emerys Stimme. Ich selbst saß stumm vor Schreck, bekam kein Wort mehr heraus. Umso schneller aber hatte ich mein Jagdmesser gezogen und schnitt Winnetou das Hemd kurzerhand von der Brust herunter. Ja, wirklich, er hatte ganz nahe am Herzen offenbar einen Messerstich erhalten, die Wundränder waren mit verkrustetem Blut bedeckt, die Wunde selber hatte jetzt wieder angefangen, leicht zu bluten, wahrscheinlich hervorgerufen durch die Bewegung, als wir ihn vom Pferd genommen hatten. „Herr im Himmel!" rief der Doc erschrocken aus. "Er muss Unmengen Blut verloren haben! Wir müssen ihn sofort ins Haus bringen! Mrs. Helmer, können Sie schnellstens ein Lager für ihn vorbereiten? Wir brauchen auch viel Wasser, kaltes, warmes und heißes zum Desinfizieren. Und suchen Sie so viel Verbandszeug oder auch reine Laken, wie Sie haben, zusammen, ja?“ Mrs. Helmer, die uns gefolgt war und ihrem Schrecken kaum Ausdruck verleihen konnte, rannte sofort zurück zum Haus, um alles Nötige vorzubereiten. Der Doktor untersuchte Winnetou noch einmal kurz und gab dann das Zeichen, ihn so vorsichtig wie nur irgend möglich zum Haus zu tragen. „Wir müssen aufpassen, dass die Wunde nicht weiter aufbricht, er hat schon viel zu viel Blut verloren, und wenn das so weitergeht, hat er gar keine Chance!“ ermahnte er uns. Ich machte Anstalten, meinen Freund aufzuheben, da schob Emery mich zur Seite: „Das übernehme ich! Achte du nur auf seinen Kopf!“ Er war ja, wie schon erwähnt, ein wahrer Hüne von Gestalt, während Winnetou normal groß und schlank, ja fast zierlich zu nennen war. Emery nahm ihn wie ein Kind auf die Arme und trug ihn, so schnell und gleichzeitig so vorsichtig er konnte, ins Haus. Helmer folgte uns, Iltschi am Zügel nehmend, schnell nach. Kapitel 3: Tod oder Leben? -------------------------- Im Haus angekommen, legte Emery meinen Freund unendlich vorsichtig auf das von Mrs. Helmer inzwischen schnell vorbereitete Bett, dass sich in einem Gastzimmer unten im Haus befand. Trotzdem ich in größter Sorge war, dachte ich zunächst an das Naheliegende, nämlich an die Versorgung von Winnetous Iltschi. Also bat ich Emery: „Höre, Emery, ich weiß, dass du hier jetzt auch nicht gehen möchtest, aber du bist der Einzige, den Iltschi außer mir an sich heranlässt, und wir müssen uns um ihn kümmern, das sind wir auch Winnetou schuldig! Und ich kann ihn jetzt einfach nicht alleine lassen, siehst du das ein?“ Emery nickte nur und verließ schnell das Zimmer. Ich wusste nun, dass er Iltschi ab jetzt die allerbeste Pflege angedeihen ließ, und war, wenigstens in dieser Hinsicht, beruhigt. Dr. Hendrick hatte meinem Freund inzwischen mit der Hilfe von Mr. Helmer komplett von seinem Jagdhemd befreit und begann nun, die Wunde genauer zu untersuchen. Zwischendurch schickte er Mrs. Helmer aus dem Zimmer, um ihm seine Tasche zu holen. Er begann, sich über den Verlauf der Stichwunde zu wundern. „Seltsam....es sieht so aus, als ob sein Gegner auf jeden Fall das Herz getroffen hätte, wenn er nicht mit dem Messer irgendwie abgerutscht wäre....Hat Ihr Freund vielleicht irgendetwas in seiner Brusttasche, was dies möglich gemacht hätte?“ Ich hob schnell das Hemd vom Boden auf und griff in die Brusttasche – und tatsächlich, ich zog die aus echtem Silber bestehende kleine Dose heraus, in der Winnetou eine Haarlocke seiner schönen Schwester Nscho tschi aufbewahrte, die er ihr kurz nach ihrem Tod als Erinnerung abgeschnitten hatte. Auf der oberen Seite der Dose war eine tiefe Einkerbung zu erkennen. Geschockt und seltsam berührt starrte ich erst auf die Dose, dann auf Winnetous Wunde. Es sah ganz danach aus, als ob Nscho tschi zu Winnetous Schutzengel geworden war. „Ja,“ sagte der Doktor, als er die Dose sah. „Das habe ich mir fast gedacht. Die Messerklinge ist abgerutscht und hier direkt neben dem Herzen an einer Rippe gestoppt worden. Dabei ist leider eine kleinere Arterie verletzt worden, die für den enormen Blutverlust gesorgt hat.“ Ich konnte nicht antworten. Zu entsetzt war ich über dieses unerwartete und jetzt so schlimme Wiedersehen mit meinem Blutsbruder. Ich hatte ihn noch nie schwer verletzt oder zumindest bewusstlos gesehen, außer am Beginn unserer Bekanntschaft, als ich ihn erst zu seinem Schutz und dann zu meiner Verteidigung zweimal niederschlagen musste. Und jetzt lag er hier vor mir, hilflos und so schwer verwundet, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Inzwischen hatte Mrs. Helmer die vom Doktor gewünschten Dinge gebracht, und dieser suchte sich sogleich sein Stethoskop hervor und begann, Winnetous Herz abzuhören. Ich setzte mich an den Kopf meines geliebten Freundes, nahm eines von den Tüchern, die Mrs. Helmer zusammen mit den verschieden temperierten Wasserschüsseln gebracht hatte, tauchte es in lauwarmes Wasser und begann, seine Stirn und sein Gesicht vorsichtig von dem geronnenen Blut zu reinigen. Dr. Hendrick war medizintechnisch wirklich gut ausgestattet. Er hatte sogar ein Gerät zum Messen des Blutdrucks dabei. Während der Untersuchung nahm sein Gesicht einen immer bedenklicher werdenden Ausdruck an. Dann schaute er sich die Kopfwunde an, die schon zu verkrusten begann. Anschließend sah er mich sehr ernst an. „Das sieht im Moment nicht gut aus. Er hat sich anscheinend mehrere Tage, ohne viel Wasser zu sich zu nehmen, in der Wüste befunden, und ist darum völlig dehydriert. Beide Wunden sind mindestens anderthalb bis zwei Tage alt und haben offenbar lange Zeit stark geblutet, so dass hier ein enorm hoher Blutverlust vorliegt. Zusammen mit dem Flüssigkeitsverlust ergibt das eine große Gefahr für Herz und Kreislauf. Eigentlich ist es ein Wunder, dass er noch lebt. Ich glaube, jeder andere wäre schon in der Wüste an multiplen Organversagen gestorben! Diese Gefahr besteht aber immer noch, wenn wir jetzt nicht schleunigst für eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr sorgen!“ Er sah mir wohl an, dass ich diese Diagnose mit großem Entsetzen aufnahm, obwohl ich ja schon beim ersten Blick auf Winnetou gesehen haben musste, dass er sich in akuter Lebensgefahr befand. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine angenehmere Mitteilung machen kann, aber ich bin es Ihnen schuldig, die Wahrheit zu sagen!“ Am Allerwichtigsten war es jetzt, meinem Freund in irgendeiner Form genügend Flüssigkeit zuzuführen. Ich wollte das auf die altbekannte Methode machen, in dem ich ihm immer und immer wieder Wasser einzuflößen versuchen wollte, aber der Doktor hielt mich davon ab. Er hatte aus dem Osten das neueste medizinische Gerät mitgebracht, unter anderem auch Infusionsbesteck, welches sich damals noch in der Testphase befand und im praktischen Gebrauch noch völlig unbekannt war. Er hielt meine Methode für viel zu gefährlich, da auf diesem Weg niemals die Menge zugeführt werden konnte, die notwendig war, da ja eine tiefe Bewusstlosigkeit vorlag, und außerdem bestand die große Gefahr der Aspiration, also des Einatmens in die Lunge, was eine schwere Lungenentzündung nach sich ziehen konnte, und in Winnetous schlechtem Zustand musste jede weitere Infektion unbedingt vermieden werden. Dr. Hendrick überzeugte mich also von seiner neuen Methode und legte einen Zugang in Winnetous Vene, durch den er eine Kochsalzlösung mit allen lebensnotwendigen Elektrolyten laufen ließ. Anschließend begann er mit der Wundversorgung. Die Kopfwunde machte ihm nicht allzu große Sorgen, aber die Brustwunde war allein wegen ihrer Tiefe und ihrer Nähe zum Herzen sowie der Arterienverletzung deutlich gefährlicher. Er tat, was er konnte, sagte aber anschließend zu mir: „Jetzt hätte ich gerne eines dieser wunderbaren Heilkräuter der Indianer hier, ich glaube, dass diese der Wunde die Gefährlichkeit mehr nehmen würden als alles, was ich hier zur Verfügung habe!“ Es war zum Verzweifeln! In Winnetou hatten wir den besten Wundarzt der hiesigen Indianer, den man sich vorstellen konnte, und gerade jetzt betraf es ihn selber! Ich wusste zwar, dass er in seinen Satteltaschen immer eine Art Apotheke mit den verschiedensten Kräutern mitführte, aber der Arzt schüttelte nach der Durchsicht derselben nur bedauernd den Kopf, da er sich mit diesen Pflanzen einfach nicht auskannte. Nachdem er mit dem Verbinden fertig war, horchte er nochmal Herz und Lunge ab und überprüfte den Kreislauf, um sich dann mit einem vorläufigen Fazit wieder an mich zu wenden: „Ich habe jetzt für ihn getan, was in meiner Macht steht, doch ich muss leider sagen, dass er sich weiter in akuter Lebensgefahr befindet. Der Blut- und Flüssigkeitsverlust ist so enorm hoch, dass das Herz Schwerstarbeit leisten musste, um die Organe weiter zu versorgen und Winnetou bis jetzt am Leben zu halten. Darum ist es nun so geschwächt, dass es zu deutlichen Herzrhythmusstörungen gekommen ist. Ich kann nur hoffen, dass es trotzdem stark genug ist, den Körper weiter zu versorgen, bis der Blut- und Flüssigkeitsverlust wieder ausgeglichen ist. Es ist also zwingend notwendig, dass er über eine längere Zeit still liegen bleibt, damit erstens die Wunde heilen kann und es nicht zu erneuten Blutungen kommt, und zweitens könnte jede noch so kleine Anstrengung zum plötzlichen Herzversagen führen. Aufgrund seiner wohl noch länger andauernden Bewusstlosigkeit wird das allerdings zumindest in den ersten Tagen gewährleistet sein.“ „ WIRD ER ES SCHAFFEN ???", das war alles, was ich im Moment von ihm wissen wollte. Dr. Hendrick warf einen sehr besorgten Blick auf Winnetou. „Ich kann es wirklich nicht vorhersagen. Wie gesagt, jeder andere.... Außerdem wird bald höchstwahrscheinlich noch etwas anderes hinzukommen....“ „Was denn noch?“ fragte ich, aufgrund meiner aufkommenden Panik lauter als beabsichtigt. „Das Wundfieber. Wenn die Wunden frisch gewesen wären, hätte ich alle Möglichkeiten gehabt, es abzuwenden, aber in diesem fortgeschrittenen Zustand.... Das bedeutet eine weitere Belastung für den Herzkreislauf, und je höher es wird und je länger es andauert....“ Er sprach nicht weiter, aber ich hatte ihn auch so verstanden. Ich war schockiert, wie gelähmt, verzweifelt. Was hatte ich mich auf das Wiedersehen gefreut! Und jetzt lag mein Winnetou hier vor mir, mehr tot als lebendig! Aber solange auch nur ein Funken Hoffnung bestand, würde ich meinen Freund nicht aufgeben, im Gegenteil, ich schwor mir, alles zu tun, was in irgendeiner Weise zu seiner Genesung beitragen konnte. Diesem Entschluss sofort Folge leistend, fragte ich den Doktor: „Hören Sie, gibt es irgendetwas, was ich tun kann, um seine Lage auch nur etwas zu erleichtern?“ Er sah mich prüfend an, blickte dann auf den Apatschen, legte seine Hand auf Winnetous linken Arm und sagte dann: „Aufgrund des Blutverlustes kühlt sein Körper sehr stark aus. Natürlich könnten wir jetzt noch ein paar mehr Decken dazulegen, aber menschliche Wärme ist jetzt wahrscheinlich viel mehr wert. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, legen Sie sich zu ihm, nehmen Sie ihn fest in die Arme und wärmen Sie ihn mit Ihrem Körper. Wahrscheinlich wird er sogar im Unterbewusstsein spüren, dass Sie da sind, dass Sie bei ihm sind, und allein das kann ihm schon helfen, zu überleben!“ Er hatte kaum ausgesprochen, da hatte ich mich schon teilweise entkleidet und legte mich so zu Winnetou, dass er mit seinem Oberkörper halb auf meiner Brust lag. Ich schloss meine Arme fest um ihn und merkte dabei selbst, dass die seinigen richtig kalt waren. Mrs. Helmer räumte die gebrauchten Utensilien weg und einen Moment später kam Emery herein. Er warf einen etwas verdutzten Blick auf Winnetou und mich und erkundigte sich hastig: „Wie geht es ihm?“ Der Doktor erklärte ihm die Sachlage, auch warum ich mich zu meinem Freund gelegt hatte, und dann fragte ich ihn: „Wie steht es mit Iltschi?“ „Ja... der Rappe ist ganz schön erschöpft, aber es ist ein wunderbares, kräftiges Tier. Er hat bis jetzt gut getrunken und fängt sogar gerade an, wieder zu fressen. Ich habe ihn gründlich abgerieben und werde gleich wieder nach ihm sehen.“ Wenigstens etwas, dachte ich bei mir. Emery fragte weiter: „Was kann ihm nur passiert sein? Wie konnte es jemanden gelingen, Winnetou mit dem Messer anzugreifen? Er schafft es doch immer, seine Feinde so abzuwehren, dass sie ihm gar nicht so nahe kommen können?“ „Ich denke, dass er dazu gar nicht mehr in der Lage war,“ erwiderte der Arzt. „Die Wunde am Kopf stammt von einer Gewehrkugel. Sie hat seinen Kopf zwar nur gestreift, aber es war ein sehr tiefer Streifschuss, deswegen auch hier der hohe Blutverlust. Außerdem wurde von hinten auf ihn geschossen, also konnte er sich hier gar nicht wehren. Er wird daraufhin sofort das Bewusstsein verloren haben, so dass sein Gegner ihn mit dem Messer angreifen konnte!“ Das war eine einleuchtende Erklärung und wir waren uns sicher, dass es sich so oder so ähnlich zugetragen hatte. Doch wer waren der oder die Angreifer? Wurde er vielleicht sogar verfolgt? Mir schossen viele Fragen durch den Kopf, doch um die Lösung des Rätsels sollten sich andere kümmern, ich würde Winnetou jetzt keine Sekunde von der Seite weichen, soviel war sicher! Kapitel 4: Bloody Fox --------------------- Wir saßen ungefähr anderthalb Stunden unter bedrückendem Schweigen um Winnetou herum und alle hingen ihren Gedanken nach. Der Doktor untersuchte ihn jede Viertelstunde kurz und der ernste Ausdruck wollte einfach nicht aus seinem Gesicht weichen. Ich lag noch immer völlig fassungslos neben meinem Freund. Was mir alles durch den Kopf ging? Ich kann es gar nicht mehr beschreiben. Vor meinem geistigen Auge zogen all die schönen Stunden und aufregenden Erlebnisse vorüber, die ich mit ihm in den letzten Jahren durchlebt hatte, und ich wollte einfach nicht glauben, dass das alles jetzt zu Ende sein könnte, wenn er mir genommen würde. Das durfte einfach nicht sein! Erst jetzt wurde mir klar, wie selbstverständlich ich es immer hingenommen hatte, dass ich ihn nach langen Trennungen stets gesund und munter wiedergetroffen hatte, obwohl er hier doch in einem der gefährlichsten Gebiete der Welt lebte! Winnetou hatte sich ja nicht immer nur Freunde, sondern gerade unter den Komantschen und Sioux und vor allem unter vielen moralisch völlig unterbelichteten Weißen erbarmungslose Feinde geschaffen! War er jetzt einem von ihnen zum Opfer gefallen? Ich sah hinunter auf sein leichenblasses, aber immer noch wunderschönes Gesicht, und in diesem Moment wuchs in mir der Entschluss heran, ihn niemals mehr alleine zu lassen und ihn vor seinen Feinden zu beschützen, wenn er es überleben sollte. In Gedanken drohte ich den Tätern die strengsten Strafen an. Plötzlich hörten wir draußen einen Reiter im schnellen Galopp nahen und vor dem Haus stoppen. Tobias Helmer fuhr hoch, sah hinaus und rief: „Hey, das ist ja Bloody Fox! Ich muss ihn kurz begrüßen!“ Schon war er draußen. Früher hätte ich mich über das Zusammentreffen mit Bloody Fox, dem Winnetou und ich einige Male begegnet waren und der uns immer viel Bewunderung abgerungen hatte, gefreut, aber im Moment schien mein Gefühlsleben von der übergroßen Angst um das Leben meines Freundes beherrscht zu werden. Bloody Fox war von Tobias Helmer großgezogen worden, nachdem der ihn als Kind als einzigen Überlebenden eines von Verbrechern überfallenen Auswanderer-Trecks aus dem Llano Estacado gerettet hatte. Bloody war schon als halberwachsener Knabe danach wieder und wieder auf der Suche nach diesen Verbrechern durch die gesamte Wüste geritten und kannte sie mittlerweile wie seine Westentasche. Er hatte schließlich eine wunderschöne Oase inmitten des Llano entdeckt und bewohnte diese jetzt mit einem großen, starken Neger namens Bob sowie dessen Mutter. Von dieser Oase aus machte er seit Jahren Jagd auf die sogenannten Llanogeier, einer Verbrecherbande, die die Stangen, die in der Wüste in größeren Abständen den Reisenden den Weg weisen sollten, auszogen und an anderer Stelle wieder einsteckten, um so vor allem große Trecks in die Irre zu führen. Wenn die Auswanderer dann bemerkten, dass sie sich auf dem falschen Weg befanden, war es schon zu spät, denn meistens waren zu diesem Zeitpunkt die Zugtiere schon dem Verschmachten nahe. Die feigen Banditen brauchten dann nur zu warten, bis der Tod die Menschen ereilt hatte und konnten sich dann in aller Ruhe ihre Beute aussuchen. Ich hörte Helmer und den Neuankömmling vor dem Haus sprechen, vor allem Bloody Fox stieß einige Fragen schnell hintereinander aus, aber ich konnte nichts verstehen. Kurze Zeit später kam er auch schon ins Zimmer gestürmt. Sein Blick fiel als erstes auf Winnetou und sein Gesicht wurde blass vor Schreck. Er trat ans Bett, gab mir kurz die Hand und sagte: „Wie freue ich mich, Euch zu sehen, Mr. Shatterhand, aber es tut mir so leid, dass es unter solch furchtbaren Umständen geschieht! Wie steht es um ihn?“ Ich gab ihm die erwünschte Auskunft, unterstützt vom Fachwissen des Arztes. Es wurde jetzt englisch gesprochen, da Bloody, im Gegensatz zu Emery, nur sehr wenig deutsch verstand. Er fragte weiter: „Wisst Ihr, was da passiert ist?“ Ich verneinte und fügte hinzu: „Wir sind uns nur sicher, dass es in der Wüste geschehen sein muss, aber alles weitere ist uns auch ein Rätsel.“ „Es waren garantiert Llanogeier!“ erklärte Bloody so bestimmt, das ich erstaunt aufhorchte. „Wieso seid Ihr Euch da so sicher? Wisst Ihr Genaueres?“ „Nein," antwortete er. "Was ihm letztendlich genau passiert ist, kann ich nicht sagen, nur so viel, als dass ich ihn vorgestern, also am Dienstag zur Mittagszeit, zuletzt gesehen habe.“ Jetzt richteten wir uns alle kerzengerade auf und sahen ihn voller Spannung an. Nun würden wir endlich etwas mehr erfahren! Bloody bemerkte unsere erwartungsvollen Blicke und begann zu erzählen: „Winnetou kam am Sonntag Abend in fliegender Hast bei mir in der Oase an und bat mich, schnellstens sämtliche Packpferde, die ich besitze, mit so vielen gefüllten Wasserschläuchen zu beladen, wie sie nur zu tragen imstande wären. Er erklärte, er habe ungefähr eine Stunde östlich von der Oase Spuren entdeckt, die deutlich belegten, dass irgendwer die Führungsstangen in eine falsche Richtung gelenkt hatte und dass offenbar ein größerer Auswanderer-Treck dadurch in die Falle geraten sei. Er war den Spuren des Trecks erst gar nicht gefolgt, sondern direkt zu mir geritten, da die Oase in entgegengesetzter Richtung liegt, und trieb mich jetzt zu größter Eile an. Ich erfüllte mit Bob und seiner Mutter natürlich schnellstmöglich seine Forderungen und wir ritten in einem wahren Gewaltritt dem Treck hinterher. Trotz der Packpferde erreichten wir diesen binnen drei Stunden. Die Auswanderer hatten für diese Strecke aufgrund ihrer langsamen Zugtiere natürlich viel länger gebraucht und waren jetzt dem Verschmachten nahe, vor allem, weil irgendjemand ihnen in der vergangenen Nacht die Wasserfässer aufgebohrt hatte und sie seit fast zwei Tagen nichts mehr zu trinken hatten. Winnetou und ich versorgten sie erst einmal mit dem Nötigsten und verhinderten wohl dadurch den ein oder anderen Todesfall.“ Er unterbrach sich kurz, sein Blick fiel wieder auf meinen Freund. „Er hat, wie so oft, mal wieder in Not geratenen, für ihn völlig wildfremden Menschen das Leben gerettet und wird zum Dank dafür fast umgebracht! Schade, dass ich das nicht eher gewusst habe, ich hätte diese Kerle beim lebendigen Leib auseinandergerissen!“ Vor Wut ballte er die Fäuste und sein Gesicht nahm einen so grimmigen Ausdruck an, dass man davor hätte erschrecken können. „Erzählt weiter!“ ermahnte ich ihn. „Wir beide richteten, nachdem die größte Not gelindert war, eine Art Wasserstraße ein, das heißt, dass wir immer abwechselnd mit jeweils der Hälfte der Packpferde zur Oase zurückkehrten, um neues Wasser zu holen, während der Zurückbleibende Menschen und Tiere des Trecks weiter versorgte, was übrigens viel Arbeit bedeutete, denn dieser besteht aus ungefähr achtzig Personen. Als die Tiere soweit zu Kräften gekommen waren, dass sie wieder imstande waren, die Wagen zu ziehen, machte derjenige, der bei den Auswanderern geblieben war, sich mit ihnen in die richtige Richtung auf, denn es bestand ja noch immer die unmittelbare Gefahr, dass die Geier auftauchten, um ihre angefangene Arbeit zu beenden. Wir ritten Tag und Nacht ohne Unterbrechung, machten nur ganz selten Pause. Ich glaube, Winnetou hatte kaum zehn Minuten am Stück geruht - er wollte die Auswanderer unbedingt aus der Gefahrenzone bekommen. Ja, und am Dienstag Morgen war er wieder an der Reihe, zur Oase zu reiten, und das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.“ Er stockte, hatte jetzt sichtlich mit seinen Emotionen zu kämpfen. „Zuerst machte ich mir noch keine Sorgen, denn es dauerte ja immer einige Stunden, bis man diese Strecke zurückgelegt hatte. Außerdem geschah kurz nach seinem Verschwinden etwas höchst Außergewöhnliches. Wir trafen auf einen Trupp von zweiunddreißig Personen, und was für welche! Ich glaube, so ein unglaubliches Zusammentreffen kommt nur alle paar Jahre vor.“ Er machte wieder eine kleine Pause, um einen Schluck Wasser zu trinken, welches Mrs. Helmer ihm gebracht hatte. Dann fuhr er fort: „Es waren elf Weiße und einundzwanzig Rote. Das waren Apatschen unter der Führung von Entschah-koh, dem ersten Unterhäuptling Winnetous. Seine Kundschafter hatten vor einigen Tagen Llanogeier belauscht und dabei erfahren, dass diese in Begriff standen, sich in größerer Anzahl zusammenzurotten und den Llano unsicher zu machen. Da Entschah-koh wusste, dass Winnetou ungefähr um diese Zeit ganz allein durch die Wüste reiten würde, um nach Hause zurückzukehren, ritt er ihm mit den zwanzig Apatschen zu seinem Schutz entgegen. Tja, und die Weißen....wie gesagt, ein außergewöhnliches Zusammentreffen von vielen der hervorragensten Westmännern, die der Wilde Westen zu bieten hat: Hobble-Frank mit seiner Tante Droll, Pitt Holbers und Dick Hammerdull, der dicke Jemmy sowie der lange Davy, Bärenjäger Baumann nebst Sohn Martin, Old Surehand mit seinem Old Wabble (**Anmerkung von mir: in diesem Fall stelle ich mir Old Surehand und Old Wabble genauso wie in den Filmen vor, dort gefielen sie mir irgendwie besser als in den Büchern!**) und nicht zuletzt....Old Firehand!“ Bei der Aufzählung dieser berühmten Namen konnte einige der Anwesenden nicht verhindern, dass ihnen die Kinnlade nach unten sackte. Auch ich war völlig erstaunt: „Das gibt es doch nicht! Wie kommen denn all diese Leute zusammen an einem Ort?“ Bloody erklärte: „Ja, das ist eine Geschichte voller Zufälle, die man Euch aber bald selber erzählen können wird. Der ganze Treck sowie die Westmänner kommen nämlich mit den Apatschen hierher!“ „Nicht zu fassen! Aber fahrt doch bitte mit Eurer Erzählung fort!“ Bloody kam meiner Aufforderung sofort nach: „Einen Tag zuvor waren die Apatschen mit den Weißen in der Wüste zusammengetroffen und hatten beschlossen, zumindest vorerst zusammenzubleiben. Als sie dann auf uns stießen, war ganz klar, dass sie uns ihre Hilfe zusagten. Auch sie hatten schon einige Spuren der Llanogeier bemerkt und daraus geschlossen, dass irgendwo ein Verbrechen ausgeführt werden sollte. Wir errichteten also mit dem Treck eine Falle für die Banditen, die uns am Abend tatsächlich überfielen. Sie hatten natürlich nur mit halbtoten Menschen gerechnet, die zu gar keiner Verteidigung mehr imstande waren, und wurden von uns daher um so mehr überrascht. Es waren über fünfzig Verbrecher, von denen höchstens ein oder zwei verletzt fliehen konnten, die anderen wurden von uns ausgelöscht!“ Er legte wieder eine kleine Pause ein und blickte uns alle nacheinander an. „Wir beschlossen, den Treck zur Erholung erst einmal nach Helmers Home zu führen, da dieses am nächsten liegt und ich das Geheimnis meiner Oase nicht gerne mit fremden Menschen teile. Also machten wir uns auf die Reise. Mittlerweile war ich über Winnetous Ausbleiben sehr besorgt geworden, zumal wir uns ja sagen mussten, dass er durchaus unterwegs auf einige der Banditen getroffen sein konnte. Ein Teil von uns ritt also seit Dienstag Abend ständig durch die nähere Umgebung, um irgendeine Spur des Apatschen zu finden, es war bisher aber umsonst. Ich beschloss daher, schon mal voraus zu reiten und hoffte, hier vielleicht ein Lebenszeichen von ihm zu finden, denn es konnte ja sein, dass er aus irgendeinem Grund hier aufgetaucht sein könnte.....“ Seine Stimme wurde zum Schluss immer leiser, und wieder warf er einen ängstlichen Blick auf Winnetou. „Wer hätte gedacht, dass ich so recht behalten würde...?“ Er setzte sich neben den Apatschen und nahm dessen Hand in seine. Schweigen bereitete sich im Zimmer aus. Jeder von uns musste diese Geschichte erst einmal verdauen. Ich senkte den Kopf und betrachtete den besten Freund, den ich je gehabt hatte. Er atmete völlig unregelmäßig, mal langsam, mit langen Pausen dazwischen, dann wieder schnell und oberflächlich. Er tat mir so leid! Wie gerne hätte ich für ihn dieses Leid auf mich genommen! Immer wieder streichelte ich ihm die Stirn und die Wangen. Er hatte mal wieder helfen wollen und wurde dafür so bestraft! Was waren das für Feiglinge, die es nur wagten, ihn von hinten nieder zu schießen! Im offenen Kampf hätte Winnetou auf jeden Fall die Oberhand behalten. Auch ich ging jetzt davon aus, dass es Llanogeier gewesen sein mussten, die ihm das angetan hatten, und wenn ich je auf einen von diesen Verbrechern treffen sollte, dann Gnade diesem Gott! Kapitel 5: Durchhalten! ----------------------- Mittlerweile war es spät abends, und bis auf den Doktor zogen sich alle Anwesenden zur Nachtruhe zurück. Dieser beschloss, in der Nacht zu wachen und Winnetous Zustand immer wieder zu überprüfen, da die nächsten Stunden und Tage sehr kritisch werden würden. Er wechselte ein ums andere Mal die Infusion, um so eine Flüssigkeitszufuhr rund um die Uhr zu gewährleisten. Die Infusionslösungen konnte er in der Küche des Hauses relativ leicht selber herstellen. Ich frage ihn, wie es jetzt im Moment um den Apatschen bestellt sei und er berichtete mir: „Wirklich nicht gut. Sein Herz arbeitet auf niedrigstem Niveau, sein Kreislauf ist völlig im Keller und sein Blutdruck kaum messbar. Ich hoffe und bete, dass er es schafft, und tue dafür, was in meiner Macht steht, aber allzu große Hoffnungen dürfen wir uns eigentlich nicht machen!“ Auf diese Schreckensnachricht konnte ich keine Antwort mehr finden. Ich schloss Winnetou noch fester in meine Arme und begann in Gedanken für sein Überleben zu beten. Ich wachte die ganze Nacht, unfähig, auch nur wenige Minuten zu schlafen. In der zweiten Nachthälfte wurde es dann wirklich schlimm. Das befürchtete Wundfieber trat tatsächlich ein; ich bemerkte es zuerst. Mir wurde es neben Winnetou immer heißer, und als ich ihm mal wieder über die Wange strich, erschrak ich fast zu Tode. Schnell legte ich meine Hand auf seine Stirn – sie glühte förmlich. „Doktor!“ rief ich entsetzt. „W...was?!“ fragte er verwirrt, denn er war vorübergehend kurz eingenickt. „Er hat Fieber!“ „Oh, nein!“ kam es nur von ihm. Sofort hatte er ein Fieberthermometer zur Hand, legte es unter Winnetous Achseln und untersuchte ihn kurz. Als er das Thermometer ablas, konnte ich trotz der Dunkelheit, die in dem nur von einer kleinen Lampe beleuchteten Raum herrschte, erkennen, dass sein Gesicht alle Farbe verlor. „40,5 Grad...“ sagte er nur, mich hilflos ansehend. Jetzt konnte ich nicht mehr verhindern, dass mir die Tränen kamen. Dr. Hendrick wendete sich diskret ab. Der Arzt tat alles, was er im Rahmen seiner Möglichkeiten machen konnte, und dann hieß es: Warten. Warten auf den Tod? Oder das Leben? Trotz dieser furchtbaren Stunden begriff ich langsam, warum es mich anstatt nach Afrika wieder in den Westen getrieben hatte: Winnetou brauchte mich jetzt so nötig wie niemals zuvor. Entweder würde er sterben, und dann starb er wenigstens in den Armen seines engsten Vertrauten. Oder es gelang ihm, zu überleben, und dann brauchte er jede Unterstützung für seine Genesung, die er bekommen konnte. Dieses untätige Herumsitzen machte mich fast verrückt. Ich musste irgendetwas tun! Mir fielen Winnetous Haare ins Auge, deren linke Hälfte sich wie ein Schwamm mit Blut aus der Stirnwunde vollgesogen hatte und die dadurch furchtbar verklebt waren. Ich fragte den Doktor, ob ich ihm die Haare auswaschen dürfe, doch er verbot es mir. In diesen kritischen Stunden sollte nur das Nötigste getan werden, ansonsten durften wir seinen Körper in keinster Weise unnötig belasten. So verbrachte ich den Rest der Nacht damit, meinen Freund zu halten und zu wärmen, wenn er von einem Fieberkrampf geschüttelt wurde, vorsichtig zu streicheln und ihm immer wieder leise ins Ohr zu flüstern, dass er sich nicht aufgeben dürfe, dass ich jetzt bei ihm sei. Kaum graute der Morgen, gesellten sich schon die anderen Hausbewohner zu uns, die vor lauter Sorge auch nicht gerade viel geschlafen hatten, um sich zu überzeugen, dass Winnetou noch lebte und zu fragen, wie es ihm gehe. Das Auftreten des Wundfiebers bedeutete ein erneuter Schock für sie In dem Arzt aber war eine leise Hoffnung aufgekeimt. Winnetou hatte die erste Nacht überlebt! Allerdings hieß das noch gar nichts, denn das Fieber war um keinen Deut gesunken. Wenn die Infusionen nicht gewesen wären, hätte er gar keine Chance mehr gehabt, so der Doktor. Durch die permanente Flüssigkeitszufuhr hatte sich sein Zustand aber wenigstens in dieser Hinsicht etwas stabilisiert, was man unter anderem auch dadurch sah, als dass er jetzt, bedingt durch das hohe Fieber, anfing zu schwitzen. Ich verbrachte den ganzen Morgen damit, ihm immer und immer wieder den Schweiß von Stirn, Gesicht, Hals und Brust zu wischen. Bloody Fox und vor allem Emery boten mir ständig an, mich abzulösen, damit ich mich auch mal ausruhen konnte, aber dieses Ansinnen wehrte ich vehement ab. An Emery gewandt, erklärte ich, dass ich Winnetou nicht eher von der Seite weichen würde, als bis dieser wieder kerngesund sei! Ich trank zwischendurch, aß aber nur sehr wenig, da ich überhaupt keinen Hunger verspürte. Ich fand es nicht schlimm, denn schließlich lag ich ja die ganze Zeit nur auf dem Bett und verbrauchte deshalb kaum Energie. So verging dieser Tag, und das Fieber blieb auf gleicher Höhe. Wie lange würde Winnetou das noch durchhalten? Der Doktor machte sich vor allem wegen des geschwächten Herzen Sorgen, denn das hohe Fieber belastete es zusätzlich. Gegen Abend wurde es rund um das Haus lebendig. Der Treck war angekommen! Bloody Fox und Helmer gingen sofort hinaus, um die Ankömmlinge zu begrüßen und ihnen über Winnetou und seinem schlimmen Zustand zu berichten. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, wie diese Nachricht auf Old Firehand, Old Surehand und Entschah-koh wirken würde, die alle den Apatschenhäuptling schon seit einer Ewigkeit kannten! Ich hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gebracht, da stürmten alle drei schon ins Zimmer. Ich kann die entsetzten und voller Angst dreinblickenden Gesichter, die sie machten, als sie Winnetou erblickten, gar nicht beschreiben. Nach einer kurzen Begrüßung überschütteten sie dann auch vor allem den Arzt mit ihren Fragen, nur Entschah-koh verhielt sich seiner indianischen Abstammung gemäß zurückhaltend, aber selbst er konnte nur ganz schlecht seine große Besorgnis verbergen. Als Dr. Hendrick von dem hohen Fieber sprach, ging der Unterhäuptling schweigend hinaus und kam mit einem Bündel voller Kräuter zurück. Natürlich! Als einer von Winnetous engsten Untergebenden war er auch in dieser Hinsicht von ihm genauestens unterrichtet worden. Und richtig! Er gab dem Arzt und Mrs. Helmer einige kurze Anweisungen, dann wurde aus dem einen Teil der Kräuter ein Tee gebraut und der andere Teil dazu benutzt, die Brustwunde zu versorgen. In mir begann wieder Hoffnung aufzukeimen. Die beiden anderen hatten sich inzwischen rechts und links von Winnetou niedergesetzt, seine Hände genommen und blickten ihm, dieselbigen ständig streichelnd und drückend, angstvoll ins Gesicht. Old Firehand hatte besondere Mühe, mit diesem Zustand zurecht zu kommen: „Verdammt.... ich kenne diesen Jungen, seit er noch ein Knabe war...ich habe ihn noch niemals so gesehen.....der wird uns doch nicht wirklich verlassen wollen.....“ stammelte er. Ich antwortete nicht, weil ich nicht in der Lage war, ihn zu trösten. Old Surehand verhielt sich ebenso schweigsam, aber seine Blicke und seine Mimik sprachen Bände. Er nahm das Leben sonst immer mit genügend Humor, der war ihm in dieser Situation aber völlig abhanden gekommen. Mittlerweile war der Tee abgekühlt, und dieser musste Winnetou natürlich eingeflösst werden. Ich übernahm das. Es ging, langsam, ganz vorsichtig, aber es ging. Entschah-koh war zufrieden: „Das wird helfen, das Fieber zu senken. Er wird aber öfter noch trinken müssen.“ „Das muss er sowieso, denn sonst trocknen Mund und Rachen komplett aus und er wird, wenn er erwacht, vor Schmerzen gar nicht sprechen können!“ fügte der Arzt hinzu. Ich tupfte Winnetou währenddessen wiederholt den Schweiß von Gesicht, Hals und Brust. Mehr konnte jetzt nicht getan werden, und wieder verfielen wir alle in ein brütendes Schweigen. Der Treck richtete sich draußen häuslich ein, wobei alle mit anpackten. Unter normalen Umständen wäre wahrscheinlich viel Gelächter und laute Unterhaltungen zu hören gewesen, aber aus gutem Grund herrschte jetzt eine offensichtlich sehr gedämpfte Stimmung. Nach einiger Zeit aber konnte der Hobble-Frank sich nicht mehr beherrschen. Während die anderen Westmänner aus Rücksicht noch nicht ins Krankenzimmer gekommen waren, weil es sonst einfach zu eng und zu voll geworden wäre und unnötig Unruhe hineingebracht hätte, konnte der Kleine sich nicht zurückhalten und betrat am späten Abend leise den Raum. Er hatte Winnetou bei unseren früheren Begegnungen herzlich lieb gewonnen und so ging ihm sein Schicksal richtig nahe. Er begrüßte mich leise, auf englisch, ohne seine Angewohnheit, auf sächsisch seine Binsenweisheiten von sich zu geben und historische Personen, Zeiten, Orte und Zitate aufs Allergröbste durcheinander zu werfen. Diesmal waren die Umstände einfach zu ernst. Er strich erst mir, dann Winnetou über die Wangen, und dann liefen dem herzensguten Kerlchen tatsächlich die Tränen übers Gesicht! Er ließ sich von uns nochmal alles genauestens berichten und ging dann wieder, um seinen Kameraden alles weiterzugeben. Winnetous Zustand änderte sich auch in dieser Nacht, die ich wieder durchwachte, nicht wesentlich. Er lag weiter in tiefster Bewusstlosigkeit, seine Vitalwerte waren am Boden, sein Atem ging noch völlig unregelmäßig und das Fieber sank immer noch nicht. Wirklich nicht? Kurz vor Morgengrauen hatte ich das Gefühl, dass die Hitze, die von dem fiebrigen Körper ausging, der halb auf mir lag, nachließ. Er schwitzte auch nicht mehr so stark. Zweimal noch hatten wir meinem Freund den Kräutertee eingeflösst, sollte das vielleicht jetzt doch gewirkt haben? Leise rief ich den Doktor, der natürlich auch diese Nacht wieder im Krankenzimmer verbrachte, beim Namen. Er war in einem Sessel in der Ecke eingeschlafen, erwachte aber sofort und trat wieder ans Bett. Als ich ihm von meiner Entdeckung berichtete, hellte sich seine Miene auf und er begann, Winnetou gründlich zu untersuchen. Anschließend las er das Thermometer ab. Voller Spannung sah ich ihm zu; und als er immer noch nichts sagte, hielt ich es nicht mehr aus und drängte ich ihn zu einer Antwort. Da strahlte er mich an und flüsterte: „38,7 Grad! Es sinkt!!“ Ich hätte vor Freude fast aufgeschrien, konnte das aber im letzten Moment noch unterdrücken. So drückte ich meinen Winnetou nur an mich und küsste ihm die Stirn. Dr. Hendrick führte weiter aus: „Sein Herzrhythmus ist nicht mehr ganz so durcheinander, und Puls sowie Blutdruck sind tatsächlich etwas gestiegen! Ist das ein Kämpfer!“ Die letzten Worte sprach er mit einem richtig stolzen Unterton aus. Mir war natürlich klar, dass der Apatsche ohne den Doktor es selbst bis hierhin nicht geschafft hätte und das sagte ich ihm auch. Er lächelte leicht, bemühte sich aber dann sofort, meine Hoffnungen nicht ins Unendliche steigen zu lassen. Winnetous Zustand war noch zu schlecht, um jetzt schon sicher zu sein, dass er außer Lebensgefahr sei. Ich sagte mir das natürlich auch, aber in meinem Innersten breitete sich immer mehr die Gewissheit aus, dass mein geliebter Blutsbruder das Schlimmste überstanden hatte und mir erhalten bleiben würde! Kapitel 6: Viel Ruhe und erste Lebenszeichen -------------------------------------------- Am frühen Morgen wurden die Bewohner des Trecks und des Hauses langsam munter. Emery und Old Surehand waren die ersten, die zu uns ins Zimmer kamen, zuerst regelrecht ängstlich und vorsichtig – man konnte ihnen ansehen, wie sehr sie schlechte Nachrichten fürchteten. Kurz zuvor hatte Dr. Hendrick erneut Fieber gemessen – es war weiter gesunken! Wie sich diese nochmalige Verbesserung auf meinen Seelenzustand auswirkte, kann man sich wohl denken. Die alles lähmende Angst wich langsam von mir, ich begann meine nähere Umgebung genauer wahrzunehmen und entwickelte jetzt auch eine richtige Redseligkeit. Als meine beiden Freunde die gute Nachricht hörten, drückten ihre Gesichter genau das aus, was ich fühlte. Schnell verbreiteten sie diese unter den anderen Mitbewohnern, und von draußen hörte ich kurze Zeit später den ein oder anderen Freudenjuchzer hereinwehen. Dieser dritte Tag nach Winnetous Ankunft verging relativ schnell. Bis zum Abend hatten alle anwesenden Westmänner sowie der Führer des Trecks uns nacheinander ihre Aufwartung gemacht – jedem von ihnen stand der Schreck über Winnetous schlechtem Aussehen ins Gesicht geschrieben, als sie das Zimmer wieder verließen, obwohl wir ihnen versicherten, dass er bei seiner Ankunft noch viel schlimmer ausgesehen hatte. Ich selber freute mich aber sehr, die vielen guten Bekannten alle mal wiederzusehen, und da meine Hoffnung auf eine völlige Genesung meines Freundes immer neue Nahrung bekam, war ich auch richtig in Plauderlaune geraten. Außerdem tat es äußerst gut, meine natürlich immer noch vorhandenen Ängste und Sorgen mit den Gefährten zu teilen. Das Wundfieber sank im Laufe des Tages weiter und weiter, die Atmung des Apatschen wurde etwas ruhiger, die Vitalwerte besserten sich leicht und – worüber sich der Doktor am meisten freute – das Herz schlug endlich etwas regelmäßiger. Trotzdem mahnte er uns, realistisch zu bleiben. Der Blutverlust war so enorm hoch gewesen, dass ihn die meisten Menschen wohl nicht überlebt hätten. Das dadurch völlig geschwächte Herz musste sich jetzt erst ein Mal lange erholen, und das hieß mindestens noch zwei Wochen allerstrengste Bettruhe sowie ein Vermeiden jeder noch so kleinen Anstrengung. Dr. Hendrick sorgte weiter unermüdlich für meinen Freund, wechselte Infusionen sowie Verbände, flößte ihm mit meiner Hilfe weiter Kräutertee ein und ruhte sich selber höchstens mal eine Stunde am Stück aus. Auch ich hatte seit Beginn dieser Tragödie fast nicht geschlafen, fühlte aber auch kein besonderes Bedürfnis nach Ruhe. Winnetou und ich waren es gewohnt, nur zu schlafen, wenn die Zeit und Muße dafür gegeben war. Gegen Abend bekam ich dann vom Doktor die Erlaubnis, Winnetou grundpflegerisch versorgen zu dürfen. Seine linke Körperhälfte war ja immer noch teilweise blutverschmiert, von den Haaren mal ganz abgesehen. Erst am Mittag hatte mir Entschah-koh angeboten, ihm oder seinen Apatschen die Körperpflege Winnetous zu überlassen; ich als anerkannter Häuptling der Apatschen sei ja über so eine Aufgabe erhaben. Na, da kam er bei mir aber an den Richtigen! Freundlich, aber bestimmt erklärte ich ihm, dass ich diesen Dienst an meinem besten Freund gerne selber tun würde, dieses sei ich ihm schuldig und es sei auch das Mindeste, was ich für ihn tun konnte. Entschah-koh hatte mich kurz angesehen, leise gelächelt, genickt und dann wieder den Raum verlassen. Ich glaubte, dass er mich jetzt mit nochmal anderen Augen sah, und das im positiven Sinne. Am Abend beschloss ich also, erst ein mal Winnetous Haare gründlich auszuwaschen. Ich ließ mir von Mrs. Helmer mehrere Schüsseln mit warmen Wasser und ein paar reine Tücher und Laken bringen und begann das Werk. Ich saß fast die halbe Nacht daran, so viel Blut hatte sich in seinem reichlichen Haar angesammelt. Erst als Wasser und Laken sich nicht mehr rot färbten, erklärte ich mein Werk für beendet. Die andere Nachthälfte verschlief ich und am frühen Morgen begann ich mit der restlichen Körperpflege, die bis weit in den Vormittag andauerte. Der Doktor hatte die Nacht zwar auch wieder im Zimmer verbracht, dieses Mal aber mehr Zeit und Ruhe gefunden, den fehlenden Schlaf nachzuholen. Nach Beendigung meines Werkes untersuchte er Winnetou wieder gründlich und stellte fest, dass sich sein Zustand weiter verbessert hatte. Er hielt es jetzt auch nicht mehr für ausgeschlossen, dass dieser vielleicht sogar in Kürze zu sich kommen würde! An diesem Tag war der Besuch im Krankenzimmer sehr zahlreich. Meistens saßen sechs oder sieben der Westmänner gleichzeitig an Winnetous Bett und berichteten mir abwechselnd leise, wie sie alle nach und nach in den letzten Wochen zusammengetroffen waren. Alle wunderten sich heute noch über diese eigentlich unglaublichen Zufälle, hatten aber beschlossen, für längere Zeit zusammenzubleiben, und da niemand von ihnen zur Zeit etwas Wichtiges vorhatte, waren sie durch den Llano geritten, um Winnetou einen Besuch abzustatten. Das dieses Vorhaben so geendet hatte, war für alle ein großer Schock gewesen, bestärkte sie jetzt aber um so mehr. Nun wollten sie halt solange warten, bis der Apatschenhäuptling wieder einigermaßen genesen und reisefähig war, um ihn dann unter ihren Schutz in seine Heimat zu begleiten. Na, dann brauchte mir um meinen Freund ja in punkto Sicherheit nicht mehr bange zu sein! Ich begann mich jetzt regelrecht auf die nächste Zeit zu freuen, denn mit so einer Gesellschaft waren viele schöne Stunden ja geradezu vorprogrammiert. Auch der Auswanderer-Treck, der ja in die gleiche Richtung wollte, hatte beschlossen, auf Winnetous Genesung zu warten. Zwar hätte er unter der Begleitung einiger Westmänner, die dann anschließend wieder zurückgekommen wären, sofort aufbrechen können, denn Mensch und Tier hatten sich von den Strapazen gut erholt, aber – man wollte nicht. Alle Treckmitglieder, ob groß oder klein, wussten, was sie Winnetou zu verdanken hatten. Sie wollten sich alle unbedingt persönlich bei ihm bedanken und dann mit ihm gemeinsam durch den Llano reisen. Den letzteren Gedanken fand ich ja ganz vernünftig – je größer eine Gesellschaft, um so sicherer ist sie vor Banditen – aber mit dem Ersteren hatte ich so meine Probleme. Man denke sich, über achtzig Personen wollten Winnetou mit Dank und Lob überschütten! Nicht nur, dass ich meinen Freund auch in dieser Beziehung genau kannte; er redete nicht gerne über seine Wohltaten, die er für selbstverständlich hielt und die er nur vor seinem Manitou verantworten wollte; es war ihm auch gar nicht zuzumuten, dass man in seinem instabilen Zustand solch eine Menge Menschen auf ihn losließ. Aber da würde ich schon eine Lösung finden, ich zerbrach mir jetzt noch nicht den Kopf darüber. Natürlich wurde mir auch heute wieder unentwegt von allen Bekannten angeboten, mich abzulösen, aber ich war in dieser Hinsicht stur, wollte nicht einen Zentimeter von meinem Freund weichen und, wenn ich ehrlich zu mir selber war, auch niemand anderen so nah an ihn heranlassen. Ich lag ja immer noch bei ihm im Bett, und er so auf mir, dass sein Kopf in meiner linken Ellenbeuge ruhte, die ich mit einem großen Kissen abstützte, und sein Oberkörper halb auf meinem lag. Wir wechselten seine Lage allerdings alle paar Stunden, um zu verhindern, dass er sich wundlag. So körperlich nahe waren wir uns noch nie gekommen, die einzigen engeren Kontakte bestanden eigentlich immer nur aus den Umarmungen bei Begrüßungen oder Trennungen. Ich musste mir eingestehen, dass mir dieser Zustand, jetzt, wo ich sein Leben in nicht mehr in unmittelbarer Gefahr wusste, immer besser gefiel. Ich genoss es, meinen Freund zu halten, zu wärmen, an mich zu drücken, allein weil mir das noch nie möglich gemacht worden war. Der Arzt befürwortete diese Lage weiterhin, denn solange Winnetou noch ohne Bewusstsein war, konnte es ihm seiner Meinung nach nur gut tun, menschliche Nähe und Wärme vielleicht auch in seinem Unterbewusstsein zu spüren. Gegen Abend dieses vierten Tages, als mal gerade kein Besuch im Zimmer war, nickte ich tatsächlich kurz ein. Geweckt wurde ich von einer ungewohnten Bewegung. Ich schlug die Augen auf und überlegte angestrengt, was mich wohl aus dem Schlaf gerissen hatte. Da war es wieder! Im Nu war ich hellwach. Winnetou hatte zum zweiten Mal tief Luft geholt und begann, seinen Kopf, den ich diesmal in der rechten Armbeuge hielt, leicht zu bewegen! Ich streichelte kurz seine Wangen und beobachtete dann gespannt sein Gesicht. Würden weitere Reaktionen folgen? Tatsächlich, er fing an zu blinzeln! Jetzt gab es für mich kein Halten mehr; ich rief Dr. Hendrick, der ebenfalls schlief, leise an. Er war auch sofort wach, trat zu uns, beobachtete, gleichzeitig nach seinem Puls tastend, Winnetou einen Moment und nickte mir dann erfreut zu. In diesem Moment betraten Old Surehand sowie Old Firehand das Zimmer. Ich legte den Finger auf den Mund und winkte ihnen, leise näher zu treten. Sie setzten sich wieder zu beiden Seiten des Apatschen. Ihren Gesichtern konnte man eine große Anspannung ablesen. Winnetous Atmung wurde jetzt deutlich tiefer und regelmäßiger, er blinzelte stärker. Der Doktor flüsterte mir zu: „Wichtig ist jetzt vor allem, zu erfahren, ob er Euch erkennt, ob er Schmerzen hat und was das Letzte ist, an was er sich erinnern kann. So können wir feststellen, ob, und wenn, welche Folgen der Blutverlust hatte!“ Ich nickte, sah weiterhin unverwandt in das schöne Gesicht meines Freundes. Dr. Hendrick fuhr fort: „Wir müssen ihm aber Zeit geben. Die Verletzungen und ihre Folgen haben ihn sämtlicher Kräfte beraubt. Er wird große Mühe haben, überhaupt die Augen zu öffnen, geschweige denn, zu sprechen. Also alles ganz langsam und in Ruhe, mit vielen Pausen dazwischen. Er darf sich auf keinen Fall zu sehr anstrengen!“ Winnetou blinzelte jetzt mehrmals hintereinander. Ich glaubte, erkennen zu können, dass er schon bei Bewusstsein war, aber die Augen vor Schwäche noch nicht öffnen konnte und er erst einmal versuchte, sich irgendwie zurechtzufinden. Ja richtig, jetzt begann er auch schon, nacheinander kurz seine Hände zu bewegen. Mit seiner Rechten hatte er aber kaum Spielraum, da sie wegen der Infusionsnadel in seiner Ellenbeuge am Bett fixiert war, damit er sich nicht durch eine plötzliche Bewegung die Vene verletzte. Als er die Fixierung registrierte, glaubte ich, in seinem Gesicht einen Hauch des Erschreckens zu bemerken. Ich verstand auch sofort, warum: Seine letzte Erinnerung beinhaltete wahrscheinlich den Angriff auf ihn; er konnte also jetzt nicht wissen, wo er sich befand, er könnte ja auch durchaus in die Hände von Feinden gelangt sein. Also bewegte er kurz seine Gliedmaßen, um festzustellen, ob er vielleicht gefesselt war und jetzt sah er das durch die Fixierung bestätigt. Old Surehand und Old Firehand hatten wohl im gleichen Augenblick denselben Gedanken, denn sie begannen beide, Winnetous Hände vorsichtig zu drücken und zu streicheln. So etwas macht kein Feind, und daher musste er für sich ja spüren, dass er sich unter Freunden befand. Er entspannte sich auch gleich wieder. Ich hätte ihn gerne angesprochen, hatte aber einfach Sorge, dass er sich dann mit aller Gewalt dazu zwang, die Augen zu öffnen oder zu antworten, und sich dabei zu sehr anstrengte. Also wartete ich geduldig ab, ob er langsam die Kraft dazu fand oder wieder einschlief. Und dann gelang es ihm doch, die Augen zu öffnen! Sein noch etwas verschwommener Blick traf mich, und ich sah ihm an, dass er sich erst einmal konzentrieren musste auf das, was er da eigentlich sah. Dann weiteten sich seine Augen, und ich erkannte vor allem eine völlige Fassungslosigkeit darin. Man konnte richtiggehend sehen, dass er ernsthaft darüber nachdachte, ob sein ermatteter Geist ihm gerade einen Streich spielte. Anscheinend hatte er mich erkannt, und da ich für ihn ja im Augenblick in Afrika weilte, konnte er mit dem Gesehenen überhaupt nichts anfangen. Ich schaffte es gerade noch, ihm zuzulächeln, da schlossen sich seine Augen schon wieder. Er verzog das Gesicht und schüttelte leicht den Kopf, so als ob er ein Trugbild verscheuchen wollte. Als er sie nach wenigen Augenblicken wieder öffnete und ich tatsächlich immer noch da war, da ging ein Leuchten über sein Gesicht, welches gar nicht zu beschreiben war. In seine samtig-schwarzen Augen trat ein erhöhter Glanz, und dann flüsterte er, nein, eigentlich war es nur ein Hauchen zu nennen, ganz leise: „Scharlih!“ In diesem einen Wort lag alles, seine Liebe zu mir, seine unbändige Freude, aber auch Verwirrung, Angst ebenso wie Erleichterung....Mir traten die Tränen in die Augen. Ich strich mit meiner Hand über seine Stirn und Wangen und sagte leise: „Ich bin ja da, Winnetou, ganz ruhig. Ich bin hier und bleibe auch hier!“ „Aber.... wie kommst..... du denn.... hier....“ Bei diesen Worten begann er doch tatsächlich, sich leicht aufzurichten! Sofort drückte ich ihn, die eine Hand auf seiner Brust und die andere auf die Stirn gelegt, vorsichtig wieder zurück in die Kissen und unterbrach ihn: „Nein, Winnetou, um Himmels Willen, bleib liegen! Du darfst dich nicht anstrengen! Du bist schwer verletzt, jede noch so kleine Anstrengung könnte deinen sicheren Tod bedeuten, und ich bitte dich, mein Bruder, tu mir das nicht an!“ Er hatte während meiner Worte, von denen ich vor allem die letzten besonders betonte, seine Augen wieder geschlossen, und sein Atem ging schon jetzt aufgrund dieser wenigen Bewegungen heftiger. Der Doktor gab mir daher auch schnell durch Zeichen zu verstehen, ihn zur Ruhe zu zwingen. Ich ließ meine Hand auf seiner Brust und fügte für ihn als Erklärung hinzu: „Ich werde dir später genauer erzählen, warum ich hier bin, für's Erste lass dir nur gesagt sein, dass ich das Schiff nach Afrika schon gebucht hatte, aber eine tiefe Sehnsucht zu dir und diesem Land hat mich davon abgehalten, es zu betreten!“ Winnetou lächelte leise, zum Zeichen, dass er mich verstanden hatte. Ich gab ihm ein, zwei Minuten Zeit, ließ ihn erst mal wieder zu Atem kommen, dann fragte ich leise: „Hast du Schmerzen?“ Er schüttelte leicht den Kopf, seine Lider blieben weiterhin geschlossen. Man sah deutlich, er war schon wieder am Ende seiner Kräfte und deshalb wollte ich ihn auch nicht länger mit Fragen von der ihm doch so nötigen Ruhe abhalten. Nach einigen Augenblicken öffnete er aber doch noch mal gewaltsam seine Augen, sah mich an und wollte zu sprechen beginnen. Ich aber legte ihm den Finger auf den Mund und flüsterte: „Nicht mehr sprechen, mein Freund, es strengt dich zu sehr an.“ Er aber nahm trotzdem nochmal alle Kraft zusammen und hauchte stockend, in dem er seine linke Hand aus der von Old Surehand herauswand und auf meine Rechte legte, die auf seiner Brust lag: „Ich.... ich bin so froh,.....dass du da bist,........Scharlih....“ Bei diesen Worten glitzerten tatsächlich Tränen in seinen Augen! Jetzt war es um meine Selbstbeherrschung geschehen. Weinend drückte ich ihn fest an mich und schluchzte: „Und ich bin so froh, dass du lebst! Was hatte ich für eine Angst um dich!“ Ich verbarg mein Gesicht dabei in seiner Halsbeuge und ließ meinen Gefühlen nun einfach ihren Lauf. Nach wenigen Minuten spürte ich, dass sein Körper in meinen Armen erschlaffte - er hatte wieder das Bewusstsein verloren. Vorsichtig bettete ich ihn zurück in die Kissen und sah meine Gefährten an. Ausnahmslos allen standen die Tränen in den Augen. Dr. Hendrick schluchzte einmal noch leise auf und untersuchte dann Winnetou ein weiteres Mal; kurz darauf signalisiert er mir, dass alles soweit in Ordnung sei, mein Freund aber Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe brauche. Das ich dafür sorgen würde, war wohl selbstverständlich. Kapitel 7: Genesung in kleinsten Schritten ------------------------------------------ Winnetou war erstmals erwacht! Allein diese Tatsache ließ mein Innerstes vor Glück fast zerspringen! Jetzt ging es aufwärts, das fühlte ich deutlich. Er würde wieder vollkommen gesund werden, und ich – ich würde, zumindest so weit er das zulassen wollte, für immer bei ihm bleiben, von kurzen Besuchen in meiner Heimat mal abgesehen. Dieser Entschluss war in den letzten Tagen langsam, aber stetig in mir gereift, da mir erst durch dieses traumatisierende Ereignis so richtig klar geworden war, wie vergänglich das Leben ist und dass es keinesfalls immer selbstverständlich gewesen war, dass ich meinen Blutsbruder bisher nach jeder Rückkehr in den Westen gesund und munter wieder in die Arme schließen konnte. Jetzt hatte sich mein Vorhaben durch Winnetous Reaktion vorhin auf mich erst recht gefestigt, denn trotz seiner großen Schwäche hatte er eine solch deutliche Freude über meine Anwesenheit gezeigt, war so glücklich gewesen - er hatte meine Seele damit zutiefst berührt. Jetzt aber galt es vor allem, den Patienten gesund zu pflegen. Mittlerweile war es später Abend, bis auf Dr. Hendrick hatten alle den Raum verlassen und auch dieser schickte sich an, erstmals wieder in seinem Gastzimmer zu nächtigen. Ich blieb ja bei meinem Freund, für den keine unmittelbare Gefahr mehr bestand, und würde wohl jede Verschlechterung seines Zustandes bemerken, so dass ich den Doktor notfalls sofort holen konnte. Als alle das Zimmer verlassen hatte, begann ich wieder mit der Körperpflege Winnetous. Ich war überrascht, wie leicht mir das fiel, auch die Pflege des Intimbereiches, obwohl ich so etwas vorher noch nie getan hatte. Es lag wohl an der großen Vertrautheit, die zwischen uns herrschte. Er bekam es zwar nicht mit, aber ich war überzeugt, dass er meine Handlungen auch im wachen Zustand mit großem Gleichmut hingenommen hätte. Anschließend schlief ich so gut und so fest wie seit meiner Ankunft hier auf Helmers Home nicht mehr, obwohl ich mehrere Male in der Nacht für kurze Momente erwachte, in denen ich Winnetous Zustand überprüfte. Meine Hand lag, wie schon an allen Tagen zuvor, auf seiner Brust, so dass ich jeden seiner immer noch unregelmäßigen, mittlerweile aber schon kräftiger werdenden Herzschläge spürte, und mir war, als müsste ich jeden von ihnen mit größter Freude begrüßen. Sie waren ja gleichbedeutend mit dem Kostbarsten, was es für mich auf der Welt gab – Winnetous Leben. Am frühen Morgen erwachte ich wieder durch eine neuerliche Bewegung in meinen Armen. Sofort war ich hellwach und blickte meinem Winnetou mit größter Spannung ins Gesicht. Richtig, sein Kopf bewegte sich leicht und er blinzelte wieder. Es kostete ihn immer noch größte Mühe, die Augen zu öffnen. Als es ihm nach wenigen Augenblicken dann endlich gelungen war, sah er mich kurz an, dann schlossen sich seine Lider wieder und ein erleichtertes Lächeln glitt über sein Antlitz. Man glaubt gar nicht, wie froh ich war, dass ich in diesen Momenten bei ihm war und nicht in Afrika! Meine Anwesenheit beruhigte ihn offenbar ungemein und das konnte sich ja nur gut auf seine Genesung auswirken. Ruhig streichelte ich immer wieder seine Wangen, seine Stirn und wartete auf weitere Reaktionen. Seine Mimik war zunächst völlig entspannt, doch dann entwickelte sich ein sorgenvoller Ausdruck auf seinem Gesicht - und ich glaubte auch zu wissen, woran er dachte. Wahrscheinlich fielen ihm jetzt nach und nach die vergangenen Geschehnisse wieder ein, und somit wähnte er natürlich den Treck noch in größter Gefahr, da er ja von der Ankunft seiner Apatschen und der Westmänner bei den Auswanderern und der anschließenden Vernichtung der Llano-Geier noch gar nichts wissen konnte. Seine Augen öffneten sich wieder langsam, sein Blick fand mich und er wollte anfangen zu sprechen. Das aber ließ ich nicht zu. Der Doktor hatte mich abends zuvor darum gebeten, Winnetou, sollte er zwischendurch erwachen, zum Trinken von wenigstens ein paar Schlucken Wasser zu zwingen, da sein Mund und Rachen durch die fehlende Nahrungs- und Wasseraufnahme völlig trocken sein und ihm dadurch jedes Wort unnötige Schmerzen bereiten würden. Daran dachte ich jetzt. Ich legte wieder meinen Finger auf seinen Mund, schüttelte den Kopf und griff nach einem Glas Wasser, welches auf einem Tischchen neben dem Bett stand. „Mein Bruder mag erst etwas trinken, damit er keine Schmerzen beim Sprechen verspürt!“ forderte ich ihn auf. Ein kurzes Nicken war die Antwort. Ich hob seinen Kopf etwas an, setzte das Glas vorsichtig an seine Lippen und es gelang ihm tatsächlich, ein paar Schlucke zu sich zu nehmen. Man konnte ihm, als er sich zurück sinken ließ, ansehen, dass ihm das wirklich gutgetan hatte. Doch einen Moment später begann er mit geschlossen Augen und unter großen Anstrengungen zu flüstern: „Mein Bruder.... muss... einem Siedler-Treck im... im Llano....zu Hilfe kommen,.......die Geier haben.....haben sie mit......falsch... gesteckten Stangen.....“ Hier unterbrach ich ihn: „Mein Bruder mag ohne Sorge sein, ich weiß das alles schon.“ Jetzt öffnete er, immer noch mit sichtlicher Mühe, die Augen, und ein erstaunter Blick traf mich. „Bloody Fox hat uns alles erzählt. Der Treck befindet sich hier in Sicherheit, Mensch und Tier sind alle wohlbehalten und gesund!“ berichtete ich in aller Kürze, um ihn zu beruhigen. Der ungläubige Ausdruck in seinen Augen aber wollte nicht weichen und zwang mich, etwas genauer Auskunft zu geben. Ich berichtete ihm mit wenigen Worten. Während er zuhörte, schlossen sich seine Lider und er tat einen tiefen, erleichterten Atemzug. Kurz darauf versuchte er nochmal, die Augen zu öffnen und zu sprechen, aber seine große Schwäche ließ das nicht mehr zu. Schnell beeilte ich mich, ihn zu fragen: „Hat mein Bruder Schmerzen im Körper?“ Ich erhielt keine Antwort, auch nicht in Form eines Kopfschütteln oder Nicken – er hatte wieder die Besinnung verloren. Fast im gleichen Augenblick betraten der Doktor sowie Emery mit besorgten Gesichtern das Zimmer. Sie hatten mich sprechen hören und glaubten, warum auch immer, an eine Verschlechterung von Winnetous Zustand. Als sie aber das Strahlen in meinem Gesicht sahen, hellten sich ihre Mienen sofort auf, und während der Arzt meinen Freund gründlich untersuchte, berichtete ich den beiden über dessen erneutes Erwachen und seine Reaktionen. Der Doktor war mit dem Gehörten und seinem Untersuchungsergebnis höchst zufrieden und gab uns Auskunft: „Die Schwäche und die Rhythmusstörungen des Herzens werden noch eine Weile anhalten, der daraus resultierende, im Moment viel zu niedrige Blutdruck ebenfalls, aber die Wunden heilen sehr gut und sein Blutverlust hat sich fast schon wieder ausgeglichen. Das Fieber ist ja schon seit gestern vollständig verschwunden - also alles in allem ein überraschend gutes Ergebnis!“ Er strich Winnetou einen Moment lang über die Stirn und fuhr dann fort: „Ruhe und absolute Schonung, das ist jetzt die wichtigste Medizin für ihn – aber ich glaube nicht, dass er unter Ihrer Fürsorge in Gefahr läuft, sich zu überanstrengen.“ Ich nickte lächelnd. „Wenn er in der Lage ist, etwas länger wach zu bleiben, können wir ja mit einer leichten Ernährung beginnen. So lange werden die Infusionen diese Aufgabe weiter übernehmen. Außerdem sollte er in jeder Wachphase ein oder mehrere Glas Wasser trinken,“ erklärte er weiter. Wir versprachen natürlich, dafür zu sorgen, und er verließ den Raum. Mittlerweile schien die Sonne ins Zimmer und erhellte alles mit ihren Strahlen. Genauso fühlte ich auch in meinem Inneren. Der Morgen schien von einer besonderen Freundlichkeit zu sein und mein Frühstück schmeckte mir wie schon lange nicht mehr. Was hatte ich für eine Todesangst um meinen besten Freund gehabt! Und jetzt schien sich alles zum Guten zu wenden! Da musste einem ja das Herz aufgehen! Ich vergaß natürlich nicht, in einer ruhigen Minute meinem Herrgott für seine Güte und sein Erbarmen zu danken. Den ganzen Morgen und Mittag über kamen die Gefährten abwechselnd herein und freuten sich mit mir über Winnetous Fortschritte. Wir unterhielten uns leise, flüsternd, denn der Arzt hatte diese Ruhe angemahnt, da der Apatsche jetzt nicht mehr vollständig besinnungslos war, sondern am Rande der Bewusstlosigkeit schlief. Es war ein Genesungsschlaf, der ja immer sehr tief ist und ihm einfach nur gut tat. Trotzdem waren es intensive Gespräche, in denen wir uns gegenseitig unsere Erlebnisse der letzten Jahre berichteten. Am Nachmittag weilten gerade Old Wabble, Emery, Tante Droll, Old Firehand, Bärenjäger Baumann sowie Bloody Fox im Zimmer, als Winnetou erneut erwachte, worüber sich die Anwesenden natürlich besonders freuten. Als er die Augen aufschlug, schien ihm das schon etwas leichter als vorher zu fallen. Halb lag ich, halb saß ich, wie schon vorher beschrieben, bei ihm im Bett, so dass ich wieder der erste war, den er erblickte. Sofort erschien sein wunderbares Lächeln auf seinem Antlitz, und bei diesem Anblick stieg urplötzlich ein so tiefes Gefühl der Liebe zu ihm in mir auf, dass ich eine Gänsehaut bekam. Lange konnte er die Lider nicht offen halten, er schloss sie und atmete ein paar mal tief durch. Im Zimmer herrschte angespannte Stille. Sein Gesicht nahm plötzlich einen besorgten Ausdruck an, er öffnete die Augen und fragte mich flüsternd: „Wie... geht es .....Iltschi?.....“ „Es geht ihm gut!“ beeilte ich mich, ihn zu beruhigen. „Er war bei eurer Ankunft natürlich völlig erschöpft, aber Emery hier hat sich wunderbar um ihn gekümmert. Er ist wieder genauso kräftig und gesund wie vorher!“ Winnetou blinzelte. „Emery.....hier?“ Ich nickte ihm zu. „Mein Bruder mag nur etwas weiter nach links schauen!“ Er tat es und schenkte Emery ein leises Lächeln. Dieser nahm völlig gerührt seine Hand, küsste sie und drückte sie an sich. „Was bin ich froh, dass du wieder unter den Lebenden bist, mein Junge!“ Seine Stimme klang belegt. Winnetou konnte wieder nur flüsternd und mit kleineren Pausen antworten: „Auch Winnetou ist froh,.....seinen weißen ....... Bruder ..... wiederzusehen ....“ Seine Kräfte verließen ihn und er schloss die Augen. Ausnahmslos allen Anwesenden waren die Emotionen anzusehen. Es war eine fast andächtige Stimmung im Zimmer zu spüren; niemand bewegte sich oder sprach laut, nur ab und zu flüsterten sie sich kurze Bemerkungen zu. Als Winnetou wieder zu mir sah und nochmals zum Sprechen ansetzte, hielt ich es für geraten, der Anweisung des Arztes zu folgen. Ich signalisierte ihm also, zu schweigen und sorgte dafür, dass er zuerst mit meiner Unterstützung fast ein ganzes Glas Wasser leeren konnte. Als sein Kopf zurück an meine Brust sank, fiel sein Blick auf Old Firehand und seine Augen weiteten sich. „Mein älterer...... weißer.... Bruder.... ist auch hier?“ Damit hatte er natürlich überhaupt nicht gerechnet! Auch Old Firehand standen Tränen in den Augen, als er die andere Hand des Apatschen ergriff und diesem im leisen Ton erklärte: „Ich wollte meinen roten Bruder in seinen Weidegründen besuchen – Mein Herz trägt großen Kummer, weil ich Winnetou nicht gesund erblicken kann!“ Dieser erwiderte: „Mein Bruder mag sich nicht sorgen.....Er wird mit Winnetou...... bald wieder die.....Jagdgründe der Apatschen.....besuchen können.....“ Er versuchte doch tatsächlich, trotz seines immer noch schlechten Zustandes, Trost zu spenden! Aber so war er halt, mein Winnetou, und dafür liebte und verehrte ich ihn. Er war wieder am Ende seiner Kräfte und schlief ein. Aber diesmal hatte er schon länger durchgehalten, und es war deutlich zu sehen, dass es in kleinen, aber stetigen Schritten aufwärts ging. Kapitel 8: Noch mehr Fortschritte --------------------------------- Nach einer ruhigen und für alle erholsamen Nacht begann der sechste Tag, den wir auf Helmers Home weilten. Ich hatte mir da wirklich so meine eigene kleine Zeitrechung zurechtgelegt; ich unterteilte die nähere Vergangenheit nur noch in die Zeit vor und nach der Ankunft des Apatschen. Er und seine Gesundheit waren im Moment das Einzige, das für mich zählte, alles andere war zur absoluten Nebensache geworden. Ich erwachte, weil mich die Strahlen der aufgehenden Sonne kitzelten; mein erster Blick galt natürlich wieder Winnetou. Er schlief. Sein Atem ging tief und regelmäßig und sein Herz schlug zwar ziemlich langsam, aber viel kräftiger als noch vor zwei Tagen. Man konnte sogar wieder einen leichten Bronzehauch in seinem Gesicht erahnen, es war nicht mehr so wachsbleich. Zärtlich glitt mein Blick über sein Angesicht, und plötzlich, ohne vorherige erkennbare Anzeichen, schlug er die Augen auf und sah mich lächelnd an. War er etwa schon wach gewesen? Bemerkt hatte ich davon nichts - doch der ganze Vorgang schien ihn nicht mehr so sehr anzustrengen, er wirkte im Gegenteil sogar ganz entspannt. Ich begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Stirn: „Guten Morgen, mein Freund!