Geliebter Blutsbruder von Anmiwin ================================================================================ Kapitel 4: Bloody Fox --------------------- Wir saßen ungefähr anderthalb Stunden unter bedrückendem Schweigen um Winnetou herum und alle hingen ihren Gedanken nach. Der Doktor untersuchte ihn jede Viertelstunde kurz und der ernste Ausdruck wollte einfach nicht aus seinem Gesicht weichen. Ich lag noch immer völlig fassungslos neben meinem Freund. Was mir alles durch den Kopf ging? Ich kann es gar nicht mehr beschreiben. Vor meinem geistigen Auge zogen all die schönen Stunden und aufregenden Erlebnisse vorüber, die ich mit ihm in den letzten Jahren durchlebt hatte, und ich wollte einfach nicht glauben, dass das alles jetzt zu Ende sein könnte, wenn er mir genommen würde. Das durfte einfach nicht sein! Erst jetzt wurde mir klar, wie selbstverständlich ich es immer hingenommen hatte, dass ich ihn nach langen Trennungen stets gesund und munter wiedergetroffen hatte, obwohl er hier doch in einem der gefährlichsten Gebiete der Welt lebte! Winnetou hatte sich ja nicht immer nur Freunde, sondern gerade unter den Komantschen und Sioux und vor allem unter vielen moralisch völlig unterbelichteten Weißen erbarmungslose Feinde geschaffen! War er jetzt einem von ihnen zum Opfer gefallen? Ich sah hinunter auf sein leichenblasses, aber immer noch wunderschönes Gesicht, und in diesem Moment wuchs in mir der Entschluss heran, ihn niemals mehr alleine zu lassen und ihn vor seinen Feinden zu beschützen, wenn er es überleben sollte. In Gedanken drohte ich den Tätern die strengsten Strafen an. Plötzlich hörten wir draußen einen Reiter im schnellen Galopp nahen und vor dem Haus stoppen. Tobias Helmer fuhr hoch, sah hinaus und rief: „Hey, das ist ja Bloody Fox! Ich muss ihn kurz begrüßen!“ Schon war er draußen. Früher hätte ich mich über das Zusammentreffen mit Bloody Fox, dem Winnetou und ich einige Male begegnet waren und der uns immer viel Bewunderung abgerungen hatte, gefreut, aber im Moment schien mein Gefühlsleben von der übergroßen Angst um das Leben meines Freundes beherrscht zu werden. Bloody Fox war von Tobias Helmer großgezogen worden, nachdem der ihn als Kind als einzigen Überlebenden eines von Verbrechern überfallenen Auswanderer-Trecks aus dem Llano Estacado gerettet hatte. Bloody war schon als halberwachsener Knabe danach wieder und wieder auf der Suche nach diesen Verbrechern durch die gesamte Wüste geritten und kannte sie mittlerweile wie seine Westentasche. Er hatte schließlich eine wunderschöne Oase inmitten des Llano entdeckt und bewohnte diese jetzt mit einem großen, starken Neger namens Bob sowie dessen Mutter. Von dieser Oase aus machte er seit Jahren Jagd auf die sogenannten Llanogeier, einer Verbrecherbande, die die Stangen, die in der Wüste in größeren Abständen den Reisenden den Weg weisen sollten, auszogen und an anderer Stelle wieder einsteckten, um so vor allem große Trecks in die Irre zu führen. Wenn die Auswanderer dann bemerkten, dass sie sich auf dem falschen Weg befanden, war es schon zu spät, denn meistens waren zu diesem Zeitpunkt die Zugtiere schon dem Verschmachten nahe. Die feigen Banditen brauchten dann nur zu warten, bis der Tod die Menschen ereilt hatte und konnten sich dann in aller Ruhe ihre Beute aussuchen. Ich hörte Helmer und den Neuankömmling vor dem Haus sprechen, vor allem Bloody Fox stieß einige Fragen schnell hintereinander aus, aber ich konnte nichts verstehen. Kurze Zeit später kam er auch schon ins Zimmer gestürmt. Sein Blick fiel als erstes auf Winnetou und sein Gesicht wurde blass vor Schreck. Er trat ans Bett, gab mir kurz die Hand und sagte: „Wie freue ich mich, Euch zu sehen, Mr. Shatterhand, aber es tut mir so leid, dass es unter solch furchtbaren Umständen geschieht! Wie steht es um ihn?“ Ich gab ihm die erwünschte Auskunft, unterstützt vom Fachwissen des Arztes. Es wurde jetzt englisch gesprochen, da Bloody, im Gegensatz zu Emery, nur sehr wenig deutsch verstand. Er fragte weiter: „Wisst Ihr, was da passiert ist?“ Ich verneinte und fügte hinzu: „Wir sind uns nur sicher, dass es in der Wüste geschehen sein muss, aber alles weitere ist uns auch ein Rätsel.