Geliebter Blutsbruder von Anmiwin ================================================================================ Kapitel 19: Einladungen ----------------------- Auf dem Weg nach oben erzählte ich dem Arzt von Winnetous Schwimmeinlage und seinem Vorhaben, mit mir längere Ausritte zu unternehmen. Der Doktor hörte sich alles mit hochgezogenen Brauen an, sagte aber nichts darauf. Im Zimmer angekommen, unterzog er meinen Freund erst einmal einer gründlichen Untersuchung und wechselte anschließend den durchnässten Verband. Die Wunde auf der Brust heilte sehr gut. Da sie sich von innen nach außen schließen musste, war jetzt nur noch der obere äußere Bereich etwas geöffnet. Bevor der Verband diesen verschloss, wurde vorher eine Masse aus kleingemörserten Heilkräutern hineingegeben, um eine Entzündung zu verhindern und die Heilung zu beschleunigen. Das alles war durch das Wasser jetzt natürlich völlig durchnässt und nicht mehr zu gebrauchen; Dr. Hendrick musste den Verband komplett erneuern und so erwartete ich fast, dass er Winnetou seinen Unmut über dessen Unvorsichtigkeit kundtat. Der Arzt aber war dem Unternehmungsgeist des Apatschen offenbar sehr zugetan und hatte auch gleich eine erfreuliche Nachricht für uns: „Ich kann Euch beruhigen, Mr. Shatterhand, schaden tun diese Ausflüge, solange sie in Maßen geschehen, Eurem Freund wirklich nicht mehr. Im Gegenteil, man sieht ihm ja förmlich an, wie er dadurch aufblüht!“ An Winnetou gewandt, fuhr er fort: „Ihr habt wirklich einen unglaublichen Überlebenswillen und eine großartige körperliche Konstitution, Häuptling! Ich glaube kaum, dass irgend jemand so schnell und so weit mit der Genesung von dieser schweren Verletzung fortgeschritten wäre wie Ihr jetzt! Es sind nur noch ganz geringe Herzrhythmusstörungen vorhanden und der Blutverlust ist wieder vollkommen ausgeglichen. Lediglich Euer Blutdruck ist noch ziemlich niedrig, aber das wird sich im Laufe der nächsten Zeit wohl auch deutlich bessern. Die Wunde am Kopf ist bis auf die Kruste verheilt und die andere braucht ebenfalls nicht mehr viel Zeit – alles in allem ein wunderbares Ergebnis!“ Er konnte mir meine große Freude und Erleichterung wohl deutlich ansehen, denn er versicherte mir nochmals: „Ihr könnt jetzt auch ruhig größere Ausflüge unternehmen, solange Winnetou sich nicht völlig überanstrengt, wird ihm nichts geschehen, das könnt Ihr mir wirklich glauben!“ „Und was ist mit seinem gestrigen Zusammenbruch? Kann so etwas nicht mehr passieren?“ Ganz beruhigt war ich halt immer noch nicht und wollte es jetzt genau wissen. „Gut - diese Gefahr ist allerdings noch immer nicht gebannt, bedingt durch den niedrigen Blutdruck.“ erklärte der Doktor. „Aber solange er in solchen Momenten nicht alleine und sofort Hilfe zur Stelle ist, besteht da auch keine Lebensgefahr für ihn, also macht Euch keine unnötigen Sorgen.“ Er sah den erfreuten Blick, den ich dem Apatschen zuwarf und ergänzte: „Dass Ihr an dieser schnellen Genesung aber auch nicht ganz unschuldig seid, Mr. Shatterhand, ist Euch hoffentlich bewusst?“ Bevor ich antworten konnte, war Winnetou schon aufgestanden, trat auf mich zu, ergriff meine Hände, drückte sie und küsste mich auf beiden Wangen. „Winnetou hingegen ist sich vollkommen im Klaren über die große Hilfe seines weißen Blutsbruders, dessen Liebe ihn vor dem Tod bewahrt hat!“ Daraufhin trat er auf den Arzt zu, ergriff auch dessen Hände und sprach: „Und auch die Hilfe des weißen Medizinmannes wird Winnetou niemals vergessen. Der Häuptling der Apatschen würde sich freuen, wenn der Doktor seine Studien über die indianischen Heilkräuter in den Weidegründen der Mescaleros aufnehmen könnte. Er wird dort alle Unterstützung finden, die er braucht, und beide Seiten könnten viel voneinander lernen.