“ und er erwiderte den Gruß, nicht mehr flüsternd, aber noch mit leiser Stimme. „Hat mein Bruder Schmerzen?“ Ich hatte beschlossen, bei seinem nächsten Erwachen ihn dieses als erstes zu fragen, da er von selbst niemals etwas Derartiges erwähnen würde, und wenn es ihm noch so schlecht ging. Er verneinte meine Frage natürlich auch jetzt wieder durch entschiedenes Kopfschütteln. Dann aber begann er zum ersten Mal seine nähere Umgebung richtig bewusst wahrzunehmen und fing an, sich interessiert im Zimmer umzuschauen. Schade, dass jetzt die anderen nicht hier waren! Seine nächste Frage konnte ich vorhersagen, und richtig, da kam sie auch schon: „Wo ... wo sind wir hier, Scharlih?“ Er konnte sogar schon ohne große Pausen zwischen den einzelnen Worten sprechen! Ich antwortete: „Auf Helmers Home, mein Bruder!“ Ein leises Erstaunen trat in seinen Blick; er schloss kurz die Augen, als wolle er über etwas nachdenken. Kurze Zeit später begann er erneut: „Winnetou.....kann sich nicht erinnern, wie er hier eintraf....?“ Sofort erklärte ich ihm: „Mein Bruder war auch ohne Bewusstsein, als er hier ankam - sein Iltschi aber hatte wohl instinktiv gewusst, wohin er sich wenden musste, um Hilfe für Winnetou zu bringen!“ Seine Lider fielen ihm wieder zu, während ein Lächeln über sein Antlitz glitt; er dachte wohl, wahrscheinlich sogar mit einem Anflug von Stolz, an seinen treuen Iltschi. Ich nutzte diese Pause, damit er mit meiner Hilfe ein Glas Wasser trinken konnte. Da er mir jetzt kräftig genug erschien, um längere Antworten zu geben, glaubte ich, diese Fragen stellen zu können: „Was ist denn nur geschehen, Winnetou? Wer hat dich angegriffen?“ Es folgte ein kurzes, nochmaliges Kopfschütteln, dann eine kleine Pause, in der er wohl versuchte, sich an die letzten Ereignisse zu erinnern. Nach einer Weile fing er an, langsam und leise zu erzählen: „Winnetou ritt fort, um in der Oase neues Wasser für den Treck zu holen. Er hätte vielleicht noch eine Stunde zu reiten gehabt, als er im Westen viele Reiter auf sich zukommen sah, mehr als vier mal zehn. Es waren Llano-Geier. Diese hatten den Apatschen auch gesehen und ritten schnell auf ihn zu. Winnetou erkannte, dass sie ihm in der offenen Wüste überlegen sein würden und....“. „....und du jagtest in die entgegengesetzte Richtung, um sie an einer geeigneten Stelle in eine Falle zu locken, ist es nicht so?“ unterbrach ich ihn, denn ich an seiner Stelle hätte es jedenfalls so gemacht, und außerdem wollte ich nicht, dass ihn der Bericht zu viel Kraft kostete. Er nickte. „Ich wollte zu der Bodensenke, in der wir damals....“ Auch jetzt ließ ich ihn aus dem genannten Grund nicht ausreden. „....in der wir damals die Kommantschen einschlossen, richtig? Konntest du diesen Platz noch erreichen?“ Er verneinte. „Kurz vorher erschien ein Gewehrlauf aus einem Kaktusfeld auf Winnetous rechter Seite. Er wich schnell nach links aus und wollte sich zwischen den auch dort stehenden Kakteen in Sicherheit bringen, als....“ Hier brach mein Freund ab, da er sich anscheinend nicht mehr ganz sicher war, was dann tatsächlich geschehen war. „Ich kann nicht sagen, was genau.....Es war so etwas wie ein Schlag, der meinen Kopf traf....?“ Jetzt war er sich wirklich unsicher, aber da konnte ich ja Aufklärung geben: „Richtig! Jemand hat von hinten links auf dich geschossen, wahrscheinlich gerade in dem Moment, als du die Ausweichbewegung tatest. Zum Glück, denn dadurch wurdest du nicht richtig getroffen, es war nur ein Streifschuss, allerdings ein sehr tiefer, der stark blutete. Ich nehme an, du hast dann das Bewusstsein verloren?“ „Ich denke es,“ erwiderte er. „die Sonne stand plötzlich wieder höher, als ich im Sand liegend erwachte, also musste der Überfall vor fast einem ganzen Tag geschehen sein....“ Jetzt erschrak ich sogar noch nachträglich über das Gehörte. Er hatte mit diesen schwersten Verletzungen fast vierundzwanzig Stunden teils in der sengenden Sonne, teils in der bitterkalten Wüstennacht ohne Besinnung gelegen! Und hatte von diesem Ort aus, den ich genau kannte, dann nochmal gute vierundzwanzig Stunden bis zu Helmers Home gebraucht, da Iltschi ja nur langsam mit seinem halb bewusstlosen Reiter vorwärts kommen konnte! Um so unfassbarer war es somit, dass er diese furchtbaren Strapazen tatsächlich überlebt hatte - für dieses Wunder würde ich ewig dankbar sein! „Hattest du denn da auch schon die zweite Verwundung?“ fragte ich weiter. Er antwortete: „Winnetou hatte kaum noch Kraft, sein Pferd zu besteigen, er hatte sich deshalb nicht darum gekümmert. Aber da er Schmerzen in der Brust verspürte.....Hat das auch eine Gewehrkugel verursacht?“ Ich verneinte. „Es ist ein tiefsitzender Messerstich. Da du ja nicht mehr in der Lage warst, dich zu wehren, haben es diese feigen Banditen natürlich gewagt, Hand an dich zu legen. Vielleicht glaubten sie, dass dich der Schuss schon tötete, und als sie entdeckten, dass noch Leben in dir war, wollten sie mit dem Messer den Rest erledigen.“ An dieser Stelle hatte ich meine Stimme nicht mehr ganz unter Kontrolle, sie zitterte etwas - obwohl die Gefahr für ihn längst vorüber war, fiel es mir immer noch schwer, von diesem gemeinen Attentat zu sprechen. Jetzt schwiegen wir beide, Winnetou, weil er eine Atempause benötigte, und ich, weil ich mir nicht sicher war, ob ich ihm jetzt schon von seinem Schutzengel berichten sollte. War er mittlerweile so stabil, dass ich ihn damit nicht überforderte? Nach ein, zwei Minuten forschte er aber sogar selbst nach: „Sie haben nicht gut gezielt, nicht wahr?“ „Doch,“ antwortete ich, „das hatten sie. Aber mein Bruder hatte etwas in seiner Brusttasche....“ hier unterbrach ich mich, griff nach seinem Jagdhemd, welches sich, immer noch verschmutzt und voller Blut, in der Nähe des Bettes befand und zog die silberne Büchse hervor. Ich drückte ihn etwas fester an mich, als ich fortfuhr: „....was ihn in diesem Moment vor dem sofortigen Tod rettete.“ Er besah sich die Büchse mit dem deutlichen Messerabdruck auf dem Deckel einen Moment, dann nahm er sie selbst in die Hand, öffnete sie und zog die Haarlocke N'tscho tschis heraus. Ich sah deutlich, wie ihn die Rührung übermannte und ihn daran hinderte, weiter zu sprechen. „Sie war und ist dein Schutzengel.“ flüsterte ich ihm leise zu, und er nickte. Wir befanden uns jetzt beide in einem solch emotionalem Zustand, dass wir für einige Zeit nicht mehr weitersprachen. Ich hatte beide Arme fest um ihn geschlungen und mein Kinn ruhte auf seiner Schulter. Irgendwann aber lächelte er mit einem Male leise vor sich hin und erzählte: „Als ich in der Wüste erwachte, lag Iltschi neben mir auf dem Boden. Ich glaubte zuerst, sie hätten ihn erschossen, aber er bemerkte meine Bewegung und sprang sofort auf. Als ob er sich tot gestellt hätte, damit ihm nichts geschah.....“ „Das traue ich diesem treuen Tier durchaus zu!“ versicherte ich ihm. Winnetou fuhr fort: „Er hatte sich sogar so gelegt, dass meine Silberbüchse unter ihm zu liegen kam, so dass die Geier diese nicht sehen konnten!“ Jetzt warf ich ihm einen erstaunten Blick zu. „Richtig! Ich hatte mich schon gewundert, wieso man dir dieses kostbare Gewehr nicht geraubt hatte! Das ist ja nicht zu fassen! Was für ein unglaublich kluges Tier!“ Während ich die letzten Worte sprach, ging die Tür auf und Old Surehand, Emery, Hobble Frank und Entschah-koh kamen herein. Sie hatten schon auf dem Flur gehört, dass ich mich mit Winnetou etwas länger unterhalten hatte, zwar leise und mit kleineren Pausen, aber dadurch war deutlich zu erkennen, dass er schon wieder einen großen gesundheitlichen Fortschritt getan hatte. Old Surehand hielt sofort auf den Apatschen zu und küsste ihn überglücklich auf Stirn und Wangen. Er war ja noch nicht bei Winnetous vorherigen Wachphasen dabei gewesen und freute sich um so mehr, ihn wieder bei Bewusstsein zu sehen, was seine immer noch vorhandene Angst um ihn mehr als minderte. Dieser ergriff Old Surehands Hand, drückte sie an sich und sprach: „Mein Herz ist froh und glücklich, meinen berühmten weißen Bruder wiederzusehen. Es ist sehr lange her, dass dein Weg dich zu den Apatschen führte!“ Entschah-koh hatte sich stumm neben Winnetou gesetzt, aber seine Augen leuchteten vor Freude über die fortschreitende Genesung seines geliebten Häuptlings und er hielt ihm lange die Hand. Dieser wunderte sich zwar, seinen Unterhäuptling hier zu sehen, ließ sich aber nichts anmerken und wurde von Entschah-koh auch gleich über den Grund seines Hierseins unterrichtet. Emery dagegen blieb einfach stehen, wo er war und lächelte selig. Der Hobble-Frank war allerdings jetzt völlig aus dem Häuschen. Auch er küsste meinen Freund und wollte ihn dann mit einem solchen Übermut in seine Arme schließen, dass ich aus berechtigter Besorgnis um Winnetous Verletzungen dazwischen gehen musste. Erschrocken zuckte er auch sofort zurück, begann aber dafür sofort, in großer Lautstärke, untermalt mit gestenreichen Armbewegungen und aus vollem Herzen sächselnd, dem Apatschen von den Erlebnissen mit den anderen Westmännern und seinen Mescaleros im Llano zu berichten. Winnetou hatte zwar von mir etwas deutsch gelernt, aber von diesem Redeschwall verstand er natürlich kein Wort. Lachend unterbrach ich mit einiger Mühe den überschwänglichen Gefühlsausbruch des kleinen Mannes und machte ihn auf Winnetous immer noch vorhandener Herzschwäche und körperlicher Instabilität aufmerksam. Erschrocken schlug er sogleich seine Hand vor den Mund, aber Winnetou legte diese lächelnd in die Seinige und sagte leise: „ Winnetou freut sich sehr, den berühmten Hobble-Frank wiederzusehen, und er wird glücklich sein, wenn dieser ihm von den letzten Ereignissen genau berichtet!“ Na, das ließ sich der Sachse aber nicht zweimal sagen! Er begann seinen Bericht nochmal von vorne, diesmal langsam und auf englisch. In dieser Sprache waren seine Erzählungen zwar nicht ganz so konfus und zusammenhanglos, aber, verursacht durch seine übergroße Freude, immer noch verworren genug, dass es den Apatschen alle Mühe kostete, ihm auch nur halbwegs zu folgen. Trotzdem machte ihm der Kleine offenbar heimlichen Spaß, er lächelte ein übers andere Mal und als seine Kräfte ihn endgültig verließen, schlief er inmitten der spannendsten Stelle vor Erschöpfung wieder ein, gerade als der Hobble-Frank seine Heldentaten, durch die er seiner Meinung nach den Treck fast im Alleingang gegen die Llanogeier verteidigt hatte, wortgewaltig ausführte. Kapitel 9: Keine Chance auf Gegenwehr ------------------------------------- Der Apatsche schlief im weiteren Tagesverlauf tief und fest, während sich die ganze Zeit über sämtliche Freunde und Bekannte mit ihrem Besuch abwechselten. Sie alle wollten nochmal aus erster Hand erfahren, was Winnetou in der Wüste geschehen war und darum hofften sie, mit ihm selber sprechen zu können. Da hatten sie aber ihre Erwartungen etwas zu hoch geschraubt und seinen erschöpften Zustand unterschätzt, also war ich gezwungen, diese Geschichte immer wieder von neuem zu erzählen. Ausnahmslos alle waren regelrecht bestürzt über die Tatsache, wie lange es mein Freund, so schwer verletzt, ohne Wasser und unter solch extremen Bedingungen ausgehalten und dem Tod getrotzt hatte. Auch seinem Iltschi galt großes Erstaunen, man bewunderte allgemein die Treue und Klugheit dieses unvergleichlichen Tieres. Das Interesse der Siedler hatte, weil sie ja noch keine Möglichkeit gehabt hatten, Winnetou aufzusuchen, dafür sowieso seinem Pferd gegolten; so ein prachtvolles Tier hatten sie vorher noch nie gesehen. Mein Hatatitla befand sich ja immer, sobald ich das Land verließ, in der Obhut der Apatschen, war deshalb natürlich auch nicht hier, also war Iltschi jetzt das alleinige Ziel zahlreicher Besucher, vor allem der Kinder. Diese sorgten auch unermüdlich für das ein oder andere Zuckerstückchen, so dass Emery endlich mal ein Machtwort sprach und ein allgemeines Fütterungsverbot für den Hengst ausgab, sonst würde dieser, so drückte er sich aus, anstatt zu den Apatschen geritten, zu ihnen gerollt werden müssen. Da der Rappe im Moment ja auch nicht bewegt wurde, gab ich dem Engländer vollkommen recht. Er hatte ja von mir die alleinige Verantwortung für das Tier bekommen und er nahm diese auch sehr ernst. Am Mittag kam der Anführer des Trecks, der übrigens aus meist deutschen Aussiedlern bestand, zum zweiten Mal seit seiner Ankunft in das Krankenzimmer. Er hieß Joseph Schumann und war ein großer, stämmiger und kräftig gebauter Mann mit dem Herz auf den rechten Fleck. Der Apatsche war nicht ansprechbar, deshalb wandte er sich mit seiner Bitte leise an mich. Da sich außer mir noch Bloody Fox sowie Dick Hammerdull und Pitt Holbers im Zimmer befanden, sprach er englisch: „Mr. Shatterhand, Ihr wisst, dass die Herzen aller Treckmitglieder vor Dank über die Hilfe und Rettung, die Winnetou uns brachte, überquellen. Jeder von uns sucht ständig nach irgendeiner Möglichkeit, ihm etwas Gutes zu tun, aber wir können im Moment ja nichts tun, als ihm die Ruhe zu ermöglichen, die er für seine Genesung benötigt“ Sehr vernünftig, dachte ich bei mir, das erleichtert vieles. „Vor allem die Frauen würden am liebsten bei der Pflege helfen, und baten mich, Euch zu fragen, ob sie Winnetou zumindest die Mahlzeiten zubereiten dürfen, sobald er wieder zum Essen in der Lage ist?“ Ich erklärte mich einverstanden, bat mir aber aus, dass man sich mit Dr. Hendrick absprechen sollte, weil dieser am besten wissen würde, was mein Freund in der ersten Zeit zu sich nehmen durfte. Schumann nickte erfreut und fuhr fort: „Außerdem wissen wir, dass seine Kleidung durch das Blut und die Messerschnitte völlig ruiniert ist. Die Frauen würden diese gerne an sich nehmen, um sie komplett zu säubern und so wiederherzustellen, dass sie von einem neuen Anzug nicht mehr zu unterscheiden sein wird. - Zumindest haben sie das so versprochen...“ ergänzte er grinsend. Lachend stimmte ich zu, denn das war wirklich ein sehr nützliches Ansinnen. Ich hatte ja, als ich Winnetou für die Erstuntersuchung das Hemd von der Brust geschnitten hatte, dieses spätestens damit eigentlich unbrauchbar gemacht, und hier im Westen gab es nun mal nicht an jeder Ecke einen Kleiderladen. Bevor der Treckführer sich verabschiedete, trat er nochmals kurz an Winnetous Bett, betrachtete den tief Schlafenden eine Weile und sagte leise: „Was für ein wundervoller Mensch!“ Dem konnte ich nur zustimmen. Im Laufe des Nachmittags erwachte mein Freund erneut. Diesmal konnte er sich schon viel länger wach halten und sogar mehrere Gläser Wasser zwischendurch trinken. Er sah jetzt erstmals den Dicken Jemmy sowie den langen Davy, ebenso Martin Baumann nebst Vater vor sich und war mehr als erstaunt, auch diese vier hier auf Helmers Home vorzufinden. Wir erzähltem ihm also noch einmal, diesmal in Ruhe und uns abwechselnd, die Geschehnisse der vergangenen Woche – aus dem Bericht des Hobble-Franks am gestrigen Abend hatte er ja noch nicht einmal die Hälfte verstehen können. Während des Gespräches streichelte der Dicke Jemmy wieder und wieder Winnetous Hand und in seinen kleinen Äuglein blitzte die ein oder andere Träne hervor. Auch die anderen drei waren sichtlich gerührt über die immer noch deutliche Kraftlosigkeit des Apatschen und seine trotzdem immer gleichbleibende Höflichkeit und Liebenswürdigkeit sowie seine Bemühung, sich seine Schwäche nicht anmerken zu lassen. Als wir unseren Bericht beendet hatten, senkte er eine Weile sinnend den Kopf, um über das Gehörte nachzudenken, und schloss dabei die Augen. Er lag, so wie immer, mit dem Oberkörper auf meiner Brust und für mich war es jedes Mal ein überaus schönes Gefühl, wenn er sich, allerdings nur für mich bemerkbar, fester an mich lehnte und dadurch seine große Liebe und sein Vertrauen zu mir bewies. Nach kurzer Zeit öffneten sich seine Augen und er fragte mich: „Wie viel Zeit ist seither vergangen, Scharlih?“ Ihm war wohl erst jetzt aufgefallen, dass er hier schon länger liegen musste. Ich antwortete: „Heute vor genau sechs Tagen bist du mit Iltschi angekommen und vor acht Tagen geschah der Angriff!“ „So lange schon?“ fragte er, atmete tief durch und schloss anschließend seine Augen wieder. Ich lächelte, denn ich hatte mit dieser für seine Verhältnisse schon fast heftigen Reaktion gerechnet. Mein Freund war zum ersten Mal in seinem Leben an ein Krankenbett gefesselt, eine für ihn völlig ungewohnte Situation. Und da er mich ja genauestens kannte und auch die entschlossenen Gesichter unsere Freunde zu deuten wusste, konnte er sich ausmalen, dass er noch eine ganze Weile in diesem Zustand verbleiben würde müssen. Niemand von uns würde nämlich zulassen, dass er irgendetwas tat, was seine Genesung auch nur im Mindesten gefährden konnte. Als dann wenig später der Arzt das Zimmer betrat, nahm Winnetou ihn erstmals bei vollem Bewusstsein wahr. Der Doktor stellte sich darum auch zuerst vor und erzählte dem Apatschen bei dieser Gelegenheit auch direkt von dem Grund seiner Reise. Kaum hatte er geendet, beeilte ich mich, ausführlich über seine medizinische Hilfe zu berichten und vergaß natürlich auch nicht zu erwähnen, dass Winnetou ohne ihn überhaupt keine Chance gehabt hätte, was der Arzt aber fast schon verlegen von sich weisen wollte und undeutlich einige Satzfetzen über Winnetous „außergewöhnliche Konstitution“ sowie der „Hilfe vom Herrgott“ fallen ließ. Dieser aber ergriff mit seiner nicht fixierten Hand die Rechte des Doktors und sagte: „Winnetou dankt dem weißen Medizinmann für seine große Hilfe. Er wird ihm das niemals vergessen und irgendwie wieder gutzumachen versuchen!“ Dr. Hendrick nickte zutiefst bewegt, war aber mit den letzten Worten des Apatschen nicht einverstanden. „Da gibt es überhaupt nichts wieder gut zu machen! Ich bin heilfroh, dass ich helfen konnte und ich weiß, dass es niemand so sehr verdient wie Ihr, Häuptling Winnetou, dass man Euch auch einmal etwas Gutes tut!“ Ich gab ihm da innerlich vollkommen recht und mit diesen Worten stieg meine Achtung vor Hendrick noch einmal mehr. Winnetou aber lächelte nur und meinte: „Wir werden sehen.“ Er hatte meinen Bericht über die ärztliche Tätigkeiten des Docs aufmerksam verfolgt und sein Blick blieb jetzt an der Infusionsflasche hängen. „Was ist das?“ fragte er. Damit hatte er dem Mitteilungs-Bedürfnis des Arztes über dessen Fachwissen Tür und Tor geöffnet und brauchte nur noch zuzuhören, wie ihm dieser mit einem großartigen Enthusiasmus die neuesten Medizintechniken und die damit verbundenen verbesserten Heilungschancen ohne Punkt und Komma nahebrachte oder, besser gesagt, auf ihn einprasseln ließ. Erst als Dr. Hendrick nach einer gefühlten Ewigkeit auf sein Lieblingsthema „Naturheilkunde“ zu sprechen kam, konnte Winnetou sich mit einbringen. Eine ganze Weile fachsimpelten beide über die verschiedensten Heilkräuter und ihre Wirkungen, und ich konnte mich nur noch wundern, wie gesprächig einerseits der Apatsche plötzlich war – so kannte ich ihn gar nicht! - und wie lange er andererseits jetzt schon durchhielt, ohne dass seine Schwäche ihn wieder zu übermannen drohte. Ich ertappte mich dabei, wie ich nur da saß und überglücklich all seinen Worten lauschte und seinen Bewegungen folgte. Er schien auch wirklich keine Schmerzen zu haben, zumindest nicht in dieser Position, in der er lag, und darüber war ich einfach nur froh. Irgendwann aber schien der Doktor eher als Winnetou zu bemerken, dass diesen langsam seine Kräfte verließen. Sofort besann er sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe und unterbrach die Unterhaltung, zwang meinen Freund, ein Medikament zur Stärkung der Herzmuskeln mit genügend Wasser zu sich zu nehmen, untersuchte ihn nochmal kurz und ordnete für die nächsten Stunden erst einmal wieder absolute Ruhe an. Winnetou ließ das alles ohne auch nur den leisesten Widerstand über sich ergehen, wohl in dem Wissen, dass er sich gegen eine solche geballte Übermacht sowieso nicht würde wehren können... Kapitel 10: Geborgenheit ------------------------ So ging auch dieser Tag friedlich und ohne Sorgen zu Ende. Die Stimmung unter allen Anwesenden wurde deshalb auch immer besser, und die Luft war erfüllt von viel Gelächter, laut geführten Unterhaltungen und dem Wiehern der Pferde. Der Treck versorgte sich, unabhängig von der Farm, komplett selbst, da die Westmänner genügend Zeit hatten, für alle Anwesenden auf Jagd zu gehen. Abends saßen viele der Westmänner und Treckbewohner gerne in der Gaststube, die dem Krankenzimmer direkt gegenüber lag, feierten ihre Jagderfolge und wurden dabei immer ausgelassener. Sie bemühten sich zwar alle, auf den Kranken Rücksicht zu nehmen, aber wenn man über einhundert Menschen nicht zwingen will, Tag und Nacht auf Zehenspitzen zu laufen und nur zu flüstern, lässt sich ein gewisser Geräuschpegel nun mal nicht vermeiden. Winnetou hatte von der steigenden Lautstärke bisher nichts mitbekommen, aber ich befürchtete, dass das nicht so bleiben würde. Auch wenn er nicht mehr so tief und lange schlief, benötigte er doch noch für die nächsten acht bis zehn Tage viel Ruhe und Erholung, und Helmer meinte, dass man dieses in seinem unten im Haus liegenden Zimmer nicht mehr so gut gewährleisten könne. Er schlug daher am nächsten Tag vor, dass wir den Patienten in ein Gastzimmer im oberen Stockwerk verlegen sollten, und nach einer kurzen Rücksprache mit dem Doktor, der das Vorhaben sehr sinnvoll fand, gingen wir ans Werk. Als die Wirtin das neue Zimmer vorbereitet hatte, wurde Winnetou vorsichtig nach oben getragen, diesmal von Old Firehand, der sich das absolut nicht nehmen lassen wollte. Er war ja noch etwas größer und breiter gebaut als Emery und hatte deshalb überhaupt keine Schwierigkeiten, zumal Winnetou in den letzten acht Tagen deutlich an Gewicht verloren hatte, da er ja bis jetzt keinerlei Nahrung zu sich nehmen konnte. Die Infusionsnadel hatte der Arzt natürlich vorher entfernt und legte sie wieder neu an, als der Apatsche sicher auf seinem neuen Lager lag, dieses Mal aber in den anderen Arm. Winnetou hatte von der ganzen Prozedur nichts mitbekommen, sondern tief und fest geschlafen, wurde aber jetzt durch das Setzen der Infusionsnadel geweckt. Er schaute sich leicht verwundert, auch über den plötzlichen Aktionismus um ihn herum – wir waren noch dabei, alles häuslich einzurichten – in dem ihm unbekannten Zimmer um, wurde aber von mir sofort über den Grund unterrichtet. Er wirkte noch etwas müde, so dass sich die Freunde schnell verabschiedeten, um ihm seine nötige Ruhe zu ermöglichen, nur der Doktor blieb noch da, um ihn zu untersuchen und sicherzugehen, dass der Umzug ihm nicht geschadet hatte. Ich hatte ja bisher das Bett mit meinem Freund aus den bekannten Gründen geteilt, und war gerade dabei, mich wieder aus reiner Gewohnheit an seine Seite zu legen, als ich plötzlich innehielt, weil mir ein Gedanke kam. Ich hatte ihn in den letzten Tagen vor allem aufgrund der akuten Lebensgefahr während seiner Bewusstlosigkeit in den Armen gehalten, damit sein Körper von meinem gewärmt wurde, weil er dazu selber nicht mehr ausreichend in der Lage gewesen war. Seine Genesung schritt aber jetzt täglich weiter fort, und deswegen war diese Maßnahme wohl nicht mehr länger nötig. Sollte ich mich trotzdem wieder zu ihm legen? Wollte er das überhaupt noch? Und wenn nicht, würde er es mir dann aus Rücksicht auf mich verschweigen? Schadete ich vielleicht sogar seiner Ehre, vor allem seiner Häuptlingsehre, wenn ich ihn weiter in meinen Armen hielt und seine Schwäche dadurch nach außen hin noch verdeutlichte? Ich wurde äußerst unsicher. Natürlich konnte ich jetzt mein Vorhaben abbrechen, um mir vom Wirt ein eigenes Zimmer anweisen oder zumindest ein zweites Bett ins Zimmer stellen zu lassen, da man nachts wahrscheinlich doch noch ein Auge auf Winnetous Zustand haben musste und ihn noch nicht ganz alleine lassen durfte. Sollte ich? Und wieso fiel mir diese Entscheidung so schwer? Ganz einfach – ich hatte mich nicht nur an seine unmittelbare Nähe und Wärme gewöhnt, ich hatte diesen Zustand sogar äußerst lieb gewonnen. Wenn ich ehrlich zu mir selber war, hatte ich schon einige Male mit einem leisen Bedauern an die kommende Zeit gedacht, wenn Winnetou wieder vollständig gesund sein und dann alles seinen früheren gewohnten Gang nehmen würde. Dann wiederum schimpfte ich mich selber innerlich einen Dummkopf; ich musste doch absolut froh und glücklich darüber sein, wenn wir diesen Normalzustand überhaupt erreichen würden; wer hätte das noch vor ein paar Tagen eigentlich geglaubt? Diese Gedanken schossen mir in Windeseile während meines kurzen Zögerns, auf dem Bettrand sitzend, durch den Kopf, und gerade hatte ich mich dazu entschieden, wieder aufzustehen, als ich bemerkte, dass Winnetou die Bettdecke etwas angehoben hielt, damit ich bequem meine frühere Position einnehmen konnte. Völlig erstaunt über diesen Zufall folgte ich freudig seiner Aufforderung. Aber war es wirklich Zufall? Der Apatsche hatte schon oft bewiesen, dass er teilweise genau wusste, woran ich dachte, vielleicht war das hier auch gerade geschehen. Trotzdem beschloss ich auch um seinetwillen, diesen Umstand zur Sprache zu bringen, denn ich wollte nichts tun, was ihn irgendwie oder irgendwann in Verlegenheit bringen könnte. Nachdem der Doktor das Zimmer verlassen und angekündigt hatte, am Nachmittag, wenn sich bis dahin nichts Auffälliges ereignet haben sollte, wiederzukommen, lehnte Winnetou sich mit einem tiefen Atemzug zurück an meine Brust, nahm meine Hand in die Seinige und schwieg. Wenn wir unter uns waren, hatten wir nie viele Worte machen brauchen, und vielleicht vermisste er jetzt sogar ein wenig dieses freundschaftliche Schweigen. Trotzdem musste ich es nun brechen, denn ich schob nicht gerne ungeklärte Fragen vor mir her und außerdem würde er es sowieso spüren, wenn ich ein Problem mit mir herumschleppte. In dieser Hinsicht konnte ich vor Winnetou einfach keine Geheimnisse haben. Ich überlegte noch eine kleine Weile, wie ich anfangen sollte, da nahm er mir die Entscheidung schon ab: „Mein Bruder hat etwas auf dem Herzen. Winnetou spürt es schon, seit sein Freund sich zu ihm gelegt hat“, bemerkte er schlicht. War er nicht einfach unglaublich? Mit diesen Worten bewies er eindrucksvoll, dass seine Feinfühligkeit auch durch seine große Schwäche und Müdigkeit nicht gelitten hatte. Also begann ich: „Winnetou weiß, dass er aufgrund seiner schweren Verletzungen einen unglaublich hohen Blutverlust erlitten hatte. Als Folge davon kühlte sein Körper völlig aus; deswegen und auch wegen der akuten Lebensgefahr beschlossen der Doktor und ich, dass ich meinen Bruder mit meinem Körper wärmen sollte, denn auch das konnte ihm helfen, zu überleben. Nun hat sich dein Zustand glücklicherweise erheblich verbessert und es ist nicht mehr nötig, dass wir die Wärme teilen.“ Hier unterbrach ich mich, um zu überlegen, ob ich ihm meinen Wunsch mitteilen sollte. „Ich.....ich würde es also verstehen, wenn Winnetou nicht mehr wünscht, dass ich noch hierbleibe...“ Die letzten Worte sprach ich ungewollt etwas leiser aus. Fürchtete ich tatsächlich seine Antwort? Ich verstand mich selber nicht. „Ich kann den Wirt sofort um ein zweites Bett für dieses Zimmer bitten“, machte ich ihm die Situation nochmal unmissverständlich klar. „Warum solltest du?“ kam seine leise Gegenfrage. „Ich bin doch froh, dass du so nahe bei mir bist! Winnetou hat sich noch nie so.....“ er suchte nach dem richtigen Wort, „....so geborgen gefühlt wie in diesen Tagen!“ Das war deutlich! Glücklich schlang ich meine Arme noch fester um ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Das ist schön. Ich bin so froh, dass dir das gut tut! Und ich werde sehr gerne solange bei dir bleiben, wie du es wünscht!“ Und um ganz sicher zu gehen, fragte ich ihn noch einmal: „Es stört dich wirklich nicht?“ „Nein,“ antwortete er. „im Gegenteil....“ damit drückte er meine Hand etwas fester, schloss die Augen und war bald wieder eingeschlafen. Auch ich lehnte mich entspannt zurück und genoss dieses stille Glück. Kapitel 11: Tränen ------------------ Ich war tatsächlich eingeschlafen und wurde gegen Mittag von einer lachenden Stimme geweckt: „Hey, du Langschläfer! Seit wann darf ein Westmann den ganzen Tag im Bett verschlafen?“ Ich schlug die Augen auf und sah Emery und Old Surehand vor mir, die mich fröhlich angrinsten. Na, da hatte ich ja die beiden Richtigen vor mir! Der Eine war ein Meister im Verkohlen seiner Mitmenschen und der Andere nahm sowieso nichts richtig ernst. Ich blickte zu Winnetou, um zu sehen, ob er noch schlief und um die zwei dann auf sein Ruhebedürfnis aufmerksam machen, aber er war schon wach und ging tatsächlich auf den Scherz ein: „Winnetou hat seinem Blutsbruder die Erlaubnis erteilt, da dieser genug Nächte durchwacht hat. Jetzt ist mein weißer Bruder Emery an der Reihe zu wachen!“ Er lächelte leicht, und Old Surehand, der aufgrund Winnetous sichtbarer Genesung schon am Vortag voller Übermut gewesen war, begann, lauthals zu lachen. Emery und ich fielen mit ein; es tat so gut, wieder unbesorgt loslachen zu können! Jetzt trat auch der Wirt mit dem Doktor ein und brachte ein Tablett mit, auf dem eine kleine Schüssel mit kräftiger Fleischbrühe stand. Der Arzt war der Ansicht, dass Winnetou nun wieder leichte Nahrung zu sich nehmen konnte und auch sollte, da er wirklich viel Gewicht verloren hatte. Dieser versuchte vorsichtig, teilweise mit meiner Unterstützung, die Schüssel langsam zu leeren und es gelang ihm relativ gut, auch wenn er noch etwas Schwierigkeiten mit dem Schlucken hatte Alles in allem konnte man sagen, dass es nicht nur täglich, sondern mittlerweile sogar fast stündlich mit seiner Gesundheit aufwärts ging; man konnte förmlich zusehen, wie er von Tag zu Tag etwas kräftiger wurde. Mein Freund bekam jetzt mehrmals täglich eine kleine Menge mit Maismehl eingedickte Fleischbrühe vorgesetzt, da der Magen sich erst einmal an feste Nahrung gewöhnen musste; und nach zwei Tagen aß er auch wieder mit großem Appetit. Endlich konnte man auf die Infusionen verzichten! Auch seine wachen Phasen wurden immer länger. Er schlief jetzt nur noch um die Mittagszeit zwei bis drei Stunden lang, abends dafür aber meist schon früh ein, und wurde morgens erst gegen neun Uhr wach. Dazwischen freute er sich über jeden Gast. Die Westmänner wechselten sich, meistens zu zweit, ständig mit den Besuchen ab. Es gab dafür auch einen besonderen Grund: der Apatsche sollte auf keinen Fall auf den Gedanken kommen, Langeweile zu empfinden. Er war diese Tatenlosigkeit ja überhaupt nicht gewohnt und wir hatten alle etwas Sorge, dass er sich irgendwann weigerte, die immer noch nötige Bettruhe einzuhalten, bevor der Doktor ihm das Aufstehen erlaubte. Also versuchten alle, für so viel Abwechslung wie möglich zu sorgen: Man berichtete ihm alle Einzelheiten von seinem Iltschi; und auch das tägliche Leben der Siedler wurde ihm bis ins Kleinste geschildert, so dass er, obwohl er nicht dabei sein konnte, über alles Bescheid wusste. Oftmals kamen auch Entschah-koh und seine Apatschen, natürlich abwechselnd, zu ihm und berichteten ihm alle Neuigkeiten aus dem Dorf der Mescaleros, so dass er auch hier immer auf dem neuesten Stand war. Entschah-koh hatte nämlich eine Art Postenkette aufgebaut, um den Stamm einerseits von Winnetous Schicksal zu unterrichten und ihn über seine Genesungsfortschritte auf dem Laufenden zu halten, andererseits um in entgegengesetzter Richtung die wesentlichen Dinge, die die Mescaleros und die anderen Apatschenstämme betrafen, dem Häuptling mitteilen zu können. Meine Aufgabe war es, das Ganze zu leiten und zu dirigieren. Ich beobachtete Winnetou genau, und da ich ihn ebenso kannte wie er mich und wir uns in unsere Gedanken gegenseitig leicht einfinden konnten, spürte ich jedes Mal sofort, wenn ihm die Gesellschaft zu viel wurde. Ich hatte mich mit den anderen dahingehend genauestens abgesprochen, so dass sie auf mein, für Winnetou nicht sichtbares Zeichen hin, dann sofort unter einer Entschuldigung das Zimmer verließen. Wir genossen danach gerne und lange gemeinsam das freundschaftliche Schweigen. Ab und zu aber erzählte auch ich ihm von meinen früheren Reisen und Erlebnissen, die er zwar teilweise schon kannte, aber die er in dieser Ausführlichkeit, zu der wir jetzt soviel Zeit wie noch nie zuvor hatten, noch nicht gehört hatte. Es waren friedliche und schöne Stunden, die wir gemeinsam verlebten. Für mich war es immer noch wie ein Wunder, dass mir mein Freund nicht genommen worden war und so erlebte ich jeden neuen Tag voller Dankbarkeit und Freude, und auch Winnetou schien die ungewöhnlich ruhige und innige Zweisamkeit zwischen uns zu genießen. So verging die Zeit und am Abend des elften Tages beschlossen der Doktor und ich, Winnetou am nächsten Tag zum ersten Mal das Aufstehen zu erlauben. Das sollte natürlich vorsichtig und in aller Ruhe geschehen; er würde dann auch höchstens nur ein paar Schritte im Zimmer herumlaufen dürfen, denn es bestand immerhin die Gefahr, dass sein noch labiler Kreislauf der Belastung nicht standhielt und zusammenbrach. Als der Arzt und der letzte Besucher das Zimmer verlassen hatte, schloss ich wie jeden Abend die Tür ab und begann mit der täglichen Körperpflege Winnetous. Ich hatte es mir von Beginn an angewöhnt, dies immer abends zu erledigen, da wir dann mehr Ruhe hatten und nicht die Gefahr bestand, dass laufend an die Tür geklopft wurde. Diese schloss ich trotzdem immer sicherheitshalber ab, denn ich wollte dem Apatschen auf jeden Fall seine Intimsphäre erhalten. Winnetou schlief meistens schon fest, wenn ich mit der Arbeit begann; nur einmal war er vor ein paar Tagen zwischendurch aufgewacht. Er hatte kurz registriert, was geschah und vor allem gesehen, wer diese doch sehr intime Aufgabe durchführte; danach hatte er sich ruhig zurück gelehnt und war sofort wieder eingeschlafen. Mittlerweile hatte ich mir für die Pflege ein richtiges Ritual aufgebaut. Ich wusch zuerst vorsichtig seinen ganzen Körper mit Ausnahme der Körpermitte mit warmen Wasser, trocknete ihn ab, um anschließend seine Haut mit einem Öl, welches ich von Entschah-koh bekommen hatte, zu pflegen. Das war vor allem am Anfang sehr nötig gewesen, da durch den Flüssigkeitsverlust die Haut regelrecht ausgetrocknet war. Ich rieb dieses Öl nicht nur ein, sondern massierte seinen Körper damit auch intensiv. Auch das hatte mir der Doktor anfangs geraten, um die Durchblutung der Haut wieder zu fördern. Dabei ließ ich mir unendlich viel Zeit; es störte uns ja keiner, und ich ertappte mich öfter dabei, wie ich meine Blicke bewundernd über seinen vollkommen makellosen Körper gleiten ließ. Er war einfach ein schöner Mann! Zum Schluss wusch ich ihm dann, ohne auch nur die geringsten Hemmungen zu empfinden, seinen Intimbereich. Im Nachhinein kann ich gar nicht genau sagen, ob Winnetou, zumindest an den letzten zwei Abenden, wirklich während dieser Prozedur weitergeschlafen hatte, oder ob er nicht doch aufgewacht war, das Ganze aber mit geschlossenen Augen über sich ergehen ließ und diese Pflege vielleicht sogar im Stillen genoss. An diesem Abend hatte ich mir noch mehr Zeit gelassen als sonst, denn ich vermutete, dass es eines der letzten Male sein würde, dass ich diesen Dienst an meinem Freund tun durfte. Wenn es ihm gelingen würde, aufzustehen und herumzulaufen, gab es ja keinen vernünftigen Grund mehr, dass er seine Körperpflege nicht wieder selbst durchführte, obwohl ich diese Aufgabe gerne weiter übernommen hätte. Ich war gerade beim Waschen seiner Intimzone angelangt, als mir ein sozusagen unbekannter „Widerstand“ auffiel. Ich schaute hinunter und sah, dass sein Glied halb versteift war. Ich sah wieder hoch, beobachtete sein Gesicht; er aber schien zu schlafen. Jetzt war ich, ehrlich gesagt, etwas ratlos. Was nun? Ich entschloss mich, erst einmal mit der Pflege weiter fortzufahren. Also tat ich noch ein, zwei Handbewegungen – sein Glied versteifte noch mehr. Als ich das sah, stand plötzlich und ohne Vorwarnung mein ganzer Körper regelrecht in Flammen und mein Unterleib schien nur noch aus flüssiger Lava zu bestehen. Jeder rationale Gedanke war auf einmal wie weggefegt. Fast schon einem Zwang folgend, legte ich meine Hand um seinen Schaft und begann, diese langsam auf und ab zu bewegen. Der Erfolg stellte sich augenblicklich ein; er schwoll weiter an. Ich dachte nun nicht mehr daran, was morgen sein könnte oder was gestern gewesen war, mein ganzes Denken bestand nur noch aus dem Hier und Jetzt. Ich blickte dann aber doch einmal in sein Gesicht, doch er hatte die Augen weiterhin geschlossen. Konnte es denn wirklich sein, dass er noch schlief? Ich schaute wieder nach unten, und dieser Anblick war so faszinierend, dass ich einfach nicht mehr aufhören konnte, selbst wenn ich gewollt hätte. Plötzlich bemerkte ich eine Bewegung in seiner Hand – jetzt in beiden Händen; seine Finger krallten sich langsam in das Laken links und rechts neben ihm. Jetzt war er eindeutig wach, und durch meine Erregung hindurch drang nun doch der Gedanke, dass ich hier vielleicht etwas tat, was ihn zumindest in seiner Ehre kränken, eventuell oder schlimmstenfalls aber sogar von ihm als ein großer Vertrauensbruch aufgefasst werden konnte. Als würden sich meine Befürchtungen in diesem Moment bestätigen, spürte ich nun die Hand des Apatschen auf meinem Rücken. Fast erwartete ich, dass er mich von sich wegziehen würde – stattdessen begann er, mir langsam über den Rücken zu streicheln! Jetzt gab es für mich kein Halten mehr. Ich ließ weiter meine Hand über ihn gleiten, etwas schneller jetzt, und beobachtete fasziniert seine Reaktionen. Seine vorher so ruhige, langsame Atmung wurde jetzt tief und schnell, seine Linke krallte sich fester in das Laken, während die Rechte von meinem Rücken verschwand und er sich die Knöchel vor den Mund presste, um ein Aufstöhnen zu unterdrücken. Sein Schaft war zu voller Größe angeschwollen und ich schloss meine Hand noch fester um ihn, bewegte sie weiter auf und ab und konnte mich an diesem Anblick einfach nicht sattsehen. Sein ganzer Körper war jetzt hochgradig angespannt, seine schnelle Atmung begann sich in ein leises Keuchen zu verwandeln, als er plötzlich mit dem Oberkörper halb hochkam, seine Hand auf meine Schulter legte und mich jetzt doch wegziehen wollte, vielleicht weil er die Erregung nicht mehr aushielt. Ich aber drückte ihn mit meinem Unterarm auf seiner Brust mit Leichtigkeit wieder herunter und wurde noch ein wenig schneller. Jetzt warf er seinen Kopf förmlich nach hinten, beide Hände gingen zu seinem Kopf, mit der einen Hand biss er sich jetzt auf die Knöchel, um einen leisen Aufschrei zu verhindern, mit der anderen griff er sich an die Stirn, um sie aber im gleichen Moment wieder zurück zu nehmen und sie so fest in meine Schulter hinein zu krallen, dass ich am nächsten Tag ganz sicher blaue Flecken darauf erkennen würde können. Durch meinen Unterarm hindurch, der noch immer auf seiner Brust lag, spürte ich deutlich sein Herz rasen. Und dann schoss es mir siedendheiß durch den Kopf: Was tat ich hier eigentlich? Er durfte sich doch noch gar nicht anstrengen! Er sollte sich schonen, und ich brachte sein Herz dazu, Höchstleistungen zu vollbringen! Wenn ich ihn nicht ernsthaft in Gefahr bringen wollte, musste ich das jetzt hier ganz schnell zu Ende bringen. Aufhören konnte ich nicht mehr, das wäre fatal gewesen und hätte ihn wahrscheinlich mehr verstört als alles andere, was ich bis dahin getan hatte. Also begann ich mit der einen Hand noch etwas schneller und fester zu pumpen, während ich die andere jetzt auch zu Hilfe nahm und mit zwei Fingern vorsichtig über seine Eichelspitze glitt. Jetzt brachen bei ihm alle Dämme; er, der sonst immer seine Gefühle völlig unter Kontrolle hatte, verlor nun vollkommen die Beherrschung. Ich hörte ihn heftig nach Luft schnappen; seine Hand verkrallte sich noch fester in meine Schulter. Wieder berührte ich ihn mit beiden Fingern und das war zu viel. Sein ganzer Körper versteifte sich plötzlich – und dann wurde er von einem heftigen Orgasmus mit aller Gewalt regelrecht durchgeschüttelt, während er sich in unkontrollierten Schüben wieder und wieder über meine Hand ergoss. So einen hocherotischen Anblick hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen und das hatte zur Folge, dass es mir selbst auch augenblicklich kam, ohne dass es auch nur einer Berührung bedurft hätte. Ich krümmte mich neben ihm zusammen, diesmal selber überrascht nach Luft schnappend. Als die letzten Wellen abebbten, hatte ich jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren - mit dem Kopf auf seiner Brust liegend hätte ich stundenlang so bleiben können. So etwas hatte ich noch nie erlebt, und ich hätte auch niemals gedacht, dass ich dazu in der Lage gewesen wäre, zumindest nicht mit einem Mann. Ein einziges Mal hatte ich in meiner Jugend Kontakt mit einer Frau gehabt, und über dieses zweifelhafte Erlebnis hüllte ich auch heute noch am liebsten den Mantel des Schweigens. Dann aber spürte ich ein Beben unter mir und sah schnell hoch. Winnetou hatte beide Hände vors Gesicht geschlagen, hielt seine Augen verdeckt, und sein Körper begann, haltlos zu zittern. Im Nu war ich bei ihm oben, strich ihm über die Stirn und fragte ängstlich: „Was ist mit dir? Habe ich dir …“ Ich unterbrach mich, denn er hatte jetzt beide Hände weiter hoch an die Stirn gelegt und blickte mich mit solch einem verwirrten, fast schon verängstigten Ausdruck an, dass ich im ersten Moment richtig erschrak. Dann aber glaubte ich zu ahnen, was in ihm vorging. „Hast du so etwas noch nie erlebt?“ fragte ich leise. Er schüttelte den Kopf, in seinen Augen begann es zu glitzern. „Auch nicht mit einer Frau?“ forschte ich weiter. Wieder ein Kopfschütteln, dann aber konnte er sich nicht mehr beherrschen; nun liefen ihm sogar Tränen über das Gesicht. Er versuchte noch, ihrer Herr zu werden, verlor aber wieder völlig die Kontrolle über sich. Höchst erschrocken über seinen Gefühlsausbruch blieb mir nur noch eines, was ich da tun konnte. Ich rutschte soweit hoch, dass ich neben ihm zu sitzen kam, zog seinen Oberkörper in meine Arme und legte seinen Kopf an meine Brust. Halb rechnete ich damit, dass er mich abwehren würde, dass ihm bewusst geworden war, dass ich gerade gegen jegliche Moralvorstellungen verstoßen hatte, aber das Gegenteil war der Fall: Er schmiegte sich richtiggehend an mich und weinte wie ein Kind in meinen Armen. Kapitel 12: Fragen, Antworten und die wahre Liebe ------------------------------------------------- Ich saß wie betäubt auf dem Bett, mit meinem in diesen Minuten emotional regelrecht zusammenbrechenden Freund in meinen Armen und war einfach nur noch fassungslos über das, was gerade eben geschehen war. Nein, nicht nur fassungslos, sondern richtiggehend entsetzt: darüber, was ich da eigentlich getan hatte, darüber, dass er offensichtlich überhaupt nicht gewusst hatte, was mit ihm geschah, darüber, dass ich seine Freundschaft und sein Vertrauen so leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte, und nicht nur das, sondern eigentlich sogar seine Gesundheit, und nicht nur die körperliche, auch seine seelische. Während ich ihm immer wieder beruhigend über seinen Kopf, seinen Rücken und sein Gesicht streichelte und ihn so fest wie möglich an mich drückte, schoss mir ein ganzes Fragenkarussell durch den Kopf. Wie hatte es dazu nur kommen können? Seit wann trug ich solche Neigungen in mir? Trug ich überhaupt solcherlei Neigungen in mir oder war das nur eine Folge der außergewöhnlich innigen Zweisamkeit in den letzten anderthalb Wochen? Was, wenn er jetzt gerade eben zu dem Schluss kam, dass ich seine Freundschaft und seine momentane Schwäche und Hilflosigkeit aufs Schändlichste ausgenutzt hatte? Wenn er sich, vielleicht auch nicht sofort, langsam von mir abwendete, mich aus seinem Leben ausschloss? Hatte ich seine tiefe, freundschaftliche Liebe zu mir überhaupt noch verdient? Und ich? Konnte ich überhaupt mit dem soeben Geschehenen weiterleben? Konnte ich das vor mir selbst und meinem Herrgott verantworten? Hatte ich nicht gerade eine furchtbare Sünde begangen? Seltsamerweise machten mir die drei letzten Fragen nicht so viel zu schaffen wie die Sorge, dass ich Winnetou schwer enttäuscht haben könnte und die Angst, ihn für immer verlassen zu müssen. Warum hatte ich mich auch nur dazu hinreißen lassen?? Ich hätte mich für meine unglaubliche Dummheit am liebsten selbst kräftig durchgeschüttelt. Außerdem war ich regelrecht erschrocken über die überwältigende Wirkung, die seine Reaktionen auf meinen Körper gehabt hatten - diese unglaubliche Intensität der Gefühle hatte mich zutiefst überrascht, ich war ja wie im Rausch gewesen. Allerdings....wenn ich mich schon von Anfang an so zu ihm hingezogen gefühlt hätte, dann hätte ich ja gar nicht seit zehn Tagen und mehr diese intime körperliche Pflege durchführen können, ohne dass es bei mir zu derartigen Reaktionen kam - also, wieso dann auf einmal jetzt, heute? Ich hatte genug Zeit, mir über diese Fragen Gedanken zu machen, denn Winnetou schien einfach nicht in der Lage zu sein, seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich begann mir wirklich ernstliche Sorgen zu machen, denn so hatte ich ihn überhaupt noch nicht erlebt; selbst beim Tod seines Vaters und seiner geliebten Schwester hatte er sich, bis auf eine einzelne Träne abgesehen, vollkommen im Griff gehabt, zumindest, wenn er nicht allein war. Was hatte ich ihm nur angetan, dass er sich überhaupt nicht mehr beruhigen konnte? Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, nach endlos scheinenden Minuten oder sogar Stunden – ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren – wurde er ruhiger, blieb aber, so wie er war, in meinen Armen liegen. Wäre ihm mein Verhalten als Verrat, als absoluter Missbrauch seiner Freundschaft zur mir vorgekommen, würde er sich dann nicht spätestens jetzt von mir auch körperlich distanzieren? Oder nicht? Er aber hielt weiterhin engsten Körperkontakt, und in mir stieg die leise Hoffnung auf, dass noch nicht alles vorbei war. Bis jetzt konnte ich aber nichts anderes tun als ihn weiter festzuhalten und ihm leise und beruhigend über den Rücken zu streicheln. Eines allerdings war ganz klar: reden mussten wir über das Geschehene! Wir konnten es nicht einfach im Raum stehen lassen und versuchen, darüber hinwegzugehen, als ob nichts passiert wäre. Das Ganze würde in dem Fall wahrscheinlich, wenn auch nicht sofort, langsam aber sicher einen Keil zwischen uns treiben und unsere Freundschaft, solange Winnetou diese überhaupt noch wollte, im Laufe der Zeit wie Säure zersetzen. Noch eine ganze Weile später begann er, sich langsam von mir zu lösen. Mein Herz begann zu rasen, denn jetzt, genau in diesem Moment, würde sich vielleicht entscheiden, ob es eine gemeinsame Zukunft für uns gab oder nicht! Winnetou ergriff, weil er nichts anderes erreichen konnte, die Bettdecke und fuhr sich damit einmal über das Gesicht, um seine Tränen zu trocknen. Er blickte vor sich nieder und ich spürte, dass ihm das Sprechen schwer fiel, als er begann: „Mein Bruder mag Winnetou bitte nicht zu den zahnlosen alten Squaws rechnen, wenn er heute seine Seele nicht beherrschen konnte! Winnetou wird das nicht wieder …“ Sofort unterbrach ich ihn; das wollte und konnte ich auf gar keinen Fall zulassen, dass er sich jetzt hier noch in Selbstvorwürfen aufrieb, während ich doch derjenige war, den man mit Vorwürfen überschütten sollte! „Nein, Winnetou, bitte, sprich nicht weiter! Es tut mir so leid, was passiert ist!“ Ich sprach viel schneller, als ich beabsichtigte und meine Stimme zitterte hörbar: „Ich weiß wirklich nicht, was da in mich gefahren ist, ich konnte es einfach nicht mehr aufhalten! Ich bitte dich nur, mir nicht zu sehr zu zürnen, ich will ...“ Jetzt war er es, der mich, sogar etwas verwundert klingend, unterbrach: „Warum sollte Winnetou seinem Bruder zürnen? Er hat ihm doch nichts Böses getan! Es ist nur so, dass Winnetou noch nie so etwas Schönes erlebt hat und ...“ Hier stockte er und wurde leiser: „...und nicht gewusst hat, dass ein Mensch so etwas überhaupt empfinden kann ...“ Er wusste wohl nicht, wie er das weiter erklären konnte und brach ab. Es war ihm wieder mal gelungen, mich vollkommen zu überraschen. Da rechnete ich mit dem Schlimmsten und er machte sich nur Sorgen, dass ich ihn seiner Tränen wegen für schwach hielt! Es war wirklich so, wie ich gedacht hatte; er hatte tatsächlich die körperliche Liebe noch nie kennengelernt. Und jetzt war mir der Grund für seinen Gefühlsausbruch auch völlig klar: es war für ihn eine so neue, eine so überwältigend intensive Erfahrung gewesen, und er hatte das zusammen mit seiner verletzungsbedingten körperlichen Schwäche nach seinem schweren Kampf gegen den Tod einfach nicht mehr kompensieren können. Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich fast schon froh darüber war, dass er endlich einmal sozusagen sein Innerstes nach außen gekehrt hatte, weil mir jetzt einiges klar wurde. Er war, wenn er nicht mit mir zusammen war, ständig, Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr gezwungen, sich vollkommen unter Kontrolle zu haben; gerade als oberster Häuptling der Apatschen durfte er sich nie auch nur die kleinste Schwäche erlauben. Er hatte weder Frau noch Kinder, seine Eltern und seine Schwester waren tot, nahe Verwandte gab es nicht, er hatte also niemals und nirgends die Möglichkeit, sich auch einmal seelisch fallen zu lassen - und all diese jahrelangen Belastungen waren wahrscheinlich jetzt mit seinen Tränen aus ihm herausgebrochen. Der Einzige, mit dem er ab und zu über seine Sorgen und Nöte sprechen konnte, war ich, und wann war ich denn für ihn da? Sicher meistens nicht dann, wenn er es dringend brauchte! Ein weiterer Grund für mich, dem Entschluss, für immer bei ihm zu bleiben, Folge zu leisten – wenn er es denn noch wollte! Und ich selbst? Wenn ich bei ihm blieb, wie wollte ich denn dann mit ihm zusammen leben? So wie früher, wenn wir über Monate zusammen durch den Westen geritten waren? Oder erhoffte ich mir sogar, dass sich das heute Abend Erlebte wiederholen sollte? War ich tatsächlich so veranlagt, ohne dass ich das in all den Jahren bemerkt hatte? Oder war es mir nur möglich, auf Winnetou so zu reagieren? Und wenn ja, warum? Auf die letzte Frage immerhin konnte ich mir sofort und unmissverständlich eine Antwort geben: weil ich ihn von ganzem Herzen liebte! Ich hatte ihn schon als was ganz Besonderes empfunden, als ich ihm zum ersten Mal begegnet war; schon Tage danach hätte ich, obwohl er mich als seinen Feind behandelte, mein Leben für ihn gegeben. Und das hatte sich in all den Jahren nicht geändert, im Gegenteil. Und anscheinend steigerte sich diese Liebe jetzt sogar ins Körperliche hinein, ausgelöst wahrscheinlich durch unser inniges Zusammensein während seiner Genesungsphase. Als ich ihn mir jetzt so betrachtete – er hatte sich, vielleicht unbewusst, wieder an mich gelehnt - konnte ich mir sogar vorstellen, dass es nicht bei diesem einmaligen Erlebnis bleiben musste. Aber würde er das wollen? Und wenn ja, wie würden seine Apatschen darauf reagieren, wenn sie es aus irgendeinem Grund bemerkten? Wie ging eigentlich die rote Rasse im Allgemeinen mit diesem schwierigen Thema um? Unwillkürlich hatte ich, während wir schwiegen und unseren Gedanken nachhingen, wieder begonnen, ihm leise über Stirn und Wangen zu streicheln. Ich war jetzt mutiger geworden, was dieses intime Thema anging, welches zwischen uns noch nie in irgendeiner Weise Thema gewesen war, und wagte es darum, ihn zu fragen: „Könnte sich mein Bruder vorstellen, das auch einmal mit einer Squaw zu erleben?“ Er antwortete nicht sofort, schien nachzudenken. Dann sagte er leise: „Winnetou hätte es sich vielleicht bei der Rose der Assineboins vorstellen können, aber das ist lange her und nie wieder wird er eine Squaw in sein Herz lassen.“ Er holte tief Luft und fuhr fort: „Es wird vielleicht auch gar nicht mehr möglich sein, da sein Herz schon vor langer Zeit gesprochen hat und deshalb für niemand anderen Platz darin ist.“ Wieder eine Pause, in der ich es nicht wagte, auch nur einen Ton hören zu lassen. „Winnetou hat das bis heute aber nicht gewusst!“ Jetzt war ich regelrecht perplex! Ging es ihm etwa genauso wie mir? Hatten wir beide unsere Beziehung bisher für eine liebevolle, tiefe, brüderliche Freundschaft gehalten und wurden heute Abend eines Besseren belehrt? Oder befanden wir uns auf einem Irrweg, weil wir nicht erkannten, dass so viel intensive körperliche Nähe zwangsläufig immer so enden würde, wenn man sich nicht unter Kontrolle hatte? Mir schwirrte mittlerweile der Kopf von diesen vielen Fragen, ich wusste einfach nicht, was richtig und was falsch war. Aber vielleicht sollte ich ausnahmsweise einfach mal nicht auf meinen Kopf, sondern auf mein Herz hören, und das bedeutete mir, Winnetou, der mich jetzt fragend ansah, wieder fest in meine Arme zu schließen und ihm zu sagen, was ich schon oft in dieser Form zu ihm gesagt, aber vielleicht noch nie genauso gemeint hatte: „Ich liebe dich!“ Kapitel 13: Aufklärung und gesunder Stress ------------------------------------------ „Auch Winnetou liebt dich sehr, mein Bruder!“ Mein Freund lächelte mich jetzt an, und als er mich mit seinen wunderschönen dunklen Augen so intensiv ansah, dass es mir einen Schauer nach dem anderen durch den Körper jagte, da konnte gar ich nicht anders - ohne nachzudenken küsste ich ihn leicht und vorsichtig auf den Mund. Er schlang seine Arme um meinen Nacken und erwiderte den Kuss in genau der gleichen vorsichtigen Weise. War das Ganze tatsächlich so einfach? Vielleicht war es das wirklich, wenn man die Sache mal nur auf den Kern reduzierte: Ich liebte ihn, daran bestand bei mir überhaupt kein Zweifel mehr, und er liebte mich, so einfach war das! Neugierig war ich aber trotzdem noch, vor allem in Beziehung auf ganz alltägliche Fragen im Umgang mit dieser Geschichte. Ich behielt diese auch nicht für mich und begann: „Kommt es eigentlich bei den roten Männern manchmal vor, dass ein Mann einen Mann liebt und nicht eine Frau?“ Er überlegte kurz und antwortete: „Ich weiß von einem Krieger bei den Mimbrenjo-Apatschen, bei dem es so ist.“ Ich fragte weiter: „Und wie reagieren seine Stammesangehörigen auf diese Situation?“ Er dachte wieder nach und meinte dann: „Genau so wie auf jeden anderen Krieger. Solange er ein tapferer Mann ist und sich so verhält, wie ein Mimbrenjo sich verhalten sollte, wird er nicht von den anderen Männern unterschieden.“ Jetzt wollte ich es genau wissen: „Und er zieht dann anstatt mit einer Squaw mit einem Mann in sein Wigwam?“ „Ja.“ antwortete er schlicht. Wieder schwiegen wir ein paar Minuten, dann hatte Winnetou eine Frage: „Mein Bruder glaubt fest an den Manitou der Weißen und an den Erlöser, der vom Himmel kam?“ „Ja!“ war jetzt meine kurze Antwort, aber ich gab sie aus tiefstem Herzen, das spürte er wohl auch. Ich war neugierig, was jetzt kam. „Winnetou weiß von seinem weißen Lehrer, Klekih-petra, dass es im Glauben der Bleichgesichter eine Sünde ist, wenn zwei Männer sich so lieben, wie ein Mann eine Frau liebt?“ Oha, jetzt wurde es wirklich kompliziert und schwierig! Dieser Gedanke irrte ja schon die ganze Zeit über als drohendes Mahnmal durch meinem Kopf! Ich versuchte, für ihn und auch für mich zu einer einleuchtenden Erklärung zu kommen: „Das ist richtig, und im Moment bin ich mir in dieser Beziehung auch wirklich noch unsicher, wie ich das Geschehene mit meinem Glauben in Einklang bringen soll. Aber...“ hier unterbrach ich mich, ich suchte nach den richtigen Worten. „wenn das Ganze nur aus purer Fleischeslust, ohne Gefühl dabei geschehen wäre, dann würde ich meine Tat bis in alle Ewigkeit verdammen. Aber dem ist nicht so.“ Ich machte eine Pause, schaute meinem Freund offen und ernst ins Gesicht. „Mir ist das in den letzten Tagen mehr und mehr bewusst geworden: Wenn aus irgendeinem Grunde plötzlich alle mir lieben und teuren Menschen von mir gehen müssten und ich dürfte mich nur für einen einzigen von ihnen entscheiden, den ich bei mir behalten könnte – ich würde mich, ohne auch nur einen Moment lang darüber nachzudenken, sofort für dich entscheiden. Du bist für mich ein Gottesgeschenk und das Wertvollste, was mir je auf dieser Welt beschieden wurde!“ Jetzt ging ein Leuchten über sein Gesicht, und seine Augen bekamen einen erhöhten Glanz. Ihm tief in die Augen blickend, fuhr ich fort: „Ich liebe dich von ganzem Herzen, mehr als mein eigenes Leben und die wahre Liebe – egal, für wen man sie empfindet – die kann doch eigentlich nicht als Sünde gelten?“ Er schüttelte nur den Kopf, schien im Moment zu keinem Wort fähig zu sein. Ich dagegen spann mein Netz aus Gedankenfetzen weiter: "Vielleicht ist es sogar so: Wenn zwei Menschen so eine tiefe Liebe füreinander empfinden; dass ihnen der andere mehr wert ist als ihr eigenes Leben – ist es dann nicht sogar gleichgültig, welches Geschlecht diese Menschen haben?“ Er nickte, seine Stimme klang belegt, als er sprach: „Winnetou glaubt auch, dass das nicht von Bedeutung ist. Ihm geht es genau wie seinem Bruder, der ihm höher steht als sein eigenes Leben und alles, was er besitzt!“ Ich nahm ihn wieder fest in meine Arme, streichelte sein Gesicht und fragte dann leise: „Weißt du, was ich mir, schon in dem Moment, als du mir so schwer verletzt in die Arme gefallen bist, vorgenommen hatte?“ Er schüttelte den Kopf, sah mir gespannt ins Gesicht. „Das ich nie wieder von deiner Seite weichen werde, wenn du es erlaubst. Ich möchte meinen Lebensmittelpunkt hier in den Westen verlegen und dich bei deinen Aufgaben unterstützen, wo es nur geht, so wie du es dir von Beginn unserer Blutsbruderschaft an eigentlich von mir gewünscht hast!“ Nach diesen Worten richtete er sich schnell auf und sah mich forschend an. „Spricht mein Bruder da in vollem Ernst?“ „Ich würde es nie wagen, damit zu scherzen!“ erwiderte ich. Er tat einen tiefen, tiefen Atemzug, seine Augen begannen zu funkeln und er fragte noch einmal, um auch ganz sicher zu gehen: „Das würdest du wirklich tun? Du würdest deine Heimat aufgeben und alles, was du dir dort aufgebaut hast?“ „Ja!“ antwortete ich schlicht. „Wenn du es dir vorstellen kannst, mit mir zusammen zu leben ...“ Statt einer Antwort beugte er sich zu mir hinunter und küsste mich ein weiteres Mal auf den Mund, diesmal etwas fordernder. Er löste in mir damit abermals ein Feuer aus, welches ich einfach nicht unter Kontrolle bekam. Ich schlang meine Arme um ihn, drehte ihn und mich so, dass er auf den Rücken zu liegen kam, und vertiefte den Kuss, wobei sich in mir schon wieder alles zusammenzog und ich meiner zunehmenden Erregung kaum mehr Herr wurde. Dabei streichelte ich seine Stirn, seine Wangen, fuhr mit den Fingerspitzen leicht an seinem Hals entlang, während er wieder die Augen schloss und einfach nur zu genießen schien. Es war nicht mehr aufzuhalten. Seine Hände glitten jetzt über meinen nackten Oberkörper, meinen Rücken, wieder zurück zu meinem Kopf, er fuhr mir durch die Haare, strich dann wieder meinen Rücken entlang. Ich löste meine Lippen von seinem Mund, küsste jetzt sein Kinn, weiter hinunter bis in seine Halsbeuge, atmete seinen Duft ein und wusste, dass ich davon niemals genug bekommen würde. Mit dem einen Arm mich abstützend, streichelte meine andere Hand abwechselnd sein Gesicht, seine Schulter, seinen Arm. Einen Moment später erkundeten meine Lippen seine Brust, vorsichtig, um seine Verletzung nicht zu berühren, und begannen, seine dunklen Brustwarzen zu umspielen. Seine bis dahin noch beherrschte Atmung verwandelte sich sofort in ein Keuchen, eine Hand krallte sich diesmal fest in meinem Rücken, während die andere irgendwie verhinderte, dass er laut wurde. Sein Körper verspannte sich, und durch meinen schien schon wieder flüssiges Blei zu fließen. Meine Hand glitt jetzt weiter nach unten, über seinen Bauch – Gott, er war immer noch viel zu dünn! - und dann noch tiefer. Jetzt konnte er ein lautes Aufstöhnen nicht mehr unterdrücken, meine Berührungen waren schon wieder fast zu viel für ihn. Als meine Fingerspitzen sachte über seine sich abermals hoch aufrichtende Erektion fuhren, nahm er alle Kraft zusammen, bäumte sich auf, zog mich zu sich nach oben, so dass ich komplett auf ihn zu liegen kam und schlang seine Arme, so fest er konnte, um mich herum. Meine Männlichkeit kam dabei auf seiner zu liegen, die hart wie ein Brett war, und wenn ich mein Gesicht nicht in seiner Halsbeuge vergraben hätte, wäre mein Aufschrei wahrscheinlich bis auf den Flur zu hören gewesen. Ich handelte jetzt nur noch instinktiv, konnte nicht mehr denken, einzig dieser Moment zählte noch. Als ich mich langsam begann zu bewegen, mich an ihm zu reiben, schoss mir eine glühender Lustpfeil durch den ganzen Körper. Es dauerte auch nicht lange, und Winnetou wand sich unkontrolliert hin und her, sein Atem flog, er hatte sich schon wieder einen Teil der Bettdecke gegriffen, um jetzt damit sein lautes, abgehacktes Stöhnen zu ersticken. Schon spürte ich ihn unter mir pulsieren, seine Bewegungen heftiger werden, bevor mit einem Mal sein ganzer Körper erstarrte – und dann brach es aus ihm heraus wie aus einem Vulkan und er ergoss sich heiß zwischen unseren Körpern. Ich konnte es auch nicht mehr länger aufhalten, seine Reaktionen lösten bei mir sofort einen gewaltigen Orgasmus aus, der mir komplett den Atem raubte. Ich ließ mich auf ihn herabsinken, immer noch vorsichtig, denn trotz meiner momentanen Unfähigkeit, einen Gedanken zu fassen, hatte ich wohl noch so viel Verstand, seine Brustwunde nicht mit meinem Gewicht zu belasten. Mein Gesicht lag weiter in seiner Halsbeuge, während er langsam wieder seine Arme um mich legte und sich ebenfalls bemühte, irgendwie zu Atem zu kommen. Minutenlang verharrten wir so. Ich hatte das Gefühl, ihn nie wieder loslassen zu wollen, zu können. Der Gedanke, dass ich ihn jetzt für immer bei mir haben durfte, drang langsam in mein Gehirn und ließ mein Herz fast vor Glück zerspringen. Vor ein paar Tagen noch wäre er in meinen Armen fast gestorben und jetzt wurde mir ein solches Glück zuteil, dass ich es gar nicht fassen konnte. Ich hob meinen Kopf, sah in sein nun doch erschöpft wirkendes Gesicht; er hatte die Augen geschlossen, ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund. Und wieder bemerkte ich erst jetzt meinen unglaublichen Leichtsinn. In diesem Moment öffnete er seine Lider und sah mich fast schon strahlend an, ich aber strich ihm die Haare aus der Stirn und flüsterte ihm leise zu: „Jetzt habe ich aber doch kein gutes Gewissen mehr!“ „Warum denn das?“ entgegnete er mit einer aufkommenden Besorgnis in seiner Stimme; vielleicht glaubte er an einen Sinneswandel meinerseits. „Weil du dich ja eigentlich noch nicht anstrengen durftest!“ Sein Lächeln wurde breiter, und dann sagte er leise: „Ich … ich glaube nicht, dass man das als Anstrengung auffassen kann ...“ Meine Hand lag mittlerweile auf seiner Brust und ich antwortete: „Ich glaube schon. Dein Herz rast ja förmlich, und gerade das sollte doch vermieden werden...“ Seine Antwort war eigentlich eine einzige Liebeserklärung: „Das ist heilender Stress!