Geliebter Blutsbruder von Anmiwin ================================================================================ Kapitel 5: Durchhalten! ----------------------- Mittlerweile war es spät abends, und bis auf den Doktor zogen sich alle Anwesenden zur Nachtruhe zurück. Dieser beschloss, in der Nacht zu wachen und Winnetous Zustand immer wieder zu überprüfen, da die nächsten Stunden und Tage sehr kritisch werden würden. Er wechselte ein ums andere Mal die Infusion, um so eine Flüssigkeitszufuhr rund um die Uhr zu gewährleisten. Die Infusionslösungen konnte er in der Küche des Hauses relativ leicht selber herstellen. Ich frage ihn, wie es jetzt im Moment um den Apatschen bestellt sei und er berichtete mir: „Wirklich nicht gut. Sein Herz arbeitet auf niedrigstem Niveau, sein Kreislauf ist völlig im Keller und sein Blutdruck kaum messbar. Ich hoffe und bete, dass er es schafft, und tue dafür, was in meiner Macht steht, aber allzu große Hoffnungen dürfen wir uns eigentlich nicht machen!“ Auf diese Schreckensnachricht konnte ich keine Antwort mehr finden. Ich schloss Winnetou noch fester in meine Arme und begann in Gedanken für sein Überleben zu beten. Ich wachte die ganze Nacht, unfähig, auch nur wenige Minuten zu schlafen. In der zweiten Nachthälfte wurde es dann wirklich schlimm. Das befürchtete Wundfieber trat tatsächlich ein; ich bemerkte es zuerst. Mir wurde es neben Winnetou immer heißer, und als ich ihm mal wieder über die Wange strich, erschrak ich fast zu Tode. Schnell legte ich meine Hand auf seine Stirn – sie glühte förmlich. „Doktor!“ rief ich entsetzt. „W...was?!“ fragte er verwirrt, denn er war vorübergehend kurz eingenickt. „Er hat Fieber!“ „Oh, nein!“ kam es nur von ihm. Sofort hatte er ein Fieberthermometer zur Hand, legte es unter Winnetous Achseln und untersuchte ihn kurz. Als er das Thermometer ablas, konnte ich trotz der Dunkelheit, die in dem nur von einer kleinen Lampe beleuchteten Raum herrschte, erkennen, dass sein Gesicht alle Farbe verlor. „40,5 Grad...“ sagte er nur, mich hilflos ansehend. Jetzt konnte ich nicht mehr verhindern, dass mir die Tränen kamen. Dr. Hendrick wendete sich diskret ab. Der Arzt tat alles, was er im Rahmen seiner Möglichkeiten machen konnte, und dann hieß es: Warten. Warten auf den Tod? Oder das Leben? Trotz dieser furchtbaren Stunden begriff ich langsam, warum es mich anstatt nach Afrika wieder in den Westen getrieben hatte: Winnetou brauchte mich jetzt so nötig wie niemals zuvor. Entweder würde er sterben, und dann starb er wenigstens in den Armen seines engsten Vertrauten. Oder es gelang ihm, zu überleben, und dann brauchte er jede Unterstützung für seine Genesung, die er bekommen konnte. Dieses untätige Herumsitzen machte mich fast verrückt. Ich musste irgendetwas tun! Mir fielen Winnetous Haare ins Auge, deren linke Hälfte sich wie ein Schwamm mit Blut aus der Stirnwunde vollgesogen hatte und die dadurch furchtbar verklebt waren. Ich fragte den Doktor, ob ich ihm die Haare auswaschen dürfe, doch er verbot es mir. In diesen kritischen Stunden sollte nur das Nötigste getan werden, ansonsten durften wir seinen Körper in keinster Weise unnötig belasten. So verbrachte ich den Rest der Nacht damit, meinen Freund zu halten und zu wärmen, wenn er von einem Fieberkrampf geschüttelt wurde, vorsichtig zu streicheln und ihm immer wieder leise ins Ohr zu flüstern, dass er sich nicht aufgeben dürfe, dass ich jetzt bei ihm sei. Kaum graute der Morgen, gesellten sich schon die anderen Hausbewohner zu uns, die vor lauter Sorge auch nicht gerade viel geschlafen hatten, um sich zu überzeugen, dass Winnetou noch lebte und zu fragen, wie es ihm gehe. Das Auftreten des Wundfiebers bedeutete ein erneuter Schock für sie In dem