Geliebter Blutsbruder von Anmiwin ================================================================================ Kapitel 15: Erste Schritte und mehrfacher Dank ---------------------------------------------- Die halbe Stunde war um, der Doktor trat ein, warf einen Blick auf den immer noch schlafenden Apatschen und war sofort an seiner Seite. „Was ist mit ihm?“ fragte er mich alarmiert. Jetzt hatte ich wirklich Mühe, ihn zu beruhigen, was letztendlich auch dadurch gelang, weil er nach einer nochmaligen Untersuchung zu der Ansicht kam, dass es Winnetou den Umständen entsprechend gut ging. „Gut,“ sagte er dann, „ein Rückfall ist es Gott sei dank nicht. Warten wir ab, bis er aufwacht, und dann sehen wir ja, ob er heute schon zum Aufstehen in der Lage ist. Ich werde jede Stunde herein schauen, und wenn Ihr zwischendurch das Gefühl habt, ihm geht es schlechter, dann lasst mich sofort rufen!“ Ich versprach es ihm. Beim Hinausgehen fragte er noch: „Ist es Euch recht, wenn wir heute hier keinen Besuch zulassen?“ Dem stimmte ich zu, denn ich war auch der Meinung, dass es meinem Freund sonst zu viel werden könnte. Ich setzte mich zu Winnetou, nahm seine Hand und hing meinen Gedanken nach. Es war vor allem die nähere Zukunft, die mich beschäftigte. Sobald der Apatsche wieder kräftig genug sein würde, wollten wir mit Mann und Maus aufbrechen, um durch den Llano zu den Weidegründen der Mescaleros zu reisen. Ich musste über die ein oder zwei versprengten Llanogeier nachdenken, die den Westmännern nach dem Überfall auf den Treck entkommen waren. Man hatte noch nach ihnen gesucht, aber keine Spur von den Banditen gefunden. Waren sie überhaupt noch am Leben? Und wenn, was hatten sie jetzt vor? Stellten sie vielleicht sogar noch eine Gefahr für uns dar? Daran glaubte ich aber nun wirklich nicht; wir waren über einhundert teils bestens bewaffnete Personen, wer könnte uns schon gefährlich werden? Eher würden wir ihnen gefährlich werden, zumindest ich, und zwar jedem Llanogeier, den ich zu fassen bekam, egal, ob dieser an dem Überfall beteiligt gewesen war oder nicht. Ich würde es niemals vergessen, was diese Gangster meinem Winnetou angetan hatten, und daher durfte auch keiner von ihnen auch nur auf eine Spur von Gnade meinerseits hoffen! Ich musste bei diesen Gedankengängen wohl ein ziemlich ernstes Gesicht gemacht haben, denn plötzlich erklang eine etwas besorgt klingende Stimme neben mir: „Scharlih?“ Mein Kopf fuhr schnell hoch und mit einem etwas besorgten Blick sah ich meinen Freund an. Dieser hatte einen fast schon ängstlich fragenden Ausdruck in den Augen, so als ob er fürchtete, ich würde den gestrigen Abend heute doch in einem anderen Licht sehen; er hatte meine zuvor so grimmige Miene wohl in diese Richtung gedeutet. Na, da konnte ich ihn aber definitiv beruhigen! Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, nahm seinen Kopf in meine Hände und küsste ihn fast schon ungestüm auf den Mund. Dann fragte ich ihn: „Wie geht es dir?“ Er lächelte: „So gut wie noch niemals zuvor!“ Einen Moment später setzte er sich auf und sah mich jetzt ernst an: „Ich möchte dir danken, Scharlih. Von ganzem Herzen danken!“ Vollkommen überrascht fragte ich ihn: „Wofür denn das?“ „Für das, was du in der letzten Zeit für mich getan hast. Du hast viele Nächte durchwacht, warst immer für mich da und ich weiß, dass ich ohne dich den Tod nicht besiegt hätte!