“ Kapitel 14: Tiefschlaf ---------------------- Nach dieser Antwort musste ich wirklich aufpassen, dass mein Lachen nicht im ganzen Haus zu hören war; dann – ich konnte einfach nicht anders – beugte ich mich wieder zu ihm hinunter und küsste ihn. Er sah nicht nur völlig erschöpft aus, er war es aus gutem Grunde auch. Jetzt musste ich endlich wieder schleunigst meiner Verantwortung für ihn und seine Gesundheit gerecht werden. Ich konnte ihn gerade eben noch zum Trinken eines Glases voll Wasser nötigen und ihm helfen, sich bequem hinzulegen, da war er auch schon eingeschlafen. Ich hingegen hatte noch etwas zu tun. Das Wasser, dass Frau Helmer mir für die Körperpflege Winnetous zur Verfügung gestellt hatte, war zwar mittlerweile fast schon erkaltet, musste aber jetzt trotzdem dazu herhalten, Winnetous und meinen Körper sowie die unmittelbare Umgebung von den Spuren unseres heftigen Zusammenseins zu befreien. Ich benötigte einige Zeit, musste ihn dafür zwischendurch auch drehen und wenden, er aber wurde dadurch trotzdem nicht wach. Dieser Abend hatte ihm offenbar richtig Kraft gekostet, seinem Körper genauso wie seiner Seele. Ich konnte trotzdem während meiner Tätigkeit den Blick kaum von meinem Freund lösen und mein Herz wollte dabei überquellen vor lauter Liebe zu ihm – es war wirklich kaum zu fassen! Ich, gerade ich, der ich immer geglaubt hatte, ich würde auf moralisch einwandfreien Pfaden wandeln, der jegliche Art von Liebesbeziehungen, so gut es irgendwie ging, aus dem Weg gegangen war in dem Glauben, dafür überhaupt nicht geschaffen worden zu sein, der sich mit seiner Heimat untrennbar verwurzelt geglaubt hatte, ausgerechnet ich hatte innerhalb weniger Stunden mein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf gestellt und war bereit, für den Rest meines Lebens diesen Weg weiterzugehen! Aber: er war es wert. Wenn es einer in meinen Augen wirklich und wahrhaftig wert war, dann Winnetou, den ich schon immer geliebt hatte, der mir aber nun noch wichtiger geworden war und mir näher stand als meine eigene Familie. Und dass es ihm genauso ging, hatte er mir heute Abend deutlich bewiesen. Wie die Zukunft aussehen würde, wie sich unser Zusammensein auch in praktischer Hinsicht und mit Blick auf unsere Mitmenschen gestalten würde, wusste ich nicht, war aber bereit, alles einfach auf mich zukommen zu lassen. Ich habe ja schon immer daran geglaubt, dass unser aller Leben kein Zufall ist, sondern dass wir von unserem Herrgott geleitet werden und dass derjenige, der sich in Gottes Hand fallen und sich auch wirklich von ihm leiten lässt, manchmal sogar das Himmelreich auf Erden findet. Genau so ein Gefühl hatte ich jetzt. Mir fielen meine Träume ein, die mich in Deutschland kurz vor meiner Abreise nach Afrika heimgesucht hatten, und dieser innere Zwang, der mich am Betreten des Schiffes gehindert und mich letztendlich hierher zu Winnetou getrieben hatte. War es nur deswegen, weil er mich brauchte, um ihm zu helfen, dem Tod zu entkommen? Oder war es der Wille des Herrn, mich für immer an Winnetous Seite zu stellen? Mein Gefühl sagte mir deutlich: was bis jetzt geschehen war, fühlte sich absolut richtig an. Da waren auch im Nachhinein kein Schamgefühl, keine Verlegenheit, überhaupt keinerlei schlechtes Gefühl im Spiel. Winnetou zu lieben, auch körperlich zu lieben, fühlte sich einfach richtig an. Mit diesen guten Gedanken legte ich mich zu meinem Freund und war im Nu eingeschlafen. Ich erwachte am nächsten Morgen mit dem unbestimmten Wissen, dass irgend etwas Wunderbares geschehen war, konnte den genauen Grund aber nicht richtig greifen. Der Schlaf hielt mich noch in seinen Nachwehen gefangen, und eine kleine Weile lag ich einfach nur da und genoss diesen Moment. Dann aber hörte ich Winnetou neben mir tief einatmen und sofort stand der gestrige Abend wieder in seiner ganzen gewaltigen strahlenden Schönheit vor mir und ein unglaublich intensives Glücksgefühl durchströmte mich. Am liebsten hätte ich dieses sofort mit allen Mitmenschen im Umkreis von mindestens einhundert Meilen geteilt, aber mir war natürlich schon bewusst, dass Winnetou und ich die neuesten Entwicklungen geheim halten würden müssen; selbst von unseren engsten Freunden würden wir bestenfalls nur Unverständnis ernten. Ich sah meinen Freund zärtlich ins Gesicht, er schlief noch tief und fest. Langsam drehte ich mich auf die Seite und begann, ganz vorsichtig ein paar Haare aus seiner Stirn zu streichen. Seine langen, dunklen Wimpern blieben weiterhin geschlossen. Mir war, als könnte ich hier noch Jahre so liegenbleiben. Dann aber fiel beim Blick auf das Fenster, und der Stand der Sonne sagte mir, dass es schon nach neun Uhr sein musste; um diese Zeit war Winnetou in den letzten Tagen meistens erwacht und der Doktor hatte seine erste Visite gehalten. Also glitt ich leise aus dem Bett und schloss die Tür auf. Keine zwei Minuten später klopfte es und der Arzt betrat mit einem fröhlichen Morgengruß das Zimmer. Er sah Winnetou noch schlafend und unterhielt sich deshalb erst mal im Flüsterton mit mir. Anschließend begann er die morgendliche Untersuchung, während dieser ich unwillkürlich den Atem anhielt. Hatte der gestrige Abend Folgen für Winnetou gehabt? Spätestens jetzt, als Dr. Hendrick seine Herztöne abhörte und den Blutdruck überprüfte, war der Apatsche eigentlich immer erwacht, diesmal rührte er sich nicht. Dem Doktor schien das noch nicht aufzufallen, er ging weiter seiner Arbeit nach; und erst als er auf unser Vorhaben, Winnetou erstmals das Aufstehen zu ermöglichen, zu sprechen kam, meinte er: „Er schläft immer noch so tief - war er gestern Abend länger wach geblieben als sonst?“ Na, diese Frage konnte ich nun wirklich mit gutem Gewissen bejahen. Ich erklärte ihm, dass wir, in ein intensives Gespräch vertieft, nicht auf die Zeit geachtet hatten, und Winnetou auch keinerlei Anzeichen von Müdigkeit gezeigt hätte. Irgendwie kamen mir meine Worte etwas zweideutig vor und ich musste mich angestrengt bemühen, ein neutrales Verhalten an den Tag zu legen. Dr. Hendrick nickte nur und erläuterte mir dann seine Vorgehensweise, um dem Apatschen das Aufstehen und Herumlaufen zu ermöglichen. Im gleichen Moment klopfte es wieder, Frau Helmer erschien mit dem Frühstück und wunderte sich ebenfalls über den immer noch tief schlafenden Indianer. Beide verließen uns dann; Dr. Hendrick mit der Ankündigung, eine halbe Stunde nach dem Frühstück wiederzukommen, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.Bevor er ging, fragte ich ihn sicherheitshalber, ob er mit seinem Untersuchungsergebnis zufrieden sei. Das musste ihm ungewöhnlich vorkommen, da er mir jede Veränderung immer sofort mitgeteilt und ich deshalb eigentlich keinen Grund zu dieser Frage hatte. Er beruhigte mich aber mit den Worten, dass es überhaupt keinen Grund zu Sorge gab - wahrscheinlich schob er meine Frage nur auf eine eventuelle Nervosität meinerseits, was die Aufstehversuche angingen, da er mir mehrfach erklärt hatte, wie belastend diese für Winnetous Herz und Kreislauf sein konnten. Als beide das Zimmer verlassen hatten, wandte ich mich wieder meinem Blutsbruder zu. Es gab immer noch keinerlei Anzeichen, dass er bald erwachen würde. Was nun? Sollte ich ihn wecken, damit es niemanden auffiel? Nein, auf keinen Fall! Der gestrige Abend hatte ihn geschwächt, und er sollte sich erst mal wieder erholen. Notfalls würden wie das Experiment halt verschieben; seine Genesung durfte nicht im Mindesten gefährdet werden! Kapitel 15: Erste Schritte und mehrfacher Dank ---------------------------------------------- Die halbe Stunde war um, der Doktor trat ein, warf einen Blick auf den immer noch schlafenden Apatschen und war sofort an seiner Seite. „Was ist mit ihm?“ fragte er mich alarmiert. Jetzt hatte ich wirklich Mühe, ihn zu beruhigen, was letztendlich auch dadurch gelang, weil er nach einer nochmaligen Untersuchung zu der Ansicht kam, dass es Winnetou den Umständen entsprechend gut ging. „Gut,“ sagte er dann, „ein Rückfall ist es Gott sei dank nicht. Warten wir ab, bis er aufwacht, und dann sehen wir ja, ob er heute schon zum Aufstehen in der Lage ist. Ich werde jede Stunde herein schauen, und wenn Ihr zwischendurch das Gefühl habt, ihm geht es schlechter, dann lasst mich sofort rufen!“ Ich versprach es ihm. Beim Hinausgehen fragte er noch: „Ist es Euch recht, wenn wir heute hier keinen Besuch zulassen?“ Dem stimmte ich zu, denn ich war auch der Meinung, dass es meinem Freund sonst zu viel werden könnte. Ich setzte mich zu Winnetou, nahm seine Hand und hing meinen Gedanken nach. Es war vor allem die nähere Zukunft, die mich beschäftigte. Sobald der Apatsche wieder kräftig genug sein würde, wollten wir mit Mann und Maus aufbrechen, um durch den Llano zu den Weidegründen der Mescaleros zu reisen. Ich musste über die ein oder zwei versprengten Llanogeier nachdenken, die den Westmännern nach dem Überfall auf den Treck entkommen waren. Man hatte noch nach ihnen gesucht, aber keine Spur von den Banditen gefunden. Waren sie überhaupt noch am Leben? Und wenn, was hatten sie jetzt vor? Stellten sie vielleicht sogar noch eine Gefahr für uns dar? Daran glaubte ich aber nun wirklich nicht; wir waren über einhundert teils bestens bewaffnete Personen, wer könnte uns schon gefährlich werden? Eher würden wir ihnen gefährlich werden, zumindest ich, und zwar jedem Llanogeier, den ich zu fassen bekam, egal, ob dieser an dem Überfall beteiligt gewesen war oder nicht. Ich würde es niemals vergessen, was diese Gangster meinem Winnetou angetan hatten, und daher durfte auch keiner von ihnen auch nur auf eine Spur von Gnade meinerseits hoffen! Ich musste bei diesen Gedankengängen wohl ein ziemlich ernstes Gesicht gemacht haben, denn plötzlich erklang eine etwas besorgt klingende Stimme neben mir: „Scharlih?“ Mein Kopf fuhr schnell hoch und mit einem etwas besorgten Blick sah ich meinen Freund an. Dieser hatte einen fast schon ängstlich fragenden Ausdruck in den Augen, so als ob er fürchtete, ich würde den gestrigen Abend heute doch in einem anderen Licht sehen; er hatte meine zuvor so grimmige Miene wohl in diese Richtung gedeutet. Na, da konnte ich ihn aber definitiv beruhigen! Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, nahm seinen Kopf in meine Hände und küsste ihn fast schon ungestüm auf den Mund. Dann fragte ich ihn: „Wie geht es dir?“ Er lächelte: „So gut wie noch niemals zuvor!“ Einen Moment später setzte er sich auf und sah mich jetzt ernst an: „Ich möchte dir danken, Scharlih. Von ganzem Herzen danken!“ Vollkommen überrascht fragte ich ihn: „Wofür denn das?“ „Für das, was du in der letzten Zeit für mich getan hast. Du hast viele Nächte durchwacht, warst immer für mich da und ich weiß, dass ich ohne dich den Tod nicht besiegt hätte!“ Ich wollte protestieren, er aber verschloss mir meinen Mund mit einem Kuss. In diesem Moment klopfte es an der Tür, und wir lösten uns schnell von einander. Der Doktor und Emery betraten das Zimmer, die beide hörbar aufatmeten, als sie Winnetou in offensichtlich heiterer Stimmung vorfanden. Der Erstere überzeugte sich nochmals, dass sich der Gesundheitszustand des Apatschen nicht verschlechtert hatte und überraschte ihn dann mit der Nachricht, heute endlich mal für kurze Zeit das Bett verlassen zu dürfen. Dieser reagierte erfreut: „Uff! Winnetou war bis jetzt immer geduldig, aber er ist froh, das dies nun ein Ende hat und er wieder den Himmel und die Sonne zu sehen bekommt!“ In dieser Hinsicht bekam seine Vorfreude aber von Dr. Hendrick einen kleinen Dämpfer; er machte ihm klar, dass Winnetou die nächsten zwei Tage noch nicht das Zimmer verlassen durfte; man musste ja erst abwarten, ob sein Herz belastbar genug war. Ich kannte meinen Freund genau, ich wusste, dass er jedem Anderen gegenüber wahrscheinlich seinen eigenen Willen durchgesetzt hätte. Aber er verdankte Dr. Hendrick sein Leben und hatte sich auch jeden Tag von dessen unermüdlichen Bemühungen um seine Gesundheit überzeugen können; er wollte es ihm nicht mit einer leichtsinnigen Gefährdung derselben danken und befolgte deshalb jetzt jede ärztliche Anordnung ohne Widerstand. Jetzt trat Emery mit gewichtiger Miene hervor, entrollte ein Bündel, welches er in der Hand gehalten hatte, und reichte es Winnetou mit den Worten: „So, mein Freund, hier hast du ein kleines Präsent von den Ladies aus dem Treck!“ Es war – Winnetous Jagdanzug, der von den Frauen tatsächlich in einen makellosen Zustand versetzt worden war. Nicht ein Flecken war mehr zu sehen und die Messerschnitte waren mit so feinen Stichen genäht, dass man sie nur bei genauem Hinsehen bemerken konnte. Der Apatsche warf einen solch verwunderten Blick von Emery zu seiner Kleidung und dann wieder zurück zu Emery, dass wir ihn lachend über das Versprechen der Damen aufklären mussten. Er lächelte leise in sich hinein und sagte, an Emery gerichtet: „Wird mein Bruder den weißen Frauen meinen Dank ausrichten?“ „Das werde ich herzlich gerne tun,“ antwortete dieser, „aber ich bin mir sicher, dass sie sich eher umgekehrt bei dir bedanken wollen. Sie wissen alle, dass sie nur deinetwegen noch am Leben sind!“ Der Apatsche schüttelte energisch den Kopf. „Winnetou will keinen Dank, er hat nur getan, was nötig war. Mein Bruder Emery mag das weitergeben!“ Dieser versprach es, wusste aber genauso gut wie wir, dass sich die Siedler mit diesen Worten nicht zufrieden geben würden. Ich half Winnetou beim Anlegen seiner Kleidung, und dann erklärte Dr. Hendrick ihm nochmal eindringlich, dass diese ersten Gehversuche nur unter aller Vorsicht durchgeführt werden durften. „Sobald Ihr bemerkt, dass Euch die Kraft verlässt, Häuptling Winnetou, gebt bitte sofort Bescheid. Euer Herz wird jetzt zum ersten Mal belastet und wir wissen noch nicht, wie leistungsfähig es schon ist!“ Bei diesen Worten warf ich einen schnellen Blick zu meinem Freund; dessen Mundwinkel zuckten, ansonsten blieb sein Gesicht aber unbewegt. Ich hingegen hatte deutlich mehr Mühe, eine weiterhin harmlose Miene zu machen. Wenn der Arzt wüsste, zu welchen Leistungen Winnetous Herz gestern Abend imstande gewesen war, hätte er sich doch sehr gewundert! Dann wurde es ernst. Emery und ich stellten uns zu beiden Seiten des Apatschen auf, um ihn beim Aufstehen zu unterstützen. Er blieb einen Moment stehen, begann dann aber leicht zu schwanken - es schwindelte ihm deutlich, und deshalb hielten wir ihn fest gestützt. Er atmete ein paar mal tief durch, dann wurde es besser und er tat die ersten Schritte. Ohne größere Probleme schaffte er es bis zum Fenster, wo ihn der Arzt aber auch sofort wieder zwang, sich kurz auszuruhen. Diese Zeit nutzte Winnetou, um sich draußen erstmals umzusehen. Als er seinen Iltschi in der Pferdekoppel entdeckte, hellte sich sein von der ungewohnten Anstrengung gezeichnetes Gesicht vor Freude auf, und er wandte sich mit einer Bitte an mich: „Mein Bruder hat so viele Tage in diesem Raum ohne Bewegung verbracht, ebenso wie mein Pferd in der Koppel. Wirst du ihn ab heute jeden Tag ausreiten? Es würde euch beiden gut tun!“ Das versprach ich ihm sehr gerne, da ich allmählich wirklich ein großes Bedürfnis nach frischer Luft und etwas Bewegung verspürte. Anschließend halfen wir ihm die wenigen Meter zurück zum Bett. Das Ganze hatte ihn weniger Kraft gekostet als befürchtet, aber trotzdem bestand der Arzt darauf, dass er sich wieder hinlegte und in den nächsten Stunden absolute Ruhe einhielt. Eine nochmalige Untersuchung überzeugte ihn davon, dass das Unternehmen Winnetou nicht geschadet hatte, danach verließen er und Emery den Raum. Ich wartete, bis mein Freund eingeschlafen war und ging dann zum ersten Mal seit zwölf Tagen wieder ins Freie, um mein Versprechen einzulösen. Draußen stand ich erst mal eine Minute still und atmete tief durch. Ich hatte aber kaum Zeit, die ungewohnte Freiheit für mich allein zu genießen, denn schon hatte mich ein Teil der Siedler gesehen und stürmte auf mich zu. Da ich bis jetzt ja nur Kontakt zu dem Treckführer gehabt hatte, kannte mich von den Auswanderern noch niemand persönlich; jetzt wollten alle auf einmal das nachholen und bestürmten mich mit Fragen, auch und vor allem nach Winnetou. Mit Mühe und nur mit Hilfe vom Hobble-Frank und Old Surehand konnte ich mich von ihnen lösen mit der Begründung, dringend nach dem Pferd des Apatschen sehen zu müssen. Als ich zu Iltschi in die Koppel trat, begrüßte mich das Tier voller Freude, es schnaubte und sprang ausgelassen um mich herum. Nachdem ich ihm den indianischen Sattel aufgelegt hatte, bot Old Surehand an, mich zu begleiten, aber ich lehnte dankend ab. Meinen ersten Ausritt nach fast zwei Wochen wollte ich doch erst mal allein genießen. Old Firehand war auch noch hinzugekommen und kommentierte meine Absage: „Das hast du dir auch redlich verdient, Charlie! Weißt du, wir alle hier sind heilfroh, dass du in diesen Tagen bei unserem Winnetou warst!“ Inzwischen war ich aufgestiegen und sah ihn überrascht an. „Na ja,“ erklärte er. „Man konnte es ihm doch deutlich ansehen, dass er, nur weil er dich bei sich wusste, die Kraft zum Überleben gefunden hatte. Ob er das bei uns geschafft hätte ….“ „Natürlich hätte er das!“ unterbrach ich ihn. „Ihr hättet genauso ...“ Er fiel mir ins Wort: „Komm, lassen wir das, ich bleibe sowieso bei meiner Meinung. Und jetzt sieh zu, dass Iltschi sich mal austoben kann!“ Bei diesen Worten gab er dem Pferd einen liebevollen Klaps, ich ihm die Sporen und los ging es hinaus in die Prärie. Es war einfach herrlich! Iltschi machte seinem Namen (Wind) alle Ehre, er sauste wie ein Tornado durch die Landschaft; man konnte es ihm deutlich anmerken, wie er den Auslauf genoss, wie sehr er ihm gefehlt hatte. Und ich? Es war wirklich gut, dass niemand in der Nähe war, denn ich stieß einen Jubelruf nach dem anderen aus. Die ganze Anspannung der letzten Zeit, die Sorgen und Ängste um meinen Freund und nun auch die Glücksgefühle vor allem über den gestrigen Abend brachen mit aller Macht aus mir heraus und ließen mich meine Freude regelrecht herausschreien. Fast zwei Stunden ließ ich mir im vollen Galopp den Wind um die Nase wehen, dann trieb es mich aber doch wieder zurück zu Winnetou – ich brachte es einfach nicht fertig, ihn zu lange alleine zu lassen. Kapitel 16: Ein großer Schreck ------------------------------ Als ich in unser Zimmer zurückkehrte, schlief der Apatsche immer noch. Mittlerweile war es Abend geworden, und als Frau Helmer mit dem Abendessen eintrat, erwachte er zwar sofort, blieb aber liegen. Er war wohl doch durch die heutigen und gestrigen Anstrengungen ermattet worden. Nach dem Abendessen legte ich mich zu ihm, nahm ihn in den Arm und erzählte ihm von meinem Ausritt mit Iltschi. Dabei streichelte ich ihn ruhig und sanft über seine Wangen, seine Stirn, seine Arme und bemerkte, wie entspannt er auf diese Zärtlichkeiten reagierte und wie sehr er sie genoss. Auch hierfür gab es einen Grund, der mir aber erst in diesen Tagen so richtig bewusst geworden war: Aufgrund seiner fehlenden Familie hatte Winnetou ja niemanden, der ihn je in den Arm nahm und ihm die menschliche Nähe und Liebe vermittelte, die ein jedermann einfach braucht! Ich nahm mir vor, ihn dafür ab jetzt mit Zärtlichkeiten zu überschütten, soviel und solange wie er es zulassen wollte. Weiter wollte ich an diesen Abend aber nicht gehen, er wirkte mir etwas kraftlos und diesmal war ich mir meiner Verantwortung für ihn durchaus bewusst. Die nächsten zwei Tage vergingen wie im Flug. Winnetou stand jetzt nicht nur einmal, sondern mehrere Male am Tag auf und begann zusätzlich, im Zimmer mit verschiedensten Gegenständen seine Körperkraft zu trainieren. Er entwickelte im Laufe dieser Zeit einen solchen Ehrgeiz, dass wir ihn ein übers andere Mal in seinem Eifer, so schnell wie möglich wieder zu seiner alten Form zurückzufinden, fast schon mit Gewalt bremsen mussten. Zum Glück waren wir hier eindeutig in der Überzahl und er hatte gar keine Chance, sich mehr zuzumuten, als der Arzt es erlaubte und ich es zuließ. Trotzdem machte er täglich solche enormen Fortschritte, dass wir nur noch staunen konnten. Gerade mal zweieinhalb Wochen war es her, dass man ihn fast getötet hatte, und nun lief er im Zimmer herum, als wäre nie etwas gewesen. Daher nahm natürlich auch seine Ungeduld zu, er wollte jetzt doch endlich ins Freie und vor allem wieder einmal auf seinem Iltschi ausreiten. Der Arzt erkannte, dass man meinen Freund nicht länger halten und sozusagen „einsperren“ konnte, denn sonst bestand die Gefahr, dass sich die Wirkung irgendwann ins Gegenteil verkehren würde. Also wurde beschlossen, heute den großen Sprung zu wagen und ihn mal längere Zeit vor dem Haus spazieren gehen zu lassen, natürlich nur in meiner Begleitung, während Dr. Hendrick sich in der Nähe aufhalten wollte. Old Firehand und Emery stritten sich geradezu darum, wer Winnetou die Treppe hinunter tragen durfte, aber da hatten sie sich in ihm gründlich verrechnet! „Wenn Winnetou keine Treppen laufen kann, wird er auch nicht aus dem Haus gehen!“ bestimmte er schlicht und damit war für ihn die Diskussion beendet. Die beiden fügten sich in ihrem Schicksal, zeigten aber deutlich während des Hinunterlaufens, dass sie seinen Kräften noch nicht so ganz trauten. Der Eine ging eng hinter ihm, während der Andere nur so weit voraus lief, dass er ihn im Fall des Falles wieder auffangen konnte, während ich meinen Freund von der Seite her stützte. Aber alles ging gut, zwar langsam, aber ohne Probleme. Sein Gesichtsausdruck, als er endlich, endlich zum ersten Mal ins Freie trat – ich kann ihn nicht beschreiben. Er stand ein paar Sekunden mit geschlossenen Augen in der Sonne, holte tief Luft und schien sich erst jetzt so richtig bewusst zu werden, dass er all diese Elemente fast nicht mehr erlebt hätte. Dann sah er uns nacheinander strahlend an und fragte mich: „Gehen wir zur Koppel?“ Lächelnd hakte ich ihn unter – diese Unterstützung war meine Bedingung gewesen, wenn er zum ersten Mal eine längere Strecke laufen würde – und dann ging es langsam zu den Pferden, wobei Emery und Old Firehand nur ungern zurückblieben. Aber sie verstanden natürlich, dass Winnetou nicht gerne unter voller Beobachtung seine Kräfte ausprobieren wollte. Ich bemerkte in einiger Entfernung die Siedler, die alle neben ihren Wagen standen und uns beobachteten. Als sie Winnetou das letzte Mal gesehen hatten, standen sie mehr oder weniger kurz vor dem Verschmachten und hatten ihn deshalb nicht richtig wahrgenommen. Jetzt aber sahen sie ihn erstmals wieder vor sich und hätten sich am liebsten gleich alle auf ihn gestürzt, aber sie waren von den Westmännern, die ebenfalls dabei standen, gut instruiert worden, und wussten, dass sie warten mussten, bis der Apatsche von selbst auf sie zukam. Als wir um das Haus herumgingen, verschwanden wir auch aus ihrem Blickfeld. Wir kamen der Koppel näher, Winnetou konnte seinen Iltschi schon erkennen und seine Schritte wurden unwillkürlich schneller. Aber auch der Rappe hatte ihn schon gewittert; und das Verhalten, welches das Tier jetzt an den Tag legte, hatte ich bei ihm noch nie gesehen. Es gebärdete sich wie toll, sprang wiehernd und stampfend in der Koppel hin und her, schnaubte, sein Kopf ging hoch und runter, zwischendurch bäumte es sich hoch auf – es war eine Lust, ihm zuzusehen. Als wir endlich an der Koppel angelangt waren, begrüßten sich die Zwei auf eine so rührende Art und Weise, dass mir schon wieder die Tränen in die Augen traten. Himmel, ich war in letzter Zeit wirklich nah am Wasser gebaut! Winnetou war jetzt einfach nicht mehr zu halten; er trat in die Koppel – einmal Schwung geholt, und schon saß er auf dem Pferd! Jetzt war ich doch etwas erschrockenen über seinen Übermut und wollte ihm das gerade deutlich machen, da kam er mir mal wieder zuvor und rief mir mit einem breiten Lächeln zu: „Mein Bruder mag keine Sorgen um mich haben, wenn Winnetou seinen Iltschi in der Nähe hat, kann ihm gar nichts geschehen!“ Er spielte damit natürlich auf Iltschis Rettungstat in der Wüste an und bedankte sich jetzt auch durch viele Streicheleinheiten und einem kleinen Ritt in der Koppel ausführlich bei seinem Hengst. Ich war zwar immer noch nicht mit seinem vorschnellen Handeln einverstanden, aber die beiden boten ein so schönes Bild, dass ich einfach nur da stand und diese Szene genoss. Nach etwa zwanzig Minuten ermahnte ich den Apatschen aber dann doch, jetzt mal langsam wieder zur Ruhe zu kommen, und er kam dem auch bereitwillig nach. Iltschi schien schon eher Probleme mit der Trennung zu haben, er blieb ganz nah an Winnetous Seite und schnaubte empört, als dieser die Koppel verließ. Langsam gingen wir wieder zurück ins Haus, schweigend, denn Winnetou schien völlig in Gedanken versunken zu sein. Ich glaubte zu wissen, dass er die heutigen Eindrücke nochmals auf sich wirken ließ, musste aber nach wenigen Minuten zu meinem Leidwesen erfahren, dass ich mich da ausnahmsweise einmal täuschte. Das Hochgehen auf der Treppe schien ihm nun doch etwas schwerer zu fallen, er aber ließ sich wie immer nichts anmerken. Seine Eskorte, bestehend wieder aus Emery und Old Firehand, war auch jetzt nahe bei ihm und die zwei waren offensichtlich sehr erleichtert, dass dieser erste Ausflug ohne Probleme von statten gegangen war. Wir hatten kaum unser Zimmer betreten, als auch schon Dr. Hendrick hinterher kam, um sicher zu gehen, dass Winnetou das Unternehmen gut überstanden hat. Ich stand neben meinem Freund und schüttete ihm gerade ein Glas Wasser aus dem Krug ein, der immer im Zimmer stand, als ich eine Hand an meinem Arm verspürte, die sich jetzt dort regelrecht hinein krallte. Ich brauchte gar nicht erst hinzusehen, um zu wissen, was geschah. Das Glas Wasser ließ ich fallen, wo ich war, drehte mich um und griff nach Winnetou, der leicht zu schwanken begonnen hatte. Ich konnte ihn gerade eben noch festhalten, als er zusammenbrach, sonst wäre er mit Wucht auf den Boden gestürzt. Hinter mir stieß Old Firehand einen Schreckensruf aus und war sofort an meiner Seite, um den Apatschen mit festzuhalten. Der Doktor rief nur: „Sofort hinlegen!“ und schon hatten wir Winnetou vorsichtig auf das Bett gelegt. Ich spürte förmlich, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Die Glücksgefühle der letzten Tage waren wie weggeblasen; ich war mir in diesem Augenblick fast sicher, dass Winnetous Herz jetzt tatsächlich versagt hatte. Und daran wäre ich zumindest teilweise mitschuldig gewesen, das stand für mich fest. Ich saß mit im Bett, hielt seinen Kopf in meinem Schoß und sah nur noch sein schönes Gesicht vor mir, alles andere nahm ich nicht mehr wahr. Die Gefährten redeten wild durcheinander, der Arzt gab seine Anweisungen – ich aber bekam nichts davon mit, ich fühlte mich wie in Watte gepackt. War jetzt doch alles vorbei? Kapitel 17: Ein Abend unter Freunden ------------------------------------ Ich saß völlig benommen bei meinem Freund, konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen, fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen. Der Arzt untersuchte und behandelte Winnetou, meine Gefährten halfen ihm – ich hingegen nahm nichts davon wahr. Einzig und allein das Bild, wie Winnetou voller Freude auf seinem Rappen saß, fand Platz in meinem Kopf, alle anderen Empfindungen und Gedanken waren wie weggeblasen, nur eine einzige Frage stand klar und deutlich vor meinem geistigen Auge: War es wirklich der grausame Wunsch des Herrn, ihn mir jetzt doch zu nehmen?? Irgendwann, Sekunden, Minuten, Stunden später – mein Zeitgefühl war mir völlig abhanden gekommen – spürte ich eine Hand auf der Schulter, die mich erst sanft, dann mehr und mehr und heftiger schüttelte, bevor ich überhaupt reagierte. Satzfetzen drangen an mein Ohr, tauchten wie aus einem Nebel auf und verschwanden wieder, ohne dass ich ihren Sinn begreifen konnte. Erst als Old Firehand richtig laut wurde und mich förmlich durchschüttelte, sah ich ihn bewusst an und verstand endlich, was er mir die ganze Zeit über mitteilen wollte: „Charlie, hör doch! Es ist nichts Ernstes, es ist nur sein Kreislauf! Nun versteh doch endlich!!“ Ganz langsam drang diese Botschaft in mein Gehirn, und endlich verstand ich auch ihren Sinn. „Nichts Ernstes? Wirklich nicht?“ Das war alles, was ich heraus brachte. „Bestimmt nicht!“ versuchte nun auch Dr. Hendrick mich zu beruhigen. „Sein Blutdruck fiel vorhin so schnell ab, dass dadurch sein Kreislauf zusammengebrochen ist. Ich habe ihm ein Medikament gespritzt, und sein Zustand stabilisiert sich gerade wieder.“ Er fasste mich an beiden Schultern und versuchte, meine volle Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Er befindet sich nicht in Gefahr; es wird ihm auch sofort besser gehen! In spätestens einer Stunde hat er sich wieder erholt!“ Immer noch zweifelnd sah ich ihn an. „Nun glaubt mir doch endlich, Mr. Shatterhand! Es war ein relativ harmloser Kreislaufzusammenbruch, ausgelöst durch seinen sowieso schon niedrigen Blutdruck, der nach der ganzen Anstrengung vorhin zu schnell abgesackt ist. Es bestand zu keiner Zeit Lebensgefahr!“ Ich blickte hinunter auf meinen Freund, der wirklich so aussah, als würde er nur schlafen, von einer leichten Blässe mal abgesehen. Endlich konnte auch ich aufatmen und mich langsam beruhigen. Emery gab mir einen kräftigen Klaps auf die Schulter und sagte: „Jetzt hör auf, dir Sorgen zu machen! Du sahst gerade fast schlechter aus als Winnetou, und wenn der dich so sieht, bekommt er ja Angst um dich!“ Ich brachte nur ein schwaches Lächeln zustande, zu sehr hielten mich die Nachwirkungen dieses großen Schocks noch gefangen. Dann versuchte ich, der Ursache des Zusammenbruchs auf den Grund zu gehen und wandte mich an den Arzt: „Ich habe vorhin wohl nicht genug aufgepasst; er hat sich in der Koppel wahrscheinlich zu viel zugemutet, richtig?“ „Nein, das ist nicht der alleinige Grund“, antwortete er mir mit Nachdruck. „Winnetous Blutdruck ist durch seine Verletzungen bedingt ständig zu niedrig, das wird wahrscheinlich noch einige Zeit anhalten. Wenn der dann plötzlich noch tiefer absackt, schafft er es einfach nicht mehr, sich zu halten. Das hätte aber auch in jeder anderen Situation, zum Beispiel nach dem Aufstehen oder Ähnlichem, geschehen können, kann in naher Zukunft auch weiterhin geschehen!“ Er sah mich ernst an: „Jetzt macht aber bitte nicht den Fehler und versucht, Euren Freund wieder hier in diesem Zimmer einzusperren und zur ständigen Ruhe zu zwingen! Das würde ihm wirklich nicht gut tun. Er muss einfach ins Freie, dort wird er sich viel besser erholen als hier drinnen!“ Genau dieses Szenario schwebte mir eigentlich im Moment vor, aber die Worte des Doktors belehrten mich doch eines Besseren. Ich wandte mich wieder dem Apatschen zu und strich ihm liebevoll die Haare aus der Stirn, wobei ich Mühe hatte, das Zittern in den Händen zu unterdrücken; so sehr saß mir der Schreck noch in den Gliedern. In diesem Augenblick begann Winnetou sich ein wenig zu bewegen und tat einen tiefen Atemzug. Sofort nahm ich sein Gesicht in meine Hände und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, rief dann leise seinen Namen. Er benötigte noch ein paar Sekunden, bis es ihm gelang, die Augen zu öffnen. Dann sah er völlig verwirrt abwechselnd zu mir, den Gefährten, dem Doktor und dann wieder zu mir, holte noch mal tief Luft und richtete sich mit einem Mal auf; zumindest versuchte er das, denn sofort hatten wir ihn zu dritt gepackt und wieder zurück in die Kissen gedrückt. „Wenn Ihr nicht sofort wieder zusammenbrechen wollt, müsst Ihr Euch noch etwas ausruhen, bevor Ihr aufstehen könnt, Häuptling Winnetou!“ ermahnte ihn Dr. Hendrick sofort und begann, ihn nochmal abzuhören. „Was ist denn geschehen?“ fragte mein Freund immer noch völlig verwundert. „Es ist wieder alles in Ordnung,“ begann ich ihn aufzuklären, während ich ihm immer wieder das Gesicht streichelte. „Aber dein Kreislauf ist zusammengebrochen, also bitte, bleib erst mal ruhig liegen, ja?“ Jetzt sah er mich genauer an, nahm meine Hand, drückte sie an sich und sagte: „Verzeih mir, Scharlih! Winnetou wollte seinen Bruder nicht beunruhigen. Er mag sich keine Sorgen machen, es geht mir gut!“ Ich fing einen Blick von Emery auf, der etwas rechthaberisch wirkte, und konnte nur noch kopfschüttelnd Winnetou entgegnen: „Du musst dich doch nicht rechtfertigen, du kannst ja nicht dafür!“ Dr. Hendrick unterbrach uns mit den Worten: „Heute macht Ihr den Rest des Tages Pause und morgen probieren wir es erneut, einverstanden?“ So geschah es auch. Gegen Abend allerdings überfiel Winnetou, der sich vollständig erholt hatte und eigentlich voller Tatendrang war, eine solche Ungeduld, eine so große innere Unruhe, dass er einfach nicht mehr liegen bleiben konnte. Der Arzt hatte ein Erbarmen mit ihm, so dass wir uns schließlich doch entschlossen, den sehr schönen und warmen Abend unten vor dem Haus unter den alten Bäumen zu verbringen. Es entstand ein kleiner Wettkampf zwischen Emery, Old Firehand, mir und Winnetou, was das Herunterkommen anbelangte; wir drei bestanden eigentlich darauf, ihn zu tragen, aber mein Freund behielt die Oberhand und lief mit einem sicheren, aufrechten Gang die Stufen herunter. Unten saßen schon sämtliche Westmänner sowie einige Apatschen zusammen, die sich alle unglaublich über Winnetous Erscheinen freuten. Dieser Abend wurde einer der unterhaltsamsten, die wir je miteinander verbracht hatten. Der Hobble Frank, Tante Droll, Emery sowie Old Surehand liefen zur Höchstform auf und erzählten die lustigsten Begebenheiten, wobei der kleine Frank immer wieder seine urkomischen und voller sprachlichen Konfusionen gespickten, von ihm allerdings ernst gemeinten Bemerkungen hereinwarf. Er versuchte mit aller Gewalt, sein wissenschaftliches Licht leuchten zu lassen, erntete aber nach jeder erneuten Anstrengung nur noch größeres Gelächter, und selbst mein in Gesellschaft so ernster Winnetou konnte nicht an sich halten und ließ das ein oder andere breite Lächeln über sein Antlitz huschen. Der kleine Sachse, der sonst immer, wenn er mehrere Lachsalven über sich ergehen lassen musste, beleidigt die Gesellschaft zu verlassen pflegte, sah wohl dem Apatschen an, dass der sich hochgradig vergnügte, schluckte deswegen seinen Zorn über die Männer, die seine pseudo-wissenschaftlichen Kenntnisse verlachten, hinunter und trieb es mit seinen sprachlichen Auswüchsen immer toller, bis wir uns irgendwann wirklich die Bäuche hielten. Diese herrliche Ablenkung hatte meinem Freund so gut getan, dass er am späten Abend, als die Gesellschaft sich auflöste, regelrecht beschwingt die Treppen hoch lief und mich beinahe glauben ließ, er sei kerngesund. Trotzdem konnte er mich nicht über eine gewisse Müdigkeit seinerseits hinwegtäuschen, und deshalb bestand ich darauf, dass er sich so schnell wie möglich hinlegte. Mittlerweile hatten wir ein zweites Bett ins Zimmer stellen lassen, weil es den anderen vielleicht doch seltsam vorgekommen wäre, wenn ich weiterhin im selben Bett mit Winnetou geschlafen hätte; aber sobald ich die Tür abends abgeschlossen hatte, legte ich mich dann doch zu ihm. So auch heute, und wie immer nahm ich ihn fest in meine Arme, was ihm offensichtlich äußerst gut tat. Aufgrund der Geschehnisse am heutigen Tag war er aber so müde, dass er innerhalb kürzester Zeit einschlief. Am frühen Morgen, noch vor Sonnenaufgang, erwachte ich davon, dass eine Hand mir zärtlich die Haare aus der Stirn strich. Ich blinzelte und erkannte meinen geliebten Blutsbruder, der mich lächelnd im Schlaf betrachtet hatte. Es gelang mir gerade noch, ihm einen guten Morgen zu wünschen, als er schon seine Lippen auf meine drückte und mich lange und intensiv küsste. Ich spürte sofort, wie mich die Lust auf ihn kompromisslos und mit aller Macht überrollte. Im Nu hatte ich meine Hände in seinem wundervollen Haar vergraben, während er mit seinen schon auf meiner Brust angelangt war und mir mit den Fingerspitzen über die linke Brustwarze strich, so dass ich laut aufgestöhnt hätte, wären da nicht seine Lippen auf meinem Mund gewesen. Während seine feingliedrigen Hände meinen ganzen Oberkörper liebkosten, unterbrach er den Kuss und fuhr mit seinen halbvollen Lippen ganz sanft über mein Kinn und meinen Hals entlang, bis er an der rechten Brustwarze angelangt war und diese vorsichtig umschloss. Das war schon wieder zu viel für mich, ich stand kurz davor, zu explodieren, nur ausgelöst durch diese wenigen Zärtlichkeiten. Es war einfach unglaublich, was für eine Wirkung der Apatsche auf mich hatte! Sofort fasste ich ihn an den Schultern und drehte ihn so, dass er auf den Rücken zu liegen kam. Ich nutzte es fast schamlos aus, dass ich im Vollbesitz meiner Körperkraft war, während er in diesem Bereich im Moment noch deutliche Defizite hatte. Ungestüm küsste ich ihn, und nur einen Moment später glitten auch meine Lippen an seinem Hals hinunter zu seiner Brust; umspielten seine Brustwarze, während meine Hand die andere stimulierte. Seine Hände fuhren mir abwechselnd durch die Haare und über Rücken und Arme, seine Atmung wurde schnell und heftig, und als meine Hand tiefer glitt und sofort seinen Schaft umschloss, kam nur noch ein abgehacktes Keuchen über seine Lippen. Ich selber musste in diesem Moment mit aller Macht verhindern, dass ich laut wurde, so sehr erregte mich sein Anblick. Zwischendurch versuchte er, uns so zu positionieren, dass er mich auch an meiner empfindlichsten Stelle berühren konnte, aber ich ließ es nicht zu; ich hätte mich auch bei der kleinsten Berührung nicht mehr halten können, da war ich mir sicher. Im Gegenteil, weiter meine Überlegenheit ausnutzend, glitt ich, ihn an allen erreichbaren Stellen küssend, mit dem Kopf tiefer und tiefer, atmete seinen Duft ein, genoss die weiche Haut an seinen Seiten und die harten Muskeln seines Oberkörpers, hielt ihn währenddessen mit dem linken Unterarm in die Kissen gedrückt, während meine andere Hand ihn weiter massierte. Irgendwann war ich mit meinem Gesicht ganz nah an seiner hochaufgerichteten Erektion, und dieser Anblick war das Erregenste und Schönste, was ich bis jetzt gesehen hatte. Einen Augenblick zögerte ich – so etwas hatte ich noch niemals getan, noch nicht einmal daran gedacht. Trotzdem wusste ich instinktiv, was zu tun war. Im nächsten Augenblick senkte ich meinen Kopf und nahm seine Spitze in meinen Mund. Er war gerade dabei, mich zu fragen: „Scharlih, was …..“ und dann ging der Rest des Satzes in einem langgezogenem Keuchen unter, während er scharf Luft holte. Er warf sich nach hinten, presste seinen Kopf in die Kissen und griff gleichzeitig nach einem anderen, um es sich vor das Gesicht zu halten und sein Stöhnen dadurch nicht zu laut werden zu lassen. Ich blieb weiter über seine Mitte gebeugt, hielt mit meiner Hand seinen Schaft fest umschlossen und massierte ihn, während meine Lippen weiterhin seine Eichel liebkosten. Schon spürte ich ihn in meiner Hand pulsieren, aber so schnell und leicht wollte ich es ihm dann doch nicht machen, also entließ ich ihn aus meinem Mund und meine Hand stand still. Sein Rücken hatte sich schon durchgebogen und er hatte den Atem angehalten, jetzt stieß er ihn keuchend wieder aus und entspannte sich etwas. Ich ließ ihm zwei, drei Sekunden, dann begann ich das Spiel von neuem und jetzt war es gut, dass er sich das Kissen vor sein Gesicht hielt, sonst wäre er doch laut geworden. Als ich spürte, dass er kurz darauf wieder fast soweit war, unterbrach ich abermals, was ihm einen fast schon hilflosen Laut entlockte. Ich wusste nicht warum, aber ich wollte ihn wahnsinnig machen, wollte, dass er sich völlig gehen ließ, dass er Himmel von Erde nicht mehr zu unterscheiden wusste, dass er sich einfach fallen ließ. Nachdem ich meine Zärtlichkeiten noch zwei, drei weitere Male unterbrochen hatte, brachte er nur noch ein atemloses Flehen hervor: „Scharlih …. bitte.....“ Auch ich konnte es nicht mehr länger aufhalten; also ließ ich seine Eichel wieder zwischen meine Lippen gleiten, etwas tiefer diesmal, während meine Hand ihn schneller, fester massierte. Sein erstickter Aufschrei hätte das ganze Haus geweckt, wäre das Kissen nicht gewesen. Um es wortwörtlich auf die Spitze zu treiben, ließ ich meine Zunge über seine Eichelspitze gleiten. Das war zu viel, er bäumte sich auf, erstarrte. Ich ließ ihn aus meinem Mund gleiten, noch ein, zwei Handbewegungen – und dann brach alles aus ihm heraus, er explodierte förmlich in meiner Hand, wurde von so einem gewaltigen Orgasmus überrollt, dass ihm komplett die Luft wegblieb. Während ich seine Kontraktionen in meiner Hand spürte, fühlte ich, wie mein Rückgrat sich verflüssigte, wie sich alles in mir zusammenzog und ich, genauso wie beim ersten Mal, ohne jegliche Berührung zum Ende kam, so intensiv, so unglaublich intensiv, wie ich es mir nie überhaupt hätte vorstellen können. Noch immer atemlos ließ ich mich neben meinen Freund sinken, legte meinen Kopf auf seine Brust und wünschte mir, dieser Moment möge niemals vorübergehen. Nach ein paar Sekunden aber fiel mir auf, dass ich von ihm noch gar nichts hörte und sah ihn an. Er lag immer noch heftig atmend mit geschlossenen Augen in den Kissen, war völlig erledigt. Fast sah es so aus, als würde er kurz davor stehen, die Besinnung zu verlieren. Vielleicht fühlte er sich auch so. Ich zog mich weiter hoch zu ihm, fragte ihn besorgt: „Geht es dir gut?“ Er brachte nur ein kurzes Nicken zustande, was mir aber nicht genügte und so fragte ich weiter: „Bist du sicher?“ Jetzt flüsterte er, mit vielen kleinen Pausen dazwischen, in denen er Luft holte: „Es geht …. mir … gut....“ Wieder ein tiefes Atemholen. „Doch... ich glaubte wirklich …..du willst mich …..umbringen!“ Jetzt musste ich doch leise lachen. „Nichts liegt mir ferner als das! Ich wollte...“ Himmel, wie sollte ich mich nur ausdrücken? „Ich wollte es dir einfach so schön wie möglich machen...“ Ich spürte, wie meine Wangen sich leicht röteten. „Das ist dir bestens gelungen.“, war seine einfache wie ehrliche Antwort, dann zog er mich in seine Arme, und wir blieben so eng umschlungen liegen, bis es Zeit zum Aufstehen war. Kapitel 18: Glückliche Stunden und eine schöne Überraschung ----------------------------------------------------------- Schlafen konnten wir trotz der vergangenen Anstrengung beide nicht mehr. Wir lagen eine Weile still und genossen einfach dieses wunderbare Beisammensein, bis Winnetou mich schließlich fragte: „Hat mein Bruder eigentlich früher schon einmal auf diese Art Zeit mit einem Mann verbracht?“ Ich ließ mir nicht anmerken, dass mich diese Frage von ihm überraschte, da er in solchen Dingen sich bisher sehr schweigsam gezeigt hatte. Also antwortete ich: „Nein, noch nie. Ich hätte es früher auch niemals für möglich gehalten, dass ich in dieser Richtung überhaupt Interesse haben könnte.“ Ich brach ab, überlegte, wie ich ihm das besser erklären konnte. „Selbst in all den Jahren, in denen wir uns schon kennen, habe ich über so etwas niemals nachgedacht, zumindest nicht bewusst. Wobei....“ wieder unterbrach ich mich, denn jetzt fiel mir die ein oder andere Begebenheit ein: „...wobei ich mich schon zu Beginn unserer Bekanntschaft, selbst als du in mir noch deinen Feind sahst, unglaublich zu dir hingezogen gefühlt habe. So intensiv hatte ich mich davor noch nie mit einem mir eigentlich völlig unbekannten Menschen beschäftigt. Und in den vielen Momenten, in denen ich in den darauffolgenden Jahren mit dir alleine war, habe ich mich selber öfters dabei ertappt, dass ich meinen Blick einfach nicht von dir lösen konnte, weil du....“ ich stützte mich jetzt auf meinen Ellbogen und streichelte ihm ganz sanft das Gesicht: „.....weißt du eigentlich, was du bist?“ Er hatte seine wunderschönen dunklen Augen die ganze Zeit über auf die Meinigen gerichtet, als wolle er auf den Grund meiner Seele blicken und schüttelte jetzt leicht den Kopf. „...du bist ganz einfach – unwiderstehlich!“ Mit diesen Worten drückte ich meine Lippen auf seinen Mund, küsste ihn lange, intensiv, wollte mich gar nicht mehr von ihm lösen. Das tat Winnetou dann für mich, denn er hatte wohl noch einige Fragen: „Dann war das auch für dich selbst das erste Mal? Du hattest es ebenfalls vorher noch nie erlebt? Auch nicht mit einer Squaw?“ O weh, jetzt war wohl die Zeit meiner Beichte gekommen, obwohl ich dieses Thema am liebsten für immer in den Untiefen meiner Seele vergraben hätte! Aber vor ihm wollte ich auf keinen Fall irgendwelche Geheimnisse haben, er sollte auch niemals so etwas denken. „Ja...doch.....ein einziges Mal. Leider.“ antwortete ich zögernd. Er sah mich wieder so durchdringend an, erriet dann auch das Richtige: „Du hast sie nicht geliebt?“ „Nein!“ stieß ich wohl etwas zu heftig hervor. Himmel, wie sollte ich ihm das nur erklären? „Weißt du, es gibt in den Ländern jenseits des großen Wassers und wohl auch hier im Osten Frauen, die....na ja, die ihren Körper für Geld verkaufen.“ Ich wartete angespannt auf eine Reaktion von ihm, die aber nicht kam. Also druckste ich weiter herum: „Wir ...also zwei Kameraden von mir und ich … wir waren halt in einem noch jugendlichen Alter und kamen in dieser Zeit auf allerhand dumme Ideen ….Einer von ihnen wollte einfach unbedingt diese Erfahrung machen und redete so lange auf uns ein, bis wir zustimmten. Wir legten also unsere Ersparnisse zusammen – Gott, ich war damals wirklich arm genug und hätte mit diesem wenigen Geld soviel Sinnvolles tun können!“ Selbst jetzt noch, Jahre, fast schon Jahrzehnte später, kroch mir bei dieser Erinnerung die Schamesröte ins Gesicht. „Die junge Frau war selber bitterarm, nahm nur wenig Geld – was soll ich sagen: außer einer kurzzeitigen Entspannung hat mir das Ganze gar nichts gebracht; ich habe mich noch lange Zeit danach fast zu Tode geschämt – und seit dem eigentlich nie wieder Interesse an irgendeiner Frau gehabt!“ So, jetzt war es raus! Aber was würde Winnetou nun von mir denken? Er sah mich weiterhin lange an. „Die Fehler, die wir in unserer Jugend begehen, machen uns zu reifen Menschen.“ sagte er dann schlicht und schenkte mir ein leises Lächeln. Sein Blick war so voller Liebe für mich, dass ich ihn einfach wieder in die Arme nehmen musste, um ihn fest an mich zu drücken. Als ich ihn wieder aus meiner Umarmung entließ, zuckten seine Mundwinkel leicht. Irgend etwas belustigte ihn offenbar und dann kam es auch schon: „Du hattest wirklich nie wieder Interesse an einer Frau? Auch nicht an dieser Jüdin namens Judith?“ Ich musste ihn wohl völlig schockiert angesehen haben, denn er, der sonst niemals mehr als ein Lächeln von sich preisgab, brach jetzt in ein leises Lachen aus. „Wie … wie kommst du gerade auf diese furchtbare Frau?“ stotterte ich immer noch total entsetzt, denn an dieses fürchterliche Weibsbild konnte ich wirklich nur noch mit Abscheu denken. Judith hatte ich in der Sonora in Mexiko kennengelernt. Sie war Teil einer Auswanderergruppe, die sich ihre Männer nach deren Reichtum aussuchte, sie dann aussaugte bis aufs Blut und sich anschließend dem nächsten widmete, der ihr das Leben bieten konnte, dass sie zu leben gewohnt war. Sie hatte sogar noch nicht einmal Halt vor einem Indianerhäuptling gemacht, nur weil der ihr Gold in rauen Mengen bieten konnte. Winnetou und ich hatten in der Zeit, als wir die Meltons jagten ( * siehe Triologie „Satan und Ischariot“ ), leider mehrfach mit ihr zu tun gehabt. Winnetou trieb es sogar noch weiter: „Sie hat dich doch immer wieder mit ihren Augen förmlich verschlungen....“ Erst jetzt, als er mit dem Lachen nicht aufhören konnte, wurde mir klar, dass er mich offensichtlich verulkte. „Na, warte.....“ ich nahm ihn wieder ungestüm in die Arme und küsste ihn, dass ihm die Luft wegblieb. Dann fiel mir etwas ein, womit ich mich rächen konnte, löste mich von ihm und sah ihn im gespielten Ernst an: „Besser für mich diese Judith als für dich die Gattin des Juriskonsulto aus Ures; diese „schöne“ Sennora in ihrer Hängematte mit den appetitlichen Zigaretten! Die hat dir nämlich schöne Augen gemacht, und du hattest doch auch bestimmt ein wenig Interesse an ihr, oder nicht?“ Ich ließ jetzt ein fast satanisches Grinsen sehen und hatte auch sofortigen Erfolg mit meiner Behauptung. Winnetou verschluckte sich während seines Lachens und jetzt war er es, der mich entsetzt ansah. „Eher würde Winnetou sich freiwillig in die Hölle begeben als diese weiße Squaw auch nur anzusehen ohne Not!“ Es schüttelte ihn regelrecht bei dieser Vorstellung, und nun brach ich in ein herzliches Gelächter aus, drückte ihn an mich und küsste ihm die Stirn. „Nein, bleib lieber bei mir, da wird es dir wahrscheinlich besser ergehen!“ Er nickte und meinte nur: „Da bin ich mir sicher.“ Nach dem Frühstück und der morgendlichen Visite des Doktors ging es wieder nach draußen. Ich spazierte mit Winnetou abermals zur Pferdekoppel, er begrüßte seinen Iltschi, der sich schon wie tags zuvor außer Rand und Band vor Freude zeigte, und wieder unternahm er mit seinem Rappen einen kleinen Ritt in der Koppel. An die Worte des Arztes denkend, ließ ich ihm seinen Willen, denn er sah einfach nur froh und glücklich aus auf dem Rücken seines Pferdes. Danach hatte er überhaupt keine Lust, wieder ins Haus zurückzukehren, und so gingen wir langsam noch ein Stückchen weiter, bis wir den kleinen Fluss erreichten, der in einiger Entfernung hinter dem Haus vorbei lief. Winnetous Augen begannen zu glänzen, als er das Wasser sah. Er ging hinunter bis ganz an den Uferrand, und ehe ich es verhindern konnte, hatte er sich schon halb entkleidet und war in den Fluss gesprungen! Mir blieb der Protest im Halse stecken, denn was ich jetzt von ihm sah, hätte ich in seinem immer noch nicht stabilen Gesundheitszustand niemals für möglich gehalten. Wie ein Fisch schnellte er im Wasser davon und war binnen weniger Sekunden nicht mehr zu sehen. Was war denn das? Was sollte denn dieser bodenlose Leichtsinn von ihm? Wir hatten doch abgemacht, nur solche Dinge zu tun, die der Arzt auch erlaubt hatte, und diese sportliche Einlage war definitiv noch nicht mit ihm abgesprochen! Ich wartete eine Minute, zwei Minuten, aber mein Freund war immer noch nicht zu sehen. Schon kroch in mir wieder die Angst um ihn hoch, als ich plötzlich von der entgegengesetzten Seite, auf der er verschwunden war, mit einem Schwall Wasser übergossen wurde. Winnetou! Er war, unter Wasser tauchend, bis an das Uferschilf geschwommen und hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als mich von oben bis unten nass zu machen! Jetzt schwamm er schnell bis in die Mitte des Flusses und brach über mein Aussehen, das wahrscheinlich dem eines begossenen Pudels mehr als ähnlich war, wieder in ein herzliches Gelächter aus. Ich brachte es absolut nicht fertig, ihm irgendwelche Vorwürfe zu machen, nicht wegen der unfreiwilligen Dusche, nein, sondern wegen seines Leichtsinns. Aber er sah so unendlich entspannt und glücklich aus, das konnte ja nicht schlecht für ihn sein! Offensichtlich genoss er das Schwimmen im Wasser sehr, nachdem er ja mehr als zwei Wochen lang noch nicht einmal das fließende Wasser einer Quelle hatte nutzen können. Aber so ungestraft sollte er mir nicht davon kommen! Im Nu hatte auch ich meinen Oberkörper entkleidet und sprang ebenfalls in das kühle Nass, holte ihn schnell ein und schon begann ein freundschaftliches Ringen zwischen uns, in dem ich, natürlich durch die Situation geschuldet, die Oberhand behielt. Nach einigen Minuten ließ er sich dann auch atemlos in meine Arme sinken und gab auf. „Mein Bruder soll aber nicht glauben, dass er immer der Sieger sein wird!“ versicherte er mir lächelnd und ließ sich anschließend rücklings wieder ins Wasser fallen, um es nochmals mit allen Sinnen zu genießen. Nachdem wir noch ungefähr eine Viertelstunde in diesem erfrischenden Element verbracht hatten, bestand ich aber doch auf einer Ruhepause. Unter normalen Umständen hätten wir uns jetzt einfach an das Flussufer hingelegt, aber das erschien mir für Winnetous Zustand noch zu gefährlich, da wir uns hier im Schatten befanden und er sich, nass wie er war, durchaus eine Infektion hätte einfangen können, was für sein immer noch geschwächtes Herz fatal gewesen wäre. Also zogen wir uns wieder an und gingen langsam zurück. Die Sonne brannte heiß vom Himmel, so dass unsere Kleidung sehr schnell zu trocknen begann. Am Haus angekommen, gab es für mich eine riesige Überraschung. Entschah-koh hatte ja, wie schon erwähnt, eine Postenkette bis zu den Mescaleros aufgebaut, und war gestern selbst bis zu dem ersten Posten geritten. Gerade als wir um die Hausecke bogen, kam er eben wieder von seinem Ritt zurück und hatte, hinter sich am Zügel herführend – meinen Hatatitla dabei! Meine Freude über dieses unerwartete Wiedersehen kann man sich gar nicht vorstellen. Überglücklich sprang ich zu dem Tier, welches mich auch direkt erkannte, und überschüttete es mit Liebkosungen und Zärtlichkeiten, während der Rappe wie toll um mich herumtobte. Winnetou kam langsam herbei und besah sich mit einem frohen Lächeln im Gesicht das Schauspiel. Er hatte vor ein paar Tagen, als ich mit Iltschi ausgeritten war, heimlich mit seinem Unterhäuptling diese Überraschung für mich besprochen und ausführen lassen. Nachdem die erste Wiedersehensfreude vorbei war, konnte ich gar nicht anders, ich musste mich bei meinem Freund bedanken und nahm ihn gerührt in die Arme. Dieser hatte schon wieder so einen schelmischen Ausdruck im Gesicht, als er mir erklärte: „Mein Bruder mag nicht glauben, dass Winnetou das nur für ihn getan hat! Jetzt haben wir beide nämlich unsere Pferde und können gemeinsam wieder längere Ritte unternehmen.“ Ah, daher wehte der Wind! Na, diesen Hintergedanken würde ich aber zuerst mit Dr. Hendrick besprechen, zumindest nahm ich mir das im Stillen vor. Dieses Vorhaben konnte ich sofort an Ort und Stelle ausführen, denn der Arzt kam gerade aus dem Haus und steuerte direkt auf uns zu. Er besah sich Winnetou, dessen Kleidung und Haare noch nicht ganz getrocknet waren, nahm allerdings auch gleichzeitig seine entspannte, fröhliche Stimmung wahr und deshalb enthielt seine Stimme auch nicht die Spur eines vorwurfsvollen Untertones, als er den Apatschen ins Haus bat, um ihn zu untersuchen und vor allem den Verband auf seiner Brust zu wechseln, der jetzt ja völlig durchnässt war. Aus den Augenwinkeln konnte ich die enttäuschten Gesichter einiger Siedler sehen, die in ein paar Metern Entfernung uns beobachtet und wohl gehofft hatten, dass Winnetou zu ihnen kommen würde. Ich war mir aber sicher, dass sie sich nicht mehr lange würden gedulden müssen. Kapitel 19: Einladungen ----------------------- Auf dem Weg nach oben erzählte ich dem Arzt von Winnetous Schwimmeinlage und seinem Vorhaben, mit mir längere Ausritte zu unternehmen. Der Doktor hörte sich alles mit hochgezogenen Brauen an, sagte aber nichts darauf. Im Zimmer angekommen, unterzog er meinen Freund erst einmal einer gründlichen Untersuchung und wechselte anschließend den durchnässten Verband. Die Wunde auf der Brust heilte sehr gut. Da sie sich von innen nach außen schließen musste, war jetzt nur noch der obere äußere Bereich etwas geöffnet. Bevor der Verband diesen verschloss, wurde vorher eine Masse aus kleingemörserten Heilkräutern hineingegeben, um eine Entzündung zu verhindern und die Heilung zu beschleunigen. Das alles war durch das Wasser jetzt natürlich völlig durchnässt und nicht mehr zu gebrauchen; Dr. Hendrick musste den Verband komplett erneuern und so erwartete ich fast, dass er Winnetou seinen Unmut über dessen Unvorsichtigkeit kundtat. Der Arzt aber war dem Unternehmungsgeist des Apatschen offenbar sehr zugetan und hatte auch gleich eine erfreuliche Nachricht für uns: „Ich kann Euch beruhigen, Mr. Shatterhand, schaden tun diese Ausflüge, solange sie in Maßen geschehen, Eurem Freund wirklich nicht mehr. Im Gegenteil, man sieht ihm ja förmlich an, wie er dadurch aufblüht!“ An Winnetou gewandt, fuhr er fort: „Ihr habt wirklich einen unglaublichen Überlebenswillen und eine großartige körperliche Konstitution, Häuptling! Ich glaube kaum, dass irgend jemand so schnell und so weit mit der Genesung von dieser schweren Verletzung fortgeschritten wäre wie Ihr jetzt! Es sind nur noch ganz geringe Herzrhythmusstörungen vorhanden und der Blutverlust ist wieder vollkommen ausgeglichen. Lediglich Euer Blutdruck ist noch ziemlich niedrig, aber das wird sich im Laufe der nächsten Zeit wohl auch deutlich bessern. Die Wunde am Kopf ist bis auf die Kruste verheilt und die andere braucht ebenfalls nicht mehr viel Zeit – alles in allem ein wunderbares Ergebnis!“ Er konnte mir meine große Freude und Erleichterung wohl deutlich ansehen, denn er versicherte mir nochmals: „Ihr könnt jetzt auch ruhig größere Ausflüge unternehmen, solange Winnetou sich nicht völlig überanstrengt, wird ihm nichts geschehen, das könnt Ihr mir wirklich glauben!“ „Und was ist mit seinem gestrigen Zusammenbruch? Kann so etwas nicht mehr passieren?“ Ganz beruhigt war ich halt immer noch nicht und wollte es jetzt genau wissen. „Gut - diese Gefahr ist allerdings noch immer nicht gebannt, bedingt durch den niedrigen Blutdruck.“ erklärte der Doktor. „Aber solange er in solchen Momenten nicht alleine und sofort Hilfe zur Stelle ist, besteht da auch keine Lebensgefahr für ihn, also macht Euch keine unnötigen Sorgen.“ Er sah den erfreuten Blick, den ich dem Apatschen zuwarf und ergänzte: „Dass Ihr an dieser schnellen Genesung aber auch nicht ganz unschuldig seid, Mr. Shatterhand, ist Euch hoffentlich bewusst?“ Bevor ich antworten konnte, war Winnetou schon aufgestanden, trat auf mich zu, ergriff meine Hände, drückte sie und küsste mich auf beiden Wangen. „Winnetou hingegen ist sich vollkommen im Klaren über die große Hilfe seines weißen Blutsbruders, dessen Liebe ihn vor dem Tod bewahrt hat!“ Daraufhin trat er auf den Arzt zu, ergriff auch dessen Hände und sprach: „Und auch die Hilfe des weißen Medizinmannes wird Winnetou niemals vergessen. Der Häuptling der Apatschen würde sich freuen, wenn der Doktor seine Studien über die indianischen Heilkräuter in den Weidegründen der Mescaleros aufnehmen könnte. Er wird dort alle Unterstützung finden, die er braucht, und beide Seiten könnten viel voneinander lernen.“ Dr. Hendrick stand sprachlos vor Erstaunen vor dem Indianer. Ich hatte mit so einem Angebot meines Freundes schon gerechnet, war allerdings sicher, dass der Arzt zumindest in den letzten beiden Wochen überhaupt nicht mehr an sein eigentliches Vorhaben gedacht hatte, so sehr hatten ihn seine Bemühungen um die Genesung des Apatschen in Anspruch genommen. Um so unerwarteter kam jetzt für ihn dessen Einladung, und er konnte nur noch stotternd antworten: „Seid...seid Ihr Euch ...seid Ihr Euch da ganz sicher, Häuptling Winnetou? Ich will nicht, dass Ihr Euch zu irgend etwas verpflichtet fühlt....Ihr müsst wissen, dass die Tatsache, dass Ihr wieder so munter vor mir steht, absolut Dank genug für mich ist – und mehr will ich auch gar nicht annehmen!“ Er wollte einfach nicht, dass Winnetou ihn aus falsch verstandener Dankbarkeit bei sich aufnahm, dessen war ich mir sicher. Ich hatte schon in der letzten Zeit bemerkt, dass er meinen Freund von Herzen lieb gewonnen hatte und nur das Beste für ihn wünschte. Er wollte ihm jetzt auf keinen Fall zur Last fallen. Winnetou aber lächelte ihm zu und entgegnete: „Winnetou hätte den Doktor auch ohne dessen Hilfeleistung eingeladen, sobald er ihn näher kennengelernt hätte. Er ist sich sicher, einen guten Menschen vor sich zu haben, der seinem Stamm nur Nutzen und keinen Schaden bringen wird!“ Jetzt konnte der Doktor nicht mehr an sich halten und zog meinen Freund ungestüm in seine Arme, um anschließend eine längere Dankesrede halten zu wollen, die Winnetou aber nach wenigen Worten unterbrach: „Winnetou ist es, der danken muss, nicht umgekehrt. Howgh!“ Wir blieben über die Mittagszeit im Haus, damit mein Freund sich noch etwas ausruhen konnte. Am liebsten hätte ich ihn wieder genötigt, sich auf das Bett zu legen und etwas zu schlafen, aber nach den Worten des Doktors, die ich auch als kleine Ermahnung für mein Verhalten dem Apatschen gegenüber verstanden hatte, ließ ich es lieber bleiben. Aber mein wunderbarer Winnetou wusste wie immer, was ich dachte und fühlte! Wieder einmal glitt ein leichtes Lächeln über sein schönes Gesicht, als er sagte: „Winnetou wird sich jetzt etwas zur Ruhe legen, damit sein Bruder beruhigt sein mag! Danach aber möchte er gerne die Siedler endlich genauer kennenlernen und sich bei ihnen für ihre Hilfe und Anteilnahme bedanken.“ Ich starrte ihn überrascht an. Wenn sich einer bedanken musste, dann waren es die Siedler bei Winnetou und nicht umgekehrt! Aber da ich ihn nun mal genau kannte, war mir klar, dass er jeden Dank für ihn von sich weisen würde, während er selber nicht genug davon austeilen konnte. Mir war bewusst, dass die Auswanderer meinen Freund wahrscheinlich überrennen würden, wenn sie ihm zum ersten Mal so nahe kommen konnten, also beschloss ich, hinunter zu gehen, um sie auf seinen Besuch vorzubereiten und so zu instruieren, dass er sich nicht bedrängt fühlen würde. Die Treckmitglieder freuten sich unbändig über meine Ankündigung und versprachen hoch und heilig, sich an meine Ratschläge zu halten, denn nur so konnten sie sicher sein, dass sich Winnetou nicht nach wenigen Augenblicken wieder entfernte. Ich blieb bis zu seiner Ankunft bei ihnen und hatte meine helle Freude an dieser munteren Gesellschaft, die sich nicht nur mit den Westmännern, sondern auch mit allen Apatschen richtig gut angefreundet hatte. Da waren keinerlei Vorurteile gegenüber der roten Rasse zu spüren, im Gegenteil, wenn sie mit den Indianern sprachen, taten sie es genauso, wie sie mit ihresgleichen zu sprechen pflegten. Diese fühlten sich auch offenbar äußerst wohl zwischen den weißen Siedlern, denn sie blieben nicht unter sich, wie es rote Krieger eigentlich immer in Gesellschaft von Weißen zu tun pflegten, sondern hatten sich mitten unter die Auswanderer gemischt, sprachen mal mit diesem, halfen mal bei jenem mit. Ich sah mir das Schauspiel mit fast schon ungläubigem Staunen an. Könnte es doch immer und überall so sein! Und dann kam am Nachmittag endlich Winnetou! Die freudige Spannung war bei allen Anwesenden fast greifbar, aber sie hielten sich zurück, bildeten ein großen Halbkreis und warteten voller Respekt und Ehrerbietung, bis der Apatsche das Wort ergriff: „Winnetou ist froh und glücklich, seine weißen Brüder und Schwestern gesund und unversehrt vor sich zu sehen. Er weiß, dass sie Schlimmes durchmachen mussten und hofft, dass sie diese Erlebnisse bald vergessen werden. Außerdem möchte er Dank sagen für die Hilfe und Anteilnahme, die sie ihm zuteil werden ließen und für das Vorhaben, auf Winnetou zu warten und mit ihm durch den Llano zu ziehen. Er wird dieses Angebot mit seinen Apatschen sehr gerne annehmen und freut sich auf eine gute, unterhaltsame Reise!“ Nun trat der Treckführer Schumann vor und sprach: „Häuptling Winnetou, ich danke Euch im Namen aller Siedler für Eure freundlichen Worte. Aber wir sind es, die Euch mehr als Dank schulden und wir wissen alle, dass wir Eure Hilfe bei der Rettung unser aller Leben nie wieder gut machen können. Ich weiß,“ fuhr er eindringlich fort, als er sah, dass Winnetou den Kopf schüttelte und die Hände abwehrend erhob. „Ich weiß, dass Ihr das am liebsten gar nicht hören möchtet, aber einmal muss es gesagt sein, danach werden wir uns Eurem Willen beugen und nicht mehr davon sprechen. Aber Ihr könnt versichert sein, dass wir es Euch niemals vergessen werden. Unser Leben gehört ab sofort Euch und jeder von uns wird, wenn Ihr ihn einmal brauchen solltet, sofort zur Stelle sein!“ Winnetou nickte dankend mit dem Kopf, gab dem Treckführer die Hand und ging dann zu jedem Einzelnen, auch zu den Kindern, um ihnen allen die Hand zu reichen. Man konnte deutlich erkennen, dass die Siedler alle tief bewegt waren und einigen sogar Tränen der Rührung in den Augen glitzerten! Anschließend setzte sich der Apatsche neben Schumann mitten unter die Auswanderer, worauf alle es ihm erfreut gleichtaten. Nun begann ein sehr unterhaltsamer Nachmittag, der in einem wunderbaren Lagerfeuer-Abend überging, wie es sie im Westen in diesem Ausmaß mit Sicherheit nicht so oft zu sehen gab. Einige der Siedler hatten ganz annehmbare Stimmen und begannen irgendwann, deutsches Liedgut zu präsentieren. Es gab sogar jemanden, der Gitarre spielte und ein anderer, der eine Flöte dabei hatte, und diese unterstützten die Sänger in wirklich bemerkenswerter Weise. Winnetou hörte still und konzentriert zu; ich sah ihm an, dass die Musik seine Seele zutiefst berührte. Die Frauen hatten zwischenzeitlich ein herrliches Mahl zubereitet, und Helmer gab gutes deutsches Bier aus, welches dann auch in Strömen floss. Nachdem Old Surehand und der Hobble-Frank sich genug Mut angetrunken hatten, begannen sie, in den Gesang der Siedler mit einzustimmen, was für unendlich viele Lacher sorgte, die natürlich dem Sachsen galten. Old Surehands Stimme konnte sich nämlich durchaus hören lassen, während der kleine Frank so schräg und schief wie nur irgend möglich sang; es konnte einem wahrhaftig die Tränen in die Augen treiben! Ich kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus, während Winnetou den Kopf gesenkt hielt, entweder weil auch er sich das Lachen nicht mehr verkneifen konnte oder weil ihm der „Gesang“ in den Ohren weh tat. Zwischendurch wurde sich auch intensiv unterhalten und dabei kam das Gespräch auch auf die Absichten der Auswanderer, sich irgendwo in New Mexico anzusiedeln. Mein Freund hörte eine Weile zu und begann sich dann in das Gespräch mit einzubringen. Er erkundigte sich, wo genau die Siedler sich niederlassen wollten, was diese aber noch nicht wussten. Treckführer Schumann erklärte ihm: „Wir haben noch keine genaue Vorstellung, da wir das Land dort drüben ja nicht kennen. Wir hoffen, irgendwo fruchtbaren Boden zu finden, welches wir dann entweder pachten oder, noch besser, kaufen können!