Lost Future - Dark Paradise? von RaoulVegas (Same as it never was...) ================================================================================ Last life in ruins... --------------------- New York – wohl eine der berühmtesten Städte Amerikas. Bekannt in der ganzen Welt für ihr schillerndes Leben; eine glitzernde Metropole; eine Stadt, die niemals zu schlafen scheint. Der Inbegriff des amerikanischen Traums von Freiheit und Sorglosigkeit. Doch es ist nicht überall so friedlich wie es uns bunte Reisemagazine gern glauben machen wollen. Wie in fast jeder Stadt auf der Welt herrscht auch hier Terror und Angst sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwindet. Verdrängen wir für den Augenblick aber erst mal die schlechten Seiten und besehen wir uns die strahlende Stadt in diesen Tagen etwas genauer. Beginnen wir doch in Manhattan. Ein Ort, an dem es viele Heimlichkeiten gibt. Ninjas schleichen Nacht für Nacht durch die dunklen Straßen und bekämpfen sich ein ums andere Mal. Doch nicht alle von ihnen sind so böse wie Shredder und sein Foot-Clan, der gern die alleinige Macht über alles hätte. Nein, unter all den Ninjas gibt es auch gute Krieger, die die Menschen vor dem Schrecken des Metallherrn bewahren wollen. Die Turtles würden ihr Leben für diese Stadt geben ohne darüber nachzudenken. Allerdings ist Manhattan nicht mehr das, was es einst gewesen ist. Seit Shredder vor etwa zwei Jahren den Krieg erklärt hat, hat sich vieles verändert. Der einst so prunkvolle Ort ist nur noch ein Schatten seiner Selbst. Häuser sind zerstört, nur Trümmer sind geblieben. Feuer wütet durch die Straßen und mäht die wenige Vegetation nieder, dich sich zwischen den Gebäuden angesammelt hat. Kaum ein Mensch hält sich in dieser Hölle auf. Ein Großteil von ihnen ist schon vor Monaten bei der Zerstörung des Bezirks ums Leben gekommen. Die, die überlebt haben, sind geflüchtet, um irgendwo anders ein neues Leben zu beginnen, nicht wissend, dass der Rest der Welt ebenso in Trümmern liegt. Wenige sind auch geblieben und verstecken sich nun, wo immer es ihnen möglich ist. Das Leben, wie wir es kennen, ist völlig zusammengebrochen. Es gibt weder Strom, noch fließend Wasser oder Heizung. Die wenigen Menschen, die noch hier sind, leben von dem, was sie in den Trümmern finden können – wie die Jäger und Sammler, die sie vor Urzeiten einmal gewesen sind. Doch lassen wir uns von diesem Anblick nicht allzu sehr bekümmern und fliegen einfach weiter. Langsam erstreckt sich unter uns ein weiterer Bezirk New Yorks – die Bronx. Hier war das Leben nie so schillernd und erhaben, wie in ihrem Nachbarn Manhattan. Hier lebten viele arme Menschen am Rande der Existenz. Chaos und Zerstörung, die auch diesen Teil erreicht hat, fallen hier jedoch nicht so sehr auf. Dennoch liegt auch hier alles in Trümmern und wirkt vollkommen verlassen. Ratten scheinen einige der wenigen Anwesenden zu sein, die sich davon nicht stören lassen. Ungehindert durchkämmen sie die Trümmer nach Fressbarem und fallen ihrerseits anderen hungrigen Mäulern zum Opfer. Gehen wir etwas dichter heran. Unter uns verläuft die Interstate 278. Wir folgen ihr hinweg über den Ortsteil Port Morris und erreichen dahinter Hunts Point. Dieser Ortsteil erstreckt sich wie ein Geschwür in den East River, der mit seinen tückischen Strömungen versucht, die wenigen Boote, die dort anzulegen gedenken, in die Tiefe zu reißen. Dies war einmal. Nun steuern keine Frachtkähne mehr den kleinen Hafen an, dessen Stege ins Wasser gestürzt sind und somit keinen Halt mehr bieten. Dennoch gehen hier Leute an Land. Sie kommen über geheime Tunnel, die am Grund des East Rivers verlaufen wie dicke Adern unter der Haut. Wer hier an Land geht, der will nicht gesehen werden. Die einst belebte Hafenstraße, mit ihren unzähligen Lebensmittelläden, Imbissen und Nachtclubs, ruht nun im Schweigen der Trümmer. Gehen wir noch etwas tiefer und folgen der Oak Point Avenue, die den Hafen durchquert und eine Weile parallel zum Wasser verläuft. Schließlich dringt sie tiefer nach Hunts Point vor und wir lassen sie wieder hinter uns. Stattdessen gehen wir dichter ans Wasser heran und erreichen den Barretto Point Park. Noch vor zwei Jahren war dieser Park ein wichtiger Touristenpunkt und hat jährlich tausende Besucher angelockt. Nun ist auch hier nicht mehr viel geblieben. Das einst grüne Paradies am Wasser ist nun nicht mehr als eine Flammenhölle, umgeben vom aufgewühlten Blau des East River. Bäume, die die großen Rasen- und Spielflächen wie Zäune umgaben, brennen nun lichterloh wie Fackeln im Wind und tragen das Feuer immer weiter voran. Langsam züngelt es über die ausgedehnten Rasenflächen und erreicht schließlich den kleinen Strand, auf den wir nun unser Augenmerk richten. Auf dem weichen, weißen Sand haben sich die verfeindeten Ninja-Clans zur alles entscheidenden Schlacht eingefunden. Entweder wird heute Nacht das Böse siegen und die Welt im Chaos enden, die Menschen versklavt und gezwungen die Ewigkeit in Angst und Schrecken zu verbringen - oder es siegt das Gute und die Welt kann wieder aufatmen, die Menschen in Freiheit und Harmonie vereint leben und all das Geschehene vielleicht eines Tages vergessen sein. Wie es enden wird, vermag niemand zu sagen, nicht einmal die Kontrahenten sind sich sicher, wer von ihnen den Platz lebend verlassen wird. Sie haben sich längst alle damit angefreundet, hier und heute zu fallen. Doch ganz gleich, wer am Ende siegen wird, es wird eine neue Ära anbrechen! Auf der einen Seite des Schlachtfeldes haben sich die Turtles mit ihrem Meister Hamato Yoshi eingefunden. Die vier Schildkrötenkrieger und ihr Lehrer stehen für all das Gute im Menschen und wollen den Frieden in der Welt wieder herstellen. Zu vieles konnten sie nicht mehr verhindern und ihre Heimat, sogar die Welt, liegt in Trümmern, doch sie werden nicht eher ruhen, bis alles wieder neu erblüht – schöner und größer, als je zu vor! Hinter dem dichten Rauch des sich immer weiter ausbreitenden Feuers erheben sich die Silhouetten ihrer gnadenlosen Gegner. Shredder ist umgeben von einer Unmenge Foot-Ninja, die mit erhobenen Waffen in Stellung auf den Befehl zum Angriff warten. Düster dringt das Lachen ihres Führers durch seine blecherne Rüstung und hallt unheilvoll zwischen den knisternden Flammen empor. An der Seite seines Herrn steht auch Baxter Stockman, der für diese Schlacht allerhand Erfindungen gemacht hat, mit denen die Foot-Soldaten aufgerüstet sind. Sein Ego erreicht fast die Dimensionen von Shredder, als er letzte Handgriffe an seiner verheerenden Strahlenkanone vornimmt. Wind kommt auf und bläst den dunklen Rauch davon, lässt das Feuer aber noch weiter anwachsen. Doch nun ist die Sicht nicht mehr verdeckt und die beiden Seiten nehmen sich in Augenschein. Nervös umklammern die Hamatos ihre Waffen und sammeln all ihren Mut zusammen. Sie wissen nur zu gut, was diesmal alles auf dem Spiel steht und keiner von ihnen wird einen Rückzieher machen, ganz gleich wie aussichtslos es auch werden mag. Durch den hellen Schein des Feuers, der sich immer ungehaltener um sie herum ausbreitet, ist diese verheißungsvolle Nacht hell und heiß wie ein klarer Sommertag und dennoch hat sich nichts damit gemeinsam. Nun, da Shredder seine spärliche Anzahl von Gegenspielern sehen kann, entkommt ihm erneut ein düsteres Lachen. Seine Soldaten spannen die Muskeln in rachsüchtiger Erwartung an und begeben sich in Position. Ihre schwarz verhüllten Körper und Gesichter lassen keinerlei Reaktion erkennen, dennoch schreien sie geradezu heraus, dass sie ihren Feinden den Tod wünschen. Wie eine Walze bahnt sich das alles vernichtende Feuer seinen Weg die niedrige Anhöhe hinab zum Strand und bildet innerhalb von Sekunden eine undurchdringbare Wand bis zum Wasser. Dort wird es mit lautem Zischen am Weiterkommen gehindert, sodass es seine Kreise enger um die Rivalen zieht. Dies scheint der geeignete Augenblick zum Angriff zu sein. Shredder streckt herrisch die Hand in die Luft und keine Sekunde später stürmen seine Foot-Ninja auch schon los. Das Vorrankommen auf dem weichen Sand ist nicht leicht, dennoch merkt man es den Vermummten nicht an. Nur Sekundenbruchteile später stürmen auch die Turtles mit ihrem Meister zum Angriff vor. Der ungewohnte Untergrund bereitet den jungen Ninjas ein paar Augenblicke Schwierigkeiten, doch in Anbetracht der Gefahr stellen sie sich schnell darauf ein und kommen mehr oder weniger gut voran. In diesem Moment wird Splinter klar, dass er so etwas beim Training seiner Söhne hätte berücksichtigen müssen. Doch die Zeit war zu knapp, viel zu knapp und er kann froh sein, dass sie unfallfrei mit ihren Waffen umgehen können. Ihre Ausbildung hätte noch Jahre in Anspruch nehmen sollen, ehe er auch nur auf den Gedanken gekommen wäre, sie Shredder in den Weg zu stellen. Doch ihm blieb keine Zeit. Förmlich von einem Tag auf den anderen hat Shredder seine Zurückhaltung aufgegeben und den Krieg begonnen, den sie bis jetzt halbwegs gut überstanden haben. Yoshi hätte nie gedacht, dass es einmal so weit kommen würde. Dass der Rüstungsträger seinen Zorn auf den Sensei auf dem Rücken der ganzen Welt austragen würde. Doch nun ist es geschehen und er kann nur beten, dass seine geliebten Söhne es heute Nacht heil überstehen… Oh, misty eye of the mountain below Keep careful watch of my brother's souls And should the sky be filled with fire and smoke Keep watching over Splinter´s sons Die Schlacht beginnt und keiner von ihnen nimmt Rücksicht auf seinen Gegner. Den Turtles gelingt es, den Großteil der Foot-Soldaten niederzustrecken. Wie aus dem Nichts tauchen jedoch immer mehr von ihnen auf und machen es fast unmöglich sich Shredder zu nähern. Zufrieden beobachtet der Rüstungsträger die beinahe kläglichen Versuche der Hamatos sich seinen Ninjas entgegenzustellen. Dennoch wächst die Ungeduld in ihm mit jeder Minute, die verstreicht. Er will sie endlich tot sehen, erleben wie sie sich in ihren Qualen winden und um Gnade flehen, doch davon scheinen sie weit entfernt, trotz der Unmenge an Gegnern. Ein Anflug von Nervosität macht sich in dem Führer breit, könnte es doch am Ende sein, dass seine Foot den Kampf verlieren und er selbst eingreifen muss. Angespannt knirscht er mit den Zähnen und ballt die Hände zu Fäusten. Schließlich wendet er sich wütend zu Baxter Stockman um, der noch immer hinter ihm hockt und an seiner Strahlenkanone herum hantiert. Dieser nichtsnutzige Kerl raubt ihm noch mal den letzten Nerv und dann wagt er es auch noch ständig aufmüpfig zu werden! If this is to end in fire Then we should all burn together Watch the flames climb high into the night „Stockman, bist du noch nicht fertig? Meine Geduld ist jetzt wirklich am Ende! Ich werde dich…“, harscht die laute Stimme Shredders über das tosende Feuer hinweg. Doch ehe er seine Drohung aussprechen kann, unterbricht ihn der Erfinder schnell. „Gebt mir nur noch eine Minute, Meister Shredder!“, kommt es gehetzt von dem Dunkelhäutigen. Der Maskierte mustert ihn einen Moment voller Verachtung, ehe er seinen Blick wieder auf das Schlachtfeld richtet. Erleichtert stößt Baxter die angehaltene Luft aus, ehe sich sein Gesicht verfinstert. „Oh, ja, ich werde fertig sein und dann werde ich dich von deinem hohen Ross herunter pusten, du aufgeblasener Angeber!“, kommt es leise von ihm, wohlwissend, dass Shredder ihn über das Flammeninferno hinweg nicht hören kann. Mit einem hinterhältigen Grinsen auf den Lippen verbindet er die letzten Kontakte miteinander und schließt die Klappe an der Seite der Kanone. Stockman wirft einen prüfenden Blick auf den Kampf und ist doch sichtlich erfreut zu sehen, dass es den Turtles beinahe gelungen ist, alle Foot außer Gefecht zu setzen. „Ja, kommt nur und ich werde euch alle auf einmal zur Hölle jagen!“, kommt es lachend von dem einst so vielversprechenden Wissenschaftler. Calling out father: oh, stand by and we will Watch the flames burn auburn on The mountain side high Auch Shredder sieht, wie immer mehr seiner Soldaten zu Boden gehen. Die Wut in ihm ist schier grenzenlos. Schnaubend wendet er sich erneut zu Baxter um. „Stockman!“, ist das einzige was er von sich gibt, dann wird ihm klar, dass die Waffe endlich einsatzbereit zu seien scheint. Ein kleiner Teil seiner Wut verflüchtigt sich daraufhin, doch noch ist die Schlacht nicht gewonnen und er ahnt ja auch nicht, dass sein Untergebener mal wieder die Nase voll von ihm hat. Stattdessen bildet sich ein siegessicheres Grinsen unter seiner Maske, das schnell zu einem vernichtenden Lachen anwächst, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Auch Baxter grinst mehr als zufrieden. Der Gedanke, dass sein Meister so völlig ahnungslos dasteht, ist einfach zu köstlich. „Los doch, Stockman, feg diese Ratten von meinem Planeten!“, tönt Shredder über das Feuer hinweg. Nun, als der letzte Foot-Ninja zu Boden geht, bemerken die Turtles mit Schrecken die Kanone, die auf sie gerichtet ist. Sichtbar zucken die fünf zusammen und verteilen sich etwas weiter auf dem brennenden Rasen, um ein weniger leichtes Ziel zu bieten. And if we should die tonight We should all die together Raise a glass of wine for the last time „Sagt lebe wohl, Turtles!”, kommt es lachend von Shredder, ehe er Baxter den Befehl zum Schießen erteilt. Der Dunkelhaarige zielt auf keinen bestimmten Punkt, seine Kanone deckt ein ziemlich breites Feld ab, sodass sie die Turtles auch so treffen kann. In der düsteren Öffnung der mannshohen Kanone bildet sich ein weißer Lichtpunkt, der schnell größer wird. Ein Geräusch wie von statischem Rauschen erfüllt die Luft und wächst zu einem hellen Pfeifen an, als würde sich die Waffe aufladen. Dann bedeckt der Lichtpunkt die gesamte Öffnung und bläht sich davor auf wie eine Seifenblase. Bruchteile einer Sekunde später feuert die Waffe einen gleißend hellen Stahl ab, als wäre es pure Energie. In diesem Moment wird den Hamatos klar, wie gewaltig die Dimensionen der Waffe sind und sie versuchen dem Geschoss auszuweichen. Es gelingt ihnen nur sehr knapp und die enorme Druckwelle, die dem Geschoss folgt, reißt sie von den Füßen. Nur gerade so gelingt es ihnen, nicht ins Wasser geworfen zu werden und in den heftigen Strudel, der hier wütet, zu versinken. Schwerlich rappeln sie sich wieder auf und blicken sich ungläubig an. Calling out father: oh, prepare as we will Watch the flames burn auburn on The mountain side Nicht einmal Donnie kann sich im Entferntesten vorstellen, was für eine Zerstörungskraft diese Waffe mit sich bringt. Das einzige, was sie alle mit Sicherheit wissen, ist, dass es ihr Ende ist, wenn sie sich davon treffen lassen. Donatello würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass allein die Druckwelle ausreichen könnte, um sie in Stücke zu reißen, wenn sie direkt von ihr getroffen werden. Ängstlich sehen sich die jungen Ninjas und ihr Meister an. Sie haben mit vielem gerechnet, doch das übersteigt einfach alles. Unheilvoll dringt Shredders Lachen zu ihnen herüber, als er einen erneuten Angriff fordert. Wieder beginnt sich in der Öffnung der Kanone eine Lichtkugel zu bilden, diesmal ist sie jedoch von einem gleißenden Gelb, als würde man direkt in die Sonne schauen. Die Kugel wird auch nicht so groß wie die erste und so vermuten die Hamatos, dass die Waffe verschiedene Angriffe ausführen kann und sie so völlig machtlos sind, wenn sie sich ihr in den Weg stellen. Die gelbe Kugel bläht sich an der Öffnung etwas auf und rast dann auf die Ninjas zu. Allerdings verfolgt sie eine seltsame Flugbahn, fast so als würde sie einem versuchen zu verfolgen. Desolation comes upon the sky Die Turtles und ihr Sensei versuchen dem Geschoss erneut zu entkommen, doch dann ändert es auf einmal seine Richtung und verfolgt Leonardo. Hilflos sehen seine Brüder und Yoshi mit an, wie der Schwertkämpfer zu fliehen versucht. In allerletzter Sekunde gelingt es Leo aus dem Weg zu springen. Das Geschoss verfehlt ihn nur knapp. Allerdings hat er nicht mit der Druckwelle gerechnet, die wie ein Messer an ihm vorbei rast. Sie zerfetzt seinen Kampfanzug als wäre er aus dünnem Papier und brennt eine große Wunde in seine Brust, dass ihm das Herz darunter fast zum Stillstand bringt. Leo hat noch Zeit um sich vorzustellen, dass sich so wohl ein Rind beim Brandmarken fühlen muss. Dann wird alles schwarz vor seinen Augen und reißt ihn in die Tiefe. Bewusstlos schlägt er auf dem Sand auf und die Druckwelle schiebt ihn fast bis ins Wasser hinein. Seine rechte Hand ragt schon in das kühle Nass hinein und sein Katana rutscht ihm aus den gefühllosen Fingern und wird vom East River verschluckt. Geschockt verfolgt der Rest seiner Familie die Tragödie, dennoch ging es so schnell, dass sie eigentlich gar nicht wissen, was genau passiert ist. Einem Reflex gleich rennt Yoshi zu seinem Sohn, als Baxter den nächsten Schuss abfeuert. Now I see fire Inside the mountain I see fire Burning the trees Auf so eine törichte Reaktion hat Shredder nur gewartet und es erfüllt ihn mit unglaublicher Freude zu sehen, wie Leonardo am Boden liegt und Splinter nicht merkt, dass er als Nächster dran ist. Und der Führer hat recht. Zum zweiten Mal in seinem Leben ist Yoshi so schockiert und eingenommen von einer Situation, dass er alles um sich herum ausblendet und nur Augen für seinen am Boden liegenden Sohn hat. Tief in ihm kommt die Erinnerung an seine Frau und seine Tochter wieder hoch, die er dachte, endgültig weggesperrt zu haben und macht ihn blind für die Gefahr, in der er schwebt. Das Geschoss, das Splinters Namen trägt, ist blutrot und gleicht einem Laserstrahl. Dünn wie ein Bleistift saust es durch die Luft. Die verzweifelten Rufe seiner Schüler dringen im letzten Moment zu Yoshi durch. Geistesgegenwärtig nimmt er seinen gefallenen Sohn auf den Arm und springt aus dem Schussfeld – denkt er jedenfalls. Doch dem ist nicht so. Noch mitten im Sprung trifft ihn der gebündelte Strahl an seiner linken Wade und jagt hindurch. Ein brennender Schmerz entfaltet sich und einem Krebsgeschwür gleich frisst sich die Strahlenenergie durch sein gesamtes Bein. And I see fire Hollowing souls I see fire Blood in the breeze And I hope that you'll remember me Es ist aber die Druckwelle, die Splinter letztendlich von seinem angedachten Kurs abbringt und ihn in die eisigen Fluten des East Rivers stürzen lässt. Leo, noch immer nicht aus der Dunkelheit zurückgekehrt ist, wird haltlos mitgerissen und versinkt ebenfalls. Die heftige Strömung reißt die beiden augenblicklich vom Strand weg, aufs offene Wasser hinaus. Tatenlos können sie drei verbliebenen Brüder nur zusehen, wie ihr Leader und ihr Meister auf ewig versinken. Alles Rufen hilft nichts und alle Verzweiflung erst recht nicht. Ein Teil von ihnen stirbt in diesem Moment mit ihren gefallenen Kameraden, doch nicht ihr Kampfgeist. Shredders Lachen brennt sich in ihre Seelen ein. Mit tränenüberfluteten Augen greifen die Jungen erneut zu ihren Waffen und gehen zum Angriff über, um Rache an dem Mann zu nehmen, der ihre Familie zerstört hat. Sie kommen aber nicht weit, ehe sich eine neue Lichtkugel in der Öffnung der Kanone manifestiert. Diesmal hat sie eine widerlich grüne Farbe, doch sie gleicht wieder einem dünnen Laserstrahl. Für einen Augenblick gelingt es den Jungs dem Geschoss zu entkommen. Oh, should my people fall then Surely I'll do the same Confined in mountain halls We got too close to the flame Doch als Donnie seinen Bo zum Angriff schwenkt, trifft der Strahl seine linke Hand. Wie schon bei Splinter durchdringt der Strahl seine Hand, doch unter der Haut passiert etwas. Von Schmerz durchzogen geht der Tüftler auf die Knie und muss fassungslos mit ansehen, wie seine Hand plötzlich vollkommen gefühllos wird und sich schließlich die Haut schwarz verfärbt, als hätte er sie in Farbe getaucht. Die Druckwelle erreicht den Brünetten erst mit einiger Verspätung, doch dann reißt sie ihn mit sich und auch er wird von den erbarmungslosen Fluten des East River verschlungen und aufs offene Wasser hinaus gezogen. „Donnie…“, kommt es in Tränen erstickt von Michelangelo, der sich plötzlich völlig allein mit Raphael auf dem Schlachtfeld wiederfindet. Raph ist fassungslos, vor ihm zerbricht seine ganze Welt. Mikey´s Stimme scheint von weit her zu kommen. Als er sie endlich hört, ist es bereits zu spät. Er spürt einen heftigen Stoß, als der Blonde sich mit aller Kraft gegen ihn wirft, um ihn aus der Schussbahn zu befördern. Hart schlägt der Rothaarige auf dem Sand auf und kann nur noch sehen, wie sein kleiner Babybruder von einer blauen Kugel getroffen wird. Calling out father: oh, hold fast and we will Watch the flames burn auburn on The mountain side Sie hüllt den Jungen ein wie eine riesige Seifenblase. Als sie den Nunchakuträger völlig umschlossen hat, schrumpft sie zusammen und bildet eine Membran um den Blonden herum. In ihr erstarrt Mikey wie zu Eis gefroren und wird dann von der Druckwelle ins Wasser befördert, wo er wie ein Stein zum Grund sinkt. Vollkommen perplex starrt Raphael auf das Wasser hinaus, das seine ganze Familie verschluckt hat. Nur am Rand bekommt er mit, wie Baxter einen weiteren Schuss abgibt. Doch dieser galt nicht dem Saikämpfer sondern Shredder. Überrumpelt gelingt es dem Foot-Clan-Führer in letzter Sekunde zu entkommen und nur seiner schweren Rüstung verdankt er es wohl, dass ihn die Druckwelle nicht davon reißt. Der Schuss landet im Nichts und geht ungerührt an Raphael vorbei. Wutentbrannt richtet sich der Rüstungsträger wieder auf und wendet sich an Baxter. „Stockman, du elender Wurm! Was fällt dir eigentlich ein?