“ „Es waren garantiert Llanogeier!“ erklärte Bloody so bestimmt, das ich erstaunt aufhorchte. „Wieso seid Ihr Euch da so sicher? Wisst Ihr Genaueres?“ „Nein," antwortete er. "Was ihm letztendlich genau passiert ist, kann ich nicht sagen, nur so viel, als dass ich ihn vorgestern, also am Dienstag zur Mittagszeit, zuletzt gesehen habe.“ Jetzt richteten wir uns alle kerzengerade auf und sahen ihn voller Spannung an. Nun würden wir endlich etwas mehr erfahren! Bloody bemerkte unsere erwartungsvollen Blicke und begann zu erzählen: „Winnetou kam am Sonntag Abend in fliegender Hast bei mir in der Oase an und bat mich, schnellstens sämtliche Packpferde, die ich besitze, mit so vielen gefüllten Wasserschläuchen zu beladen, wie sie nur zu tragen imstande wären. Er erklärte, er habe ungefähr eine Stunde östlich von der Oase Spuren entdeckt, die deutlich belegten, dass irgendwer die Führungsstangen in eine falsche Richtung gelenkt hatte und dass offenbar ein größerer Auswanderer-Treck dadurch in die Falle geraten sei. Er war den Spuren des Trecks erst gar nicht gefolgt, sondern direkt zu mir geritten, da die Oase in entgegengesetzter Richtung liegt, und trieb mich jetzt zu größter Eile an. Ich erfüllte mit Bob und seiner Mutter natürlich schnellstmöglich seine Forderungen und wir ritten in einem wahren Gewaltritt dem Treck hinterher. Trotz der Packpferde erreichten wir diesen binnen drei Stunden. Die Auswanderer hatten für diese Strecke aufgrund ihrer langsamen Zugtiere natürlich viel länger gebraucht und waren jetzt dem Verschmachten nahe, vor allem, weil irgendjemand ihnen in der vergangenen Nacht die Wasserfässer aufgebohrt hatte und sie seit fast zwei Tagen nichts mehr zu trinken hatten. Winnetou und ich versorgten sie erst einmal mit dem Nötigsten und verhinderten wohl dadurch den ein oder anderen Todesfall.“ Er unterbrach sich kurz, sein Blick fiel wieder auf meinen Freund. „Er hat, wie so oft, mal wieder in Not geratenen, für ihn völlig wildfremden Menschen das Leben gerettet und wird zum Dank dafür fast umgebracht! Schade, dass ich das nicht eher gewusst habe, ich hätte diese Kerle beim lebendigen Leib auseinandergerissen!“ Vor Wut ballte er die Fäuste und sein Gesicht nahm einen so grimmigen Ausdruck an, dass man davor hätte erschrecken können. „Erzählt weiter!“ ermahnte ich ihn. „Wir beide richteten, nachdem die größte Not gelindert war, eine Art Wasserstraße ein, das heißt, dass wir immer abwechselnd mit jeweils der Hälfte der Packpferde zur Oase zurückkehrten, um neues Wasser zu holen, während der Zurückbleibende Menschen und Tiere des Trecks weiter versorgte, was übrigens viel Arbeit bedeutete, denn dieser besteht aus ungefähr achtzig Personen. Als die Tiere soweit zu Kräften gekommen waren, dass sie wieder imstande waren, die Wagen zu ziehen, machte derjenige, der bei den Auswanderern geblieben war, sich mit ihnen in die richtige Richtung auf, denn es bestand ja noch immer die unmittelbare Gefahr, dass die Geier auftauchten, um ihre angefangene Arbeit zu beenden. Wir ritten Tag und Nacht ohne Unterbrechung, machten nur ganz selten Pause. Ich glaube, Winnetou hatte kaum zehn Minuten am Stück geruht - er wollte die Auswanderer unbedingt aus der Gefahrenzone bekommen. Ja, und am Dienstag Morgen war er wieder an der Reihe, zur Oase zu reiten, und das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.“ Er stockte, hatte jetzt sichtlich mit seinen Emotionen zu kämpfen. „Zuerst machte ich mir noch keine Sorgen, denn es dauerte ja immer einige Stunden, bis man diese Strecke zurückgelegt hatte. Außerdem geschah kurz nach seinem Verschwinden etwas höchst Außergewöhnliches. Wir trafen auf einen Trupp von zweiunddreißig Personen, und was für welche! Ich glaube, so ein unglaubliches Zusammentreffen kommt nur alle paar Jahre vor.