“ Winnetou nickte und schaute einige Augenblicke sinnend zu Boden, wechselte anschließend einen langen Blick mit seinem Unterhäuptling, worauf hin dieser schweigend nickte. Ich wusste genau, worüber er nachdachte, und da kam es auch schon: „Winnetou möchte, wenn seine weißen Brüder und Schwestern nichts dagegen haben, ihnen sehr gerne einen Teil der Weidegründe der Mescaleros anbieten, auf dem sie wohnen und den Boden fruchtbar machen können. Er schenkt es ihnen!“ Schumann und diejenigen, die nah genug saßen, um die Worte des Apatschen hören zu können, saßen starr vor Staunen, wie festgefroren auf ihren Plätzen. Dann flüsterten einige es denjenigen Siedlern zu, die weiter entfernt gesessen hatten und die gaben es ebenfalls weiter; wie eine Wellenbewegung breitete sich das Angebot des Häuptlings unter den Menschen aus, genauso wie die plötzliche Stille, die danach folgte. Der Treckführer fand dann doch irgendwann seine Sprache wieder: „Häuptling Winnetou ….Das ….das wäre ja unglaublich... Aber das können wir doch gar nicht annehmen!“ „Warum nicht?“ kam die Gegenfrage. „Wir haben Euch schon so viel zu verdanken, wir können Euch doch jetzt nicht auch noch Euer Land wegnehmen!?!“ Schumann konnte den Großmut des Apatschen einfach nicht fassen. „Ein Geschenk kann man nicht wegnehmen,“ entgegnete dieser ihm. „Ja … Nein ….Aber Euer Gebiet würde sich durch uns unweigerlich verkleinern – ihr habt doch schon viel zu viel für uns getan, als dass wir das auch noch annehmen könnten!“ ereiferte sich Schumann. Mein Freund hingegen war ganz ruhig, als er ihm antwortete: „Winnetou würde mit diesem Schritt auch seinem Volk einen Gefallen tun. Er weiß, dass die Zeiten sich unweigerlich ändern werden und er will nicht unvorbereitet sein.“ Er tat einen tiefen Atemzug und sah den Treckführer ernst an: „Irgendwann werden die Apatschen, auch die Mescaleros, es zulassen müssen, dass sich Weiße in ihren Jagdgründen ansiedeln, weil der weiße Vater in Washington es so bestimmen wird. Wenn wir uns dagegen wehren, werden wir früher oder später alles Land verlieren. Lassen wir es aber schon vorher zu, zeigen wir damit unseren guten Willen und der weiße Vater wird eher bereit sein, unser Eigentum zu achten. Die Ansiedlung von Weißen ist also nicht zu umgehen - und Winnetou nimmt doch viel lieber Menschen in seine Nachbarschaft auf, von denen er weiß, dass sie gut und ehrlich sind und seinem Volk keinen Schaden bringen werden als Menschen, die er nicht kennt und denen er nicht vertrauen kann!“ „Aber gerade dann wäre es doch vollkommen ehrlos von uns, wenn wir Eure Zwangslage auch noch ausnützen würden! Zumindest schenken werden wir es uns nicht lassen!“ Schumann war immer noch nicht beruhigt. Gott, wie froh war ich, dass es solche Menschen wie ihn gab, die die Indianergebiete nicht als Selbstbedienungsladen sahen! Doch so sehr sich der Treckführer sich gegen den Willen des Apatschen auch sträubte, Winnetou setzte sich durch und beendete die Diskussion mit den Worten: „Wir werden es Euch schenken, denn wir wissen, dass wir dieses Geschenk von Euch doppelt wiederbekommen werden, da wir von Euch noch viel lernen können. Howgh!“ Damit war für ihn alles gesagt, nicht aber für Schumann, der sich jetzt fast schon verzweifelt an mich wandte: „Wir können doch so etwas nicht … jetzt sagt Ihr doch auch mal was, Mr. Shatterhand!“ Ich konnte ein Lächeln ob seiner Aufgeregtheit nicht unterdrücken. „Na, wenn Ihr mich so fragt, dann rate ich Euch, Winnetous Angebot anzunehmen. Ihr werdet es nirgendwo besser haben und Ihr werdet nirgendwo sicherer sein als bei den Apatschen, solange Ihr es gut mit ihnen meint!“ „Also, davon könnt Ihr getrost ausgehen!“ erwiderte er und setzte an Winnetou gewandt, glücklich hinzu: „Häuptling Winnetou, für dieses unglaublich großzügige Angebot können wir Euch gar nicht genug danken – Im Namen des gesamten Trecks nehme ich von Herzen gerne an!“ Damit ging er auf meinen Freund zu, reichte ihm die Hand und zog ihn, als dieser aufgestanden war, gerührt in seine Arme. Sämtliche Anwesende fielen in ohrenbetäubendes Händeklatschen und Bravorufen ein; irgendjemand rief ein donnerndes dreimaliges „Hurra“ und als alle es wiederholten, konnte man den Lärm bestimmt zwanzig Meilen weit hören. Jetzt war keiner mehr zu halten und Winnetou wurde nun doch von allen Seiten bedrängt; jeder wollte sich bedanken und seine Hände schütteln, so dass ich es als notwendig ansah, mich an seine Seite zu stellen und ihm etwas Luft zu verschaffen. Irgendwann hatten sich die Gemüter einigermaßen beruhigt, aber nun wurde gefeiert, wie man es auf Helmers Home wohl noch nie gesehen hatte! Kapitel 20: Der erste Ausritt ----------------------------- Müde, aber äußerst zufrieden gingen Winnetou und ich am späten Abend, eigentlich schon mitten in der Nacht, auf unser Zimmer. Mein Freund schlief sofort ein, kaum hatte er sich neben mich gelegt. Ich kroch noch näher zu ihm heran, legte meine Arme um ihn und dachte noch eine Weile über den heutigen Abend nach. Innerhalb kürzester Zeit war es ihm gelungen, sehr viele Menschen glücklich zu machen, und er selbst war so froh darüber! Wieder einmal wallte ein Gefühl der tiefsten Liebe zu ihm in mir auf, so dass ich ihn unwillkürlich noch fester an mich drückte. Zum Glück wurde er davon nicht wieder wach und so schlief ich wenig später schließlich auch ein. Als ich am nächsten Morgen kurz nach Sonnenaufgang erwachte, spürte ich den Apatschen nicht mehr neben mir. Ich sah hoch, und da saß er schon frisch und munter am Fenster und blickte gedankenverloren zur Koppel hinaus. Kaum hatte er bemerkt, dass ich mich aufgesetzt hatte, trieb er mich schon zur Eile an. Er sehnte sich danach, endlich auf seinem Iltschi und mit mir an seiner Seite wieder einen längeren Ritt zu unternehmen! Natürlich tat ich ihm den Gefallen und war im Nu gewaschen und angezogen. Mrs. Helmer hatte durch den Holzfußboden von unten unsere Schritte gehört und brachte ein wundervolles Frühstück nach oben, noch üppiger als sonst, denn sie wollte, dass Winnetou sich auf jeden Fall ordentlich stärkte, bevor er zum ersten Mal für längere Zeit ausritt. Es waren aus verständlichen Gründen um diese frühe Uhrzeit nur wenige Siedler munter, die uns zuwinkten, als wir zur Koppel gingen. Diesmal wieherten uns zwei Pferde freudig entgegen und tobten zwischen den anderen Tieren umher, bis wir sie fest am Zügel hatten und aus der Koppel führten. Als Winnetou aufsaß, tat sein Iltschi noch ein paar verrückte Bocksprünge, wodurch mein Rappe sich genötigt sah, es ihm gleichzutun. Wir sahen uns an und brachen gleichzeitig in ein leises Lachen aus, was auch der großen Vorfreude geschuldet war, die wir auf unseren ersten gemeinsamen Ausflug empfanden. Und dann ging es endlich los! Winnetou trieb seinen Hengst an und flog nun förmlich in die Prärie hinaus. Ich brauchte Hatatitla gar kein Zeichen zu geben, er schoss genauso schnell hinterher. Ich holte Winnetou dadurch schnell ein, sah ihn an und konnte mich nur noch freuen über sein überglückliches Gesicht. Kaum waren wir außer Hörweite von Helmers Home, stieß der Apatsche einen durchdringenden Kriegsschrei aus, um seinen überströmenden Glücksgefühlen irgendwie Ausdruck zu verleihen. Ich antwortete mit einem lauten, herzlichen Gelächter, welches ich auch nicht mehr unterdrücken konnte. Nach der langen Zeit, die wir voller Sorgen und Ängste in dem kleinen Zimmer verbracht hatten, lebten wir beide jetzt endlich einmal wieder richtig auf! Wir ritten eine ganze Zeitlang im fliegenden Galopp über die kurzgrasige Steppe. Hier in der Nähe des Llano gab es kaum noch Bäume, geschweige denn ganze Wälder. Nach ungefähr zwei Stunden, in denen wir in einem Halbkreis um Helmers Home herum geritten waren, sahen wir in einiger Entfernung einen dunklen Streifen, welcher dann doch auf ein langgezogenes Waldstück hindeutete. Wo Wald ist, gibt es auch meistens Wasser, zumindest in dieser Gegend, und so hielten wir genau darauf zu, um den Pferden und auch uns eine Erfrischung zu gönnen. Dort angekommen, sahen wir uns bestätigt. Es war ein schmaler, klarer Bach, der sich leise plätschernd durch die angenehme Kühle des langen, aber nicht gerade breiten Waldstückes zog. Wir befanden uns allerdings jetzt zum ersten Mal seit längerem nicht mehr in der Sicherheit einer großen Gesellschaft, also gingen wir beide in verschiedene Richtungen davon, um unsere Umgebung auf eventuelle Gefahren abzusuchen. Ganz wohl war mir bei dem Gedanken noch nicht, Winnetou jetzt schon alleine auf Kundschaft gehen zu lassen. Was war, wenn er tatsächlich auf einen Feind traf? Hatte er schon genug Kraft, sich zumindest so lange zu wehren, bis ich ihm zu Hilfe eilen konnte? Ich wollte ihm aber auch nicht mehr ständig seine immer noch vorhandene, leichte körperliche Schwäche vor Augen halten; er hatte es lange genug aushalten müssen, auf andere angewiesen zu sein. Mir war jetzt schon bewusst, dass ich ihm mehr helfen würde, wenn ich ihm mein Vertrauen in seine Kräfte verdeutlichte, anstatt sie ihm abzusprechen. Es ging auch alles gut, beide kamen wir gleichzeitig wieder zu den Pferden zurück; weder er noch ich hatten auch nur die Spur eines feindlichen Wesens bemerkt und da man von hier aus schnell von allen Seiten zu den Rändern des Waldes gelangte und dann meilenweit die offene Prärie übersehen konnte, waren wir uns sicher, erst einmal völlig ungestört zu sein. Mein Freund nutzte die Situation auch sofort aus. Diesmal entkleidete er sich völlig und war mit einem Satz in den Bach gesprungen, der tief genug war, dass er auch untertauchen konnte. Bevor er mich wieder nass spritzen konnte, kam ich ihm diesmal lieber zuvor, zog mich ebenfalls komplett aus und war im Nu neben ihm im Wasser. Wir waren ganz für uns, hatten alle Zeit der Welt, und so tobten wir fast wie die Kinder durch das erfrischende Element, tauchten uns gegenseitig unter oder schubsten den anderen wieder zurück ins Wasser, wenn dieser gerade herausgehen wollten. Ich kann sagen, ich habe Winnetou in all der Zeit, die ich mit ihm bisher verbracht hatte, noch nie, wirklich noch nie so gelöst, entspannt und fast schon fröhlich gesehen. Er brach während unserer Kinderei immer wieder in sein leises, aber herzliches Lachen aus, was ich bei ihm auf diese Art eigentlich erst in den vergangenen Tagen auf Helmers Home zum ersten Mal gehört hatte. Er war einfach nur glücklich, genauso wie ich, und ich war es nicht nur, weil wir in dieser wunderbaren Form der Liebe endlich zusammen gefunden hatten, sondern weil ich die Möglichkeit hatte, ihm dieses Glück zu bereiten und zu erhalten! Nach einer guten halben Stunde hatten wir dann aber doch genug von unserem Spiel und verließen das Wasser. Winnetou ließ sich rücklings ins Gras sinken, schloss die Augen und genoss sichtlich den Sonnenschein, der durch die Bäume auf seine nackte Haut fiel. Ich selbst blieb eine Zeit lang neben ihm stehen und betrachtete ihn lange. Was war er doch für ein schöner Mann! Wie leuchtete seine bronzene Haut in der Sonne! Allein der Anblick seines makellosen Körpers ließ in mir wieder einmal die Lust hoch kochen, ich konnte einfach nichts dagegen tun. Ich ließ mich neben ihm auf die Knie sinken und begann, mit beiden Händen seine Haut langsam zu liebkosen, kurz darauf ließ ich meine Lippen folgen. Auch bei ihm stellte sich der Erfolg augenblicklich ein, sein Körper reagierte wie meiner in Sekundenschnelle, während er sichtlich diese Zärtlichkeiten genoss. Meine Hände näherten sich nach einer Weile wieder seiner intimsten Zone, aber diesmal ließ er es nicht zu. Völlig überraschend schnellte er hoch und drückte mich mit dem Rücken auf die Erde. Er legte sich mit seinem Oberkörper von der Seite her halb auf meine Brust, so dass ich nicht mehr so schnell weg kam und nun begaben sich seine Hände auf eine zärtliche Wanderung, die an meiner mittlerweile hoch aufgerichteten Erektion endete. Er umfasste meinen Schaft und ich konnte nicht anders, ich ließ einen erstickten Aufschrei hören. Schnell nahm ich beide Hände vor meinem Mund und konnte nur noch hoffen, dass wirklich niemand in der Nähe war, denn jetzt waren seine Lippen auf meiner Eichelspitze, nein, jetzt ließ er sie darüber gleiten und ich glaubte, dass mir das Herz stehen bleiben müsse. Er massierte mich, mit seinen Händen und mit seinen Lippen, und ich biss mir mittlerweile meine Fingerknöchel fast schon blutig. Ich konnte es wirklich nicht mehr aushalten, nahm alle Kraft zusammen, richtete mich so schnell auf, dass er von mir ablassen musste, dann war ich schon über ihn und presste ihn regelrecht rücklings auf den Boden. Meine Hand glitt über seinen Schaft, er war bretthart, und schon hatte er seine Hände um meine Taille geschlungen und drückte mich fest auf sich. Als unsere Glieder sich berührten, durchfuhr es meinen Körper wie glühende Lava und mir stockte der Atem. Langsam, ganz langsam begann ich mich auf ihm zu bewegen. Er schnappte nach Luft, keuchte auf, fing an, mir mit seinen Bewegungen entgegenzukommen. Mit dem Kopf kam er etwas hoch und presste sein Gesicht in meine Schulter, was sein Stöhnen wenigstens etwas unterdrückte, während ich laut zu hören war, ich konnte mich einfach nicht mehr zusammenreißen. Unsere Bewegungen gingen ineinander über, wurden Eins, wie ein einziger Körper, als wenn wir für immer zusammengehörten, völlig losgelöst von Raum und Zeit. Ich hatte das Gefühl, als wenn alle Sterne des Himmels an uns vorbeiflogen, es war die vollkommene Vereinigung, obwohl wir nur aufeinander lagen. Dann ließ er seinen Kopf in den Nacken sinken, und ich sah ihn an. Das war ein Fehler, denn dieser Anblick, wie er mit geschlossen Augen, halb geöffnetem Mund, einem völlig entrücktem Ausdruck auf seinem wunderschönen Gesicht da lag, seine Hände, die sich jetzt in den grasigen Boden krallten und in seiner Erregung ein paar Halme ausrupften, während sein Körper durch unsere Bewegungen immer wieder etwas hoch und wieder herunter über die Erde rutschte, dieser hochgradig erotische Anblick bewirkte sofort, dass ich von so einem heftigen Orgasmus überrollt wurden, dass ich befürchtete, mir würden jeden Augenblick die Sinne schwinden. Laut aufstöhnend, ließ ich Welle über Welle über mich ergehen. Nach einigen Sekunden hatte ich mich wieder in der Gewalt, ich sah, dass Winnetou noch nicht so weit gewesen war, dass aber nicht mehr viel fehlte, und jetzt wollte ich ihm die schönste Erlösung bringen. Ich richtete mich auf, hielt ihn wieder mit meinem Unterarm auf seiner Brust nach unten gepresst, beugte mich über seine Mitte und nahm sein Glied tief in meinen Mund auf, während eine Hand den unteren Teil seines Schaftes zärtlich, aber fest genug massierte. Meine Zunge spielte an seiner empfindlichsten Stelle. Allein seine heftige Reaktion ließ mich fast zum zweiten Mal kommen. Er wurde ganz starr, bog seinen Rücken durch, kam mir mit seiner Mitte noch mehr entgegen, eine Hand war an meiner Schulter, krallte sich schmerzhaft hinein, sein anderer Arm war vor seinem Gesicht, um den Aufschrei zu minimieren, aber sein Stöhnen kam jetzt genau in dem Rhythmus, in dem ich seine Männlichkeit bearbeitete. Viel Zeit hatte ich nicht mehr, er pulsierte in meiner Hand, sein Schaft war so groß und hart, ich massierte ihn noch schneller und fester, das Pulsieren wurde stärker und dann kam ein Gemisch aus Keuchen, Stöhnen und einem Schrei über seine Lippen, während der Orgasmus ihn überwältigte und seinen ganzen Körper mit aller Macht durchschüttelte, er ergoss sich in heftigen Schüben wieder und wieder und wieder, während ich ihn immer noch leicht massierte. Das Ganze dauerte eine gefühlte Ewigkeit - danach brach er regelrecht in sich zusammen, blieb vollkommen erschöpft unter mir liegen, krampfhaft bemüht, irgendwie wieder zu Atem zu kommen. Ich zog ihn in meine Arme, drückte ihn fest an mich, streichelte langsam und beruhigend über seinen Rücken und wartete darauf, dass sich sein Körper wieder entspannte. Nach einiger Zeit tat er es dann auch, und zwar in Gänze, denn mein Freund schlief tatsächlich ein. Ich wartete noch ein Weile, stand dann vorsichtig auf, zog mich an und ging noch einmal auf Kundschaft, um sicherzugehen, dass sich in dieser Zeit, in der wir alles um uns herum vergessen hatten, nicht doch jemand unserem Lager genähert hatte. Trotz sorgfältigster Suche fand ich aber nichts Beunruhigendes und so setzte ich mich wieder neben Winnetou und bewachte seinen Schlaf. Kapitel 21: Drei Tote und Bloody Fox in Not ------------------------------------------- Winnetou erwachte nach ungefähr einer Stunde. Als er die Augen aufschlug und anstatt einer Zimmerdecke ein Blätterdach über sich sah, fuhr er überrascht in die Höhe. Sofort nahm ich ihn fest in den Arm, und als er mich sah, besann er sich wieder, wo er war und was geschehen war. Er lächelte mich liebevoll an, seine Hand strich leicht über meine Wange und dann fragte er: „Winnetou weiß wirklich nicht, womit er deine Liebe verdient hat, Scharlih.“ Gerührt zog ich ihn noch fester in meine Arme und antwortete: „Du hast noch viel, viel Besseres verdient, mein guter Bruder! Du sorgst dich ständig um alle Menschen in deiner Umgebung, während du dich selber am liebsten völlig vernachlässigst! Ich....“ Weiter kam ich nicht, denn er hatte sich aufgerichtet und unterbrach mich: „Mein Bruder mag bescheidener von Winnetou denken und sprechen! Auch er hat seine Fehler, und nicht wenige....“ Nein, das ließ ich jetzt nicht zu, in meinen Augen hatte er keinen einzigen Makel und sollte sich jetzt auch keinen einreden. „Du hast keine Fehler, sondern allerhöchstens minimale Eigentümlichkeiten, und gerade dafür liebe ich dich! Du bist einfach das Beste, was mir je passiert ist, und jetzt will ich keine Wiederworte mehr hören!“ Mit diesen Worten drückte ich ihm einen langen, intensiven Kuss auf die Lippen, so dass er tatsächlich nicht mehr antworten konnte, was anschließend wieder sein wundervolles Lächeln auf sein Antlitz zauberte. Dann war es Zeit, weiter zu reiten, um nicht zu spät zurückzukehren, denn ich wollte nicht, dass man dort in Sorge um uns, vor allem um Winnetou, geriet. Er säuberte sich kurz, zog sich anschließend schnell an, dann saßen wir auf und setzten unseren Ausritt fort. Wir hatten ungefähr die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als mein Freund plötzlich sein Pferd zügelte, dieses ganz still stehen ließ und selbst konzentriert in die Ferne lauschte. Ich tat es ihm gleich, konnte aber absolut nichts hören, was auch kein Wunder war, denn das Gehör Winnetous war einzigartig. Ohne etwas zu sagen, wendete er seinen Iltschi nach Nordosten und ließ ihn im langsamen Trab in die Richtung laufen, in der er das Geräusch wahrnahm. Kurze Zeit später konnte ich erahnen, was es war, es klang wie ein unterdrücktes schmerzliches Stöhnen. Jeder andere wäre jetzt so schnell wie möglich zur Ursache des Geräusches geritten, wir aber handelten wie schon so oft als eine Einheit, brauchten uns überhaupt nicht abzusprechen. Beide saßen wir gleichzeitig ab, führten unsere Hengste so in ein nahegelegenes Gebüsch, dass sie nicht sofort zu entdecken waren und schlichen uns leise, immer hinter kleinen Büschen in Deckung bleibend, zu der Quelle der Schmerzenslaute. Das Gelände hier war von vielen, teils mannshohen Büschen durchzogen, und in Richtung der Geräusche verdichteten sich diese in ein größeres, für das Auge undurchdringliches Buschwerk. Als wir uns diesem näherten, wurde das Gestöhne deutlicher. Vorsichtig, uns nach allen Seiten umschauend, um eventuelle Angreifer rechtzeitig zu sehen, drangen wir durch das Gesträuch. Ungefähr in der Mitte desselben war ein kleiner Platz durch viele Fußstapfen ausgetreten, die von mindestens zehn Personen herrührten. Auf diesem Platz lag ein Mensch, ein Weißer, offensichtlich schwer verletzt, der immer wieder voller Schmerzen aufstöhnte. Auch jetzt begingen wir nicht den Fehler und traten sofort schutzlos zu dem Verwundeten, sondern wir schlichen uns, der eine links, der andere rechts, jeder in einem Halbkreis um die ausgetretene Stelle im Gebüsch herum, um sicher zu gehen, nicht doch in eine Falle zu tappen. Es war aber niemand zu sehen, und so verständigte ich mich mit Winnetou durch Zeichen, dass er bei dem Verletzten bleiben sollte, während ich zur Sicherheit noch einmal die nähere Umgebung absuchte. Auch hier war keine Spur mehr von einem lebendigen Wesen zu entdecken und so kehrte ich nach geraumer Zeit wieder zu Winnetou zurück. Dieser hatte inzwischen den halb bewusstlosen Mann untersucht, der offensichtlich eine schwere Kopfwunde davongetragen hatte. Winnetou informierte mich auch sofort: „Das Leben des Bleichgesichtes kann nicht mehr gerettet werden, er wird in Kürze sterben. Eine Kugel ist in seinen Kopf eingedrungen, man kann sie nicht entfernen.“ „Ist er ansprechbar?“ erkundigte ich mich, denn es galt für uns jetzt dringendst zu erfahren, was hier geschehen war. Wenn diese Gruppe, welche die Spuren auf dem kleinen Platz hinterlassen hatte, Banditen waren, mussten wir unbedingt wissen, mit wem wir es zu tun hatten. Wir waren zwar auf Helmers Home in der großen Gesellschaft relativ sicher, doch vor einer Kugel aus dem Hinterhalt war man auch dort nicht unbedingt gewappnet. Auf meine Frage hin schüttelte Winnetou den Kopf. „Sein Geist ist nur halb bei ihm, aufgrund der starken Schmerzen gleitet er aber nicht vollends in die Bewusstlosigkeit ab.“ „Wenn wir ihn nur zum Sprechen bringen könnten! Wir müssen wissen, wer er ist und warum er diese Verletzung davongetragen hat!“ Ich hatte mich während des kurzen Wortwechsels neben dem Apatschen gekniet, als ihm eine Idee kam. Er durchsuchte schnell die Taschen des Verletzten und förderte schließlich ein kleines Fläschchen mit einer undefinierbaren Flüssigkeit darin hervor. Der Geruch ließ auf irgendeinen billigen Fusel schließen, der zum Trinken zumindest für uns mit Sicherheit nicht in Frage kam, um Stirn und Nacken des Mannes damit zu kühlen, aber um so mehr. Kurz nachdem Winnetou dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt hatte, wurde es von Erfolg gekrönt; der Weiße erwachte tatsächlich für kurze Zeit, erschien mir aber völlig verwirrt. Es war deutlich zu sehen, dass ihm nur noch sehr wenig Zeit im Diesseits blieb, also beeilte ich mich, ihm die wichtigsten Fragen zu stellen: „Mister! Könnt Ihr mir sagen, wer Ihr seid und wer Euch verletzt hat?“ Seine Antwort bestand aus einem verworrenen Durcheinander von Satzfetzen, in denen allerdings immer wieder das Wort „Geier“ eindeutig herauszuhören war. Ich schüttelte ihn kräftig und erreichte damit, dass sich seine Augen weit öffneten und er mich mit einem fast klaren Blick ansah. Nochmals fragte ich, diesmal lauter: „Wer seid Ihr? Wer hat Euch verletzt?“ Auch jetzt gab er keine genauen Antworten, allerdings kamen ein paar gut verständliche Satzbruchstücke über seine Lippen: „Die Geier …wir haben sie belauscht …entdeckt … .Meinen Bruder … getötet ….in den Kopf geschossen ….mich auch....planen großen Überfall ….“ Nach diesen wenigen Worten sank sein Kopf zurück, die Augen erstarrten – er war tot. Winnetou und ich blickten uns an, beide waren wir uns über das Ausmaß des Gehörten im Klaren. Also war die Geierbande tatsächlich nicht komplett ausgelöscht worden, im Gegenteil, es mussten sich in der Gegend noch mehr Mitglieder eingefunden haben! Mindestens zwei Menschen hatten sie schon wieder auf ihrem Gewissen und planten offensichtlich, für noch mehr Opfer zu sorgen. Jetzt galt es, den Verbrechern irgendwie auf die Spur zu kommen, allein schon, um uns und die Gefährten, vor allem aber die Auswanderer zu schützen. Wir ließen daher den Toten erst einmal liegen und gingen, getrennt von einander, nochmals auf längere Spurensuche. Winnetou war es dann, der mich rief, er hatte nicht weit entfernt offenbar den Platz gefunden, an dem der Überfall auf den Mann und seinem Bruder stattgefunden hatte. Wir sahen uns genauestens um. Anscheinend hatte ein größerer Trupp, wahrscheinlich deutlich mehr als zwanzig Personen, hier über Nacht gelagert. Aus den Spuren konnten wir ersehen, dass diese Leute von zwei Menschen beschlichen worden waren, höchstwahrscheinlich dem Toten und dessen Bruder. Anhand der niedergerissenen Äste und Zweige war eindeutig zu lesen, dass diese beiden kein großes Geschick beim Anschleichen bewiesen hatten und deswegen von den Lagernden entdeckt, ergriffen und anschließend getötet worden waren. Den zweiten Toten fanden wir dann auch unweit des ersten, ebenfalls in den Kopf geschossen. Jetzt galt es, so schnell wie möglich den Gefährten Bescheid zu geben, denn ein jeder, der sich nun in näherer Umgebung hier aufhielt – und die Westmänner waren oft in einem großen Umkreis von Helmers Home zum Jagen unterwegs – war in Gefahr, vor allem, weil im Moment einfach niemand damit rechnete. Wir luden die beiden Toten auf unsere Pferde und ritten im Eiltempo zurück. Als wir ankamen, erregten wir aufgrund unserer zusätzlichen Last natürlich großes Aufsehen und mussten erst einmal in aller Ausführlichkeit sämtliche Anwesenden über die aktuelle Lage in Kenntnis setzen. Im Stillen verabschiedete ich mich wehmütig von den ungezwungenen, friedlichen Stunden und Tagen, die hinter mir und Winnetou lagen, denn wie es jetzt aussah, mussten wir wieder einmal gegen unbekannte Feinde ankämpfen. Aber – und das war eine große Erleichterung für mich – immerhin war ich jetzt bei Winnetou, er musste nicht alleine, wie so oft, der Gefahr ins Auge sehen, ich hatte nun die Möglichkeit, ihn zu unterstützen und wenn nötig, zu beschützen. Zusammen mit den Westmännern, den Apatschen, dem Treckführer sowie Tobias Helmer überlegten wir ausführlich, wie wir nun weiter vorgehen wollten. Es wurde beschlossen, Kundschafter in einem großen Umkreis auszusenden, um herauszufinden, wohin die Banditen sich gewandt hatten. Es konnte außerdem gut möglich sein, dass sie auch schon in unserer Nähe gewesen waren und uns auskundschaftet hatten, was mir aber nicht so viele Sorgen machte; wir waren einfach zu viele, als dass die Verbrecher ernsthaft einen Überfall auf uns planen würden. Jeder von uns war nun allerdings zur äußersten Vorsicht angehalten. Vor allem die Auswanderer mussten jetzt einiges von ihrer gewohnten Freiheit aufgeben und konnten nicht mehr einfach auf gut Glück die Umgebung durchstreifen. Mittlerweile war es Nachmittag geworden. Die Kundschafter wurden eingeteilt; immer zu zweit sollten sie direkt los reiten, um vor allem unsere nähere Umgebung abzusichern. Für mich war es sehr interessant zu sehen, dass sich die Zweiergruppen nicht aus jeweils zwei Apatschen oder zwei Westmännern zusammensetzten, sondern sie hatten sich offenbar in der letzten Zeit alle so gut angefreundet, dass sich in den meisten Gruppen weiß und rot gemischt auf den Weg machten. Ich konnte es meinem Winnetou ansehen, dass es ihn in den Fingern juckte, sich ebenfalls mit mir zum Auskundschaften auf den Weg zu machen. Er sah mich auch fragend an, ich aber schüttelte nur den Kopf. Er hatte heute seinen ersten größeren Ritt hinter sich und sollte es nun wirklich nicht übertreiben. Sollte es tatsächlich in nächster Zeit zu einem Kampf kommen, musste er dafür so erholt wie möglich sein, denn teilnehmen würde er an einem solchen Kampf auf jeden Fall. Der Apatsche würde sich niemals auf das Krankenlager zurückziehen, während seine Freunde sich der Gefahr aussetzten. Es gab siebenunddreißig Personen, auf die man sich in jedem Fall verlassen konnte; einundzwanzig Apatschen, elf Westmänner, Bloody Fox, Tobias Helmer, Treckführer Schumann sowie Winnetou und mich. Natürlich durften die nicht alle gleichzeitig auf Kundschaft gehen, sonst wäre der Treck und das Haus ohne Schutz geblieben. Die erwachsenen Männer der Auswanderer waren zwar keine Feiglinge, aber im Umgang mit Waffen kamen sie in keinster Weise an uns heran, auch fehlte ihnen allen die nötige Erfahrung im Kampf gegen Feinde. Wir beschlossen deshalb, dass immer fünfzehn Personen vor Ort bleiben sollten. Westlich des Hauses lag der Llano Estacado, dorthin ritten vor allem diejenigen Kundschafter, die einen Apatschen bei sich hatten, da diese sich in der Wüste bestens auskannten. Auf der östlichen Seite des Hauses erhob sich ein ungefähr fünfzig Meter hoher Hügel, der zur Hausseite hin schroff und felsig steil in die Tiefe führte. Von dieser Seite aus konnte man nicht hinauf gelangen, man musste ihn von der Seite besteigen, was Bloody Fox direkt in Angriff nahm, der für heute ausgelost worden war, hier vor Ort zu bleiben. Er wollte nicht untätig herum sitzen und sagte sich, dass dort oben ein guter Platz für eventuelle Feinde war, die das Anwesen und den Treck ausspionieren wollten, und machte sich sofort auf den Weg. Ich hingegen wollte, da es jetzt langsam Abend wurde, unsere Pferde versorgen und gleichzeitig hinter dem Haus nach dem Rechten sehen. Es wurde zwar schon allmählich dunkel, aber sollten sich wirklich Spuren hier befinden, würde ich sie mit Sicherheit jetzt noch entdecken können. Winnetou hatte mir wohl angesehen, dass es mir lieber war, wenn er jetzt sitzen blieb und sich noch ein wenig ausruhte, er tat mir dann auch den Gefallen. Nach dem Versorgen der Pferde ging ich also in immer weiter führenden Halbkreisen das Terrain hinter dem Haus ab, ohne irgend etwas Auffälliges zu finden. Gerade wollte ich mich wieder zurück zu meinem Freund begeben, als ich plötzlich lautes Geschrei vom Haus her hörte und einen Moment später die Silberbüchse des Apatschen krachend losging. Das Schreien ging in laute Schreckensrufe über, die sich fast schon panisch anhörten. So schnell wie möglich rannte ich zu dem Platz unter den alten Bäumen vor dem Haus zurück, wo die übriggebliebenen Westmänner und Indianer sowie die meisten Siedler sich bis eben befunden hatten. Jetzt war niemand mehr auf seinem Platz, alle waren zur Ostseite des Hauses hin gestürzt und blickten nun wie gebannt zu dem Hügel hoch, welcher sich dort erhob. Was ich jetzt sah, ließ mir den Atem stocken. Bloody Fox hatte, wie schon erwähnt, den Hügel von der Seite her erklommen, um sich dort nach eventuellen Feinden umzusehen. Offenbar war er auch tatsächlich auf jemanden gestoßen, der ihm sofort ans Leben wollte. Wie ich später erfuhr, ging Fox gerade ganz nah an der Abbruchkante des Hügels entlang, als sich plötzlich wie aus dem Nichts eine Gestalt löste und sich mit einem Messer auf ihn stürzte. Fox wurde von dem Unbekannten so überrascht, dass er kaum Gegenwehr leisten konnte und wahrscheinlich das Messer zu spüren bekommen hätte, wäre Winnetou nicht gewesen. Dieser hatte im Moment des Angriffs wohl zufällig den Hügel von seinem Platz aus im Auge gehabt, sofort sein Gewehr ergriffen und den Unbekannten im Augenblick der höchsten Not mit einem gezielten Schuss in den Kopf getroffen. Damit war die Gefahr für Bloody Fox aber noch nicht gebannt. Der Angreifer fiel tödlich getroffen über die scharfe Felskante hinunter in die Tiefe und hätte Fox, weil er gegen ihn geprallt war, mit in den Tod gerissen, wenn dieser sich nicht mit den Händen an der brüchigen Kante festgehalten hätte. Er hing jetzt, sich mit aller Kraft an den Felsen klammernd, frei über den gähnenden Abgrund und es war nur eine Frage der Zeit, bis ihn die Kräfte verlassen und er in die Tiefe stürzen würde. Winnetou hatte die Gefahr sofort erkannt und nicht einen Augenblick gezögert. So schnell und sicher wie eine Gams kletterte er den Felsen, an dem eigentlich gar kein Hochkommen möglich war, hinauf, zwar nicht auf direktem Wege, denn das wäre selbst ihm nicht gelungen, dafür war es dort einfach zu steil, sondern etwas von der Seite her. In dem Moment, als ich die Situation überblicken konnte, war er schon oben angelangt, hatte sich auf die schmale Felskante gelegt, ergriff den Arm von Bloody Fox und hielt diesen unter größten Anstrengungen fest. Hochziehen konnte er ihn aber nicht, dafür war die Kante einfach zu schmal und beide fanden in dem losen Gestein viel zu wenig Halt. Er konnte nur alle Kraft darauf verwenden, Fox zu halten und zu verhindern, dass dieser in Panik geriet, da von der Kante aus immer mehr Gestein herunter bröckelte. Immer wieder sprach der Apatsche ihm Mut zu und versicherte ihm, er würde keinesfalls loslassen, und wenn es noch so lange dauern sollte, bis Hilfe kam. So schnell ich konnte, kletterte ich den Hügel hinauf. Vor mir hatten sich schon ein paar Apatschen sowie Martin Baumann, Old Firehand und Emery, die ebenfalls nicht zu den Kundschaftertruppen gehörten, schnellstmöglich auf den Weg gemacht. Trotzdem dauerte es einige Zeit, bis wir die beiden erreichten, da die Felskante sehr schmal war und in der jetzt aufziehenden Dunkelheit äußerste Vorsicht geboten war. Als ich bei Winnetou ankam, war dieser schweißgebadet und am Ende seiner Kräfte, denn Bloody Fox war ein großer, kräftiger Mann, der es nicht verhindern konnte, öfters ins Pendeln zu geraten. Ich legte mich neben meinen Freund, Emery war schon auf seiner anderen Seite, ebenfalls drei Apatschen, die jetzt Winnetous Körper hielten, während Martin Baumann, der jetzt gleichfalls neben mir angelangt war, und ich versuchten, den Arm von Fox zu ergreifen, den Winnetou festhielt. Auf der anderen Seite tat Emery dasselbe mit dem anderen Arm. Mit vereinten Kräften gelang es uns, Fox heraufzuziehen. Dieser ließ sich daraufhin erst einmal zu Boden sinken und begann, haltlos zu zittern. Winnetou wurde von seinen Apatschen zurückgezogen und stand jetzt auf. Auch ihn überfiel nun ein Zittern, dass er schwer unter Kontrolle bekam. Ich nahm ihn zuerst vollkommen erleichtert in die Arme und bemerkte dabei, dass ihm leicht schwindelte. Jetzt galt es, ihn so schnell wie möglich weg von dieser Kante und dann nach unten in Sicherheit zu bringen. Er hatte sich völlig überanstrengt, was mir natürlich schon Sorgen machte. Emery unterstützte mich dabei, in dem wir zu beiden Seiten des Apatschen langsam und vorsichtig seitlich den Hügel hinunterstiegen. Hinter uns kamen die Mescaleros und Old Firehand sowie Martin Baumann, die sich um Bloody kümmerten, der noch so weiche Knie hatte, dass er fast getragen werden musste. Wir kamen alle glücklich unten an und wurden von den Zurückgebliebenen begeistert empfangen. Vor allem Winnetou galten die Glückwünsche und Bravo-Rufe. Er hatte aber keine Möglichkeit mehr, darauf zu reagieren, denn kaum waren wir vor dem Haus angekommen, brach er auch schon bewusstlos zusammen! Kapitel 22: Ein Rückschritt? ---------------------------- Ein vielstimmiger Schreckensruf ertönte, als der Apatsche in sich zusammensackte, und ich konnte ihn nur im letzten Moment davor bewahren, mit voller Wucht auf den Boden aufzuschlagen. Diesmal war ich aber etwas besser vorbereitet als beim letzten Mal; ich hatte den Zusammenbruch fast schon kommen sehen. Trotzdem lief es mir vor Sorge und Schrecken heiß und kalt den Rücken herunter. Ängstlich begann ich, nach seinem Puls zu tasten, nach einem Lebenszeichen zu suchen. Sofort waren Emery, Firehand und Martin Baumann an meiner Seite, um mich zu unterstützen. Winnetou atmete nur flach, seinen Puls konnte ich gar nicht fühlen, was ich aber auf meine vor Aufregung zitternde Hand zurückführte. In diesem Moment kam - Gott sei dank – der Doktor zu uns, der das Geschehen zusammen mit den Siedlern ebenfalls voller Spannung verfolgt hatte. Er sagte kein Wort und überprüfte sofort Atmung, Puls und Herzschlag meines Freundes. Sein Gesicht nahm daraufhin einen sehr ernsten Ausdruck an. Emery fragte voller Ungeduld: „Sollen wir ihn nicht schnell hinauf bringen, Doktor?“ „Nein!!“ stieß dieser ungewohnt heftig hervor, griff mit seiner Hand jetzt unter das Jagdhemd des Apatschen und legte diese auf seine Brust. Einen Moment später rief er laut und eindringlich: „Jemand muss mir sofort meine Tasche holen!“ Martin Baumann sprintete im Eiltempo los. Ich spürte, wie mir das Blut aus den Wangen wich und nahm die Hand meines Freundes in die meinige. Dr. Hendrick legte jetzt sein Ohr an Winnetous Brust, seine Züge wurden immer angespannter. Ich getraute mich nicht, nach dem Grund zu fragen, tastete nochmals nach dem Puls und fand ihn abermals nicht. Ich glaube, um uns herum war es totenstill, nicht einmal ein Flüstern war zu hören. Dafür rauschte es in meinen Ohren um so mehr, mein Herz raste vor Angst. Doch, nun regte sich jemand. Bloody Fox, der sich nach seiner Rettung erst einmal völlig fertig auf eine Bank gesetzt und den Kopf in seine Hände vergraben hatte, bekam jetzt endlich mit, dass irgend etwas nicht stimmte. Voller Entsetzen stürzte er auf uns zu, warf sich neben Winnetou auf die Knie und schrie, beinahe panisch: „Nein! Um Gottes Willen - Nein! Das ist doch jetzt nicht wahr!“ Dabei liefen ihm die Tränen nur so über das Gesicht. Ich konnte ihn gut verstehen, aber seine Aufregung half uns im Moment auch nicht weiter. Einige der Siedler erkannten, dass Fox hier jetzt nur störte, zogen ihn hoch und brachten ihn unter beruhigendem Zureden ins Haus. Endlich, endlich kam Martin mit der Tasche des Arztes zu uns gestürmt. Dieser ergriff sie hastig, durchsuchte ihren Inhalt und begann, so schnell er konnte, eine Spritze mit irgendeinem Medikament aufzuziehen. Währenddessen legte ich nun selbst meine Hand auf das Herz des Apatschen, und fühlte – nichts! Doch! Jetzt spürte ich etwas, wenn auch nur ganz minimal. Es klopfte ganz leise, viel zu langsam, unregelmäßig, kaum spürbar. Die Angst um ihn überfiel mich jetzt mit aller Macht, schnürte mir die Kehle zu. Inzwischen hatte Hendrick die Spritze aufgezogen, entrollte den Ärmel Winnetous, staute die Vene kurz an und verabreichte ihm das Medikament. Anschließend wies er Emery, der stocksteif und völlig geschockt neben ihm saß, mit wenigen Worten an, mit einem Tuch auf die Einstichstelle zu drücken, während er sein Stethoskop hervorholte, um die Herztöne genauer zu untersuchen. Winnetou lag immer noch völlig regungslos. Ich konnte nichts anderes tun als zu warten, seine Hand zu halten, über seine Stirn zu streicheln und ein Stoßgebet nach dem anderen in den Himmel zu senden. Zwischendurch fragte ich den Doc leise, ob ich den Kopf meines Freundes in meinen Schoß legen dürfe, was er mit einem knappen, aber deutlichen „Nein!“ beantwortete. Wir mussten lange warten. Während Hendrick unentwegt die Herzschläge des Apatschen überwachte, versuchten die Umstehenden, sich irgendwie nützlich zu machen. Einige brachten warme Decken, um zu verhindern, dass mein Freund in seiner Bewusstlosigkeit vollends auskühlte, andere schleppten Wasser und Tücher heran in dem Glauben, dass der Arzt diese anschließend brauchen würde, wieder andere holten alle Arten von Getränken herbei; vielleicht würde etwas davon helfen, wenn es dem Indianer eingeflößt wurde. Ich selber hielt seine Hand fest an meine Brust gedrückt und wünschte, wenigstens etwas helfen zu können, aber es gab einfach nichts, was ich tun konnte. Irgendwann schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, stieß Hendrick einen zittrigen Stoßseufzer aus und sah mich jetzt zum ersten Mal an. Ich erwiderte fragend seinen Blick, konnte aber vor Angst kein Wort herausbringen, meine Kehle war wie ausgetrocknet. „Das war jetzt nicht gut,“ begann er mit belegter Stimme. „Das war genau die völlige Überanstrengung, die er noch zu vermeiden hatte!“ „Und?“ Mehr als dieses kleine Wort kam nicht über meine Lippen. „Er stand ganz kurz vor einem Herzstillstand,“ antwortete der Doc. „Da fehlte jetzt wirklich nicht mehr viel. Gott sei dank hat das Medikament noch rechtzeitig angeschlagen! Aber wenn er jetzt alleine gewesen wäre....“ Seine Hand lag währenddessen weiterhin auf der Brust des Apatschen; er getraute sich noch nicht, sie wegzunehmen. Ich war noch lange nicht beruhigt und es gelang mir endlich, eine vollständige Frage zu stellen: „Besteht immer noch Lebensgefahr?“ „Ich glaube ...ich glaube nicht.“ Anscheinend war er sich da selber noch nicht ganz sicher, zumindest ließ seine zögernde Antwort diesen Schluss zu, was natürlich auch nicht unbedingt dazu beitrug, meine Ängste und Sorgen zu mindern. „Ist es denn jetzt möglich, ihn hochzubringen, hier auf der nackten Erde ist seine Lage ja nicht die Beste?“ forschte ich weiter. Hendrick schüttelte den Kopf. „Ich möchte sicherheitshalber noch etwas warten, bis sich sein Herzrhythmus weiter stabilisiert hat. Aber es liegen ja genug Decken hier, wir können ihn jetzt ganz vorsichtig darauf legen.“ Auf diese Worte hin griffen Emery, Old Firehand und ich sofort zu und betteten Winnetou so sanft wie nur irgend möglich auf ein paar von den vorhin von den Siedlern herbeigebrachten Decken. Wieder saßen wir wartend da und ich hatte Zeit, meinen geliebten Freund zu betrachten. Wegen der Dunkelheit konnte ich sein Gesicht nicht genau sehen, hatte aber den Eindruck, dass es bleich in das Dunkel der Nacht herausstach. Seine Atmung allerdings ging jetzt tiefer, und ich konnte auch endlich an seinem Handgelenk den Puls ertasten. Unwillkürlich musste ich an unseren Ausritt am Vormittag denken, an unserem sorglosen und fröhlichen Spiel im Wasser und das anschließende wundervolle, heftige Zusammensein. Er war so glücklich gewesen! Und jetzt lag er schon wieder ohne Besinnung und völlig erschöpft vor mir! Bei diesen Gedankengängen wurde ich von einem fürchterlichen Grimm gepackt. Der Angreifer oben auf der Höhe war unter Garantie ein Kundschafter der Geier-Banditen gewesen. Schon wieder! Schon wieder war ein Geier daran schuld, dass mir mein Freund fast unter den Händen weggestorben wäre! In diesen Minuten schwor ich mir, nicht eher zu ruhen, als bis wir dieser Verbrecherbande endgültig den Garaus gemacht hatten. Gnade Gott jedem dieser Schufte, der mir in die Hände geriet - hier würde ich mit Sicherheit zu keinerlei Schonung mehr bereit sein! Es verging bestimmt noch eine halbe Stunde, bis sich der Doktor endlich sicher war, dass ein Transport in unser Zimmer für Winnetou keine Gefahr mehr darstellte. Emery und Old Firehand sahen sich kurz an, Emery nickte – Firehand hatte von dem Engländer aufgrund seiner noch extremeren Größe und Körperkraft den Vorzug erhalten, den Apatschen nach oben zu tragen. So geschah es auch. Oben angekommen untersuchte ihn der Arzt sofort wieder, und so ganz allmählich schien das Ergebnis ihn zufrieden zu stellen. „Er erholt sich langsam,“ teilte er mir mit. „Ich werde ihm jetzt noch mal etwas zur Stärkung des Herzmuskels spritzen, dann dürfte die Gefahr vollends gebannt sein.“ Ich nickte, fühlte langsam die Anspannung von mir abfallen und eine regelrechte Erschöpfung dafür in mir hoch kriechen. Der Tag war doch lang gewesen, und vor uns lag mit Sicherheit keine ruhige Zeit mehr. Hendrick sah mir meine Müdigkeit wohl an und meinte: „Ihr könnt Euch ruhig hinlegen, Mr. Shatterhand. Ich werde heute Nacht hier wachen, ich hätte sonst sowieso keine Ruhe!“ Eigentlich hatte er Recht, aber ich hatte das Gefühl, mich auf keinen Fall von meinem Freund lösen zu können, schon gar nicht nach dem gerade überstandenen Schock. „Vielleicht wäre es für Winnetou am besten, wenn Ihr Euch wie früher direkt zu ihm legt. Ich glaube nämlich nicht, dass er so schnell wieder erwachen wird, und dass Eure Nähe ihm äußerst gut tut, wurde ja schon mehrfach bewiesen.“ Konnte Hendrick hellsehen oder woher wusste er, was ich mir gerade am meisten wünschte? Oder – ein leiser Schauer lief mir bei diesem Gedanken über den Rücken – ahnte er eventuell sogar etwas? Verstohlen sah ich ihn von der Seite her an, er aber war offensichtlich völlig unbefangen. Ich beschloss also, seinem Vorschlag Folge zu leisten, besprach mich allerdings vorher noch mit Firehand und Emery, die sich beide im Zimmer befanden. Die Kundschafter, die wir nachmittags ausgeschickt hatten, waren alle nach und nach zurückgekommen, keiner von ihnen hatte etwas Wichtiges entdeckt. Morgen sollte aber ein deutlich größerer Umkreis nach möglichen Banditen oder Spuren von ihnen abgesucht werden. Die drei Toten waren durchsucht worden, niemand von ihnen hatte einen Hinweis dabei, wer oder was sie waren. Bei den beiden Brüdern war das auch kein Wunder, hier hatten wohl die Geier sämtliche Taschen vor uns gelehrt und alles Brauchbare mitgenommen. Morgen wollten wir dann alle drei bestatten. Am Nachmittag hatte ich noch größte Hoffnung gehabt, in spätestens drei Tagen mit Winnetou - der dann wohl allmählich so weit wiederhergestellt gewesen wäre, dass er die Reise ohne Probleme überstehen würde - und allen anderen zu den Jagdgründen der Apatschen aufzubrechen. Wenn ich ihn mir aber jetzt so betrachtete, hatte ich erhebliche Zweifel, ob dieses Vorhaben gelingen würde, seine Rettungstat hatte ihn wahrscheinlich in seiner Genesungsphase wieder einen oder mehrere Schritte zurückgeworfen. Ich wollte aber so schnell wie möglich aufbrechen, ich wollte meinen Freund und natürlich auch die Siedler in der Sicherheit der Mescaleros wissen. Nach dem heutigen Nachmittag und Abend hatte dieser Wunsch in mir natürlicherweise an Intensität zugenommen, vor allem, weil der Apatsche gerade jetzt wirklich nicht belastbar war und meiner Meinung nach eher vor der Verbrecherbande geschützt werden musste als dass er selber in der Lage war, den Treck zu beschützen. Dass ich mit dieser Ansicht allerdings völlig daneben lag, konnte ich an jenem Abend noch nicht wissen. Kapitel 23: Zur Untätigkeit gezwungen ------------------------------------- Nachdem meine Gefährten das Zimmer verlassen hatten, half mir der Doktor, Winnetous Kleidung abzulegen. Anschließend ging auch er kurz hinaus, um in seinem Zimmer noch einige Utensilien zur Überwachung von Winnetous Zustand zu holen, während ich mich ebenfalls auszog und mich neben meinen Freund legte. Ich schloss ihn fest in meine Arme und dachte über seine Rettungstat nach. Das war mal wieder ein Ding gewesen, welches auch nur er fertig bringen konnte! In seinem Zustand, noch lange nicht im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte, über eine solche Steilwand fast fünfzig Meter im Eiltempo hinaufzuklettern, um dann einen Menschen festzuhalten, der schwerer und größer war als Winnetou selber, und das über einen nicht gerade kurzen Zeitraum – wem hätte das sonst gelingen können? Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum er es getan hatte, abgesehen von einer ebenfalls in Betracht kommenden Reflexhandlung. Er hätte sich zurückhalten und den anderen Westmännern die Rettung überlassen können. Niemand wäre jemals auf die Idee gekommen, ihn deswegen für mutlos zu halten, weil jedermann wusste, dass der Apatsche zu solch einer körperlichen Anstrengung eigentlich noch gar nicht in der Lage war. Aber jeder der Anwesenden hätte viel, viel länger bis nach oben gebraucht und ob sich Bloody Fox so lange hätte halten können? Wahrscheinlich nicht. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass Winnetou diese Aktion nicht dauerhaft geschadet hatte. Er lag zwar ganz ruhig und tief atmend in meinen Armen, sein Herzschlag fühlte sich ebenfalls wieder etwas kräftiger an, aber mir wäre es deutlich lieber gewesen und hätte meine Sorgen wesentlich verringert, wenn mein Freund zumindest für kurze Zeit zu sich gekommen wäre. Nun betrat Hendrick wieder den Raum, untersuchte meinen Freund nochmals und versicherte mir, dass ich ruhig schlafen dürfe, denn er wolle Wache halten und Winnetous Zustand ergäbe jetzt kaum mehr einen Grund zur Besorgnis. Ich schloss also die Augen und schlief tatsächlich ein, allerdings nicht für lange. Ich hatte meine Hand die ganze Zeit über auf Winnetous Brust über seinem Herzen liegen und erwachte immer wieder in der Nacht, weil ich das Gefühl hatte, die Atmung oder der Herzschlag des Apatschen würde weniger werden, was allerdings nur auf Einbildung beruhte, wie mir der Doktor nach dem sechsten Mal fast schon etwas entnervt versicherte. Noch lange vor Sonnenaufgang hielt ich es nicht mehr aus, ich musste irgend etwas tun, wollte aber auf keinen Fall das Zimmer verlassen. Der Arzt sah die einzige Möglichkeit, um meine Unruhe zu mindern, darin, mir wieder die Körperpflege des Indianers zu überlassen. Er besorgte sämtliche dafür notwendigen Dinge, unter anderem auch das Öl, welches Entschah-koh mir für diese Zwecke schon einmal gegeben hatte. Der Doktor gab mir dann die Anweisung, mich bei dieser Aufgabe ruhig richtig auszutoben, vor allem das Einmassieren des Öls konnte sich nur positiv auf Winnetous Zustand auswirken. Jetzt, im Nachhinein gesehen, hätte mir sein Vorschlag damals eigentlich schon etwas seltsam vorkommen müssen, im Moment aber war ich einfach nur froh, irgendetwas tun zu können, was dem Apatschen vielleicht sogar helfen könnte. Kaum hatte er das Zimmer wieder verlassen, begann ich mein Werk. Durch die gestrigen Ereignisse befand sich wirklich einiges an Schweiß und Staub auf der Haut meines Freundes, so dass ich ihn mit warmen Wasser sorgfältigst überall wusch und anschließend vorsichtig abtrocknete. Winnetou allerdings rührte sich immer noch nicht. Ich fühlte dabei übrigens nicht die kleinste Regung der Lust in mir, das wäre auch wirklich absurd gewesen angesichts der Sorgen, die ich mir immer noch um ihn machte. Anschließend begann ich, das Öl langsam und ausdauernd in seine Haut einzureiben. Ich ließ mir dabei unendlich viel Zeit, massierte in aller Ruhe Muskel für Muskel, Körperteil für Körperteil und stellte fest, wie viel ruhiger ich dadurch tatsächlich wurde. Und anscheinend führte dieser intensive Körperkontakt wirklich zum Erfolg. Eben war ich an seiner linken Schulter angelangt, als Winnetou sich plötzlich bewegte. Er holte tief Atem, hob seine rechte Hand und griff sich damit an die Stirn. Seine Mimik deutete auf Besorgnis, vielleicht sogar plötzliches Erschrecken hin. Ich nahm sein Gesicht in beide Hände, küsste ihm die Stirn und rief leise seinen Namen. Er blinzelte, hatte offenbar Schwierigkeiten, die Augen zu öffnen und seine Brust hob und senkte sich aufgrund der Anstrengung und Anspannung schneller und heftiger. Ich streichelte sein Gesicht und redete leise und beruhigend auf ihn ein: „Ganz ruhig, mein Bruder, ganz ruhig! Ich bin ja da, es ist alles gut.“ Wieder küsste ich ihn und flüsterte ihm leise weiter zu: „Ich bin bei dir, hab keine Sorge!“ Langsam beruhigte sich seine Atmung etwas und nach einigen Sekunden gelang es ihm wirklich, die Augen zu öffnen. Sein Blick traf mich und in seinem Gesicht deutete sich ein erleichtertes Lächeln an, als er kaum hörbar sagte: „Scharlih! ….Dann ist es gut!“ Jetzt durchlief mich eine Welle der Erleichterung; ich war so unendlich froh, dass er wieder reagierte! Nun wollte ich aber zur Sicherheit noch herausfinden, an was er sich als Letztes erinnerte, aber vorsichtig, damit ich ihn keiner Anstrengung aussetzte. Wie schon so oft kam Winnetou mir aber zuvor. „Scharlih,“ flüsterte er. „ist Fox unversehrt?“ Natürlich! Das sah ihm wieder einmal ähnlich! Anstelle mich zu fragen, warum er selber wieder liegen musste, interessierte ihn nur das Schicksal des Gefährten! Ich klärte ihn über das Ende des gestrigen Abends auf, wobei ich ihm besonders deutlich zu machen versuchte, wie knapp er wieder dem Tode entronnen war. Er aber nickte nur und fragte: „Ist Fox denn wieder wohlauf?“ Also, es war manchmal wirklich zum Verzweifeln mit ihm! Ich berichtete ihm, dass Fox aus Todesangst um ihn regelrecht zusammengebrochen war und ich seither nichts Neues über seinen Zustand erfahren hatte, da meine gesamte Aufmerksamkeit einzig und allein meinem Blutsbruder gegolten hatte. Er konnte wohl an meinem Tonfall hören oder mir auch ansehen, wie sehr mich das Ganze doch mitgenommen hatte, denn jetzt nahm er meine Hand, drückte sie mit beiden Händen fest an sich und sagte leise, fast entschuldigend: „Ich bitte meinen Bruder, sich nicht immer so viele Sorgen um mich zu machen, es ...“ „Zu spät,“ unterbrach ich ihn lächelnd, „es ist schon längst geschehen!“ Er verzog das Gesicht zu einem Schmunzeln, und in mir wallte wie so oft ein solch intensives Gefühl der Liebe, ja, fast schon Verehrung für ihn auf, dass ich seinen Oberkörper in meine Arme nahm, ihn mit seinem Kopf an meiner Brust ganz fest an mich drückte und für lange Minuten so sitzen blieb. In dieser Stellung fand uns Dr. Hendrick, der jetzt eben wieder das Zimmer betrat. „Na, Gott sei dank,“ rief er sichtlich erleichtert, „dass Ihr wieder unter den Lebenden seid, mein Freund!“ Er trat ans Bett, während ich den Apatschen wieder in die Kissen bettete und fragte ihn: „Wie geht es Euch jetzt?“ „Es ist alles gut,“ antwortete Winnetou und hielt dem Arzt seine Hand hin, welche dieser sofort ergriff. „Winnetou kann gar nicht genug danken für die Mühen seines weißen Bruders!“ Der Arzt wehrte etwas verlegen ab und ging dann zum Angriff über. „Übrigens ….als ich davon sprach, dass Ihr Euch auf keinen Fall verausgaben dürftet – genau solche Art von Aktionen wie gestern war damit gemeint, Häuptling Winnetou!“ Dieser ließ ein entwaffnendes Lächeln sehen und versicherte: „Winnetou verspricht, in Zukunft vorsichtiger zu sein!“ „Natürlich,“ entgegnete der Doktor, „und ich werde dann mal versuchen, Euch das irgendwie zu glauben!“ Die Ironie in seinen Worten war nicht zu überhören, aber er milderte sie sofort wieder ab: „Wer aber sollte Euch dafür böse sein können? Ihr habt einfach bewundernswert reagiert, es hätte sonst aller Wahrscheinlichkeit nach einen Toten mehr gegeben!“ Bei diesen Worten erinnerte sich Winnetou an seine Frage und glaubte, endlich bei Hendrick eine Antwort zu bekommen: „Hat Bloody Fox alles gut überstanden?“ Der Doktor begann soeben, den Apatschen gründlich zu untersuchen, unterbrach aber noch mal und antwortete: „Er stand gestern richtiggehend unter Schock, allerdings eher aus Angst, fast schon Panik um Euer Leben, Häuptling. Ich hatte nicht viel Zeit, mich um ihn zu kümmern, da Euer Zustand bedeutend ernster war. Vorhin aber habe ich ihn kurz gesehen und konnte ihn etwas beruhigen, zumindest in der Hinsicht, dass Ihr nicht mehr in Lebensgefahr seid. Nachher werde ich ihn aber über die deutliche Besserung Eures Zustandes unterrichten.“ Winnetou nickte nur. Die Erschöpfung übermannte ihn langsam wieder und er schloss die Augen. Kurz darauf teilte Hendrick mir das Resultat seiner Untersuchung mit: „Die Gefahr ist endgültig vorüber, aber die Herzrhythmusstörungen haben sich im Gegensatz zum letzten Mal doch wieder etwas verstärkt.“ Er bemerkte meinen erschrockenen Blick und wiegelte schnell ab: „Das ist aber jetzt nach dem gestrigen Abend wirklich nicht verwunderlich und wird sich wohl auch bald wieder bessern. Häuptling Winnetou, Ihr bleibt für heute auf jeden Fall liegen, morgen sehen wir dann weiter!“ Er hatte diese Worte in größerer Strenge als sonst ausgesprochen, so dass Winnetou nun doch etwas erstaunt die Augen öffnete. Als er aber die liebevolle Besorgnis in der Miene des Arztes erkannte, fügte er sich. Es hätte nicht seiner Art entsprochen, den Mühen des Doktors damit zu danken, dass er sich mutwillig wieder in Gefahr brachte. Nachdem er Winnetou noch genötigt hatte, etwas Wasser zu trinken, verließ Dr. Hendrick jetzt wieder den Raum, um allen anderen und vor allem Bloody Fox die guten Nachrichten zu überbringen, und ich legte mich wieder zu meinem Freund. Es war noch sehr früh am Morgen, und da meine Nachtruhe nicht gerade sehr üppig gewesen war, wollte ich mir jetzt noch etwas Schlaf gönnen. Winnetou tat es mir gleich, er hatte sowieso noch viel Ruhe nötig. Ich erwachte um die Mittagszeit herum durch ein leises Klopfen an der Tür. Mein Freund schlief noch, und so rief ich den Besucher so leise wie möglich herein. Es war Bloody Fox, der ein großzügig beladenes Tablett voller guter Gerichte als Mittagsmahl in den Händen hielt. Sein erster Blick galt Winnetou, und sein Gesicht drückte dabei eine solch große Angst um ihn aus, dass er mir wirklich leid tat. Nachdem er das Tablett auf den Tisch abgestellt hatte, bat ich ihn, am Bett Platz zu nehmen und versuchte anschließend, ihm die Sorgen wenigstens etwas zu nehmen. So ganz gelang mir das allerdings nicht, aber jetzt kam mir Winnetou zu Hilfe, der nun auch erwacht war. Als er Fox sah, lächelte er ihm zu, ergriff seine Hand und wollte zu sprechen beginnen, doch Fox war schneller: „Ich weiß wirklich nicht, wie ich das jemals wieder an Euch gutmachen kann, Winnetou!“ Während dieser Worte schwankte seine Stimme bedenklich und seine Augen schwammen in Tränen. Winnetous Antwort dagegen konnte ich fast schon voraussagen. „Wieder gut machen? Winnetou bittet seinen tapferen weißen Bruder inständig, nicht mehr davon zu sprechen, dann ist alles wieder gut!“ Das fiel Fox allerdings sichtlich schwer, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, und so konnte er nur vor überquellender Dankbarkeit Winnetous Hand küssen, die dieser ihm daraufhin rasch entzog. Ich half dem Apatschen, sich richtig aufzusetzen, und dann machten wir uns über unser Mittagessen her, wobei ich freudig beobachten konnte, dass Winnetou mit großem Appetit aß. Anschließend dauerte es nicht mehr lange, bis sich nach und nach fast alle Westmänner in unserem Zimmer versammelt hatten. Alle wirkten grenzenlos erleichtert, meinen Freund wieder in einem relativ guten Gesundheitszustand zu erblicken. Jetzt aber galt es, das Naheliegende zu besprechen. Unsere Gefährten hatten am Morgen die drei Toten schon begraben, und im Moment waren insgesamt zehn Kundschafter unterwegs, die wahrscheinlich erst am nächsten Tag wiederkommen würden, da sie einen sehr großen Umkreis abreiten wollten, um endlich eine Spur der Banditen zu finden. Emery und Surehand mit seinem Old Wabble hatten sich am Morgen die Anhöhe neben dem Haus, an dem sich das gestrige Drama abgespielt hatte, gründlich vorgenommen und jeden Quadratzentimeter nach möglichen Hinweisen abgesucht. Sie waren auch tatsächlich fündig geworden. Den Spuren nach hatten sich nicht nur ein, sondern zwei Schurken auf dem Hügel versteckt gehalten, um das Haus und den Treck auszuspähen. Fox hätte sie eigentlich gar nicht entdecken können, wenn er nicht ganz hart an der Abbruchkante entlang gegangen wäre, womit die beiden wohl nicht gerechnet hatten, da dieser Weg nicht gerade ungefährlich war. Er war auf seinem Gang dem einen Verbrecher so nahe gekommen, dass er ihn Sekunden später unbedingt entdeckt hätte müssen, und so war diesem nichts anderes übrig geblieben, als Fox zuvorzukommen und ihn anzugreifen. Er hatte das mit dem Messer getan, weil er hoffte, Fox so für uns unhörbar auslöschen zu können. Als dann der Schuss des Apatschen fiel, hatte der andere schnell sein Heil in der Flucht gesucht. Seine Spuren wurden nun von sechs der zehn Kundschafter, nämlich von Tante Droll, dem dicken Jemmy, Pit Holbers, Old Firehand sowie zwei Apatschen verfolgt, denn dadurch versprach man sich den meisten Erfolg. Wir hofften, dass der Bandit auf direktem Weg zurück zu der Verbrecherbande geflohen war, und so konnten wir vielleicht endlich erfahren, wo diese sich befand, wie viele es waren und – und das war das Wichtigste – was sie eigentlich vorhatten. Bis dahin konnten wir nichts weiter tun, als abzuwarten und in der Zwischenzeit die Umgebung so gut wie möglich abzusichern. Erst wenn wir wussten, was die Banditen vorhatten, konnten wir entscheiden, ob wir es wagen durften, mit dem Treck durch den Llano zu ziehen oder ob wir uns auf Helmers Home verschanzen mussten, um einen Angriff der Geier abzuwehren. Da Winnetou auf Anweisung des Arztes den restlichen Tag über ruhen sollte, überließ ich es den Gefährten, alles Notwendige in die Wege zu leiten, denn ich blieb lieber bei meinem Freund. Es fiel diesem schon schwer genug, nicht auf Kundschaft gehen zu können; aber auch noch liegen bleiben zu müssen, während unsere Freunde unter anderem auch für seine Sicherheit sorgten, war für ihn fast eine Höchststrafe. Ich versuchte, ihn den Rest des Tages so gut wie möglich abzulenken, und dann gab es am späten Abend Ablenkung genug, denn fünf der sechs Kundschafter unter Firehands Führung kamen schon jetzt zurück. Unser Zimmer war viel zu klein, um fast vierzig Personen - Apatschen und Westmännern zugleich - Raum geben zu können, denn alle wollten jetzt auch sofort die Neuigkeiten hören. Also wurde beschlossen, in der großen Gaststube des Hauses eine ausführliche Beratung abzuhalten. Natürlich wollte niemand Winnetou davon ausschließen und so ließ der Doktor sich letzten Endes doch erweichen, ihm einen Ausflug nach unten zu erlauben, aber nur unter der Bedingung, sofort seinen Anweisungen Folge zu leisten, wenn er feststellen sollte, dass es dem Apatschen schlechter ginge. Winnetou bestand wie üblich darauf, selbstständig zu laufen, was dem Arzt eine urkomisch verzweifelte Grimasse entlockte, und als alle sich endlich in der Stube versammelt und jeder irgendwo einen Platz gefunden hatte, erwarteten wir unendlich gespannt den Bericht unserer Kundschafter. Kapitel 24: Widerstand zwecklos ------------------------------- Unsere sechs Späher waren allerdings nicht komplett zurückgekehrt, ein Apatsche fehlte. Sie hatten die Spur des Banditen relativ leicht verfolgen können; dieser hatte zwar versucht, seine Fährte etwas zu verwischen oder erst gar keine zu hinterlassen, aber darin kein großes Geschick bewiesen. Äußerst überrascht hörten wir nun, dass die Schurken ohne Pferde unterwegs gewesen waren. Wahrscheinlich hatten die Banditen die Gefahr für zu groß gehalten, dass die Pferde von uns entdeckt werden könnten, was dann aber nur heißen konnte, dass sie keinen weiten Weg gehabt hatten. Und – so war es auch. Etwa zwei Stunden Fußmarsch von hier lag in nördlicher Richtung eine spärlich bewaldete Schlucht, die wir auch kannten, weil wir auf unserem Weg nach Helmers Home, von Norden her kommend, immer dort durchritten. Was wir allerdings nicht wussten, war, dass es dort eine zweite, sehr viel kleinere Schlucht gab, die im rechten Winkel auf die erste stieß, aber von außen nicht zu erkennen war, da gerade dort hohe Bäume und dichtes Gestrüpp, bestehend aus Schlingpflanzen, wuchsen, welche den Eingang völlig verdeckten. In dieser Schlucht hielt sich nun die Verbrecherbande versteckt, bestehend aus nicht weniger als fünfundsechzig Banditen. Zumindest hatten unsere Leute so viele zählen können, ob da noch mehr unterwegs waren, konnten sie natürlich nicht sagen. Gezählt hatten sie übrigens nicht vom Eingang aus, was gar nicht möglich gewesen wäre, sondern sie waren den Weg wieder ein Stück zurück geritten und hatten sich von dem Hochplateau aus an den Rand der Schlucht geschlichen, wo sie den besten Überblick hatten. Allerdings mussten unsere Späher unendlich aufpassen, da auch hier die Wachen der Bande auf Kontrollgängen unterwegs waren. Old Firehand und einer der Apatschen namens Tsain-tonkee, der für seine Späherkünste sehr bekannt und vor allem berühmt war, hatten sich dann vorsichtig gewagt, ganz nahe an die Banditen heran zu schleichen, denn sie wollten ja wissen, was diese Schurken planten. Natürlich waren sie nicht durch den Eingang der Schlucht gegangen, dort mussten sie ja trotz aller Vorsicht den Posten auffallen – nein, sie hatten sich in einer entlegenen Ecke der Schlucht von oben an den felsigen, von kleinen Sträuchern bedeckten Wänden herunter gehangelt, was natürlich äußerst zeitaufwändig gewesen war, um ja nicht entdeckt zu werden. Dann hatte es noch sehr lange gedauert, bis sie die Anführer der Banditen ausfindig gemacht hatten, denn dort lohnte sich das Lauschen wahrscheinlich am meisten. Firehand hatte einen guten Zeitpunkt erwischt. Der von Helmers Home zurückgekehrte Geier hatte seine Erzählung wohl noch nicht lange beendet, und nun überlegten die Bosse hin und her, wie sie als nächstes vorgehen sollten. Sie konnten sich ausrechnen, dass ihr Spion trotz seiner Vorsichtsmaßnahmen verfolgt werden könnte und beschlossen deshalb, die Schlucht so schnell wie möglich zu verlassen. Da der Abend nahte, war das natürlich jetzt nicht mehr machbar, aber im ersten Morgengrauen wollten sie sich ein neues Versteck suchen. Dabei wurden die ungefähr einen halben Tagesritt von der Schlucht entfernten felsigen Anhöhen nahe dem Red River erwähnt, wo es viele Höhlen gab, in denen sich die Bande hervorragend verbergen konnte. Das Allerwichtigste aber, was unsere Späher erfuhren, war der geplante Überfall, der tatsächlich Helmers Home und dem Siedlertreck gelten sollte! Die Geier hatten vor einigen Tagen wohl schon einmal, von uns unbemerkt, auf der Anhöhe spioniert und festgestellt, dass die Auswanderer viele Wertgegenstände mitführten, die die Schurken gut gebrauchen konnten. Außerdem hatten sie die hervorragende Bewaffnung der Westmänner und auch der Apatschen gesehen, sowie die große Anzahl teils sehr guter Pferde, vor allem natürlich Winnetous und meinen Rappen. Alles in allem sahen sie eine lohnenswerte Beute vor sich, für die man schon mal ein Risiko eingehen konnte. Worüber die Verbrecher allerdings nicht richtig Bescheid wussten, war die Anwesenheit der Westmänner sowie die des Apatschen und mir. Da Winnetou und ich uns in der letzten Zeit fast immer im Haus befunden hatten, waren wir von ihnen noch nicht entdeckt worden, und von unseren Gefährten hatten sie nur Old Firehand, den Hobble-Frank, die Tante Droll sowie den Dicken Jemmy und den langen Davy erkannt. Nun glaubten sie, mit ihrer Übermacht gegen diese sowie den paar „lumpigen Rothäuten“ und den „Hasenfüßen“ von Siedlern ein leichtes Spiel zu haben, zumal sie sich eine erfolgversprechende List erdacht hatten. Worin diese bestand, konnte Old Firehand allerdings nicht mehr auskundschaften, denn der Anführer der Geier hatte in diesem Moment noch ein paar seiner Leute zu weiteren Kontrollgängen geschickt, da er die Befürchtung hegte, vielleicht jetzt schon belauscht werden zu können. Sofort hatten sich Firehand und sein Apatsche vorsichtig zurückgezogen, und es war ihnen tatsächlich gelungen, von den Geiern unbemerkt die Schlucht zu verlassen. „Es wäre natürlich am besten,“ beendete Old Firehand seinen Bericht, „wenn wir herausfänden, wann und wie genau diese Halunken uns überfallen wollen. Aber dazu müssen wir auf Tsain-tonkee warten, unseren „Spähfuchs“, der den Kerlen solange auf den Fersen bleiben wird, bis er weiß, wo sie sich verbergen werden!