“, brüllt er ihm entgegen. Doch der Dunkelhäutige lässt sich davon nicht mehr beeindrucken. „Deine Tage sind gezählt, Shredder! Jetzt hab ich hier das Sagen, also stirb!“, posaunt er, ehe er wieder abdrückt. Desolation comes upon the sky Doch die Kanone versagt ihren Dienst. Ungläubig starrt der Erfinder sie an, während Shredder lachend auf ihn zu kommt. „Nein, nicht jetzt…“, kommt es mit einem Anflug an Verzweiflung von Stockman. Er schlägt mit der Faust auf den Auslöser. Gleißende Strahlen sammeln sich in der Öffnung und ersterben darin wieder. Dann beginnt die Kanone plötzlich Funken zu sprühen und bockt wie ein wildes Pferd auf seinem Ständer. Ein seltsames Summen ertönt. Die Funken sprühen immer stärker und schließlich gibt es einen gewaltigen Knall, als die Kanone explodiert. Die ungeheure Wucht der Detonation reißt Baxter Stockman vor den Augen seines Meisters in Stücke, die kurz daraufhin als makaberer Regen auf den Sand niedergehen. Die Foot-Ninja, die den bisherigen Kampf überlebt haben, ziehen sich unbemerkt zurück. Ihre Loyalität Shredder gegenüber ist nach diesem Anblick endgültig erschöpft und sie wollen nur noch mit heiler Haut hier rauskommen. Die Flucht seiner eigenen Männer entfacht neuen Zorn in Shredder. Ungehalten brüllt er ihnen hinterher und übersieht dabei die Tatsache, dass einer von Yoshis Söhnen noch immer am Leben ist. Now I see fire Inside the mountains I see fire Burning the trees Durch die Explosion der Strahlenkanone jagt eine heftige Druckwelle über den Park hinweg, die Raphael zu Boden wirft. Unsanft landet er im warmen Sand. Für einen Moment bleibt er wie betäubt liegen und starrt auf die Flammen, die sich immer näher an ihn heranarbeiten. Zu seiner Linken sieht er die aufgewühlte Oberfläche des East Rivers. Dann fällt es dem Roten wie Schuppen von den Augen: das Wasser hat seine Familie verschluckt, sie sind alle weg und er ist ganz allein! „Nein…“, kommt es erstickt von ihm, während er versucht zu begreifen. Während es angestrengt in seinem Kopf zu arbeiten beginnt, dringt die Stimme von Shredder zu ihm durch. Der Führer ruft seinen desertierten Soldaten hinterher. Langsam dringen die Worte immer tiefer in seinen Schädel vor, bis er eine Verbindung aufbauen kann. Shredder hat seine Familie auf dem Gewissen! Er hat sie ihm alle genommen! Schwerlich kommt der Saikämpfer auf die Füße und sieht sich nach dem Tyrannen um. Zuerst kann er ihn wegen dem Feuer und dem ganzen Rauch nicht sehen. Doch dann dröhnt auf einmal ein gewaltiger Donnerschlag über ihm und es beginnt in Strömen zu regnen. And I see fire Hollowing souls I see fire Blood in the breeze And I hope that you'll remember me Augenblicklich tränken sich Raphaels Sachen mit dem kalten Wasser, das vom Himmel fällt. Laut zischt und knackt das Feuer um ihn herum und versucht sich seinem Erzfeind entgegenzustellen. Sein Erfolg ist nur minimal und nach und nach wird es schwächer und zurückgedrängt. Der Regen wäscht auch den Großteil des Rauchs aus der Luft und klärt so den Blick des jungen Ninjas. Nun kann er sehen, wie einige der Foot-Soldaten über die weite Wiese rennen, ihre Waffen fortwerfen und die wütenden Schreie ihres Meisters ignorieren. Dann sieht er die rauchenden Überreste der Strahlenkanone, die jeden einzelnen seiner Familie so grausam aus seinem Leben gerissen hat. Unweit davon sieht er einen qualmenden Schuh liegen, einen abgerissenen Arm und etwas, das wie ein verbrannter Laborkittel aussieht. Die Explosion der Kanone hat ihren Tribut gefordert und Stockman mit sich gerissen. Dieser Anblick löst eine perverse Freude in Raphael aus und am liebsten würde er jetzt laut lachen. Der Mann, der versucht hat, sie alle mit seiner Kanone dahinzuraffen, wurde von seiner eigenen Erfindung vernichtet, welch tragische Ironie des Schicksals! And if the night is burning I will cover my eyes For if the dark returns then My brothers will die Raphael kämpft gegen den unbändigen Drang zu Lachen hart an und wendet seinen Blick stattdessen auf den Mann, der als einzigen noch mit ihm auf dem Schlachtfeld steht. Der Mann, der wirklich für den Tod seiner Familie verantwortlich ist. Der Mann, der den Krieg überhaupt erst begonnen hat und es nicht ertragen konnte, dass sein ewiger Rivale Hamato Yoshi in Frieden lebt. Shredder! Als er den Mann in der Rüstung betrachtet, keine hundert Meter von ihm entfernt, wie er ihm den Rücken zukehrt und seinen flüchtenden Soldaten nachruft, steigt die Wut in dem Rothaarigen auf. Eine Wut, die er sein Leben lang versucht hat zu kontrollieren und zu zügeln, wobei er nur allzu oft gescheitert ist. Eine Wut, die so mächtig und unnachgiebig ist, dass sie ihn blind für alles andere macht. Dieser Mann hat seine Familie getötet, jeden den er je geliebt hat und der ihm etwas bedeutete und jetzt wird er dafür büßen! Dabei ist es Raphael völlig egal, ob das der letzte Kampf ist, den er in seinem Leben kämpfen wird oder nicht, er hat eh nichts mehr für das es sich zu leben lohnt! Er will nur reinen Herzens vor dem Allmächtigen treten können… And as the sky is falling down It crashed into this lonely town And with that shadow upon the ground I hear my people screaming out Trotz seines unbändigen Zorns ist Raphael ungewöhnlich gelassen. Ihm ist klar, dass es nichts bringt, sich kopflos in diesen Kampf zu stürzen, da es ihm so nie gelingen würde, Shredder zu vernichten. Stattdessen ruft er sich einen alten Spruch seines Senseis ins Gedächtnis, der ihn zur Ruhe bringen soll, es aber nur im seltensten Fall auch gemacht hat. Wie ein Fluss über einen Stein, muss er alles an sich vorbei fließen lassen und sich nur auf sein Ziel konzentrieren. Mit einem wehmütigen Lächeln an seinen gefallenen Meister, greift er nach seinen Sais. „SHREDDER, du elendes Scheusal, du hast meine Familie auf dem Gewissen und jetzt wirst du dafür büßen!“, ruft er dem Rüstungsträger kraftvoll entgegen. Ein Ruck geht durch den maskierten Mann, der bis eben gar nicht gewusst hat, dass noch einer dieser nichtsnutzigen Turtles am Leben ist. Ungläubig dreht er sich zu dem Jungen herum und lacht dann düster. „Glaubst du kleiner Wicht wirklich, dass du mir auch nur irgendwie gefährlich werden kannst?“, höhnt er dem Roten entgegen. „Das werden wir gleicht wissen, außer du bist so feige wie deine Soldaten und rennst weg!“, kontert Raph trocken. And I see fire Inside the mountains I see fire Burning the trees „Wie kannst du es nur wagen?“ Kaum hat Shredder ausgesprochen, setzt er auch schon zum Angriff an. Furchtlos, von seiner eigenen Einsamkeit und Verzweiflung geleitet, stellt sich der Saikämpfer ihm entgegen. Hart schlagen ihre Waffen aufeinander. Durch seine Rüstung hat der Foot-Clan-Führer einen gewissen Vorteil seinem förmlich nackten Gegner gegenüber. So dauert es auch nicht lange bis der angeschlagen Ninja von den rasiermesserscharfen Klingen getroffen wird. Tiefe Schnitte ziehen sich alsbald über seine Arme und er droht das Gefühl darin zu verlieren. Zitternd umklammert er seine Sais und geht zum nächsten Angriff über. Im letzten Moment gelingt es ihm, Shredders Klingen auszuweichen. Für den Bruchteil eines Augenblicks befindet er sich in der Luft hinter dem Tyrannen und sieht eine Chance. Raphael dreht sein Sai in der Hand und schlägt hart mit dem Griff auf das Genick seines Gegners. Der Schlag beeindruckt den Rüstungsträger nicht im Geringsten. Durch die Wucht wird ihm aber der Helm vom Kopf gerissen und landet klappernd auf dem regennassen Sand. I see fire Hollowing souls I see fire Blood in the breeze Von zorniger Überraschung überkommen blickt Shredder zu dem kleinen Wicht, der es gewagt hat ihm den Helm vom Kopf zu schlagen. Grinsend erwidert Raphael seinen Blick und kickt den Helm hinfort, in einen kleinen Busch, der es aus unerfindlichen Gründen geschafft hat vom Feuer verschont zu bleiben. „Du wagst es?!“, erbost sich der Tyrann. Donner grollt bedrohlich über den beiden hinweg; Blitze zucken jetzt fast schon im Sekundentakt und der Regen fällt so schwer und kalt, der er einen fast zu Boden drückt. Aus sicherer Entfernung beobachten die desertierten Foot-Ninjas den allerletzten Kampf ihres Meisters. Nun, da Shredder seinen Helm nicht mehr hat, kann Raph sehr gut seine Gesichtszüge erkennen. Die Wut darin ist so immens, dass sich der Rote gar nicht vorstellen will, wie er selbst aussehen mag, wenn er von seiner Wut mal wieder übermannt wird. Die beiden Kontrahenten gehen wieder zum Angriff über. Es gelingt Raphael erneut sich in eine gute Position hinter Saki zu begeben, allerdings ist der Führer diesmal schneller. Ehe der Saikämpfer einen Treffer landen kann, holt der Rüstungsträger mit seinen Klingen aus. I see fire Oh, you know I saw a city burning out And I see fire Ein heftiger Schmerz betäubt Raphaels Sinne und er kracht hart zu Boden. Der Schmerz breitet sich immer weiter in seinem Kopf aus und lässt ihn nicht mehr klar denken. Trotz des eiskalten Regens spürt er, wie ihm heißes Blut an der rechten Seite seines Gesichts hinab läuft und in dicken Tropfen im feuchten Sand versinkt. Schwer atmet der junge Ninja und versucht die Augen zu öffnen. Bei seinem linken Auge gelingt es ihm und er sieht verschwommen die Welt um sich herum, doch sein rechtes Auge verweigert sich ihm. Völlig benebelt vom Schmerz stützt sich der Saikämpfer auf die Knie und führt seine Hand zu seinem rechten Auge. Seine Finger gleiten durch das dünne Blut, das in Strömen an seiner Wange hinab rinnt, dann finden sie etwas anderes. Es ist irgendwie schleimig, dickflüssig und glibberig. Verständnislos blickt er auf seine Finger hinab und entdeckt dort eine undefinierbare, milchig-durchsichtige Masse, eine Art Schleim, der aus seinem Auge zu laufen scheint. Die grausige Erkenntnis dringt nur langsam zu ihm durch, weswegen er seine Finger erneut zu seinem rechten Auge führt. Seine Lider sind offen, die Welt auf dieser Seite jedoch dunkel und sein Auge verschwunden… Feel the heat upon my skin And I see fire And I see fire Shredders Klingen haben es zerfetzt und nun bleibt ihm nur eine leere, nutzlose Höhle. Hinter ihm lacht der Tyrann ungehalten. „Na, mein Junge, gibst du auf, solang du noch die Chance hast, lebend aus diesem Kampf zu kommen?“, höhnt der Schwarzhaarige. Raph wendet sich nicht zu ihm, stattdessen greift er sein Sai und umklammert es mit all der ihm noch zur Verfügung stehenden Kraft. Als der Rüstungsträger in eine neue Welle des Lachens verfällt, springt der Rothaarige so schnell auf, dass Shredder nicht mehr reagieren kann. Raphael wirft ihn zu Boden und stürzt sich auf den Clan-Führer. Er pinnt den Mann am Boden fest, ohne auch nur auf die Klingen zu achten, die seine Beine zerschneiden. Raph reißt seine Sais in die Luft und lässt sie dann auf den Mann hernieder sausen, der seine Familie getötet hat. Die scharfgeschliffenen Gabeln durchbohren mit morbider Leichtigkeit den Schädel Sakis immer und immer wieder, bis sich der Tyrann unter ihm nicht mehr bewegt. Kraftlos und schwer atmend lässt der letzte Überlebende des Hamato-Clans seine Waffen in den feuchten Sand fallen. Burn auburn on the mountain side Einen Augenblick sitzt der junge Ninja einfach nur reglos auf dem Leichnam dieses Monsters, während eisiger Regen auf ihn herab fällt; die letzten Feuer um ihn erlöschen und unzählige Blitze diese düstere Nacht erhellen. Dann richtet sich der Rote auf, ballt die Hände zu Fäusten, wirft den Kopf in den Nacken und lässt einen so markerschütternden Schrei ertönen, dass der Donner, der im selben Moment über ihm zusammenbricht, wie ein leises Poltern wirkt. Er schreit bis ihm die Lunge brennt und er alle Luft verbraucht hat. Dann brechen alle Gefühle über ihm ein; er sinkt auf die Knie und weint so ungehalten wie in seinem ganzen Leben noch nicht. Er ist allein. Hat sie alle verloren. Seine ganze Familie dahingerafft und er steht immer noch. Wie sehr wünschte er sich, er könnte mit ihnen tauschen. Wie sehr wünschte er sich, er könnte sie alle noch einmal lachen sehen. Doch das wird nie wieder geschehen. Das einzige, was ihm bleibt, ist ein riesiges Loch in seinem Herzen, das von nichts und niemandem gefüllt werden kann. Seine Verzweiflung ist grenzenlos und langsam lässt er sich fallen und rollt sich weinend auf dem Sand zusammen. In seiner Trauer gefangen bemerkt er die Gestalten nicht, die sich ihm vorsichtig nähern. Eine von ihnen klaubt den Helm ihres gefallenen Meisters unter dem Busch hervor und gesellt sich dann wieder zu seinen Kameraden. Sie alle wissen, was jetzt zu tun ist. Schweigend versammeln sich die übriggebliebenen Foot-Ninja um den weinenden Jungen herum. Einen Moment sind sie noch unschlüssig und starren auf die Leiche ihres einstigen Herrn. Kurz darauf nicken sie sich leicht zu und stellen sich in einer Reihe auf. Einer von ihnen tritt vor und geht ehrfürchtig neben Raphael auf ein Knie hinunter. Vorsichtig legt er dem Jungen eine Hand auf die Schulter um sich bemerkbar zu machen. Erschrocken zuckt der Saikämpfer zusammen und starrt dann in das vermummte Gesicht eines Foot-Ninjas. Für einen Moment denkt Raph, dass er doch noch die Erlösung finden und mit seiner Familie vereint sein kann. Im nächsten Moment wird ihm aber klar, dass die Foot ihn nicht töten werden, jetzt wo sie führerlos sind. Stattdessen gehen auch die übrigen Männer vor ihm auf die Knie und einer von ihnen streckt Raphael Shredders Helm entgegen. Die Tradition verlangt von ihnen, dass derjenige, dem es gelingt ihren Meister zu töten, der neue Meister werden muss. Wortlos warten die Maskierten auf die Entscheidung des Rothaarigen. Vollkommen perplex starrt der Saikämpfer den Helm einfach nur an. Tief hinten in seinem schmerzenden Kopf meldet sich eine kleine Stimme, die ihm sagt, dass er nun der neue Shredder ist und diese Männer von ihm angeführt werden wollen. Als sich diese Erkenntnis in seinem gesamten Kopf ausbreitet, springt Raph wie von der Tarantel gestochen auf und kickt dem Foot-Ninja den Helm aus den Händen. Überrascht zucken die übrigen Foot zusammen. Wütend greift Raph nach seinem Sai und baut sich vor den schwarzen Ninjas auf. „Wie könnt ihr nur so etwas von mir verlangen? Dieses Monster hat meine ganze Familie getötet und ihr wollt, dass ich seinen Platz einnehme? Er hat die ganze Welt in Schutt und Asche gelegt und ich soll es weiterführen? Das könnt ihr vergessen! Ich werde jeden von euch eigenhändig erstechen!“, brüllt er ihnen ungehalten entgegen und packt den Mann am Kragen, der vor ihm kniet. Er zerrt ihn hoch und zielt mit seinem Sai auf ihn. Der Foot-Ninja versucht gar nicht erst ihn aufzuhalten. Stattdessen ist er ganz ruhig und blickt Raph einfach nur entgegen, obwohl der Rote seine Augen gar nicht sehen kann. Nach einem Augenblick erhebt der schwarze Ninja jedoch die Stimme. „Es ist Eure freie Entscheidung, was Ihr mit uns macht, mein Herr. Denn Ihr könnt uns töten, wenn es Euch beliebt oder auch nicht…“ „Natürlich werde ich auch töten!“, kontert Raphael ungehalten und lässt sein Sai niedersausen. Im letzten Moment hält er jedoch inne, obwohl die Spitze der Waffe schon den schwarzen Stoff zerrissen hat. Das gelbgrüne Auge, das ihm geblieben ist, weitet sich schockiert und er lässt den Mann wieder los. „Was mache ich hier? – Es bringt sie auch nicht zurück, wenn ich diese Männer töte und dann wäre ich auch nicht besser als Shredder…“ Raph wendet sich von ihnen ab und dreht ihnen den Rücken zu, er denkt gar nicht daran, dass sie dies auch ausnutzen könnten. Verloren lässt der Rothaarige seinen getrübten Blick über das Schlachtfeld wandern. Er denkt nach. Endlose Minuten vergehen, in denen die Foot schweigend abwarten. Schließlich setzt sich der junge Ninja in Bewegung und hebt den Helm des einstigen Tyrannen auf. Blicklos dreht er ihn in seinen Händen, ehe er ihn über seinen Kopf hebt wie eine Trophäe. Laut erhebt er die Stimme über den anhaltenden Regen hinweg. „Höre meine Worte, Welt! Ich bin der neue Shredder! Herrscher über alles was ist und jemals sein wird und jeder, der sich mir in den Weg stellt, wird es bitter bereuen!