Tagebuch eines Windläufers von Orakel737 ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Kalt war es, und Regen prasselt auf Kyria, das Land, welches als Kaiserreich des Feuers in die Geschichte Maisteffs eingegangen war. Wie der Regen und die Winde das Land abkühlten, so ist auch die Flamme im Herzen des Kaisers erloschen und durch kaltes Eis ersetzt worden. Die Nachricht, dass der Kaiser dem Nordlicht verfällt verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Obgleich viel Unglauben dieser Botschaft entgegengebracht wird, so wurden schon viele von der traurigen Wahrheit übermannt. Seit Urzeiten kennen wir das Nordlicht als Schauermärchen, mit dem die Alten die Kinder erschrecken, aber auch als Geschichte, die wir am Lagerfeuer unseren Zuhörern vortragen, um sie in den Bann eines uralten, mystischen Fluches zu ziehen. Wenngleich Magie aus dem Alltag der Kyrianer nicht mehr wegzudenken ist, so beschränkte sich ihr Kontakt mit dem finsteren Ursprung aller Kraft auf einen Vernichtungskrieg, in dessen Wirkungskreis sie vor etwa zweihundert Jahren alle gezogen wurden. Dieser als Geißelkrieg bekannt gewordene Feldzug der freien Völker gegen die versklavte Armee der Wiedergänger, welche vom Nordlicht als Schwarmbewusstsein geführt wurde, hatte sich als Schrecken in das Gedächtnis aller Völker eingebrannt. Kaum ist die Zeit vergangen, in welcher die letzten menschlichen Zeugen des Geißelkrieges langsam ihr Leben aushauchten schien es erneut Zeichen der einst gebannten Gefahr zu geben. Das Ende des Geißelkrieges wurde damals dadurch besiegelt, dass der Geißelfürst Aak-Dhe-Rhi von einer Allianz der einst bis aufs Blut verfeindeten Völker Maisteffs getötet wurde. Es hatte den Anschein gemacht, als habe das Nordlicht mit seiner Inkarnation gemeinsam Maisteff verlassen, doch was in den letzten Jahren geschah, zeugt uns allen vom Gegenteil. Dieses Tagebuch soll euch berichten, was sich zugetragen hat, in jener Zeit, die wir nun heute das zweite Erwachen nennen. Sie beschreibt den Beginn der fünften Entdeckung und offenbart uns, was unsere Zukunft uns bringen wird. Wir alle tragen Schuld an dem was geschehen ist. Alle Menschen dieser Welt. - Shinichiro Windläufer, Archivar Kapitel 1: Flüchtlinge ---------------------- Kyira, 5E105, Feldwinter (Februar) Um die unangenehme Kälte und Nässe abzuschütteln, wechselten die beiden Reisenden ihrer Kleidung, sobald sie in der Taverne angekommen waren. „Rokar“, begann einer von ihnen, „Zieht euch das Priestergewand an. Denkt daran, dass wir heute Kaiserliche Gelehrte sind. Wenn ihr euch als Mönch ausgebt, fällt es weniger auf, wenn ihr weniger redet und mehr zuhört.“ Kurzes Nicken des Anderen symbolisierte seine Zustimmung. „Ich werde mich als Buchhalter ausgeben und versuchen uns Zutritt zu den Badehäusern zu verschaffen.“ Wieder ein kurzes Nicken. Der als Rokar angesprochene verließ nun - sich als Mönch ausgeben – das Zimmer, und ließ sich im Schankraum nieder. Seine Zielgruppe befand sich einen Tisch weiter: Eine Delegation der Wachmannschaft, welche zurzeit die Gefangenen in den Badehäusern, sowie den Kohleminen überwachte. „Wie ich schon sagte“, begann einer der Wachleute. „Aus den Kohlesklaven bekommen wir nicht mehr viel herausgequetscht. Die meisten werden keine zwei Wochen mehr durchhalten. Wir könnten einige der hässlichen Frauen aus dem Badehaus in die Minen schicken, die bringen ohnehin keinen Profit.