“ Ein paar Minuten herrschte nachdenkliches Schweigen im Raum, dann begannen einige der Männer, sich Bemerkungen zuzuwerfen, andere fielen ein und schließlich schien die Luft nur noch aus Stimmengewirr zu bestehen, während Winnetou und ich schweigend beieinander saßen und die Lage überdachten. So konnten wir natürlich keine Pläne schmieden; Firehand wurde es dann auch irgendwann zu bunt und er donnerte plötzlich los: „Ruhe jetzt, Himmel noch mal!! Ich schlage vor, wir hören erst einmal die Meinung von Charley und Winnetou!“ Zustimmendes Gemurmel erfüllte das Zimmer, und alle Augen wandten sich uns zu. Winnetou signalisierte mir durch seinen Blick, das Wort zu ergreifen, er war ja mehr ein Mann der Tat, der nur sprach, wenn es sein musste. Ich zögerte noch einen Moment, weil ich mir über unser weiteres Vorgehen nicht so ganz sicher war. Wäre Winnetou vollständig gesund gewesen, hätte es gar keiner Überlegung bedurft, aber so … Also begann ich langsam und vor allem an meinen Freund gerichtet: „Diese felsigen Anhöhen, in denen die Banditen sich zurückziehen wollen – die liegen doch weiter entfernt von Helmers Home als die Schlucht, in der sie sich jetzt befinden?“ „Mein Bruder liegt mit seiner Vermutung richtig,“ antwortete er, „man reitet ungefähr einen dreiviertel Tag bis dorthin.“ „Hm,“ überlegte ich weiter, „ich denke, dass es zu lange dauert, zu warten, bis Tsain-Tonkee zurückgekehrt ist. Wir würden dann ungefähr eineinhalb Tage verlieren, bis wir die Höhen erreichten, um die endgültigen Pläne der Schurken zu erfahren, oder mindestens einen dreiviertel Tag, bevor er zurück ist und wir uns gegen einen wie auch immer gearteten Angriff wappnen können.“ Ich wandte mich an Old Firehand: „Der Apatsche hat doch nur den Auftrag, den Aufenthaltsort der Geier auszukundschaften? Oder sollte er dableiben und versuchen, sie weiter zu belauschen?“ „Ersteres ist der Fall,“ antwortete Firehand, „wobei ich da, glaube ich, einen Fehler begangen habe. Er hätte besser bleiben sollen, nicht wahr?“ „Nicht unbedingt,“ sagte ich unbestimmt, „für ihn alleine wäre das Risiko wahrscheinlich viel zu hoch. Wenn sie ihn entdecken, würden wir nie erfahren, was passiert wäre und was die Bande jetzt vorhat.“ Ich holte tief Luft und teilte dann den anderen meine Entscheidung mit: „Ich werde gleich morgen früh aufbrechen und herausfinden, was die Schurken planen. Ich überlege mir später, wen ich von euch mitnehmen werde!“ Am allerliebsten hätte ich natürlich meinen Blutsbruder dabei gehabt, weil wir einander einfach blind vertrauten und immer genau wussten, wie der andere handeln würde, ohne dass auch nur ein Wort nötig war. Aber das war natürlich und gerade nach dem gestrigen Vorfall überhaupt nicht möglich. Dachte ich. Winnetou war nämlich komplett anderer Meinung. Er sah mich ernst an und fragte: „Kennt mein Bruder die Felsenhügel und die Lage der einzelnen Höhlen dort?“ „Nein,“ entgegnete ich und spätestens jetzt ahnte ich Unheil. „Winnetou kennt sie aber genau. Er kann auch alle Höhlen aufzählen, die groß genug sind oder nahe genug beieinander liegen, um eine solch hohe Anzahl von Menschen und ihre Pferde aufzunehmen. Diese Höhlen liegen teilweise sehr versteckt. Wie will mein Bruder sie finden?“ Ich hatte es kommen sehen! Trotzdem versuchte ich, mich noch irgendwie aus der Falle herauszuwinden: „Deine Krieger werden diese Gegend doch auch gut kennen, nehme ich an?“ „Lange nicht so gut wie Winnetou!“ hielt er mir entgegen. „Deshalb werde ich auch meinen Bruder begleiten!“ „Nein!“ riefen der Doktor und ich im Chor. „Nein, Winnetou, auf keinen Fall! Du bringst dich nur unnütz in Gefahr!“ Ich war fast schon laut geworden, aber ich konnte und wollte auf keinen Fall zulassen, dass er dieses Risiko für seine Gesundheit einging. „Unnütz? Wie sollen wir die Siedler und die Farm vor einem Angriff schützen, wenn wir nicht wissen, wann er stattfindet und auf welche Weise? Und wie will mein Bruder das herausfinden, wenn er die Geier nicht rechtzeitig belauschen kann? Winnetou kennt diese Gegend hier so gut, dass er gar nicht bis zum Morgengrauen warten muss, wir können schon gleich aufbrechen und werden es auch tun. Howgh!“ Jetzt begannen auch die anderen Anwesenden laut zu protestieren. Niemand, aber auch wirklich niemand wollte es zulassen, dass Winnetou sich nochmals einer Gefahr aussetzte, zu tief saß bei allen noch der Schrecken des vergangenen Abends. Vor allem der Doktor bekniete den Apatschen, indem er ihm klar zu machen versuchte, dass er gerade eben erst wieder richtig auf den Beinen war und unmöglich schon den Strapazen eines solchen Vorhabens gewachsen sein konnte. Mein Freund aber ließ das alles nicht gelten. Er beruhigte die Gefährten in kurzen, knappen Worten, drehte sich um und ging hinaus, um die Vorbereitungen für den Ritt zu treffen, ohne sich noch einmal umzusehen. Ich stand noch wie erstarrt im Zimmer und konnte es kaum glauben, fühlte mich völlig überrumpelt. Aber ich kannte meinen Winnetou ja genau. Wenn dieser einmal eine Entscheidung getroffen hatte, konnte nichts und niemand ihn wieder umstimmen, sein „Howgh“ hatte es gerade deutlich genug signalisiert. Mir blieb also nichts anderes übrig, als den Freunden fest zu versprechen, gut auf ihn aufzupassen, dann verließ ich ebenfalls des Raum. Im Flur wurde ich von Entschah-koh eingeholt. „Soll der Unterhäuptling der Mescaleros nochmal versuchen, den Häuptling der Apatschen umzustimmen?“ fragte er mich. Ich konnte ihm, obwohl er es mit aller Macht zu verbergen versuchte, die Angst und die Sorge um Winnetou mehr als gut ansehen. „Kennt Entschah-koh die Höhlen so gut wie der Häuptling?“ war meine Gegenfrage. „Nein, und auch niemand unserer Krieger ist dort so gut bekannt,“ antwortete er ehrlich. „Dann wird auch das nichts nützen, fürchte ich,“ entgegnete ich. „So werde ich euch mit einigen Kriegern begleiten!“ Das war schon fast eine Feststellung von ihm, wobei ich mir aber sicher war, dass auch das keinen Erfolg haben würde. Und genauso kam es auch. Winnetou, der in unserem Zimmer schon den Inhalt seiner Satteltaschen überprüfte und seine Revolver und das Gewehr nachlud, wechselte nur ein paar Worte mit seinem Unterhäuptling, und schon verließ dieser in nicht gerade heiterer Stimmung den Raum, wobei er mir einen fast verzweifelten Blick zuwarf. Nun versuchte ich nochmal mein Glück und begann, alle Argumente, die gegen diesen Ritt von Winnetou sprachen, in die Waagschale zu werfen, aber genauso gut hätte ich einen Elefanten überreden können, auf einem Drahtseil zu tanzen und dabei Eier zu legen. Zu guter Letzt versuchte ich ihn mit dem Hinweis zu überzeugen, dass wir alle schon unendlich viel Angst um ihn ausgestanden hatten und dass mir meine Sorgen um seine Gesundheit auf diesen Kundschaftergang auch nicht viel helfen würden. Mein Freund stand jetzt auf und sah mich ernst an. „Winnetou hat seinem Bruder erst vor kurzer Zeit versichert, dass dieser sich keine Sorgen mehr machen muss. Und bedenke bittel,“ bei diesen Worten fasste er mich mit beiden Händen an die Schultern und senkte seinen Blick so tief in meine Augen, dass mir ein leichter Schauer über den Rücken rieselte. „Bedenke einmal, was du an meiner Stelle tun würdest. Du würdest deinen Blutsbruder niemals alleine in die Gefahr reiten lassen, und ich werde es auch nicht tun, Scharlih!“ Damit hatte er mir allen Wind aus den Segeln genommen. Ich sah ihn an, und dann überkam es mich mit aller Macht, ich umarmte ihn, so fest ich konnte, und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich liebe dich so sehr!“ Anschließend küsste ich ihn auf seine halbvollen, wunderschönen Lippen. Er schlang seine Arme um meinen Nacken und erwiderte den Kuss. In diesem Augenblick hörten wir ein Geräusch an der noch halboffenen Tür und sahen zu unserem großen Entsetzen, dass Dr. Hendrick das Zimmer betreten hatte. Kapitel 25: Die Falle der Geier ------------------------------- Wir fuhren völlig geschockt auseinander und starrten den Arzt fassungslos an. Eine spannungsgeladene Stille breitete sich im Zimmer aus, die fast greifbar war. Der Apatsche stand stocksteif da, schloss einmal kurz die Augen, ein Ausdruck seiner schieren Verzweiflung, während ich mehr und mehr den Eindruck hatte, mich in ein Chamäleon zu verwandeln, so oft wechselte meine Gesichtsfarbe von kalkweiß zu blutrot - Ich hatte das Gefühl, in einen Alptraum geraten zu sein! Ich sah Hendrick an, erwartete, dass er Hals über Kopf aus dem Zimmer rennen würde, dass sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck von Abscheu oder vielleicht sogar Ekel abzeichnen würde, dass er in rasende Wut geriet und diese auch laut herausschreien würde – aber nichts davon geschah. Im Gegenteil, seine Mimik wirkte offen und freundlich und jetzt fast sogar ein wenig amüsiert, als er das Wort ergriff. „Meine lieben Freunde, jetzt erholt Euch erst einmal von Eurem Schrecken, es ist ja alles in Ordnung!“ Bei diesen Worten ging er zur Tür und machte sie zu, schloss sie sogar ab. „Es muss ja niemand mitbekommen, was wir jetzt hier besprechen,“ begründete er sein Tun. Ich konnte immer noch nicht anders als ihn entsetzt anzustarren, war zu keinem Wort fähig. „So,“ begann der Doktor wieder, „als erstes muss ich Euch sagen, Mr. Shatterhand, dass ich von Euch zweien schon länger wusste...“ „Wie bitte?“ unterbrach ich ihn mit einem heiseren Krächzen, zu mehr waren meine Stimmbänder wohl noch nicht in der Lage. „Ja,“ fuhr er lächelnd fort, „ich gehe sogar so weit und behaupte, dass ich wahrscheinlich eher als Ihr selbst von Euren wahren Gefühlen für Winnetou wusste. Und ich bin unendlich froh, dass Ihr diese nicht nur erkannt, sondern sie auch angenommen habt!“ Das war jetzt wirklich etwas zu viel für mich, ich musste mich erst einmal auf mein Bett setzen. Was redete er denn da? Das konnte doch gar nicht sein! Winnetou stand immer noch, fast schon einer Statue gleich, am selben Platz, wie festgefroren, sein Gesicht war ausdruckslos. „Ja, es ist – also für mich war das wirklich nicht zu übersehen, was aber auch kein Wunder ist, da....“ hier brach Hendrick ab, als ob er überlegen würde, wie viel er von dem, was er eigentlich sagen wollte, preisgeben konnte. „Also, zweitens möchte ich Euch versichern, und nicht nur das, sondern sogar schwören, dass von mir niemand irgendetwas von dem, was ich weiß und was ich gesehen habe, erfahren wird. Ich kann nämlich besser als jeder andere nachvollziehen, wie grotesk und absurd die Öffentlichkeit in den meisten Fällen auf so etwas reagiert, da ich es am eigenen Leib erlebt habe!“ Ich zuckte vor Überraschung ein Stück zurück und schaute ihn weiter sprachlos an. Hatte ich da richtig gehört? Mein Blick fiel auf Winnetou, der seine Gesichtszüge jetzt tatsächlich nicht mehr so ganz unter Kontrolle hatte und den Arzt mit völlig verwunderten Blicken maß. Dieser setzte sich auf einen Stuhl, seine Miene wurde jetzt ernst, er holte tief Luft und dann begann er: „Es ist so – Ihr wisst, dass ich bei den indianischen Völkern meine Studien über die Naturheilkunde vertiefen möchte, richtig?“ Ich nickte nur, wartete gespannt, was jetzt wohl kommen würde. „Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb ich mich auf den Weg in den Westen der Vereinigten Staaten gemacht habe,“ erklärte der Doktor weiter. „Der Hauptgrund besteht darin, dass ich in Deutschland fast zwanzig Jahre lang in einer heimlichen Beziehung mit einem wunderbaren Mann lebte, den ich unendlich liebte und der für mich die ganze Welt bedeutete.“ Jetzt wurde seine Mimik tieftraurig und seine Stimme klang belegt, als er weiter sprach: „Durch einen furchtbar dummen Zufall fanden meine Nachbarn es heraus, und danach begann eine Hexenjagd auf uns, die uns quer durch das Land trieb und mich glauben ließ, wieder in den Untiefen des Mittelalters gelandet zu sein!“ Abermals unterbrach er sich, konnte dann nur noch stockend weiter berichten: „Mein Freund, der seelisch nicht so robust war wie ich, gelang es irgendwann nicht mehr, den Anfeindungen weiter zu trotzen. Er hat sich schlussendlich das Leben genommen. Ich... ich konnte es einfach nicht verhindern!“ Nach dieser schrecklichen Erzählung liefen dem Arzt die Tränen über die Wangen. Ich war zutiefst erschüttert, zumal ich teilweise sogar nachvollziehen konnte, wie er sich fühlen musste! Er beendet seine Geschichte, immer noch unter Tränen, mit den Worten: „Ich konnte es danach nicht mehr in Deutschland aushalten und bin, kaum hatte ich meine Praxis verkauft, sofort mit dem nächsten Schiff Richtung Übersee abgereist. Ich hoffte, hier meinen Frieden und vor allem Freiheit wiederzufinden!“ Winnetou rührte sich jetzt erstmals wieder, seit Hendrick das Zimmer betreten hatte, trat nun auf ihn zu, legte ihm eine Hand auf die Schulter und sprach: „Winnetou fühlt den Schmerz seines weißen Bruders und seine Gedanken sind bei ihm. Er hofft sehr, dass sein Freund seine Seele irgendwann wieder von den Schatten der Vergangenheit befreien kann.“ Auch ich trat jetzt zu dem Mann, der mir in den letzten Tagen und Wochen ein äußerst lieber Freund und vor allem eine große seelische Stütze in dem Kampf um das Leben und die Gesundheit meines Blutsbruders geworden war, und sagte leise zu ihm: „Dr. Hendrick, es tut mir unendlich leid - Menschen können so grausam sein! Wenn es irgendetwas gibt, was wir für Euch tun können....“ Mehr fiel mir einfach nicht ein, was ich ihm hätte noch sagen können. Der Arzt benötigte noch einige Augenblicke, bis er sich wieder in seiner Gewalt hatte, dann sah er uns nacheinander an und sagte: „Ich danke Euch! Und ja, es gibt tatsächlich etwas, was ihr tun könnt! Lasst Euch bloß von niemanden einreden, dass das, was Ihr füreinander empfindet, falsch ist! Wenn man sich gegenseitig so innig lieben kann, wie Ihr das tut, dann ist das ein Gottesgeschenk, und das lasst Euch bloß nicht mehr nehmen!“ Er hatte sich bei diesen Worten richtiggehend ereifert; man konnte ihm deutlich ansehen, wie sehr unser Schicksal ihm am Herzen lag. Seine Worte hatten uns tief beeindruckt. Mein Freund und ich sahen uns an und in den samtig schwarzen Augen des Apatschen stand soviel Mitgefühl für den Doktor, soviel Schmerz und Unverständnis über das Verhalten der Menschen zu lesen, gleichzeitig aber waren sie erfüllt mit einer solch tiefen, unauslöschlichen Liebe zu mir, dass es mir mehr als leicht fiel, Hendrick einen leichten Klaps auf die Schulter zu geben und ihm zu versichern: „Das werden wir uns auch nie wieder nehmen lassen, soviel könnt Ihr uns glauben! Habt vielen Dank für Euer Vertrauen und auch für das Versprechen, dass Ihr uns vorhin gabt!“ „Nichts lieber als das,“ antwortete er. „Aber Ihr müsst mir auch etwas versprechen: Passt bitte gut auf Euch beide auf, und damit meine ich nicht nur in der nächsten Zeit, ja?“ „Versprochen!“ nickte ich und dann gaben wir uns beide die Hand. „So, und da wir gerade von 'Versprechen' reden,“ begann Dr. Hendrick erneut und drehte sich jetzt mit unheilvoller Miene zu Winnetou um. „Ihr habt mir heute Mittag erst noch versprochen, in Zukunft vorsichtig zu sein, richtig? Wie soll das denn möglich sein, wenn Ihr Euch über alle meine Anordnungen und Ratschläge hinwegsetzt und Euch auf einen solch gefährlichen Weg macht, trotz Eures labilen Zustandes?“ Er sah meinen Freund dabei mit gespieltem Ernst an, aber die Sorge in seinen Augen war echt. „Winnetou hat seine Versprechen noch nie gebrochen und wird es auch diesmal nicht tun!“ antwortete der Apatsche schlicht, worauf der Doktor in einer dramatisch zur Schau gestellten Verzweiflung die Augen verdrehte, so dass ich ein Lachen nicht mehr unterdrücken konnte Er bestand aber auf eine letzte Untersuchung, die Winnetou ihm auch gewährte, und als die offenbar auch keinen ernsten Grund lieferte, ihn zum Hierbleiben zu zwingen, gab er mir anschließend einige Medikamente mit, unter anderem für den Fall, dass der Kreislauf des Apatschen versagen sollte oder Ähnliches, und mehr konnte er dann auch nicht mehr tun. Zum Abschied umarmte er mich und Winnetou, was dieser lächelnd geschehen ließ, denn man konnte dem Arzt ansehen, dass ihm die Trennung sichtlich schwer fiel. Er ging nun hinaus zu unseren Freunden, die vor dem Haus warteten, um uns zu verabschieden. Ich sah jetzt auch nach meinen Waffen und der Munition, dann waren wir bereit, diesen nicht gerade ungefährlichen Ritt anzutreten. Emery hatte uns schon die Pferde gesattelt und stand, die Zügel der Rappen in den Händen, mit einem sehr besorgtem Gesichtsausdruck, der vor allem meinem Freund galt, neben den Gefährten, die auch nicht gerade besonders glücklich dreinschauten. Wir machten es kurz, nickten allen noch einmal zu und trabten los. Unser Weg führte vor allem über kurzgrasige Prärie, weshalb wir auch ein hohes Tempo anschlagen konnten. Wir wechselten kaum ein Wort, so wie immer, wenn wir alleine waren und kein wichtiger Grund vorlag, zu sprechen. Winnetou führte uns so sicher, als wenn es hellichter Tag gewesen wäre. Dadurch konnten wir die Tiere voll ausgreifen lassen, so dass wir uns schon viel eher als gedacht, nämlich am frühen Vormittag, unserem Ziel näherten. Fast hatte ich gehofft, dass wir so früh ankamen, denn die Geier konnten zu diesem Zeitpunkt unmöglich schon da sein, da sie ja selber erst beim ersten Tageslicht aufbrechen wollten. Somit würden wir, wenn wir ihre Ankunft beobachten konnten, ihnen gezielt folgen und brauchten nicht erst mühsam nach ihrem Versteck zu suchen. Wir berechneten also ihren ungefähren Ort, an dem sie eintreffen mussten, sowie die Zeit, die sie in etwa noch brauchen würden, und suchten uns dann in der Nähe einen Platz, an dem wir uns solange verbergen, aber trotzdem die Ankunft der Banditen aus sicherer Entfernung beobachten konnten. Bis dahin hatten wir fast zwei Stunden Zeit, in der ich hoffte, meinen Freund dazu bringen zu können, sich noch etwas Schlaf zu gönnen, da ihm ja die Nachtruhe fehlte. Natürlich hatte dieser Vorschlag keinen Erfolg, im Gegenteil, er wirkte so energiegeladen und voller Tatendrang wie schon lange nicht mehr. Offensichtlich beflügelte ihn die Tatsache, dass er endlich wieder eine sinnvolle Aufgabe hatte, deren Gelingen zwar nicht nur, aber in hohem Maße von ihm abhing. Die Zeit der Untätigkeit war für ihn zum Schluss nur schwer zu ertragen gewesen. So vertrieben wir uns die Zeit mit einem Gespräch über Dr. Hendrick, der uns am Abend einen solchen Schrecken eingejagt hatte. Winnetou konnte es immer noch nicht fassen, wie ignorant und fast schon menschenfeindlich der Weiße Mann doch sein konnte. Ich versuchte, seine Ansichten über meine Landsleute ein wenig abzumildern, musste ihm aber doch innerlich recht geben. So wie ich es von meinem Freund gehört hatte, war die rote Rasse in Sachen gleichgeschlechtlicher Liebe viel toleranter als die Europäer; sie achteten sowieso hauptsächlich auf die inneren Werte eines Menschen als auf Äußerlichkeiten. Während des Gespräches bemerkte ich, dass Winnetou mir des öfteren einen forschenden Seitenblick zuwarf, den ich nicht richtig einordnen konnte. Irgendwie aber spürte ich, dass sein Herz nicht frei von Sorge war. Also nahm ich seine Hand und fragte ihn ganz direkt: „Welche Schatten lagern auf der Seele meines Bruders?“ Er sah mich an, ein schwaches Lächeln zeichnete sich in seinem Gesicht ab und er antwortete: „Ja, es ist wirklich so: Old Shatterhand und Winnetou können ihre Gedanken und Gefühle niemals voreinander geheim halten!“ „Nein, das können sie nicht,“ entgegnete ich und sah ihn abwartend an. Winnetou seufzte leise und fragte dann: „Hat mein Bruder nach dem Bericht des Doktors nicht Sorge, dass ihm oder uns auch so ein Schicksal drohen könnte?“ „Nein!“ Diese Antwort gab ich sofort und mit deutlichem Nachdruck. „Du und ich, wir gehörten und gehören für immer zusammen, da kann kommen, was will, und unsere Liebe zueinander wird niemand zerstören können!“ Jetzt nahm ich seine beiden Hände in die meinigen und drückte sie an mich. „Du weißt, ich kehre nicht mehr in meine Heimat zurück, außer vielleicht zu kurzen Besuchen, somit kann mir dort also nichts drohen. Und wie du mir ja schon erzählt hast, sehen deine roten Brüder in solch einer Liebe keine böse Tat, dort haben wir also auch nicht viel zu befürchten. Und außerdem....,“ hier unterbrach ich mich, mein Gesicht war dem seinigen jetzt ganz nahe und ich sah ihm tief in seine unglaublich schönen Augen: „...es braucht ja auch niemand davon erfahren, wenn wir nur etwas vorsichtig sind!“ Seine Mundwinkel zuckten leicht, als er entgegnete: „Vorsichtiger als gestern Abend, das meint mein Bruder wohl, nicht wahr?“ „So ist es,“ war meine leise Antwort. „Aber hier sieht uns jetzt ja niemand.....“ und damit drückte ich ihm einen leichten Kuss auf seine schön geschwungenen Lippen, den er auch vorsichtig erwiderte. Am liebsten wäre ich jetzt mit ihm wieder in unseren eigenen Kosmos voller Liebe, Zärtlichkeit und Leidenschaft eingetaucht, aber das war ja leider nicht möglich. So lösten wir uns etwas widerstrebend voneinander; Winnetou aber strich mir mit seiner Hand noch einmal sanft über meine Wange und sagte: „Ich würde alles Elend dieser Erde ertragen, solange du nur bei mir bist!“ Gerührt sah ich ihn an und hatte plötzlich einen solch dicken Kloß im Hals, dass ich nicht mehr antworten, sondern nur noch seine Hand drücken konnte. So saßen wir noch eine Weile schweigend, jeder die Hand des Anderen haltend, in unserem Versteck und beobachteten den Horizont. Es dauerte dann auch nicht mehr lange und wir konnten ganz in der Ferne einen dunklen Punkt erkennen, der rasch größer wurde und sich nach kurzer Zeit tatsächlich als die Geierbande herausstellte! Firehand hatte uns die Anführer genauestens beschrieben, und da wir fast siebzig Personen zählten, war ein Irrtum wohl nicht anzunehmen. Wir beschlossen, sie erst einmal ziehen zu lassen, denn in Sichtweite konnten wir sowieso nicht hinterher, wir mussten also ihrer Fährte folgen. Sie verschwanden in dem steinigen und hügeligen Gelände, und nun war ich wirklich froh, Winnetou an meiner Seite zu haben, da es fast unmöglich war, auf den nackten Felsen Spuren zu entdecken. Alleine hätte ich deutlich mehr Zeit gebraucht, wenn ich die Fährte nicht sogar völlig verloren hätte. Unsere Suche nahm trotzdem mehr Zeit in Anspruch, als wir geglaubt hatten, denn wir mussten ja auch davon ausgehen, dass die Bande schon ein Versteck gefunden und sofort Posten aufgestellt haben könnte, so dass die Gefahr, von ihnen eher entdeckt zu werden als dass wir sie entdeckten, durchaus sehr groß war. Wir gingen also äußerst vorsichtig zu Werke. Nachdem gute zwei Stunden vergangen waren, zuckte Winnetou plötzlich zurück und trieb seinen Iltschi schnell hinter einen Felsen, worauf ich es ihm sofort gleich tat. Die Spur teilte sich hier offenbar. Die eine, in der man jetzt deutlich Pferdehufe erkannte, führte ein Stück hinunter in ein winziges, mit saftig grünem Gras bedecktem Tal, in das die Banditen wohl sämtliche Pferde gebracht hatten, da diese hier nicht nur Futter, sondern auch Wasser fanden, welches als ein kleines Bächlein durch die ganze Länge des Tales floss. Bewacht wurden die Tiere von zwei Posten, die aber glücklicherweise nicht in unsere Richtung gesehen hatten, als Winnetou sie entdeckte. Die zweite Spur führte weiter in die Höhe, hier in der Nähe hatte die Banditen wohl ein Versteck gefunden, vielleicht sogar auch schon vorher gekannt, da sie ihre Tiere direkt hier gelassen hatten. Dieser zweite Weg war auch ganz schwer mit Pferden zu begehen, und weiter oben würde es wohl noch schwieriger werden, also beschlossen wir, unsere Hengste ebenfalls hier in der Nähe zu lassen. Es gelang uns auch, unbeobachtet von den Posten ein geeignetes Versteck für unsere Pferde zu finden, wo sie auch etwas Wasser fanden, dann setzten wir mit äußerster Vorsicht unseren Weg fort; ab jetzt konnte uns ja hinter jeder Biegung der Feind erwarten. Eine Viertelstunde später kamen wir zu einem Punkt, an dem unser Weg von einem ungefähr drei bis vier Meter tiefer liegendem Bach unterbrochen wurde, der jetzt aber völlig ausgetrocknet war und man deshalb nur auf ein von teils sehr großem Geröll bedecktes Bachbett blicken konnte. Um diese Stelle zu überwinden, hatte irgendwer vor offensichtlich längerer Zeit mehrere Baumstämme nebeneinander gelegt, über die man auch nur zu Fuß herüber kommen konnte. Wir sicherten uns nochmal nach allen Seiten ab, und da wir hinter diesem Hindernis die weitere Strecke gut übersehen und kein feindliches Wesen entdecken konnten, machte ich den Anfang und überquerte diese provisorische Brücke, Winnetou kam direkt hinter mir. Es waren sieben Baumstämme, und ich hielt mich natürlich so weit wie möglich in der Mitte. Dass die Geier darauf gefasst waren und aus diesem Umstand eine Falle gebaut hatten, mussten wir zu unserem Leidwesen einige Sekunden später erfahren. Der Boden brach plötzlich unter mir weg, ich war im freien Fall und stürzte die mehreren Meter hinunter in das Bachbett, wobei ich schmerzhafte Bekanntschaft mit dem dort liegenden Geröll machte. Als mein Kopf dann gegen einen dieser Steine prallte, wurde mir schwarz vor Augen. Ich konnte nur noch wie durch einen Schleier Winnetou erkennen, der ebenfalls gestürzt, aber direkt wieder auf den Beinen war und sich jetzt mit dem Messer in der Hand auf zwei Banditen stürzte, die urplötzlich wie aus dem Nichts am Rand des Baches aufgetaucht waren und den Apatschen mit ihren Revolvern bedrohten. Ich versuchte, mich aufzurichten, um ihm zu Hilfe zu kommen, aber diese kleine Bewegung ließ in meinem Kopf einen scharfen Schmerz entstehen, der mein Gehirn förmlich explodieren ließ und dann gingen bei mir endgültig die Lichter aus. Kapitel 26: Unerwartete Unterstützung ------------------------------------- Jeder, der schon einmal das „Vergnügen“ besaß, die Härte seines Schädels an einem Stein zu messen, wird nachvollziehen können, wie es mir erging, nachdem ich so ganz allmählich die Besinnung wieder erlangte. In meinem Kopf schienen sich Tausende kleiner Wesen zu befinden, die nichts Besseres zu tun hatten, als denselbigen in einer bewundernswerten Ausdauer mit ihren Hämmerchen zu bearbeiten. Oder war es doch eine Horde galoppierender Pferde, die den Sitz meines Gehirns als Rennbahn benutzten? Ich wusste es nicht. Ich wusste in diesem Augenblick eigentlich überhaupt nichts mehr, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich konnte weder richtig sehen noch hören, denn zusätzlich zu den Hämmerchen - oder Pferdehufen? - war da noch ein Rauschen zwischen meinen Ohren, als würde sich ein Weltmeer nach dem anderen in meinen Kopf ergießen. Jetzt schien dieses Wasser auch nach außen zu dringen, denn ich spürte ganz deutlich Feuchtigkeit an meiner Stirn, in meinem Gesicht, meinem Nacken. Aber seltsam, wieso stank dieses Wasser nach billigem Fusel? Mein Geruchssinn funktionierte wohl noch gut, sogar sehr gut, wie ich zu meinem Leidwesen feststellen musste, denn dieser Gestank verursachte mir immer mehr Unbehagen. Jetzt ergoss sich sogar noch mehr von dieser übelriechenden Flüssigkeit über meine Stirn, und das war mir nun doch zuviel, ich versuchte, dieser Widerwärtigkeit auszuweichen, was aber zur Folge hatte, dass die kleinen Wesen in meinem Kopf so stark ihre Hämmerchen gegen meine Schädelwände krachen ließen, dass zu allem Übel auch noch kleine Blitze hinter meinen Augen zu zucken begannen und ein fürchterlicher Schmerz mit jedem Pulsschlag durch mein Gehirn dröhnte. Trotz des Dröhnens konnte ich aber dann doch eine menschliche Stimme vernehmen, war aber weder in der Lage, irgendwelche sinnvollen Wörter oder Sätze daraus zu erfassen, noch zu erkennen, wem sie gehörte. Wieder wurden meine Stirn und mein Nacken mit diesem ekelhaften Wasser benetzt, was mir jetzt aber allmählich durch seine kühlende Wirkung etwas Linderung verschaffte. Die menschliche Stimme konnte ich weiterhin hören und so ganz langsam begriff ich auch einen Sinn dahinter, zumindest den, dass sie immer wieder einen Namen rief. Kurz darauf wurde mir klar, dass es mein Name war, der von dieser sonoren Stimme, die ängstlich und sehr besorgt klang, ein ums andere Mal leise gerufen wurde. Und noch einen weiteren Augenblick später erkannte ich, dass es niemand anderes als Winnetou war, der mich beim Namen rief. Gut, also hören konnte ich, riechen auch – wie würde es wohl mit dem Sehen klappen? Ausprobieren war hier wohl die beste Methode, es herauszufinden, und so versuchte ich mit aller Gewalt, die ich noch über meinen Körper besaß, die Augen zu öffnen, was mir auch einige Augenblicke später tatsächlich gelang. „Scharlih!“ ertönte es im gleichen Moment an meinem Ohr, und ich erkannte meinen Blutsbruder, der mit hochgradig besorgter Miene versuchte, mich wieder zum Leben zu erwecken, in dem er mir zum wiederholten Male mit einem in dieser fürchterlich stinkenden Flüssigkeit getränkten Stück Stoff Stirn und Nacken betupfte. Als er sah, dass ich endlich die Augen geöffnet hatte, stieß er einen unendlich erleichterten Seufzer aus und fragte mich leise: „Scharlih? Kann mein Bruder mich hören? Kannst du mich verstehen?“ Ich nickte, was fast schon todesmutig von mir war, da ich ja wusste, wie sich jede Bewegung auf meinen Kopf auswirkte; aber - der Schmerz war jetzt doch nicht mehr so stark, wie erwartet. Ich sah den Apatschen genauer an und erkannte in seinem Gesicht eine solche Sorge, fast schon Angst um mich, dass er mir richtig leid tat und ich nun alle Kräfte anstrengte, um auch das Sprechen wieder möglich werden zu lassen, damit ich ihn beruhigen konnte. Anfangs brachte ich nur ein unverständliches Lallen hervor, dann aber lösten sich die Verschlingungen meiner Sprechwerkzeuge und meine Worte ergaben wieder einen Sinn. „Es ist alles gut, mein Bruder, hab keine Sorge“, versuchte ich, noch etwas krächzend, ihm die Angst zu nehmen. Er strich mir mit seinen schmalen, feingliedrigen Händen sanft über die Stirn und Wangen, musterte mich weiterhin zutiefst besorgt und flüsterte: „Hast du starke Schmerzen? Kannst du dich bewegen?“ Ich wunderte mich zwar, dass er so leise sprach, maß dem aber keine Bedeutung bei und antwortete: „Die Schmerzen werden von Minute zu Minute weniger, und ich glaube", bei diesen Worten begann ich mich vorsichtig aufzurichten, wobei Winnetou mich sofort unterstützte. „Ich glaube, dass der Rest auch wieder vollständig funktionieren wird.“ Laut ächzend setzte ich mich einigermaßen bequem hin, worauf Winnetou mir schnell ein Zeichen gab, leiser zu sein. Etwas verwundert sah ich ihn an, und er erklärte mir sofort die Situation. „Wir müssen uns ruhig verhalten, da die Feinde in der Nähe sind! Winnetou weiß jetzt, wo sich die Höhle, in der sie sich versteckt halten, befindet, da er den Weg nach oben ein Stück gefolgt ist. In dieser Höhe gibt es nur einen Ort, der als Versteck geeignet ist und es ist möglich, dass von dort weitere Posten bis zu uns vordringen.“ In diesem Augenblick sah ich eine Person hinter ihm auftauchen und wollte gerade hochschnellen, um meinen Blutsbruder vor dem vermeintlichen Feind zu schützen, als ich zu meiner Erleichterung Tsain-tonkee erkannte, unseren Kundschafter, der den Geiern von ihrem ersten Versteck aus bis hierhin gefolgt war. Offenbar war er genau zum richtigen Zeitpunkt zu uns gestoßen. Wie Winnetou mir später ausführlich berichtete, war er kurz hinter uns den Geiern auf der Spur gewesen und erreichte uns genau in dem Moment, als wir in das Bachbett gestürzt waren und Winnetou sich mit dem Messer gegen die zwei feindlichen Vorposten zur Wehr gesetzt hatte. Er hatte absichtlich keinen Gebrauch von seinen Schusswaffen gemacht, um die restlichen Verbrecher nicht zu alarmieren. Mein Freund hatte mit einem gezielten Tritt erst dem einen Posten die Waffe aus der Hand getreten und ihm sofort danach den Griff des Messers an die Schläfe gerammt, so dass der Bandit augenblicklich außer Gefecht gesetzt worden war. Im gleichen Moment hatte er sich auf den zweiten gestürzt und hätte ihn wahrscheinlich auch so schnell und überraschend überwältigt, was aber mit Sicherheit nicht ohne Geräusche abgegangen wäre; denn der zweite Geier hätte unbedingt noch Zeit gefunden, zu schießen, wenn auch nicht mehr so gezielt, und damit sämtliche Banditen auf den Plan gerufen. Zum Glück war in diesem Augenblick Tsain-tonkee zur Stelle gewesen und hatte dem Schurken schnellstens die Hände um die Gurgel gelegt, so dass dieser Halunke nun auch bewusstlos auf der Erde lag. Winnetou informierte mich jetzt nur in knappen Worten über das Geschehene, da wir schnell handeln mussten, um zu verhindern, dass weitere Posten auftauchten und ihre beiden Gefährten fanden, denn dann wäre die gesamte Bande höchst alarmiert gewesen und ein Belauschen ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Deshalb war Tsain-tonkee gerade damit beschäftigt, die beiden besinnungslosen Banditen so zu fesseln und zu knebeln, dass sie, auch wenn sie wieder zu sich kamen, sich nicht selber befreien würden und zumindest in den nächsten Stunden die Knebel auch nicht würden lösen können. Anschließend wollte der Mescalero sie gut verstecken. Sie würden somit erst viel später gefunden werden, wenn sie durch Rufen auf sich aufmerksam machen konnten. Während Tsain-tonkee sich dieser Aufgabe gewidmet hatte, hatte Winnetou sich während meiner Bewusstlosigkeit kurz davon überzeugt, dass ich noch lebte und sich dann auf den eben erwähnten Erkundungsgang gemacht, um den Aufenthaltsort der Geier ausfindig zu machen, denn nur dadurch konnte er weiteren Gefahren gezielt aus dem Weg gehen. Er hatte dafür nicht lange gebraucht und sich anschließend weiter darin versucht, mich zu irgendeiner Reaktion zu bewegen. Während er mit dieses mitteilte, fiel mir auch wieder der schlechte Geruch ein, den das Wasser, dass er dafür benutzt hatte, ausströmte. Ich fuhr mir kurz mit der Hand über die Stirn, roch dann daran und verzog etwas angeekelt das Gesicht. Winnetou, der mich beobachtete, musste jetzt trotz seiner großen Besorgnis doch kurz lächeln. „Winnetou tut es leid, aber hier gibt es kein Wasser in der Nähe, somit blieb ihm nichts anderes übrig, als den Inhalt der beiden kleinen Flaschen zu verwenden, die die Geier bei sich hatten“, entschuldigte er sich bei mir. Aha, also hatte mich mein Geruchssinn tatsächlich nicht getäuscht und ich musste mich damit abfinden, zumindest in der nächsten Zeit nach billigem Schnaps zu duften. Ich drückte ihm kurz die Hand und dann half er mir beim Aufstehen. In meinem Schädel pochte es zwar immer noch empfindlich und ich fühlte eine ordentliche Schwellung am Hinterkopf, aber außer etwas Schwindel spürte ich keinerlei Anzeichen einer Gehirnerschütterung. Auch der Rest meines Körpers war trotz des tiefen Falles, von ein paar Schrammen und Prellungen mal abgesehen, kaum in Mitleidenschaft gezogen worden, was man wirklich Glück nennen konnte. Im selben Moment wurde mir allerdings bewusst, dass Winnetou ja auch gestürzt war. Ich hatte ihn zwar direkt danach auf die Füße springen sehen, aber hatte er das alles auch gut überstanden, zumal er ja immer noch nicht völlig wiederhergestellt war? Ich sah an ihm herunter und bekam auch prompt einen riesigen Schrecken, denn an seiner linken Seite, Taille wie Hüfte, war seine Kleidung schon wieder blutverschmiert! „Winnetou, um Himmels Willen, du bist verletzt, du blutest!“ rief ich in einer aufkommenden Panik fast schon laut aus, worauf er mir schnell signalisierte, leiser zu sein. Ich aber reagierte in diesem Moment vollkommen emotional, zu sehr hatten sich die Bilder des vor kurzem so schwer verletzten Apatschen in mein Hirn eingebrannt. Der Schock und die furchtbare Angst um ihn waren sofort wieder präsent, als ich ihn jetzt erneut blutend vor mir sah. Winnetou hatte anscheinend noch gar nichts von dieser neuerlichen Verwundung bemerkt, er sah kurz an sich herunter und versuchte sofort, mich zu beruhigen: „Mein Bruder mag ohne Sorge sein, diese Verletzung ist ohne Bedeutung!“ „Das kannst du doch gar nicht wissen, du hast ja noch nicht einmal nachgesehen!“ Ich reagierte wirklich vollkommen anders, als ich es früher getan hätte, ich war mir auch darüber bewusst, konnte meine Gefühle in diesem Moment aber schwer unter Kontrolle bekommen. Er sah mir das an und nahm mein Gesicht in seine Hände, zwang mich, ihm in die Augen zu blicken. „Der Häuptling der Apatschen kann immer noch eine leichte von einer schweren Verletzung unterscheiden und er bittet seinen Bruder, ihm in dieser Hinsicht zu vertrauen!“ Fast schon etwas beschämt blickte ich kurz zu Boden und sah ihn dann an. „Winnetou hat natürlich recht, aber mir wäre es lieber, wenn ich mir das trotzdem kurz ansehen könnte.“ „Wenn die Zeit dafür da ist, aber jetzt nicht. Wenn mein Bruder trotz seiner Schmerzen dazu in der Lage ist, werden wir sofort aufbrechen, um unser Vorhaben, die Geier zu belauschen, in die Tat umzusetzen. Ansonsten wird er mit Tsain-tonkee bei unseren Pferden wachen!“ Auch jetzt musste ich ihm etwas widerstrebend recht geben, aber um nichts in der Welt hätte ich es zugelassen, dass er sich allein in die Gefahr begab! Also straffte ich meine Glieder und erklärte ihm entschieden, dass mit mir wieder alles in Ordnung sei und wir uns sofort auf den Weg machen konnten. Vorher wollte ich aber noch wissen, aus welchem Grund die aus den locker zusammengebundenen Baumstämmen bestehende Brücke eingebrochen war. Winnetou hatte sich darum noch nicht kümmern können, also schauten wir uns die Sache näher an. Die äußeren Stämme waren heil geblieben, aber die inneren waren offenbar angesägt worden, wohl eine Vorsichtsmaßnahme der Geier, um zum einen dafür zu sorgen, dass eventuelle Feinde stürzen und sich sogar verletzen würden und die zum anderen dazu diente, genug Lärm hervorzurufen, dass die umherstreifenden Posten die nahende Gefahr sofort bemerken würden. Die Frage war allerdings, ob sie diese Falle allein unseretwegen erstellt hatten oder zu ihrer allgemeinen Sicherheit? Ich war von letzterem überzeugt, sie konnten höchstens ahnen, dass aufgrund der Geschehnisse mit Bloody Fox auf Helmers Home irgendjemand von dort ihnen vielleicht folgen würde. Winnetou erklärte Tsain-tonkee, wo sich unsere Tiere befanden, und wies ihn an, dort auf uns zu warten. Außerdem sollte er die Wachen, die sich bei den Pferden der Geier befanden, beobachten und notfalls unschädlich machen, denn sollten die aus irgendeinem Grund das Versteck der Banditen aufsuchen wollen, würden sie uns in den Rücken kommen und könnten uns somit äußerst gefährlich werden. Für den Mescalero war das auch eine Möglichkeit, sich etwas auszuruhen, weil er ja seit gestern morgen schon unterwegs gewesen war und auch in der Nacht kaum Ruhe gefunden hatte, da er die Geier nicht lange aus den Augen lassen durfte. Wir waren wirklich froh über seine Unterstützung, denn die Schurken entpuppten sich nun doch als vorsichtiger und gefährlicher, als wir zuerst geglaubt hatten. Um so wichtiger war es jetzt, ihren genauen Plan für den Angriff auf den Treck und die Farm herauszufinden, deshalb begannen Winnetou und ich, den Weg zur Höhle vorsichtig fortzusetzen. Zügig, aber trotzdem jede mögliche Deckung ausnutzend, bewegten wir uns weiter zu den oberen Höhen der Felsenhügel. Da Winnetou nun genau wusste, wo die Höhle war, mussten wir nicht unbedingt den Spuren der Schurken folgen, sondern konnten uns etwas von der Seite her unserem Ziel nähern. Nach ungefähr zwanzig Minuten bedeutete mir der Apatsche, ab jetzt höchst aufmerksam zu sein, da wir uns ganz in der Nähe des Versteckes befanden und überall weitere Posten stehen konnten. Und tatsächlich - kurz darauf sahen wir auch den ersten. Wir duckten uns tief hinter einigen Sträuchern und sahen uns nach weiteren Wachen um, ohne aber welche zu entdecken. Nun mussten wir überlegen, wie wir weiter vorgehen konnten. Winnetou hielt seinen Blick lange auf die sich hoch über uns auftürmende Felsmasse gerichtet, es hatte ganz den Anschein, als versuchte er, sich an irgend etwas zu erinnern. Ich störte ihn nicht in seinen Gedanken, beobachtete dafür um so genauer den Posten, der in einer Entfernung von ungefähr dreißig Schritten ständig hin und her patrouillierte. Allerdings wirkte sein Gang und auch seine gesamte Körperhaltung mehr als gelangweilt auf mich; ich glaubte nicht, dass er seiner Umgebung besondere Aufmerksamkeit schenkte. Meine dagegen richtete sich nun wieder ganz auf Winnetou, der jetzt wie bestätigend leicht mit dem Kopf nickte, als hätte er gerade für sich selber einen Entschluss gefasst. Dem war auch so, er sah mich an und raunte mir zu: „Der Eingang der Höhle liegt links von uns dort hinten, man muss etwas um den Felsen herumgehen und sich ein Stück über eine Geröllfläche nach oben hangeln, um ihn überhaupt sehen zu können.“ „Dann ist es ja für uns unmöglich, dort unbeobachtet hinein zu gelangen“, antwortete ich. „Richtig! Aber Winnetou hat nachgedacht und sich erinnert, dass er vor vielen Jahren schon einmal in dieser Höhle war – und es gibt einen zweiten Eingang!“ Überrascht ruckte ich mit dem Kopf hoch, wobei die Hämmerchen und Pferdehufe sich wieder leicht bemerkbar machten, was ich aber gut aushalten konnte. „Wo befindet sich dieser?“ fragte ich den Apatschen. „Wir müssen uns nach rechts wenden und dabei versuchen, unbemerkt an dem Posten vorbeizukommen. Unser Weg führt dann zwischen dem Fels ein großes Stück hinauf, es ist allerdings eine sehr schmale und steile, teils nahe am Abgrund vorbeiführende Strecke. Ungefähr in der Mitte der Anhöhe“ - dabei deutete er auf das Felsmassiv vor uns - „befindet sich der zweite Eingang, der aus einem engen und etwas mehr als mannshohen Durchgang besteht. In dieser Grotte muss man wieder ein Stück in einem engen Felsschacht nach unten klettern, wie in einem Kamin, und kommt dann in einer sehr kleinen Höhle aus, die durch einen niedrigen Tunnel von der großen getrennt ist, in der die Geier sich verstecken.“ „Das ist ja wunderbar! Wenn der Ausgang dieses Tunnels nicht zu weit von den Banditen entfernt ist, haben wir ja gute Aussichten, sie unbemerkt belauschen zu können“ freute ich mich über seine Beschreibung. Er nickte, musterte mich jetzt aber nochmals besorgt. „Ist mein Bruder sich sicher, diese enge und steil am Abgrund vorbeiführenden Passage überwinden zu können? Jeder kleinste Schwindelanfall könnte ihm hier zum Verhängnis werden!“ Ich erkannte eine enorm große Angst um mich in seinen samtig schwarzen Augen und zum wiederholtem Mal wurde mein Innerstes von so einem machtvollen und tiefen Gefühl der vollkommenen Liebe zu ihm erfüllt, dass es mir heiß und kalt den Rücken herunter lief und ich ihn am allerliebsten sofort in meine Arme gezogen hätte, um ihn dann nie, wirklich nie wieder loszulassen. Ich musste mich mit Gewalt zur Ordnung rufen und beantwortete seine Frage in einem bestimmenden Ton. „Winnetou soll sich nicht um seinen Bruder sorgen, ich werde diese Strecke genauso sicher überwinden, wie du es trotz deiner noch nicht vollständig wiederhergestellten Gesundheit geschafft hast, diesen Kundschafterritt überhaupt anzutreten. Howgh!“ Ich nickte nochmal bekräftigend und er lächelte mich trotz meiner Retourkutsche liebevoll an, sagte dann auch nichts mehr. Das ganze Gespräch hatten wir natürlich sehr leise geführt, da der Posten ja nicht weit entfernt war. Nun galt es, ihn so abzulenken, dass wir unbemerkt an ihm vorbei den Felsen hinauf klettern konnten. Wir brauchten dafür nur ein paar Sekunden Zeit, dann würden wir zwischen den ersten Geröllblöcken verschwunden sein. Überwältigen durften wir ihn nicht, zumindest nicht hier so nahe bei der Bande. Sein Fehlen würde sofort auffallen und uns würde nicht nur jede Möglichkeit zum Lauschen genommen, sondern uns auch sofort in die größte Gefahr bringen. Beide hatten wir jetzt den gleichen Gedanken und suchten uns eine handvoll kleiner Steinchen zusammen. Winnetou warf als erster ein paar davon in eines von den hier sehr spärlich wachsenden Gebüsche, welches etwas von uns entfernt lag und – der Wächter erwachte aus seiner Lethargie und sah sich überrascht um. Als ich sicher war, dass er nicht zu uns hinüber schaute, warf ich auch ein paar meiner Steinchen in die gleiche Richtung. Jetzt hatte der Bandit den Teil des Gebüsches erfasst, aus dem das Geräusch erklang und hob sein Gewehr mit einem angespannten Ausdruck im Gesicht leicht an. Er war so auf diesen Punkt fixiert, dass Winnetou nochmals seinen Rest werfen konnte. Der Schurke hörte jetzt nicht nur das Rascheln, sondern sah auch die Bewegung einiger Zweige, ohne jedoch die Steine zu bemerken. Jetzt war er vollends überzeugt, dass sich irgendetwas in dem Gebüsch befand und bewegte sich, die Waffe im Anschlag, sehr vorsichtig darauf zu. Das war für uns die Gelegenheit! In Windeseile huschten wir, jeden Felsblock als Deckung nehmend, auf die Anhöhe zu und waren binnen kürzester Zeit auf dem Weg nach oben, während uns die großen Felsen davor schützten, entdeckt zu werden. Kapitel 27: Glück und Unglück ----------------------------- Mein Freund, der diese Gegend ja leidlich kannte, stieg vorneweg, wobei er den vor ihm liegenden Bereich unentwegt im Auge behielt, um ja keinen möglichen weiteren Posten zu übersehen. Ich sicherte nach hinten alles ab und überzeugte mich immer wieder davon, dass uns niemand folgte. Während dieser nicht sehr anstrengenden Kletterei fiel mir Winnetous neuerliche Verletzung ins Auge und ich nahm mir vor, ihn sofort, sobald es zeitlich irgendwie möglich wurde, zu untersuchen. Zumindest schien die Wunde ihn nicht sonderlich zu beeinträchtigen, aber genau konnte man das bei ihm nie wissen, er hatte sich dafür einfach zu sehr unter Kontrolle. Mir selber ging es nach dem Sturz wieder einigermaßen gut, abgesehen von leichten Kopfschmerzen, die ich jetzt aber gar nicht mehr richtig wahrnahm. Trotzdem drehte Winnetou sich des öfteren um, da er sich überzeugen wollte, ob ich mich nicht überschätzt hatte und mich dadurch in Gefahr brachte, denn der Abgrund zu unserer rechten Seite gähnte uns jetzt in einer grausigen Tiefe entgegen. Ich nickte dem Apatschen immer wieder beruhigend zu, dann dauerte es nicht mehr lange und wir hatten unser Ziel erreicht. Wir fanden alles genauso vor, wie Winnetou es mir beschrieben hatte. Allerdings musste er die Eingangsspalte erst kurz suchen, da sie in den letzten Jahren von zwischendurch herabgefallenem Geröll halb verdeckt worden war. Der Spalt war so schmal, dass ihn ein beleibter Mensch wie zum Beispiel unser Dicker Jemmy niemals hätten passieren können. Auch den „Kaminschacht“ hinunter in die kleinere Grotte hätte er wohl schwerlich erklettern können. Wir aber kamen glücklich unten an und fanden auch sofort den angrenzenden, sehr niedrigen Tunnel, obwohl hier unten tiefste Dunkelheit herrschte. Winnetou aber konnte nachts sehen wie eine Katze und auch sein Tastsinn war unbeschreiblich. Er nahm mich bei der Hand und führte mich so sicher bis kurz vor den Tunnelausgang, der in die große Höhle mündete, als hätte er ihn schon tausendmal durchquert und würde ihn im Schlaf kennen, obwohl wir hier nur auf allen Vieren vorwärts kommen konnten. Kurz darauf konnten wir schon die typischen Geräusche vernehmen, die eine große Horde von Banditen, welche dem Alkohol ordentlich zusprach, zu machen pflegte. Ab jetzt ließen wir äußerste Vorsicht walten, da wir ja nicht wussten, wo genau die Banditen in der Höhle lagerten. Der Tunnel war hier nicht nur niedrig, sondern auch sehr eng, so dass wir nur hintereinander kriechen konnten. Winnetou machte auch jetzt wieder den Ersten und duckte sich, als er weiter vorn den schwachen Lichtschein eines Lagerfeuers in den Tunnel dringen sah, fast wie ein Panther ganz nahe an den Boden. Ich tat es ihm gleich und so robbten wir uns so leise wie möglich an den Ausgang heran, bis wir einen Teil der Grotte sahen. Soweit wir die Lage überblicken konnten, durften wir mit Fug und Recht behaupten, äußerst viel Glück gehabt zu haben. Nicht nur, dass offensichtlich die gesamte Bande, abgesehen von den Wachtposten, hier drinnen lagerte, nein, der Boss und seine beiden Unteranführer befanden sich sogar ganz in unserer Nähe! Außerdem herrschte ein ordentlicher Lärmpegel in dem felsigen Bau, der von den steinigen Wänden in fast der gleichen Lautstärke widerhallte, denn die Geier hatten anscheinend einen ordentlichen Vorrat an Whisky mit dabei, mit dem sie im Moment nicht gerade sparsam umgingen. Der Tunnelausgang, in dem wir jetzt saßen, war nicht ebenerdig, sondern befand sich ungefähr eineinhalb Meter über den Boden. Man darf ihn sich auch nicht wie eine runde Röhre vorstellen, sondern er bestand, ähnlich wie der obere Höhleneingang, aus zu einem schmalen Spalt spitz zusammenlaufenden Felsen, hinter denen wir gute Deckung fanden. Da die restlichen Höhlenwände wohl überall solche Spalten, die allerdings meistens nicht sehr tief waren, aufwiesen, konnten die Schurken gar nicht vermuten, dass sich hinter unserer ein Tunnel befand, so dass sie auch keinerlei Aufmerksamkeit darauf verschwendeten. Das größte Problem bestand jetzt darin, die Bosse zu belauschen. Aufgrund des enormen Lärmpegel konnten wir keinen Ton von dem hören, was die Anführer, die abgesondert für sich etwas weiter links von uns nahe der Wand saßen, miteinander besprachen. Wir sahen uns noch einmal ganz genau um, fieberhaft nach einer Möglichkeit suchend, die Bosse ungesehen aushorchen zu können. In der Mitte der Höhle brannte ein großes Lagerfeuer, die Wände und die Ecken dagegen waren in tiefe Dunkelheit oder Halbdunkel getaucht. Die meisten Verbrecher saßen mit einem Becher Whisky in der Hand an dem Feuer, sangen, grölten oder erzählten lautstark von ihren letzten Raubzügen. Die führenden Köpfe der Bande befanden sich, wie schon erwähnt, in unserer Nähe, ungefähr vier bis fünf Schritte von der Wand entfernt, und ihre Gestalten lagen im Halbdunkel, wurden nur manchmal von dem flackernden Feuerschein kurz diffus beleuchtet. Sie hatten ihr Sattelzeug und ihre Packtaschen hinter sich nahe an der Wand gelagert. Wenn es nur möglich wäre, dahinter Deckung zu finden! Es waren nur ein paar Schritte bis dorthin, einzig der Weg vom Tunnelspalt hinunter auf den Boden barg die große Gefahr, entdeckt zu werden, aber die Wand lag hier fast im Dunkeln, und mit ein wenig Glück musste dieses Vorhaben eigentlich machbar sein. Ich sah meinen Blutsbruder an und erkannte, dass auch er im gleichen Moment denselben Gedanken gehabt hatte. Beide zusammen durften wir den Gang nicht wagen, einer musste dem anderen für den Notfall Feuerschutz geben können, und so entbrannte sich ein kleiner Wettstreit zwischen uns, wer jetzt den gefährlichen Part übernehmen sollte. Winnetou war natürlich der Meinung, dass er dieses Kunststück ausführen sollte, da ich ja durch meine Kopfverletzung noch eingeschränkt sei und ihm außerdem mit dem Henrystutzen viel besser Feuerschutz geben könne. Ich hielt ihm entgegen, dass er die Waffe genauso gut bedienen könne und ich keinerlei Nachwirkungen von dem Sturz mehr spüren würde. Zum Schluss hatte ich das bessere Argument, bestehend aus seiner frischen Wunde. Durch die Kletterei hatte diese offenbar wieder angefangen zu bluten, und dadurch konnte er nur schwer vermeiden, Spuren an der Wand zu hinterlassen, die eventuell gesehen werden konnten. Winnetou musste sich fügen. Ich wartete noch einen günstigen Moment ab, in dem die Banditen lauthals über einen groben Witz lachten und nicht auf ihre Umgebung achteten, sprang mit einem Satz lautlos von der Spalte auf den Boden und huschte so schnell wie möglich hinter den Satteltaschen in Deckung, in dem ich mich lang auf den Boden legte. Es war geglückt! In den ersten Minuten war nicht viel Spannendes zu erfahren. Die Bosse unterhielten sich über völlig belanglose Dinge oder schwiegen ganz. Kurze Zeit später aber richtete einer der Unteranführer das Wort an das Oberhaupt der Bande: „Sag einmal, Boss, warum warten wir nicht ab, bis der Treck aufbricht und durch den Llano zieht? Wir könnten sie doch wieder mit den falsch gesteckten Stangen irreführen?“ „Weil wir das bei denen schon mal gemacht haben, Idiot!“ raunzte der Boss zurück. „Meinst du etwa, die fallen darauf noch mal rein? Mit Sicherheit nicht, schon gar nicht in Begleitung von Firehand und den anderen Westmännern – die sind nämlich nicht so blöd wie du!“ Na, die beiden schienen sich ja herzlich lieb zu haben, zumindest ließ das der überaus "freundliche" Ton vermuten! „Ja, aber bist du dir denn sicher, dass sie dann auf unsere List mit dem Hinterhalt reinfallen? Solche Leute wie die sichern sich doch erst überall ab, bevor....“ „Natürlich bin ich mir sicher, du Blödmann!“ entgegnete der Boss, diesmal so laut, dass es wahrscheinlich sogar Winnetou in seinem Versteck hören konnte. Jetzt begann sich der andere Unteranführer in das Gespräch einzumischen. „Ich verstehe, ehrlich gesagt, auch noch nicht so ganz, wie du diese Männer mit Feuer in eine Falle locken willst“, begann er vorsichtig. Offensichtlich war der Kopf der Bande hochgradig cholerisch, so dass seine Untergebenen jedes Wort auf die Goldwaage legen mussten, um ihn nicht unnötig zu reizen. Dieser bestätigte meine Vermutung auch gleich darauf. „Sagt einmal, seid ihr so dämlich oder tut ihr nur so? Wie oft soll ich die Sache denn noch erklären?“ „Vielleicht erklärst du sie uns einmal richtig und vollständig, dann brauchen wir auch nicht mehr zu fragen“, wagte der zweite Unteranführer aufzubegehren. Die Gesichtsfarbe des Angesprochenen hatte jetzt was von einer reifen Tomate, er öffnete und schloss seinen Mund wie ein Karpfen, ohne zu sprechen und schien kurz davor zu sein, alles zusammenzubrüllen, entschied sich im letzten Moment aber doch dagegen und begann, seinen Kameraden den gesamten Plan noch einmal so übertrieben langsam und deutlich zu erklären, als würde er zu kleinen Kindern sprechen. Mehr Glück konnte ich nun wirklich nicht haben, denn was ich jetzt erfuhr, war für uns äußerst wichtig und mehr als informativ. Die Banditen hatten also vor, den Treck und die Farm komplett auszurauben und dem Erdboden gleichzumachen. Da der Boss unter den mehr als einhundert Menschen, die sich dort aufhielten, einige Westmänner erkannt hatte, vor denen er auch gehörigen Respekt zu haben schien, hütete er sich davor, einfach blindlings alles zu überrennen, in der Hoffnung, durch den Überraschungsmoment alle Personen erschießen zu können, bevor die überhaupt dazu kamen, zu den Waffen zu greifen. Er wusste, dass gerade die Westmänner doch sehr reaktionsschnell waren, auch den Indianern traute er das durchaus zu, so dass die Geier in Gefahr liefen, nicht nur große Verluste zu erleiden, sondern auch den Kampf eventuell zu verlieren, da sie ja auch zahlenmäßig unterlegen waren. Also hatte der Boss sich ein Ablenkungsmanöver ausgedacht, von dessen Gelingen er völlig überzeugt war. In der Nacht des Angriffs wollte er hinter dem kleinen Fluss, in dem Winnetou bei seinem zweiten Spaziergang sein für mich so überraschendes Bad genommen hatte, im Schutz der Bäume einen alten Planwagen, den die Bande wohl irgendwo versteckt hielt oder noch rauben wollte, in Brand setzen, während ein paar der Halunken ein schmerzerfülltes Wehgeschrei imitieren sollten, so dass die Treckmitglieder und ihre Begleiter denken sollten, im Wald seien Menschen in Gefahr. Wenn die Geier Glück hatten, würde ein Großteil unserer fähigsten Männer diesen vermeintlich in Not Geratenen zu Hilfe eilen, durch das Feuer hell erleuchtet und ein gutes Ziel abgebend bei dem brennenden Wagen stehen bleiben und sofort von dreißig bis vierzig sich dort versteckt haltenden Halunken zusammengeschossen werden können. Der Rest der Bande hätte mit dem Treck und der Farm dann wahrscheinlich leichtes Spiel. Stattfinden sollte der Angriff in drei Tagen, also in der Nacht von dem dritten zum vierten Tag, denn man wollte solange warten, bis die Aufregung und das Misstrauen sich gelegt hatten, welche durch den von Bloody Fox entdeckten und von Winnetou erschossenen Verbrecher hervorgerufen worden waren, und die allgemeine Wachsamkeit wieder nachließ. Nachdem der Boss diesen Plan in aller Ausführlichkeit erklärt hatte, schienen seine Unteranführer nun auch vollends von dem Gelingen desselben überzeugt zu sein, denn ihre Laune besserte sich schlagartig und sie verlangten lautstark Nachschub an Whisky. Weiter wurde nichts Wichtiges mehr besprochen, dafür sprachen die drei um so mehr dem Alkohol zu, und so musste ich auf einen geeigneten Zeitpunkt warten, um den Gott sei dank im Schatten liegenden Weg zu Winnetou zurück zu legen. Das größte Problem war die Höhe, immerhin anderthalb Meter, die ich bis zum Tunneleingang überwinden musste, ohne entdeckt zu werden. Aber auch hier kam mir der Zufall zu Hilfe. Einer der Gauner, der sich schon vollends betrunken hatte, wollte von seinem Platz am Lagerfeuer aufstehen, kam dabei ins Straucheln und setzte sich unfreiwillig wieder – mitten in die Flammen! Das grölende Gelächter, welches jetzt losbrach, und die Aufmerksamkeit, die sich nur auf den schnell wieder aufgesprungenen und sich das Hinterteil abklopfenden Ganoven richtete, ermöglichte es mir, in Windeseile zurück zum Tunnel zu huschen. Winnetou streckte mir schon seine Arme entgegen, ich fasste seine Hände und ließ mich von ihm in Sekundenschnelle hochziehen. Geschafft! Niemand hatte uns bemerkt, alles lachte noch über den Geier, der in ein lautes Schmerzensgeheul ausgebrochen war, wobei sich mein Mitleid mit ihm absolut in Grenzen hielt. Wir schlichen uns schnell durch den Tunnel zurück in die kleine Höhle, wo wir innehielten und uns berieten. Ich berichtete Winnetou mit wenigen Worten über das Ergebnis meines Lauschangriffes, worauf hin er in ein kurzes Schweigen verfiel und offenbar über das Gehörte nachdachte. Sehen konnte ich ihn in der hier in der Grotte herrschenden Dunkelheit nicht, also wartete ich ab, ob eine Reaktion von ihm kam. Wenige Augenblicke später legte er seine Hand auf meinem Arm – bei dieser Geste rieselte mir jedes mal ein kleiner Schauer über den Rücken, was mich selbst immer wieder überraschte – und er fragte mich: „Hat mein Bruder einen dritten Unteranführer gesehen?“ „Einen dritten?“ fragte ich, etwas erstaunt. „Ich habe nur die zwei und ihren Boss gesehen, wie kommt Winnetou darauf, dass es einen dritten geben könnte?“ „Weil Old Firehand ihn erwähnte, er sprach von dem Boss der Bande und drei Stellvertretern“, entgegnete Winnetou. Ich dachte einen Augenblick nach, und dann fiel mir dieser Teil von Firehands Erzählung wieder ein. Mein Freund hatte recht, wo war wohl der dritte Anführer gewesen? Im Augenblick aber war keine Zeit, uns darüber großartig Gedanken zu machen, wir wollten so schnell wie möglich zu Tsain-tonkee und den Pferden zurück, um dann sofort nach Helmers Home zurückzukehren. Im Nu waren wir den „Kaminschacht“ hochgeklettert und befanden uns binnen kürzester Zeit wieder im Freien. Es dämmerte schon; nicht mehr lange, und es würde tiefste Dunkelheit herrschen, was es uns zwar leichter machte, nicht von umherstreifenden Wachposten entdeckt zu werden, dafür aber die Strecke den Abgrund entlang äußerst gefährlich machte. Der Apatsche schritt wieder voran und nahm mich bei den schwierigsten Stellen bei der Hand. Das war in meinen Augen zwar nicht notwendig und ich musste doch lächeln über seine Vorsicht und seine Besorgnis um mich, aber insgeheim wurde mir dabei unglaublich warm ums Herz. Kurz darauf waren wir bei der Stelle angelangt, an der wir den Posten mit unseren kleinen Steinen in die Irre geführt hatten. Er war immer noch da, aber seine vorhin schon vorhandene Lustlosigkeit hatte sich jetzt in eine nicht zu überhörende Müdigkeit verwandelt – er schlief und schnarchte dabei sogar leise! Ich sah es zwar nicht, konnte aber deutlich fühlen, wie sehr Winnetou sich über diese Unvorsichtigkeit im Stillen amüsierte, mir erging es ja ebenso. Den Rest des Weges bis zu unseren Pferden hatten wir schnell überwunden, näherten uns dieser Stelle aber trotzdem vorsichtig, da wir erst sichergehen mussten, dass auch hier nichts Unvorhergesehenes geschehen war. Der Mescalero aber empfing uns in gewohnter Ruhe, es war nichts Außergewöhnliches vorgefallen. Schnell stiegen wir auf die Pferde und machten uns so leise und vorsichtig wie möglich auf den Weg hinunter, wobei Winnetou wieder den Anführer machte, da er außer seinen scharfen Augen noch so etwas wie einen sechsten Sinn besaß; er spürte Hindernisse in dieser Dunkelheit mehr, als dass er sie sah. Wir kamen auch glücklich unten an und konnten in der sternenklaren Nacht jetzt die Pferde im Galopp über die Prärie jagen lassen. Ich hielt mich dicht hinter meinem Freund und fand Zeit, nochmal in Ruhe über den vergangenen Tag nachzudenken. Irgendwann fiel mir auf, dass wir die ganze Zeit über kaum etwas getrunken und so gut wie gar nichts gegessen hatten. Dazu die fehlende Nachtruhe, die über Stunden gehende große Anspannung und keine nennenswerten Ruhepausen – unter normalen Umständen hätte ich mir darüber keinerlei Gedanken gemacht, aber Winnetous Gesundheitszustand war noch nicht normal, und ich begann mich zu fragen, wie sein Körper die vergangenen Anstrengungen wohl verkraftet hatte, noch dazu mit einer frischen Wunde. Ich beschloss, meinen Freund dazu zu bringen, eine kleine Rast einzulegen, sobald wir an einem Wasser vorbei kommen würden, damit ich seine Verletzung untersuchen konnte. Ab jetzt aber beobachtete ich ihn genauer. Kam es mir nur so vor, oder war seine Körperhaltung nicht mehr so energiegeladen und voller Spannkraft wie vorher? Ritt er nicht sogar leicht nach vorne gebeugt, als könne er sich nicht mehr richtig gerade halten? Ich trieb meinen Hatatitla etwas mehr an und kam so auf gleiche Höhe mit Winnetou. In der Dunkelheit konnte ich sein Gesicht nicht sehen, er aber sprach mich auch jetzt nicht an, obwohl ich mit ihm gleichauf war, was ich doch schon ungewöhnlich fand. Ich wartete noch einen Moment ab, dann rief ich ihn leise bei Namen. Er antwortete nicht, ich musste noch einmal rufen, bis er langsam, wie aus einer tiefen Versunkenheit heraus, den Kopf hob und zu mir sah. „Geht es dir gut, mein Bruder?“ fragte ich ihn ganz direkt. „Es ist alles gut, Scharlih“, entgegnete er, aber seine Stimme hatte einen erschöpften Klang angenommen, den allerdings nur jemand wahrnehmen konnte, der meinen Freund so gut kannte wie ich. „Wir werden trotzdem da vorne am Waldrand rasten, dort finden wir auch Wasser, wenn ich mich richtig entsinne. Dort werde ich mir deine Wunde ansehen.