Arzt aber war eine leise Hoffnung aufgekeimt. Winnetou hatte die erste Nacht überlebt! Allerdings hieß das noch gar nichts, denn das Fieber war um keinen Deut gesunken. Wenn die Infusionen nicht gewesen wären, hätte er gar keine Chance mehr gehabt, so der Doktor. Durch die permanente Flüssigkeitszufuhr hatte sich sein Zustand aber wenigstens in dieser Hinsicht etwas stabilisiert, was man unter anderem auch dadurch sah, als dass er jetzt, bedingt durch das hohe Fieber, anfing zu schwitzen. Ich verbrachte den ganzen Morgen damit, ihm immer und immer wieder den Schweiß von Stirn, Gesicht, Hals und Brust zu wischen. Bloody Fox und vor allem Emery boten mir ständig an, mich abzulösen, damit ich mich auch mal ausruhen konnte, aber dieses Ansinnen wehrte ich vehement ab. An Emery gewandt, erklärte ich, dass ich Winnetou nicht eher von der Seite weichen würde, als bis dieser wieder kerngesund sei! Ich trank zwischendurch, aß aber nur sehr wenig, da ich überhaupt keinen Hunger verspürte. Ich fand es nicht schlimm, denn schließlich lag ich ja die ganze Zeit nur auf dem Bett und verbrauchte deshalb kaum Energie. So verging dieser Tag, und das Fieber blieb auf gleicher Höhe. Wie lange würde Winnetou das noch durchhalten? Der Doktor machte sich vor allem wegen des geschwächten Herzen Sorgen, denn das hohe Fieber belastete es zusätzlich. Gegen Abend wurde es rund um das Haus lebendig. Der Treck war angekommen! Bloody Fox und Helmer gingen sofort hinaus, um die Ankömmlinge zu begrüßen und ihnen über Winnetou und seinem schlimmen Zustand zu berichten. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, wie diese Nachricht auf Old Firehand, Old Surehand und Entschah-koh wirken würde, die alle den Apatschenhäuptling schon seit einer Ewigkeit kannten! Ich hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gebracht, da stürmten alle drei schon ins Zimmer. Ich kann die entsetzten und voller Angst dreinblickenden Gesichter, die sie machten, als sie Winnetou erblickten, gar nicht beschreiben. Nach einer kurzen Begrüßung überschütteten sie dann auch vor allem den Arzt mit ihren Fragen, nur Entschah-koh verhielt sich seiner indianischen Abstammung gemäß zurückhaltend, aber selbst er konnte nur ganz schlecht seine große Besorgnis verbergen. Als Dr. Hendrick von dem hohen Fieber sprach, ging der Unterhäuptling schweigend hinaus und kam mit einem Bündel voller Kräuter zurück. Natürlich! Als einer von Winnetous engsten Untergebenden war er auch in dieser Hinsicht von ihm genauestens unterrichtet worden. Und richtig! Er gab dem Arzt und Mrs. Helmer einige kurze Anweisungen, dann wurde aus dem einen Teil der Kräuter ein Tee gebraut und der andere Teil dazu benutzt, die Brustwunde zu versorgen. In mir begann wieder Hoffnung aufzukeimen. Die beiden anderen hatten sich inzwischen rechts und links von Winnetou niedergesetzt, seine Hände genommen und blickten ihm, dieselbigen ständig streichelnd und drückend, angstvoll ins Gesicht. Old Firehand hatte besondere Mühe, mit diesem Zustand zurecht zu kommen: „Verdammt.... ich kenne diesen Jungen, seit er noch ein Knabe war...ich habe ihn noch niemals so gesehen.....der wird uns doch nicht wirklich verlassen wollen.....“ stammelte er. Ich antwortete nicht, weil ich nicht in der Lage war, ihn zu trösten. Old Surehand verhielt sich ebenso schweigsam, aber seine Blicke und seine Mimik sprachen Bände. Er nahm das Leben sonst immer mit genügend Humor, der war ihm in dieser Situation aber völlig abhanden gekommen. Mittlerweile war der Tee abgekühlt, und dieser musste Winnetou natürlich eingeflösst werden. Ich übernahm das. Es ging, langsam, ganz vorsichtig, aber es ging. Entschah-koh war zufrieden: „Das wird helfen, das Fieber zu senken. Er wird aber öfter noch trinken müssen.