“ Rokar verzog die Miene. Mit etwas Ähnlichem hatten die beiden schon gerechnet, doch die Gewissheit versetzte ihm dennoch einen Schlag. „Außerdem müssen wir das Kastell ohnehin bald umsiedeln. Die Front verlagert sich nach Westen. Der Widerstand bricht ein. Langsam geht es voran.“ Zustimmendes Gemurmel in der Delegation, allerdings war das nichts, was die beiden nicht schon wussten. Die Front verlagert sich nach Westen, da der Widerstand seine Truppen auf den Schutz des Hafens fokussierte. „Ich denke der Kaiser wird den Befehl geben Ferai anzugreifen.“, warf einer der Soldaten ein. Die anderen nickten Zustimmend, Rokar in seinem Kopf ebenfalls. Es war in etwa die Richtung, die auch sie erwarteten. Während die Diskussion im Schankraum vor sich hinplätscherte führte der Andere eine angeregte Unterhaltung mit dem Besitzer des Badehauses. Es ging hauptsächlich darum, welche der Damen am meisten Profit abwarf und so sehr das Thema den scheinbaren Buchhalter auch anwiderte, so wichtig war es doch für seine Rolle, den Profitgeilen zu spielen. „Meint ihr, ihr könnt mir die Damen einmal zeigen? Ich meine... Nur für den Fall, dass ich euch zu einem guten Preis eine abkaufen möchte.“ Ein schlüpfriges Zwinkern konnte er sich gerade eben noch abringen, ohne vor seinem Gesprächspartner erbrechen zu müssen. Auf dessen angeschwollenem Gesicht zeichnete sich ein fettes, hämisches Grinsen ab. „Aber sicher doch!“, ließ er verlauten und klopfte dem Buchhalter auf die Schulter. Kriegsgefangene Zwangsprostituierte zu verkaufen war immer eine gute Sache. Lange waren die ohnehin nicht brauchbar. „Folgt mir einfach!“ Während der Fettwanst ihn durch die Gänge führte, überlegte der falsche Buchhalter bereits, wie man die Gefangenen am besten aus dieser Anstalt hinaus schleusen konnte. Einzudringen war nicht schwierig, die Wände waren aus dünnem Holz und die Türen aus Papier. Aus diesen Gründen dürfte das Verschwinden ebenfalls keine Probleme machen. Das größte Problem war es, die Gefangenen von den anderen zu trennen. Nicht dass die beiden die anderen Prostituierten nicht auch gern befreien würden, unter ihnen würde sich nur vermutlich ein Spitzel befinden, da die Wachmannschaft sicher mit so etwas rechnete. Schwierige Entscheidungen standen bevor. „Das sind sie!“, pries der Besitzer des Badehauses gute fünfzig – zum Teil noch sehr kindliche und stark unterernährte – Frauen an. „Ihr könnt sie auch vorher testen.“, flüsterte er dem Buchhalter darauf zu. Nicht nur der unvorstellbarer Mundgeruch des Fettwanstes sorgte für den Brechreiz, auch der Inhalt dieses Satzes, doch der Meister der Täuschung konnte sich beherrschen. Langsam und gründlich ließ er den Blick wandern. Etwa ein Dutzend der Frauen kannte er, mehr als sie erhofft hatten. „Ich nehme all die, die ich nun berühre.“, sagte der Befreier und schritt die fünfzig konzentriert ab, wobei er jede berührte, die er kannte und dabei inständig hoffte, selbst nicht erkannt zu werden. Auf dem Gesicht des Besitzers bildete sich ein zwar erstauntes, aber unglaublich geldgieriges Grinsen ab. „So viele?“ „Ja, sie alle. Haben sie Kinder?“ Die Miene des Besitzers verstimmte sich und er spuckte aus. „Ja ein paar. Vier oder fünf. Als Mädchen. Die Jungen sind im Bergwerk – oder besser: waren.“ Der Käufer nickte stumm. „Ich will sie schon morgen mitnehmen. Mitsamt den Mädchen.“ Nun war selbst der Besitzer ein wenig angeekelt, vermutlich, weil er dachte, dass der neue Käufer auch die Mädchen in sein Angebot aufnehmen wollte. „Aber die Mädchen sind erst vier oder fünf Jahre alt...