“ Ich sagte das in einem so bestimmten Ton, dass ihm klar wurde, dass jeder Widerspruch sinnlos war, und so versuchte er es auch gar nicht erst. Vielleicht aber war er sogar insgeheim froh über meinen Vorschlag, denn ich hatte jetzt immer mehr das Gefühl, dass er sich in den letzten vierundzwanzig Stunden viel zu viel zugemutet hatte. Am Waldrand angekommen, suchten wir uns sofort einen versteckten Platz nahe an einem schmalen Bach, an dem wir ein kleines indianisches Feuer entzünden konnten, ohne dass der Schein von der Prärie aus zu sehen war. Tsain-tonkee kümmerte sich erst um das Feuer und begann dann, die Umgebung abzusichern. Der Blick, den er Winnetou zuwarf, verriet mir, dass auch er bemerkt hatte, dass es seinem Häuptling nicht mehr sonderlich gut ging. Ich ließ dem Apatschen auch keine Möglichkeit mehr, sich in irgendeiner Weise nützlich zu machen, sondern zwang ihn, sich hinzusetzen und besorgte erst einmal frisches Wasser, welches er zu sich nehmen sollte. Er ließ das Ganze jetzt mehr und mehr widerstandslos über sich ergehen, was meinen Verdacht über eine Verschlechterung seines Zustandes nur noch erhärtete. Kurzerhand sorgte ich dafür, dass er sich hinlegte und entblößte die Stellen an Taille und Hüfte, an der ich das Blut bemerkt hatte. Ich erschrak jetzt doch, denn trotz der geringen Helligkeit erkannte ich, dass er sich dort großflächige, teils tiefe Schürfwunden zugezogen hatte. Eine davon war tief ins Fleisch eingeschnitten und hörte nicht auf, zu bluten, was auch der ständigen körperlichen Bewegung geschuldet war. Verursacht hatten diese Verletzungen wohl die zerberstenden Baumstämme der einstürzenden Brücke sowie das am Boden des Bachbettes liegende Geröll. Es wurde allerhöchste Zeit, dass die Wunden gesäubert und verbunden wurden, bevor sie anfingen zu eitern und dadurch ein gefährliches Wundfieber hervorriefen. Ich sah Winnetou an. Er hielt die Augen geschlossen, entweder vor Erschöpfung oder vor Schmerz, vielleicht auch beides. Seine jetzt deutlich sichtbare Schwäche konnte nicht allein nur durch die Verletzung verursacht worden sein; daher ergriff ich sein Handgelenk und tastete nach seinem Puls. Er war nur schwach zu spüren, langsam, etwas unregelmäßig. Jetzt erfasste mich die Sorge um meinen Freund mit aller Macht. Ich holte unsere Decken, legte eine davon unter seinem Kopf und deckte ihn mit der anderen zu, überprüfte dann wieder seinen Puls, seinen Herzschlag. Er schien noch etwas langsamer geworden zu sein, offenbar bahnte sich hier ein Kreislaufzusammenbruch an, vor dem Dr. Hendrick uns eindringlich gewarnt hatte. Mittlerweile war auch Tsain-tonkee wieder an unserer Seite, erkannte sofort die Situation und holte aus seinen und Winnetous Satteltaschen Verbandsmaterial sowie einige Heilpflanzen. Ich erinnerte mich an die Medikamente, die der Arzt mir vorsorglich mitgegeben hatte. Während der Mescalero sich daran machte, Winnetous Wunde säubern und zu verbinden, verabreichte ich ihm das aus einem Pulver bestehende Medikament zusammen mit viel Wasser. Er war nicht bewusstlos, schien aber auch nicht weit davon entfernt zu sein. Ich legte anschließend seinen Kopf in meinen Schoß und begann, ganz sanft über seine Wangen und seine Stirn zu streichen, massierte seine Schläfen. Ich musste an mich halten, nicht zu viele Zärtlichkeiten anzuwenden, um zu verhindern, dass sein roter Bruder Verdacht schöpfte. Wie lange wir so in dieser Stellung verharrten, weiß ich nicht mehr, aber unsere medizinische Versorgung schien langsam ihre Wirkung zu entfalten. Winnetou schlug irgendwann wieder die Augen auf, sein Blick traf mich und er schenkte mir ein leises Lächeln. „Geht es dir besser?“ fragte ich, immer noch besorgt. Er nickte, aber statt einer Antwort wurde seine Mimik plötzlich sehr ernst und konzentriert. Gerade wollte ich ihn nach dem Grund fragen, da bemerkte ich, dass er anscheinend auf irgendein Geräusch achtete, welches ich aber nicht hören konnte. Auch Tsain-tonkee wirkte jetzt sehr angespannt und stand langsam auf. In diesem Moment konnte ich auch das Rascheln hören, welches untrüglich auf Menschen hinwiesen, die sich uns näherten. Winnetou war sofort auf den Beinen und wollte gerade sein Gewehr an sich nehmen, als eine Stimme laut rief: „Hände weg von den Waffen! Wird’s bald!“ Ich hatte meinen Revolver schon aus dem Gürtel gezogen, ließ ihn aber jetzt langsam zu Boden sinken. Wir hatten uns so sehr auf den Zustand meines Freundes konzentriert, dass wir die nötige Vorsicht in den letzten Minuten völlig außer Acht gelassen hatten. Kapitel 28: Überfall -------------------- Zwischen den Bäumen traten zwei Männer hervor, denen man auf dem ersten Blick ansah, dass es Schurken waren. Ihre Gesichtszüge wirkten brutal, und die Revolver, die sie im Anschlag hatten und damit auf uns zielten, verhießen nichts Gutes. „Na, sieh mal einer an, wen haben wir denn da?“ begann der erste mit vor Spott triefender Stimme. Der zweite ergänzte: „Zwei dreckige Rothäute - und ein Weißer, wie aus dem Ei gepellt! Ein Sonntagsjäger, he?“ Mein Freund und ich sahen uns an, dann fragte ich: „Wer seid Ihr und was wollt Ihr?“ Die beiden begannen lauthals zu lachen, und der erste fragte seinen Kumpanen: „Was wir hier wollen, fragt der Kerl! Was sagst du dazu, Wayne?“ Dieser entgegnete: „Der Witz des Tages, Tom! Eure Gewehre, Eure Pferde, und was ihr sonst noch so dabei habt, nichts weiter wollen wir!“ Tsain-tonkee ergriff jetzt das Wort: „Der Unteranführer der Geierbanditen wird nichts erhalten, sondern gleich froh sein, wenn er mit seinem Leben davon kommt!“ Aha, das war also der noch fehlende Anführer! Vielleicht kamen die Banditen von einem Kundschafterritt zurück, oder von der Jagd. Der Unteranführer sah den Mescalero einen Moment lang finster an, richtete dann urplötzlich seinen schon gespannten Revolver auf ihn und wollte sofort abdrücken, aber Winnetou war schneller. Er fiel dem Banditen in den Arm, der Schuss löste sich, traf aber nur den Baumstamm neben Tsain-tonkee. Jetzt überschlugen sich die Ereignisse. Der Mescalero hatte im gleichen Augenblick schon eine Ausweichbewegung getan, und zwar in Richtung des zweiten Verbrechers, um diesen anzugreifen. Winnetou hatte im nächsten Moment dem Unteranführer die Waffe entrissen und hieb ihm jetzt seine Faust in den Nacken, dass er sofort leblos zusammenbrach. Auch ich war nicht untätig geblieben und hatte mich zur gleichen Zeit auf den zweiten Banditen namens Tom gestürzt. Ich hätte ihn auch zeitgleich mit Tsain-tonkee erreicht, wenn der Schurke nicht selber einen Sprung nach vorne zu seinem Kumpanen, den Winnetou angegriffen hatte, getan hätte, um diesem beizustehen. In dem Moment, als mein Freund den Unteranführer unschädlich machte, packte Tom seinen Revolver am Lauf, da er zu nahe an Winnetou stand, um ihn noch richtig anvisieren zu können, und ließ den Pistolengriff mit voller Wucht gegen die Schläfe des Apatschen krachen, so dass dieser augenblicklich bewusstlos zu Boden stürzte. Völlig entsetzt hatte ich diese Geschehnisse, die keine fünf Sekunden in Anspruch genommen hatten, verfolgt, und jetzt überkam mich eine Wut, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte. Geier! Und ein weiteres Mal musste Winnetou unter ihnen leiden! Ich hatte ihnen schon oft genug Rache geschworen, und dieser Kerl hier würde mir nun für alles Leid meines Freundes büßen müssen, soviel war sicher! Ich bemühte mich erst gar nicht, eine meiner Waffen zum Einsatz kommen zu lassen, das war mir der Halunke gar nicht wert. Ich drang mit meinen Fäusten auf ihn ein, entriss ihm die Waffe und begann, meine gesamte aufgestaute Wut der letzten Zeit in ihn hinein zu prügeln. Eigentlich hatte er schon nach den ersten Schlägen genug, er stöhnte, schrie, flehte um Gnade, ich aber hörte nicht auf, ihm immer und immer wieder meine Faust gegen den Kopf, ins Gesicht, in den Magen zu rammen. Ich kannte mich nicht. Irgendwann lag er bewegungslos am Boden, aber ich hätte noch weiter auf ihn eingeschlagen, wenn Tsain-tonkee, der mich vorher wohl ein, zweimal gerufen hatte, ohne bei mir Gehör zu finden, mich nicht von dem Banditen weggerissen hätte. Schwer atmend, immer noch voller Groll, nein, außer mir vor Wut, wandte ich mich von dem Kerl ab und kniete bei meinem Freund nieder, der regungslos am Boden lag. Ich erkannte auf den ersten Blick, dass der Zustand des Apatschen ernst war. Mein Zorn war sofort völlig verraucht, zurück blieb eine mir leider nur zu gut bekannte Todesangst um meinen Freund. Er atmete ganz flach, sein Puls war so gut wie nicht mehr zu spüren. Ich legte meine Hand direkt auf sein Herz, auch hier das gleiche, erschreckende Ergebnis. Er blutete aus einer Platzwunde an der Schläfe, diesmal war es die rechte Seite. Ich hatte ja deutlich gesehen, mit welcher Wucht ihn der Revolvergriff getroffen hatte, und mein Herz wurde mir schwer. Wie um alles in der Welt sollten wir ihm Hilfe bringen? Ich selber konnte nicht viel tun, und wenn ich auch in medizinischer Hinsicht nicht so bewandert war, so wusste ich doch, dass mit solchen Kopfverletzungen durchaus nicht zu spaßen war und ein Transport zurück zu Helmers Home für Winnetou lebensgefährlich werden konnte. Was also tun? Tsain-tonkee bewegten natürlich dieselben Gedanken, und er war es dann auch, der den vielleicht rettenden Vorschlag machte. Auf seinem kurz nach unserer Ankunft erfolgtem Rundgang hatte er eine kleine Grotte bemerkt, die aus mehreren übereinander getürmten Steinplatten bestand und mit Bäumen bewachsen war. Sie befand sich in der Nähe des Wassers und konnte durch Zweige und Büsche so geschlossen werden, dass man von außen nicht ahnen würde, dass sich dahinter jemand verbarg. Dorthin wollte er Winnetou bringen und sich dann schnellstmöglich auf den Weg zur Farm machen, um Hilfe zu holen, während ich bei meinem Freund bleiben sollte. Unsere Pferde konnten wir im Schutz der Bäume nahe der Grotte angehobbelt stehen lassen; sie würden uns auch zusätzliche Sicherheit bieten, denn jede Annäherung eines fremden Wesens machten sie uns durch leises Schnauben deutlich. Das war vorhin, als die Banditen sich uns genähert hatten, wahrscheinlich auch geschehen, aber erstens hatten sich die Tiere etwas weiter von uns entfernt am Wasser befunden, und zweitens war unsere Aufmerksamkeit nur auf Winnetou gerichtet gewesen, so dass wir das entfernte Schnauben mit Sicherheit schlicht und ergreifend überhört hatten. Wir setzten unser Vorhaben sofort in die Tat um und trugen den Apatschen mit äußerster Vorsicht, um seinen Kopf auf jeden Fall zu schonen, in das neue Versteck. Während ich es ihm drinnen so bequem wie möglich machte, sicherte der Mescalero die Grotte von außen, hobbelte unsere Pferde an und machte sich dann im Eiltempo auf den Weg. Wir waren hier ungefähr noch sechs Stunden von der Farm entfernt, also in frühestens zwölf Stunden konnte ich mit Hilfe rechnen. Würde Winnetou bis dahin durchhalten? Was sollte ich tun, wenn sein Kreislauf jetzt vollends zusammenbrach? Ich hatte noch eine Medikamentenportion bei mir, die mir der Doktor für diesen Fall mitgegeben hatte. Da es aber noch nicht allzu lange her war, dass ich meinem Freund die erste verabreicht hatte, und er noch eine lange Zeit würde durchhalten müssen, beschloss ich abzuwarten, um für den Fall, dass sein Zustand sich weiter verschlechterte, noch eine Maßnahme zur Hand zu haben. Dass ich in den nun folgenden Stunden vor Angst und Sorge um ihn fast verging, kann man sich wohl denken. Ich hatte einen Wasserschlauch mit in die Grotte genommen und kühlte jetzt mit dem Wasser immer wieder Winnetous Stirn und Nacken, ohne auch nur den Hauch einer Reaktion von ihm zu erreichen. Meine Hand lag die ganze Zeit auf seinem Herzen, um sofort handeln zu können, sobald sein Herzschlag noch schwächer werden sollte. Ansonsten konnte ich nicht mehr tun als ständig mit ihm zu sprechen, obwohl er mich nicht hörte, oder zu beten. Die Zeit wurde mir endlos lang. Die Minuten zogen sich zu Stunden, die Stunden kamen mir wie Tage vor, und ich konnte nur hoffen, dass nicht zu allem Unglück eine weitere Horde Verbrecher auftauchen würde, um uns das Leben noch schwerer zu machen. Zudem betete ich darum, dass Tsain-tonkee bis zur Farm durchkam, ohne unterwegs auf Banditen zu stoßen und schlimmstenfalls überwältigt zu werden. Zwischendurch machte ich mir fürchterliche Vorwürfe, dass ich die Begleitung meines Blutsbruders überhaupt zugelassen hatte, obwohl ich ja eigentlich wissen musste, dass ich ihn dann hätte fesseln und einsperren müssen, um ihn daran zu hindern. Aber im gesunden Zustand wäre er dem Hieb wohl mühelos ausgewichen, und nur der Umstand, dass sein Kreislauf kurz vorher beinahe versagt hatte, hatte es diesem verdammten Banditen so leicht gemacht, ihn niederzuschlagen. Und genau deswegen hatte ich ihn gar nicht erst mitnehmen wollen! Warum musste er trotzdem und vielleicht wider besseren Wissens seinen Kopf unbedingt durchsetzen? Aber kaum hatte dieser Gedanke Raum gefunden, schalt ich mich selber sofort einen ungerechten Narren. Winnetou hatte doch recht gehabt, wie hätte ich mich wohl an seiner Stelle verhalten? Im Gegensatz zu ihm wäre ich wahrscheinlich schon viel eher leichtsinnig geworden, da ich niemals diese manchmal engelsgleiche Geduld des Apatschen hätte aufbringen können. Wie um ihn für meine törichten Gedanken um Verzeihung zu bitten, küsste ich ihm die Stirn, und in diesem Augenblick begann er, sich zu regen. Ich war sofort wie elektrisiert, dachte im gleichen Moment an seine Hilfsmaßnahme, als ich vor einer gefühlten Ewigkeit besinnungslos am Boden gelegen hatte, und begann direkt wieder, seine Stirn und seinen Nacken zu kühlen, im Gegensatz zu ihm aber mit Wasser. Ein kurzes Aufstöhnen war die Reaktion, und sein Gesicht nahm einen schmerzverzerrten Ausdruck an. Ich benetzte das Stück Stoff, dass ich von einer Decke gerissen hatte, nochmals mit frischem Wasser und legte es ihm direkt auf die Stirnwunde, in der Hoffnung, ihm damit etwas Linderung zu schaffen. Dann rief ich ihn leise beim Namen, ich musste unbedingt wissen, wie und in welcher Form er reagieren würde, da Kopfverletzungen ja immer die große Gefahr von Gedächtnisverlusten oder noch viel schlimmeren Folgen bargen. Jetzt begann er zu blinzeln, und einen Moment später öffnete er die Augen. Allein an ihrem Ausdruck konnte ich sehen, dass er mich erkannte, und kurz darauf verzogen sich seine Mundwinkel zur Andeutung eines leichten, aber gequält wirkenden Lächelns. Ich wollte es erwidern, aber meine Anspannung und meine Angst um ihn waren zu groß, so dass es mir nicht recht gelingen mochte. Winnetou machte gar nicht erst den Versuch, zu sprechen, vielleicht war er sich bewusst, dass es ihm sowieso nicht gelingen würde, und mir wurde dadurch überdeutlich klar, wie schlecht es ihm jetzt ging, wie geschwächt er war und dass er wahrscheinlich große Schmerzen hatte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als irgendwie zu versuchen, ihm etwas Trost zu spenden, und so flüsterte ich ihm zu: „Hab keine Sorge, mein Bruder, Hilfe ist unterwegs und wird bald hier sein. Im Moment sind wir sicher, es besteht keine Gefahr!“ Als Antwort drückte er meine Hand und sah mich stumm an, signalisierte mir mit seinen Augen, diesen unglaublichen Augen, dass er mich verstanden hatte, dass ich mir nicht so viele Sorgen machen sollte, dass es ihm leid tat, mir wieder Kummer bereiten zu müssen. Ich konnte seine Gedanken förmlich fühlen. Um ihn zu beruhigen, nahm ich ihn unendlich vorsichtig in die Arme und blieb, mein Gesicht in seiner Halsbeuge verborgen, so lange in dieser Stellung, bis endlich Hilfe von den Gefährten eintraf, und das sogar fast zwei Stunden früher als gedacht! Angekommen waren alle Apatschen, von denen es sich keiner hatte nehmen lassen wollen, seinem Häuptling zu Hilfe zu eilen, sowie Old Surehand, Old Firehand, Emery und der Bärenjäger Baumann, die einen wahren Gewaltritt hingelegt hatten, um so schnell wie möglich zu Winnetou und mir zu gelangen. Im Schlepptau hatten sie Dr. Hendrick dabei, der es irgendwie geschafft hatte, trotz seiner nicht gerade berauschenden Reitkünste mitzuhalten, jetzt aber leise ächzend und völlig steif aus dem Sattel glitt und ungelenk auf uns zu wankte. Alle anderen Westmänner hatten zwar auch unbedingt mitkommen wollen, aber irgendwer musste auch die Farm und den Treck schützen, und so waren sie schweren Herzens zurückgeblieben. Ich war grenzenlos erleichtert, als ich den Doktor kommen sah. Dieser hatte beim Anblick Winnetous seine von dem Ritt schmerzenden Muskeln schnell vergessen, er kümmerte sich sofort um meinen Freund. Vorsorglich hatte er alles medizinische Material mitgebracht, was ihm zur Verfügung stand, und so konnte er Winnetou gründlich untersuchen und direkt mit seiner Behandlung beginnen. Mein Freund hatte schon in meinen Armen wieder die Besinnung verloren, worüber ich fast froh war, denn so spürte er wenigstens keine Schmerzen, als der Arzt seine Wunden säuberte und behandelte. Bei den Verletzungen an Winnetous Hüfte und Taille braucht er allerdings nicht mehr viel tun, da hatte Tsain-tonkee schon sehr gut vorgearbeitet. Hendrick wollte genauestens wissen, wie mein Freund reagiert hatte, als er erwacht war, und schien mit meiner Auskunft einigermaßen zufrieden. Dieses galt allerdings nicht für die Vitalwerte des Apatschen, für Herzschlag, Puls und Atmung, dass konnte ich ihm sofort ansehen. Ich belästigte ihn jetzt aber nicht mit meinen Fragen, sondern ließ ihn in Ruhe seine Arbeit tun, wohl wissend, dass er mir anschließend genauestens Auskunft erteilen würde. Mittlerweile war der Morgen angebrochen, so dass es leichter war, die Umgebung völlig abzusichern. Die Apatschen hatten im Nu ein provisorisches Lager aufgebaut, sie hatten sogar ein Zelt dabei, dass sie mit Fellen und Decken ausstaffierten, um ihrem Häuptling ein bestmöglichstes Lager zu bereiten. Der Arzt wollte Winnetou wieder mit einer Infusion versorgen, deshalb trugen wir ihn sofort, diesmal mit sechs Personen, vorsichtig in das Zelt und betteten ihn behutsam in die Felle. Hier vollendete der Doktor seine Arbeit, verabreichte seinem Patienten noch zwei Spritzen, legte die Infusion und sah mich dann mit einem jetzt doch etwas erleichtertem Ausdruck im Gesicht an. „Es ist ein Segen, dass Ihr ihm, bevor er verletzt wurde, das Medikament zur Unterstützung des Kreislaufes verabreicht habt, Mr. Shatterhand“, begann er. „Das wäre nämlich während seiner anschließenden Bewusstlosigkeit nicht mehr möglich gewesen. Diese war und ist so tief, dass sein Blutdruck jetzt schon unglaublich niedrig ist. Ohne die Medizin wäre es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit zu einem kompletten Kreislaufversagen gekommen, und ob Ihr dann noch etwas hättet tun können? Ich glaube nicht!“ Er zögerte kurz, bevor er weiter redete: „Die Verletzungen an Taille und Hüfte sind nicht gefährlich, auch der Blutverlust war eigentlich gering und wird jetzt durch die Infusionen in Kürze wieder ausgeglichen sein. Allerdings nehmen die Wunden doch eine relativ große Fläche ein, und er wird daher noch einige Zeit vermehrt Schmerzen haben. Bei der Kopfverletzung allerdings werden wir abwarten müssen!“ „Was heißt das?“, fragte ich angespannt. „Die ersten vierundzwanzig Stunden danach sind erfahrungsgemäß immer etwas kritisch“, antwortete er. „Man kann halt nie genau wissen, ob es nicht doch zu inneren Blutungen kommt. Wir müssen sehen, wie lange es dauert, bis er wieder zu sich kommt, und wie er danach reagiert, ob er sich an alles erinnert, ob Sprache oder Motorik in Mitleidenschaft gezogen wurden.... Aber Eure Beobachtungen von vorhin geben mir da doch einiges an Hoffnung!“ Ich konnte nur stumm nicken und machte mich darauf gefasst, wieder einmal eine längere Zeit mit Bangen und Hoffen verbringen zu müssen. Der Doktor teilte wohl meine Gedanken; er hielt Winnetous Hand in der seinigen, sah ihn gedankenverloren an und meinte dann: „Und dabei hat er mir versprochen, vorsichtig zu sein....“ Ich lächelte matt, als ich ihm entgegnete: „Er war vorsichtig, wirklich mehr als vorsichtig, Doktor, aber manchmal hilft halt auch die größte Umsicht nicht mehr weiter!“ „Ja, da habt Ihr wohl recht“, entgegnete er, „ich möchte ihm ja auch keinerlei Vorwürfe machen. Er ist ein solch bewundernswerter Mensch und verdient allerhöchsten Respekt. Es ist halt nur so schwer für diejenigen, die ihn gern haben oder lieben, dabei zuzusehen, wenn er so gequält wird!“ Da konnte ich ihm nur von ganzem Herzen zustimmen. Jetzt begann also wieder eine Zeit des Wartens, in der ich aber von allen Gefährten unterstützt wurde. Tsain-tonkee hatte ihnen schon alles Wichtige mitgeteilt, und somit wussten sie, dass wir noch fast drei volle Tage Zeit hatten, uns gegen den Angriff der Geier zu wappnen. Jeder von uns trug wohl schon einen Plan oder zumindest eine Idee mit sich herum, aber im Moment war uns Winnetou wichtiger als alles andere, und deswegen hatte keiner großartiges Interesse an einer Besprechung für den Gegenschlag. Surehand und Firehand hatten mit einigen Apatschen die Gegend nach etwaigen versprengten Banditen abgesucht, aber keinerlei Spuren außer unseren und denen unserer Angreifer gefunden. Im Moment wurde vor allem darauf geachtet, nicht von weiteren Bandenmitgliedern entdeckt zu werden. Die Geier durften auf keinen Fall erfahren, dass wir in der Nähe waren und sogar ihren Plan kannten! Sie würden sich zwar über die zwei gefesselten Posten in der Nähe der gebrochenen Brücke wundern, aber diese hatten uns nicht erkannt und würden höchstwahrscheinlich keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Vorfall und der Farm ziehen, da sie ja nicht ahnten, dass wir ihr neues Versteck kannten, dass wir ihnen überhaupt auf den Fersen waren. Der Unteranführer, den Winnetou unschädlich gemacht hatte, war wohl mittlerweile wieder bei Bewusstsein, aber der Doktor, der ihn sich kurz angesehen hatte, meinte, dass der von Winnetou verursachte Nackenschlag offenbar schwerwiegende Folgen gehabt hatte. Der Schurke wirkte nämlich völlig verwirrt, war nicht mehr Herr seiner Sinne. Sein Komplize, den ich buchstäblich in Grund und Boden geprügelt hatte, lebte nicht mehr – ich hatte ihn tatsächlich erschlagen! Ich muss gestehen, dass sich in mir so gut wie kein Mitgefühl regte, mit keinem von beiden, dazu hatten sie anderen Menschen zu oft grausam mitgespielt, zuletzt meinem Winnetou, was ich absolut nicht ohne Strafe durchgehen lassen wollte, und die hatten sie jetzt erhalten, zumindest zwei von ihnen. Ungefähr gegen zehn Uhr am Vormittag hatte das bange Warten ein Ende. Emery und ich saßen zu diesem Zeitpunkt alleine im Zelt, wobei ich wohl kurz eingenickt war, da die zwei Nächte ohne Schlaf allmählich ihren Tribut forderten. Ich schrak auf, als Emery mich mehrere Male kurz an der Schulter rüttelte. Er zeigte auf meinen Freund, und im Nu war ich hellwach. Dieser bewegte sich, griff sich mit der Hand an die verletzte Stirn, und seine gequält wirkende Miene zeigte mir deutlich, dass er Schmerzen hatte. Sofort begann ich wieder, Stirn und Nacken mit Wasser zu kühlen, so behutsam und vorsichtig wie möglich. Emery verschwand eiligst aus dem Zelt, um den Doktor zu holen. Kaum war dieser an meiner Seite, schlug Winnetou die Augen auf, sah mich, sah den Doktor, und jetzt war in seinem Gesicht eine leichte Verwunderung abzulesen. Um zu sehen, wie und auf was er reagierte, rief ich ihn leise beim Namen. Sein Blick traf mich wieder, und er flüsterte: „Scharlih...“ Er hob seine Hand, strich mir sanft über die Wange und seine Stimme war voller Mitgefühl, als er ganz leise weitersprach: „Du siehst so müde aus ….will mein Bruder sich nicht legen und versuchen, etwas Schlaf nachzuholen?“ Völlig gerührt und wirklich sprachlos über soviel Selbstlosigkeit starrte ich ihn an; sah es in seinen Augen, dass er sich tatsächlich nur Sorgen um mich machte und über seinen Zustand überhaupt nicht nachdachte, was er mir mit seinen nächsten Worten, die er jetzt an den Doktor richtete, auch gleich bewies: „Hat mein weißer Bruder sich die Wunde Old Shatterhands angesehen? Winnetou glaubt nicht, dass diese so harmlos ist, wie sein Bruder es behauptet!“ Absolut fassungslos blickte ich Hendrick an, der allerdings erst einmal sichtlich erleichtert aufatmete. Der Grund war klar; an Winnetous Reaktion war deutlich zu sehen, dass der Schlag offenbar keine, zumindest für den Moment sichtbaren, schwerwiegenden Folgen gehabt hatte. Er konnte sich an alles erinnern und hatte anscheinend auch sonst keine anderweitigen Ausfälle. Dass ihn allerdings starke Schmerzen plagten, konnte sogar der Arzt ihm ansehen, obwohl mein Freund sich alle Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen. Also beruhigte der Doktor ihn zuerst, indem er ihm erklärte, dass meine Beule am Hinterkopf völlig harmlos sei; davon hatte er sich kurz nach seiner Ankunft auch wirklich überzeugt. Anschließend klärten wir ihn mit wenigen Worten über die Geschehnisse nach seiner Verletzung auf. Als nächstes wies Hendrick mich an, Winnetous Kopf weiterhin mit Wasser zu kühlen, um ihm möglichst viel Linderung zu verschaffen, bis das Schmerzmittel, was er ihm jetzt verabreichte, zu wirken beginnen würde. Ich befolgte sofort seine Anordnungen, und als ich die Schläfen des Apatschen wieder vorsichtig mit Wasser benetzte, hatte der doch tatsächlich trotz seiner Pein den Schalk im Nacken sitzen, als er mich fragte: „War kein Feuerwasser mehr vorhanden?“ In diesem Moment hatte ich allergrößte Mühe, nicht laut loszuprusten, konnte aber ein leises Lachen nicht verhindern. Mit dieser Bemerkung hatte er mich jetzt wirklich überrascht – so etwas war ich von meinem Freund eigentlich gar nicht gewohnt, schon gar nicht in seinem Zustand! Ihm huschte jetzt auch ein schelmisches Lächeln über sein vom Schmerz gezeichnetes Antlitz. Der Doktor schaute nun leicht irritiert von einem zum anderen, so dass ich ihn lieber über Winnetous erfolgreiche Behandlung mit dem billigen Schnaps aufklärte, bevor er sich darüber Gedanken machen konnte, ob uns beiden die Kopfverletzungen doch mehr geschadet hatten als zuerst vermutet. Hendrick lachte jetzt auch leise in sich hinein und ging dann auf unseren scherzhaften Ton ein, indem er behauptete: „Und ich dachte schon, Ihr hättet zwischendurch einen über den Durst getrunken, Mr. Shatterhand! Dem Geruch nach war das zumindest ziemlich naheliegend...“ Winnetous Mundwinkel zuckten, er schien alle Mühe zu haben, ein Lachen zu unterdrücken. Das ließ ich dafür jetzt um so lauter hören, vor allem aus der großen Erleichterung und Freude heraus, dass er so positiv reagierte und sich aller Voraussicht nach auch von diesen Verletzungen wieder vollständig erholen würde. Bis dahin wollte ich alles in meiner Macht stehende tun, um ihm irgendwie zu helfen, seine Schmerzen zu lindern. Als der Arzt ein paar Minuten später das Zelt verließ, fragte ich darum auch meinen Freund: „Gibt es irgendetwas, was ich für dich tun kann, um es dir leichter zu machen?“ Er deutete leise lächelnd ein Kopfschütteln an, hielt aber jetzt die Augen geschlossen. „Bleib einfach bei mir. Sei einfach nur da, dann ist alles gut!“ Ich spürte ein Brennen in meinen Augen, meine Kehle schnürte sich zu vor Rührung über diese Worte. Soviel Liebe zu mir, soviel Vertrauen sprachen aus ihnen, und ich musste mich wirklich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Ich flüsterte ihm mit merklich belegter Stimme zu: „Ich werde dich nie wieder alleine lassen, das habe ich schon einmal gesagt. Du weißt, ich schwöre nie, mein Wort ist wie ein Schwur, aber so ernst ist es mir damit noch nie gewesen: ich bleibe für immer an deiner Seite!“ Wie sehr ihn das berührte, konnte ich daran sehen, dass ihm nun auch eine Träne die Wangen herunter lief, die ich ihm am liebsten weggeküsst hätte. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass wir nun einmal nicht alleine waren, begnügte ich mich damit, sie ihm liebevoll mit meinem Daumen ganz sachte fort zu wischen, dann zog ich ihn noch mehr in meine Arme, hielt ihn fest, versuchte, ihm soviel Geborgenheit wie möglich zu schenken. So verging einige Zeit, und irgendwann bemerkte ich, dass mein Freund ruhig atmend und fast entspannt wirkend vor sich hin sah, ohne eigentlich irgendetwas wahrzunehmen, er schien eher innerlich in die Ferne zu schauen. Ich war so unendlich dankbar, dass ich es sein durfte, der diesem herrlichen Menschen, diesem Engel auf Erden soviel Ruhe, Liebe, Geborgenheit und Trost schenken konnte und er es auch von mir annahm, wie er es sonst von keinem annehmen würde! Ich konnte die ganze Zeit über meinen Blick nicht von seinem männlich schönen Antlitz lösen, und so bekam ich auch mit, wie auf einmal ein leises Lächeln seine Mundwinkel umspielte. „An was denkst du, mein Bruder?“ fragte ich sofort. Sein Lächeln wurde tiefer, seine Augen schlossen sich, als er mit einem sanften Ausdruck in der Stimme antwortete: „An unser wunderbares Bad im Fluss bei unserem ersten Ausritt ...und vor allem an das Sonnenbad danach – mit allem, was dazu gehörte....“ Ich konnte im ersten Moment nicht glauben, was ich da hörte. Trotz dieser widrigen Umstände, trotz seiner Schmerzen, trotz der drohenden Gefahr dachte er jetzt an so etwas? Aber trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen ließ ich mich von seiner Stimmung anstecken. Ich sah mich rasch um, ob auch wirklich niemand in direkter Nähe war, dann beugte ich mich ganz nah an sein Ohr und flüsterte, nein, hauchte ihm eher zu, dass er leicht erschauerte: „Wenn wir jetzt alleine wären …..du ahnst ja gar nicht, was ich dann mit dir alles anstellen würde...“ „So hoffe ich doch, dass wir bald wieder die Möglichkeit haben, alleine zu sein“, antwortete er. Ich konnte nicht anders, ich musste jetzt doch leise lachen. Im nächsten Augenblick spiegelte sich nochmals ein äußerst schelmischer Ausdruck in seinem Gesicht wider, er öffnete die Augen, sah mich an und fragte schmunzelnd: „Du wunderst dich, wie ich jetzt an so etwas denken kann?“ „Nein“, entgegnete ich wahrheitsgemäß. „Ich freue mich einfach nur darüber. Es zeigt mir nämlich ganz deutlich, dass uns gerade vor Augen geführt wird, wie sehr es sich doch lohnt, zu leben. Dass das Leben trotz immer wiederkehrender Kriege, Hass, Gewalt, Tod und Verrat einfach viel zu viele schöne Momente bietet, um für das Überleben zu kämpfen, um für den Anderen zu kämpfen. Und ich bin so unendlich froh über dieses Glück, dass du dein Leben mit mir teilst, dass ich mein Leben mit dir teilen darf!“ In seine Augen trat ein erhöhter Glanz, als er antwortete: „Scharlih spricht die richtigen Worte, genauso denkt Winnetou auch, und er ist ebenfalls dem großen Manitou unendlich dankbar, dass er dich zu mir geführt hat, weil du alles für mich bist!“ Ich drückte ihn fest an mich, außer mir vor Freude über das Glück, diesen wundervollen Menschen lieben zu dürfen und vor allem von ihm geliebt zu werden! Kapitel 29: Ein Weg vor Schmerzen --------------------------------- Wenige Minuten später betrat Hendrick wieder das Zelt und erkundigte sich als erstes bei dem Apatschen, ob die Schmerzen nachgelassen hätten. Dieser antwortete, jetzt selbst fast schon ein wenig überrascht wirkend: „Winnetou spürt im Augenblick keine Schmerzen. Kann mein weißer Bruder Wunder bewirken?“ „Nicht, dass ich wüsste“, entgegnete dieser schmunzelnd, „ich hatte nur glücklicherweise die richtigen Medikamente dabei. Allerdings kann ich nicht so ganz glauben, dass Ihr wirklich völlig schmerzfrei seid ...“ Bevor Winnetou irgendetwas darauf erwidern konnte, unterbrach Hendrick ihn sofort: „...aber lassen wir das, mittlerweile kenne ich Euch ja. Doch Ihr solltet Euch wirklich darüber im Klaren sein, welch unfassbares Glück Ihr mit dieser neuerlichen Kopfverletzung gehabt hattet! So wie ich das ersehen kann, muss der Schlag eine immense Wucht gehabt haben, das hätten viele andere gar nicht überlebt. Zum Glück ist jetzt die andere Stirnseite betroffen und nicht noch einmal die erste Wunde, das wäre wahrscheinlich fatal gewesen.“ Mein Freund maß ihn daraufhin mit einem undefinierbaren Blick und antwortete einen Moment später im vollsten Ernst: „Winnetou wollte wieder ein Gleichgewicht an seinem Äußeren herstellen!“ Der Doktor brauchte einen Augenblick, um den Witz in diesen Worten zu erfassen, dann überkam ihn solch ein Lachanfall, dass er sich mit Tränen in den Augen auf den Boden setzen und einige Minuten vergehen lassen musste, bevor er sich einigermaßen wieder in der Gewalt hatte. Ich fiel sofort mit ein, denn zwischendurch hatte ich manchmal fast den Eindruck gehabt, dass ich dieses Wechselbad der Gefühle aus Angst, Wut, Freude und Sorge der letzten Stunden nicht mehr lange würde aushalten können, ohne ihnen irgendwie laut Ausdruck verleihen zu müssen, weshalb ich jetzt auch Schwierigkeiten hatte, wieder ernst zu werden. Winnetou erkundigte sich, nachdem wir uns halbwegs wieder gesammelt hatten, noch einmal genauer über die Ereignisse, die er nicht mitbekommen hatte, und fragte dann, ob sein Unterhäuptling auch in der Nähe sei. Ich bejahte, und er begann, über eine Möglichkeit der Verteidigung vor den Geiern nachzudenken: „Es wäre vielleicht gut, wenn wir durch die Postenkette von Entschah-koh unseren Kriegern im Dorf Nachricht zukommen ließen. Sie werden es nicht mehr rechtzeitig bis zum Angriff zur Farm schaffen, könnten aber kurz danach eintreffen und Hilfe und Unterstützung bringen!“ Das war ein sehr guter Gedanke, wie ich fand, und so ließen wir sofort den Unterhäuptling sowie Firehand, Surehand, Emery und Baumann kommen, um mit ihnen diese Möglichkeit zu besprechen. Alle waren sofort von dem großen Nutzen dieser Idee überzeugt, und so machte sich Entschah-koh nach einer kurzen Verabschiedung sofort auf den Weg zu dem nächsten Posten. Er wollte diesem die Nachricht weitergeben und dann so schnell wie möglich wieder zur Farm zurückkehren, um auf jeden Fall an dem zu erwartenden Kampf teilnehmen zu können. Mir war es in diesen Tagen mehr als deutlich geworden, wie viel dem Unterhäuptling an Winnetou lag, und deshalb konnte ich gut verstehen, dass er unbedingt in den gefährlichen Stunden an dessen Seite bleiben wollte. Nachdem er das Zelt verlassen hatte, unterhielten wir uns noch weiter über die vergangenen Stunden, und so erfuhr Winnetou jetzt auch, dass ich den Banditen, der ihn niedergeschlagen hatte, nicht nur überwältigt, sondern in meiner Wut sogar getötet hatte. Der Blick, den er mir daraufhin zuwarf, drückte seine widersprüchlichen Gefühle – Erstaunen, Verständnis, Dankbarkeit, oder vielleicht sogar Tadel? - aus, denn so kannte er mich gar nicht, aber er verstand vollends die besondere Situation und die Gefühlslage, in der ich mich befunden hatte, und drückte meine Hand nur noch fester. Ich selbst hatte für mich auch schon über meine Tat nachgedacht. Es war sonst mit Sicherheit nicht meine Art, auf einen Menschen einzuprügeln, der schon am Boden lag und um Gnade bettelte, und ich war im Nachhinein wirklich entsetzt über diese Rohheit, die ich an anderen so verachtete – aber ich konnte die Zeit nicht mehr zurückdrehen und hoffte, dass ich nie wieder in eine solche Lage kommen würde. Zu guter Letzt überlegten wir mit dem Arzt, wann und wie wir jetzt am besten zur Farm zurückkehren konnten, ohne Winnetou erneut in gesundheitliche Gefahr zu bringen. Dieser war natürlich davon überzeugt, nach einer kurzen Ruhepause so wie immer auf seinem Iltschi zurück reiten zu können, musste aber feststellen, dass die anderen davon nicht viel hielten. „Ihr benötigt jetzt mindestens zwei Tage lang nochmals absolute Schonung und Erholung, denn vor allem die Kopfverletzung birgt zu viele Gefahren, was Spätfolgen anbelangt, wenn man diese Ruhe nicht einhält!“ machte ihm der Arzt eindringlich klar. Ihm wäre es am liebsten gewesen, wenn wir meinen Freund auf einer Trage, die wir zwischen zwei Pferden anbringen konnten, transportieren würden. Dieses Ansinnen wehrte Winnetou aber vehement ab. Natürlich, wenn er weiterhin ohne Bewusstsein gewesen wäre, dann wäre diese Möglichkeit die einzig richtige gewesen, aber in seinem jetzigen Zustand wollte er auf jeden Fall aufrecht auf seinem Pferd sitzend zurückkehren, alles andere ließ sein Stolz nicht zu, und da konnte ich ihn mehr als gut verstehen - mir wäre es nicht anders gegangen. Um den Doktor, der über seine Entscheidung mal wieder nicht sehr glücklich wirkte, zu beruhigen, machte Winnetou ihm unsere Hengste schmackhaft, wiederum mit einem kaum merklichen Zucken um seine Mundwinkel herum. „Mein weißer Bruder wird sehen, dass der Lauf meines Pferdes ein sehr ruhiger ist, es wird Winnetou so sanft und sicher wie auf diesem Lager zurück tragen. Um es am eigenen Leib spüren zu können, sollte der Doktor sein Pferd mit dem meines Bruders Scharlih tauschen, so wird auch er ohne Schmerzen zur Farm zurückkehren können!“ Er hatte doch tatsächlich die Folgen des Gewaltrittes an Dr. Hendrick bemerkt und löste durch diese Bemerkung einen abermaligen Lachanfall bei allen Anwesenden aus, die sich im Stillen schon über die alles anderen als sehenswerten Reitkünste des Arztes amüsiert hatten. Nachdem sich alle wieder halbwegs in der Gewalt hatten, versicherte auch ich dem Doktor nochmals, dass Iltschi Winnetou schonender heimbringen würde als jede Trage oder sonstiges Konstrukt, und so wirkte er dann auch einigermaßen beruhigt, bestand aber jetzt darauf, dass außer mir alle Anwesenden das Zelt verließen, um dem Apatschen – und vielleicht auch mir, zumindest ließ mich sein Blick das vermuten – wenigstens noch etwas Ruhe oder sogar Schlaf zu gönnen. So geschah es auch. Mein Freund schloss die Augen und war tatsächlich kurze Zeit später eingeschlafen, und auch ich konnte mich jetzt, nachdem meine Sorge und Angst um ihn deutlich nachgelassen hatte, in Morpheus berühmte Arme begeben. Als ich erwachte, war es früher Nachmittag. Die paar Stunden Schlaf hatten mir äußerst gut getan, ich fühlte mich frisch und munter und wieder in der Lage, den kommenden drohenden Gefahren mutig ins Auge zu blicken. Winnetou lag, noch tief schlafend und völlig entspannt wirkend, ruhig atmend in meinen Armen, und das Glücksgefühl, das ich empfand, weil er wieder dem Tod getrotzt hatte und ich jetzt bei ihm sein konnte, überwältigte mich mit aller Macht. Ich fühlte auch eine große Zuversicht in Hinblick auf die kommenden Tage, da wir eindeutig im Vorteil waren, denn wir kannten den Plan der Geier und konnten uns in aller Ruhe darauf einstellen. Mit etwas Glück würden wir die ganze Bande vernichten, und dann konnte ich mit meinem Freund zum Pueblo der Apatschen zurückkehren, wo wir endlich einmal, so hoffte ich zumindest, in Ruhe und Frieden leben würden – zusammen! Ich hielt Winnetou weiterhin fest in meinen Armen und sann über unsere bevorstehende gemeinsame Zukunft nach, als Old Surehand leise und vorsichtig das Zelt betrat. Er warf einen Blick auf meinen Freund und flüsterte: „Schläft er noch?“ Ich nickte nur, und er sah mir mein momentanes Glück und meine Zufriedenheit wohl an. „Es ist einfach ein Segen, dass du ausgerechnet in diesen Tagen in den Westen zurückgekehrt bist“, fuhr er mit leiser Stimme fort. Meinen nun etwas verwunderten Blick bemerkend, ergänzte er: „Man sieht es ihm doch an, wie gut du ihm tust. Nur dir kann er vollkommen seine Seele öffnen, dass würde ihm bei niemand anderem gelingen. Und das hilft ja nicht nur ihm, sondern auch seinem ganzen Volk!“ Ich sah ihn fragend an, und so erklärte er mir seine Gedanken: „Ich habe das doch richtig verstanden: Du hast vor, bei ihm zu bleiben, für immer?“ „Ja, das ist richtig“, entgegnete ich etwas zögerlich. Worauf wollte er hinaus? „Siehst du, etwas Besseres kann ihm doch gar nicht passieren! Winnetou hat jetzt endlich jemanden, der ihm in diesen schwierigen Zeiten mit Rat und Tat zur Seite steht, dem er vollends vertraut und der ihn stützt, wenn auch er mal gestützt werden muss. Sonst ist er doch immer nur für alle anderen da, für sein Volk, und nicht zuletzt auch für jeden ehrlichen Menschen, der Hilfe sucht. Er gibt immer nur, und es wird Zeit, dass er auch mal nehmen darf! Du gibst ihm somit die Kraft, die er braucht, um als Häuptling seinen Stamm durch die neue Zeit zu führen!“ „Ja, das möchte ich auch wirklich, von ganzem Herzen“, erwiderte ich. „Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass er mich in einem solchen Ausmaß in seine Nähe lässt und ich hoffe, dass ich ihm wirklich eine große Hilfe sein kann!“ Ich hielt leicht erschrocken inne. Hatte ich zu viel verraten? Surehand wirkte aber völlig unbefangen und schien sich einfach nur darüber zu freuen, dass es seinem Freund in Zukunft mit mir zusammen seiner Meinung nach wohl besser ergehen würde; er dachte sich nichts Besonderes dabei, wie er mir mit seiner nächsten Bemerkung auch gleich verriet: „Außerdem gehören die Apatschinnen, wie ja allgemein bekannt ist, zu den schönsten Indianerinnen in ganz Nordamerika, da könntest du dir vielleicht mal den ein oder anderen Blick gönnen!“ Er ließ jetzt ein leicht anzügliches Grinsen sehen und schlug mir dabei seine Hand mit voller Wucht auf die Schulter, ohne an Winnetou zu denken, der ja noch in meinen Armen lag und der jetzt durch die heftige Bewegung erwachte. Unter meinem tadelnden Blick leicht zusammenzuckend, entschuldigte sich Old Surehand sofort bei meinem Freund, der allerdings fast froh über die unfreiwillige Störung zu sein schien, da er so schnell wie möglich zur Farm zurückkehren wollte, um den Siedlern wieder den vollständigen Schutz aller Westmänner und Apatschen bieten zu können. Auch ihm schien der Schlaf gut getan zu haben, er richtete sich jetzt schon selbstständig auf, ohne erkennbare Anzeichen von Schmerzen zu zeigen. Allerdings war ich überzeugt davon, dass diese erstens noch in einem ordentlichen Ausmaß vorhanden waren und er sie jetzt nur überspielte; und zweitens ihm das nur durch die Medikamenten des Arztes möglich gemacht wurde. Außerhalb des Zeltes hatte man uns wohl sprechen hören, weshalb jetzt Hendrick und auch Emery eintraten. Letzterer brachte ein ordentliches Mittagsmahl mit, bestehend aus einigen Präriehühnern, die unsere Gefährten während unserer Ruhepause gejagt und zubereitet hatten. Ich griff beherzt zu, musste aber feststellen, dass Winnetou wohl überhaupt keinen Appetit hatte und sich sichtlich zwingen musste, etwas zu essen, was meiner Sorge um ihn natürlich wieder neue Nahrung gab. Der Arzt hatte diesen Umstand auch bemerkt, sagte aber nichts dazu, da er im Moment einfach nicht mehr tun konnte. Eigentlich durfte man Winnetou diesen Ritt, der uns jetzt bevorstand, gar nicht zumuten, aber hier bleiben konnten wir auch nicht, da die Gefahr, dass wir dann doch noch von Verbrechern entdeckt wurden, einfach zu groß war. Es war wirklich wie die Wahl zwischen Pest und Cholera, und ich wusste, ich würde ein Dankesgebet nach dem anderen gen Himmel schicken, wenn mein Freund die kommenden Stunden überstanden haben und sicher in seinem Bett liegen würde. Dann war es Zeit zum Aufbruch, denn wenn wir uns beeilten, würden wir kurz nach Einbruch der Dunkelheit die Farm erreichen. Der Doktor untersuchte Winnetou nochmals, war mit dem Ergebnis aber jetzt nicht mehr sehr zufrieden, wie ich seiner angespannten Miene entnehmen konnte. Aber es half nichts, wir hatten keine andere Möglichkeit. Der Apatsche stieg trotz seiner schmerzenden Wunden mit seiner üblichen, unnachahmlichen Gewandtheit in den Sattel. Ich saß ebenfalls auf, allerdings auf dem Pferd des Doktors, da dieser tatsächlich auf Winnetous Vorschlag eingegangen war und auf meinen Hatatitla zurückreiten wollte. Er tat das allerdings nicht seiner schmerzenden Muskeln zuliebe, sondern weil er hoffte, so schneller voran zu kommen und auf diese Weise auch meinen Freund eher in Sicherheit zu wissen. Kurze Zeit darauf sah uns die strahlende Nachmittagssonne im Eiltempo über die Prärie jagen. Gesprochen wurde zwar nicht viel, allerdings wurde das Schweigen hier und da von den begeisterten Ausrufen des Arztes unterbrochen, der es gar nicht fassen konnte, dass man auch auf einem Pferd so bequem von einem Ort zum anderen gelangen konnte, woraufhin sich auf allen Gesichtern der Ausdruck mühsam zurückgehaltener Heiterkeit sehen ließ. Selbst mein Winnetou amüsierte sich im Stillen, was ich an seinen belustigten Blicken, die er dem Doktor zuwarf, mühelos ablesen konnte. Insgeheim war ich über jeden Umstand froh, der ihn von seinen Schmerzen ablenkte, von denen ich überzeugt war, dass sie von Meile zu Meile wieder zunahmen. Er hatte sich zwar vollständig unter Kontrolle und ließ nicht das leiseste Anzeichen sehen, was auf diesen Umstand hingewiesen hätte, aber ich konnte es in seinen Augen sehen, und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass wir endlich Helmers Home erreichten. Wie gern hätte ich ihm seine Pein abgenommen! Um seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, hielt ich mich jetzt ganz nahe an seiner Seite und begann ein Gespräch über eine mögliche Abwehrstrategie gegen die Geier. Wie konnten wir den Überfall am effektivsten abwehren? Winnetou hatte darüber auch schon nachgedacht. Für ihn gab es erst einmal zwei Hauptfragen zu klären: Empfingen wir die Banditen auf Helmers Home oder sollten wir sie in ihrer Höhle überfallen? Wir wurden uns schnell einig, dass ein Überfall in den Felsen und der schwer zugänglichen Höhle zu viele Gefahren barg; außerdem würde dann die Farm und der Treck fast schutzlos zurückgelassen werden. Eine andere Frage war, ob wir es zulassen sollten, dass sie sich teilen – also in die erste Gruppe, wahrscheinlich der Hauptteil, die sich im Wald in der Nähe des brennenden Planwagens versteckt halten würden und in die zweite Gruppe, die in dem Moment, in dem die meisten unserer bewaffneten Männer in den Wald stürmen sollten, die Farm überfallen wollten. Oder sollten wir die gesamte Bande vorher schon irgendwo abfangen? Winnetou hielt die zweite Möglichkeit für die bessere, und ich stimmte ihm da vollkommen zu, da wir die Verbrecher damit auch nicht ganz so nah an die Siedler heranlassen würden. Wir konnten somit die Gefahr für sie so niedrig wie möglich halten. Jetzt galt es, einen geeigneten Ort ausfindig zu machen, an dem wir die Schurken überraschen und überwältigen konnten. Mir fiel die kleine Schlucht ein, in der sich die Banditen vor zwei Tagen noch versteckt gehalten hatten, aber die lag etwas abseits von dem direkten Weg von den Felsenhügeln, wo die Bande sich gerade aufhielt, bis zur Farm. Der Ort wäre für einen Gegenschlag perfekt, aber wie sollten wir sie dorthin locken? Winnetou hatte wieder einmal genau denselben Gedanken gehabt, im Gegensatz zu mir aber vielleicht schon die Lösung parat: „Wir könnten auf ihren Weg zur Farm Spuren legen. Spuren, die sie dazu bringen werden, von ihrem Weg abzuweichen und die Schlucht aufzusuchen!“ Ich hob den Kopf und sah ihn überrascht an. Das war wahrscheinlich die beste Möglichkeit, und ich beschloss, nach unserer Ankunft diese ausführlich mit den Gefährten zu besprechen. Jetzt aber wollte ich Winnetou nicht mehr mit weiteren Überlegungen zum Sprechen bringen, denn das schien ihn zunehmend anzustrengen. Ich hielt mich weiterhin ganz dicht an seiner Seite, um sofort zur Stelle zu sein, wenn ihn seine Kräfte verlassen sollten, und betete darum, dass er durchhalten würde. Und dann hatte wir endlich, endlich die Farm erreicht! Wir wurden von den restlichen Westmännern und den Siedlern schon sehnsüchtigst erwartet, und alle richteten sofort ihren Blick auf den Apatschen. Wäre ich mit ihm alleine gewesen, ich bin sicher, er hätte sich einfach vom Pferd in meine Arme fallen und sich nach oben tragen lassen, aber diese Blöße konnte und wollte er sich auf keinen Fall vor den Anwesenden geben. Gewandt und schwungvoll wie üblich stieg er ab, begrüßte die Umstehenden mit einem Kopfnicken und begab sich gemessenen Schrittes, aufrecht und hoch erhobenen Hauptes, ins Haus. Da Emery, Firehand und Surehand ebenfalls mitgingen und uns noch die Treppe hoch begleiteten, ließ er sich auch hier überhaupt nichts anmerken, bedankte sich dann, oben angekommen, für ihre Hilfe und betrat mit dem Doktor und mir unser Zimmer. Ich konnte gerade noch die Tür abschließen, da musste ich auch schon zugreifen, um Winnetou zu stützen, den jetzt ein so heftiger Schwindel überkam, dass er zu schwanken begann. Mit Hilfe des Arztes gelang es mir gerade noch rechtzeitig, Winnetou auf das Bett zu legen, bevor er zu Boden ging. Rasch entkleideten wir ihn, dann begann Dr. Hendrick mit seiner Arbeit, was mein Freund aber schon gar nicht mehr mitbekam. Kapitel 30: Die Ruhe vor dem Sturm ---------------------------------- Der Doktor tat, was im Rahmen seiner Möglichkeiten machbar war, aber viel war es nicht. Keine der neuerlichen Verletzungen war lebensgefährlich, es war eher die Summe aus sämtlichen körperlichen Beeinträchtigungen der letzten Zeit sowie die ständigen Überanstrengungen, die meinen Freund jetzt regelrecht umgehauen hatte. Nach dem Messerstich mit dem immens hohen Blutverlust hätte er eigentlich nach Einhaltung der Bettruhe mindestens noch vier Wochen Schonung und Erholung gebraucht, so der Doktor, statt dessen kam eine Verwundung nach der anderen hinzu, und von Ruhe konnte nun wirklich keine Rede sein, im Gegenteil. Somit konnte der Arzt sich noch so sehr anstrengen, solange die Umstände nicht so waren, wie sie sein sollten, würde er keine vollständige Heilung des Apatschen erzielen können. Wir hatten ab jetzt noch zwei volle Tage bis zum Angriff Zeit, vielleicht aber auch nur eineinhalb, wenn wir den Ort des Überfalls verlegen würden, aber bis dahin wollten wir dafür sorgen, dass Winnetou sein Bett auf keinen Fall mehr verließ. Insgeheim hoffte ich tatsächlich, dass er danach immer noch so geschwächt sein würde, dass ihm die Einsicht kommen musste, an dem Kampf nicht teilnehmen zu können. Im Moment sah es zumindest danach aus, als ob diese Möglichkeit gar nicht so unwahrscheinlich war, denn mein Freund schlief am Rande der Bewusstlosigkeit und es sah nicht so aus, als ob sich das so schnell wieder ändern würde. Das war auch wirklich das Beste, was ihm passieren konnte, denn so spürte er zum Glück seine Schmerzen nicht mehr; diese mit anzusehen und nicht helfen zu können, war für mich fast nicht zu ertragen gewesen. Aufgrund von Hendricks Infusionen wurde Winnetous Körper mit dem Notwendigsten versorgt, so dass überhaupt kein Grund vorhanden war, ihn mittels irgendwelcher Medikamente zur Besinnung kommen zu lassen. Der Arzt beschloss aber, während des Tiefschlafs an seiner Seite zu bleiben, um den Kreislauf ständig überwachen zu können. Deshalb wollte ich mich in meinem eigenen Bett zur Ruhe begeben, obwohl mir das fast schon seltsam vorkam - zu sehr hatte ich mich an die körperliche Nähe meines Blutsbruders gewöhnt. Vor der Nachtruhe begab ich mich aber nochmals in die Gaststube der Farm. Die zurückgebliebenen Gefährten sowie der Treckführer und Tobias Helmer selbst wollten nämlich nochmals aus erster Hand von dem Ergebnis unseres Kundschafterritts unterrichtet werden, und außerdem mussten wir allmählich einen genauen Plan zur Verteidigung ausarbeiten. Es fiel mir nicht leicht, meinen Freund auch nur für diese kurze Zeit zu verlassen, aber ich wusste ihn ja in den besten Händen. Als ich eintrat, hatten sich schon sämtliche Westmänner und die meisten Apatschen im Gastraum versammelt. Auf ausnahmslos allen Gesichtern war eine große Besorgnis um den Apatschenhäuptling zu lesen und so musste ich erst einmal genauestens Auskunft über seinen Zustand geben und die Anwesenden so gut wie möglich beruhigen, was mir aber nur leidlich gelang, denn es war mir nicht möglich, meine eigenen Ängste vollständig zu verbergen. Anschließend begann ich, Winnetous und meine Überlegungen während des vergangenen Nachmittags ausführlich darzulegen und stieß damit auf breite Zustimmung. Alle hielten einen Überfall auf die Geier in der kleinen Schlucht für die beste Methode, ihnen ein für allemal den Garaus zu machen, ohne Gefahr zu laufen, dass wieder einige von ihnen entkommen würden. Auch die Idee des Apatschen, eine Spur zur Schlucht zu legen, um die Banditen dorthin zu locken, war in den Augen aller die beste Möglichkeit. Die Frage war nur: Wie sollte diese Spur aussehen, die ein solch großes Interesse bei den Verbrechern erwecken musste, dass sie ihr mit allen Bandenmitgliedern auf jeden Fall folgen würden? Wir sannen hin und her, kamen aber zu keiner Lösung, und da es schon spät am Abend war, beschlossen wir, die Diskussion auf den nächsten Tag zu verschieben. Ich begab mich schnellstmöglich zurück in Winnetous und mein Zimmer und versuchte währenddessen, die fast schon surreale Angst, es könnte ihm in der Zwischenzeit wieder etwas Neues zugestoßen sein, zu unterdrücken. Oben angekommen, signalisierte mir der Doktor - dem Himmel sei dank! - sofort mit einer beruhigenden Handbewegung, dass es dem Apatschen im Moment den Umständen entsprechend gut ging. Ich trat daraufhin noch einmal an sein Bett, nahm seine Hand und betrachtete lange das von mir so unendlich geliebte Antlitz, aus dem der schmerzgepeinigte und gequälte Ausdruck jetzt zum Glück gewichen war. Er machte einen fast schon entspannten Eindruck, und ich hoffte von ganzem Herzen, dass dieser Zustand so lange wie möglich anhalten würde. Hendrick versicherte mir nochmals mit großem Nachdruck, dass ich mich ohne Sorge zur Ruhe begeben könne. „Solange Herzrhythmus und Blutdruck stabil bleiben, zwar im Moment auf ziemlich niedrigem Niveau, aber immerhin stabil, haben wir nichts zu befürchten. Legt Euch ruhig hin, Mr. Shatterhand, ich lasse Euren Freund nicht aus den Augen!“ Ich legte ihm dankend meine Hand auf seine Schulter, drückte sie kurz und begab mich endlich zur Ruhe. Und obwohl ich nicht damit gerechnet hatte, war ich dann doch innerhalb weniger Minuten tatsächlich eingeschlafen. Der Morgen war schon ein paar Stunden alt, als ich endlich erwachte. Offensichtlich hatte ich den Schlaf wirklich nötig gehabt, und jetzt fühlte ich mich auch wie neugeboren. Mein nächster Gedanke galt Winnetou, und so war ich im Nu aus dem Bett und an seiner Seite. Dr. Hendrick, dem man die durchwachte Nacht ansehen konnte, gab mir sofort flüsternd Auskunft. Winnetous Zustand war weiter unverändert, aber da sein Schlaf ein sehr tiefer und fester war, hatte er einen äußerst erholenden Effekt. Tobias Helmer betrat kurz darauf leise den Raum, in den Händen ein Tablett voller guter Gerichte für ein ausgiebiges Frühstück. Der Doktor gab ihm bei dieser Gelegenheit den Auftrag, sämtlichen auf der Farm anwesenden Personen mitzuteilen, dass im Augenblick keinerlei Besuche für Winnetou erwünscht waren. Damit wollte er verhindern, dass eine zu große Unruhe im Zimmer entstand, wodurch der Apatsche eventuell geweckt werden könnte. Ihm lag, genauso wie mir, sehr viel daran, dass dieser solange wie nur irgend möglich absolute Ruhe einhielt, und das war bei Winnetou offensichtlich nur im Schlaf der Fall, wie er uns in der letzten Zeit ja mehrfach bewiesen hatte. Uns leise flüsternd unterhaltend, frühstückten Hendrick und ich in aller Ruhe, dann schickte ich ihn letztendlich mit Nachdruck aus dem Zimmer, damit auch er den fehlenden Schlaf nachholen konnte. Ich brauchte allerdings zwei oder drei Anläufe, bis er endlich nachgab; es fiel im sichtlich schwer, meinen Freund ohne ärztliche Überwachung zu lassen, weshalb ich ihm auch hoch und heilig versprechen musste, Winnetous Zustand ständig zu kontrollieren und ihn auch bei der kleinsten Veränderung sofort zu benachrichtigen. Nachdem er dann schließlich doch das Zimmer verlassen hatte, setzte ich mich zu meinem Freund und begann, seine Hand dabei in meiner haltend, über die Ereignisse der letzten Zeit und über die bevorstehenden Kampfhandlungen nachzudenken. Mal angenommen, es gelang uns, wie auch immer, die Banditen vollständig in die kleine Schlucht zu locken, wie sollten wir dann weiter vorgehen? Wir waren siebenunddreißig bestens bewaffnete Männer, wenn wir die männlichen Treckmitglieder außer Schumann nicht mitzählten. Diese mussten wir am besten so instruieren, dass sie auch mit ihren geringen Kenntnissen in der Lage waren, den Treck vor eventuellen Angriffen zu schützen, während wir anderen die Geier in der Schlucht angriffen. Das war eine Aufgabe, der sich einige Westmänner heute und morgen mit größtmöglicher Intensität widmen sollten. Um die Banditen in der Schlucht zu überwältigen, mussten wir es so anstellen, dass wir sie, ohne von ihnen bemerkt zu werden, an uns vorbei in das kleine Tal hinein reiten ließen, um den Eingang desselben sofort im Anschluss mit mehreren Männern zu besetzen. Wenn wir dazu auch noch andere Barrieren benutzten, wie zum Beispiel brennende Holzstöße oder ähnliches, welche man schon vorher zwischen den dort in Massen vorhandenen Schlingpflanzen versteckt vorbereiten könnte, wären nicht viele Männer für die Überwachung des Einganges notwendig. Die anderen Gefährten mussten sich schon vorher über den gesamten Rand der Schlucht, an der die Hochebene angrenzte, verteilen, um auf ein Zeichen hin mit ihren Gewehren die Verbrecher von oben zu bedrohen. Wenn wir Glück hatten, würden diese ihre Unterlegenheit anerkennen und sich ohne Blutvergießen in unsere Hände begeben. Blieb nur noch die Frage, wie wir die Burschen in die Schlucht locken sollten? Mir schwebte ein einzelner Planwagen aus dem Treck vor, der von der Farm aus auf dem Weg, der von dem Versteck der Geier direkt bis zu Helmers Home führte, den Verbrechern entgegen fahren und dann in Höhe der kleinen Schlucht in Richtung derselbigen abbiegen könnte. Vielleicht war es möglich, dass wir es so aussehen ließen, als ob der gesamte Treck in diese Richtung gefahren wäre, so dass die Kerle sich schon fast gezwungen sehen mussten, ihm zu folgen! Bis zu diesem Punkt erschien mir die Abwehrstrategie als die Richtige, und so wollte ich sie den Gefährten so schnell wie möglich mitteilen, musste aber damit warten, bis der Doktor mich ablöste, da ich Winnetou auf keinen Fall auch nur für wenige Minuten alleine lassen wollte. Während ich über all das nachdachte, kontrollierte ich immer wieder seinen Puls und seine Atmung, konnte aber bis auf die Tatsache, dass beides etwas verlangsamt war, nichts Außergewöhnliches feststellen, worüber ich natürlich äußerst froh war. Ich brauchte dann doch nicht auf das Erscheinen von Hendrick warten, denn gegen Mittag klopfte es, trotz des ausgesprochenen Besuchsverbotes, ganz leise an der Tür. Ich ging schnell hin und öffnete; es war Emery, der mit mir etwas besprechen wollte und wegen der Störung fast schon ein schlechtes Gewissen hatte. Ich konnte ihm das schnell ausreden, zog mich mit ihm aber auf den Flur zurück, um gar nicht erst in Gefahr zu geraten, dass Winnetou durch uns erwachte. Emery wollte als erstes erfahren, wie wir nun weiter vorgehen sollten, denn so allmählich drängte die Zeit, da wir ja auch noch einiges vorzubereiten hatten. Ich breitete ihm daher meine bisherigen Überlegungen aus, mit denen er voll und ganz einverstanden war, und teilte ihm mit, dass ich die weiteren Maßnahmen und Vorbereitungen ihm und den Gefährten vollständig anheim stellte. Hier auf Helmers Home war ein großer Teil der fähigsten Männer des Westens versammelt, und so konnte ich mich ohne Weiteres darauf verlassen, dass diese alles Notwendige bis hin zur Perfektion durchführen würden und meiner Hilfe nicht bedurften. Bevor er ging, bat Emery mich mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck, ihm das Jagdhemd des Apatschen auszuhändigen. Bevor ich etwas verwundert nach dem Grund fragen konnte, erklärte er mir: „Die Damen des Trecks haben gestern Abend die erneuten Blutflecken auf dem Hemd bemerkt und reißen sich jetzt geradezu darum, es für Winnetou wieder in einen tadellosen Zustand zu versetzen!“ Schmunzelnd ging ich zurück ins Zimmer und holte es ihm, worauf hin er mit einem breiten Grinsen ergänzte: „Die meisten der unverheirateten Ladies haben unseren Winnetou absolut in ihr Herz geschlossen - und wenn ich mich nicht völlig täusche, könnte ich mir vorstellen, dass auch einige der verheirateten Damen liebend gern ihren eigenen Gatten gegen ihn austauschen würden!“ Jetzt konnte auch ich mich einen leisen Lachens nicht erwehren, und Emery spann seinen Gedankengang noch weiter: „Vielleicht werden ihre Hoffnungen auch dadurch genährt, da sie ja nun in Winnetous unmittelbare Nähe ziehen und sich daher die ein oder andere Gelegenheit ergeben könnte....