“ Erwartungsvoll blickt ihn das verbliebene Dutzend Foot-Soldaten an. „Nun erhebt euch, meine Untergebenen! Lasst uns diesen schrecklichen Ort verlassen…“ Augenblicklich springen die schwarzen Ninjas auf und verbeugen sich respektvoll vor ihrem neuen Meister. Verloren blickt Raphael ein letztes Mal zum Wasser, bittere Tränen rinnen an seiner linken Wange hinab, während die rechte nur immer weiter von frischem Blut überzogen wird. Er geht zwei Schritte, um diesen furchtbaren Ort hinter sich zu lassen, doch dann verlassen ihn endgültig seine Kräfte. Zwei Foot-Ninja fangen ihn auf, bevor er auf den Boden schlägt und nehmen ihn auf die Arme. So tragen sie ihn langsam zum Hafen zurück. Dort gibt es einen alten U-Bahntunnel, der schon vor Jahrzehnten stillgelegt worden ist. In dem muffigen Gewölbe gibt es eine geheime Tür in der Wand, die einen langen Tunnel freigibt. Im Tunnel verlaufen Schienen, die ganz und gar nicht alt aussehen. Direkt hinter der Tür auf den Schienen steht eine Dräsine, an die ein flacher Karren gekoppelt ist. Auf diesem Karren haben sie vor so unendlich langer Zeit an diesem Abend Baxters Strahlenkanone hier her gebracht. Nun legen sie Raphael vorsichtig in den Karren. Einer der Ninjas setzt sich zu ihrem neuen Führer und hält den Helm fest in den Händen, während die anderen sich auf die Dräsine stellen und das ganze Gefährt in Bewegung setzen. Der Weg ist weit und die Schienen lang. Sie führen unter dem East River entlang und enden schließlich an einer schweren Tür. Behutsam tragen die Foot Raphael die Stufen hinauf zu einer weiteren Tür. Hinter der Tür erstreckt sich ein gewaltiger, unterirdischer Bunker auf einer kleinen Insel mitten im East River. Der Name dieser Insel ist South Brother Island und diente Shredder als geheimer Stützpunkt, nachdem sein Dojo im wütenden Krieg zerstört wurde. Die Foot-Soldaten bringen der bewusstlosen Saikämpfer in die dritte Ebene des Bunkers. Sie liegt am tiefsten unter der Erde und diente Shredder als sein persönlicher Bereich. Hier hatte der Rüstungsträger einen großzügigen Raum, den er zum Arbeiten und Schlafen genutzt hat. Nun legen die schwarzen Ninja ihren neuen Meister in das große Bett und versorgen seine unzähligen kleinen und großen Wunden. Als dies erledigt ist, stellen sie den Helm auf den Schreibtisch unweit des Bettes und verlassen das Zimmer. Eine kleine Lampe auf dem Nachtisch ist alles, was den Raum ein wenig erhellt. Sie hoffen, dass ihr neuer Meister bald wieder auf den Beinen sein wird und sie seine Befehle ausführen können. Noch ahnen sie aber nicht, dass diese Befehle ganz anders sind, als sie es sich je hätten vorstellen können… Day of mourning... ------------------ Am nächsten Tag… Es ist dunkel um ihn herum. Kein Geräusch auszumachen, keine Bewegung, rein gar nichts. Angestrengt versucht er etwas in der undurchdringbaren Dunkelheit zu erkennen, nur eine Winzigkeit, die ihm verrät, dass er nicht ganz allein im Nirgendwo ist. Nichts. Sein Körper ist schwer und er kann sich nicht bewegen. Jeder Knochen tut ihm weh und seine Arme sind ganz taub. Er kann die eisigen Ketten spüren, die seine Hände an eine ebenso eisige Wand fesseln. Was ist geschehen und wo ist er bloß? Dann ein gleißendes Licht, das ihm die Sicht raubt. Hilflos presst er die Augen zusammen, während sein Kopf fast explodiert. Nun kann er Stimmen hören. Lachen, das er kennt und von dem er dachte, es nie wieder hören zu können. Vorsichtig öffnet er die Augen. Das blendende Weiß schmerzt, doch er kann die Umrisse von vier Personen erkennen, die in der Ferne stehen. Allmehlig gewöhnen sich seine Auge an das Licht und die Umrisse werden deutlicher. Ihr Lachen wird lauter und kommt immer näher zu ihm heran. Er kann es nicht glauben! Sie sind hier – unversehrt und ausgelassen wie eh und je! „Hey, Raph, nun komm endlich, die Pizza wird kalt!“, flötet Michelangelo ihm entgegen und hüpft aufgeregt vor ihm hin und her. „Raph, du wolltest mit mir doch eine Probefahrt mit dem Shellraiser machen, um den Motor neu einzustellen! Nun komm doch!“, bittet ihn nun Donatello, der sich die öligen Finger an einem Lappen abwischt. „Nun steh endlich auf, Raph oder willst du den ganzen Tag im Bett bleiben?“, mischt sich jetzt auch Leonardo ein, der missgünstig mit dem Finger auf seine Uhr tippt. „Raphael, es ist Zeit fürs Training!“, ertönt nun auch die Stimme seines Meisters Splinter. Doch der Saikämpfer kann sie alle nur mit großen Augen anstarren. Er dachte, er hätte sie für immer verloren, doch das schien nur ein böser Traum gewesen zu sein, stehen sie doch alle unversehrt vor ihm. Er lächelt ihnen zu. Bewegen kann er sich aber immer noch nicht, ist noch immer an die Wand gefesselt, doch seine Familie scheint dies nicht zu bemerken. Verzweifelt versucht er sich loszureißen, doch es gelingt ihm nicht. Seine Familie ignoriert das Ganze anscheinend und ruft nur weiterhin lockend nach ihm. „Ich kann nicht…“, versucht er ihnen mitzuteilen. Sie lachen aber nur weiter und rufen ihn. Dann entfernen sie sich langsam immer weiter von dem Roten. Es sieht aus, als würden sie davon schweben anstatt zu gehen. Verwundert beobachtet er sie und versteht nicht, was eigentlich los ist. „Wartet!“, ruft er ihnen nach und versucht sich erneut zu befreien. „Nun komm doch zu uns, Raphael!“, locken sie ihn im Chor und entfernen sich immer und immer weiter von ihm. Plötzlich ein lauter Knall, der den Boden unter seinen Füßen zum Beben bringt. Als er aufsieht, erkennt er, dass das weiße Licht verschwunden ist. Jetzt ist es blutrot und seine Familie sieht sich mit schreckgeweiteten Augen und ängstlicher Miene um. Wie aus dem Nichts taucht Shredder auf. Doch er gleicht einem Riesen. Seine gewaltigen Klingen sausen durch den leeren Raum und metzeln seine Brüder und seinen Meister nieder, als wären sie nur widerstandslose Grashalme. Fassungslos muss Raphael dem beiwohnen. „NEIN!“, schreit er Shredder immer wieder entgegen, doch dieser hat nur Augen für die kümmerlichen Reste seiner Gegner. Sein markerschütterndes Lachen hallt in Raphaels Ohren voller Endgültigkeit. Der temperamentvolle Ninja traut seinen Augen kaum, als sich die Leichen seiner geliebten Brüder und seines Meisters auf einmal wieder zu regen beginnen. Mühsam erheben sie sich aus Unmengen Blut und ihre Körper setzen sich wieder zusammen, doch heilen tun sie nicht. Es gleicht einem grausigen Horrorszenario. Schwankend wie Zombies kommen sie auf ihn zu und strecken ihre verunstalteten Hände nach ihm aus. Wie wild reißt er an den Ketten um zu entkommen, doch es gelingt ihm nicht. Nun verfärbt sich das Blut dieser geliebten Menschen schwarz, wird hart und bröckelig. Ihre Haut wird aschgrau, reißt an vielen Stellen auf oder fällt in fauligen Klumpen herunter. Ihre Augen sind völlig leer – sie verwesen direkt vor ihm und kommen dennoch immer näher. Schließlich erreichen sie ihn und ihre knochigen Finger gleiten grabeskalt über seine Wangen. Sie zerren an ihm. Panik überkommt den Rothaarigen. Er versteht die Welt nicht mehr, was ist nur los? Dann ertönt der Chor ihrer toten Stimmen und raubt ihm sein letztes bisschen Verstand. „Du hast uns sterben lassen, Raphael! Warum hast du uns sterben lassen? Wir dachten du liebst uns…“ *** Ein gellender Schrei entfährt seiner Kehle und er richtet sich ruckartig auf. Noch ehe er begreift was los ist, jagt ein entsetzlicher Schmerz durch seine rechte Gesichtshälfte und sprengt fast sein Gehirn. Er betäubt all seine Sinne und lässt ihn haltlos wieder nach hinten fallen. Zusammenhanglos bereitet er sich darauf vor hart aufzuschlagen. Umso mehr verwirrt es ihn als er auf etwas Weichem landet. Schwach spürt er, dass sein ganzer Körper auf einem weichen Untergrund liegt. Er lauscht, doch um ihn herum ist es totenstill. Panik macht sich in ihm breit, da er befürchtet, das eben Erlebte noch einmal durchmachen zu müssen. Zitternd liegt er da, bis ihm klar wird, dass er gar nicht gefesselt ist. Angestrengt atmet er ein und aus und versucht sein jagendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern. Schließlich gelingt es ihm und um ihn herum passiert auch nichts anderes. Nur ein Alptraum. Vorsichtig versucht er sich damit abzufinden und wartet noch etwas, bis der höllische Schmerz auf seiner rechten Gesichtshälfte etwas nachlässt. Jede noch so kleine Muskelbewegung facht ihn jedoch immer wieder an. So dauert es geschlagene fünf Minuten, ehe er überhaupt den Versuch unternimmt, die Augen zu öffnen. Nach und nach baut sich vor seinem linken Auge ein Bild auf. Er starrt an eine hohe Zimmerdecke, an der es jedoch keine Lampen gibt. Dennoch ist das Zimmer nicht dunkel. Links neben ihm scheint eine Tischleuchte zu stehen. Er kann ihren warmen Lichtkegel sehen und wie er die linke Seite des Zimmers schwach erhellt. Doch rechts ist alles völlig dunkel. Verwirrt legt er die Stirn in Falten und ein neuerlicher Schmerz rast durch seine rechte Seite. Überfordert zuckt Raphael zusammen und wartet bis es vorbei ist. Keuchend stößt er die Luft aus und öffnet wieder die Augen. Jedoch versagt ihm sein rechtes immer noch den Dienst. Der Schmerz ist entsetzlich und doch versteht er nicht, was ihn verursacht. Allerdings spürt er einen dumpfen Druck auf seinem Auge und es ist furchtbar heiß. Schwerfällig hebt er die rechte Hand und führt sie zu seinem Auge empor. Doch dort wo sein rechtes Auge sein müsste, befindet sich jetzt ein rauer Stoff wie von einer Bandage. Der Verband reicht weit über sein Auge und den Großteil seiner rechten Gesichtshälfte. Dumpfer Schmerz pocht unter seinen Fingern und er kann die Hitze spüren, die sich durch den Verband empor drängt. Er ist verletzt, wie es scheint sogar schwer, doch er lebt. Er hat den Kampf mit Shredder überstanden. Und nun fällt ihm auch wieder ein, dass er gegen diesen Tyrannen gekämpft hat. Ja, mit seinen Brüdern und seinem Meister zusammen! Doch jetzt scheint er nicht in seinem Zimmer zu sein und auch in keinem anderen Zimmer des Dojos. Wo ist er hier? Und wo sind seine Brüder und Splinter? Er ist ganz allein, doch die anderen müssen auch irgendwo sein! Sehr langsam gelingt es dem Saikämpfer sich in eine sitzende Position zu begeben. Dabei schmerzt sein rechtes Auge so sehr, als hätte man ihm mit einer Schrotflinte hinein geschossen. Sein Kopf droht darunter zu zerspringen. Er gibt ein gequältes Stöhnen von sich, stemmt sich aber weiter hoch. Als es ihm endlich gelungen ist sich hinzusetzen, lässt er sich kraftlos gegen das Kopfteil des Bettes sinken. Ja, ein Bett. Er sitzt tatsächlich auf einem Bett. Also kann er unmöglich im Dojo sein, da gibt es nur Futons. Es ist auch kein gewöhnliches Bett wie er nun feststellt. Es ist ein großes Doppelbett, auf dessen linker Seite er gelegen hat. Es ist kunstvoll aus Holz gefertigt und steht auf vier runden Beinen, die Fuß- und Kopfende flankieren und in einer fußballgroßen Kugel enden. Zwischen diesen Säulen verläuft ein Brett, das am Fußende etwa dreißig Zentimeter hoch ist und am Kopfende etwa fünfzig. In die Bretter sind Muster hinein gearbeitet worden und er kann durch sie hindurchschauen. Stumm starrt er das Muster am Fußende an. Er kennt es, doch sein schmerzender Schädel will ihm nicht gleich sagen woher. Schließlich fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Es ist das Symbol des Foot-Clans! Heftig schreckt er zusammen als hätte man ihn geschlagen, dann starrt er das Symbol wieder ungläubig an. Der Foot-Clan? Soll das etwa heißen, dass er gefangen genommen wurde? Doch wieso sollte man einen Gefangen dann in ein so protziges Bett legen? Raphael versteht überhaupt nichts mehr. Dennoch lässt er sein müdes, linkes Auge weiter durch das Zimmer wandern. Am Fußende der rechten Bettseite entdeckt er einen kleinen Haufen aus Kleidungsstücken. Es sind definitiv nicht seine. Aber wo er jetzt so darüber nachdenkt, merkt er, dass er vollkommen nackt ist! Überrascht blickt er an sich hinunter und sieht nichts außer blanker Haut. Die Decke hat er wohl im Schlaf weggestrampelt. Zudem entdeckt er jede Menge Pflaster und Verbände, die sich auf seinem lädierten Körper verteilen. Wer immer ihn hierher gebracht hat, hat ihn ausgezogen und verarztet. „Hätte mir der Kerl nicht wenigstens meine Unterhose lassen können…?“, hört er sich selbst mit einer so schwachen Stimme sagen, dass er sie im ersten Moment nicht einmal als seine eigene erkennt. Da er hier jedoch allein im Zimmer ist, ist es ihm erst mal egal, ob er nackt ist oder nicht. Kalt ist es hier drinnen jedenfalls nicht. Trotz der Tatsache, dass er nichts anhat, ist die Temperatur um ihn herum angenehm, weder zu warm noch zu kalt. Als er sich weiter umsieht, stellt er fest, dass das Zimmer keine Fenster hat, doch er entdeckt an einer Wand Lüftungsschlitze und hört das leise Summen einer Klimaanlage. Zudem gibt es zwei Türen. Die eine scheint die eigentliche Zimmertür zu sein. Sie sieht sehr schwer aus, als wäre sie aus Stahl oder so etwas. Die andere Tür sieht ganz gewöhnlich aus. Sie steht auch offen und befindet sich neben dem Bett. Raph muss unweigerlich an ein Hotelzimmer denken und dies wäre dann die Tür zum Bad. Neben der Stahltür steht ein mannshoher Spiegel, der zur Hälfte mit einem Tuch verdeckt ist. Von der Stahltür führt ein schmaler, aber dicker, roter Teppich durch das Zimmer zu einem großen Schreibtisch aus Holz. Er wirkt plump und sehr schwer und dennoch macht er den Eindruck, als wäre er sehr teuer. Hinter dem Schreibtisch steht ein Stuhl mit hoher Lehne und Samtbezug. Neben sich entdeckt Raphael einen Nachtisch auf dem eine kleine Schirmlampe steht und Licht in dem Zimmer verströmt. Auf dem Schreibtisch steht ebenfalls eine kleine Schirmlampe. Sonst scheint es aber keine weiteren Lichtquellen zu geben, weder an der Decke noch an den Wänden gibt es irgendwelche Lampen. Rechts neben dem Bett gibt es noch einen Kleiderschrank. Mehr sieht der junge Ninja nicht, obwohl das Zimmer riesig ist. Sein rechtes Auge beginnt wieder zu pochen und so beschließt der Saikämpfer doch mal herauszufinden, ob das andere Zimmer wirklich ein Bad ist. Mühselig rutscht er bis an die Bettkante und schwingt langsam die Beine hinaus. Als seine blanken Füße den nackten Steinboden unter sich berühren, zuckt Raphael überrascht zusammen. Er hat erwartet, dass der Boden eiskalt wäre, selbst wenn es hier im Zimmer angenehm warm ist, doch dem ist nicht so. Der Boden verströmt eine herrliche Wärme, als läge darunter eine Fußbodenheizung. Wem auch immer dieses Zimmer gehört, er versteht etwas von nutzlosem Schnickschnack, auch wenn das Zimmer so spartanisch eingerichtet ist. Mit der bedenklichen Langsamkeit eines alten, gebrechlichen Mannes erhebt sich der einst so stolze Ninja vom Bett. Jede kleine Bewegung lässt eine andere Stelle seines angeschlagenen Körpers schmerzen. Doch dieses Stechen und Ziehen ist nichts im Vergleich zu den höllischen Schmerzen, die sein rechtes Auge herausschreit. Gequält aber dennoch vorsichtig, drückt er seine Finger auf den dicken Verband und versucht das anwachsende Pochen darunter in Zaum zu halten. Als es ihm endlich gelingt aufrecht vor dem Bett zu stehen, atmet er schneller. Die Welt um ihn herum dreht sich für einen Moment. Schwankend schließt er die Augen und versucht den Schwindel und das nagende Pochen wieder los zu werden. Es dauert fast eine Minute ehe ihm das gelingt und als er das linke Auge wieder öffnet, stellt er fest, dass er sich in seinem ganzen Leben noch nie so hilflos und verwundbar gefühlt hat. „Hoffentlich haben die anderen nicht so viel abgekriegt…“, kommt es mit belegter Stimme von ihm. Sein schmerzender Kopf versucht noch immer ganz ausgezeichnet, ihm weißzumachen, dass seine Familie hier irgendwo sein muss. Sein Geist schont ihn, verdrängt einfach die Tatsache, dass sie nicht mehr da sind, damit er sich selbst besser regenerieren kann. Und so setzt sich Raph ahnungslos in Bewegung. Dabei stützt er die Hand gegen die Wand, um nicht umzukippen und kommt sich abermals wie ein steinalter Mann vor und nicht wie ein Teenager an der Schwelle zu Männlichkeit. Torkelnd erreicht er die offene Tür und tastet blind im Raum nach einem Lichtschalter. Als er ihn findet, flammt eine einzelne Lampe über einem Spiegel auf. Beinahe erleichtert stellt der Rothaarige fest, dass es sich tatsächlich um ein Badezimmer handelt. Der Raum ist ebenfalls erstaunlich groß und erstaunlich leer. Bei dem Spiegel handelt es sich eigentlich um ein Schränkchen, wo man Kosmetikartikel oder Verbandszeug und Tabletten aufbewahren kann. Unter dem Schränkchen befindet sich ein Waschbecken und darunter ein kleiner Schrank für Toilettenpapier und Handtücher. Neben dem Waschbecken ist das Klo. An der kurzen Seite, der Tür gegenüber, sieht er eine große, ebenerdige Dusche wie es sie auch im Dojo gibt. Wehmütig denkt er an sein Zuhause. Das Heimweh wird noch stärker, als er sich die Glastür der Dusche genauer ansieht. Etwa auf halber Höhe verläuft ein breiter, milchiger Streifen, der verhindern soll, dass einen jemand beim Duschen gleich ganz nackt sieht. So einen Sichtschutz gibt es im Dojo nicht, doch das hat Raphael noch nie gestört. Dieser hier stört ihn aber gewaltig. Nicht weil er einem den Blick versperrt, sondern weil der Streifen mit dem Symbol des Foot-Clans verziert ist. Die blutroten Prankenabdrücke jagen ihm einen unguten Schauer über den Rücken. Der Gedanke hier gefangen zu sein wird dadurch nur noch verstärkt. Mit einem leisen Grummeln wendet er den Blick davon ab, an die letzte Wand des Badezimmers. Hier hängt ein Handtuchhalter und daneben gibt es noch eine weitere Tür. Verwundert betrachtet er sie. Auf dem hellen Holz ist ein Schild angebracht, auf dem ‚Privat‘ steht. Wer immer also in diesem Zimmer wohnt, verstaut dort bestimmte Dinge, die niemand sehen soll. Neugierde flammt leise in dem Saikämpfer auf und er geht langsam zur Tür hinüber. Etwas zitternd legt sich seine Hand auf den Knauf. Als er ihn versucht zu drehen, bewegt er sich jedoch nicht. Abgeschlossen. Raph zuckt mit den Schultern. Es ist ihm auch eigentlich vollkommen egal was dahinter ist. Er will nur seine Familie wiederfinden und dann so schnell wie möglich von hier verschwinden. Also wendet er sich von der Tür ab und kommt zu dem weswegen er eigentlich hier ist. Der kurze Weg zum Spiegelschrank ist schnell überwunden, doch das, was er in der reflektierenden Scheibe sieht, nicht. Lange betrachtet er den jungen Mann im Spiegel, bis er begreift, dass es tatsächlich sein eigenes Gesicht ist, das ihn da so ausgezehrt, bleich und schwach anblickt. Seine sonst so gebräunte Haut ist ganz blass, als hätte er wochenlang keine Sonne gesehen; seine Wangen sind eingefallen, als hätte er Ewigkeiten nichts gegessen; seine Haare sind von Schmutz und Blut ganz verkrustet; seine Lippen trocken und aufgerissen und sein linkes Auge ist glanzlos und blutunterlaufen, als hätte er die ganze Nacht durchgesoffen. Sein rechtes Auge ist mit einem dicken, weißen Verband verdeckt, der ihm über den Kopf verläuft und auch seine Wange und sein Ohr bedeckt. An der Stelle, an der sein Auge sitzt, hat sich ein blutiger Fleck gebildet. Wahrscheinlich hat die Wunde, durch die ganze Anstrengung seit er aufgewacht ist, wieder angefangen zu bluten. Der Verband ist ziemlich dick und übt stetigen Druck auf sein Auge aus. Wenn sich das Blut bis an die Oberfläche vorgeschoben hat, wäre es wohl angebracht den Verband zu wechseln. Irgendwie graust es ihm davor. Normalerweise würde so etwas eher Donnie oder Splinter machen, weil Raph nicht gerade ein Händchen dafür hat. Da er jedoch allein ist, bleibt ihm nichts anderes übrig als es selbst zu machen, wenn er nicht will, dass ihm das Blut blad aufs Hemd tropft. Apropos Hemd, vielleicht sollte er sich vorher etwas anziehen? Wenn nun doch jemand reinkommt, möchte er ihn nicht gleich im Adamskostüm begrüßen. Also wankt Raphael zurück ins Schlafzimmer und besieht sich den Haufen Kleidungsstücke, die ihm jemand dort hingelegt hat. Als er sich ans Fußende des Bettes stellt, fällt ihm auf, dass hier ein Paar Stiefel stehen. Wie schon die Kleidungsstücke, sind auch die Stiefel nicht seine eigenen. Sie sehen aber ziemlich ähnlich aus. Sie sind etwa genauso schwer und mit Stahl besetzt und reichen ihm bis knapp unters Knie. Im Gegensatz zu seinen grünen Schuhen, sind diese pechschwarz und auf Hochglanz poliert, doch die Schnürsenkel sind ebenso rot wie seine eigenen es gewesen sind. Er dreht einen der Stiefel herum und stellt fest, dass sie seine Größe haben. Gefallen tun sie ihm allerdings nicht, genauso wenig wie die Klamotten, die auch alle durchgehend schwarz zu seien scheinen. Schwarz ist zwar eine tolle Farbe, der er nicht abgeneigt ist, doch ganz in Schwarz sehe er ja aus wie ein Leichenwagenfahrer. ‚Oder ein Foot-Ninja!