“ Dr. Hendrick stand sprachlos vor Erstaunen vor dem Indianer. Ich hatte mit so einem Angebot meines Freundes schon gerechnet, war allerdings sicher, dass der Arzt zumindest in den letzten beiden Wochen überhaupt nicht mehr an sein eigentliches Vorhaben gedacht hatte, so sehr hatten ihn seine Bemühungen um die Genesung des Apatschen in Anspruch genommen. Um so unerwarteter kam jetzt für ihn dessen Einladung, und er konnte nur noch stotternd antworten: „Seid...seid Ihr Euch ...seid Ihr Euch da ganz sicher, Häuptling Winnetou? Ich will nicht, dass Ihr Euch zu irgend etwas verpflichtet fühlt....Ihr müsst wissen, dass die Tatsache, dass Ihr wieder so munter vor mir steht, absolut Dank genug für mich ist – und mehr will ich auch gar nicht annehmen!“ Er wollte einfach nicht, dass Winnetou ihn aus falsch verstandener Dankbarkeit bei sich aufnahm, dessen war ich mir sicher. Ich hatte schon in der letzten Zeit bemerkt, dass er meinen Freund von Herzen lieb gewonnen hatte und nur das Beste für ihn wünschte. Er wollte ihm jetzt auf keinen Fall zur Last fallen. Winnetou aber lächelte ihm zu und entgegnete: „Winnetou hätte den Doktor auch ohne dessen Hilfeleistung eingeladen, sobald er ihn näher kennengelernt hätte. Er ist sich sicher, einen guten Menschen vor sich zu haben, der seinem Stamm nur Nutzen und keinen Schaden bringen wird!“ Jetzt konnte der Doktor nicht mehr an sich halten und zog meinen Freund ungestüm in seine Arme, um anschließend eine längere Dankesrede halten zu wollen, die Winnetou aber nach wenigen Worten unterbrach: „Winnetou ist es, der danken muss, nicht umgekehrt. Howgh!“ Wir blieben über die Mittagszeit im Haus, damit mein Freund sich noch etwas ausruhen konnte. Am liebsten hätte ich ihn wieder genötigt, sich auf das Bett zu legen und etwas zu schlafen, aber nach den Worten des Doktors, die ich auch als kleine Ermahnung für mein Verhalten dem Apatschen gegenüber verstanden hatte, ließ ich es lieber bleiben. Aber mein wunderbarer Winnetou wusste wie immer, was ich dachte und fühlte! Wieder einmal glitt ein leichtes Lächeln über sein schönes Gesicht, als er sagte: „Winnetou wird sich jetzt etwas zur Ruhe legen, damit sein Bruder beruhigt sein mag! Danach aber möchte er gerne die Siedler endlich genauer kennenlernen und sich bei ihnen für ihre Hilfe und Anteilnahme bedanken.“ Ich starrte ihn überrascht an. Wenn sich einer bedanken musste, dann waren es die Siedler bei Winnetou und nicht umgekehrt! Aber da ich ihn nun mal genau kannte, war mir klar, dass er jeden Dank für ihn von sich weisen würde, während er selber nicht genug davon austeilen konnte. Mir war bewusst, dass die Auswanderer meinen Freund wahrscheinlich überrennen würden, wenn sie ihm zum ersten Mal so nahe kommen konnten, also beschloss ich, hinunter zu gehen, um sie auf seinen Besuch vorzubereiten und so zu instruieren, dass er sich nicht bedrängt fühlen würde. Die Treckmitglieder freuten sich unbändig über meine Ankündigung und versprachen hoch und heilig, sich an meine Ratschläge zu halten, denn nur so konnten sie sicher sein, dass sich Winnetou nicht nach wenigen Augenblicken wieder entfernte. Ich blieb bis zu seiner Ankunft bei ihnen und hatte meine helle Freude an dieser munteren Gesellschaft, die sich nicht nur mit den Westmännern, sondern auch mit allen Apatschen richtig gut angefreundet hatte. Da waren keinerlei Vorurteile gegenüber der roten Rasse zu spüren, im Gegenteil, wenn sie mit den Indianern sprachen, taten sie es genauso, wie sie mit ihresgleichen zu sprechen pflegten. Diese fühlten sich auch offenbar äußerst wohl zwischen den weißen Siedlern, denn sie blieben nicht unter sich, wie es rote Krieger eigentlich immer in Gesellschaft von Weißen zu tun pflegten, sondern hatten sich mitten unter die Auswanderer gemischt, sprachen mal mit diesem, halfen mal bei jenem mit. Ich sah mir das Schauspiel mit fast schon ungläubigem Staunen an. Könnte es doch immer und überall so sein! Und dann kam am Nachmittag endlich Winnetou! Die freudige Spannung war bei allen Anwesenden fast greifbar, aber sie hielten sich zurück, bildeten ein großen Halbkreis und warteten voller Respekt und Ehrerbietung, bis der Apatsche das Wort ergriff: „Winnetou ist froh und glücklich, seine weißen Brüder und Schwestern gesund und unversehrt vor sich zu sehen. Er weiß, dass sie Schlimmes durchmachen mussten und hofft, dass sie diese Erlebnisse bald vergessen werden. Außerdem möchte er Dank sagen für die Hilfe und Anteilnahme, die sie ihm zuteil werden ließen und für das Vorhaben, auf Winnetou zu warten und mit ihm durch den Llano zu ziehen. Er wird dieses Angebot mit seinen Apatschen sehr gerne annehmen und freut sich auf eine gute, unterhaltsame Reise!