“ Sein Grinsen konnte man jetzt nicht mehr anders als anzüglich bezeichnen. Nachdem er mir noch mitgeteilt hatte, dass auch Entschah-koh, der mittlerweile von seinem Ritt zu dem ersten Posten zurückgekehrt war, mit mir etwas besprechen wollte und mich deshalb ebenfalls gleich aufsuchen würde, ging Emery wieder nach unten und ich setzte mich erneut an Winnetous Seite. Mir war gerade ein Gedanke gekommen, der schon des öfteren, wenn auch nur flüchtig und kaum greifbar, durch mein Unterbewusstsein gegeistert war, dem ich aber, seit mein Bruder und ich zueinander gefunden hatten, nie Raum gegeben hatte. Wenn Winnetou nur wollte, würde er innerhalb kürzester Zeit eine Lebensgefährtin finden, dessen war ich mir sicher. Hatte er eigentlich jemals erwähnt, ob er überhaupt Kinder haben wollte? Und wenn ja, stand ich ihm mit meiner Liebe zu ihm da nicht unweigerlich im Weg? Stand ich nicht sogar seinem Lebensglück im Weg, auch wenn er selbst das im Moment vielleicht nicht so sah? Ich wurde jetzt wirklich unsicher, da ich mir diese Fragen in keinster Weise mit einem klaren Nein beantworten konnte. Da half nur eins, ich musste mit ihm darüber sprechen, sobald die Zeit und Muße für solch ein intensives Gespräch vorhanden war. In einem aber war ich mir absolut sicher: Um meinen geliebten Blutsbruder glücklich zu machen, würde ich auch auf mein eigenes Glück verzichten, selbst wenn das hieß, dass ich auf ihn verzichten musste, so schwer mir das auch fallen würde! Ich hatte aber weiter keine Zeit mehr, mich mit solch schwerwiegenden Gedanken herumzuplagen, denn jetzt klopfte es erneut; Entschah-koh stand vor der Türe und bat um ein Gespräch, und sein äußerst ernster Gesichtsausdruck zeigte mir, dass es sich um kein erfreuliches Thema handelte. Wieder ging ich mit ihm hinaus in den Flur. Ich wagte es noch nicht einmal, in den nächsten Raum zu wechseln, da ich Winnetou ständig im Auge behalten wollte, weshalb ich auch ab und zu ins Zimmer schaute, um ja keine Änderung seines Zustandes zu verpassen. Ich kam mir, ehrlich gesagt, wie eine Glucke vor, die ihr Küken nicht aus den Augen lässt, aber ich konnte nichts dagegen tun - meine Sorge um ihn war einfach übermächtig. Der Unterhäuptling gab mir zunächst ein Gefäß in die Hand, in der sich eine Art Salbe befand, die er selber hergestellt hatte. Auf seinem Ritt zurück zur Farm hatte er nach einer seltenen Heilpflanze gesucht und sie auch glücklich gefunden. Die daraus hergestellte Salbe sollte ich auf Winnetous großflächige Wunden an der Hüfte und der Taille auftragen, sie würde nicht nur für eine schnellere Heilung, sondern vor allem für fast völlige Schmerzfreiheit sorgen, worüber ich natürlich äußerst erfreut war. Ich wollte ihm daraufhin meinen ausführlichen Dank aussprechen, den er aber schnell abwehrte; für ihn zählte nur, dass es seinem Häuptling so schnell wie möglich wieder besser ging. Sein zweiter Gesprächsgrund war dann für mich auch wirklich nicht sehr erfreulich. Es ging sich um den von mir erschlagenen Banditen. Ich hatte mich am Ort des Geschehens nicht mehr sonderlich darum gekümmert, wohin er verbracht werden sollte; die Apatschen hatten mir nur zugesichert, dass sie sich seiner annehmen wollten. Es war für mich natürlich klar gewesen, dass man ihn dort nicht liegen lassen konnte. Die Geier hatten schon in der Nähe ihres Verstecks in der großen Höhle die zwei gefesselten Posten zwangsläufig vermisst und mit Sicherheit auch gefunden. Wenn sie jetzt noch einen dritten Kumpan, diesmal erschlagen, fanden, und das dann noch auf dem Weg nach Helmers Home, dann musste ihr Verdacht auf uns fallen, denn sie hatten ja schon bewiesen, dass sie alles andere als dumm waren. Außerdem würden sie spätestens heute ihren Unteranführer vermissen, und somit war es mehr als fraglich, ob sie ihre Pläne nicht vielleicht sogar ändern würden. Aus diesem Grund hatte Entschah-koh mit seinen Apatschen etwas getan, was ich wahrscheinlich nicht gutgeheißen hätte, wenn er mich vorher um Erlaubnis gefragt hätte. Um den Banditen vorzugaukeln, dass ihr Unteranführer und sein Begleiter nicht uns, sondern einem Indianerüberfall zum Opfer gefallen waren, hatten sie den toten Verbrecher skalpiert sowie ihn und die Umgebung so präpariert, dass es aussehen musste, als ob er von Indianern erschlagen und der Kopfhaut beraubt worden wäre, während der Unteranführer von ihnen gefangen und verschleppt worden wäre. Aufgrund des rohen und gemeinen Charakters der Geier würden die Bande wohl niemals auf die Idee kommen, den vorgetäuschten Spuren der Indianer zu folgen, um ihren Komplizen zu retten. Die Apatschen hatten zudem ganz bestimmte Hinweise hinterlassen, die nicht auf die Mescaleros schließen ließen, sondern auf einen umherstreifenden Kiowa-Stamm. Den Unteranführer hatten wir übrigens mit zur Farm genommen, es war uns auch gar nichts anderes übrig geblieben, da er immer noch völlig desorientiert war und eigentlich nicht mehr als seinen Namen wusste. Man hatte ihn hier in einen Verschlag eingesperrt. Ich sah Entschah-koh einen Augenblick lang unschlüssig an. Sollte ich ihm zürnen, ihn gar tadeln? Nein, schoss es mir durch den Kopf, er hatte das getan, was am sinnvollsten und notwendigsten war, und das war wahrscheinlich sogar die beste Lösung. Der Verbrecher war durch meine Schuld getötet worden, nicht durch die des Unterhäuptlings, da konnte auch dessen Tat nichts mehr daran ändern. Ich erklärte mich also mit allem einverstanden, bedankte mich für seine Hilfe und begab mich wieder an Winnetous Seite, und begann, äußerst vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, die Salbe auf seine Wunden aufzutragen. Kurze Zeit später betrat der Doktor wieder den Raum, und obwohl er nicht allzu lange geschlafen hatte, fühlte auch er sich wieder frisch und munter. Er begann sofort, Winnetou nochmals gründlich zu untersuchen und betrachtete sich dann das Ergebnis meiner Arbeit. Er hatte ja ein großes Interesse an den Naturheilkünsten der Indianer, weshalb er sich schon oft mit Entschah-koh über die verschiedenen Heilkräuter und deren Wirkungen unterhalten hatte. Es war ihm anzusehen, dass er den Unterhäuptling so bald wie möglich über die Herstellung dieser Salbe befragen würde. Der Apatsche schlief den ganzen Tag über tief und fest. Dieser Zustand änderte sich jedoch gegen Abend, als es schon zu dämmern begann. Sollte ich es Glück oder Unglück nennen? Zu diesem Zeitpunkt nannte ich es natürlich Glück, als ich sah, dass er auf einmal mehrmals hintereinander tief durchatmete und dann auch sehr schnell die Augen öffnete. Heute aber weiß ich, dass er besser in diesem Zustand verblieben wäre, um so an dem Kampf nicht teilnehmen zu können. Kapitel 31: Liebe und Verständnis --------------------------------- Ich konnte schon an seinem klaren Blick, seiner Mimik, seiner ganzen Haltung erkennen, dass es Winnetou deutlich besser ging, und als sein Blick mich traf, war ich mir sicher, dass es jetzt mit seiner Geduld vorbei war, endgültig vorbei. Er wollte nicht mehr, dass man sich weiterhin um ihn sorgte, er hatte genug davon, sich immer wieder legen zu müssen, konnte es nicht mehr ertragen, vor den Gefährten ständig seine momentane gesundheitliche Schwäche offenbaren zu müssen. Er wollte sich direkt aufsetzen und es kostete den Doktor und mich die allergrößte Mühe, ihn zu der Einsicht zu bringen, dass es besser für ihn wäre, die jetzige Infusion wenigstens noch durchlaufen zu lassen, damit sich sein Kreislauf langsam wieder an die Belastung gewöhnen konnte. Um ihn währenddessen so gut wie möglich abzulenken, berichtete ich ihm von unseren Plänen und inwieweit diese bisher gediehen waren. Ich fragte meinen Freund gar nicht erst nach etwaigen Schmerzen, er hätte sie in seiner jetzigen Stimmung mit Sicherheit niemals zugegeben. Auch der Doktor hielt sich merklich zurück. Er hatte meinen Winnetou in den letzten Tagen und Wochen sehr gut kennen und einschätzen lernen können, und auch ihm wurde jetzt überdeutlich klar, dass für den Apatschen die Zeit des Umsorgtwerdens endlich der Vergangenheit angehören sollte, dass auch seine Engelsgeduld nun ein Ende gefunden hatte. Also erzählte ich ihm, was in den vergangenen vierundzwanzig Stunden geschehen war, und erwähnte dabei auch unsere Unsicherheit in der Strategie, was die Spur zur Schlucht anging. Winnetou dachte einen Moment lang nach, und dann kam nur das eine Wort über seine Lippen: „Gold!“ Überrascht sah ich hoch. Richtig! Solche verrohten Banditen wurden doch sofort blind und vergaßen alles um sich herum, sowie sie auch nur ein Körnchen dieses kostbaren Edelmetalls zu sehen bekamen! Warum ich nicht gleich auf diesen Gedanken gekommen war, verstand ich selber nicht. Kurz darauf erlöste der Doktor meinen Freund von der Infusion, und jetzt war dieser nicht mehr in seinem Bett zu halten. Er legte seine Kleidung an, stand auf und trat ans Fenster, ohne dass man auch nur die geringsten Anzeichen von Schmerz, Schwäche oder Schwindel feststellen konnte. Obwohl ich ihn so gut kannte wie es sonst niemand tat, war es mir nicht möglich zu unterscheiden, ob es ihm wirklich so gut ging oder ob er eventuelle Unpässlichkeiten nur überspielte. Den ganzen Tag über waren in näherer Umgebung des Hauses schon Schüsse zu hören gewesen, da die Westmänner den männlichen Erwachsenen des Trecks intensiven Schießunterricht erteilten, damit diese am nächsten Abend in der Lage sein würden, den Treck und die Farm im Notfall zu schützen. Auch jetzt hörte man ganz in der Nähe wieder Schüsse, und vom Fenster aus konnten wir unsere Gefährten relativ erfolgreich mit den Siedlern üben sehen. Wir beobachteten sie eine Weile, dann wandte Winnetou sich mir zu. „Winnetou weiß, dass sein Bruder in großer Sorge um ihn ist. Aber er mag bedenken, dass wir einen guten Plan haben, der es uns ermöglichen wird, die Geier zu überwältigen und in Gefangenschaft zu nehmen, ohne dass auch nur ein Tropfen Blut fließen wird. Und soll Winnetou sich wie ein Weib im Haus verstecken, während seine Brüder, weiße wie rote, sich in Gefahr begeben? Was würde mein Bruder Scharlih an meiner Stelle tun?“ So schwer es mir auch fiel, ich musste ihm recht geben. Auch ich hätte mich niemals aus gesundheitlichen Gründen einem Kampf ferngehalten, da hätte man mich schon komplett ausschalten müssen, und Winnetou als Häuptling eines ganzen Volkes durfte sich eine solche Blöße erst recht nicht geben. Also antwortete ich ihm: „Winnetou soll sich keine Gedanken machen, ich verstehe ihn ja, und ich würde genau so handeln wie er. Aber auch du musst mich verstehen, du hättest mich wahrscheinlich irgendwo festgebunden und eingesperrt, wenn ich diese schweren Verletzungen an deiner statt erlitten hätte!“ Über das Gesicht meines Freundes glitt ein Lächeln, er legte mir seine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. „Winnetou ist froh, dass er und nicht sein Bruder Scharlih angegriffen worden ist. Ich weiß nicht, wie ich die Angst, dich verlieren zu können, ausgehalten hätte“, sagte er leise. Gerührt sah ich ihm in die Augen. „Genauso wahrscheinlich, wie ich sie aushalten musste! Ich sage dir allen Ernstes, das war für mich die schlimmste Zeit meines Lebens und ich möchte so etwas nie wieder mitmachen müssen!“ Seine schwarzen Augen schienen meinen Blick nun förmlich aufzusaugen und mich auf den Grund seiner edlen Seele hinabzuziehen. „Winnetou wird alles tun, damit es nicht mehr dazu kommt. Aber er hat noch eine Aufgabe zu erfüllen, und somit wird er an dem Kampf teilnehmen!“ Was meinte er denn mit dieser etwas geheimnisvollen Andeutung? Ich wollte ihn gerade danach fragen, als es an der Tür klopfte und Emery vorsichtig herein lugte. Als er Winnetou nicht nur bei Bewusstsein, sondern auch außerhalb des Bettes aufrecht stehen sah, strahlte er übers ganze Gesicht, ging sofort auf ihn zu und fragte ihn: „Geht es dir wirklich wieder besser?“ Winnetou nickte, und der Engländer fügte im gespielten Ernst hinzu: „Gott sei dank! Du glaubst gar nicht, was wir alle für Sorgen und Ängste um dich ausgestanden haben! Das du mir aber jetzt ja nicht übermütig wirst, mein Freund!“ Er wartete Winnetous Antwort gar nicht erst ab, sondern wandte sich mir zu und fragte: „Unten im Gastraum findet jetzt eine Versammlung statt, um alles, was noch ungeklärt ist, zu besprechen. Willst du auch daran teilnehmen, Charlie?“ Bevor ich irgendetwas sagen konnte, antwortete Winnetou für uns beide: „Old Shatterhand und Winnetou werden beide sofort hinunterkommen!“ Seine entschiedene Miene drückte deutlich aus, dass er keinen Widerspruch zulassen würde, und so verließ Emery dann auch wieder das Zimmer, um uns schon einmal voraus zu gehen. Dr. Hendrick hatte die ganze Zeit stumm auf seinem Stuhl gesessen und uns, vor allem aber Winnetou beobachtet. Jetzt machte er noch einmal einen vorsichtigen Versuch, meinen Freund zurückzuhalten. „Häuptling Winnetou, Ihr seid noch nicht lange wieder bei Bewusstsein und Eure Verletzungen, vor allem die des Kopfes, bedürfen doch noch der Schonung. Es wäre besser, Ihr würdet Euch diesen Abend und diese Nacht noch ausruhen, damit die Gefahr für morgen so gering wie möglich gehalten wird.“ Winnetou trat zu ihm, legte ihm seine Hand auf die Schulter und entgegnete dem Doktor lächelnd: „Mein weißer Bruder wird sich jetzt keine Sorgen mehr machen, sondern Winnetou vertrauen, wenn dieser ihm versichert, dass ihm nichts geschehen wird, wenn er mit Old Shatterhand nur ein anderes Zimmer aufsucht! Anschließend wird Winnetou sich bis zum Kampf schonen. Howgh!“ Es war gut zu sehen, dass der Arzt im Augenblick nicht genau einschätzen konnte, ob Winnetou ihn jetzt verkohlen wollte oder wirklich im Ernst sprach. Also nickte er nur und sagte, ebenfalls lächelnd: „Dann ist es ja gut. Und wenn irgend etwas sein sollte, Ihr wisst ja, wo ihr mich findet....“ Damit verließ er den Raum. Als Winnetou und ich das Gastzimmer betraten, bereitete sich sofort eine überraschte, fast schon ehrfürchtige Stille unter den Anwesenden aus. Ich sah, dass vor allem Winnetous engste und langjährige Freunde wie Firehand und Surehand den Mund öffneten, um ihren Protest und Unmut zu äußern über die Tatsache, dass der Apatsche jetzt schon und wahrscheinlich entgegen jeden ärztlichen Rat das Bett verlassen hatte. Aber der wild entschlossene Ausdruck in dessen Gesicht, das hocherhobene Haupt und die vor Unternehmungslust funkelnden Augen überzeugten sie dann doch schnell davon, lieber nichts zu sagen. Mein Freund setzte sich wortlos ruhig auf den nächsten Stuhl und blickte die Gefährten erwartungsvoll an. Ich nahm neben ihm Platz, zuckte in Richtung Firehand kurz die Schultern, der mir einen finsteren Blick nach dem anderen zuwarf, als ob ich nicht gut genug auf Winnetou aufgepasst hätte, und fragte dann Emery, wie weit man mit den Vorbereitungen gekommen war. Dieser berichtete, dass man die Holzstöße am Eingang der Schlucht schon aufgeschichtet und sorgsam getarnt hatte, außerdem wusste jeder der Männer, welchen Posten er genau zu Beginn des Angriffs einzunehmen hatte. Die Gefährten hatten die Schlucht und ihre strategisch wichtigen Punkte genauestens auskundschaftet und festgestellt, dass sie über keinen zweiten Ausgang verfügte, was wirklich ein großer Vorteil für uns war. Einzig die Fährte dorthin, die die Geier anlocken sollte, war noch nicht gelegt, da man sich absolut nicht einig war, wie genau man vorgehen wollte. Hier brachte ich Winnetous Vorschlag ins Gespräch. Ein einzelner Planwagen sollte morgen früh von hier aufbrechen und den Banditen entgegenfahren. In Höhe der Schlucht sollte er dann dorthin abbiegen, und ab diesem Punkt könnte man etwas Goldstaub und einzelne Nuggets in bestimmten Abständen herunterfallen lassen, am besten zusammen mit Kleidungsstücken oder anderen Haushaltsgegenständen, so dass es aussah, als ob sich aus Versehen und unbemerkt von den Siedlern eine Tasche geöffnet und deren Inhalt nach und nach aus dem Wagen gefallen war. Unsere Freunde fanden sofort großen Gefallen an diesem Plan und waren sich sehr sicher, dass die Banditen sich von dem Gold ohne Weiteres verleiten lassen würden, ihren Weg zu ändern. Nur – woher sollte man das Gold nehmen? Ich sah zu meinem Freund, der sich in diesem Augenblick im Gespräch mit Entschah-koh befand, und mir war direkt klar, dass sich Winnetou einen seiner Placers zunutze machen wollte. Er kannte ja mehrere solcher Stellen, wo man Nuggets oder Goldstaub finden konnte. Viele davon hatte er mit seinem unvergleichlichen Blick und seinem Gespür für die Natur selber entdeckt, die meisten aber hatte sein Vater ihm weitervererbt. Jetzt bemerkte er meinen Blick und erklärte: „Winnetou hat nicht genug Nuggets bei sich, damit es zum Spurenlegen ausreicht. Er müsste also zum Fuße des Puarare reiten, der ungefähr drei Stunden von hier entfernt liegt. Winnetou wird aber nicht selbst reiten“ - bei diesen Worten sah er mich leise lächelnd an und betonte sie mit Nachdruck - „Er wird aber nicht selbs reiten, um seinem Bruder nicht noch mehr Sorgen zu bereiten, sondern seinen Unterhäuptling schicken, da er der Auffassung ist, dass dieser sich das Recht über die Kenntnis eines Placers redlich verdient hat.“ Überrascht und erleichtert sah ich ihn an, überrascht vor allem, weil diese Placers eigentlich nur innerhalb der Häuptlingsfamilien weitergegeben werden. Aber auch hier stieß ich wieder auf die Tatsache, dass Winnetou keine Kinder hatte, denen er es weitervererben konnte, und Entschah-koh hatte sich schon mehrfach als wirklich guter Unterhäuptling bewiesen. „Wird der Unterhäuptling jetzt direkt reiten?“ fragte ich meinen Freund. „Ja, denn so ist er zurück, wenn das erste Licht des Tages die Nacht vertreibt und wir können den Planwagen rechtzeitig losfahren lassen!“ Die Anwesenden hatten dieses Gespräch mit angehört und in vielen Gesichtern machte sich doch leises Erstaunen breit angesichts der Tatsache, mit welchem Gleichmut Winnetou über eine nicht gerade kleine Menge Gold sprach und wie leicht er diese offenbar beschaffen konnte. Jetzt musste bestimmt werden, wer mit dem Planwagen fahren sollte, denn dieser musste ja weit in die Schlucht gebracht werden, möglichst bis zum Ende, damit die Banditen auch alle vollständig in das Tal hineinritten, bevor sie den Wagen sahen. Anschließend mussten diese Männer so schnell wie möglich die Schlucht verlassen und dabei sämtliche Spuren vermeiden, um sich dann zu ihren vorbestimmten Posten zu begeben. Die beiden Baumänner meldeten sich freiwillig, und das war eine gute Wahl, mit der alle einverstanden waren. Sie besaßen die nötige Erfahrung und vor allem wussten sie zu handeln, wenn mal etwas Unvorhergesehenes eintreten sollte. Somit war erst einmal alles geklärt und man wollte sich eben erheben, da hatte Winnetou noch einen Einwand: „Winnetou glaubt nicht, dass alles Wichtige schon zur Sprache gekommen ist!“ Die Männer stockten in ihren Bewegungen und sahen ihn erstaunt an. Er fuhr fort: „Haben meine weißen Brüder daran gedacht, was mit den Banditen geschehen soll, wenn sie in unsere Hände geraten sind?“ Nein, daran hatte noch niemand gedacht, wie die Blicke der Gefährten zeigten, die sie sich einander zuwarfen. Winnetou sprach weiter: „Es sind Verbrecher und Mörder, und wir wissen, dass sie fest vorhaben, uns alle zu töten. Dem Gesetz der Prärie nach haben wir mehr als das Recht, diese Männer auszulöschen. Aber wollen meine Brüder sich an einem solchen Massenmord beteiligen?“ Aus dem Gemurmel, welches sich nun im Raum erhob, konnte man deutlich heraushören, dass niemand sich eines solchen Mordes verantworten wollte. Mein Freund führte indes weiter aus: „Wenn wir die große Anzahl an Banditen in Gefangenschaft nehmen, wie lange soll diese dauern? Wie lange können wir sie ernähren und sicher gehen, dass sich nicht doch einer befreit? Und was soll anschließend mit ihnen geschehen?“ Er sah mich an, und ich erkannte, was er vorhatte. „Soldaten?“ fragte ich ihn. Er nickte. Ich wandte mich den anderen zu und erklärte: „Wir werden zwei Männer zum nächsten Fort schicken, um Soldaten zu holen, welche die gesamte Bande mitnehmen und einem ordentlichen Gericht zuführen können.“ Auch dieser Vorschlag erfreute sich der allgemeinen Zustimmung, blieb nur noch die Frage, wer zum Fort reiten sollte. Als Old Surehand diese laut stellte und mich dabei bedeutsam ansah, schüttelte ich sofort den Kopf und stellte klar: „Ich werde nicht reiten, sondern mich hier dem Kampf stellen!“ Dabei warf ich nun meinerseits einen eindeutigen Blick auf Winnetou, um Surehand zu verdeutlichen, dass ich auf jeden Fall an dessen Seite bleiben würde. Er verstand mich auch und erwiderte: „Vielleicht solltet Ihr beide reiten?“ Die Antwort meines Freundes kannte ich schon, bevor er sie aussprach: „Der Häuptling der Apatschen wird bleiben und seine weißen Brüder sowie seine roten Krieger im Kampf gegen die Geier unterstützen!“ Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass Surehand leicht die Augen verdrehte. Sein Plan, Winnetou aus der Gefahrenzone zu schaffen, war damit gescheitert. Nach einer kurzen Überlegung entschieden wir uns, den Hobble Frank und Old Wabble zum Fort reiten zu lassen. Beide waren zwar äußerst tapfere Männer, aber teilweise auch sehr konfus und vor allem mit Wabbles Sicherheit beim Schießen war es nicht zum Besten bestellt. Dafür war er ein äußerst guter Scout und er würde die beiden auf den schnellsten Weg zum Fort führen. Somit hatten wir jetzt endgültig alles besprochen und es wurde Zeit, sich zur Ruhe zu legen, da der morgige Tag aller Voraussicht nach ein sehr anstrengender werden würde. Als die Gesellschaft sich auflöste, nahm Old Surehand mich beiseite und meinte: „Mir wäre es wirklich lieber gewesen, wenn Winnetou und du den Ritt zu den Soldaten unternommen hättet. Jetzt kann ihn niemand mehr davon abhalten, an dem Kampf teilzunehmen und ehrlich gesagt, ich habe ein äußerst ungutes Gefühl dabei!“ Ich erwiderte: „Ich habe mich mit ihm schon darüber unterhalten. Er würde sich das ewig zum Vorwurf machen, seine Krieger hier kämpfen zu lassen und selbst dabei nur einen einfachen Botendienst zu verrichten. Auch wenn nie jemand anders es ihm aufgrund seines Zustandes vorwerfen würde – er selbst könnte es sich im Leben nicht verzeihen, wenn dabei irgendjemanden etwas passieren würde!“ Surehand nickte verständnisvoll, aber die Sorge aus seinem Gesicht wollte nicht weichen. Ich ging mit Winnetou nach oben und betrat unser Zimmer. Der Doktor hatte sich schon zur Nachtruhe zurückgezogen und am liebsten hätte ich jetzt meinen Freund dazu gebracht, sich ebenfalls hinzulegen. Die Wunden mussten eigentlich nochmals versorgt werden, er hatte auch noch nicht viel gegessen und getrunken, aber angesichts seiner ablehnenden Stimmung getraute ich mich nicht recht, ihn darauf anzusprechen. Winnetou schloss jetzt selbst die Tür ab und sah mich an. Der Ausdruck in seinem Gesicht war plötzlich ganz weich, der Blick seiner samtig schwarzen Augen senkte sich tief in meine und ich erkannte in ihnen, dass er genau wusste, wie mir zumute war. Mit sanfter Stimme fragte er dann auch: „Was möchte mein Bruder, was Winnetou jetzt tun soll?“ Gerührt nahm ich sein Gesicht in meine Hände, drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und forderte ihn dann auf, erst einmal etwas von dem Abendessen, welches noch auf dem Tisch stand, zu sich zu nehmen, was er auch sofort tat. Ich gesellte mich zu ihm und ließ es mir ebenfalls schmecken. Anschließend bat ich ihn, sich hinzulegen, damit ich seine Verletzungen nochmals mit der Salbe von Entschah-koh versorgen konnte, und auch das tat er ohne Widerrede. Mit größter Sorgfalt und äußerster Vorsicht begann ich nun, die Verbände zu lösen und die Salbe auf die Wunden zu verteilen. Seine linke Taille sowie die obere Hüfte waren großflächig davon betroffen, aber es war gut zu sehen, dass die medizinische Versorgung der Mescaleros ihre Wirkung tat, die Heilung schritt gut voran. Ich legte neue Verbände an und begann dann die weniger großen Wunden zu versorgen, wo keine Verbände nötig waren. Sanft glitten meine Hände über seine Haut und allein deshalb, weil ich ihn wieder einmal so intensiv spüren durfte, ließ ich mir deutlich mehr Zeit als nötig. Winnetou hatte die Augen geschlossen, sein gelöster Gesichtsausdruck zeigte mir, dass er diese Behandlung nicht nur akzeptierte, sondern sie allen Anschein nach sogar im Stillen genoss. Für mich hingegen gab es nichts Schöneres, als ihm Gutes zu tun, ihn zu verwöhnen, wo es nur ging, wo er es zuließ, und diese Gelegenheit ließ ich jetzt natürlich nicht verstreichen. Ich begann, langsam um die Wunden herum seine Haut zu streicheln, leicht zu massieren, alles zu tun, was ihm irgendwie gut tun könnte. Für mich selbst war es ein wunderschönes Gefühl, seine harten Muskeln zu spüren, zu massieren, meine Finger über seine weiche Haut an den Seiten gleiten zu lassen, jede Linie seiner Körperkonturen nachzuzeichnen. Ich fuhr sanft und vorsichtig über seinen linken Hüftknochen und konnte dann nicht mehr an mich halten, meine Hände auch weiter in die Mitte zu bewegen, wo seine Haut noch etwas weicher war. An seiner angespannten und leicht zitternden Bauchmuskulatur und dem teilweise angehaltenen Atem erkannte ich, dass ihn meine „Behandlung“ mehr und mehr erregte, und auch ich konnte das süße Ziehen in meinen Lenden jetzt nicht mehr verleugnen. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, seinen makellosen Körper nur mit meinen Händen berühren zu dürfen, auch mein Mund sehnte sich danach, die Hitze seiner Haut zu spüren. Ganz langsam senkte ich meinen Kopf und begann, mit meinen Lippen den Bereich um seinen Bauchnabel herum zu erforschen. Jetzt begann seine Muskulatur merklich zu flattern, seine Atmung wurde heftiger, und an meiner Brust konnte ich schon die Auswirkungen meiner Zärtlichkeiten fühlen - sein Schaft hatte sich bereits deutlich versteift. Ich musste mich stark zurückhalten, nicht sofort über ihn herzufallen, sondern bemühte mich, den Bereich zwischen den Hüftknochen langsam und genüsslich weiter zu erkunden. Ich beließ es aber nicht nur bei sanften Küssen, teilweise leckte und saugte ich an der empfindlichen Haut, nahm dann meine Finger zu Hilfe, die den ganzen Bereich bis hoch zum Oberkörper ertasteten und leicht massierten, dann wieder die ganze Hand, die seine Haut an allen erreichbaren Stellen mit Streicheleinheiten verwöhnte. Winnetou hatte jetzt sichtlich Schwierigkeiten, sich ruhig zu halten, seine Finger krallten sich abwechselnd in das Laken und in meine Schultern, fuhren durch meine Haare, dann griff er sich mit den Händen wieder an seine Stirn, hielt sie sich vor das Gesicht. Sein Brustkorb hob und senkte sich schnell hintereinander, und da ich meine Zärtlichkeiten überall fortsetzte, nur sein Glied komplett aussparte, gelang es ihm nicht mehr, sein Becken ruhig zu halten, er kam mir mit seiner Mitte immer wieder entgegen, so dass ich schließlich mit meinen Händen seine Hüften auf unser Lager herunterdrückte, um dann weiterhin quälend langsam mit den Lippen über seine Haut zu gleiten. Sein Schaft hatte sich zu voller Größe aufgerichtet und auch ich war im höchsten Grade erregt, so dass ich es selbst kaum mehr auszuhalten vermochte. Aber ich wollte es nicht so schnell enden lassen, ich wollte, so lange es irgendwie möglich war, ihn mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln verwöhnen, ihn allen Schmerz, alle Qual, alles Schlechte dieser Welt in diesen kostbaren Augenblicken vergessen und ihn meine unsagbar große Liebe spüren lassen, körperlich spüren lassen und ihm so alles, wirklich alles an Liebe geben, die ich für ihn besaß. Irgendwann aber war es mir nicht mehr möglich, mich weiter zurückzuhalten, ich musste ihn einfach an seiner intimsten Stelle berühren. Mit der einen Hand hielt ich seine Hüfte weiter hinuntergedrückt, mit der anderen streichelte ich seine Haut in immer enger werdenden Kreisen um seine Erektion herum, was seine Bewegungen noch heftiger werden ließ, seine Atmung noch schneller, noch lauter, so dass er sein Gesicht wieder in ein Kissen vergrub, und das war gut so, denn jetzt begannen meine Finger eine zärtliche Wanderschaft über die unglaublich samtig weiche Haut seine Schaftes, glitten von der Wurzel aus höher und höher, dann wieder zurück, wieder ein Stückchen höher, bis sie über seine schon feuchte Spitze strichen, und sein Aufkeuchen und sein erstickter Schrei wären ohne das Kissen weithin zu hören gewesen. Seine Reaktionen lösten bei mir schon fast wieder einen Höhepunkt aus, viel länger würde ich mich nicht mehr halten können. Also begann ich seine Spitze auch mit meinen Lippen zu verwöhnen, ich berührte ihn erst ganz sanft, ganz zart, wusste aber, dass ich das nicht allzu lange tun durfte - seine Bewegungen zeigten mir deutlich, dass er kurz vor einer Explosion stand. Zwischendurch versuchte er, mich an den Schultern zu fassen und hochzuziehen, aber ich war schon zu weit unten, er konnte mich nicht mehr richtig packen, und dann legte ich ihm auch noch meine Hand auf die Brust und drückte ihn wieder herunter, was ihm ein hilfloses Stöhnen entlockte. Jetzt war es auch bei mir fast soweit, aber vorher wollte ich ihn in die höchsten Sphären der Lust katapultieren, und so öffnete ich die Lippen und ließ seinen Schaft tief in meinen Mund gleiten, woraufhin er seinen Rücken durchbog und mir mit einem langgezogenem Keuchen noch mehr in der Mitte entgegenkam. Meine andere Hand umfasste jetzt seine Männlichkeit an der Wurzel und begann, sie erst sanft, dann immer fester zu massieren, während meine Lippen und meine Zunge ihn so verwöhnten, dass seine Atmung nur noch aus einem abgehackten Keuchen bestand, er sämtliche Kontrolle über seinen Körper verlor und sich jetzt hilflos dem Rhythmus meiner Hand und seiner Lenden unterwerfen musste. Und dann war er soweit, es brach alles aus ihm heraus, er wurde von einem so heftigen Orgasmus überwältigt, dass er sich aufbäumte, für lange Sekunden den Atem anhielt, dann verzweifelt nach Luft schnappte, während seine Kontraktionen eine gefühlte Ewigkeit anhielten und er sich anschließend haltlos zitternd ganz langsam wieder zurück in die Kissen sinken ließ. Ich selbst hatte auch keinerlei Kontrolle mehr über mich, ich hatte die ganze Zeit über halb auf seinem Bein gelegen, und je mehr er sich in seiner Erregung bewegte, um so mehr reizte er damit auch meine intimste Zone. Als ich jetzt seinen Höhepunkt mit wirklich allen Sinnen erfasste, überkam es mich gleichzeitig so heftig und so intensiv, dass ich für kurze Zeit wirklich fürchtete, den Verstand zu verlieren. Ich hatte mein Gesicht auf seiner Bauchdecke vergraben, während ich darauf wartete, wieder Herr meiner Sinne zu werden und dabei die Wellen ganz langsam abebben ließ. So bekam ich dann auch mit, dass er nicht in der Lage war, sein Zittern zu kontrollieren, er war noch völlig berauscht und gleichzeitig unglaublich ermattet von dem soeben Erlebten. Ich selbst hatte das Gefühl, dass unsere intimen Momente von Mal zu Mal heftiger und intensiver wurden, und ich war unendlich dankbar dafür, dass ich das überhaupt mit meinem Freund, meinem geliebten Blutsbruder erleben durfte. Jetzt aber robbte ich mich zu ihm hoch, schlang meine Arme um ihn, presste seinen Kopf an meine Schulter und drückte ihn fest an mich, um ihm so vielleicht irgendwie helfen zu können, wieder zur Ruhe zu kommen und sich zu entspannen. Er umarmte mich ebenfalls, und so lagen wir, ich weiß nicht, wie lange, eng umschlungen auf dem Bett und waren jeder einfach nur froh, dass es den anderen gab. Irgendwann fragte er mich, immer noch etwas außer Atem, ganz leise: „Was machst du nur mit mir, Scharlih?“, worauf mir nur eine Antwort einfiel: „Ich mache dich hoffentlich glücklich, etwas anderes möchte ich gar nicht.“ Jetzt sah er mich an und seine Stimme zitterte etwas vor innerer Bewegung, als er mir zusicherte: „Das tust du, Scharlih, das tust du ganz gewiss! Nie bin ich in meinem Leben glücklicher gewesen als mit dir!“ Um zu verhindern, dass mir vor Rührung schon wieder die Tränen kamen, verschloss ich seinen Mund mit einem langen, intensiven Kuss. Kapitel 32: Wiedersehen mit den Geiern -------------------------------------- Ich lag jetzt halb auf, halb neben meinem Freund, strich ihm immer wieder die Haare aus der Stirn, streichelte ihm über die Wangen, ließ meine Finger über seine Lippen gleiten, genoss einfach jede Zärtlichkeit, die ich ihm zuteil werden lassen konnte, weil ich sah, wie gut ihm das alles tat, während er selbst ganz langsam und zärtlich mit seinen Händen an allen erreichbaren Stellen meines Körpers meine Haut liebkoste und massierte. Dann aber erinnerte ich mich an die Frage, die mir mittags wegen der Bemerkung von Emery durch den Kopf gegangen war. Ich sah ihn an, und wie immer versank ich sofort in der samtenen Schwärze seiner wunderschönen Augen. Sein Blick ruhte mit einer solch innigen Wärme auf mir, dass mir wie so oft ein Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter jagte. Irgendwie gelang es mir aber dennoch, mich auf meine eigentliche Absicht zu konzentrieren, fasste mir ein Herz und fragte ihn leise und doch geradeheraus: „Hat mein Bruder eigentlich jemals daran gedacht, eigene Kinder zu haben?“ Jetzt weiteten sich seine Augen und ein überraschter Ausdruck machte sich auf seinem Antlitz bemerkbar. Damit hatte er nun mal gar nicht gerechnet, und so wartete er auch etwas länger, bevor er mir antwortete: „Ja, Winnetou hat früher einmal daran gedacht. Jetzt ist dieser Wunsch aber ganz aus seinem Herzen verschwunden.“ Ich sah ihn fragend an und forschte weiter nach: „Warum denn das? Ich bin mir sicher, du wärst ein wundervoller Vater!“ Er erwiderte lächelnd meinen Blick und fuhr fort: „Ich bin ja schon Vater. Ich bin Vater eines ganzen Volkes, und diese Aufgabe nimmt mich so sehr ein, ich bin so oft monatelang nicht in unseren Weidegründen am Pecos – wie selten würden mich dann eigene Kinder zu sehen bekommen? Und dann.... ich habe schon so oft....“, er stockte hier, wusste offenbar nicht, ob er mir seine geheimsten Gedanken mitteilen wollte oder konnte, aber dann tat er es doch, wohl in der Gewissheit, dass er sich mir gegenüber nicht zurückzuhalten brauchte und mir alles anvertrauen konnte, was ihn bewegte. Er seufzte einmal auf, sagte dann: „Ich habe schon so oft Söhne bekannter Häuptlinge sterben sehen, einfach, weil es die Söhne waren und man mit ihrem Tod diesem Feind, diesem Häuptling am meisten schaden konnte. Ich würde es mir niemals verzeihen können, wenn mein eigener Sohn sterben sollte, nur weil ich sein Vater bin und ich ihm dann noch nicht einmal helfen könnte....“ Wieder brach er ab, ein leiser Schauder durchlief seinen Körper. Vollkommen betroffen nahm ich ihn wieder in die Arme. Solche Überlegungen hatte ich selbst noch nie angestellt, und mir wurde ein weiteres Mal überdeutlich bewusst, wie sehr diese gefährlichen Zeiten sein Leben bestimmten, wie sehr alles auf seine Aufgabe als Häuptling zulief, sein Volk durch die Stürme und Veränderungen in dieser Zeit zu führen, so dass für ein eventuelles Familienleben fast gar kein Raum mehr blieb. Und wieder einmal war ich heilfroh über meine Entscheidung, für immer an seiner Seite zu bleiben, denn auch wenn er kein Weib und kein Kind zu seiner Familie zählen durfte, so hatte er dann doch mich als seelische Stütze, und zudem konnte ich ihn aktiv bei seinen Aufgaben unterstützen, was Frau und Kinder in der Regel ja nicht leisten konnten. Ich war mir ja schon länger sicher, dass eine höhere Macht mich gerade jetzt zu Winnetou geführt hatte, als er mich am dringendsten brauchte, und vielleicht war es auch ein höherer Wille, dass wir in dieser Form zusammen leben sollten, da es vor allem für meinen Freund ja allem Anschein nach keine andere Möglichkeit gab. Ich stütze meinen Kopf auf meine Handinnenfläche und fragte noch einmal vorsichtig nach: „Vermisst du ein mögliches Familienleben gar nicht? Würdest du nicht gerne eigene Kinder aufwachsen sehen?“ Er antwortete: „Nein, und da bin ich mir auch sehr sicher. Wenn ich hier und da für längere Zeit die Gelegenheit habe, mich am Rio Pecos aufzuhalten, verbringe ich viel Zeit damit, die Jugend unseres Dorfes in allen wichtigen Fertigkeiten zu unterrichten, und es macht mich immer unendlich stolz, wenn sich einer von ihnen besonders bewährt und zu einem hervorragenden Krieger heranwächst. Das ersetzt wahrscheinlich den Vaterstolz.“ Ich nickte versonnen, denn nun stellte sich vor meinem geistigen Auge genau solch eine Szene dar, wie Winnetou, umgeben von den Jungen seines Dorfes, ihnen all seine Fähigkeiten vermittelte, und ich konnte sein stolzes Lächeln richtiggehend vor mir sehen, wenn er erkannte, dass sie ihm mit größter Hingabe nacheiferten. Ganz in Gedanken versunken, überhörte ich seine Frage, und erst als er mich anstieß und mich dann schmunzelnd ansah, richtete sich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Freund. Er stellte seine Frage noch einmal: „Wie sieht es denn bei meinem Bruder aus? Hat er auch noch nie über Kinder nachgedacht? Winnetou hat ein wenig Sorge, dass sein Bruder sich selbst dieser Möglichkeit beraubt, wenn er seiner Heimat für immer den Rücken kehrt.“ Jetzt richtete ich mich schnell auf und entgegnete ihm mit größtem Nachdruck: „An so etwas soll Winnetou noch nicht einmal denken! Mein größtes Glück bist du, und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, mit irgend jemand anderem zusammen zu leben, schon gar nicht mit einer Frau!“ Er ließ jetzt sein mir so lieb gewordenes leises Lachen hören - meine Worte mussten aber auch etwas seltsam in seinen Ohren klingen. Ich fuhr fort: „Ohne Frau keine Kinder, und ich habe mir, ehrlich gesagt, auch nie richtig welche gewünscht, einfach aus dem Grund, weil ich viel zu gerne in der Weltgeschichte herumreise und nicht gerne gebunden bin.“ Ich sah, dass Winnetou jetzt eine Bemerkung auf der Zunge lag, wusste aber genau, was er sagen wollte und kam ihm deshalb schnell zuvor. „Wenn ich mit dir zusammen leben werde, ist das etwas völlig anderes. Dieses Leben ist viel ungebundener und freier als das eines Familienvaters in Deutschland, und da ich dich ab jetzt auf all deinen Wegen zu den Stämmen der Apatschen begleiten werde, bin ich ja auch hier niemals immer nur an einem Ort, immer vorausgesetzt natürlich, wenn du auch möchtest, dass ich dich begleite.“ Winnetous schönes, edles Antlitz leuchtete auf vor Freude, er kam jetzt ebenfalls schnell hoch, packte mich bei den Schultern, presste mich mit dem Rücken auf unser Lager, war dann sofort über mir, nahm mein Gesicht in seine Hände und begann, überall sanfte Küsse darauf zu verteilen. Dabei sagte er im spielerischen Ton: „Das fragt mein Bruder noch? Das fragst du wirklich im vollen Ernst? Niemand wird jemals stolzer sein als der Häuptling der Apatschen, wenn er seine verschiedenen Stämme mit seinem weißen Blutsbruder an seiner Seite aufsuchen kann!“ Er ließ sich jetzt vollends auf mich hinab sinken, seine Lippen berührten meine erst ganz sanft, wurden dann fordernder, er vertiefte den Kuss, während er sich mit einem Arm etwas abstützte und mit der anderen Hand alle für ihn erreichbaren Stellen meines Körpers liebkoste. In mir erwachte in Sekundenschnelle wieder eine wilde Leidenschaft, ich erwiderte seine Zärtlichkeiten, so gut es ging, und dabei war ich mir sicher, dass ich von seinem Körper, aber auch von seiner Seele und seinem Herz nie genug bekommen würde. Aber jetzt lag ich unter ihm, und es sah nicht so aus, als ob er diese Position freiwillig aufgeben würde. Nun nutzte er mal die Situation vollkommen aus, ließ mir fast keine Bewegungsfreiheit, während er mich mit seinen Händen, seinen Fingern, seinen Lippen nach allen Regeln der Kunst überall verwöhnte. Als er sich so legte, dass er mit seinem Mund meinen Intimbereich erreichen konnte und mich trotzdem vollständig unter seiner Kontrolle behielt, blieb mir nichts anderes mehr übrig, als mich auch eines Kissens zu bedienen, denn ich konnte mein lautes Stöhnen und Keuchen in keinster Weise mehr unterdrücken. Auch er sparte meine Männlichkeit von seinen Zärtlichkeiten vollständig aus, und nach wenigen Augenblicken glaubte ich, der Raserei nahe zu sein. Seine Hände waren überall und doch nirgends, seine Lippen waren so unglaublich sanft und zart und gleichzeitig hart und unnachgiebig, und als er mit ihnen dann schlussendlich doch meinen Schaft berührte, an ihm entlangfuhr, ihn langsam in seinen Mund gleiten und auch noch seine Zunge zum Einsatz kommen ließ, während seine Hand ihn ebenfalls massierte, da hatte ich das Gefühl, nur noch aus flüssigem Feuer zu bestehen und vor Lust gleich vergehen zu müssen. Himmel, wie konnte ein einzelner Mensch einem anderen nur so unendlich gut tun? Auch ich konnte jetzt nicht anders, ich kam ihm mit meinem Becken, so weit es ging, entgegen, und je tiefer er mich dadurch in sich aufnahm, je stärker begann es in mir zu brodeln. Obwohl ich inzwischen fast völlig die Kontrolle über mich verloren hatte, gelang es mir dann aber doch noch mit allerletzter Willensstärke, ihn dazu zu bringen, von mir abzulassen und ihn zu mir hochzuziehen. Sofort drehte ich ihn wieder auf den Rücken, ließ mich vorsichtig auf ihn sinken und als unsere harten Schäfte sich berührten, wäre es mit meiner Beherrschung fast vorbei gewesen. Auch er war im höchsten Grade erregt, ich spürte ihn unter mir pulsieren und jetzt sah ich ihm ins Gesicht. Das war es, was ich wollte, ich wollte ihm in die Augen schauen, während ich ihm den höchsten Genuss verschaffte. Er sah mich ebenfalls an, nahm mich aber gar nicht mehr richtig war, ich hatte den Eindruck, dass er sich schon in einer ganz anderen Dimension befand. Als ich mit meiner Hand an seiner intimsten Stelle noch ein wenig nachhalf und mich gleichzeitig langsam an ihm zu reiben begann, legte sich ein Schleier der Lust über seine Augen, während er erstickte, undefinierbare Laute von sich gab. Ich wünschte mir, das hier bis in alle Ewigkeit ausdehnen zu können. Dann bewegte ich mich aber doch noch ein wenig schneller, massierte ihn etwas fester und konnte nun in seinen Augen sehen, dass er jetzt soweit war. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, durch sie in die Tiefen der Unendlichkeit, in die Ewigkeit schauen zu können. Jetzt aber schloss er seine Lider mit einem lauten Aufstöhnen, dass er aber sofort an meiner Schulter zu unterdrücken versuchte, und dann überrollte ihn der Höhepunkt so heftig, dass er sich richtiggehend bei mir festhalten musste, während er sich in unregelmäßig pulsierenden Schüben heiß zwischen unseren Körpern ergoss. Mir selber kam es ebenfalls sofort, so überwältigend, so berauschend, so intensiv, dass ich glaubte, mein Herz müsste mir jeden Augenblick stehenbleiben. Schweißgebadet, völlig außer Atem, erschöpft und überwältigt blieben wir eine lange Zeit eng umschlungen einfach liegen, unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Ich wollte ihn am liebsten überhaupt nicht mehr loslassen, wollte das Kostbarste, was es für mich auf dieser Welt gab, nur noch für immer ganz eng bei mir behalten. Irgendwann aber regte sich Winnetou in meinem Arm und flüsterte leise: „Wenn wir uns jetzt nicht überwinden und hier etwas Ordnung schaffen, werden wir morgen früh Mühe haben, das hier zu erklären!“ Ich lachte halblaut in mich hinein, verließ dann aber doch etwas wehmütig diese wunderbare Zweisamkeit. Zusammen säuberten wir unser Umfeld und uns selber, legten uns dann wieder eng aneinander geschmiegt ins Bett und waren innerhalb weniger Minuten eingeschlafen. Kaum graute der Tag, waren wir auch schon wieder aufgestanden. Nach einem kurzen Frühstück ging Winnetou nach draußen, da sein Unterhäuptling gerade von seinem nächtlichen Ritt zurückgekehrt war. Er hatte Winnetous Placer nach dessen Beschreibung erfolgreich gefunden und brachte nun genügend Nuggets mit, um die Geier in die Falle locken zu können. Ich besprach mich nochmals kurz mit den Gefährten, dann beluden wir den Planwagen und schickten schließlich den Bärenjäger und seinen Sohn mit dem Wagen los, um die Fährte zu legen. Bis zum Mittag wurden noch letzte Vorbereitungen getroffen, und dann war es soweit. Jeder der Männer wusste, was er zu tun hatte. Den Siedlern wurden noch letzte Instruktionen gegeben, anschließend verließen wir alle die Farm. Während unsere Gefährten allesamt zur Schlucht ritten, begaben Winnetou und ich uns zu dem Punkt, wo der Planwagen in Richtung der Schlucht abbiegen würde, um zu beobachten, ob die Bande tatsächlich auf unsere List hereinfiel. Ungefähr eineinhalb Stunden ritten wir bis zu dem besagten Ort. Dort angekommen, versteckten wir unsere Pferde in der Nähe und suchten uns selbst eine geeignete Deckung in Form einiger großer, moosbewachsener Felsen, von wo aus wir die Schurken gut beobachten konnten. Unserer Berechnung nach mussten sie spätestens am Nachmittag hier eintreffen, denn aufgrund des Planwagens, den sie mitführen wollten, waren sie ja doch langsamer, außerdem würden sie noch etwas Zeit brauchen, ihre eigentliche Falle aufzubauen. Sollten sie aus irgendeinem Grund nicht der Fährte der Baumanns folgen wollen, würden Winnetou und ich improvisieren müssen, um sie doch noch zur Schlucht zu locken. Auf alle Fälle mussten wir verhindern, dass sie ihren Weg zur Farm fortsetzten. Seitdem wir Kenntnis von dem Plan der Bande hatten, war die gesamte Umgebung von Helmers Home mehrmals täglich nach Spuren von eventuellen Spähern der Geier abgesucht worden, ohne dass jedoch irgendetwas entdeckt worden war. Somit waren wir sicher, dass sie von der neuen Situation noch gar nichts ahnen konnten. Winnetou und ich saßen noch nicht lange in unserem Versteck, als wir am Horizont eine dünne, langgezogene Linie, in deren Mitte sich ein erhöhter Punkt befand, bemerkten, die allmählich näher kam. Das waren die Verbrecher, die in einer langen Reihe nebeneinander geritten kamen und ebenfalls einen Planwagen mit sich führten, mit dessen Hilfe sie ja eigentlich uns überlisten wollten. Unsere Anspannung stieg, denn jetzt kam es drauf an! Die Banditen kamen rasch näher, und dann ließ der Vorderste alle anhalten. Wir erkannten ihn, es war der oberste Anführer der Bande. Sein Blick wandte sich nach Westen, also in die Richtung, in der unser Planwagen gefahren war, dann wieder Richtung Süden, in der die Farm lag. Er war sichtlich unschlüssig, was nun geschehen sollte und rief deshalb seine beiden Unteranführer zu sich. Man hörte die drei lauthals miteinander reden, ohne dass wir aber irgendetwas verstanden. Wenige Augenblicke später vernahmen wir plötzlich einen lauten Aufschrei; einer der Schurken zeigte wild gestikulierend auf einen Punkt auf dem Weg Richtung Westen – er hatte das erste Stück Gold entdeckt, welches Baumann natürlich recht nah an der Wegkreuzung fallen gelassen hatte! Jetzt waren die Kerle nicht mehr zu halten, fast alle stürzten gleichzeitig auf das Edelmetall zu und als sie es erreicht hatten, entbrannte sich eine regelrechte Rauferei darum. Das laute Geschrei konnte man vermutlich meilenweit hören. Nun zeigte sich, dass der Boss seine Bande gut im Griff hatte, er bemächtigte sich des Goldstückes und fauchte so laut, dass wir es bis zu unserem Versteck deutlich hören konnten: „Ruhe jetzt, verdammt noch mal! Das Gold nehme ich, und wehe demjenigen, der etwas dagegen hat! Offenbar hat jemand etwas aus dem Wagen, der hier gefahren ist, verloren. Wir folgen ihm, vielleicht finden wir noch mehr von diesen Kostbarkeiten!“ Der Jubelschrei der Banditen war noch lauter als ihr vorheriges Gezänk. Der Boss fügte noch hinzu: „Sollte das hier länger dauern, werden wir die Siedler eben morgen überfallen, denn wie wir ja von Rob erfahren haben, sitzen die noch länger hier in der Gegend herum. Und jetzt los“! In Windeseile saßen alle auf den Pferden und folgten unserer Fährte. Es war geglückt! Wir ließen der Bande einen kleinen Vorsprung, gerade so viel, wie nötig war, um nicht von ihnen gesehen zu werden, und ritten dann langsam und vorsichtig hinter ihnen her. Der Bärenjäger und sein Sohn hatten wirklich gute Arbeit geleistet. In ausreichenden Abständen hatten sie zusammen mit einigen wenigen Kleidungsstücken immer wieder einen Goldklumpen fallen lassen, so dass es nicht zu auffällig wirkte, die Geier aber doch dazu verleitete, weiter hinterher zu reiten, in der Hoffnung, noch mehr zu finden. Es sah wirklich so aus, als ob sich ein Koffer mit Kleidern und einem darin verstecktem Goldvorrat geöffnet hätte und diese nach und nach hinten aus dem Wagen gefallen wären. Nach ungefähr zwei Stunden waren wir in der großen Schlucht, die Winnetou und ich ja auch von unseren Reisen nach Helmers Home kannten, angelangt. Den Eingang zur kleinen, versteckten Schlucht hatten wir zwar noch nie gesehen, sie uns aber von Firehand ausführlich beschreiben lassen, so dass wir ihn schon von weitem erkannten. Kurz darauf hielten die Banditen auch davor an und berieten sich nochmals. Offenbar waren sie doch etwas überrascht, dass ihr früheres Versteck auch anderen Menschen bekannt war. Sie ließen daher auch größte Vorsicht walten und schickten erst einmal zwei Kundschafter los, um vor allem den mit dichtem Gebüsch und mehreren großen Bäumen bewachsenen Eingangsbereich nach möglichen feindlichen Posten zu durchsuchen. Jetzt kam es darauf an, ob sich unsere Männer auch gut genug verborgen hielten. Das war anscheinend der Fall, denn einer der Kundschafter kam wieder zurück, um den Anführer von der Ungefährlichkeit des Eingangs zu berichten. Er wurde wieder zurück geschickt, damit er sich zur Vorsicht nochmal einen groben Überblick über das kleine Tal machen sollte, zumindest reimten wir uns das aus der Mimik und Gestik der Sprecher zusammen, denn hören konnten wir fast gar nichts. Deswegen schlichen wir uns auch, nachdem wir die Pferde sicher zurückgelassen hatten, so weit wie möglich an die Bande heran, um nichts Wichtiges zu verpassen. Kurze Zeit später hatten sich die Späher dann wohl von der Ungefährlichkeit der Schlucht überzeugt, sie kamen zurück und winkten die restlichen Banditen herbei. Jetzt konnten wir auch hören, dass sie weit am Ende des Tales offenbar unseren Planwagen entdeckt, sich diesem aus Vorsicht aber nicht genähert hatten. Sie mussten ja damit rechnen, dass sich dort auch Menschen, wahrscheinlich sogar bewaffnete, befanden, und wollten das Risiko nicht eingehen, überwältigt zu werden und die Besitzer des Wagens damit vor weiteren Angriffen zu warnen. Ich war fest davon überzeugt, dass die Geier annahmen, in dem Wagen noch mehr Gold zu finden. So war es dann auch. Der Boss entschied, mit der gesamten Bande einschließlich ihres Planwagens in die Schlucht zu reiten und den Wagen dort zu überfallen. Einer nach dem anderen durchquerte das Gebüsch im Eingangsbereich, und kurz darauf war der letzte im Tal verschwunden. Unser Plan hatte tatsächlich funktioniert! Einen Augenblick warteten wir noch ab, dann schlichen wir uns an den Rand der Sträucher, lauschten einen Moment lang, und drangen schließlich mit äußerster Vorsicht ebenfalls in das Gebüsch ein. Langsam, uns Schritt für Schritt vortastend, wobei ich den Apatschen vorangehen ließ, der mit seinen katzenhaften Augen scheinbar mühelos das Dunkel des Dickichts durchdringen konnte, legten wir eine kurze Strecke zurück, bis Winnetou plötzlich stehenblieb. Er horchte ein paar Sekunden in die Stille hinein, mit hocherhobenen Kopf und bebenden Nasenflügeln, fast so, als könne er die Anwesenheit eines Menschen wittern. Kurz darauf gab er mir ein Zeichen und schlich, jetzt völlig lautlos, noch wenige Meter weiter, um dann leise zu flüstern: „Mein Bruder Old Firehand mag nicht erschrecken, Old Shatterhand und Winnetou sind direkt hinter ihm!“ Im letzten Augenblick hatte ich Firehand auch gesehen, der trotz Winnetous Worte kurz zusammenzuckte vor Schreck, denn dass jemand sich so nahe an ihn heranschleichen konnte, ohne dass er auch nur das Geringste mitbekam, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Firehand hatte sich gerade auf den Weg gemacht, den Holzhaufen in seiner Nähe anzuzünden, während auf der anderen Seite des Einganges, der ja nur ungefähr dreißig Schritte breit war, die gleiche Aufgabe Old Surehand erledigen wollte. In der Mitte gab es noch einen dritten Holzstoß, den Bloody Fox entfachen würde. Diese drei sowie Winnetou und ich würden den ganzen Bereich überwachen, wenn das Feuer entbrannt war, während die restlichen Gefährten sich oben an den Rändern der Schlucht aufgestellt hatten, um auf unser Zeichen, dass aus dem Feuer bestand, aufzustehen und die Banditen mit ihren Waffen zu bedrohen. Jetzt schlich Winnetou alleine weiter, um sich davon zu überzeugen, dass keiner der Verbrecher mehr in der Nähe war. Wenige Minuten später war er zurück. „Sie haben fast die Mitte der Schlucht erreicht“, flüsterte er uns zu. „Wir sollten jetzt handeln, der Zeitpunkt ist günstig“ Nun war es also soweit. Firehand entfachte den Holzstoß neben ihm, und als der Feuerschein bis zu den Gefährten drang, entzündeten Surehand und Fox auch die ihrigen. Kapitel 33: Alles vorbei ------------------------ Mittlerweile war es Abend geworden und die Dunkelheit senkte sich über die Schlucht. Wir warteten noch einen Moment, bis das Feuer so groß geworden war, dass sein Schein weit in das Tal hineinreichte und wir die ersten erschreckten Stimmen der Geier hörten, dann traten Winnetou und ich aus dem Gebüsch und schritten eine kleine Strecke in die Schlucht hinein, bis wir in Sichtweite der Banditen waren. Diese hatten sich regelrecht in einen aufgeschreckten Haufen verwandelt, und einige von ihnen waren gerade im Begriff, zu der Ursache des Brandes zu eilen, als ich meinen Bärentöter hob und einen Schuss daraus abgab, der durch das ganze Tal drang und für unsere Gefährten oben an den Abgründen ein Zeichen war, jetzt allergrößte Aufmerksamkeit walten zu lassen. Sofort stand die ganze Geierbande wie von Geisterhand gestoppt starr vor Schreck an ihrem Platz. Mit lauter Stimme rief ich sie nun an: „Hier spricht Old Shatterhand! Wenn euch euer Leben lieb ist, dann werdet ihr jetzt genau das tun, was ich euch sage!“ Ich wartete einen Augenblick, um zu sehen, welche Wirkung meine Worte entfalten würden. Die Geier standen immer noch wie erstarrt, wussten nicht, wie ihnen geschah. Ich fuhr fort: „Ihr seid vollständig umzingelt und habt keine Chance, hier unversehrt wieder rauszukommen! Seht nach oben an die Ränder dieser Schlucht und ihr wisst, woran ihr seid!“ Die Blicke sämtlicher Schurken wandten sich nach oben, wo sie zu ihrem Entsetzen unsere Gefährten sahen, die allesamt mit angelegten und entsicherten Gewehren auf die Banditen zielten. Daraufhin erhoben sie ein lautes Wehgeschrei und begannen, wild gestikulierend durcheinander zu rufen. „RUHE!!“ donnerte ich mit all meiner Kraft in der Stimme, und sofort trat wieder Stille ein. „Ihr habt jetzt die Wahl,“ erklärte ich ihnen. „Entweder ihr ergebt euch sofort bedingungslos - in diesem Fall werdet ihr auf der Stelle eure Waffen ablegen und euch in unsere Hände begeben. Oder ihr versucht zu kämpfen und zu fliehen, dann werdet ihr auf der Stelle bis auf den letzten Mann ausgelöscht! Ihr habt genau zwei Minuten Zeit, um euch zu entscheiden!“ Nach diesen Worten zogen mein Freund und ich uns wieder etwas in den Schatten zurück, um den Kerlen kein Ziel zu bieten und auf ihre Entscheidung zu warten. Firehand und Surehand gesellten sich mit Bloody Fox zu uns, und gespannt warteten wir, was die Banditen nun tun würden. Surehand fragte mich: „Wer soll ihre Waffen einsammeln, wenn sie auf unsere Bedingungen eingehen?“ Ich überlegte einen Augenblick, dann antwortete ich ihm: „Am besten wird es sein, wenn wir sie einzeln zu uns kommen lassen. Sie sollen Winnetou ihre Waffen übergeben und wir anderen binden sie anschließend. Habt ihr genügend Stricke mitgenommen?“ „Natürlich, wofür hältst du uns? Sehen wir aus wie Greenhorns?“ entgegnete mir Firehand in gespielter Entrüstung. In diesem Moment erinnerte uns Fox daran, dass das Ultimatum abgelaufen war. Also traten Winnetou und ich wieder in den Lichtschein der Feuer, die übrigens jetzt auch an den Seiten und am Ende der Schlucht brannten, damit die Banditen sich nicht ins Dunkel zurückziehen konnten, um uns kein Ziel mehr zu bieten. Entfacht hatten diese ein paar Apatschen; sie hatten sich vor wenigen Minuten im Schutz der Dunkelheit mit Seilen die Schluchtwände hinunter gehangelt und die auch dort vorbereiteten Holzstöße angezündet. Als ich sicher war, von der Bande gesehen zu werden, sprach ich sie erneut laut an: „Die Zeit ist um! Wie habt ihr euch entschieden?“ Es folgte ein kurzer Augenblick der Stille, dann tönte plötzlich eine Stimme herüber, die ich als die des Anführers erkannte: „Ergeben sollen wir uns? Den Teufel werden wir tun! Da habt ihr unsere Antwort!“ Im gleichen Moment riss er sein Gewehr hoch und schoss sofort. Wir hatten mit so einer Reaktion dieses Cholerikers gerechnet und warfen uns auf der Stelle zu Boden, so dass niemand von uns getroffen wurde. Jetzt krachten von den Anhöhen rund um die Schlucht viele Schüsse auf einmal, worauf hin ein oder zwei Banditen ein lautes Schmerzensgeheul hören ließen, mehr aber waren wohl nicht getroffen worden, denn auch sie hatten sich alle flach auf den Boden oder nahe der Büsche, die überall in der Schlucht wuchsen, fallen gelassen, so dass sie nicht mehr so gut unter Feuer genommen werden konnten. Winnetou stieß mich jetzt an, deutete auf unsere Gewehre, zeigte dann in die Richtung, in der die Banditen lagen, und ich verstand ihn sofort. Ich wies unsere Gefährten an, in Deckung zu bleiben und unter allen Umständen zu verhindern, dass die Geier durch den Ausgang der Schlucht hindurch brechen konnten, dann krochen mein Freund und ich langsam, ohne ein Geräusch zu verursachen und jede Deckung ausnutzend, in die unmittelbare Nähe der Halunken. Nicht lange, da hatten wir die ersten erreicht; sie lagen immer noch am Boden. Der Boss allerdings war gerade dabei, sich vorsichtig zu seinen beiden Unteranführern heranzupirschen, er musste unbedingt besprechen, wie es jetzt weiter gehen sollte. Der Apatsche und ich visierten mehrere Geier an, unter anderem auch einen der Unteranführer, dann ließen wir unsere Gewehre sprechen. Wir hatten so gezielt, dass wir die Betreffenden nur verwundet, nicht aber getötet hatten, aber der Erfolg war immens. Winnetou hatte zwei, ich dank meines Henrystutzens fünf der Kerle erwischt, und die verfielen jetzt in ein lautes Wehklagen, während der Rest der Bande völlig verschreckt hinter Felsen und Büschen Deckung suchte. Jetzt stand Winnetou auf und stellte sich so, dass er für alle gut sichtbar war. Beleuchtet vom Schein des Feuers, hoch aufgerichtet, mit blitzenden Augen und fest entschlossenem Gesichtsausdruck gab er ein beeindruckendes Bild ab. Er herrschte die Verbrecher an: „Hier steht Winnetou, Häuptling der Apatschen! Die feigen Hunde der Geier mögen hören, was er zu sagen hat! Rund um dieses Tal haben sich die mutigsten Männer des Westens versammelt, und jeder einzelne von ihnen wäre in der Lage, es allein mit den hier am Boden liegenden winselnden Kojoten aufzunehmen. Deshalb sage ich es nur einmal: Ihr werdet euch jetzt sofort in unsere Hände begeben, sonst werden Old Shatterhand und Winnetou einen Großteil von euch sofort erschießen, während Old Firehand, Old Surehand, Dick Hammerdull, Pit Holbers, Bloody Fox und viele andere berühmte Männer sowie die tapferen Krieger der Apatschen alle anderen Geier vernichten! Jeder, der sich entschließt, aufzugeben, begibt sich zu mir und händigt mir seine Waffen aus, aber einzeln hintereinander! Beim geringsten Widerstand wird geschossen! Howgh!“ Diese kraftvolle Rede und vielleicht auch die Nennung so vieler berühmter Namen verfehlte ihre Wirkung nicht. Nach einem Moment des Zögerns kam der erste der Kerle zu Winnetou und legte sämtliche Waffen ab. Ich winkte ihn dann zu mir, um ihn zu binden und einigen Apatschen zu übergeben, die sich mittlerweile zu uns gesellt hatte. Dieses Beispiel war ausschlaggebend, jetzt kam einer nach dem anderen, um sich zu ergeben. Es waren immerhin weit über sechzig Leute, die wir so behandelten, wenn man die am Boden liegenden Verwundeten abrechnete, um die sich Surehand sowie Tsai-tonkee kümmerten. Wir arbeiteten eine Weile schweigend und höchst konzentriert, als ich aus den Augenwinkeln bemerkte, wie der Boss der Bande sich Winnetou näherte, um seine Waffen abzugeben. Ich spürte mehr, als dass ich sah, dass er absolut nicht bereit war, sich zu unterwerfen, und auf Rache sann. Bei dem Burschen, den ich gerade fesselte, brauchten nur noch die Beine zusammengebunden werden; ich übergab ihn schnell an Firehand und bewegte mich Richtung des Apatschen, um ihn im Notfall zu unterstützen, als mehrere Dinge gleichzeitig geschahen. Der Anführer hielt sein Gewehr auffällig in der vorgestreckten Hand, wohl um Winnetous Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Von meiner Position aus konnte ich aber erkennen, dass er in der anderen Hand, die er halb hinter dem Rücken verborgen hatte, ein Messer hielt. Bevor ich dazu kam, meinen Freund zu warnen, der in diesem Augenblick die Waffe entgegennehmen wollte, hob der Verbrecher die Hand mit dem Messer und wollte es ihm in den Hals stoßen. Er wurde in seiner Bewegung aber durch Winnetous Arm unterbrochen, der diese Absicht erahnt hatte, jetzt mit seinem Unterarm die Messerhand stoppte, dem Anführer gleichzeitig die andere Faust in den Magen rammte, und als der sich nach Luft schnappend zusammenkrümmte, bekam er von meinem Freund den Gewehrkolben so über den Kopf gezogen, dass er augenblicklich bewusstlos zusammenbrach. In diesem Augenblick war ich auch schon bei ihm, und der Schreck über diesen unerwarteten Angriff stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn Winnetou versuchte mich zu beruhigen, indem er mir seine Hand auf den Arm legte, gleichzeitig aber die anderen Banditen nicht aus den Augen ließ, falls diese sich durch das Beispiel ihres Bosses genötigt sahen, es ihm gleichzutun. Er flüsterte mir zu: „Mein Bruder sieht, dass er sich keine Sorgen um Winnetou machen muss!“ und nahm dann direkt die nächsten Waffen der jetzt offensichtlich eingeschüchterten Halunken an sich. Ich nickte ihm lächelnd zu, blieb aber trotzdem an seiner Seite, um ihn bei seiner Aufgabe zu unterstützen und vor allem zu verhindern, dass sich das einer der Kerle noch einmal getraute. Die weitere Entwaffnung der Geier verlief nun reibungslos. Unsere Gefährten oben auf den Anhöhen verließen ihre Plätze, als wir mit den letzten Verbrechern beschäftigt waren, um sich ebenfalls in die Schlucht zu begeben. Surehand und Tsain-tonkee hatten nun auch alle Verwundeten versorgt und gefesselt, daher machten sie sich jetzt zum Eingang der Schlucht auf, um die restlichen Männer von dem glücklichen Ausgang unseres kleinen Abenteuers zu informieren. Es waren nun fast alle Anwesenden in der Schlucht versammelt, und wir banden gerade die letzten der Schurken zusammen, als Surehand wieder zurückkehrte und auf mich zutrat. Er wirkte etwas nervös und begann auch sofort: „Charlie, ich habe gerade erfahren, dass der Unteranführer, den wir in dem Verschlag auf der Farm eingesperrt hatten, ausgebrochen und geflohen ist!“ „Wie ist das möglich?“ fragte ich erschrocken. „Und woher weißt du das?“ „Ob du es glaubst oder nicht“, fuhr Surehand fort. „Der Doktor hat sich mit Treckführer Schumann direkt auf den Weg hierhin begeben, nachdem sie den Ausbruch bemerkt hatten, um uns zu warnen. Und die beiden haben es tatsächlich geschafft, trotz der Dunkelheit diesen Ort hier nur den Beschreibungen nach, die sie von uns gehört hatten, zu finden!“ Ich sah Winnetou an, dessen Gesicht aber unbewegt blieb. „Aber es kann doch eigentlich keine Gefahr von diesem Kerl ausgehen, er ist ja schließlich nicht mehr Herr seiner Sinne“, überlegte ich laut. „Da wäre ich mir nicht so sicher“, entgegnete Surehand. „Der Doktor meinte, die Art des Ausbruchs lässt darauf schließen, dass er offensichtlich wieder orientiert ist!“ Das war natürlich eine neue Sicht der Dinge. Wer wusste schon, wie lange der Kerl wieder klar denken konnte, und aus seinem Gefängnis heraus hatte er durchaus die Möglichkeit gehabt, einigen wichtigen Besprechungen von uns zu lauschen. Sollte er wissen, was heute Abend geschah, könnte es möglich sein, dass er einen Befreiungsversuch wagen wollte. Wir würden also erhöhte Aufmerksamkeit aufbringen müssen, um keine unangenehme Überraschung zu erleben. Ich war gerade mit meinen Überlegungen soweit gekommen, als das Unheil schon über uns, vor allem aber über Winnetou hereinbrach. Ich registrierte mit einem Mal eine schnelle Bewegung seinerseits, dann war er auch schon bei mir, drängte mich etwas zur Seite und stand sofort mit seinem ganzen Körper und ausgebreiteten Armen hochaufgerichtet vor mir. Das Ganze geschah so schnell, dass ich zu keiner Regung fähig war. Und dann spürte ich auch schon den Schlag. Irgendetwas hatte meinen Freund getroffen, und die Wucht des Schlages war so heftig, dass sie ihn mit Gewalt gegen mich warf und ich die Erschütterung noch mit meinem eigenen Körper wahrnehmen konnte. Für einen Moment schien die Welt still zu stehen. Dann aber krallten sich die Finger des Apatschen in mein Jagdhemd an meiner linken Schulter, er versuchte mit einem krampfhaften Atemzug, Luft zu holen und begann im gleichen Augenblick zu schwanken. Vor meinen inneren Auge erschien nur das eine Wort: NEIN! Hatte ich es laut geschrien? Ich weiß es nicht. Die nun folgenden Szenen spielten sich wie in Zeitlupe ab, ich hatte das Gefühl, alles wie durch Watte zu hören, eigentlich drangen gar keine Geräusche zu mir durch. Nur dieses NEIN war immer wieder zu hören, entweder schrie ich oder meine Gefährten oder alle zusammen es wieder und wieder laut heraus, oder es befand sich nur in meinem Kopf. Ich sah, wie mein über alles geliebter Freund langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht in sich zusammensackte. Das konnte, das durfte nicht sein, er musste stehenbleiben, er durfte nicht fallen! Ich ergriff ihn am Arm, schlang meinen anderen Arm um seine Taille herum und versuchte, völlig irrational, ihn zu halten, ihm vielleicht sogar hoch zu helfen, und dann hörte ich mich doch schreien? Oder flüstern? Oder war auch das nur in meinem Kopf? „Nein! Winnetou, nicht! BITTE NICHT!!“ Währenddessen vernahm ich erst ganz leise, dann lauter, aber immer noch wie durch ein Nebelmeer, eine Stimme, die mir aber wahrscheinlich nicht leise, sondern sehr laut regelrecht ins Ohr schrie: „Leg ihn hin! Um Gottes Willen, Charlie, leg ihn hin!!“ Ich konnte meinen Freund jetzt auch tatsächlich nicht mehr stützen, er selbst versuchte zwar, sich noch bei mir festzuhalten, aber seine Kräfte schwanden zusehends, und dann brach er in die Knie. Eine Schockwelle nach der anderen rollte nun über mich hinweg, was um mich herum geschah, bekam ich gar nicht mit, ich sah nur das jetzt vor Schmerz verzerrte Antlitz des kostbarsten Menschen vor mir, den es für mich auf der Welt gab. Jetzt griffen auch andere Hände zu; schemenhaft erkannte ich Surehand, Firehand und Emery, und in ihren Gesichtern spiegelte sich das gleiche höllische Entsetzen, das auch mich fest im Griff hatte. Langsam, vorsichtig legten wir den Apatschen auf den Boden, und ein neuerlicher Schock erfasste mich, als ich sah, wo ihn die Kugel, denn etwas anderes konnte dieser Schlag nicht gewesen sein, getroffen hatte. Wieder in die Brust, links neben dem Brustbein, wo sich jetzt auch rasch ein großer Blutfleck ausbreitete. Emery riss meinem Freund sofort das Jagdhemd vom Leib, und jetzt erst sahen wir die schwere Verletzung in ihrem ganzen erschreckenden Ausmaß vor uns. Ich nahm den Kopf meines Freundes in meinen Schoss, konnte ihn aber fast nicht mehr erkennen, weil mir inzwischen die Tränen nur so über das Gesicht liefen. Immer noch stand dieses NEIN! wie ein steinernes Mal vor meinem inneren Auge. Soviel aber konnte ich noch sehen, als dass Winnetou die Augen mittlerweile geschlossen hielt und offenbar immer noch krampfhaft versuchte, Luft zu holen. Ich sah diese Pein, die seinen Körper jetzt auch erzittern ließ, und hätte alles, wirklich alles darum gegeben, an seiner Stelle zu sein, um ihm das zu ersparen. Wieder durchlief ein starkes Beben seinen Körper, und nun gelang es ihm auch, wenigstens einmal verzweifelt nach Luft zu schnappen. Und in diesem Augenblick war, und ich wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, der Doktor da, der gute Doktor Hendrick, und allein dessen Anwesenheit brachte meinen inneren Aufruhr etwas zur Ruhe. Er ertastete sofort Winnetous Puls an Hals und Handgelenk, fühlte den Herzschlag, die Atmung, und sein Gesicht sagte uns deutlich, dass ihn das Ergebnis erschreckte. Im gleichen Augenblick erschlaffte der Körper meines Freundes, und der Arzt, dessen Hand immer noch auf seinem Herzen lag, schrie auf: „Hinlegen! Legt seinen Kopf auf die Erde, Shatterhand!