‘, teilt ihm sein überanstrengter Geist mit. Angewidert verzieht er das Gesicht. Allerdings bleibt ihm wohl nichts anderes übrig, wenn er nicht den Rest des Tages nackt rumlaufen will. Seufzend durchwühlt er den kleinen Stoffhaufen. Er findet schwarze Shorts, die auf Höhe der linken Leiste das rote Foot-Symbol aufgedruckt hat. Erneut verzeiht er das Gesicht und stellt sich vor, wie Shredder wohl mit so einem Ding aussehen mag und ob das wirklich zur regulären Uniform seiner Soldaten gehört. Wie auch die Schuhe, so hat auch die Shorts die richtige Größe, was er schon irgendwie unheimlich findet. Als er sie anzieht, sitzt sie genauso eng wie seine eigene, wenn nicht sogar enger und lässt keinen Platz für Fantasie. Ist bei einer Kampfuniform auch nicht nötig, sie soll einen ja schließlich schützen und nicht durch ihre Weite behindern. Dennoch fühlt er sich davon irgendwie erdrückt und sei es nur wegen dem Symbol. Socken findet er keine, nur ein paar Rollen Verband, der jedoch – wer hätte es geahnt – ebenfalls schwarz ist. Raphael verdreht die Augen, was ihm höllische Schmerzen auf der rechten Seite beschert, die er jedoch ignoriert. Stattdessen setzt er sich aufs Bett und beginnt damit sich die Füße zu verbinden. Dabei erinnert er sich daran wie er sich heute Morgen auf den Kampf mit Shredder vorbereitet und genau dasselbe in seinem Zimmer gemacht hat, nur das seine Verbände nicht schwarz waren. Stimmt heute Morgen überhaupt oder war es gestern? Er kann sich nicht erinnern und da es hier kein Fenster gibt, kann er nicht einmal feststellen wie spät es in etwa ist. Eine Uhr kann er auch nicht ausmachen und all seine Sachen, einschließlich seinem T-Phone, sind weg. Aber so wichtig ist das jetzt auch nicht. Geduldig rollt er die Bandagen bis zur Mitte seiner Oberschenkel auf und benutzt den Rest um seine Arme damit einzuwickeln. Schoner kann er nicht finden, also muss er sich halt so behelfen. Als er damit fertig ist, schnappt er sich die schwarze Hose und schlüpft hinein. Sein Overall wäre ihm weit lieber. Aber die Hose scheint aus einem ganz ähnlich Material zu bestehen – reißfest, stabil und doch sehr atmungsaktiv und anschmiegsam. Sie sitzt ebenso eng wie die Shorts, dennoch kann er sich darin ausgesprochen gut bewegen ohne sich eingezwängt zu fühlen. „Shredder hat wohl ein gutes Händchen für so was…“, murmelt er beim Zubinden sarkastisch. Die Hose hat keinen lästigen Reißverschluss und auch keine Knöpfe, sondern nur ein Zuband wie eine Sporthose. Dazu gibt es einen knallroten Stoffschal, den er als Gürtel benutzt und der ihm bis zu den Kniekehlen reicht und seine Sais kann er darin auch einhaken. Seine Waffen sind wohl das Einzige, was man ihm nicht weggenommen hat, was er äußerst merkwürdig findet. Überrascht stellt er fest, dass sich sogar jemand die Mühe gemacht hat, sie zu reinigen und zu polieren. Die Gabeln sind frisch geschärft und die Bandagen an den Griffen sind neu, peinlich genau gebunden und glücklicherweise genauso rot wie vorher. Langsam versteht der jungen Ninja gar nichts mehr. Wozu macht sich jemand nur solche Mühe? Verwirrt schnappt er sich das Hemd uns streift es über. Es gleicht eher einem Pullover und trägt übergroß das Foot-Symbol auf dem Rücken. Es hat weder Knöpfe noch einen Reißverschluss und scheint aus demselben Material zu bestehen wie die Hose. Auch er liegt hauteng an und dennoch hat Raphael nicht das Gefühl erdrückt zu werden. Das Hemd ist ziemlich lang, so steckt er es in die Hose und bekommt dadurch eher das Gefühl einen Overall anzuhaben. Etwas irritiert betrachtet er das letzte Stück Stoff. Hierbei handelt es sich eindeutig um sein Bandana, oder es war einmal sein Bandana, bevor er den Kampf mit Shredder aufgenommen hat. Dunkel kann er sich daran erinnern wie es von den Klingen zerrissen wurde. Und so ist es auch jetzt noch. Zwar hat man seine Sais aufpoliert, doch sein Bandana hat man nicht geflickt. Verstimmt betrachtet er den Fetzen Stoff, der genau dort entzwei gerissen ist, wo sein rechtes Auge sitzt. Nur der Knoten, der an seinem Hinterkopf gesessen hat, hält die zwei Hälften jetzt noch zusammen. Wegwerfen will er es aber auf keinen Fall. Neben seinen Waffen ist es das Einzige, was ihm geblieben ist und es hat ihn sein ganzes Leben lang begleitet. So viele Erinnerungen hängen daran. Wehmütig fummelt er den Knoten auf und benutzt die beiden Hälften wie eine Bandage und wickelt sie sich um die Finger. Als er fertig ist, schauen nur noch die Fingerspitzen heraus und er fühlt sich wieder etwas mehr wie ein Ninja, wenn auch auf der falschen Seite. Er seufzt abermals schwer und entdeckt dann noch etwas auf dem Bett. Es handelt sich um eine schlichte Augenklappe, wie man sie zum Karneval als Pirat trägt. Im Moment kann er damit allerdings noch nichts anfangen. Solang die Wunde so stark blutet, braucht er an eine Augenklappe nicht zu denken. Achtlos wirft er sie auf den Schreibtisch und stapft wieder ins Badezimmer zurück. Als er nun sein Spiegelbild betrachtet, sieht er noch weit elender aus als zuvor. Das viele Schwarz lässt ihn noch blasser und ausgemergelter aussehen und genauso fühlt er sich auch. Schwer seufzend öffnet er den Spiegelschrank und nimmt sich so selbst für ein paar Momente den Blick auf sein trauriges Äußeres. In dem Schränkchen findet er allerhand Verbandszeug. Das ist aber auch schon alles. Es gibt keine Schmerztabletten oder andere Pillen. Dies frustriert ihn, hatte er doch gehofft, wenigstens Aspirin zu finden, damit das Pochen in seinem Schädel nachlässt. „Verdammt…“, flucht er leise in sich hinein und kramt das Verbandszeug aus dem Schrank. Achtlos lässt er das ganze Zeug ins Waschbecken poltern. Hinten im Schränkchen entdeckt er eine große, braune Flasche, welche in ihm immerhin die Hoffnung weckt, nicht an Blutvergiftung zu sterben. Als er die Flasche herausnimmt, stellt er mit leiser Erleichterung fest, dass es tatsächlich Jod ist. Mit ernster Miene stellt der die Jodflasche auf den Rand des Waschbeckens. Dann kramt er einen Verband hervor, einige Kompressen und Tupfer. Den ganzen Rest stopft Raphael wieder in das Schränkchen. Für einen Augenblick betrachtet er wieder sein eigenes Gesicht im Spiegel und fixiert dann mit seinem gesunden Auge den anwachsenden Blutfleck auf dem Verband. Frustriert seufzt er in sich hinein und atmet dann ein paarmal tief durch. Völlig bereit fühlt er sich dennoch nicht, in Anbetracht dessen, was er nun tun muss. Doch der temperamentvolle Ninja schiebt das flaue Gefühl in seinem Magen beiseite und fummelt das Ende des Verbands auf. Langsam und mit leicht zitternden Fingern wickelt er ihn Schicht für Schicht ab. Der Blutfleck wird dabei immer größer und es dauert auch nicht lange und der metallische Gestank steigt ihm in die Nase. Sein Magen überschlägt sich beinahe und der Rothaarige muss sich sehr zusammenreißen. Nach einer gefühlten Ewigkeit klatscht der feuchte Verband wie ein nasser Lappen ins Waschbecken. Die Menge an Blut schockiert den sonst so toughen Jungen regelrecht. Angestrengt holt Raph Luft und blickt erneut in den Spiegel. Dicke, blutgetränkte Kompressen verdecken noch die Wunde. Jetzt, da der Druck des Verbands weg ist, ist der bis eben noch zu ertragende Schmerz zu einem wahren Stoßfeuer angewachsen. Aus dem dumpfen Pochen tief in seinem Kopf ist nun ein scharfes Stechen geworden und er spürt wie sich sein verwundetes, rechtes Auge unter dieser Qual krampfhaft verschließt. Als dies passiert, drückt sich ein dünner Blutstropfen unter den feuchten Kompressen hervor und rinnt an seiner glühenden Wange hinab wie eine Träne. Mit zitternden Fingern und schwerem Atem wischt er ihn fort. Allein diese leichte Berührung entfacht erneut einen stechenden Schmerz in seinem Auge, obwohl er es überhaupt nicht berührt hat. Die Haut unter dem Auge ist dick angeschwollen und so empfindsam, als hätte man ein Feuerzeug daran gehalten. Der rote Ninja sammelt sich einen Moment, ehe er vorsichtig und so langsam wie nur möglich die Kompressen von der Wunde zieht. Das Geräusch, das sie machen, als sie ins Waschbecken fallen, ist noch weit kräftiger und widerlicher als es bei dem Verband der Fall war. Erneut überschlägt sich sein Magen beinahe und er klammert sich hilflos am kühlen Porzellan des Beckens fest, um nicht ohnmächtig zu werden. Blut rinnt als warme Spur über seine Wange und tröpfelt ins Waschbecken. Er starrt es eine ganze Weile an, ehe er den Mut aufbringt den Kopf anzuheben und sich das Ausmaß der Verletzung im Spiegel zu betrachten. Zuerst sieht er nicht viel, da sein rechtes Auge noch immer zwanghaft zusammengepresst ist. Doch die Lider sind geschwollen, blutverschmiert und färben sich allmehlig in einem kräftigen Purpurton ein, als hätte ihm jemand ein Veilchen verpasst. Mit großer Überwindung gelingt es dem Saikämpfer sein Auge zu öffnen, obwohl dabei so heftiger Schmerz in seinem Inneren entbrennt, das er es lieber nicht getan hätte. Als die erste Welle vorüber ist, kann er die Verletzung endlich betrachten. Allerdings gelingt es ihm nur für wenige Sekunden, dann übermannt ihn eine so starke Übelkeit, dass er sie nicht mehr unter Kontrolle hat. Verzweifelt beugt er sich über das Waschbecken und erbricht sich. Da es Ewigkeiten her ist, dass er das letzte Mal etwas gegessen hat, kommt aber nur glühende Säure hervor. Schwerfällig und mit brennendem Hals richtet sich der Saikämpfer wieder auf und blickt in das polierte Glas des Spiegels. Trotz der Tatsache, dass sein verwundetes Auge fast zersprungen wäre, als er sich übergeben musste, hat es sich nicht wieder krampfhaft geschlossen. Keuchend starrt er sein ausgezehrtes Ich an, wobei sich sein Mager erneut überschlägt. Als er sich diesmal über das Waschbecken beugt, aus dem ihm ein widerlicher Gestank von Blut und Magensäure entgegenschlägt, würgt er nur trocken. Scheinbar hat er alles von sich gegeben, was noch da war und das erleichtert ihn irgendwie. Er weiß nicht, wie lange er es vielleicht noch ausgehalten würde sich jedes Mal zu übergeben wenn er sich selbst anschaut. Tief luftholend richtet Raphael sich wieder auf und blickt in den Spiegel. Sein rechtes Auge ist immer noch offen und vergießt blutige Tränen. Doch jetzt, da sein Magen leer ist und sich nur wieder ein flaues Gefühl darin ausbreitet, kann er sich endlich das Unheil ansehen. Dennoch kann und will er nicht glauben, was er dort sieht. Es scheint so, als würde ihn dort jemand anders anschauen, auch wenn es eindeutig sein Spiegelbild ist. Raph kann sich bruchstückhaft an den Kampf mit Shredder erinnern, auch wenn ihm dabei nicht in den Sinn kommt, was mit seiner Familie passiert ist. So erinnert er sich, dass er von Shredders Klingen getroffen wurde. Eine davon hat sein Gesicht gestreift und dabei sein Auge verletzt. Als er sich nun selbst ansieht, bemerkt er einen langen Schnitt, der etwa auf der Mitte seiner Stirn über dem rechten Auge beginnt, dann das Auge durchläuft und schließlich unter seinem Wangenknochen endet. Er ist ziemlich tief, sodass er das nackte, rote Fleisch unter seiner Haut pulsieren sehen kann. Dieser Anblick weckt ein ungutes Gefühl in Raphael. Er beugt sich etwas dichter an den Spiegel heran und betrachtet sein Auge genauer. Vor lauter Blut kann er kaum etwas erkennen und sein linkes Auge beginnt langsam unter der Anstrengung zu brennen. Doch er konzentriert sich und zieht mit den Fingern ganz vorsichtig das untere Lid noch etwas weiter auf, damit er sich die Wunde besser ansehen kann. Nun besteht kein Zweifel mehr und er kann es auch nicht mehr leugnen: an der Stelle, wo einst sein rechtes Auge gesessen hat, ist nun nichts mehr als eine schleimige, leere Höhle! „Großer Gott…“, flüstert er atemlos, dennoch weicht er nicht vom Spiegel weg. Stattdessen scheint er völlig fasziniert von dem grausigen Anblick zu sein. Die Klinge, die sein Auge getroffen hat, hat das obere Lid vollkommen durchtrennt. Wo er nun genauer hinschaut, kann er in der Wunde auf seiner Stirn zart den weißen Knochen hindurch schimmern sehen. Auf seiner Wange sind die Haut und alles darunter dicker, sodass hier der Knochen nicht zu sehen ist. Außerdem ist der Schnitt dort zu Ende gegangen und hat an Kraft verloren, somit ist er hier auch nicht mehr ganz so tief. Die Spitze der Klinge hat sein rechtes Auge jedoch voll erwischt. Wie ein scharfes Messer in ein Käsebällchen ist die Klinge hinein gerutscht und hat den Glaskörper zerfetzt. Die Reste dieser fragilen Kugel liegen zusammengefallen wie ein lascher Luftballon auf dem unteren Rand der Augenhöhle. Die gallertartige Flüssigkeit, die den Glaskörper ausgefüllt hat, glänzt feucht auf dem Blut und rinnt nun zähflüssig über seine Finger. Angewidert wischt er die Masse, die ihm einst das Sehen ermöglicht hat, fort und sie landet mit einem leisen Platschen im Waschbecken. Da ihm nun nichts mehr die Sicht versperrt, kann er in die blutige Höhle blicken, die einst von stechendem Grün auf weißem Grund ausgefüllt war. Es kommt dem Saikämpfer wieder so unwirklich vor, als würde er einer Leiche in die leeren Augenhöhlen blicken. „Oh, Gott…“, murmelt er abermals und entfernt sich wieder etwas vom Spiegel. Sein Auge ist weg und es wird auch nie mehr wiederkommen, so viel steht fest. Unwirklich kommt ihm der Gedanke, dass Donnie ihm vielleicht ein Glasauge oder etwas Ähnliches bauen könnte, wenn sie alle wieder zu Hause sind. Langsam kommt eine weitere Erinnerung in ihm hoch. Er hat Shredder getötet, nachdem dieser ihm sein Auge genommen hat! War es so oder hat er ihn nur schwer verletzt? Er kommt nicht drauf, doch eigentlich ist es auch völlig egal. Er muss hier raus und seine Familie finden, bevor die Foot ihnen etwas antun können! Vorsichtig sieht er sich um und entdeckt einen kleinen Eimer neben der Toilette. Langsam bückt sich der Rothaarige, zieht ihn zu sich heran und nimmt den Schwingdeckel ab. Anschließend lässt er Wasser ins Becken laufen und spült den Großteil des Blutes und seines Erbrochenem weg. Dann greift er sich den alten Verband, drückt ihn etwas aus und wirft ihn in den Eimer. Das war gar nicht so schwer, mal abgesehen von den Schmerzen, die in seinem Kopf wüten. Raphael greift sich die Jodflasche und einen Tupfer. Die braune Flüssigkeit tränkt die leichte Watte und färbt auch seine Finger etwas ein. Doch das ist egal. Tief atmet er ein und aus und beißt dann fest die Zähne zusammen, während er mit dem Jod über die Wunde auf seiner Stirn reibt. Ein scharfes Brennen breitet sich in der Wunde aus und nur schwerlich gelingt es dem temperamentvollen Ninja einen Schrei zu unterdrücken. Aber wenn das schon so sehr wehtut, will er sich gar nicht vorstellen, wie sehr es schmerzen wird, wenn er damit in sein Auge kommt. Mit zitternden Fingern wirft er den gebrauchten Tupfer in den Eimer und greift sich einen neuen. Ohne lange zu fackeln oder zu reiben, drückt er den nassen Tupfer einfach in seine Augenhöhle. Im ersten Moment scheint es gar nicht wehzutun, doch dann jagt das Job seine überforderten Nervenbahnen entlang und holt ihn von den Füßen. Hilflos sinkt er vor dem Waschbecken auf die Knie und gibt einen erstickten, langgezogenen Schrei von sich. Der Schmerz ist so heftig und unaufhörlich, als würde ihm jemand ein heißes Messer in den Schädel rammen. Sein Herz krampft sich zusammen und ihm bleibt regelrecht die Luft weg. Verzweifelt und von Panik umarmt, versucht er einzuatmen. Doch erst beim dritten Versuch gelingt es Raphael etwas Sauerstoff in seine Lungen zu bekommen. Nach zwei Minuten, die ihm wie die endloseste Ewigkeit vorkommen, die man sich nur vorstellen kann, ebbt der Schmerz langsam ab und hinterlässt ein dumpfes, heißes Pochen in seinem Schädel. Japsend wie ein Fisch auf dem Trocknen hockt er noch ein paar Augenblicke auf dem Boden und sammelt sich. „Oh, Gott…“, wimmert er erschöpft und versucht auf die Beine zu kommen. Die Knie des Saikämpfers sind jedoch so weich und zittrig, dass er sich am Waschbecken festklammern muss, um überhaupt hochzukommen. Ganz hinten in seinem Kopf erscheint ein Bild von Bambi, der versucht auf dem glatten Eis des zugefrorenen Sees zu stehen. Aber im Gegensatz zu dem kleinen Kerlchen hat er immerhin Hände, um sich hochzuziehen, doch sein Anblick ist wahrscheinlich genauso armselig wie der des Kitzes. „Das elende Blechgesicht wird dafür mächtig bezahlen!“, schnauft er seinem Spiegelbild zu, als er endlich wieder auf den Beinen steht. Allerdings drängt sich ihm immer deutlicher der Gedanke auf, dass Shredder für all das schon den höchsten Preis bezahlt hat. Also hat er ihn wohl doch getötet! Diese Tatsache beantwortet aber immer noch nicht die Frage nach dem Aufenthaltsort seiner Brüder und seines Meister und was in aller Welt er hier macht und am Wichtigsten: wo er hier überhaupt ist. Der Rothaarige grübelt angestrengt nach, versucht sich den Kampf mit dem Tyrannen wieder ins Gedächtnis zu rufen, während er vorsichtig den blutgetränkten Tupfer aus der leeren Augenhöhle zieht. Die Blutung scheint nachgelassen zu haben und das Jod hat wohl auch die blanken Nervenenden betäubt, sodass er auch wieder einen klaren Gedanken fassen kann. Während Raph einen frischen Tupfer mit Jod tränkt, sieht er vor seinem geistigen Auge den Kampf ablaufen. Doch nicht von Anfang an. Er sieht zuerst nur, wie Shredder ihm sein Auge nimmt. Dann jedoch rappelt sich Raph auf und erledigt den Rüstungsträger. Ein triumphierendes Lächeln legt sich auf seine Züge, als er sich den frischen Tupfer erneut in die leere Augenhöhle drückt. Der Schmerz bleibt aus, nur ein leichtes Brennen tief hinten erfasst ihn und so kann er sich noch ein bisschen länger über seinen Sieg freuen. Doch was ist mit seiner Familie? Immerhin sind sie alle gemeinsam aufs Schlachtfeld gegangen. Nachdenklich beendet er die Reinigung seiner Wunden und faltet eine Kompresse zusammen. Langsam drückt er sie auf die blicklose Höhle und setzt eine zweite darüber. Allmehlig erinnert er sich an den Beginn des Kampfes. Er sieht die Foot-Ninja gegen die sie angetreten sind. Und da ist auch dieser Wurm Baxter, der an seiner merkwürdigen Maschine herum werkelt. Fest bindet sich Raphael den Verband um den Kopf. Was konnte diese blöde Kanone eigentlich, die Stockman da angeschleppt hat? Als der temperamentvolle Ninja die beiden Enden des Verbands miteinander verknotet, fällt es ihm plötzlich wieder ein. Es war eine Strahlenkanone, mit der er auf seine Brüder geschossen hat! Wie angewurzelt steht er vor dem Spiegel, mit offenem Mund, leichenblass und einem schreckgeweiteten Auge. Allerdings sieht er im Spiegel nicht sein eigenes, entstelltes Gesicht, sondern seine Familie. Er sieht wie Baxters Kanone auf sie feuert und sie einer nach dem anderen in den wilden Fluten des East River versinken! Er bleibt als einziger zurück und tötet Shredder, nachdem die Kanone in die Luft geflogen ist und die Foot die Flucht ergriffen haben. Er ist allein, vollkommen allein! „Nein…“, haucht er leise und voller Zorn. „NEIN, das kann nicht wahr sein!“, entkommt es ihm ungehalten und er schlägt mit den Fäusten auf den Spiegel ein. Nach ein paar Schlägen berstet das Glas und die Splitter klirren ins Waschbecken, doch Raphael macht einfach weiter, schlägt auf die Tür des Schränkchens dahinter ein. „NEIN – NEIN – NEIN!“, schreit er immer wieder gequält. „Sie dürfen nicht tot sein! Das dürfen sie einfach nicht!“ Doch seine Erinnerungen drängen sich immer stärker in den Vordergrund, sodass er sie nicht mehr leugnen kann. Verzweifelt bricht er in Tränen aus, schluchzt laut in den leeren Raum hinein, während unbändige Wut von ihm Besitz ergreift. „NEIN, das glaub ich einfach nicht!