“ „Völlig egal. Aus denen werden schneller Frauen als man denkt.“ Kalt und berechnend machten die beiden das Geschäft. Der Besitzer versprach die Frauen, sowie die Mädchen über Nacht in die Scheue zu bringen, sodass der Buchhalter sie schon morgen früh mitnehmen konnte, wenn er denn wollte. Man bedankte sich und ging getrennte Wege. Wieder im Gasthaus angekommen ging der neue Besitzer eines Dutzend Frauen, sowie derer Kinder in den Waschraum und erbrach sich einmal ausgiebig. Rokar, sein Gefährte im Priestergewand klopfte ihm tröstend auf die Schulter. „Wie viele können wir retten, Valvarian?“ Der Angesprochene brauchte eine Weile, ehe er sich aufrichten konnte. „Sechzehn. Vier davon Kinder.“ Rokar nickte. „Das sind mehr als wir dachten.“ Valvarian stimmte ihm zu. „Hoffentlich nicht mehr als wir schleusen können.“ Kapitel 2: Was der Krieg uns lässt ---------------------------------- Valvarian betrachtete die von ihm erstandenen Frauen und Kinder mit gespielter Skepsis. Es waren zumindest keine Gesichter dabei, die ihm fremd waren, bis auf das eines Neugeborenen – was verständlich war. Die Geschichte des Kindes mochte vielleicht keine schöne sein, aber dennoch war es die Pflicht der Enklave für die Sicherheit des Kindes zu sorgen. Vielleicht würde die Mutter letztlich ja doch in der Lage sein das Kind zu lieben. Andernfalls konnten sie es zumindest im Tempel großziehen. „Entspricht alles eurer Zufriedenheit?“, fragte der Badehausbesitzer, der wohl noch ein wenig müde von der vergangenen Nacht war. „Ja. Wir reisen ab.“, kam die kurze Antwort. Der als Buchhalter getarnte Enklavenführer bedeutete seinem nun als gewöhnlicher Helfer – und nicht mehr als Priester – gekleidetem Freund Rokar, dass er die mit Seilen aneinander gebundenen Frauen aus der Stadt führen soll. Der Weg hinaus aus dem Westtor der Kaiserstadt Kyria gestaltete sich um diese Zeit als äußerst einfach. Nur wenige Menschen waren bereits auf den Beinen. Die meisten betrachteten die beiden so, wie Menschen Sklavenhändler nun mal ansahen, doch nur wenige spuckten aus oder murmelten etwas. Angst zeichnete die Mienen der Menschen. Sie alle litten unter dem, was aus Kyria geworden war, doch hatten sie keine Kraft zu fliehen. Bitterkeit und Frustration machten sich in Valvarian Geist breit. Sie alle würden noch viel mehr unter dem Leiden, was diesem Land noch bevor stand. Das Nordlicht lief auf Kurs das uralte Bündnis der Menschenkönigreiche zu zerbrechen. Seit Zeitaltern schon gab es das „Bündnis von Kyria“, einen Vertrag, welcher dauerhaften Frieden und militärische, sowie wirtschaftliche Unterstützung zwischen dem Kaiserreich Kyria, dem Ordensstaat Herakles, dem Stamm der Nordlinge aus Icewind, dem Wüstenreich Mauradon, sowie dem Großkönigreich Skarkra sicherte. Nun schien es, als ob dieses Bündnis bald brechen würde. Die Enklave hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Kaiser zu stürzen, ehe dieses tragische Ereignis einbrechen würde, doch die Zeit rannte ihnen davon, und sie waren gerade erst dabei ihre Armee aufzustellen. Am Tor angekommen lies man die Händler passieren, nachdem sie sich mit falschen Papieren ausgewiesen hatten. Noch wussten ihre Gefangenen nichts davon, dass sie gerade befreit wurden, und nicht etwa in der nächsten Hölle landen würden. Inständig hoffte Valvarian, dass keiner von ihnen einen Fluchtversuch wagen würde, der sie in die missliche Lage bringen würde verfrüht ihre