“ Ich wollte protestieren, er aber verschloss mir meinen Mund mit einem Kuss. In diesem Moment klopfte es an der Tür, und wir lösten uns schnell von einander. Der Doktor und Emery betraten das Zimmer, die beide hörbar aufatmeten, als sie Winnetou in offensichtlich heiterer Stimmung vorfanden. Der Erstere überzeugte sich nochmals, dass sich der Gesundheitszustand des Apatschen nicht verschlechtert hatte und überraschte ihn dann mit der Nachricht, heute endlich mal für kurze Zeit das Bett verlassen zu dürfen. Dieser reagierte erfreut: „Uff! Winnetou war bis jetzt immer geduldig, aber er ist froh, das dies nun ein Ende hat und er wieder den Himmel und die Sonne zu sehen bekommt!“ In dieser Hinsicht bekam seine Vorfreude aber von Dr. Hendrick einen kleinen Dämpfer; er machte ihm klar, dass Winnetou die nächsten zwei Tage noch nicht das Zimmer verlassen durfte; man musste ja erst abwarten, ob sein Herz belastbar genug war. Ich kannte meinen Freund genau, ich wusste, dass er jedem Anderen gegenüber wahrscheinlich seinen eigenen Willen durchgesetzt hätte. Aber er verdankte Dr. Hendrick sein Leben und hatte sich auch jeden Tag von dessen unermüdlichen Bemühungen um seine Gesundheit überzeugen können; er wollte es ihm nicht mit einer leichtsinnigen Gefährdung derselben danken und befolgte deshalb jetzt jede ärztliche Anordnung ohne Widerstand. Jetzt trat Emery mit gewichtiger Miene hervor, entrollte ein Bündel, welches er in der Hand gehalten hatte, und reichte es Winnetou mit den Worten: „So, mein Freund, hier hast du ein kleines Präsent von den Ladies aus dem Treck!“ Es war – Winnetous Jagdanzug, der von den Frauen tatsächlich in einen makellosen Zustand versetzt worden war. Nicht ein Flecken war mehr zu sehen und die Messerschnitte waren mit so feinen Stichen genäht, dass man sie nur bei genauem Hinsehen bemerken konnte. Der Apatsche warf einen solch verwunderten Blick von Emery zu seiner Kleidung und dann wieder zurück zu Emery, dass wir ihn lachend über das Versprechen der Damen aufklären mussten. Er lächelte leise in sich hinein und sagte, an Emery gerichtet: „Wird mein Bruder den weißen Frauen meinen Dank ausrichten?“ „Das werde ich herzlich gerne tun,“ antwortete dieser, „aber ich bin mir sicher, dass sie sich eher umgekehrt bei dir bedanken wollen. Sie wissen alle, dass sie nur deinetwegen noch am Leben sind!“ Der Apatsche schüttelte energisch den Kopf. „Winnetou will keinen Dank, er hat nur getan, was nötig war. Mein Bruder Emery mag das weitergeben!“ Dieser versprach es, wusste aber genauso gut wie wir, dass sich die Siedler mit diesen Worten nicht zufrieden geben würden. Ich half Winnetou beim Anlegen seiner Kleidung, und dann erklärte Dr. Hendrick ihm nochmal eindringlich, dass diese ersten Gehversuche nur unter aller Vorsicht durchgeführt werden durften. „Sobald Ihr bemerkt, dass Euch die Kraft verlässt, Häuptling Winnetou, gebt bitte sofort Bescheid. Euer Herz wird jetzt zum ersten Mal belastet und wir wissen noch nicht, wie leistungsfähig es schon ist!“ Bei diesen Worten warf ich einen schnellen Blick zu meinem Freund; dessen Mundwinkel zuckten, ansonsten blieb sein Gesicht aber unbewegt. Ich hingegen hatte deutlich mehr Mühe, eine weiterhin harmlose Miene zu machen. Wenn der Arzt wüsste, zu welchen Leistungen Winnetous Herz gestern Abend imstande gewesen war, hätte er sich doch sehr gewundert! Dann wurde es ernst. Emery und ich stellten uns zu beiden Seiten des Apatschen auf, um ihn beim Aufstehen zu unterstützen. Er blieb einen Moment stehen, begann dann aber leicht zu schwanken - es schwindelte ihm deutlich, und deshalb hielten wir ihn fest gestützt. Er atmete ein paar mal tief durch, dann wurde es besser und er tat die ersten Schritte. Ohne größere Probleme schaffte er es bis zum Fenster, wo ihn der Arzt aber auch sofort wieder zwang, sich kurz auszuruhen. Diese Zeit nutzte Winnetou, um sich draußen erstmals umzusehen. Als er seinen Iltschi in der Pferdekoppel entdeckte, hellte sich sein von der ungewohnten Anstrengung gezeichnetes Gesicht vor Freude auf, und er wandte sich mit einer Bitte an mich: „Mein Bruder hat so viele Tage in diesem Raum ohne Bewegung verbracht, ebenso wie mein Pferd in der Koppel. Wirst du ihn ab heute jeden Tag ausreiten? Es würde euch beiden gut tun!