“, schreit er ungehalten und reißt den Schrank von der Wand runter. „LEO, du verfluchtes, angeberisches Arschloch! Warum hast du nicht bis zum Umfallen gekämpft, so wie sonst immer?“, schnaubt er, während er das Schränkchen gegen die gläserne Dusche schleudert. Krachend zerspringt das dicke Glas und regnet herunter. Der kleine Holzschrank zerplatzt in seine Einzelteile und verstreut seinen Inhalt über die Scherben. Doch damit ist es nicht getan. Er ignoriert jeden Schmerz, der sich durch seine Wut in seinem Körper aufbaut und trampelt ins Schlafzimmer zurück. „Donnie, du allwissender Vollidiot! Warum hattest du keine deiner abgefuckten Ideen, die außer dir eh kein Schwein versteht?“ Mit diesen Worten fegt er die Lampe vom Schreibtisch. Ihre Birne zerspringt mit einem hellen Ton auf dem harten Boden. Dann greift er unter die Tischplatte und wirft den ganzen Schreibtisch um. Er merkt gar nicht wie schwer er wirklich ist und das seine Muskeln überanstrengt darunter ächzen. Mit lautem Krachen landet der schwere Holzklotz auf der blankpolierten Platte und lässt den Boden leicht unter dem Aufprall erbeben. Tränenüberströmt und wutschnaubend wendet er sich dem Bett zu. „Splinter, du verlogene Ratte! Du schimpfst dich einen Großmeister und wirst nicht mal mit so einer Scheißkanone fertig?“ Während er dies sagt, zerrt er das Bettzeug zu Boden und wirft die Matratze gegen die nächste Wand. Dann packt er eines der Beine, hebt das Bett am Fußende hoch und schleudert es gegen den umgestürzten Tisch. Beim Aufprall bricht das Kopfende entzwei und der Lattenrost fällt polternd zu Boden. Angestrengt holt er Luft, doch seine Wut ist noch längst nicht verbraucht, auch wenn sein überlasteter Körper in jedem Muskel zittert. Schnaufend dreht er sich um. „Mikey, du treuloses Miststück! Wie kannst du es nur wagen, mich allein zu lassen?“ Seine Hände zwängen sich zwischen den Kleiderschrank und die Wand dahinter und ziehen. „Ich habe dich geliebt, verdammt noch mal! Wirklich geliebt!“ Mit einem gewaltigen Krachen und einem metallischen Poltern im Innern kippt der Kleiderschrank und schlägt auf den harten Steinboden. Nun endlich verlassen ihn die Kräfte und er ergibt sich seiner Traurigkeit. Raphael lässt sich neben dem Schrank auf die Knie fallen, drückt sein feuchtes Gesicht an die Rückwand und weint bitterlich. „Mikey, ich hab dich so geliebt! – Warum verlässt du mich einfach? – Warum lasst ihr mich allein zurück? – Wir sind doch eine Familie…“ Seine Worte verlieren sich immer mehr in seinen Tränen und die Gewissheit, dass er nun vollkommen allein auf der Welt ist, zieht ihn immer tiefer in einen endlosen Abgrund hinein. Seine Wut ist weg, doch die Verzweiflung nimmt ihren Platz sehr schnell ein. Als sie noch eine Familie waren, hat er sich mehr als alles andere gewünscht, mal ein wenig allein für sich zu sein, frei von seinen nervigen Brüdern und den strengen Worten seines Meisters. Doch jetzt, wo er wirklich allein ist und keiner von ihnen jemals wieder zu ihm zurückkommen wird, wünscht er sich, er hätte niemals eine Sekunde ohne seine Familie verbracht. Keiner ist ihm mehr geblieben und erst jetzt wird ihm wirklich bewusst, wie sehr er sie alle geliebt hat. Ganz besonders Mikey, den er mehr liebte als alles andere auf der Welt und dem er dies doch nie sagen konnte. Er weiß, dass solche Gefühle für seinen eigenen Bruder falsch sind und dennoch kann er nichts dagegen tun – er wollte es auch nie. Warum nur musste Leo ihm dazwischen funken und seine nächtlichen Annährungen unterbrechen? Wäre der Blaue in seinem Zimmer geblieben, dann hätte Raph Mikey vielleicht sagen können, was er empfindet oder zumindest die Gewissheit bekommen, dass der Kleinere ihn für sein abartiges Verhalten verachtet. Doch jetzt ist alles zu spät und er wird bis in alle Ewigkeit mit seinen Gefühlen allein bleiben. Langsam dämmert ihm die letzte Erkenntnis. Er ist der letzte Überlebende des stolzen Hamato-Clans und gleichzeitig ist er der neue Führer des Foot-Clans! Schwerfällig hebt er seinen Kopf und blickt Richtung Tür. Vor lauter Tränen und Überanstrengung sieht sein eines, verbliebenes Auge fast nichts mehr. Zudem sind die beiden einzigen Lampen im Raum kaputt und nur schwaches Licht dringt aus dem Badezimmer herüber. Dennoch ist er sich seiner Lage vollends bewusst. Er hat vielleicht seine ganze Familie verloren, doch Shredder ist tot. Der Foot-Clan gehört jetzt ihm. Die Stadt ist vernichtet, die Welt liegt in Trümmern. Doch als Führer ist er jetzt der Herrscher über alles, was noch existiert und er kann etwas Gutes daraus machen! Der Terror hat ein Ende und er kann alles wieder aufbauen und die Welt zu einem Platz des Friedens und der Harmonie machen und so seiner Familie gedenken. Ihren letzten Wunsch einer vereinten, friedlichen Welt erfüllen und sie so unvergessen machen! Und vielleicht kann er eines Tages den Hamato-Clan wieder zum Leben erwecken und eine neue Familie gründen, eigene Ninjas ausbilden, Kinder haben und in weit entfernter Zukunft wieder so etwas wie Glück und Frieden für sich selbst empfinden. Genau das ist es! Wenn er hier sitzt und heult, bringt es seine Brüder und seinen Meister auch nicht zurück. Doch wenn er sich eine Aufgabe stellt, sich ein Ziel setzt, wird er schon irgendwie damit fertig. Entschlossen ballt er die Hände zu Fäusten und steht dann leicht zitternd auf. Mit festen Schritten nähert er sich der Stahltür und umfasst die kalte Klinke. Diese metallische Kälte macht ihm nun wirklich klar, dass alles endgültig ist und er lernen muss, auf eigenen Beinen zu stehen, immerhin ist er alt genug dafür. Raphael atmet ein paar Mal tief durch, wischt sich die letzten Tränen aus dem Gesicht und öffnet langsam die Tür ins Unbekannte. Dahinter erstreckt sich ein langer Korridor. Er wird auf beiden Seiten von Fackel erhellt. Niemand ist zu sehen und es ist völlig still, was ihn doch etwas überrascht, wo er doch eben solch einen Krach gemacht hat. Entweder sind die Foot ausgeflogen, verstecken sich oder er ist wirklich allein hier. Im Moment ist es ihm jedoch vollkommen egal wo seine neuerworbenen Untergebenen sich rumtreiben, er hat etwas anderes zu tun und dafür braucht er sie nicht. Und eigentlich will er sie auch gar nicht so bald sehen, sonst würde er wohl jedem einzelnen an die Gurgel springen. Raph mag zwar jetzt ihr Meister sein, doch das heißt ja nicht, dass er ihnen auch vertrauen muss. Wenn er sich in seinem neuen Leben erst einmal zurechtfindet, wird er sie eh alle umbringen, damit sie ihm nicht doch irgendwann in den Rücken fallen. Bis es allerdings so weit ist, werden sie sich vielleicht sogar als nützlich erweisen. Nach dieser kurzen Überlegung tritt er vorsichtig in den Korridor und geht nach rechts. Links ist schon nach wenigen Metern Schluss und so braucht er es in dieser Richtung nicht zu versuchen. Rechts jedoch scheint der Flur ziemlich lang zu sein. Der Saikämpfer kommt an einigen Türen vorbei, die alle aus Stahl zu bestehen scheinen. Sie sind sorgfältig beschriftet. Laut dieser Beschriftungen befinden sich dahinter verschiedene Lager – und Vorratsräume. Das Zimmer, in dem er aufgewacht ist, war Shredders Privatraum und außer diesem scheint es hier keine weiteren Schlaf- oder Aufenthaltsräume zu geben. Der Rothaarige schlussfolgert daraus, dass es hier wohl mehrere Etagen gibt. Am Ende des Korridors befindet sich eine Stahltür mit der Aufschrift ‚Ausgang‘. Unsicher blickt sich der Rote noch einmal um, ehe er die Klinke niederdrückt. Die Tür ist nicht verschlossen, was ihm schon mal etwas Hoffnung macht, einen Weg hier raus zu finden. Hinter der Tür befindet sich auf der linken Seite eine Treppe, die nach oben führt und vor ihm ist noch eine Tür auf der ‚Ausgang Tunnel 1‘ steht. Verwundert legt Raphael die Stirn in Falten. „Was soll denn das heißen?“ Da aber niemand da ist, der seine Frage beantworten könnte, zuckt er nur mit den Schultern und öffnet die Tür. Dahinter erstreckt sich tatsächlich ein Tunnel, doch er ist stockdunkel und verbreitet einen muffigen, fast feuchten Geruch wie ein übergroßes Wasserrohr. Raph rümpft einen Moment die Nase und ist sich nicht ganz sicher wie er sich in dieser Finsternis zurechtfinden soll, geschweige denn einen Ausgang. Zweifel huschen über sein Gesicht, dennoch macht er unsicher zwei Schritte in den Tunnel. Plötzlich vernimmt er ein leises Klicken, zuckt zusammen, reißt seine Sais aus dem Gürtel und springt kampfbereit zurück. Doch das, was er für einen Angreifer gehalten hat, entpuppt sich als simpler Bewegungsmelder, der nun milchiges Licht in dem Tunnel entzündet. Große Kugellampen reihen sich an der Decke des Tunnels auf und sind mit armdicken Kabeln miteinander verbunden. Das Licht reicht etwa dreißig Lampen weit, die einen Abstand von ungefähr fünf Metern zueinander haben. Dahinter ist es wieder stockdunkel. Raphael vermutet aber, dass es dort einen weiteren Bewegungsmelder gibt, der dann weitere Lampen einschalten wird. Langsam entspannt sich der junge Ninja wieder und steckt seine Sais zurück in den Gürtel. Licht war immer etwas völlig Selbstverständliches und doch existiert es in dieser Welt schon seit über einem Jahr nicht mehr. Damals wurde das Gebäude der Netzgesellschaft zerstört und hat die Stadt in Dunkelheit gehüllt. Leute, die den Strom am Laufen halten, gab es schon lange nicht mehr. Als der Krieg vor zwei Jahren ausbrach sind die Meisten geflohen. Da das Gebäude aber fast völlig automatisiert war, liefen die Generatoren weiter. Ab und an kam es zu Schwankungen oder Ausfällen wenn sich eine der Maschinen überhitzt und abgeschaltet hat, aber das war nicht weiter schlimm. Dann ist das Gebäude von einer Explosion zerrissen worden und alles war von da an dunkel. Über Nacht hat Donnie damals einen Notstromgenerator entworfen, der mit Solarenergie betrieben wird, sodass die Hamatos wenigstens Licht und Heizung hatten. Dadurch hat der Rothaarige gar nicht so wirklich realisiert, dass es eigentlich keinen Strom mehr gibt. Und daher kam es ihm auch nicht komisch vor, dass es welchen in dem Zimmer gab, in dem er aufgewacht ist. Die Fackeln auf dem Gang haben ihn jedoch stutzig gemacht. An der Decke hängen Lampen, dennoch macht sich jemand die Mühe Fackeln und Öllampen aufzuhängen. Hier im Tunnel gibt es jedoch Licht und das sogar mit Bewegungsmelder. Wo auch immer er sich hier befindet, es muss eine Anbindung zu einer Stromquelle geben. Vielleicht haben sie hier auch einen Solargenerator und benutzen ihn aber nur für einige, wichtige Bereiche, um ihn nicht zu überlasten? Doch eigentlich ist es Raphael einerlei, er will nur hier raus. Mit einem leicht mulmigen Gefühl im Magen betritt er schließlich den Tunnel und schließt hinter sich die Tür. Er lauscht, kann jedoch kein Geräusch hören. Nur das leise Summen der Lampen stört die vollkommene Stille. Nach wenigen hundert Metern entdeckt er auf seiner rechten Seite eine Tür mit der Aufschrift ‚Tunnel 2‘. Verwundert betrachtet er sie eine ganze Weile, entscheidet sich dann jedoch dagegen. Er hat keine Lust sich hier unten auch noch zu verlaufen. Daher folgt er einfach weiter dem Tunnel und erblickt nach wenigen Schritten Gleise, die dem Tunnelverlauf folgen. Ein kleiner Puffer direkt vor ihm verhindert, dass die Draisine darauf einfach weiter rollen kann. Der Anblick dieses ältlichen Fortbewegungsmittels macht ihm entmutigend klar, dass der Tunnel doch wesentlich länger zu sein scheint, als er es sich vorgestellt hat. Doch wie lang ist er und wo zum Teufel führt er hin? Resignierend seufzt der rote Ninja auf und krabbelt auf die Plattform der Draisine. Als er den Handgriff umklammert, durchströmt ihn jedoch wieder das intensive Gefühl seine Aufgabe zu erfüllen, ganz egal wie lang der Weg dorthin auch werden mag. Er ist es seiner Familie schuldig und danach wird er sich sicher auch besser fühlen. Also setzt er das kleine Schienenfahrzeug in Bewegung und gleitet erstaunlich leicht und leise über die blankpolierten Schienen. Der Tunnel scheint sehr oft benutzt zu werden, auch wenn Raph hier noch keiner Menschenseele begegnet ist. Vor ihm erstreckt sich immer wieder ein Stück Dunkelheit, doch wenn er näher heran fährt, registrieren die Bewegungsmelder seine Position und schalten das Licht vor ihm ein. Inzwischen merkt er auch, dass sie das Licht hinter ihm auch wieder ausschalten, sobald er in einem neuen Bereich eingefahren ist. Äußerst sparsam. Die Fahrt auf dieser Strecke, mit ihrer unbekannten Länge und ihrem unbekannten Ziel, erscheint dem Saikämpfer unendlich lang. Zwar werden seine Arme vom Pumpen nicht sonderlich schnell müde und die Draisine bewegt sich mit einer Geschwindigkeit, die er nicht erwartet hat, dennoch wäre es gut zu wissen, wie lange es noch dauern wird. Auf seiner Fahrt kommt er zwar des Öfteren an irgendwelchen Pfeilen und Zahlen vorbei, doch weiß er nicht was sie bedeuten sollen. Diese Ungewissheit macht ihn ganz krank und er ist schon kurz davor aufzugeben und einfach umzukehren, als er vor sich einen Puffer erblickt. Langsam lässt er das Fahrzeug ausrollen und steigt ab. Ein letzter Bereich aus Licht flammt vor ihm auf und zeigt ihm eine Tür mit der Aufschrift ‚134ste Straße‘. Verwundert legt er wieder die Stirn in Falten. Soll das jetzt bedeuten, dass er sich an der 134sten Straße befindet? Sie liegt direkt am East River und dort gibt es nicht viel, außer einem stillgelegten U-Bahntunnel, der nie fertig gestellt wurde. Doch wenn er jetzt in Port Morris ist, wo kam er denn dann her? Er denkt nach, was sich für Ortschaften in der Nähe von Port Morris befinden. Mott Haven, Hunts Point, South Bronx, Woodstock oder Morrissania? Vielleicht ist er auch unter dem Harlem River langgefahren? Dann könnte er sich wohlmöglich irgendwo in Harlem befunden haben? Ihm schwirrt der Kopf wenn er nur daran denkt. Aber es ist egal. Scheiß auf die Foot-Ninja und ihr seltsames Versteck. Er hat hinaus gefunden und wird nicht wieder zurückgehen! Er sucht sich irgendwo einen anderen Unterschlupf und macht das Beste draus. Wenn sie ihn als ihren Führer wiederhaben wollen, dann müssen sie ihn halt suchen und zurückschleppen! Entschlossen öffnet er die Tür und findet sich wenig später tatsächlich in dem verlassen U-Bahntunnel wieder. Er steht mitten in der Wartehalle, durch die noch nie ein Zug gefahren ist und es wohl auch nie tun wird. Spärliches Licht dringt durch den zu gewucherten Zugang nach unten. Da sich niemand um den Tunnel gekümmert hat, der schon seit beinahe zwanzig Jahren brachliegt, hat sich halt die Vegetation darum gekümmert und alles überwachsen. Etwas schwerlich gelingt es Raphael sich einen Weg durch die Büsche zu bahnen und an die Oberfläche zu gelangen. Er befindet sich tatsächlich an der 134sten Straße. Um ihn herum liegt alles in Trümmern und einzelne Feuer brennen gemächlich vor sich hin. Die Sonne steht hoch am Himmel und scheint warm auf ihn hernieder. Er schätzt, dass es etwa Mittag sein muss. Wehmütig sieht er sich um und dann fällt ihm wieder ein, wo er mit seiner Familie gegen Shredder gekämpft hat: im Barretto Point Park! Und das ist gar nicht mal so weit weg von hier. Dunkel kann er sich auch erinnern, dass sie den Shellraiser an der Oak Point Avenue geparkt haben und das letzte Stück zum Park zu Fuß gegangen sind. Wenn er Glück hat, steht der Wagen noch an derselben Stelle und er kann endlich nach Hause fahren. Beschwingt von diesem Gedanken macht er sich auf den Weg und es dauert auch gar nicht so lange da erhebt sich die imposante Gestalt des aufgemotzten Vans vor ihm. „Ein Glück!“, flötet er begeistert und rennt darauf zu. Prüfend umrundet er den Wagen, doch er scheint vollkommen in Ordnung zu sein. Als er die Fahrertür öffnet und in den Innerraum blickt, wird er fast von seinen Gefühlen erschlagen, die der Anblick in ihm auslöst. Er hat so viele Stunden hier drinnen mit seinen Brüdern verbracht. Sie sind so oft damit durch die Nacht gestreift und haben Gangster in die Schranken gewiesen, so viele Abenteuer erlebt und das alles ist nun für immer vorbei. Überwältigt von alledem lässt er sich hinter das Lenkrad fallen und bricht hemmungslos in Tränen aus. Der Rest seines rechten Auges macht ihm dabei schmerzhaft klar, dass er lieber nicht so heftig weinen sollte, doch er ignoriert das brutale Pochen in seinem Kopf und ergibt sich seinen Gefühlen. Er hat sein Leben lang seine Emotionen versteckt und sie nur freigelassen, wenn keiner es sehen konnte, weil er sich geschämt hat und dachte, dass man ihn sonst für schwach halten könnte. Doch jetzt ist ihm das völlig egal. Selbst wenn Shredder ihn jetzt so sehen würde, wäre es ihm egal. Er kann nichts dagegen tun. Nach ein paar Augenblicken wird das Pochen in seinem Kopf jedoch so unerträglich, dass er es nicht mehr ignorieren kann und so versucht er sich langsam wieder unter Kontrolle zu bekommen. Schniefend umklammert er das Lenkrad und setzt den Shellraiser in Bewegung. Sein Weg führt ihn durch eine zerstörte Stadt, die einst ihm und seinen Brüdern gehört hat. Sie waren die geheimen Wächter der Nacht, die Rächer in Grün, doch das ist lange her. Jetzt gibt es nichts mehr, dass er beschützen könnte. Keine Stadt, keine Menschen und keine Familie. Deprimiert fährt er durch die verwüsteten Straßen, vorbei an den Überresten der Gebäude und ihrer brennenden Gärten. Irgendwann erreicht er schließlich die Straße, in der er einst aufgewachsen ist und wo er so viel gelernt hat. Doch es ist nicht mehr dasselbe. Als sie in den Kampf gezogen sind, stand das Dojo noch fast unbeschädigt da, nun ist es nur noch ein Trümmerhaufen unter vielen. Das Dach ist eingestürzt und hat die vordere Hauswand umgerissen. Der Großteil des hinteren Rasens steht in Flammen und es wird nicht mehr lange dauern, bis das Feuer auch das Dojo erreicht hat. Mit großen, feuchten Augen steht Raphael in der Einfahrt und betrachtet die Reste seiner Vergangenheit. Er kann es nicht glauben und dennoch ist es wahr. Erneut den Tränen nahe schleicht er sich zur Haustür. Durch den Einsturz des Daches hängt sie nur noch an der unteren Angel schief in dem Durchgang. Mit etwas Mühe gelingt es dem Saikämpfer sie zu öffnen. Vorsichtig und gebückt betritt er sein einstiges Zuhause. Das Dach ist in einem Stück zur Seite auf die Wohnzimmerwand gerutscht und hat somit einen Hohlraum gelassen. Der Anblick erinnert ihn an einen alten Dachboden mit der Dachschräge auf der einen Seite. Das Licht funktioniert nicht mehr, sämtliche Leitungen sind durch den Einsturz zerrissen worden. Inzwischen hat sich auch die Sonne hinter dicken Wolken verzogen, auch wenn es noch immer entsetzlich warm ist. Somit ist es stockfinster hier drinnen. Vorsichtig bewegt sich Raphael zur Küche und holt aus einer Schublade eine Taschenlampe. Damit geht er zurück in die Reste des Wohnzimmers. Die große Couch ist übersät von Trümmern und an einigen Stellen ist der Stoff zerrissen. Als das Dach abgerutscht ist, hat es den Fernseher unter sich begraben. Von ihm ist nichts weiter als ein Haufen Scherben geblieben. Inmitten dieses Scherbenmeeres kann er die schlangenartigen Kabel der Spielekonsole erkennen, die darunter begraben ist. Wehmütig denkt er daran, wie schwer dieser Anblick doch Mikey treffen würde, gehörte das Fernsehen schauen und Zocken doch zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Er muss auch an Leo denken. Der große Anführer, wie er dort kindlich jeden Abend davor gehockt und sich die wohl tausendste Wiederholung von Space Heros auf DVD angeschaut hat. Das ist nun ebenfalls vorbei. Mit einem kleinen, nostalgischen Lächeln schüttelt der Rothaarige langsam den