wahre Identität preiszugeben. Erst nachdem sie mehrere hundert Meter vom Tor weg waren und auf eine weniger begangene Straße in den Südwald einbogen signalisierte Valvarian seinem Gefährten Rokar, dass er den Zug anhalten sollte. Erwartungsvoll wurden alle Augen auf ihn gerichtet, da er scheinbar im Begriff war etwas zu sagen. Bedauerlicherweise fielen dem jungen Mann in solchen Momenten allerdings nie die richtigen Worte ein, weswegen er den Hut abnahm, sowie seine schwere Robe ablegte. Nur noch in Alltagskleidung begannen erste Frauen Skepsis in ihren Augen zu zeigen. „Ich weiß nicht ob ihr mich noch erkennt.“, begann er dann. „Es ist einige Zeit her, seit wir uns das letzte mal gesehen haben. Es war bevor die Häuser Ashoka, Levisha, Nashinshi und Zakode vertrieben wurden. Wenn mein Bruder und ich uns nicht vertan haben, seid ihr alle Angehörige eines dieser Häuser gewesen.“ Nicken und Verwunderung machte sich unter den Frauen breit, einige begannen zu tuscheln. „Ich bin Valvarian Windläufer, euch einst bekannt als Kenji Ashoka. Sohn von Akio Ashoka und rechtmäßiger Erbe des Shogunats von Kenai. Mein Gefährte ist Rokar von Warritan. Wir beide dienen einer Gruppe an Rebellen, die sich unter dem Banner der Enklave Warritans auf Denklavi sammelt. Sofern es euch nichts ausmacht werden wir euch als Flüchtlinge nach Denklavi bringen. Eure Sklaverei ist beendet, ihr seid frei.“ Langes und betretenes Schweigen folgte seinen Worten. Dann begannen einige Frauen zu weinen. Eine lief zu ihrem Kind und nahm es in den Arm. Eine weitere trat langsam auf Valvarian zu. „Dann seid ihr gekommen, um uns zu retten?“ Angesprochener nickte. „Und unsere Männer?`“ „Denen konnten wir nicht mehr helfen.“, schritt nun Rokar ein. „Sie wurden in die Kohleminen gebracht. Von ihnen hat leider keiner überlebt. Ebenso wenig von den Kindern, die dorthin gebracht wurden. Es tut uns sehr Leid.“ Die Frau nickte. Viele andere ebenfalls. Die Zeit der Gefangenschaft hatte ihre Hoffnung bis auf den letzten Funken gebrochen. Diese Nachricht konnte sie nicht mehr schocken. „Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass ihr alle noch lebt.“, sprach Rokar die Frauen dann alle an. „Wenn ihr eure Männer rächen wollt kommt mit uns nach Denklavi. Dort erwartet euch nicht nur ein neues Leben, sondern auch die Möglichkeit die Rebellion gegen den Kaiser aktiv zu unterstützen.“ Nun machte sich zustimmendes Gemurmel unter den Frauen breit. „Folgt uns, wir zeigen euch den Weg!“, rief Rokar – und die Frauen antworteten mit Zustimmung. Zufrieden blickte Valvarian seinem Blutsbruder hinterher, welcher den Zug der Flüchtlinge nun anführte. Ein Glück, dass Rokar immer die richtigen Worte fand, falls es ihm selbst einmal nicht gelang. „Ich werde hinten laufen und aufpassen, dass nichts geschieht.“, ließ Valvarian noch verlauten. Es war ein guter Marsch quer durch den Wald und das Unterholz, ehe sie ein verborgenes Lager fanden. Die Wachen trugen keine Zeichen, nichts woran man eine Zugehörigkeit erkennen konnte. Vor ihnen lag das letzte Lager der Enklave im Südwald. Etwa vierhundert Flüchtlinge lagerten dort zurzeit. Und es wurde gerade abgebaut. „Wann laufen die ersten Schiffe aus?“, fragte Valvarian einen der Wächter. Angesprochener verzog die Miene, als ob er angestrengt nachdachte. „In zwei Stunden glaube ich.“ Nun nickte der Enklavenführer. „Dann sind wir ja gerade noch rechtzeitig gekommen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)