“ „Das muss er sowieso, denn sonst trocknen Mund und Rachen komplett aus und er wird, wenn er erwacht, vor Schmerzen gar nicht sprechen können!“ fügte der Arzt hinzu. Ich tupfte Winnetou währenddessen wiederholt den Schweiß von Gesicht, Hals und Brust. Mehr konnte jetzt nicht getan werden, und wieder verfielen wir alle in ein brütendes Schweigen. Der Treck richtete sich draußen häuslich ein, wobei alle mit anpackten. Unter normalen Umständen wäre wahrscheinlich viel Gelächter und laute Unterhaltungen zu hören gewesen, aber aus gutem Grund herrschte jetzt eine offensichtlich sehr gedämpfte Stimmung. Nach einiger Zeit aber konnte der Hobble-Frank sich nicht mehr beherrschen. Während die anderen Westmänner aus Rücksicht noch nicht ins Krankenzimmer gekommen waren, weil es sonst einfach zu eng und zu voll geworden wäre und unnötig Unruhe hineingebracht hätte, konnte der Kleine sich nicht zurückhalten und betrat am späten Abend leise den Raum. Er hatte Winnetou bei unseren früheren Begegnungen herzlich lieb gewonnen und so ging ihm sein Schicksal richtig nahe. Er begrüßte mich leise, auf englisch, ohne seine Angewohnheit, auf sächsisch seine Binsenweisheiten von sich zu geben und historische Personen, Zeiten, Orte und Zitate aufs Allergröbste durcheinander zu werfen. Diesmal waren die Umstände einfach zu ernst. Er strich erst mir, dann Winnetou über die Wangen, und dann liefen dem herzensguten Kerlchen tatsächlich die Tränen übers Gesicht! Er ließ sich von uns nochmal alles genauestens berichten und ging dann wieder, um seinen Kameraden alles weiterzugeben. Winnetous Zustand änderte sich auch in dieser Nacht, die ich wieder durchwachte, nicht wesentlich. Er lag weiter in tiefster Bewusstlosigkeit, seine Vitalwerte waren am Boden, sein Atem ging noch völlig unregelmäßig und das Fieber sank immer noch nicht. Wirklich nicht? Kurz vor Morgengrauen hatte ich das Gefühl, dass die Hitze, die von dem fiebrigen Körper ausging, der halb auf mir lag, nachließ. Er schwitzte auch nicht mehr so stark. Zweimal noch hatten wir meinem Freund den Kräutertee eingeflösst, sollte das vielleicht jetzt doch gewirkt haben? Leise rief ich den Doktor, der natürlich auch diese Nacht wieder im Krankenzimmer verbrachte, beim Namen. Er war in einem Sessel in der Ecke eingeschlafen, erwachte aber sofort und trat wieder ans Bett. Als ich ihm von meiner Entdeckung berichtete, hellte sich seine Miene auf und er begann, Winnetou gründlich zu untersuchen. Anschließend las er das Thermometer ab. Voller Spannung sah ich ihm zu; und als er immer noch nichts sagte, hielt ich es nicht mehr aus und drängte ich ihn zu einer Antwort. Da strahlte er mich an und flüsterte: „38,7 Grad! Es sinkt!!“ Ich hätte vor Freude fast aufgeschrien, konnte das aber im letzten Moment noch unterdrücken. So drückte ich meinen Winnetou nur an mich und küsste ihm die Stirn. Dr. Hendrick führte weiter aus: „Sein Herzrhythmus ist nicht mehr ganz so durcheinander, und Puls sowie Blutdruck sind tatsächlich etwas gestiegen! Ist das ein Kämpfer!“ Die letzten Worte sprach er mit einem richtig stolzen Unterton aus. Mir war natürlich klar, dass der Apatsche ohne den Doktor es selbst bis hierhin nicht geschafft hätte und das sagte ich ihm auch. Er lächelte leicht, bemühte sich aber dann sofort, meine Hoffnungen nicht ins Unendliche steigen zu lassen. Winnetous Zustand war noch zu schlecht, um jetzt schon sicher zu sein, dass er außer Lebensgefahr sei. Ich sagte mir das natürlich auch, aber in meinem Innersten breitete sich immer mehr die Gewissheit aus, dass mein geliebter Blutsbruder das Schlimmste überstanden hatte und mir erhalten bleiben würde! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)