Kopf und wendet sich ab. Ihre Zimmer, sowie die Küche und das Bad scheinen noch intakt zu sein. Das Krankenzimmer ist jedoch völlig dahin. Mit schweren Schritten betritt er Splinters Zimmer. Ein seltsames Gefühl überkommt ihn dabei, war er doch vielleicht gerade mal ein oder zwei Mal in seinem Leben überhaupt hier drin. An fast allen Wänden hängen Bilder der Turtles, die er aus Zeitschriften ausgeschnitten und gerahmt hat. Aber es sind auch richtige Fotos dabei, die fast jede Lebenslage der Jungs aufzeigen. Durch die Erschütterung, als das Dach abgerutscht ist, sind viele Gläser der Bilder gesprungen oder die Bilder sind zu Boden gestürzt. Auch das Fenster ist zerplatzt und verteilt den Großteil seiner Scherben auf Splinter Futon. Raphael geht zum Fenster hinüber und öffnet es ganz. Von hier aus kann er zur Einfahrt blicken. Aus der Küche besorgt er sich alle Müllsäcke, die er finden kann und auch sämtliche anderen Beutel oder Kisten. Darin verstaut er alle Sache, die in Splinters Zimmer noch heil und brauchbar sind. Trotz der kaputten Rahmen nimmt er alle Bilder mit, sie sind die einzigen Erinnerungen, die ihm von seiner Familie geblieben sind und so wird er ihre Gesichter zumindest nicht vergessen, als noch alles in Ordnung und sie so glücklich waren. Als er in Splinters Zimmer fertig ist, befördert er die Säcke vorsichtig durch das Fenster und sammelt sie in der Einfahrt. Dasselbe macht er im Badezimmer, bei Leo, Donnie, Mikey, der Küche und in seinem eigenen Zimmer. Die Erschöpfung ergreift hartnäckig von ihm Besitz, doch er lässt sich nicht hinreißen. Stattdessen macht er sich auf in den Keller. Hier ist kaum Schaden festzustellen. Also sammelt er alles ein was er finden kann. In Donnies Labor überkommt ihn wieder tiefe Traurigkeit. Sie haben so viel miteinander geteilt und durchgemacht, er kann einfach nicht begreifen, wie das alles nun zu Ende sein soll. Schwer lässt er sich auf das zerschlissene Sofa fallen und ergibt sich erneut seiner Trauer. Der Geruch, der von den Polstern ausgeht, raubt ihm fast den Verstand. Er kann sie alle darin riechen und jede Erinnerung, alles was er mit ihnen je erlebt hat, kommt in ihm hoch und er stürzt in ein tiefes, schwarzes Loch. Raphael verliert sich vollkommen darin und alles, was er die letzten Stunden zusammengesammelt hat, erscheint ihm jetzt so sinnlos. Für wen hat er das alles eigentlich gemacht? Für sich? Ist ja immerhin sonst niemand mehr da, der sich darüber freuen würde! Sie sind alle weg und werden niemals mehr zurückkommen! Er ist allein und alles ist einfach nur noch sinnlos. Er will nicht allein sein. Will nicht in einer zerstörten Welt leben müssen, ohne seine Brüder und seinen Meister. Und er will schon gar nicht der Führer dieser gottverdammten Foot-Ninja sein, die an alledem Schuld sind. Was sollte er auch mit ihnen anfangen? Darauf warten, dass sie irgendwann die Nase voll von ihm haben und ihn dann umbringen? Was sollte er ihnen schon für Befehle erteilen? Es gibt nichts mehr, dass sie tun könnten! Und wozu die Welt wieder aufbauen wollen, wenn niemand mehr da ist, mit dem er auf ihr leben wollen würde. Ungehalten klammert er sich an ein Kissen und weint laut und zügellos hinein. Alles ist sinnlos. Alles ist verloren. Wie konnte er nur denken, dass er das irgendwie überstehen könnte? Nein, das kann er nicht, er will es nicht. Die einzige Möglichkeit für ihn, wieder glücklich zu werden, ist es bei seiner Familie zu sein und es gibt nur einen Weg, um zu ihnen zu kommen. Schwerfällig rollt er sich auf den Rücken. Vor lauter Tränen kann er kaum etwas sehen und er hat das Gefühl, dass sein verlorenes Auge wieder zu bluten begonnen hat. Wie ein Ertrinkender umklammert er das Kissen und zieht sein Sai aus dem Gürtel. Er kann es schwach im Schein der Taschenlampe glänzen sehen, die auf Donnies Werkbank steht. Langsam führt er es zu seinen Lippen und küsst die mittlere Zinke zärtlich. Der kühle Stahl hat etwas Endgültiges und doch Beruhigendes an sich. Es wird schnell gehen und dann kann er sie alle wiedersehen und endlich glücklich sein. „Ich komme zu euch…“, wimmert er verzweifelt und umfasst den Griff der Waffe fester. Er streckt die Hand aus und richtet die Gabel des Sais direkt auf seine Brust. Raphael schließt sein ihm verbliebenes Auge, Tränen quellen ungehalten hervor und dennoch umspielt ein seliges Lächeln seine Lippen. Dann lässt er die Waffe hernieder sausen, dass sie seinem tragischen Leben ein Ende setzen soll, ihn erlösen soll von all seinen Qualen. Doch Millimeter bevor der scharfgeschliffene Stahl sein gebrochenes Herz in Stücke reißen kann, umklammert jemand nachdrücklich seine Hand. Zuerst begreift der rote Ninja nicht was los ist. Doch als er sein Auge öffnet, erblickt er einen der Foot-Ninja direkt neben sich. Trotz der Tatsache, dass der vollkommen vermummt ist, wirkt sein Gesicht schrecklich ernst. Ehe es Raphael gelingt zu protestieren, windet der Foot-Ninja ihm das Sai aus den schwachen Fingern und schiebt es zurück in Raph´s Gürtel. Erzürnt und irritiert blickt der Rothaarige ihn an. „Was soll der Scheiß?“, faucht er den schwarzen Ninja an. „Nur weil Sie sich umbringen, werden Sie Ihre Familie auch nicht wiedersehen, Meister…“, kommt es völlig ruhig von dem Mann. Perplex starrt der Saikämpfer ihn an. Dann schlägt er das Auge nieder und blickt auf seinen Schoß hinunter. „Du hast recht…“, murmelt er leise. Ja, es würde ihn vielleicht wirklich nicht mit seiner Familie zusammenbringen, wenn er sich jetzt umbringen würde. Außerdem ist es unehrenhaft Selbstmord zu begehen. Würde er im Jenseits auf Leo und Splinter treffen, dürfte er sich das wahrscheinlich für den Rest der Ewigkeit anhören. Langsam rappelt sich der temperamentvolle Junge auf, wischt sich die Tränen fort und fixiert das Ziel, das er sich gesetzt hat. Er hat eine Aufgabe und er wird sie so gut wie irgend möglich erfüllen. Raphael ballt die Fäuste und blickt den Foot-Ninja ernst an. Im Dojo sind noch ein gutes Dutzend mehr von ihnen. Er kann sie spüren, wenn er sie auch nicht alle sehen kann. „Ihr habt mich gefunden und wollt mich sicher wieder zurückbringen, stimmt´s?“, fragt er den Foot vor sich. Dieser weicht ein Stück unter der strengen Stimme seines neuen Meisters zurück. „Nur wenn Ihr auch mitkommen wollt. Ihr seid zwar unser Führer, doch Ihr könnt natürlich hingehen wo immer Ihr wollt…“, versichert ihm der Mann in Schwarz, dennoch kann Raph in seiner Stimme hören, dass die Foot ihn lieber wieder in ihrem Hauptquartier haben wollen. Einen Moment mustert Raph den Mann vor sich noch strenger, dann entspannen sich seine Züge wieder etwas. Sein verlorenes Auge beginnt wieder dumpf zu pochen und macht ihm klar, dass das hier alles zu viel für ihn war. Er verzieht das Gesicht und legt seine Hand vorsichtig auf den Verband, als könnte er damit die Schmerzen vertreiben. Der Foot-Ninja beobachtet ihn dabei genau. „Ihr habt sicher Schmerzen, wir sollten zurückgehen und den Verband wechseln, Meister…“, setzt er etwas zögernd an. Dessen ist sich der Saikämpfer aber auch selbst bewusst. Es macht ihn ganz verrückt, von diesen Typen Meister genannt zu werden, wo er doch selbst noch Schüler ist. Ob er es will oder nicht, er wird sich daran gewöhnen müssen. „Ja, wir gehen zurück, schon klar. Aber vorher hab ich noch eine Aufgabe für euch.“ So etwas wie Erwartung scheint sich in dem vermummten Gesicht des Foot auszubreiten und er verbeugt sich kurz vor dem Roten und wartet dann auf seine Anweisungen. „In der Einfahrt stehen jede Menge Säcke mit den Dingen, die mir noch geblieben sind. Ich will, dass ihr sie in den Van ladet. Aber seid ja vorsichtig, sonst Gnade euch Gott! – Den Van kriegen wir doch sicher auch irgendwie zum Versteck, oder?“ Der Mann in Schwarz überlegt kurz. „Ja, Meister. An dem U-Bahntunnel gibt es einen Versorgungsschacht mit einer Hebebühne, mit der die Arbeiter damals Werkzeug und dergleichen nach unten gebracht haben. Sie dürfte groß genug für den Wagen sein. Der Versorgungsschacht hat einen Zugang zu dem Tunnel, der hierher führt. – Nur fürchte ich, dass der Anhänger der Draisine den Wagen nicht aushält…“ Ein kleines Lächeln umspielt Raphaels Lippen. „Das ist nicht schlimm. Der Van hat eine zusätzliche Achse, mit der man auf Schienen fahren kann, also brauchen wir die Draisine nicht.“ Verstehend nickt der Foot-Ninja, verbeugt sich noch einmal und verschwindet dann, um den anderen den Befehl weiterzuleiten. Schon kurz darauf nimmt der Rothaarige einige Schatten wahr, die durch die Einfahrt huschen und sich an den Säcken zu schaffen machen. Er hört wie die Wagentüren geöffnet werden. Dann wendet er sich ab und betrachtet ein letztes Mal das Labor. Ohne Donnie, der hier flink wie ein Wiesel durch die Gegend flitzt, irgendwelche Chemikalien zusammenmischt oder auf seinem Laptop herumhackt, wirkt es schrecklich leer und verloren. Er sieht noch einmal nach, ob er auch nichts Wichtiges vergessen hat, auch wenn er beim besten Willen nicht weiß, was er mit Donnies Kram anfangen soll. Doch selbst wenn es Jahrzehnte in einem Regal verstaubt, genügt ihm allein der Anblick, um sich die schöne, wenn auch viel zu kurze Zeit mit seiner Familie ins Gedächtnis zu rufen. Verloren starrt er schließlich das Kissen an, in dem er sich ausgeweint hat und das so stark nach Erinnerungen riecht, dass ihm fast der Kopf platzt. Gedankenverloren nimmt er es in die Arme und brückt es an sich. Dann geht er langsam zum Garagentor, in dem gerade der Kopf eines Foot auftaucht, um ihm zu sagen, dass sie fertig mit Beladen sind. Raphael gibt ihm zu verstehen, dass sie ihm noch einen Moment geben sollen und der schwarze Ninja verschwindet wieder. Als der Saikämpfer am Garagentor ankommt, nimmt er einen Kanister Benzin zur Hand, der dort immer für den Van steht. Dem Gewicht nach ist er fast voll und das ist völlig ausreichend. Der Rothaarige trägt ihn zur Couch hinüber und presst dabei das Kissen mit der anderen Hand immer noch zwanghaft gegen seine Brust. Dann verschüttet er das Benzin über dem Sofa und zieht eine Spur bis hinüber zur Werkbank. Das Feuer, das auf dem hinteren Rasen wütet hat inzwischen das Dojo erreicht und leckt gierig an allem, was noch übrig ist. Bald wird nichts mehr von der einst so berühmten Kampfsportschule übrig sein – ein weiterer namenloser Trümmerhaufen in einer verfallenen Stadt. Mit einem schweren Seufzen greift Raph nach einem Feuerzeug auf der Werkbank und wirft die kleine Flamme dann in die Lache aus Benzin. Mit einem leisen Ploppen entzündet sich der Treibstoff und das Feuer rast zur Couch hinüber. Bald wird der ganze Keller in Flammen stehen, daher verschwindet Raph schnell durch das Tor. Als er den Van erreicht, sitzen alle Foot-Ninja erwartungsvoll darin. Etwas stutzig lässt der Rote diesen Anblick auf sich wirken und presst das Kissen noch fester gegen seine Brust. Es gefällt ihm überhaupt nicht zu sehen, wie die Foot im Shellraiser sitzen, es ist so schrecklich falsch. Aufgebracht reißt Raphael die Fahrertür auf und schubst den Foot, der hinter dem Steuer sitzt, grob zur Seite. „Ich fahre!“, faucht er ihn dann auch noch an, ehe sich der Vermummte argwöhnisch nach hinten verzieht. Die Fahrt zur U-Bahnstation in der 134sten Straße verläuft schweigend, während das Kissen die ganze Zeit auf dem Schoß des Saikämpfers liegt. Schließlich steigen ein paar Foot aus, um die Hebebühne in Betrieb zu nehmen und Raph fällt etwas ein, was ihn schon die ganze Zeit beschäftigt. So wendet er sich an den Ninja auf dem Beifahrersitz. Er weiß nicht genau, ob es derselbe ist, mit dem er im Keller gesprochen hat, sie sehen ja alle gleich aus und er ist noch nicht lange genug mit ihnen zusammen, um sie an ihren Stimmlagen auseinander halten zu können. Doch so lang er eine Antwort bekommt, ist es egal. „Sag mal, wo befindet sich das Versteck eigentlich genau? Der Tunnel, durch den ich gegangen bin, war so schrecklich lang…“ Der Foot scheint einen Augenblick abzuwägen, ob es eine gute Idee ist, es ihm zu sagen oder nicht. Doch im Endeffekt würde Raphael es auch irgendwann ohne Hilfe herausfinden. Also hebt der Foot die Hand und deutet aufs Wasser hinaus. „Sehen Sie die beiden kleinen Inseln dort im East River? Der Tunnel, der Sie hergebracht hat, kam von der kleineren Insel. Sie heißt South Brother Island, die größere North Brother Island. Sie sind verlassen. Der alte Shredder hat auf South Brother Island einen Bunker errichten lassen, in dem Sie aufgewacht sind und in dem sich das Versteck befindet. Die andere Insel benutzen wir oft zum Trainieren. Von dort aus führt auch eine Röhre hierher zur U-Bahnstation in der Oak Point Avenue. Eine weitere Röhre verbindet die beiden Inseln miteinander.“ Stumm blickt Raphael auf die ungestüme See hinaus. Shredder war die ganze Zeit so nahe und dennoch haben sie nie herausgefunden wo er sich versteckt. Eine echte Schande. Dann ist die Hebebühne einsatzbereit und sie gleiten mit dem Shellraiser in den Tunnel hinab. Als der Van auf den Schienen steht, betätigt Raph einen Schalter und die Achse mit den Rädern fährt nach oben. Der Wagen setzt mit dem Unterboden einen Moment auf den Schienen auf, dann gleitet die zweite Achse herunter, an der die Räder eines alten Zuges montiert sind. Langsam erhebt sich der Van wieder und gleitet kurz darauf die Schienen entlang, als hätte er nie etwas anderes getan. Im Versteck angekommen, lässt Raph den Wagen auf den Schienen stehen, nimmt aber den Schlüssel mit. Die Foot weist er an, die Säcke in sein Zimmer zu bringen. Derweilen trollt sich der temperamentvollen Ninja mit dem Kissen fest in den Armen langsam den Flur entlang. Es dauert nicht lange, dann sind alle Säcke in seinem Zimmer verstaut und er schickt die Foot weg, um sich auszuruhen. Raphael staunt allerdings nicht schlecht, als er das Zimmer betritt, in dem er erwacht ist. Von dem Chaos, das er vor seinem Verschwinden angerichtet hat, ist nichts mehr zu sehen. Das Zimmer sieht genauso aus wie zuvor. Überrascht sieht sich der Rote um. Alles ist wieder an seinem Platz. Das Bett ist repariert und frisch gemacht, die Tischlampen ausgetauscht und der Schreibtisch auf Hochglanz poliert. Im Badezimmer ist ein ähnliches Wunder geschehen. Der kleine Medizinschrank hat einen neuen Spiegel und hängt wieder an der Wand über dem Waschbecken. Die Glasscheiben der Dusche sind ersetzt worden und tragen wieder ihr Foot-Symbol. Alles ist wieder ordentlich. Sie haben Raph sogar Sachen zum Waschen und Zähneputzen hingestellt und ein kleiner Schlüssel liegt auf dem Rand des Waschbeckens. Er versucht ihn an der Tür, an der ‚Privat‘ steht und er passt tatsächlich. Als er die Tür öffnet, findet er einen Raum vor, der fast so groß ist wie es sein eigenes Zimmer im Dojo war. An den Wänden gibt es einige Regale, doch sie sind alle leer, so wie der Rest des Raumes. Was auch immer hier vorher gelagert hat, ist nun weg, damit er seine eigenen Sachen darin verstauen kann. Doch das kann warten, die Säcke stehen ja hier im Zimmer. Jetzt ist es erst mal an der Zeit sich auszuruhen und zumindest ein wenig von dem Schmerz zu vergessen… New hope -------- Drei Monate später… Nach und nach findet sich Raphael mit der Tatsache ab, dass seine Brüder und sein Meister nicht mehr da sind. So wirklich glauben will oder kann er es zwar immer noch nicht, aber ihm bleibt nichts anderes übrig als sich die Ärmel hochzukrempeln und weiterzumachen. Noch vor ein paar Tagen jagte er die Foot-Ninja in die dunklen Fluten des East River hinunter, um nach Hinweisen zum Verbleib seiner Familie zu suchen. Unzählige Male war er auch selbst mit unten, da er den Foot noch immer misstraut. Doch sie sprachen die Wahrheit, es gibt rein gar nichts dort unten. Die Leichen seiner Familie haben sie bis jetzt nicht gefunden und Raph fürchtet, dass sie durch die starke und tückische Strömung, die in der Bucht herrscht, aufs offene Meer hinaus gesogen wurden und es damit wohl unmöglich sein dürfte jemals irgendwelche sterblichen Überreste zu finden, die er zu Grabe tragen könnte. Das Einzige, was sie dort unten gefunden haben, war eines von Leos Katana, das ihm beim Kampf ins Wasser geglitten war. Es hatte sich zwischen ein paar Steinen verkeilt und bei der Bergung ist die Spitze abgebrochen. Doch das macht nichts. Nun liegt es in Raphaels persönlichem Raum der Erinnerung auf einem dicken, blauen Samtkissen, wie so viele andere Dinge, die er aus dem Dojo geholt hat, auch. Oftmals sitzt er stundenlang in dem Raum und betrachtet diese Gegenstände. Doch sie spenden ihm keinen Trost. Nein, nicht so lange er nicht ihre Leichen begraben kann. Allerdings ist ihm mittlerweile klar, dass es dazu wohl niemals kommen wird und er hat die Suche nach ihnen schweren Herzens aufgegeben. Es gibt Wichtigeres zu tun, als etwas nachzujagen, das er doch nie finden wird. Dort draußen in der zerstörten Stadt leben noch unzählige Menschen, die sich nach Geborgenheit und Hoffnung sehnen, die nicht aufgegeben haben an die Freiheit und die Unerschütterlichkeit dieses einst so stolzen Landes zu glauben. Und genau diese Menschen will Raphael finden und mit ihnen die Welt wieder aufbauen. Sie zu einem schöneren und besseren Ort machen, als er es jemals war. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten soll neu erstrahlen und der Rest der Welt soll diesem Beispiel folgen. Einen Moment noch streicht der rote Ninja über das zerbrochene Schwert, dann ballt er entschlossen die Fäuste, verlässt den Raum und bereitet sich auf die Rede vor, die er vor den Foot halten will. Schwer hallen seine Schritte durch den langen Flur. Die Rüstung des Shredders lastet ungewohnt und erdrückend auf seinen Schultern. Eigentlich stimmt das gar nicht. Es ist nicht die Rüstung des alten Shredders. Raphael hat sie vor gut einem Monat einschmelzen lassen. Nun ist es wahrhaftig seine Rüstung, auf seinen Körper angepasst, auch wenn die Grundelemente dieselben sind. Unter der Rüstung trägt er noch immer die schwarzen Sachen, die er bei seiner Ankunft vorgefunden hat. Darüber erstreckt sich die metallische Panzerung. Im Gegensatz zu Shredders alter Rüstung wirkt die neue etwas klobiger. Sie gibt ihm fast das Aussehen eines Roboters oder Transformers. Das liegt unteranderem daran, dass Raph gut zehn Zentimeter kleiner, dafür aber auch muskulöser und schwerer ist, als Oroku Saki es einst war. Zudem ist die Rüstung nicht mehr schwarz sondern silbern. Für seinen persönlichen Tatsch trägt er den roten Schal nun auf der Rüstung um die Hüften und einen zweiten, der sich um seinen Hals schmiegt. Und noch immer klemmen seine Sais in dem Schal an seinen Hüften, obwohl er sie wegen der Krallenrüstung ganz sicher nicht braucht. Ohne sie fühlt er sich jedoch nackt und verwundbar. Außerdem würde er das letzte bisschen seines Selbst aufgeben wenn er sie einfach in die dunkle Kammer legen würde und das will er ganz und gar nicht. Er will sich seine Persönlichkeit bewahren, trotz der Tatsache, dass er nun aussieht wie Shredder, so angesprochen wird und versucht sich auch so zu benehmen, will er doch immer Raphael bleiben, wenn nicht für den Foot-Clan, dann wenigstens für sich selbst. Zudem kennen die Foot seinen wahren Namen eh nicht, wissen nur, dass er eines der Gören von Hamato Yoshi war und so soll es auch bleiben. Das bisschen Respekt, dass sie für ihren neuen Meister haben mögen, soll nicht durch so etwas zerstört werden. Außerdem werden sie so oder so alle bald ins Gras beißen, da möchte Raph ihnen keinen Grund geben, ihm zu vorzukommen und stattdessen ihn umzubringen. Raph ist sich ganz sicher, dass er unter den Überlebenden in dieser trostlosen Stadt ein paar geeignete Leute finden wird, denen er etwas Ninjutsu beibringen und zu Foot-Ninja ausbilden kann. Leute, denen er blind vertrauen kann und die ihm wirklichen Respekt und Dankbarkeit entgegen bringen. Am Ende des Flurs erreicht er die Stahltür mit den Worten ‚Ausgang Tunnel 1‘, die ihn vor nicht allzu langer Zeit hier heraus geführt hat. Diesmal interessiert ihn der endlose Tunnel jedoch nicht. Stattdessen wendet sich Raphael der Treppe zu, die ihn eine Ebene näher zur Oberfläche bringt. Der ganze Bunkerkomplex besteht aus drei Etagen. In der untersten Ebene hat Raph sein Zimmer und es gibt einige Lagerräume und den Tunnel, der zum Festland führt, sowie den Tunnel, der die beiden Inseln miteinander verbindet. Auf der mittleren Ebene gibt es eine behelfsmäßige Krankenstation, eine Küche mit Speisesaal und die Zimmer, in denen die Foot-Ninja schlafen. Zudem sind dort auch ein paar Zimmer, die unbenutzt sind, in denen es aber Schlafmöglichkeiten gibt – fast wie eine Art Gästezimmer. Außerdem befindet sich auf dieser Ebene Baxters Labor. Da jedoch niemand etwas mit dem Zeug darin anfangen kann, hat Raphael den Raum kurzerhand verschlossen und bewahrt den Schlüssel bei sich auf. Die ganzen seltsamen Erfindungen und Geräte lösen Unbehagen in ihm aus und er will nicht, dass einer der Foot vielleicht noch auf dumme Gedanken kommt. Auf der obersten Ebene befindet sich ein riesiger Raum, der einem Thronsaal gleicht, indem auch tatsächlich eine Art Thron steht. Von diesem Saal aus kann man durch eine übergroße Glasscheibe in einen anderen Raum blicken, den die Foot als Trainingsbereich nutzen. Scheinbar fand es Shredder amüsant seinen Männern beim Schwitzen zu zusehen. Außerdem grenzt an diesen Raum eine Art Waffenkammer und es gibt einen Zugang zur Oberfläche. Schritt für Schritt nähert sich der rote Ninja nun dem Thronsaal. Die vielen Stufen erscheinen ihm endlos, erst recht wo nun das Gewicht der Rüstung und die damit verbundene Verantwortung auf seinen Schultern lasten. Schließlich erreicht er das obere Ende der Treppe und tritt durch die Stahltür. Vor ihm erstreckt sich ein kurzer Flur. Nach wenigen Schritten kommt er an einer Tür vorbei, hinter der sich die Waffenkammer befindet. Sie ignorierend geht er weiter bis zum Ende. Dort befindet sich auf der linken Seite die Tür zum Trainingsraum und auf der rechten der Thronsaal. Mit einem letzten Seufzen drückt er die Klinke und betritt den Saal. Wie sich herausstellt wird er von seinen Untergebenen schon erwartet. Als er den Saal betritt, befindet er sich etwa in der Mitte des großen Raumes und die Foot wenden ihre Blicke auf ihn. Der Anblick ihres neuen Herrn bewegt sie dazu sich ordentlich in Formation hinzustellen und ihre Gespräche zu beenden. Argwöhnisch mustert Raphael die vermummten Männer, während er langsam zum Thron hinübergeht. Er wagt es nicht sie aus den Augen zu lassen, zu sehr beunruhigt ihn die Tatsache, dass er ihre Gesichter und somit auch ihre Gedanken nicht sehen kann. Doch tief in sich spürt er, dass sie ihm nicht so loyal ergeben sind, wie sie ihm gern glauben machen. Schließlich setzt er sich auf den Thron und betrachtet die wenigen Männer, die noch von Shredders einst endlosem Heer übrig geblieben sind. Durch den Kabuto-Helm ist vom Gesicht des Roten nicht mehr als sein ihm verbliebenes Augen zu sehen. Doch dieses eine Auge, mit seiner durchdringenden gelbgrünen Farbe, löst in den Foot-Ninja ein ganz ähnliches Unbehagen aus wie ihre maskierten Gesichter bei Raph. Es ist schwer zu sagen, ob ihr Unbehagen sie dazu bringt oder ob es doch so etwas wie Respekt ist, doch nun gehen die Foot vor ihm auf die Knie und warten. Stille breitet sich in dem großen Saal aus, während sich die beiden Seiten nur weiterhin anzustarren scheinen. Raphael kann spüren wie sich allmehlig Ungeduld unter den Maskierten ausbreitet, dennoch lässt er sie noch etwas länger warten. Nach und nach tauschen die Foot unauffällige Blicke untereinander aus und ihm ist sogar so, als könnte er das eine oder andere Handzeichen sehen, mit dem sie sich zu verständigen versuchen. Schließlich genügt es dem neuen Rüstungsträger und er steht so unerwartet auf, dass die anwesenden Männer zusammenzucken. Nun hat er wieder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und fühlt sich bereit, seine Befehle an sie weiterzugeben. „Wie ihr wisst ist der Krieg seit einigen Monaten vorbei und nun ist es an der Zeit, das ganze Chaos zu beseitigen. Unsere Vorräte und Versorgungsgüter neigen sich rapide dem Ende und es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis wir weder sauberes Trinkwasser noch Nahrung haben. Daher halte ich es für das Beste, wenn wir die Trümmer danach durchsuchen und sehen, ob wir auch Überlebende finden können.“ Ein Raunen geht durch die Männer und sie beginnen, noch während Raphaels Rede, miteinander zu tuscheln. Finster mustert der Rote sie dabei. Anscheinend sind die Soldaten nicht unbedingt der Meinung diesen Befehl ausführen zu wollen. Nahrung und Wasser suchen hat noch einen Nutzen für sie und daran wird es wohl auch nicht scheitern. Wozu aber nach Überlebenden suchen? Was hätte es für einen Sinn einen Haufen verwahrloster Menschen um sich zu scharen, die alle eine Todesangst vor dem Shredder haben? Zusätzliche Mäuler, die gestopft werden wollen? Die Diskussion unter den Foot wird immer lauter, sodass Raph seine Ansprache unterbricht, damit sich seine Männer wieder beruhigen können. Allerdings scheinen sie nicht der Meinung zu sein ihm wieder Gehör zu schenken. Wütend ballt der Saikämpfer die Fäuste und klammert sich an seine überstrapazierte Beherrschung. Die letzten Wochen waren für ihn mehr als anstrengend, körperlich wie geistig, sodass er absolut keine Geduld für diese Stümper hat, die seine Methoden immer wieder in Frage stellen. Nichts sehnt er sich in diesem Moment mehr herbei, als den Tag, an dem er ihnen allen den Hals umdrehen kann. „RUHE, verdammt nochmal!“, tönt seine Stimme schließlich durch den Saal, doch die Foot wenden ihm nur wiederwillig ihre Aufmerksamkeit zu. „Ich empfinde es als eine respektlose Unverschämtheit wie ihr mit eurem Altweibergeschwätz meine Rede unterbrecht! Ich bin vielleicht jung und unerfahren in dieser Position, das gebe ich gern zu. Doch ich bin und bleibe euer Meister, der Shredder! Und ihr braucht gar nicht glauben, dass ich euch mit Samthandschuhen anfasse, nur weil ihr mich hier aufgenommen habt. Wenn sich einer von euch meinen Befehlen wiedersetzen möchte, kann er das gern tun, doch dann muss er auch damit rechnen, das sein Verhalten schlimme Folgen für ihn haben wird!“ Während seiner Worte geht Raphael langsam den roten Teppich entlang, der vom Thron durch den Raum führt und auf dem die Foot vor ihm hocken. Sein Auge funkelt wild und herausfordernd, als er vor ihnen zum Stehen kommt. In der Rüstung gibt er eine furchterregende Person ab, die jeden nervös macht, der sie zu Gesicht bekommt. Doch die Foot geben sich weiterhin eher unbeeindruckt, vielleicht weil sie wissen, dass ein halbwüchsiger Bengel hinter all dem Metall steckt. „Ich bin sicher, dass euch klar ist, dass wir die Stadt wieder zu einem Ort machen müssen, an dem man ungestört leben kann. Wir müssen dafür sorgen, dass wir auch in Zukunft Essen und Wasser haben. Doch am allerwichtigsten ist es, dass wir die Menschen wieder hier ansiedeln und deren Fortbestand sichern, sonst wird es in zehn Jahren vielleicht keinen Menschen mehr geben! - Ich weiß, dass der alte Shredder die Stadt in Quadranten eingeteilt hat, um sein Vorankommen zu erleichtern. Nun werden wir diese Quadranten nutzen, um die Stadt systematisch zu durchsuchen. Ihr werdet jedes Haus, jeden Trümmerhaufen und jeden Busch umdrehen und dort nach Nahrung, Wasser, Menschen und allen Dingen suchen, die uns in irgendeiner Weise nützlich sein könnten und dann werdet ihr alles hierher bringen. Ist das klar?“ Streng mustert er die Männer, die vor ihm knien. Wieder beginnen sie miteinander zu tuscheln, diesmal lässt er es jedoch zu. Nach einer gefühlten Minute ruft er sie erneut zur Ruhe. „Gibt es noch irgendetwas, das ihr loswerden wollt, bevor ihr euch an die Arbeit macht?“ Wieder setzt kurzes Gerede unter den Foot ein, dann erhebt sich einer von ihnen. Angesicht zu Angesicht stehen sich er und Raphael gegenüber. „Versteht mich bitte nicht falsch, Euer Plan ist gut, doch wir verstehen einfach nicht, was der Sinn hinter dem Ganzen sein soll. Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, dass die Überlebenden dieser Stadt sich Euch einfach so anschließen werden, nur weil es hier Essen und ein Dach über dem Kopf gibt. All die Mühe, die wir uns damit machen ist völlig witzlos und…“ Der schwarze Ninja stockt auf einmal mitten im Satz und gibt erstickte Laute von sich. Nach einem Augenblick erkennen seine Kammeraden den Grund dafür. Raphael hat sein letztes bisschen Beherrschung verloren und die ewigen Wiederworte dieser Männer endgültig satt. Um ihnen zu zeigen, dass er es ernst meint, hat er nun ihrem Sprecher die Klingen seiner rechten Hand in den Leib gestoßen. Langsam bohren sie sich immer tiefer in das warme Fleisch hinein, bis sie schließlich am Rücken wieder nach draußen kommen. Blut tropft von ihnen herab und sammelt sich als dunklerer Fleck auf dem ebenso roten Teppich. Hilflos japsend hängt der Foot auf dem scharfgeschliffenen Stahl, während Raph ihm die ganze Zeit gelassen in die Augen blickt. Doch sein eigenes Auge funkelt so kalt und bedrohlich, dass dem Getroffenen allein schon davon die Luft wegbleibt. Mit einer ruckartigen Bewegung reißt Raphael die Klingen aus dem Leib des Mannes heraus und wendet sich seinen übrigen Soldaten zu. Der verwundete Ninja sinkt unter den fassungslosen Augen der anderen erst auf die Knie und kippt dann einfach um. Er lebt noch. Gurgelnd kann man seinen schwächer werdenden Atem hören. Doch ohne ärztliche Hilfe ist er dem Tode geweiht. Hier gibt es aber keinen Arzt, der ihm helfen könnte und so ist der Schreck der Foot noch weit größer. Ihr alter Meister war grausam, hat oftmals aus heiterem Himmel einen von ihnen zu Grunde gerichtet, doch sie hätten nie gedacht, dass dieses Bürschchen aus dem friedfertigen Hamato-Clan das auch tun würde und dann auch noch ganz ohne Vorwarnung. „Das war kein Plan, sondern ein Befehl! Und ihr habt dem Folge zu leisten, ob es euch gefällt oder nicht. Der Nächste, der mir wiederspricht, endet so wie euer Kumpel da!“ Fassungslos vernehmen die Foot die Worte ihres neuen Herrn und können den Blick dennoch nicht von ihrem sterbenden Kammeraden abwenden. „Jetzt verschwindet endlich und tut was ich euch gesagt hab oder ich benutz euch als Zielscheibe für meine Sais!“, donnert Raph´s Stimme durch den Saal. Ein Rucken geht durch die verbliebenen Männer. Kurz darauf springen sie auf, als hätten sie auf heißen Kohlen gesessen und begeben sich eiligst zum Ausgang. Als die schwere Tür hinter ihnen ins Schloss fällt, atmet Raphael seufzend aus. Einerseits wünscht er sich, es wäre nicht so weit gekommen und sie hätten nicht mit ansehen müssen wie er ihren Kammeraden von den Füßen holt. Andererseits war es wohl schon längst überfällig ihnen irgendwie Respekt beizubringen, wenn er nicht selbst von ihnen niedergestreckt werden will. Verloren steht der sonst so temperamentvolle Junge da und versucht sich mit seiner Tat anzufreunden. Zwar ist der Mann am Boden nicht der erste Foot, den er schwer verletzt oder sogar tötet, doch es ist der erste, der es eigentlich nicht verdient hat, da er ihn ja nicht bedroht hat. Sonst war alles immer Selbstverteidigung oder zum Schutz anderer. Doch das eben diente einzig und allein dazu, ihnen zu demonstrieren, dass er keine Witze macht und um Dampf abzulassen. Er hat einfach nur die Beherrschung verloren und war blind vor Wut. Unweigerlich fällt ihm ein wie er sich in Kindertagen oft mit Butch geprügelt hat, weil dieser Mikey geärgerte. Da hat er auch immer die Beherrschung verloren. Vielleicht hätte er dem Jungen irgendwann auch ernsthaft wehgetan, wenn Splinter ihm nicht gezeigt hätte, dass Mikey durchaus in der Lage ist sich selbst zu helfen. Doch jetzt ist Mikey nicht mehr da, keiner von ihnen ist mehr da und er kann niemanden mehr beschützen. Er fühlt sich so schrecklich nutzlos. Und er ist auch noch dazu gezwungen bei den Mördern seiner Familie zu leben. Das kann ein Mensch auf Dauer doch gar nicht aushalten ohne nicht irgendwann wahnsinnig zu werden. Ist er nicht vielleicht sogar schon verrückt? Hat er nicht eben eine unbändige Befriedigung empfunden, als er diesen Mann verletzte? JA! Es hat ihm Vergnügen bereitet und er wäre nicht abgeneigt, es zu wiederholen! Als würde der Foot am Boden ihm diesen unausgesprochenen Wunsch erfüllen wollen, beginnt er sich röchelnd und stöhnend in seinem eigenen Blut zu winden. Raph schreckt zusammen, als hätte man ihn geschlagen und wendet seinen Blick nach unten. Der schwarze Ninja hat sich schwerfällig auf den Rücken gerollt und seine Maske abgezogen, um besser atmen zu können. Das Gesicht des Mannes ist blass und sieht so gewöhnlich aus wie das jedes anderen auf der Straße. Ohne seine Verkleidung würde ihn wohl niemand für einen gefährlichen Attentäter halten. Blut läuft ihm in dicken Tropfen aus dem offenen Mund und seine Augen blicken glasig und flehend zu dem Saikämpfer empor. Abermals empfindet Raphael beim Anblick des Mannes eine Befriedigung nach der er schon sein ganzes Leben lang gesucht zu haben schien und die Splinter ihm immer wieder auszutreiben versucht hat. Doch sein Meister ist genauso wenig hier wie seine Brüder. Niemand kann ihn davon abhalten mit diesem Mann unaussprechliche Dinge zu tun! Und warum auch nicht? Immerhin ist er jetzt der Shredder. Der einzig wahre Tyrann und alleiniger Herrscher der neuen Welt! Langsam nimmt der Rote den Kabuto-Helm ab und geht neben dem Verwundeten auf die Knie. Sein sonnengebräuntes Gesicht ist vollkommen ausdruckslos. Sein zerstörtes Auge ist mittlerweile von einer Augenklappe verdeckt und sein gesundes starrt den sterbenden Mann voll perverser Faszination an. „Bitte, Meister – es tut mir – es tut mir leid. – Ich – ich werde gehorchen. – Helft mir – bitte…“, kommt es schwach von dem Foot. Zwischen den einzelnen Worten muss er immer wieder husten und feiner Blutregen verteilt sich dabei in der Luft. Zitternd hebt der Mann eine Hand und streckt sie dem Rüstungsträger entgegen. Der ehemalige Turtle ignoriert sie jedoch, setzt stattdessen aber ein seltsames Lächeln auf. „Keine Sorge, mein Freund. Ich werde dir helfen…“, kommt es sanft von dem Einäugigen. Langsam zieht er eines seiner Sais aus der Halterung und hebt es so hoch, sodass der Foot es sehen kann. Doch im Moment scheint dieser noch nicht zu begreifen, zu umnebelt ist sein Geist von den Schmerzen. Er liegt nur still da, während sein Gesicht so etwas wie Hoffnung wiederspiegelt, dass sein Meister im seinen Fehltritt verzeihen wird. „Ich werde dir helfen, so wie du den Menschen New Yorks geholfen hast, so wie du den Tieren geholfen hast und allem was hier mal existiert hat. Ich werde dir helfen, so wie du meiner Familie geholfen hast!“ Die Ruhe in Raphaels Stimme ist wahrhaft haarsträubend. Und endlich scheint auch der Foot-Ninja zu begreifen, dass der Hamato-Ninja ihm nicht helfen wird zu überleben, sondern ihm helfen wird zu sterben! Abwehrend hebt er schwach die Hände und Tränen kullern aus seinen Augen. „Bitte, Meister – tut das nicht – ich flehe Euch an…“ Doch abermals ignoriert Raph ihn. Er drückt eine Hand auf die Brust des Mannes, um ihn am Boden zu fixieren und reißt dann das Sai in die Luft. Verzweifelt versucht sich der wimmernde Mann zu befreien, doch ihm fehlt die Kraft. Alles Betteln und Flehen bleibt ungehört. Auf dem Gesicht des Rothaarigen breitet sich ein Grinsen aus, das so furchteinflößend und krank aussieht, dass einem fast das Herz stehen bleibt. Doch es fühlt sich gut an, so unglaublich gut! „Fahr zur Hölle, mein Freund und grüß Shredder von mir!“, tönt der Grünäugige mit wildem Lachen. Dann saust das scharfgeschliffene Sai hernieder. Die mittlere Zinke der Gabelwaffe bohrt sich mit grausiger Leichtigkeit in die Stirn des wehrlosen Mannes und beendet damit sein Leben. Doch die Ektase, in der der Saikämpfer gefangen ist, ist noch längst nicht verbraucht. Vielleicht merkt er gar nicht, dass der Mann unter seiner Hand schon tot ist? Doch im Endeffekt ist es ihm auch völlig egal. All die angestaute Wut und Verzweiflung der letzten zwei Jahre entlädt sich jetzt unaufhaltsam. In diesem Augenblick fühlt Raphael weder Reue noch irgendetwas anderes, als reine Mordlust. Wieder und wieder jagt er dem toten Foot-Ninja sein Sai in den Schädel, der mittlerweile große Ähnlichkeit mit einem Küchensieb hat. Sein geisteskrankes Lachen schallt in dem großen Saal und wird von den Wänden als makaberes Echo zurückgeworfen, sodass es sich anhört als wäre eine ganze Hörde Serienkiller auf einer Cocktail-Party zugange. Minuten vergehen ehe den aufgebrachten Jungen die Kräfte verlassen und er hemmungslos in Tränen ausbricht. Verzweifelt lässt er von der verstümmelten Leiche ab und lässt sich neben ihr auf den Bauch fallen. Heftig weint er und schlägt immer wieder mit den Fäusten auf den Boden. Er begreift nicht, warum es ihm so großen Spaß gemacht hat, diesen wehrlosen Mann zu töten. Solchen Spaß, dass er nicht einmal gemerkt hat wie es vollkommen ausgeartet ist. Er fühlt sich schmutzig und entehrt. Er hat seinem dahingerafften Clan nur Schande gebracht. „Vergib mir, Splinter! Wie konnte ich so etwas nur tun? – Warum hast du mich nicht aufgehalten, Vater? Warum?