“ Nun trat der Treckführer Schumann vor und sprach: „Häuptling Winnetou, ich danke Euch im Namen aller Siedler für Eure freundlichen Worte. Aber wir sind es, die Euch mehr als Dank schulden und wir wissen alle, dass wir Eure Hilfe bei der Rettung unser aller Leben nie wieder gut machen können. Ich weiß,“ fuhr er eindringlich fort, als er sah, dass Winnetou den Kopf schüttelte und die Hände abwehrend erhob. „Ich weiß, dass Ihr das am liebsten gar nicht hören möchtet, aber einmal muss es gesagt sein, danach werden wir uns Eurem Willen beugen und nicht mehr davon sprechen. Aber Ihr könnt versichert sein, dass wir es Euch niemals vergessen werden. Unser Leben gehört ab sofort Euch und jeder von uns wird, wenn Ihr ihn einmal brauchen solltet, sofort zur Stelle sein!“ Winnetou nickte dankend mit dem Kopf, gab dem Treckführer die Hand und ging dann zu jedem Einzelnen, auch zu den Kindern, um ihnen allen die Hand zu reichen. Man konnte deutlich erkennen, dass die Siedler alle tief bewegt waren und einigen sogar Tränen der Rührung in den Augen glitzerten! Anschließend setzte sich der Apatsche neben Schumann mitten unter die Auswanderer, worauf alle es ihm erfreut gleichtaten. Nun begann ein sehr unterhaltsamer Nachmittag, der in einem wunderbaren Lagerfeuer-Abend überging, wie es sie im Westen in diesem Ausmaß mit Sicherheit nicht so oft zu sehen gab. Einige der Siedler hatten ganz annehmbare Stimmen und begannen irgendwann, deutsches Liedgut zu präsentieren. Es gab sogar jemanden, der Gitarre spielte und ein anderer, der eine Flöte dabei hatte, und diese unterstützten die Sänger in wirklich bemerkenswerter Weise. Winnetou hörte still und konzentriert zu; ich sah ihm an, dass die Musik seine Seele zutiefst berührte. Die Frauen hatten zwischenzeitlich ein herrliches Mahl zubereitet, und Helmer gab gutes deutsches Bier aus, welches dann auch in Strömen floss. Nachdem Old Surehand und der Hobble-Frank sich genug Mut angetrunken hatten, begannen sie, in den Gesang der Siedler mit einzustimmen, was für unendlich viele Lacher sorgte, die natürlich dem Sachsen galten. Old Surehands Stimme konnte sich nämlich durchaus hören lassen, während der kleine Frank so schräg und schief wie nur irgend möglich sang; es konnte einem wahrhaftig die Tränen in die Augen treiben! Ich kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus, während Winnetou den Kopf gesenkt hielt, entweder weil auch er sich das Lachen nicht mehr verkneifen konnte oder weil ihm der „Gesang“ in den Ohren weh tat. Zwischendurch wurde sich auch intensiv unterhalten und dabei kam das Gespräch auch auf die Absichten der Auswanderer, sich irgendwo in New Mexico anzusiedeln. Mein Freund hörte eine Weile zu und begann sich dann in das Gespräch mit einzubringen. Er erkundigte sich, wo genau die Siedler sich niederlassen wollten, was diese aber noch nicht wussten. Treckführer Schumann erklärte ihm: „Wir haben noch keine genaue Vorstellung, da wir das Land dort drüben ja nicht kennen. Wir hoffen, irgendwo fruchtbaren Boden zu finden, welches wir dann entweder pachten oder, noch besser, kaufen können!“ Winnetou nickte und schaute einige Augenblicke sinnend zu Boden, wechselte anschließend einen langen Blick mit seinem Unterhäuptling, worauf hin dieser schweigend nickte. Ich wusste genau, worüber er nachdachte, und da kam es auch schon: „Winnetou möchte, wenn seine weißen Brüder und Schwestern nichts dagegen haben, ihnen sehr gerne einen Teil der Weidegründe der Mescaleros anbieten, auf dem sie wohnen und den Boden fruchtbar machen können. Er schenkt es ihnen!