“ Er machte wieder eine kleine Pause, um einen Schluck Wasser zu trinken, welches Mrs. Helmer ihm gebracht hatte. Dann fuhr er fort: „Es waren elf Weiße und einundzwanzig Rote. Das waren Apatschen unter der Führung von Entschah-koh, dem ersten Unterhäuptling Winnetous. Seine Kundschafter hatten vor einigen Tagen Llanogeier belauscht und dabei erfahren, dass diese in Begriff standen, sich in größerer Anzahl zusammenzurotten und den Llano unsicher zu machen. Da Entschah-koh wusste, dass Winnetou ungefähr um diese Zeit ganz allein durch die Wüste reiten würde, um nach Hause zurückzukehren, ritt er ihm mit den zwanzig Apatschen zu seinem Schutz entgegen. Tja, und die Weißen....wie gesagt, ein außergewöhnliches Zusammentreffen von vielen der hervorragensten Westmännern, die der Wilde Westen zu bieten hat: Hobble-Frank mit seiner Tante Droll, Pitt Holbers und Dick Hammerdull, der dicke Jemmy sowie der lange Davy, Bärenjäger Baumann nebst Sohn Martin, Old Surehand mit seinem Old Wabble (**Anmerkung von mir: in diesem Fall stelle ich mir Old Surehand und Old Wabble genauso wie in den Filmen vor, dort gefielen sie mir irgendwie besser als in den Büchern!**) und nicht zuletzt....Old Firehand!“ Bei der Aufzählung dieser berühmten Namen konnte einige der Anwesenden nicht verhindern, dass ihnen die Kinnlade nach unten sackte. Auch ich war völlig erstaunt: „Das gibt es doch nicht! Wie kommen denn all diese Leute zusammen an einem Ort?“ Bloody erklärte: „Ja, das ist eine Geschichte voller Zufälle, die man Euch aber bald selber erzählen können wird. Der ganze Treck sowie die Westmänner kommen nämlich mit den Apatschen hierher!“ „Nicht zu fassen! Aber fahrt doch bitte mit Eurer Erzählung fort!“ Bloody kam meiner Aufforderung sofort nach: „Einen Tag zuvor waren die Apatschen mit den Weißen in der Wüste zusammengetroffen und hatten beschlossen, zumindest vorerst zusammenzubleiben. Als sie dann auf uns stießen, war ganz klar, dass sie uns ihre Hilfe zusagten. Auch sie hatten schon einige Spuren der Llanogeier bemerkt und daraus geschlossen, dass irgendwo ein Verbrechen ausgeführt werden sollte. Wir errichteten also mit dem Treck eine Falle für die Banditen, die uns am Abend tatsächlich überfielen. Sie hatten natürlich nur mit halbtoten Menschen gerechnet, die zu gar keiner Verteidigung mehr imstande waren, und wurden von uns daher um so mehr überrascht. Es waren über fünfzig Verbrecher, von denen höchstens ein oder zwei verletzt fliehen konnten, die anderen wurden von uns ausgelöscht!“ Er legte wieder eine kleine Pause ein und blickte uns alle nacheinander an. „Wir beschlossen, den Treck zur Erholung erst einmal nach Helmers Home zu führen, da dieses am nächsten liegt und ich das Geheimnis meiner Oase nicht gerne mit fremden Menschen teile. Also machten wir uns auf die Reise. Mittlerweile war ich über Winnetous Ausbleiben sehr besorgt geworden, zumal wir uns ja sagen mussten, dass er durchaus unterwegs auf einige der Banditen getroffen sein konnte. Ein Teil von uns ritt also seit Dienstag Abend ständig durch die nähere Umgebung, um irgendeine Spur des Apatschen zu finden, es war bisher aber umsonst. Ich beschloss daher, schon mal voraus zu reiten und hoffte, hier vielleicht ein Lebenszeichen von ihm zu finden, denn es konnte ja sein, dass er aus irgendeinem Grund hier aufgetaucht sein könnte.....“ Seine Stimme wurde zum Schluss immer leiser, und wieder warf er einen ängstlichen Blick auf Winnetou. „Wer hätte gedacht, dass ich so recht behalten würde...?“ Er setzte sich neben den Apatschen und nahm dessen Hand in seine. Schweigen bereitete sich im Zimmer aus. Jeder von uns musste diese Geschichte erst einmal verdauen. Ich senkte den Kopf und betrachtete den besten Freund, den ich je gehabt hatte. Er atmete völlig unregelmäßig, mal langsam, mit langen Pausen dazwischen, dann wieder schnell und oberflächlich. Er tat mir so leid! Wie gerne hätte ich für ihn dieses Leid auf mich genommen! Immer wieder streichelte ich ihm die Stirn und die Wangen. Er hatte mal wieder helfen wollen und wurde dafür so bestraft! Was waren das für Feiglinge, die es nur wagten, ihn von hinten nieder zu schießen! Im offenen Kampf hätte Winnetou auf jeden Fall die Oberhand behalten. Auch ich ging jetzt davon aus, dass es Llanogeier gewesen sein mussten, die ihm das angetan hatten, und wenn ich je auf einen von diesen Verbrechern treffen sollte, dann Gnade diesem Gott! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)