“ Das versprach ich ihm sehr gerne, da ich allmählich wirklich ein großes Bedürfnis nach frischer Luft und etwas Bewegung verspürte. Anschließend halfen wir ihm die wenigen Meter zurück zum Bett. Das Ganze hatte ihn weniger Kraft gekostet als befürchtet, aber trotzdem bestand der Arzt darauf, dass er sich wieder hinlegte und in den nächsten Stunden absolute Ruhe einhielt. Eine nochmalige Untersuchung überzeugte ihn davon, dass das Unternehmen Winnetou nicht geschadet hatte, danach verließen er und Emery den Raum. Ich wartete, bis mein Freund eingeschlafen war und ging dann zum ersten Mal seit zwölf Tagen wieder ins Freie, um mein Versprechen einzulösen. Draußen stand ich erst mal eine Minute still und atmete tief durch. Ich hatte aber kaum Zeit, die ungewohnte Freiheit für mich allein zu genießen, denn schon hatte mich ein Teil der Siedler gesehen und stürmte auf mich zu. Da ich bis jetzt ja nur Kontakt zu dem Treckführer gehabt hatte, kannte mich von den Auswanderern noch niemand persönlich; jetzt wollten alle auf einmal das nachholen und bestürmten mich mit Fragen, auch und vor allem nach Winnetou. Mit Mühe und nur mit Hilfe vom Hobble-Frank und Old Surehand konnte ich mich von ihnen lösen mit der Begründung, dringend nach dem Pferd des Apatschen sehen zu müssen. Als ich zu Iltschi in die Koppel trat, begrüßte mich das Tier voller Freude, es schnaubte und sprang ausgelassen um mich herum. Nachdem ich ihm den indianischen Sattel aufgelegt hatte, bot Old Surehand an, mich zu begleiten, aber ich lehnte dankend ab. Meinen ersten Ausritt nach fast zwei Wochen wollte ich doch erst mal allein genießen. Old Firehand war auch noch hinzugekommen und kommentierte meine Absage: „Das hast du dir auch redlich verdient, Charlie! Weißt du, wir alle hier sind heilfroh, dass du in diesen Tagen bei unserem Winnetou warst!“ Inzwischen war ich aufgestiegen und sah ihn überrascht an. „Na ja,“ erklärte er. „Man konnte es ihm doch deutlich ansehen, dass er, nur weil er dich bei sich wusste, die Kraft zum Überleben gefunden hatte. Ob er das bei uns geschafft hätte ….“ „Natürlich hätte er das!“ unterbrach ich ihn. „Ihr hättet genauso ...“ Er fiel mir ins Wort: „Komm, lassen wir das, ich bleibe sowieso bei meiner Meinung. Und jetzt sieh zu, dass Iltschi sich mal austoben kann!“ Bei diesen Worten gab er dem Pferd einen liebevollen Klaps, ich ihm die Sporen und los ging es hinaus in die Prärie. Es war einfach herrlich! Iltschi machte seinem Namen (Wind) alle Ehre, er sauste wie ein Tornado durch die Landschaft; man konnte es ihm deutlich anmerken, wie er den Auslauf genoss, wie sehr er ihm gefehlt hatte. Und ich? Es war wirklich gut, dass niemand in der Nähe war, denn ich stieß einen Jubelruf nach dem anderen aus. Die ganze Anspannung der letzten Zeit, die Sorgen und Ängste um meinen Freund und nun auch die Glücksgefühle vor allem über den gestrigen Abend brachen mit aller Macht aus mir heraus und ließen mich meine Freude regelrecht herausschreien. Fast zwei Stunden ließ ich mir im vollen Galopp den Wind um die Nase wehen, dann trieb es mich aber doch wieder zurück zu Winnetou – ich brachte es einfach nicht fertig, ihn zu lange alleine zu lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)