“ Schumann und diejenigen, die nah genug saßen, um die Worte des Apatschen hören zu können, saßen starr vor Staunen, wie festgefroren auf ihren Plätzen. Dann flüsterten einige es denjenigen Siedlern zu, die weiter entfernt gesessen hatten und die gaben es ebenfalls weiter; wie eine Wellenbewegung breitete sich das Angebot des Häuptlings unter den Menschen aus, genauso wie die plötzliche Stille, die danach folgte. Der Treckführer fand dann doch irgendwann seine Sprache wieder: „Häuptling Winnetou ….Das ….das wäre ja unglaublich... Aber das können wir doch gar nicht annehmen!“ „Warum nicht?“ kam die Gegenfrage. „Wir haben Euch schon so viel zu verdanken, wir können Euch doch jetzt nicht auch noch Euer Land wegnehmen!?!“ Schumann konnte den Großmut des Apatschen einfach nicht fassen. „Ein Geschenk kann man nicht wegnehmen,“ entgegnete dieser ihm. „Ja … Nein ….Aber Euer Gebiet würde sich durch uns unweigerlich verkleinern – ihr habt doch schon viel zu viel für uns getan, als dass wir das auch noch annehmen könnten!“ ereiferte sich Schumann. Mein Freund hingegen war ganz ruhig, als er ihm antwortete: „Winnetou würde mit diesem Schritt auch seinem Volk einen Gefallen tun. Er weiß, dass die Zeiten sich unweigerlich ändern werden und er will nicht unvorbereitet sein.“ Er tat einen tiefen Atemzug und sah den Treckführer ernst an: „Irgendwann werden die Apatschen, auch die Mescaleros, es zulassen müssen, dass sich Weiße in ihren Jagdgründen ansiedeln, weil der weiße Vater in Washington es so bestimmen wird. Wenn wir uns dagegen wehren, werden wir früher oder später alles Land verlieren. Lassen wir es aber schon vorher zu, zeigen wir damit unseren guten Willen und der weiße Vater wird eher bereit sein, unser Eigentum zu achten. Die Ansiedlung von Weißen ist also nicht zu umgehen - und Winnetou nimmt doch viel lieber Menschen in seine Nachbarschaft auf, von denen er weiß, dass sie gut und ehrlich sind und seinem Volk keinen Schaden bringen werden als Menschen, die er nicht kennt und denen er nicht vertrauen kann!“ „Aber gerade dann wäre es doch vollkommen ehrlos von uns, wenn wir Eure Zwangslage auch noch ausnützen würden! Zumindest schenken werden wir es uns nicht lassen!“ Schumann war immer noch nicht beruhigt. Gott, wie froh war ich, dass es solche Menschen wie ihn gab, die die Indianergebiete nicht als Selbstbedienungsladen sahen! Doch so sehr sich der Treckführer sich gegen den Willen des Apatschen auch sträubte, Winnetou setzte sich durch und beendete die Diskussion mit den Worten: „Wir werden es Euch schenken, denn wir wissen, dass wir dieses Geschenk von Euch doppelt wiederbekommen werden, da wir von Euch noch viel lernen können. Howgh!“ Damit war für ihn alles gesagt, nicht aber für Schumann, der sich jetzt fast schon verzweifelt an mich wandte: „Wir können doch so etwas nicht … jetzt sagt Ihr doch auch mal was, Mr. Shatterhand!“ Ich konnte ein Lächeln ob seiner Aufgeregtheit nicht unterdrücken. „Na, wenn Ihr mich so fragt, dann rate ich Euch, Winnetous Angebot anzunehmen. Ihr werdet es nirgendwo besser haben und Ihr werdet nirgendwo sicherer sein als bei den Apatschen, solange Ihr es gut mit ihnen meint!“ „Also, davon könnt Ihr getrost ausgehen!“ erwiderte er und setzte an Winnetou gewandt, glücklich hinzu: „Häuptling Winnetou, für dieses unglaublich großzügige Angebot können wir Euch gar nicht genug danken – Im Namen des gesamten Trecks nehme ich von Herzen gerne an!“ Damit ging er auf meinen Freund zu, reichte ihm die Hand und zog ihn, als dieser aufgestanden war, gerührt in seine Arme. Sämtliche Anwesende fielen in ohrenbetäubendes Händeklatschen und Bravorufen ein; irgendjemand rief ein donnerndes dreimaliges „Hurra“ und als alle es wiederholten, konnte man den Lärm bestimmt zwanzig Meilen weit hören. Jetzt war keiner mehr zu halten und Winnetou wurde nun doch von allen Seiten bedrängt; jeder wollte sich bedanken und seine Hände schütteln, so dass ich es als notwendig ansah, mich an seine Seite zu stellen und ihm etwas Luft zu verschaffen. Irgendwann hatten sich die Gemüter einigermaßen beruhigt, aber nun wurde gefeiert, wie man es auf Helmers Home wohl noch nie gesehen hatte! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)