“ Geschockt folgte ich seiner Weisung, er legte beide Hände übereinander mittig auf die Brust des Apatschen und begann, diese in schnellen, regelmäßigen Abständen einzudrücken. „Mein Gott, was ist mit ihm?“ hörte ich neben mir Emery entsetzt fragen. „Herzstillstand!“ antwortete Hendrick keuchend, der seine ganze Kraft darauf verwendete, Winnetous Brustkorb weiter einzudrücken. Lähmendes Entsetzen machte sich auf allen Gesichtern breit; mir wich das Blut aus dem Gesicht, und nur die Gewissheit, dass ich für meinen geliebten Freund stark bleiben musste, verhinderte wahrscheinlich, dass ich selber zusammenklappte. Jedes Zeitgefühl ging verloren, und wenn mir jemand gesagt hätte, dass inzwischen Stunden vergangen wären, ich hätte es geglaubt. Ich spürte Emerys Hand auf meiner Schulter, der irgendwie versuchte, mir Trost und Halt zu spenden, aber in diesen furchtbaren Minuten konnte mich nichts mehr trösten. Dem Doktor stand inzwischen der Schweiß auf der Stirn, er bearbeitete den Brustkorb meines Freundes mit aller Kraft, und jetzt rief er verzweifelt: „Komm schon, verdammt noch mal! Du gibst doch sonst nicht so schnell auf!“ Ich nahm Winnetous Hand und hielt sie an meine Wange, flüsterte unter Tränen immer nur die Worte: „Bitte! Mein Bruder, gib jetzt nicht auf, bitte!“ Hatte er mich gehört? Hatte mich der Herrgott erhört, zu dem ich zwischendurch ein Stoßgebet nach dem anderen geschickt hatte? Ich weiß es nicht, aber plötzlich regte sich der Apatsche, begann zu husten. Der Doktor unterbrach sofort seine Bemühungen, untersuchte direkt wieder Herz und Kreislauf. Ich sah ihn unter Tränen fragend an, er verstand mich und nickte, woraufhin ich Winnetous Kopf erneut in meinen Schoß nahm und ihm immer und immer wieder Stirn und Wangen streichelte, dabei seinen Namen flüsterte. Dieser hustete in kurzen Abständen, sein Atem ging stoßweise, unregelmäßig, und immer wieder durchlief ein Zittern seinen Körper. Ich hörte wie aus weiter Entfernung den Doktor seine Anweisungen treffen. „Jemand muss sofort meine Tasche holen, mein Pferd steht am Ausgang der Schlucht!" Dann wandte er sich mir zu und erklärte mir hektisch: „Ihr müsst ihn gleich wieder hinlegen, denn die Kugel steckt zwischen Herz und Lunge - ich muss sie sofort herausoperieren, oder er hat überhaupt keine Chance mehr!“ „Das Herz ist nicht getroffen?“, wagte ich mit ganz leise aufkeimender Hoffnung zu fragen. „Nein, aber die Kugel steckt nur wenige Milimeter daneben, und leider ist schon wieder eine Arterie getroffen! Er verliert viel zu viel Blut, daher muss ich sofort operieren!“ Eine erneute Schockwelle durchlief mich. Nicht schon wieder, nicht schon wieder so eine schwere Verletzung! Wie um Himmels willen sollte mein Freund das denn nochmals überstehen?? Wieder erbebte der Körper des Apatschen. Mit einem Mal holte er tief Luft und schlug die Augen auf. Sein Blick traf mich, glitt an mir herauf und herunter, dann fragte er leise, stockend: „Scharlih! Du....du bist nicht getroffen... worden, nicht wahr?“ Ich konnte nicht sprechen, nur unter Tränen den Kopf schütteln. Er fuhr fort: „So....hat Winnetou dennoch... seine...Aufgabe erfüllt...“ Seine Kräfte verließen ihn und er schloss die Augen. Ich konnte es nicht fassen. Hatte er das vorausgeahnt? War es das, was er meinte, als er gestern, vor gefühlten Ewigkeiten, von einer Aufgabe sprach, die er erfüllen musste? Ich küsste ihm die Stirn, und als er erneut die Augen öffnete, flehte ich ihn an: „Ich bitte dich, mein Bruder, gib jetzt nicht auf! Verlasse mich nicht, Winnetou, ich bitte dich!“ Er sah mich an, und trotz des Schmerzes, der in seinen Augen überdeutlich zu erkennen war, hatte ich das Gefühl, dass sie förmlich strahlten, als er nun flüsterte: „Scharlih....ich kann die....die Sterne singen hören!“ Oh Gott, nein, bitte nicht, dachte ich entsetzt, konnte aber nur stumm den Kopf schütteln, als Winnetou weiter sprach, nein, eher hauchte, und dabei ein fast unwirkliches Lächeln, ja fast schon ein Leuchten über sein Antlitz glitt: „Ich habe den Himmel......den Himmel gesehen, Scharlih!......Es.....gibt nichts Schöneres.....,weißt du?“ Ich strich ihm über die Wange und versuchte, obwohl ich eigentlich nur noch weinen wollte, ihn dazu zu bringen, nicht aufzugeben, bei mir zu bleiben: „Bitte – ich bitte dich, mein Bruder, bleib bei mir! Gib jetzt nicht auf, ich brauche dich, ich kann ohne dich nicht leben! Tu mir das nicht an!“ Nochmals erzitterte sein ganzer Körper, der Schmerz raste in Wellen durch ihn hindurch, und er flüsterte, unter Aufbietung seiner letzten Kräfte, mir zu: „Jetzt.....noch nicht, Scharlih.....jetzt noch nicht.....es wird alles.....gut, glaube.....mir, Scharlih.....“ Das letzte Wort sprach er mit einer solchen Wärme, einer solch innigen Liebe zu mir aus, dass mir die Tränen nur so über das Gesicht strömten. Sein Körper erschlaffte, nachdem er nochmals von einem heftigen Zittern überrollt wurde, ich nahm ihn in meine Arme, drückte ihn, so fest ich konnte, an mich, verbarg meinen Kopf in seiner Halsbeuge und konnte dann nichts anderes mehr tun als meinen Tränen freien Lauf lassen. Kapitel 34: Alles auf Anfang ---------------------------- Die Hölle konnte nicht schlimmer sein als der Zustand schierer Verzweiflung, in dem ich mich jetzt befand. Ich hielt den warmen Körper meines geliebten Blutsbruders fest in meinen Armen mit dem Gefühl, jeden Menschen niederschlagen zu müssen, der es wagen würde, ihn mir wieder wegzunehmen. Nie, niemals wieder würde ich Winnetou loslassen wollen, loslassen können. Ich musste ihn warm halten, durfte nicht zulassen, dass ihm kalt wurde, dass er kalt wurde. Augenblicke später wiederum war ich mir sicher, dass er mich verlassen hatte und war der Versuchung nahe, mein Messer aus dem Gürtel zu ziehen, um mich selbst zu richten, damit ich ihm folgen konnte. Wieder etwas später durchflutete mich der hoffnungsvolle Gedanke, dass mein Bruder leben würde, weil er es mir mit seinen letzten Worten doch versprochen hatte! Meine Gefühlslage schwankte in diesen endlosen Sekunden, Minuten, Stunden, ich weiß es nicht mehr, von einem Extrem ins andere. Was um mich herum geschah, kann ich heute nicht mehr sagen, ich glaube nicht, dass ich irgendetwas davon wahrgenommen hatte. Später erzählte man mir, dass sämtliche Westmänner und Apatschen völlig entsetzt um uns herumgestanden hatten, bis auf Entschah-koh sowie Old Firehand, die sich beide den Unteranführer, denn niemand anderer war es gewesen, der geschossen hatte, vorgenommen hatten. Für den Unterhäuptling der Mescaleros war es ein leichtes gewesen, innerhalb weniger Sekunden den Schützen nicht nur ausfindig zu machen, sondern auch zu überwältigen. Old Firehand, in dem eine mörderische Wut kochte, hatte sich nicht mehr halten können und den Banditen, ähnlich wie ich vor wenigen Tagen, in Grund und Boden geprügelt, bis ihm selbst die Kraft ausging - Entschah-koh hingegen hatte einfach nur dabei gestanden und ihn gewähren lassen. Dem Unteranführer der Geier war es übrigens nur deshalb gelungen, ungesehen in das Tal zu gelangen, weil niemand von uns zu dem Zeitpunkt noch mit einem feindlichen Wesen außerhalb der Bande gerechnet hatte. Ich weiß auch nicht mehr, wie lange ich mit dem leblosen Körper meines Freundes in meinen Armen in dieser Position verharrte. Meinem Gefühl nach mussten es Tage gewesen sein, in Wirklichkeit waren es aber wohl nur wenige Sekunden, in denen der völlig geschockte Doktor Winnetous Hand hielt und seine Finger auf dessen Puls lagen. Irgendwann, dreißig, vierzig Sekunden, nachdem der Apatsche in meinen Armen zusammengesackt war, räusperte sich Dr. Hendrick und sagte mit brüchiger Stimme, die man zuerst gar nicht richtig verstehen konnte, solche Schwierigkeiten bereitete ihm das Sprechen: „Ich kann seinen Puls immer noch spüren....“ Ich selbst bekam das in meiner Verzweiflung, wie schon erwähnt, gar nicht mit, aber die anderen, Emery, Surehand, Fox, Hammerdull, alle, die direkt bei uns saßen, horchten auf. Hendrik getraute sich gar nicht, weiter zu sprechen, wohl um keine unrealistischen Hoffnungen in den Gefährten zu erwecken, aber nachdem er noch ein paar weitere Sekunden den Puls meines Freundes ertastet hatte, fiel die entsetzliche Lähmung, die ihn wie alle anderen auch ergriffen hatte, plötzlich von ihm ab und sein Tatendrang erwachte wieder. Auch Emery, der das Unfassbare wohl einfach nicht glauben wollte und ebenfalls seine Hand die ganze Zeit über am Körper des Apatschen hatte, flüsterte nun mit aufkeimender Hoffnung: „Er atmet noch.... er atmet noch, er lebt! Himmel, Charlie!“ Jetzt wurde er lauter und begann an meiner Schulter zu rütteln, um mich aus meinem verzweifelten Zustand herauszuholen. „Charlie! Ich glaube, er hat sich gar nicht verabschiedet! Im Gegenteil, er hat versucht, dir Hoffnung zu machen! So hör doch, Charlie!“ Auch der Arzt packte mich jetzt unsanft an der Schulter, er wusste, wie man mit Menschen im Schockzustand umgehen musste. „Shatterhand! Lasst ihn los, wir müssen ihn hinlegen, ich muss die Kugel herausholen, schnell!!“ Langsam hob ich den Kopf, sah ihn an, versuchte, den Sinn seiner Worte irgendwie zu mir durchdringen zulassen, aber das war dem Doktor definitiv zu langsam. Er verständigte sich im Nu mit unseren Freunden, und während Emery und Hammerdull mich festhielten und weiter auf mich einredeten, entrissen Surehand, Fox und der Doktor mir Winnetou schnell, aber trotzdem vorsichtig aus meinen Armen, legten ihn auf den Boden, und dann begann Hendrick sofort mit seinen Vorbereitungen für die Operation. Irgendjemand hatte ihm schon seine Tasche gebracht, und jetzt kam auch wieder Leben in den Rest der Umstehenden, die erkannten, dass vielleicht doch noch nicht alles vorbei war. Sie teilten Wachen für die Banditen ein, stellten Posten auch am Ausgang der Schlucht auf, um vor weiteren unliebsamen Überraschungen sicher zu sein, besorgten alles an Decken, Wasser und Verbandsmaterial, was sie finden konnten, entfachten große Feuer in der Nähe, um für den Doktor so viel Licht wie möglich für seine schwere Aufgabe erzeugen zu können Anfangs hatte ich noch versucht, mich dagegen zu wehren, dass man mir meinen Winnetou aus meinen Armen reißen wollte, aber allmählich verstand ich, was Emery mir die ganze Zeit über mitteilen wollte, verstand auch, was der Doktor vorhatte, der jetzt eben sein Skalpell ansetzte, und obwohl ich es einerseits nicht mehr zulassen wollte, dass in mir die Hoffnung erwachte, einfach weil ich Angst hatte, sie wieder aufgeben zu müssen, hielt sie dennoch langsam in meinem Herzen Einzug. Firehand war inzwischen zurückgekehrt, er hatte den Schützen einfach liegen gelassen, da er genau wusste, dass dieser sich wahrscheinlich nie wieder würde bewegen können. Sein Gesicht war tränenüberströmt, aber als er die Bemühungen des Arztes sah, erkannte auch er, dass Winnetou offenbar doch noch eine Chance hatte. Er setzte sich stumm neben mich nieder, nahm meine Hand, und gemeinsam, aber doch jeder für sich, baten wir unseren Herrgott ein ums andere Mal um Hilfe für meinen Freund. Surehand assistierte dem Arzt, während Bloody Fox und der Bärenjäger ständig Winnetous Vitalwerte überprüften oder aber einfach nur seine Hände hielten. Ich selbst war im Augenblick nicht in der Lage, irgendetwas Sinnvolles zu tun, raffte mich aber dann doch nach einer Weile auf, weil ich es meinem Freund einfach schuldig war, in diesem Augenblick, wo er erneut um sein Leben kämpfen musste, direkt an seiner Seite zu sein, ihn körperlich spüren zu lassen, dass ich für ihn da war. Ich setzte mich an sein Kopfende, küsste ihm die Stirn, hielt meine Hände auf seine Stirn und seine Wangen, damit er meine Anwesenheit, zumindest vielleicht im Unterbewusstsein, erahnen konnte. Wenige Minuten später rief Hendrick laut: „Ich habe sie!“, und hielt die Gewehrkugel, die eigentlich mir gegolten hatte und die mein über alles geliebter Freund mit seinem Körper für mich aufgefangen hatte, in die Höhe. Die erste schwere Hürde war überwunden! Ich fühlte, dass Winnetou immer noch langsam, stockend atmete, fühlte ganz leise, unregelmäßig seinen Puls schlagen, was in mir so ganz allmählich den Glauben hochkommen ließ, dass er diese Operation, diesen Anschlag tatsächlich überleben könnte. Der Doktor arbeitete äußerst konzentriert und angestrengt weiter, einzig der Schweiß auf seiner Stirn verriet, wie viel Kraft es ihn innerlich und äußerlich kostete, die einzige Überlebenschance, der einzige Hoffnungsschimmer für den Apatschen zu sein. Jetzt lag es wirklich nur in seinen Händen, an seiner ärztlichen Kunst, das eigentlich Unmögliche möglich zu machen. Es musste ihm gelingen, die Arterie so schnell wie möglich zu verschließen, ohne das Herz dabei zu verletzen, und das unter den primitiven Bedingungen hier mitten in der Wildnis, mit diesen wenigen primitiven Möglichkeiten, die ihm dabei nur zur Verfügung standen. Er sah während seiner Tätigkeit aus, als würde er die ganze Zeit über im Stillen um einen guten Ausgang beten. Seine unglaublichen Anstrengungen waren dann schließlich, nach gefühlten Ewigkeiten - und ich konnte es kaum glauben - von Erfolg gekrönt, unsere Gebete wurden erhört. Irgendwann legte Dr. Hendrick einen Verband an, jetzt mit Unterstützung von Entschah-koh und einigen seiner Heilkräuter, untersuchte Winnetou noch einmal kurz und ließ sich dann erst einmal einfach schwerfällig neben ihn auf den Boden niederfallen, dabei einen abgrundtiefen Seufzer der abklingenden Anspannung und des vorsichtigen Aufatmens ausstoßend. Er vergrub sein Gesicht in seine Hände, schüttelte immer wieder den Kopf, wobei er mehrfach vor sich hin murmelte: „Das ist doch nicht möglich …..Das kann doch alles einfach nicht wahr sein.....“ Ein abwartendes Schweigen umgab die Szenerie, und als Hendrick sich nicht klarer äußerte, legte Dick Hammerdull seine Hand auf dessen Schulter, um ganz vorsichtig, richtiggehend ängstlich, nachzuforschen: „Doktor....könnt Ihr denn schon etwas Genaueres sagen?“ Dieser räusperte sich erst einmal, bevor er zu sprechen begann, und an seiner ganzen Haltung war abzulesen, welche grenzenlose Erleichterung ihn in diesem Moment durchflutete, Erleichterung erst einmal nur darüber, dass Winnetou noch lebte. „Es ist fast nicht zu glauben.....was muss dieser Mann für einen unfassbaren Lebenswillen haben...“ Er unterbrach sich, sah jetzt vor allem mich an. „Für das erste kann ich Euch nur mitteilen, dass die Operation erfolgreich gewesen ist. Die Kugel ist entfernt, der Blutverlust gestoppt, und er lebt – mehr kann ich einfach noch nicht sagen. Eigentlich ist es ein Ding der Unmöglichkeit, dass ein Mensch gleich zwei so schwere Verletzungen innerhalb von drei, dreieinhalb Wochen überlebt....“ Er senkte seinen Blick kurz zu Boden, holte dann tief Luft und fuhr fort: „Diese Verwundung ist schlimmer als die erste. Allerdings sind wir hier im Vorteil, weil ihm sofort ärztlich geholfen werden konnte. Die Kugel hat aber durch ihre Wucht und der Nähe zum Herzen dieses in seinem Rhythmus völlig erschüttert, so dass es zum Herzstillstand kam. Allein den hätte er ohne Hilfe nicht überlebt, und den Rest erst recht nicht. Aber der zweite Vorteil, den wir haben, ist der, dass weder Herz noch Lunge getroffen worden sind – wieder ein unglaubliches Glück! Doch ab jetzt können wir nichts anderes tun als warten – wir sind eigentlich wieder ganz am Anfang. Und zu seinen Überlebenschancen kann ich nur soviel sagen: Allein die Tatsache, dass er jetzt noch am Leben ist, gibt mir etwas Hoffnung, dass er es schaffen könnte.....“ Seine Stimme war gegen Ende seiner Ausführung immer leiser geworden, und jetzt legte er wieder den Kopf in seine Hände. Stille breitete sich nach diesen hoffnungsvollen? oder doch niederschmetternden? Worten des Arztes aus. Jeder der Männer war immer noch abgrundtief entsetzt, geschockt, fassungslos über das Geschehene. Vor allem Winnetous Opferbereitschaft, wie er sein Leben bedingungslos für meines eingesetzt hatte, hinterließ bei allen einen unauslöschlichen Eindruck, und die Angst um das Leben des Apatschen hatte sie alle fest im Griff. Der Doktor aber hatte sich wieder etwas von seiner innerlichen Erschöpfung erholt und erteilte jetzt seine weiteren Anweisungen. Der Planwagen wurde vom Ende der Schlucht in unsere Nähe gefahren, ein Lager aus Fellen und Decken, die teils noch im Wagen gelegen hatten, teils von einigen Apatschen mitgeführt worden waren, wurde im Wagen errichtet und dann trugen wir meinen Freund so vorsichtig wie nur möglich dort hinein. Währenddessen errichtete man drum herum ein Nachtlager für die restlichen Gefährten, wobei man die gefangenen Geier einfach in der gleichen Weise liegen ließ, wie sie lagen. Sie bekamen weder zu essen noch zu trinken, niemand von uns sah sich genötigt, ihnen in irgendeiner Weise auch nur die kleinste Annehmlichkeit zu verschaffen. Man achtete darauf, dass sie weit genug auseinanderlagen, damit sie sich nicht gegenseitig befreien konnten, stellte Wachen auf, und dann kümmerte sich niemand mehr um die Banditen. Doch, zwischendurch bekam auch einer der Unteranführer die Wut gleich mehrerer unserer Gefährten zu spüren, nämlich in dem Moment, als er gegenüber seinen Kameraden mit beißendem Spott seine Freude über die schwere Verletzung Winnetous kundtat. Als sie mit ihm fertig waren, war von seinem ursprünglichen Gesicht nicht mehr viel zu erkennen. Damit die anderen Banditen nicht auch solche unsäglichen Äußerungen von sich geben konnten, wurden alle kurzerhand geknebelt, dann überließ man sie vorerst ihrem Schicksal. Einige der Westmänner und Apatschen wurden nun dazu auserkoren, zurück nach Helmers Home zu reiten, um dort wieder für den nötigen Schutz zu sorgen, was allen, die diesen Weg antraten, außerordentlich schwer fiel. Niemand wollte sich jetzt aus Winnetous Nähe entfernen, da alle Sorge hatten, ihn nicht mehr lebend wiederzusehen. Ich beteiligte mich natürlich an keiner dieser Aktivitäten, sondern saß im Wagen bei meinem Freund und wich ihm nicht eine Sekunde mehr von der Seite, ebenso wie Dr. Hendrick. Während dieser in engmaschigen Abständen Winnetous Zustand überprüfte, fielen von mir langsam der erste Schock und die ganze Anspannung ab, um jetzt wieder einer tiefen Verzweiflung, ja, fast schon Resignation, Platz zu machen. Warum nur hatte mein Freund das getan? Warum hatte er so bedingungslos sein Leben für mich aufs Spiel gesetzt? Wenn mich die Kugel getroffen hätte, wäre es vielleicht nicht so schlimm gewesen wie bei ihm, nachdem er schon vor kurzem die erste schwere und dann die vielen kleineren Verletzungen erlitten hatte! Wir hatten vor wenigen Wochen so lange und so schwer um das Leben des Apatschen kämpfen müssen, und jetzt sollte das alles wieder von vorne beginnen? Wie konnte ich nur im Entferntesten glauben, dass er das jetzt genauso glücklich und ohne Folgen für seine Gesundheit überleben konnte? Woher sollte er jetzt noch die Kraft dazu hernehmen? Woher sollte ich sie noch hernehmen? Aber diese Frage war absolut zweitrangig; um meinen geliebten Blutsbruder aus den Fängen des Todes zu entreißen, würde ich, wenn es sein musste, mehrfach durch die Hölle gehen, soviel stand für mich fest. Aber leider gab es für mich im Moment nichts, was ich tun konnte. Ich durfte ihn noch nicht einmal in die Arme nehmen, da jede Bewegung, die die Wunde wieder aufbrechen lassen konnte, vermieden werden musste. Ich war die ganze Zeit über den Tränen nahe, und als ich dann daran dachte, wie glücklich wir in dieser neuen Dimension unserer Liebe zueinander gewesen waren und mir die Frage stellte, ob uns das einfach nicht vergönnt sein sollte, ob wir so nicht leben durften, ob das Ganze vielleicht sogar eine Strafe Gottes war, da konnte ich mich einfach nicht mehr halten und ließ meinen Tränen freien Lauf. Es war, als ob sich in meinem Inneren große Schleusen geöffnet hätten, ich weinte so heftig und so lange wie noch nie in meinem Leben. Irgendwann bekam ich mit, wie der Doktor seinen Arm um mich legte und versuchte, mir in irgendeiner Weise etwas Trost zu spenden, aber es half nichts, ich konnte die Tränenflut einfach nicht aufhalten. Später spürte ich erst Emery, dann Old Surehand sowie Old Firehand an meiner Seite, die ebenfalls alle versuchten, mir in meiner verzweifelten Lage Beistand zu leisten, aber ich hatte das Gefühl, in ein tiefes Loch gefallen zu sein, aus dem ich gar nicht mehr herauskommen konnte. Vor meinem geistigen Auge flammte immer wieder wie eingebrannt nur dieses eine Bild auf: Winnetou, der mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Knie brach, und die Frage, warum er nicht auch einfach mal nur glücklich sein durfte? Irgendwann hatte ich dann keine Tränen, auch keine Kraft mehr. Stumm und hilflos saß ich bei Winnetou, hielt seine Hand und betrachtete sein wachsbleiches Gesicht, welches fast schon gläsern, durchsichtig wirkte. Er lag in tiefer Bewusstlosigkeit, und wenn man nicht genau hinsah, konnte man wirklich nicht glauben, dass noch Leben in ihm war. So wachte ich die ganze Nacht hindurch an seiner Seite, unfähig, auch nur für wenige Minuten die Augen zu schließen. Dem Doktor ging es genauso, und trotz meiner dumpfen Verzweiflung spürte ich doch eine enorme Dankbarkeit und Bewunderung diesem Mann gegenüber, der seine eigenen Bedürfnisse, sein eigenes Leben im Moment, nein, eigentlich schon seit Wochen, weit hinten an stellte, um ganz für meinen Freund und in diesem Sinne auch für mich da zu sein. Ich würde ihm das in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen, soviel war sicher. Als der Morgen anbrach, hatte sich der Zustand des Apatschen zwar nicht gebessert, sich aber auch nicht verschlechtert, und dieser Umstand löste bei allen einen vorsichtigen Anflug von Hoffnung aus. Man kannte ja mittlerweile seinen unbändigen Lebenswillen, und da er so eine fast ausweglos scheinende Situation schon einmal bewältigt hatte, hielt es niemand mehr für unmöglich, dass er den Tod noch einmal überwinden könnte. Da er aber absolut nicht transportfähig war, entschlossen sich die Gefährten in Absprache mit dem Arzt, noch mindestens zwei Tage in der Schlucht zu bleiben. Man hoffte auf die Ankunft der Mescaleros, die Entschah-koh vor wenigen Tagen hatte benachrichtigen lassen, um so auch die dringend nötige Unterstützung für die Bewachung der Geier zu erhalten. Diese große Bande mit gerade einmal fünfundzwanzig Westmännern und Apatschen den Weg bis zur Farm zurücklegen zu lassen, auch wenn dieser nicht gerade weit war, hielt man für ein zu großes Risiko, und die Schlucht bot allein durch ihre Beschaffenheit eine viel bessere Möglichkeit, die Verbrecher zu bewachen. Diese erhielten heute wenigstens etwas Wasser, aber Nahrung wurde ihnen weiterhin verwehrt, zumindest kümmerte sich niemand darum, ihnen irgend etwas anzubieten. Ich weiß nicht, ob ich anders entschieden hätte, wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre, doch die Gefährten waren sich alle einig, dass die Bande nichts anderes verdient hatte. So verging dieser Tag in einer dumpfen, trübseligen Stimmung. Die kommende Nacht verbrachte ich halb schlafend, halb wachend, im Sitzen und schreckte immer wieder in der panischen Angst hoch, Winnetou könnte mir unter den Händen wegsterben, während ich schlief. Dr. Hendrick litt unter den gleichen Ängsten, er hatte in den letzten zwei Nächten ebenfalls kaum mehr als zwei Stunden geschlafen. Der nächste Tag brachte zumindest die Gewissheit, dass Winnetous Kampf gegen den Tod bis jetzt erfolgreich war; auch wenn sich sein Zustand nur in ganz geringem Ausmaße gebessert hatte, immerhin hatte er sich gebessert, dank der unermüdlichen Bemühungen des Arztes und Entschah-kohs, die beide Hand in Hand arbeiteten und somit den größtmöglichen Erfolg erzielten, den man unter diesen Umständen nur haben konnte. Gegen Mittag trafen dann zum Glück sechzig Krieger der Mescaleros ein, eine ungeheuer große Unterstützung für uns, vor allem für die Bewachung der Geier. Und gegen Abend brauchten wir uns ihretwegen überhaupt keine Sorgen mehr zu machen, denn nun kamen uns auch noch die von Hobble Frank und Old Wabble gerufenen Soldaten zu Hilfe, die sogar einen Militärarzt in ihren Reihen hatten, der sofort Dr. Hendrick aufsuchte, um ihn zu unterstützen. Er hatte Medikamente dabei, die Hendrick mittlerweile ausgegangen waren, und so kam es, dass aufgrund dieser medizinischen Hilfe Winnetous Zustand so weit stabilisiert werden konnte, dass er am späten Abend tatsächlich kurz aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte. Er benötigte einige Zeit, bis es ihm gelang, die Augen zu öffnen und sich zu orientieren, und als er mich dann erkannte und mir offenbar meinen Kummer und meine Verzweiflung der vergangenen Stunden und Tage vom Gesicht ablesen konnte, waren seine Augen und seine Mimik voll des Mitleides für mich, so tief, dass ihm, als er meine Hand ergriff und zum Sprechen ansetzte, die Tränen in die Augen traten. Mit stockender, kraftloser Stimme flüsterte er: „Es tut mir.... so leid,.... Scharlih,.... bitte verzeih ….mir!“ Ich hatte jede seiner Bewegungen, seiner Blicke, seiner Worte voller Dankbarkeit in mich aufgesogen, einfach weil ich gar nicht mehr hatte glauben können, jemals wieder so etwas von ihm zu sehen und zu hören zu bekommen. Als er sich jetzt als erste Reaktion bei mir entschuldigte, für was auch immer, war ich einfach nur noch fassungslos, wusste gar nicht, was ich jetzt antworten sollte. „Mein Bruder..... was sollte ich dir denn verzeihen? Du müsstest mir verzeihen, weil ich dieses Unglück nicht verhindern konnte...?“ Er benötigte all seine Kraft, um weiter sprechen zu können: „Winnetou … konnte sein Versprechen .... nicht einhalten ...“ Jetzt liefen ihm wirklich die Tränen über die Wangen, und auch ich konnte sie nicht mehr zurückhalten. Er fuhr fort: „Ich hatte ... versprochen, dass du ... keine Sorgen mehr ... haben musst ...“. Hilflos schüttelte ich den Kopf bei dem Versuch, die richtigen Worte zu finden: „Wenn sich irgendjemand rechtfertigen muss, dann bin ich das! Ich hatte nicht aufgepasst, sonst hätte ich den Schurken auch gesehen und du hättest nicht...“ Bei diesen Worten stand die Erinnerung an die schlimmsten Minuten meines Lebens wieder glasklar vor meinem inneren Auge, so überwältigend, dass ich meinen Freund nur noch in die Arme nehmen konnte, um meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Erst als Hendrick mir signalisierte, ihn wieder loszulassen, da er Winnetous Reaktionen sonst nicht mehr im Blick hatte, bettete ich seinen Kopf behutsam in die Kissen und sah ihn an. Er hatte seine Augen wieder geschlossen, aber sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Er wirkte gelöst, fast sah es so aus, als würde er lächeln. Kurz darauf öffnete er nochmals die Lider, und obwohl er kaum mehr Kraft zum Sprechen fand, sagte er in einem sehr bestimmten Tonfall: „Winnetou wird seinen Bruder nicht verlassen, er weiß es genau!“ Er stockte, brauchte eine kurze Atempause, in der ich keinen Ton hören ließ. Unter Aufbietung aller Reserven flüsterte er weiter: „Scharlih....ich hatte die Wahl, weißt du? Die Wahl, zu leben oder zu....oder für immer in der Hand des guten Manitou zu bleiben....“ Jetzt konnte er wirklich nicht mehr, erschöpft schloss er die Augen. Ich war völlig überwältigt. Hatte er das damit gemeint, als er mir sagte, er habe den Himmel gesehen, als er dabei diesen fast schon überirdischen Ausdruck in seinen Augen und im Gesicht gehabt hatte? Fast schien es so, und auch jetzt sah es so aus, als würde allein die Erinnerung daran sein Gesicht zum Leuchten bringen. Meine Emotionen waren nicht mehr aufzuhalten, mir lief das Wasser nur so aus den Augen; trotzdem konnte ich noch erkennen, dass es dem Doktor genauso ging. Einmal noch gelang es dem Apatschen, die Augen zu öffnen, und mit allerletzter Kraft versicherte er mir: „Hab keine Sorge mehr, ja, Scharlih? Es ist alles gut ...“ Seine Lider schlossen sich, und diesmal für eine lange Zeit. Ich selbst aber wusste jetzt genau, er würde überleben, mein geliebter Freund würde wieder gesund werden! In dieser Nacht schlief ich wieder nicht, diesmal aber, weil mein Herz überquellen wollte vor Freude und Glück, dass Winnetou und mir doch noch eine gemeinsame Zukunft vergönnt sein durfte! Kapitel 35: Achtzehn Tage... ---------------------------- Am nächsten Morgen waren sich Hendrick und der Militärarzt einig, dass Winnetou zumindest bis Helmers Home wieder transportfähig war, und so wurde entschieden, gegen Mittag aufzubrechen, natürlich ohne die Verbrecherbande. Diese würde heute von einem Großteil der Soldaten, immerhin dreißig an der Zahl, in das Fort überführt werden, welches ungefähr einen Tagesritt entfernt lag, um dann von einem Militärgericht abgeurteilt zu werden. Der Leutnant, der das Kommando über die Männer inne hatte, war sich sicher, dass zumindest die Anführer der Bande gehängt werden würden, die anderen sahen wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens einem Aufenthalt in einer dunklen Gefängniszelle entgegen. Zwei der Unteranführer waren allerdings von Firehand und zwei weiteren Gefährten in rasender Wut so übel zugerichtet worden, dass beide nur noch auf provisorischen Tragen transportiert werden konnten, wobei es gar nicht so sicher war, ob Winnetous Attentäter es überhaupt lebend bis ins Fort schaffen würde. Übrigens hatten die Schurken an diesem Morgen zum ersten Mal seit ihrer Gefangennahme von den Soldaten etwas zu Essen bekommen, allerdings auch nicht mehr als unbedingt nötig. Die restlichen zehn Soldaten sowie der Militärarzt hatten vor, uns erst einmal bis zur Farm zu begleiten. Dort wollten sie mit den Siedlern klären, ob diese jetzt, wo an eine Reise zum Pueblo der Apatschen mit dem Schwerstverletzten überhaupt nicht zu denken war, von den Soldaten zu den Mescaleros begleitet werden wollten oder ob sie ein weiteres Mal auf eine Genesung Winnetous warten mochten. Der Kommandant der Einheit machte keinen Hehl daraus, dass er den allerhöchsten Respekt vor dem Apatschenhäuptling hatte. Nicht nur dessen jetzige Rettungstat und seine Mitwirkung bei der Ausrottung der Geier, sondern auch seine Hilfe für die Auswanderer in der Wüste unter größter Lebensgefahr sowie sein Angebot, diesen in den Weidegründen der Apatschen eine neue Heimat zu bieten, lösten bei dem Leutnant größte Bewunderung aus, und so war er bereit, alles in seiner Macht stehende zu tun, was Winnetou in irgendeiner Weise eine Hilfe sein konnte. Zunächst einmal wollte er uns so lange den Militärarzt an die Seite stellen, bis Winnetou das Schlimmste überwunden hatte und keine Gefahr mehr für ihn bestand. Über die zehn Soldaten, die uns zur Farm begleiten würden, durften wir auch beliebig lange verfügen, und er selber wollte nach seiner Rückkehr ins Fort den dortigen Kommandanten sofort über die Geschehnisse in Kenntnis setzen und dafür sorgen, dass Winnetous Taten bis in die höchsten Ebenen bekannt wurden, so dass man ihm und seinen Apatschen in Zukunft zumindest mit mehr Respekt begegnen und vielleicht sogar den Besitz seines Volkes mehr achten würde. Ob ihm das wirklich gelingen würde oder ob er in seiner Bewunderung ein wenig zu viel Enthusiasmus an den Tag legte, darüber war ich mir noch nicht im klaren, aber seine Begeisterung rührte mich schon an. Ich selbst wich natürlich auch heute meinem Freund nicht von der Seite, tat alles, was mir irgendwie möglich war, um ihm zu helfen und seine Lage etwas zu erleichtern. Trotzdem er in tiefer Bewusstlosigkeit lag, wusste ich ja mittlerweile, dass es ihm half und beruhigte, wenn er mich bei sich spürte. Durch die sofortige medizinische Versorgung, die er und seine Helfer Winnetou hatten zuteil werden lassen, hatte Dr. Hendrick das gefürchtete Wundfieber vollständig abwehren können, was mich aber nicht daran hinderte, mich wieder neben ihm niederzulassen, ihn in meinen Armen zu halten und zu wärmen, denn mir war klar: er brauchte diese körperliche Nähe mehr als je zuvor. Gegen Mittag wurden die Banditen auf ihre Pferde gebunden, wobei man ihre Füße unter den Bäuchen der Pferde hindurch fesselte und auch die Tiere an den Zügeln in einer langen Reihe hintereinander zusammenband, so dass die Kerle keine Möglichkeit haben würden, während des Rittes plötzlich die Flucht zu ergreifen, und somit ein Soldat für die Bewachung von zwei Personen ausreichte. Inzwischen war der Planwagen, in dem Winnetou lag, nochmals und besser ausgepolstert und gefedert worden, um die Erschütterungen für ihn während der Fahrt so gering wie möglich zu halten. Als die Soldaten mit den Verbrechern abgezogen waren, brachen auch wir auf. Die Schlucht, die für uns ein solch unglücklicher Ort geworden war, lag zwar nur ungefähr zwei Stunden Fußmarsch von der Farm entfernt, aber da wir mit dem Wagen äußerst langsam fuhren, brauchten wir an diesem Tag fast ebenso lange. Währenddessen ruhte die ganze Zeit über der Kopf und der Oberkörper meines Freundes in meinem Schoß und meinen Armen, während ich versuchte, seinen Körper vor dem Stoßen und Rütteln des Fuhrwerks, was trotz aller Vorbereitungen nicht vollständig zu vermeiden war, so gut wie möglich zu schützen. Hendrik, der durch die Anwesenheit des Militärarztes in der Nacht endlich hatte etwas schlafen können, war wieder einmal ständig an Winnetous und meiner Seite, unterstützte mich nach Kräften und war vor allem nur für meinen Freund da. Man kann sich kaum ausmalen, welchen Aufruhr unsere Ankunft auf Helmers Home verursachte! Zwar waren die Siedler von den zu ihrem Schutz abgestellten Gefährten und Apatschen über die furchtbaren Ereignisse unterrichtet worden, aber als sie einen Blick auf Winnetou werfen konnten, während wir ihn ins Haus trugen, und sein leichenblasses Gesicht sahen, wurde so mancher von ihnen doch von einem handfesten Schock erfasst. Hier und da hörte man leise eine Frauen- oder auch eine Kinderstimme weinen. Sie wussten alle, auch dieses Mal hatte der Apatsche nicht nur für mich, sondern auch für ihre neuerliche Rettung das größte aller Opfer gebracht. Im Haus angelangt, setzten wir Winnetou natürlich nicht dem mühseligen Weg ins obere Stockwerk in „unser“ Zimmer aus, sondern betteten ihn in den Raum, den wir zuerst bewohnt hatten. Und dann hatte ich das Gefühl, als wenn die Zeit zurückgedreht worden wäre. Genau wie in den ersten Tagen nach meiner Ankunft auf der Farm wurde unser gesamtes Denken und Handeln nur noch von der Pflege meines geliebten Blutsbruders bestimmt. Wieder ermöglichten es nur die Infusionen von Hendrick, dass mein Freund trotz tiefster Bewusstlosigkeit nicht dehydrierte oder unter einer Mangelernährung litt, obwohl er natürlich wieder sehr viel Gewicht verlor. Diese Methode kannte der Militärarzt übrigens noch gar nicht, eignete sie sich aber sofort und höchst interessiert an. Dank der Heilkräuter der Apatschen wurde nicht nur das Wundfieber vermieden, sondern auch die Heilung der Verletzung schritt zügiger voran. Jetzt waren es beide Ärzte, die sich diese Kräuter genau ansahen und in ihr Repertoire der ärztlichen Kunst aufnahmen. Ich selbst hatte es nun mit gleich mehreren Mescaleros zu tun, die mir unbedingt die Pflege Winnetous abnehmen wollten, aber auch hier blieb ich wie beim ersten Mal eisern und lehnte energisch ab – er hatte sein Leben für mich geben wollen, und ich wollte und würde jetzt alles, aber auch wirklich alles für ihn tun, was in meiner Macht stand! So vergingen die Tage, ohne dass mein Freund auch nur die leisesten Anzeichen von sich gab, dass er bald erwachen würde. Das wiederum löste bei mir einen wahren Zwiespalt der Gefühle aus. Einerseits war ich wirklich froh darüber, dass er so tief und lange schlief, denn es tat ihm unendlich gut, beschleunigte die Heilung und er lief nicht Gefahr, sich wie beim ersten Mal ständig zu verausgaben, litt zudem nicht unter Schmerzen. Andererseits begann ich mir langsam wirklich Sorgen zu machen, ob er überhaupt jemals wieder erwachen würde. Beide Ärzte versuchten mich in dieser Hinsicht zu beruhigen; so lange Herz und Kreislauf weiterhin so stabil blieben wie jetzt, zwar auf sehr niedrigem Niveau, aber immerhin stabil, bestand für ihn keine Gefahr, und die Vorteile seines Tiefschlafes überwogen bei weitem. Sein Körper war schon durch die erste schwere Verwundung fürchterlich geschwächt worden, dazu kamen dann die im Anschluss erlittenen kleineren Verletzungen, und nicht zuletzt fast keine Möglichkeit der intensiven Erholung – es war für die Mediziner völlig verständlich und sie sahen es schon fast als eine Art Lebensversicherung für den Apatschen an, dass sein Körper jetzt einfach mal für lange Zeit abschaltete, um ihm die lebensnotwendige Schonung zu ermöglichen. Nach zehn Tagen begann ich zu überlegen, ob wir es Winnetou nochmals antun sollten, dass er hier auf Helmers Home, in diesem engen, kleinen Zimmer, nach seinem Erwachen wieder eine langwierige Genesungsphase über sich ergehen lassen musste. Denn dieses Mal, da war sich Hendrick absolut sicher, würde er erst nach mehreren Wochen erstmals wieder aufstehen können. Auf Ausritte oder andere Unternehmungen, die ihn auch nur in geringster Form anstrengten, würde er für lange, lange Zeit verzichten müssen, und längere Reisen zu anderen Stämmen oder sonstige Abenteuer waren in den Augen des Doktors wahrscheinlich erst nach einigen Monaten wieder möglich, zumindest so lange Hendrick in dieser Beziehung das Sagen hatte, wie er mir teils ernst, teils augenzwinkernd mitteilte. In dieser Hinsicht konnte ich ihn allerdings beruhigen, denn ich würde mit all meinem persönlichen Einfluss auf Winnetou dafür sorgen, dass er sich dieses Mal keiner Anordnung des Arztes mehr widersetzen würde, bis er völlig wiederhergestellt war, das hatte ich mir geschworen. Ich besprach mich mit Walter Hendrick - wir nannten uns mittlerweile beim Vornamen, weil ich wusste, dass ich in ihm einen Freund fürs Leben gefunden hatte, auf den wir uns absolut verlassen konnten – ob es möglich wäre und ob wir es riskieren könnten, meinen Blutsbruder trotz seines labilen Zustandes in Begleitung unserer großen Gesellschaft und der Soldaten durch den Llano zu bringen, um ihn im Kreise seiner Apatschen in seiner Heimat gesund werden zu lassen. Ich war mir sicher, dass es ihm dort, in seiner gewohnten Umgebung, verbunden mit einem Gefühl der Freiheit, trotz der körperlichen Einschränkungen viel leichter fallen würde, in Ruhe zu genesen. Hendrick brauchte nicht lange, um zu überlegen. Er überprüfte seine vorhandenen Möglichkeiten und medizinischen Reserven, hielt Rücksprache mit dem Militärarzt, ließ einen Planwagen so umbauen, dass ein Transport des Patienten auf relativ sanfte Weise möglich wurde und teilte mir dann mit, dass wir am nächsten Morgen, zwölf Tage nach den Ereignissen in der Schlucht, die Reise antreten konnten. Auch der Treck hatte in kürzester Zeit seine Vorbereitungen zum Aufbruch abgeschlossen, und die Westmänner, die übrigens ohne Ausnahme bei uns geblieben waren – einige hatten sogar lang geplante Unternehmungen verschoben, um für den Schutz der Siedler und auch für Winnetou sorgen zu können – benötigten noch viel weniger Zeit, um reisefertig zu sein. Einzig und allein der Farmersfamilie bereiteten wir mit unserem geplanten Aufbruch den größten Kummer. Sie hatten sich so sehr an all die vielen Gäste auf der Farm gewöhnt, viele gute Freundschaften geschlossen, und ihnen war völlig klar, dass sie den Trubel und das rege Leben, das Helmers Home seit Wochen in Atem hielt, schmerzlichst vermissen würden. Winnetou und mich hatten sie besonders ins Herz geschlossen, und die Tatsache, dass sie sich von dem bewusstlosen Apatschen nicht richtig verabschieden konnten, schnitt ihnen tief ins Herz. Aber sie hatten vollstes Verständnis für mein Anliegen, und da auch sie für Winnetou alles Menschenmögliche tun wollten, ließen sie uns schweren Herzens, aber voller guter Wünsche am nächsten Morgen ziehen, nicht ohne den Doktor und mich zum wiederholten Male daran zu erinnern, so gut wie irgend möglich auf meinen Freund aufzupassen und ihn wieder gesund zu pflegen. Außerdem baten sie mich, mit Winnetou der Farm einen Besuch abzustatten, sobald er wieder vollständig genesen sein würde. Als wir, zum Aufbruch bereit, früh am Morgen auf dem großen Platz mit den alten Bäumen vor dem Haus standen und Winnetou herausgetragen wurde, ging das Ehepaar nochmals zum Abschied auf ihn zu. Tobias Helmer nahm die Hand meines Freundes, sah in lange an und küsste ihm dann unter Tränen die Stirn. Seine Frau tat es ihm gleich und verbarg anschließend ihr Gesicht in ein Taschentuch. Ausnahmslos allen Umstehenden standen bei dieser ergreifenden Szene die Tränen in den Augen. Unter vielen Abschiedsgrüßen, Umarmungen und guten Worten verließen wir das Anwesen, das für mich in den letzten Wochen eine Art Heimat geworden war, und ich war mir sicher, dass ich den Wunsch der Helmers, so schnell es uns möglich war, erfüllen würde. Mit über einhunderfünfzig Personen machten wir uns auf den Weg nach Westen, da die zehn Soldaten sowie ein Großteil der Apatschen uns begleiteten; der Rest war vorher schon zu den Mescaleros zurückgekehrt, um den Stamm von den Ereignissen zu unterrichten. Selbst wenn es irgendwo in dieser Gegend noch den ein oder anderen Banditen geben sollte, diese große Gesellschaft würde niemand wagen, anzugreifen, soviel war sicher. Ich saß natürlich mit beiden Ärzten bei Winnetou in dem dafür umgebauten Planwagen, hielt ihn in meinen Armen und freute mich einfach nur, ihn lebend in seine Heimat bringen zu können. Iltschi und Hatatitla hatten wir direkt hinter den Wagen gebunden, so dass ich die beiden Hengste unterwegs ständig im Blick hatte. Die Hitze und Trockenheit der Wüste konnten uns nicht viel anhaben. Unzählige Packpferde, mit Vorräten und Wasserschläuchen beladen, sowie der von den Geiern mitgeführte Planwagen, den wir ebenfalls voll mit Wasserfässern beladen hatten, begleiteten unseren Zug und sorgten dafür, dass niemand zu hungern oder zu dürsten brauchte. Viele feuchte Tücher in unserem Wagen brachten über Tag eine angenehme Kühlung, so dass Winnetous Körper nicht überhitzen konnte. In den teils bitterkalten Wüstennächten wärmte ich ihn mit Fellen und Decken und natürlich mit meinem Körper, und mit Hilfe all dieser Maßnahmen gelang es uns tatsächlich, meinen geliebten Freund unbeschadet trotz seiner schweren Verletzung durch den Llano zu bringen. Es lagen vier Tagesreisen zwischen Helmers Home und den Weidegründen der Mescaleros, die wir ohne besondere Vorkommnisse zurücklegten. Und dann trafen wir endlich im Pueblo der Apatschen ein, meinem eigentlichen und vor vielen Wochen unter völlig anderen Voraussetzungen angetretenen Reiseziel! Die Begrüßung durch die Krieger und Frauen lässt sich gar nicht beschreiben – einerseits waren sie überglücklich, endlich ihren geliebten Häuptling und so viele befreundete und bekannte Westmänner wiederzusehen, andererseits konnte man selbst den altehrwürdigsten Kriegern ansehen, wie entsetzt sie über den schlechten Zustand ihres obersten Anführers waren. Als dann noch einer der Ältesten des Stammes zu mir trat und sich im Namen seines Volkes bei mir für meinen Beistand, meine Pflege und vor allem meine Liebe zu Winnetou bedankte, konnte ich meine Emotionen fast nicht mehr zurückhalten, zumal ich mich immer noch schuldig an seiner Verletzung fühlte. Da die Bewohner des Pueblo ja im Vorfeld von Winnetous Ankunft unterrichtet worden waren, hatte man seine Räumlichkeiten schon mit allem ausgestattet, was für die Pflege eines Schwerstverletzten und für eine daran anschließende lange Genesungsphase von Nöten war. Der Doktor war hochzufrieden, als er sich umsah und begann sofort mit der Untersuchung und Behandlung meines Freundes, um sicherzugehen, dass die lange Reise diesem nicht doch geschadet hatte. Für ihn hatten die Apatschen einen Raum nebenan eingerichtet, ebenso wie für mich. Diesen Umstand ließ ich aber sofort wieder ändern, da ich meinem Winnetou nicht eine Minute von der Seite weichen wollte. Der Militärarzt blieb noch einige Tage zu unserer Unterstützung im Pueblo, aber als dann deutlich abzusehen war, dass für Winnetou keinerlei Gefahr für Leben und Gesundheit mehr bestand und man einfach nur abwarten musste, bis sein Körper seinen Geist wieder freigab, machte er sich mit den Soldaten zusammen auf den Rückweg ins Fort. Die Siedler allerdings blieben noch weiterhin bei den Mescaleros. Keiner von ihnen wollte jetzt in ein neues Leben aufbrechen, auch wenn dieses nicht allzu weit weg vom Pueblo stattfinden würde; sie alle wollten abwarten, bis sie sich zumindest persönlich von dem Apatschenhäuptling verabschieden konnten. Achtzehn Tage nach dem Attentat in der Schlucht, kurz nachdem die Soldaten uns verlassen hatten, war für uns und vor allen Dingen für mich die lange Zeit des Wartens und der damit verbundenen Sorge, die ich nie ganz unterdrücken konnte, vorbei. Gegen Abend begann mein Freund plötzlich und unerwartet heftig zu husten, womit er mir einen fürchterlichen Schrecken einjagte, denn er lag ja wie üblich in meinen Armen und um uns herum war nur Stille und Ruhe. Im ersten Augenblick, nach seinen anfänglichen krampfhaften und heftigen Atemzügen, hatte ich regelrecht Todesangst um ihn; alles an seiner Haltung erinnerte mich an die ersten schrecklichen Minuten in der Schlucht, nachdem er von dem Unteranführer der Geier getroffen worden war. Ich rief laut nach dem Doktor, der sich aber in diesem Moment nicht im Gebäude befand. Allerdings hörte mich Tsain-tonkee, der sich mit einigen anderen hervorragenden Kriegern immer in unserer Nähe befand, um eventuelle Wünsche des Doktors oder meinerseits erfüllen zu können. Er kam sofort herein, beobachtete Winnetou einen Moment lang, lächelte plötzlich zu meinem völligen Erstaunen und sagte: „Der Geist des Häuptlings ist zurückgekehrt! Er wird in kurzer Zeit seine Augen wieder öffnen. Tsain-tonkee wird den weißen Medizinmann holen und den Kriegern der Mescaleros die freudige Nachricht überbringen!“ Und schon war er draußen. Na, der musste sich seiner Sache ja völlig sicher sein, dachte ich bei mir, immer noch etwas erstaunt. Und dann bewahrheitete sich die Aussage des Indianers tatsächlich! Innerhalb weniger Sekunden ließ der Hustenanfall, der Winnetou durchgeschüttelt hatte, nach, verschwand dann vollständig und einige Augenblicke später öffnete mein geliebter Blutsbruder die Augen! Das die meinigen sofort im Wasser nur so schwammen, kann man sich vielleicht denken. Winnetous Blick erfasste mich, er erkannte mich sofort und einen Wimpernschlag später glitt sein leises Lächeln über sein von dem schweren Überlebenskampf gezeichneten, aber immer noch schönem Antlitz. Ich tat, was mir mein Herz gebot und wogegen ich mich absolut nicht wehren konnte, zog ihn fester und höher zu mir in die Arme, küsste ihm Stirn und Wangen und schließlich sogar auf den Mund. Sein Gesicht wurde nass von meinen Tränen, aber das störte uns beide nicht im geringsten. Er nannte nur meinen Namen, zu mehr war er noch gar nicht in der Lage, und ich konnte nicht mehr als nicken, da meine Kehle völlig zugeschnürt war. Minuten später war der Doktor an unserer Seite, ertastete kurz, ohne unsere Position zu ändern, Winnetous Puls und Atmung und war mit dem Ergebnis offensichtlich nicht unzufrieden. Wir ließen dem Apatschen einige Momente der Ruhe, damit er erst einmal ein wenig zu Kräften zu kommen konnte, dann flößte der Doktor ihm mit etwas Mühe ein paar Schlucke Wasser ein, damit seine ausgedörrte Kehle ihm beim Sprechen nicht so viele Schmerzen bereitete. Winnetou selbst machte allerdings keinerlei Anstalten, sich zu bewegen. Es war deutlich zu sehen, dass sein Körper sämtlicher Kraftreserven beraubt worden war, selbst das Sprechen fiel ihm unendlich schwer und er konnte eigentlich nur wenige Worte hauchen. Trotzdem sah er sich nach einigen Minuten interessiert im Raum um. Jetzt sein Gesicht zu beschreiben, als ihm so ganz allmählich die Erkenntnis dämmerte, wo er sich eigentlich befand, ist mir gar nicht möglich. Das ungläubige Erstaunen, dass sich langsam erst in absolute Fassungslosigkeit und dann in eine unbändige Freude verwandelte, war einfach nur köstlich mit anzusehen! Er sah mich wieder an, in seinen wunderschönen Augen begann es zu glitzern. „Scharlih“, begann er stockend. „Du hast mich......sind wir… sind wir zum Pueblo zurückgekehrt?“ Wieder konnte ich vor Rührung nicht sprechen, wieder kam nur ein Nicken von mir zurück. Und bevor ihn seine Kräfte endgültig verließen und sich seine Augen schlossen, flüsterte er: „Scharlih – danke!“ Und dann, während sich beim Doktor und mir ebenfalls wieder alle Schleusen öffneten, liefen ihm die Tränen doch noch über das Gesicht. Kapitel 36: ....und ein Blick in die Zukunft -------------------------------------------- In den ersten Tagen nach seinem Erwachen war Winnetou kaum in der Lage, zu sprechen, geschweige denn, sich zu bewegen oder auch nur zu essen. Er verschlief die meiste Zeit, was dem Doktor allerdings sehr recht war. Er war der Ansicht, je länger diese Phase dauerte, desto besser würde es Winnetou danach gehen. Und mit dieser Vermutung behielt er wieder recht. Nach gut einer Woche begann mein Freund, sich ab und zu mit meiner Hilfe aufzurichten, und auch das Sprechen fiel ihm nicht mehr so schwer. Wir nutzen diese Verbesserung seines Zustandes sofort aus und begannen, so oft es nur ging, mit einer leichten Ernährung. Nach weiteren fünf Tagen war er dadurch auch wieder in der Lage, selbstständig zu essen, jeden Tag ein bisschen mehr. Ab jetzt konnte man täglich kleine Fortschritte in seiner Genesung feststellen. Ich blieb die gesamte Zeit über bei meinem Freund, hielt ihn in meinen Armen, erzählte ihm immer wieder von meinen Erlebnissen, die mir während meiner Reisen widerfahren waren und las ihm zudem sehr oft aus Büchern vor, die ich mir von Pit Holbers und Dick Hammerdull aus der wenige Tagesritte entfernten Stadt Albuquerque hatte besorgen lassen. Die Gefährten waren allesamt regelrecht erpicht darauf, irgendetwas zu Winnetous Heilung beitragen zu können und hatten mir diesen Wunsch sehr gerne und sofort erfüllt. Der Wissensdurst des Apatschen war ja schon immer sehr bemerkenswert gewesen, aber jetzt, wo sein Körper ihn zur absoluten Tatenlosigkeit zwang, wurde er fast grenzenlos. Ich hatte uns Lesestoff aus vielen verschiedenen Themen besorgen lassen, Gedichte, Literatur, historische Sachbücher und vieles mehr. Während ich ihm dann vorlas, hatte ich selber die größte Freude an seiner unglaublichen Auffassungsgabe, seiner Fähigkeit, sich selbst die unwichtig erscheinenden Dinge zu merken, und an seiner klaren Denkweise, die sich vor allem in unseren Diskussionen, meistens über politische und historische Themen, zeigte. So verging diese erste, schwere Zeit wie im Fluge. Was Hendrick und mich dabei am meisten überraschte, war die Tatsache, dass Winnetou keinerlei Anstalten machte, sich auch nur im Entferntesten irgendeiner Anordnung des Arztes zu widersetzen oder er den Versuch unternahm, sich selbst mehr zuzumuten, als ihm erlaubt worden war. Es war deutlich zu sehen, dass ihm alles daran lag, mir nicht noch mehr Kummer und Sorge zu bereiten und er deshalb eine solche Disziplin und, fast möchte ich sagen, einen solchen Gehorsam uns gegenüber an den Tag legte, dass der Doktor sich oftmals in wahren Begeisterungsstürmen erging und jedem, der es hören wollte oder auch nicht, vorschwärmte, dass er noch nie einen solch vorbildlichen Patienten gehabt hatte. Der gesamte Stamm der Mescaleros behandelte den Arzt übrigens mit allerhöchstem Respekt; er hatte bei ihnen fast den Status eines Häuptlings oder eines hochgeachteten Medizinmannes. Sie wussten natürlich von Entschah-koh und auch von Tsain-tonkee, mit welcher Hingabe er sich wochenlang um den ihm ja zuerst unbekannten Apatschen gekümmert und dass er mit seiner ärztlichen Kunst diesem gleich mehrfach das Leben gerettet hatte. Er war in kürzester Zeit vollkommen im Pueblo integriert und bekam, wenn er sich nicht gerade um Winnetou kümmerte, von Entschah-koh intensiven Unterricht in Sachen Naturheilkunde, während er sein Wissen, soweit es möglich war, an die Apatschen weitergab. Ich hingegen tat weiterhin alles, um Winnetou die Zeit nicht zu lang werden zu lassen, vor allem, weil er mich durch seine Haltung in dieser für ihn doch schwer zu ertragenden Untätigkeit so sehr beeindruckte und ich genau wusste, dass er das nur für mich tat. So ermöglichte ich es ihm zum Beispiel, dass er endlich wieder die Sonne sehen konnte, sobald sein Zustand es ihm erlaubte. An einem wunderschönen Nachmittag trug ich ihn erstmals hinaus auf die Plattform vor unserer Wohnung, wo ich vorher schon einige Felle und Decken platziert hatte, bettete ihn behutsam darauf, hielt seinen Oberkörper in meinen Armen und genoss dann einfach nur mit ihm den Ausblick auf das Dorfleben und auf die wundervolle Naturlandschaft ringsherum. Sich wie ein Kind tragen zu lassen, hätte er niemanden anderem jemals gestattet, zumindest nicht bei vollen Bewusstsein und im Beisein seiner Krieger, aber bei mir ließ er es nicht nur mit großem Gleichmut geschehen, es bereitete ihm auch nicht das geringste Unbehagen im Hinblick auf seine Stellung als Häuptling. Als wir auf der Plattform saßen, war es mir für diese kleine Mühe mehr als Lohn genug, seine vor Freude glänzenden Augen zu betrachten, zu sehen, wie er die Sonne, den Wind, die frische Luft genoss, wie er das Treiben auf und um das Pueblo herum beobachtete und sich dabei völlig entspannt an mich lehnte. Bekanntermaßen wohnten ja nicht alle Mescaleros in dem Pueblo, dafür wäre selbst dieser große Bau zu klein gewesen. Es waren nur die hervorragendsten Krieger, die mit ihren Familien hier lebten, alle anderen zogen mit den Pferdeherden oder jagend um diesen Mittelpunkt herum. Somit standen die Bewohner alle dem Häuptling sehr nahe, und als sie ihn jetzt erstmals wieder seit langer Zeit auf der Plattform sitzen sahen, war es mit ihrer indianischen Zurückhaltung vorbei; sie winkten und lachten zu uns hinauf und waren sichtlich erfreut, dass es ihm offenbar endlich besser ging. Winnetou erwiderte ihre Grüße lächelnd und wirkte dabei glücklich und zufrieden. Lange Zeit saßen wir so, jeder die Hand des anderen haltend, und bewunderten am Abend dann einen grandiosen Sonnenuntergang. Da mein Freund noch keinerlei Lust verspürte, wieder in seine Wohnung gebracht zu werden - obwohl er das sofort getan hätte, wenn es mein Wunsch gewesen wäre – blieben wir noch sitzen. Und als die ersten Sterne aufblinkten und der Himmel immer dunkler wurde, da konnte ich in seinem Gesicht eine solche Dankbarkeit, solch intensive Naturverbundenheit und, ich möchte sagen, eine solche Gottesfürchtigkeit erkennen, als er mit glänzenden Augen zu den Sternen sah, dass es mir einen Schauer nach dem anderen den Rücken herunter jagte. Ich hatte den Eindruck, als ob er in diesem Augenblick ganz im Bann der Erinnerung an die für mich so schrecklichen Minuten direkt nach dem Attentat stand. Er hatte damals einen Blick ins Jenseits werfen dürfen, da war ich mir völlig sicher, und dieser unvergleichliche Moment hatte seine Seele so berührt, dass in ihm sogar eine Wesensveränderung vorgegangen war, die allerdings nur für diejenigen bemerkbar war, die ihn genauestens kannten. Seine Melancholie, die man, wenn man genau hinsah, in seinen schönen Gesichtszügen immer erahnen konnte, war zwar nicht ganz gewichen, aber weniger geworden. Die übergroße Geduld, mit der er jetzt die langwierige Genesungsphase über sich ergehen ließ, der Gleichmut, mit dem er dieses zur Untätigkeit Verdammtsein ertrug, sowie eine leise Fröhlichkeit, die auf einmal von seinem Innersten Besitz ergriffen hatte, all diese Dinge hatten ihren Ursprung in diesem Moment, als er in Kontakt mit der Ewigkeit getreten war. Er wirkte auf mich wie jemand, den absolut nichts mehr erschüttern konnte. Vor allem an seiner inneren Heiterkeit erfreute ich mich immer öfter, wie auch an diesem späten Abend, als ich ihn wieder zurück ins Pueblo trug. Sobald er lag und ich mit der abendlichen Pflege begann, fielen mir wieder einige kleinere Ereignisse mit den Siedlern ein. Diese hatten nämlich immer noch nicht ihre neuen Grundstücke im Weideland der Mescaleros aufgesucht, und mittlerweile war ich mir ziemlich sicher, dass vor allem die Damen des Trecks ihren Einfluss auf die Männer mit aller Macht geltend machten, um so lange wie möglich die Reise hinauszuzögern – sie wollten wohl alle in Winnetous Nähe bleiben, wie mir Emery und vor allem Old Surehand immer mal wieder lachend erzählten. Die beiden hatten ja viel mehr Kontakt mit den Siedlern als ich und hörten da so einiges aus den Gesprächen der Leute heraus. Zudem erinnerte ich mich an Emerys Bemerkung auf Helmers Home, als er mir versicherte, sämtliche unverheirateten Frauen und teils auch die verheirateten Ladies hätten ein Auge auf meinen Freund geworfen. Während ich Winnetou an diesem Abend wieder einmal Entschah-koh`s Pflegeöl in aller Ruhe einmassierte, erzählte ich ihm von den Entdeckungen der Gefährten. Die ungläubig-erstaunte Miene, mit der er mich jetzt betrachtete, war so köstlich, dass ich einen richtiggehenden Lachanfall bekam. Ich versuchte zwar, diesen irgendwie noch einzudämmen, aber als sein verdutzter Gesichtsausdruck einfach nicht weichen wollte, war bei mir alles vorbei; ich setzte mich auf den Boden und hielt mir den Bauch vor Lachen. Dass ich diesen Anfall dann doch irgendwann unterbrechen konnte, hatte ich einem nassen Handtuch zu verdanken, das Winnetou mir, jetzt selbst breit lächelnd, ins Gesicht warf. Als er dann aber in gespielter Missbilligung den Kopf schüttelte, konnte ich mich abermals nicht mehr halten; mein nächster Heiterkeitsausbruch trieb mir sogar die Tränen in die Augen. Das hatte zur Folge, dass ich als nächstes ein Kissen an den Kopf bekam, gefolgt von einem leisen Lachen meines Freundes, den ich mit meinem übermütigen Gelächter erfolgreich angesteckt hatte. Noch bevor ich mich zur Wehr setzen konnte, hatte ich das nächste Kissen im Gesicht, und jetzt entbrannte sich zwischen uns eine Kissenschlacht, die man eigentlich als alberne Kinderei abtun musste, die uns aber den größten Spaß bereitete. Immer wieder ließ der Apatsche sein leises, aber herzliches Lachen hören, und diese Fröhlichkeit, die er jetzt an den Tag legte, hatte ich vorher noch nie bei ihm erlebt, zumindest nicht in diesem Ausmaß. Natürlich war er noch viel zu geschwächt, um das lange durchzuhalten, aber dieser Augenblick zeigte mir, dass er erfüllt mit Leben war und dieses auch unendlich genoss. So vergingen die Wochen, und Winnetous Gesundheitszustand besserte sich langsam, aber stetig. Mit äußerster Vorsicht belasteten wir seinen Körper Schritt für Schritt. Erst durfte er nur kurz aufstehen, eine Woche später schon einige Schritte laufen; wieder mehrere Wochen später konnte er schon selbstständig das Pueblo verlassen, und drei Monate nach den Ereignissen in der Schlucht wurde ihm der erste Ausritt ermöglicht, den er in unbändiger Lebensfreude mit allen Sinnen genoss. Fünf Monate danach war mein Freund vollständig wiederhergestellt, sollte sich aber trotzdem auf Anweisung von Hendrick noch einige Wochen im Pueblo erholen, also erst einmal keine weiten Reisen unternehmen. Entschah-koh, der während Winnetous Genesung sowieso die Führung des Stammes innehatte, vertrat ihn auch in dieser Hinsicht zuverlässig und ganz in Winnetous Sinne. Auch wenn wir uns nicht weit vom Pueblo fortbewegen konnten, vertrieben wir uns dennoch die Zeit mit einigen sehr erfolgreichen Jagdausflügen, auf denen mein Freund unter anderem einen der größten Grizzlys, den wir je gesehen hatten, nur mit dem Messer erlegte und damit allen bewies, dass ihm die schwere Zeit, die hinter ihm lag, nichts hatte anhaben können und er auch keine seiner Fähigkeiten verlernt oder eingebüßt hatte. Die Westmänner hatten im Laufe der letzten Wochen nach und nach Abschied genommen und waren weitergezogen, nicht ohne uns zu versichern, bald wieder nach dem Rechten zu sehen. Nur Firehand, Emery und Surehand blieben noch bei uns. Sie hatten, genau wie ich, schmerzlich erfahren müssen, wie schnell es möglich ist, dass man einen geliebten Menschen verlieren kann, und konnten sich deshalb immer noch nicht überwinden, sich von uns zu trennen. Der Auswanderer-Treck hingegen hatte nach sechs Wochen Aufenthalt im Pueblo dann endlich doch beschlossen, seinen eigentlichen Bestimmungsort, der nur einen Tagesritt entfernt lag, aufzusuchen, um endlich mit dem Bau der Siedlung zu beginnen. Ich weiß nicht, ob sie aus freien Stücken auch so schnell aufgebrochen wären, aber Winnetou hatte es ihnen nahegelegt; sie sollten die im Moment günstige Zeit zum Aussetzen des Saatgut ausnutzen, um vor dem Winter die ersten Ernten einfahren zu können. Er hatte ihnen die Hilfe seines Stammes beim Bau der Siedlung zugesagt, und diese Hilfe war so reichlich, dass die ersten Häuser innerhalb zwei Wochen bezugsfertig waren. Vorher hatte sich Treckführer Schumann unter Tränen von meinem Freund verabschiedet, und von den anderen Siedlern nahm Winnetou in der Weise Abschied, indem ich ihn auf die Plattform begleitete, da er zu diesem Zeitpunkt ja nur wenige Schritte laufen konnte, und er dort einige herzliche Worte des Abschieds sprach, die von den Auswanderern sehr emotional aufgenommen wurden. Wir versprachen ihnen, sie zu besuchen, sobald es Winnetou möglich sein würde, und das hatten wir dann auch eingehalten. Und unser Zusammenleben im Pueblo in Bezug auf die neue, wunderbare Dimension unserer Liebe zueinander? Das gestaltete sich unproblematischer, als ich es jemals für möglich gehalten hatte. Als Winnetou wieder soweit genesen war, dass meine ständige Anwesenheit in seinen Räumlichkeiten eigentlich nicht mehr nötig gewesen wäre, und ich dennoch mein Lager direkt neben seinem weiterhin eingerichtet ließ, nahmen es die Bewohner des Pueblo mit äußerstem Gleichmut und fast schon als Selbstverständlichkeit auf. Zu dieser Zeit wurden wir auch wieder auf ganz sanfte, ruhige Weise miteinander intim, und ich bin mir nicht sicher, ob das irgendeiner seiner Stammesangehörigen nicht doch mitbekommen hatte, aber sie ließen sich absolut nichts anmerken; im Gegenteil, ich gehörte für sie einfach an Winnetous Seite, und diesen Umstand fassten sie als große Bereicherung für sich selber, aber natürlich vor allem für ihren Häuptling auf. Trotzdem war ich froh, als wir unsere ersten Jagdausflüge unternehmen konnten. In den Bergen rund um das Dorf gab es eine Menge Höhlen und unendlich viele Möglichkeiten, unsere Zweisamkeit ohne Zurückhaltung zu genießen. Als wir das erste Mal eine solche Höhle aufsuchten, fiel ich mit einer fast schon zügellosen Leidenschaft regelrecht über meinen Freund her, so dass diesem wirklich zuerst Hören und Sehen verging, er dann aber um so mehr mein Begehren nach allen Regeln der Kunst erwiderte und wir danach für längere Zeit nicht mehr in der Lage waren, uns noch großartig zu bewegen. Meine Dankbarkeit für die Tatsache, dass mir ein solcher Mensch, den ich einfach nur abgöttisch liebte, an die Seite gestellt worden war, ging ins Unermessliche. Ich war so froh, auf meine innere Stimme – oder war es die Stimme Gottes? - gehört zu haben, die mich zurück in den Westen getrieben hatte; welch herrliches Leben wäre mir sonst entgangen! Nach all den Jahren des rastlosens Herumjagens in der Weltgeschichte war es für mich so, als wäre ich endlich nach Hause gekommen. Und Winnetou? Der zeigte mir jeden Tag und auf jede erdenkliche Art und Weise, wie sehr er mich liebte und wie unendlich froh und glücklich er darüber war, dass ich endgültig den Weg zu ihm gefunden hatte! Unsere Ausflüge wurden mit der Zeit immer länger, manchmal blieben wir auch mehrere Tage fort, und als wir bei einem dieser Ritte auf eine Gruppe Goldsucher trafen, die offenbar in den größten Schwierigkeiten steckten, begann für uns wieder einmal eine aufregende und abenteuerliche Zeit. Davon aber werde ich wohl ein anderes Mal berichten. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)