“, jammert er in den verlassenen Saal hinein. Dann wird ihm wieder klar, dass Splinter nicht mehr da ist, um ihn aufzuhalten, wenn er die Beherrschung verliert. Sein Geist ist vielleicht noch irgendwo und wacht über ihn, doch ausrichten kann er nichts und sein Hirn ist zu vernebelt, um die Schwingungen aufzufangen, die die Seele seines Meisters aussendet. Diese Erkenntnis trifft ihn schwer. Minuten verstreichen ehe er sich wieder unter Kontrolle hat. Schwerfällig richtet er sich in eine sitzende Position auf und wischt sich kindlich die Tränen von den Wangen. Nach Luft schnappend sitzt er da und starrt an die Decke, als würde er erwarten, dass Splinters Geist enttäuscht auf ihn herabblickt. Doch natürlich ist dort nichts. Er war nie besonders spirituell veranlagt und hat sich immer nur über Leo lustig gemacht, wenn dieser versucht hat mit Yoshi auf dieser Ebene zu kommunizieren. Jetzt jedoch wünscht er sich, er hätte sich damals etwas mehr angestrengt und könnte jetzt versuchen mit ihnen zu reden. Wenigstens ihre Gesichter sehen, um darin Trost zu finden, selbst wenn sie nach dem Ebengeschehenen maßlos enttäuscht von ihm wären. Der Gedanke an Leo, mag er auch noch so verhasst sein, löst neuen Kummer in ihm aus und einige Tränen bahnen sich erneut ihren Weg ins Freie. Nur eine von ihnen landet aber auf dem Teppich, die anderen wischt er trotzig weg. Ja, vielleicht war es falsch was er getan hat, doch immerhin fühlt er sich jetzt etwas besser. Und so schnell wird den Foot dann auch ganz sicher nicht einfallen, ihm irgendwie aufzulauern. Diese dunkle, unbeherrschte Seite in ihm, macht ihm schon irgendwie Angst. Allerdings weiß er nun wieder, dass sie da ist und nun wird es ihm auch sicher gelingen, sie besser in Zaum zu halten. Entschlossen ballt er die Fäuste und steht auf. Es gibt viel zu tun und Rumsitzen und in Selbstmitleid versinken ist keine große Hilfe. Wieder mit seinem Ziel vor Augen, setzt er sich seinen Helm auf und wirft sich dann die Leiche des Foot-Ninjas über die Schulter. Es ist wohl angebracht sie wegzuschaffen, sonst würde er die anderen Männer nur unnötig beunruhigen. Außerdem will er nicht miterleben wie sie anfängt zu verwesen. So beladen macht er sich auf den Weg an die Oberfläche. Eine Art Gullydeckel liegt auf dem Ausgang. Langsam schiebt er sich zur Seite und Raphael erscheint in dem Loch. Kurz blickt er sich um. Es gibt nichts zu sehen als endlosen Wald. Dichtes Gestrüpp bedeckt den Großteil des Bodens der gesamten Insel und macht das Vorankommen schwierig. Dort wo die Foot oft entlanggehen, sind schmale Furchen zwischen dem Gehölz entstanden. Bäume, dicht an dicht, lassen kaum Sonnenlicht nach unten durch. Nicht weit entfernt kann der Rothaarige Reiher rufen hören, die sich zum Fischen am Rand der Insel eingefunden haben. Das Klatschen der Brandung gegen den nackten Fels dort unten weckt in Raph eine traurige Melancholie. Diese Melancholie besteht aus der Erinnerung an den Kampf mit Shredder. In dem Park, in dem der Kampf stattgefunden hat, gab es zwar einen Strand, der zum Wasser hinab führte, dennoch hat das Wasser ebenso wild gegen das Geröll und die Trümmer geschlagen, die dort verteilt waren. Diese Erinnerung entfacht den Schmerz seines Verlustes für einen Augenblick neu. Dennoch mindert dieses nagende Gefühl nicht seinen Tatendrang. Er hievt die Leiche an die Oberfläche und bahnt sich mit ihr einen Weg zum Wasser. Als er sich durch die dichte Vegetation kämpft, fliegen unzählige Vögel lautstark rufend auf und verstreuen sich in alle Winde. Immer wieder verfängt sich Raph mit den Lanzen und Klingen seiner Rüstung in den Sträuchern. Unbeherrscht reißt er sich wieder davon los und flucht leise vor sich hin, als er den Stoff seiner Schals reißen hört. Diese Rüstung ist absolut nichts für einen Survival-Trip im Wald und er hätte sie vielleicht vorher ablegen sollen. Doch eigentlich ist es ganz gut, dass sie ihn so behindert, so lernt er mit ihrer Bürde umzugehen und straft sich gleichzeitig selbst für seine fehlende Beherrschung, die ihn ja erst in diese Situation gebracht hat. Nach weiteren, kräftezehrenden Minuten in diesem Dschungel aus Gestrüpp, erreicht er endlich das Wasser. Die Vegetation ist an einigen Stellen so dicht an den Rand der Insel vorgedrungen, dass man leicht den Boden unter den Füßen verlieren kann, wenn man auf die Pflanzen tritt, die ins Blau hineinragen. Doch Raphael hat Glück, er kommt an einer Stelle heraus, die die Reiher zum Schlafen benutzen. Hier ist der Großteil der Sträucher entfernt oder zur Seite gedrückt worden. Trockenes Gras erstreckt sich unter seinen schweren Stiefeln. Ein paar große Gesteinsbrocken, die am Rand aufgehäuft sind verhindern, das Wasser diese Stelle überflutet. Sie wurden von den Foot hierher gebracht, die diese Stelle gern zum Fischen benutzen. Viele Fische gibt es in der starken Strömung zwar nicht, aber als netter Zeitvertreib genügt es allemal. Beinahe vorsichtig legt Raph die Leiche ins Gras. Dieser Platz ist wirklich schön, wie ihm jetzt auffällt. Nicht nur zum Angeln, hier kann man auch einfach prima sitzen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Und die Aussicht, die sich einem bietet, ist auch nicht zu verachten. An klaren, sonnigen Tagen kann man bis rüber zum Festland nach Port Morris sehen. Als er seinen Blick etwas mehr zur Seite wendet, kann er im schwindenden Dunst dieses Vormittags, North Brother Island erkennen. Dort ist es ebenfalls ziemlich bewaldet, doch es gibt auch allerhand Fläche, die nur aus Gras besteht und den Foot als Trainingsbereich dient. Bis jetzt hatte der Saikämpfer noch nicht die Gelegenheit, die Nachbarinsel zu besuchen, was sich aber definitiv sehr bald ändern muss. Die Foot haben ihm nicht viel erzählt, doch er weiß inzwischen, dass sich auf der Insel einige alte Gebäude befinden. Vielleicht könnte man diese als Grundlage für die Ansiedlung der Überlebenden nehmen? Im Bunker ist nur begrenzt Platz und Raph ist sich ganz sicher, dass es die meisten Leute wohl eher vorziehen werden, Abstand zu Shredder und seinen Männern zu wahren, selbst wenn diese ihnen friedlich gesinnt sind. Die Menschen brauchen einfach Zeit, um sich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen und das können sie unter Ihresgleichen sicher weit besser, als unter den Augen eines düsteren Ninjatrupps. Einen Moment verliert sich Raph noch in dem Gedanken irgendwann andere Menschen um sich herum zu haben, anstatt ewig nur die verschwiegenen Foot-Soldaten. Allerdings stimmt ihn dieser Gedanke erneut traurig, da er die Menschen, die er wirklich gern um sich haben würde, nie mehr wiedersehen wird. Der Rüstungsträger stößt einen zittrigen Seufzer aus und schluckt hart, ehe er sich wieder der Leiche zuwendet. Suchend blickt sich der Rote kurz um und fummelt dann eine Liane aus dem Gestrüpp heraus. An deren eines Ende bindet er einen der großen Steine, die am Rand aufgeschichtet sind. Das andere Ende des behelfsmäßigen Seils bindet er der Leiche um den Bauch. Das Wasser um die Inseln herum ist sehr tief und das schon direkt am Rand und die Strömung reißt einfach alles mit sich. Dennoch kann man hier durchaus Schwimmen gehen, wenn man sich nicht vor der Tiefe fürchtet und genug Kraft hat sich den wilden Fluten entgegenzustellen. Allerdings möchte Raph wenigstens verhindern, dass die Leiche wieder irgendwo angespült wird, weswegen er sie beschwert. Als das erledigt ist, wirft er die Leiche einfach über den Rand. Mit lautem Platschen taucht sie ins Wasser ein und versinkt langsam. Gedankenverloren blickt der Saikämpfer ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen ist, dann macht er sich auf den Rückweg. Nachdenklich steigt er wieder in den Bunker hinunter. Noch immer begreift er nicht ganz wie es ihm so eine unbändige Freude bereiten konnte diesen Mann regelrecht hinzurichten. Allerdings wird ihm klar, wie abhängig er wegen seinem Temperament sein Leben lang von Splinter gewesen ist. Dieser wusste ihn immer zu beruhigen und auch Mikey ist dies auf seine ganz eigene Weise gelungen. Mikey… Die Gedanken an seinen geliebten Bruder treiben ihm Tränen ins Auge. Ach hätte er ihm doch nur einmal sagen können, wie viel er ihm wirklich bedeutet. Er würde alles dafür geben die Zeit zurückzudrehen, den Kampf vielleicht gar nicht erst anzutreten und sich stattdessen, entgegen seiner kämpferischen Natur, einfach irgendwo mit seiner Familie zu verkriechen und Shredder die Welt zu überlassen. Alles nur damit er nicht allein sein muss. Doch das hätte keiner von ihnen zugelassen. Nicht einmal Mikey wäre so feige gewesen, obwohl er sich mehr als einmal hinter den anderen versteckt hat, wenn es heftig wurde. Im Endeffekt waren sie alle gleich. Sie hätten ohne zu Zögern ihr Leben für einander und für die Menschen um sie herum geopfert, selbst wenn es völlig aussichtslos gewesen wäre. Das magische Gefühl helfen zu wollen war stets übermächtig und zum Schluss ist es ihnen zum Verhängnis geworden und er ist als einziger übrig. Warum ausgerechnet er? Hätte es nicht Leo sein können? Nein, ganz unmöglich. Leo hätte das niemals ausgehalten. Er hätte sich für den Rest seines Lebens gewaltige Vorwürfe gemacht und wäre schließlich an gebrochenem Herzen elendig zugrunde gegangen. Ganz ähnlich Splinter. Er hätte es nie verkraftet, die Leichen seiner eigenen Kinder begraben zu müssen, selbst wenn es nichts zu begraben gibt. Und Mikey? Ihn hätte die Einsamkeit in einen endlosen Strudel des Wahnsinns gezogen, aus dem er nicht mehr herausfinden würde. Letztendlich wäre er so verrückt geworden, dass er sich nichts sehnlicher als den Tod gewünscht hätte. Donnie? Diese Frage kann Raph nicht so einfach beantworten. Klar ist sein Bruder genauso sensibel gewesen wie Mikey und hat sich nach Nähe gesehnt, doch ihm wäre sicher etwas eingefallen. Vielleicht hätte er sich einen Roboter gebaut, den er als Freund benutzt hätte? Dadurch hätte er auf jeden Fall länger mit der Einsamkeit klarkommen können als die anderen. Aber es gibt hier noch andere Menschen! Donnie wäre ganz sicher auch auf den Gedanken gekommen, sie wieder anzusiedeln. Leo und Splinter ebenfalls. Doch Raphael ist sich schmerzhaft bewusst, dass keiner dafür seine Ideale verkauft und sich den Foot angeschlossen hätte, so wie er es getan hat. Nicht mal Mikey wäre in seiner wahnsinnigen Einsamkeit auf so eine dämliche Idee gekommen! Doch was hat ihn selbst nur so weit getrieben, diesen letzten Funken Stolz in sich abzutöten? Es will ihm nicht einfallen und doch scheint es an manchen Tag so unausweichlich zu sein, genau diesen Schritt getan zu haben. Kopfschüttelnd erreicht er den Tunnel, der ihn zum Festland führt. Als er die schwere Tür öffnet, erhebt sich vor ihm auf den Gleisen die imposante Gestalt des Shellraisers. Nachdenklich betrachtet er den Wagen. Letztendlich entschließt er sich aber dagegen. Es ist zwar ein weiter Weg, doch die meisten Straßen sind nicht besonders gut zu passieren und der Motorenlärm könnte die ängstlichen Leute erst recht verschrecken. Wehmütig betrachtet er den großen Van, gleitet mit den Fingern über den zerfurchten Lack und lässt ihn dann hinter sich. Ein anderes Mal wird er ihn benutzen. Nun stellt er aber fest, dass die Draisine verschwunden ist. Die Foot haben sich damit also auf den Weg gemacht. Diese Tatsache stört den Rüstungsträger aber wenig, er ist den Weg immerhin schon einmal zu Fuß gegangen, also wird er es auch wieder tun können. Außerdem hat er nicht vor irgendetwas zu transportieren. Er will nach Menschen suchen und sie herbringen. Trotz seiner makaberen Vorstellung, ist Raphael sich sicher, dass die Foot sich nicht die Mühe machen werden nach Personen zu suchen. Sollen sie ruhig alles andere heranschaffen und er kümmert sich um die Menschen. So macht er sich auf den weiten Weg nach Port Morris. Nach einer gedankenversunkenen Ewigkeit kämpft er sich durch den zugewucherten Ausgang der U-Bahn in der 134sten Straße. Nun steht er hier, sieht sich um und weiß eigentlich nicht genau was er tun soll. Wo soll er mit seiner Suche beginnen? Grübelnd steht er da und versucht sich die Quadranten wieder ins Gedächtnis zu rufen. Nach langem Überlegen fällt ihm ein, dass sich die meisten dieser Quadranten an den Interstates und Stadtteilen orientieren. Ist ein Stadtteil ziemlich groß, wird er oftmals von einem Interstate durchzogen und so in mindestens zwei Quadranten unterteilt. Port Morris ist ein eher kleiner Bezirk, der an Hunts Point grenzt, der ebenfalls nicht sonderlich groß ist. Dies ist dann die andere Variante. Kleine Bezirke werden innerhalb eines Quadranten zusammengezogen und die Begrenzung findet dann zum Beispiel durch den Interstate statt oder durch einen angrenzenden großen Stadtteil. Port Morris und Hunts Point liegen in einem Quadranten, der durch den Interstate 895 begrenzt wird und an den anderen drei Seiten von Wasser umgeben ist. Es wäre gut hier anzufangen. Dann hat er es hinter sich. Schließlich befindet sich in diesem Quadranten auch der Park, in dem der Kampf stattfand. Würde Raph jetzt mit einem anderen Quadranten anfangen, würde er es wohl nie mehr über sich bringen, diesen Ort noch einmal aufzusuchen. Außerdem gibt es hier hauptsächlich Lagerhäuser und ähnliches, eher weniger ein Ort um sich zu verstecken. Mit schweren Schritten macht sich der rote Ninja auf den Weg. Aufmerksam und von Kummer durchzogen, schreitet er die Oak Point Avenue entlang. Sein Blickfeld wird hauptsächlich von Schutt- und Trümmerbergen dominiert. Fast nichts scheint heil geblieben zu sein. Und ist es nicht durch den Krieg selbst zerstört worden, dann durch die vielen unkontrollierten Feuer, die danach und teilweise auch jetzt noch, durch die Stadt ziehen. Langsam erreicht er den Park in dem alles endete. Den Tränen nahe blickt er über die verbrannte Wiese, die sich zum Wasser hinzieht. Sie ist genauso schwarz und tot wie sein Herz sich anfühlt. Und doch kann er einzelne, kleine Sprösslinge erkennen, die sich durch die Achse schieben. Der Beginn neuen Lebens nach einer verheerenden Katastrophe. Der Anblick dieser winzigen Pflänzchen weckt in Raph ein leises Gefühl von Hoffnung, dass auch sein Herz irgendwann wieder erblühen und tiefe Gefühle für jemanden empfinden kann. Unweigerlich fragt er sich aber wie lange dies wohl dauern wird. Eine Antwort darauf findet er leider nicht, doch er ist sich sicher, dass der Park bis dahin schon längst wieder zu seinem ursprünglichen Aussehen zurückgefunden haben wird… Raphael ist so versunken in diesem unlösbaren Problem, dass er nicht merkt wie er schon seit geraumer Zeit beobachtet wird. Zwischen Trümmerbergen und den kläglichen Resten abgebrannter Bäume versteckt, leuchtet ein graues Augenpaar auf. Finster und von Mordlust durchzogen beobachtet es den Rüstungsträger ganz genau. Wartet auf die Chance zum Angriff, um dem Tyrannen ein grausiges Ende zu bereiten. Der Besitzer dieser Augen trägt eine Skimaske, die sein Gesicht verdeckt und nur eben diese Augen sind noch zu sehen. Der Rest des Körpers ist in schwarz gehüllt, sodass die Person entfernt Ähnlichkeit mit einem Foot-Ninja hat. Diese Ähnlichkeit wird auch noch durch die vorsichtigen und äußerst sicheren Bewegungen unterstrichen und durch die Tatsache, dass die Person Waffen bei sich trägt, die auch in Ninjutsu benutzt werden. Diese Waffen, genannt Tonfa, haben große Ähnlichkeit mit den Schlagstöcken, die die Polizei benutzt, mit dem Unterschied, dass die Tonfa aus hartem Holz hergestellt sind. Angriffsbereit umklammert der stille Beobachter die Waffen und spannt alle Muskeln an. Gleich ist es soweit! In Raph´s Kopf läuft der ganze Kampf mit Shredder noch einmal ab, als er dort so verloren steht und den vernichteten Park betrachtet. Sein Geist ist mit alledem zu überlastet, um die drohende Gefahr zu spüren. Eigentlich kommt ihm nicht mal der Gedanke, dass es noch irgendjemanden in der Stadt geben könnte, der versuchen würde ihn anzugreifen. Allein schon durch die Tatsache, dass er aussieht wie Shredder. Man müsste schon reichlich lebensmüde sein, um auf so einen verrückten Einfall zu kommen. Nur den Foot würde er so etwas zutrauen und deren Auren kennt er nur zu gut, um sie auch in Zeiten vernachlässigter Konzentration zu spüren. Am Rande der Tränen scharrt er mit der Stiefelspitze in der Asche herum. Diese Geste ist für seinen Beobachter wie ein stiller Befehl zum Angriff. Blitzschnell springt der Maskierte aus seinem Versteck und stürmt mit einem lauten Kampfschrei auf den Rothaarigen zu. Durch den plötzlichen Lärm wird Raphael aus seiner Gedankenwelt gerissen. Als er sich umdreht, kann er gerade noch zur Seite springen, als ein maskierter Typ auf ihn losgeht. ‚Was zum…?‘, geht es ihm noch durch den Kopf, als sein Angreifer wie in Zeitlupe an ihm vorbei zieht. Instinktiv greift Raphael zu seinen Sais und spannt seinen Körper an. Ein tiefes Knurren dringt von dem Fremden zu ihm hinüber, als dieser sich umdreht und erneut zu Schlag ausholt. Nun kann der Einäugige erkennen, dass sein vermummter Angreifer bewaffnet ist. Diese Waffen rufen tief hinten in seinem Kopf eine Erinnerung aus seiner Kindheit ab. Splinter hatte ihm mal genau solche Tonfa zum trainieren gegeben, um die Handhabung mit den Sais besser hinzubekommen. Überrascht von dieser Tatsache weicht Raph dem nächsten Angriff aus. Doch es ist knapp. Der Typ ist verdammt schnell und wendig, aber er trägt ja auch keine schwere Rüstung, die den Roten doch ziemlich in seiner Bewegungsfreiheit einschränkt, weil er noch nicht so vertraut mit ihr ist. Diese Behinderung weckt eine deutliche Wut in dem Saikämpfer. Knurrend versucht er eine Lösung zu finden, doch das Denken fällt ihm ziemlich schwer, wenn er ständig von diesem Kerl attackiert wird. Er ist verdammt gut und an seiner Technik kann Raph ablesen, dass er wohl eine ähnliche Ausbildung wie er genossen hat. Doch wer um Himmels Willen ist dieser Typ? Diese Frage brennt geradezu auf seiner Zunge, doch er kommt kaum zum Luftholen, um sie auch nur stellen zu können. Wutentbrannt ertönt nun aber die Stimme des Maskierten. *„Shinu Shredder, shinu!“, brüllt er dem jungen Ninja entgegen. Verwundert weicht Raph seinem Angriff in letzter Sekunde aus. Hat dieser Kerl da gerade wirklich japanisch gesprochen? Raphaels Verwirrung erreicht ihr Maximum. „Was soll der Scheiß?“, faucht der Rote ihm entgegen und versucht einen eigenen Angriff. Dieser geht jedoch ins Leere, da ihm der Vermummte mit einer eleganten Drehung ausweicht. *„Shinu hinkon bōkun!“, kommt es erneut von dem Fremden. Langsam hat Raph die Nase voll von diesem Kerl. Wutschnaubend setzt er wieder zum Angriff an und diesmal scheint es zu klappen. Nicht ganz so wie geplant, aber immerhin. Der Kerl versucht wieder auszuweichen, doch diesmal erwischt ihn die Spitze eines Sais am Bauch und zerreißt den Stoff seines Oberteils. Helle Haut kommt darunter zum Vorschein und ein feiner Kratzer öffnet sich zu einer schwachblutenden Wunde. Allerdings scheint der Kerl es in Kauf zu nehmen, da es ihm bei seinem Ausweichmanöver gelingt, für einen Moment in Raph´s totem Winkel zu landen. Dieser befindet sich natürlich auf seiner rechten Seite, da ihm ja dort sein Auge fehlt. Dass weiß der Angreifer zwar nicht, aber er scheint zu spüren, dass dort ein Schwachpunkt zu sein scheint. Ehe Raph seinen Blick nach hinten fokussieren kann, der durch den klobigen Helm nur noch mehr eingeschränkt wird, spürt er auch schon einen harten Schlag auf gerade diesen. Getroffen gelingt es Raph sich einem weiteren Schlag zu entziehen, er landet aber unsicher auf den Knien und durch die Wucht des Schlags fliegt ihm der Helm vom Kopf. Mit einem metallischen Knirschen landet der Kabuto zwischen Asche und Steinen und scheint vergessen. Siegessicher richtet sich der Angreifer auf, doch es hält nur Sekunden. Als Raph sich ihm wütend zuwendet und ihn angreifen will, entgleiten dem Mann sämtliche Gesichtszüge. Ungläubig starrt er den rothaarigen Jungen an, der in Shredders Rüstung steckt. Er versteht die Welt nicht mehr. „Nani…?“, gibt er überfordert von sich. Doch Zeit zum Fragen bleibt ihm nicht mehr, da kommt Raph auch schon auf ihn zu gestürmt. „Jetzt hab ich aber die Schnauze voll!“, wirft er dem irritierten Mann entgegen. Die Verwirrung ist so groß, dass er seine Deckung vollkommen vernachlässigt und so gelingt Raph endlich ein richtiger Treffer. Allerdings will er den Mann nicht gleich töten, ohne ein paar Antworten aus ihm raus zu prügeln. Also dreht er sein Sai herum und rammt ihm den Griff fest in den Magen. Getroffen zuckt der Maskierte zusammen und sinkt auf die Knie. Außer Atem steht Raph vor ihm und richtet sein Sai direkt auf seinen Gegner. Dieser zuckt wieder zusammen, lässt die Waffen fallen und hebt die Hände, als würde er von der Polizei umzingelt sein. *„Dōzo jihi…“, kommt es vorsichtig von ihm, während er es nicht wagt Raph ins Gesicht zu sehen. Mit angewidertem Gesicht blickt Raph zu ihm hinunter. *„Hanasu kimi ga eigo?“, fragt er den Besiegten in scharfem Ton. Raphael selbst kann zwar japanisch sprechen, weil Splinter es ihnen schon in frühester Kindheit beigebracht hat, doch er ist heute weiß Gott nicht in der geistigen Verfassung, um nach irgendwelchen Worten zu grübeln. Zumal sein Gegenüber einen schweren Akzent hat und Raph daher eh nicht alles genau versteht. So etwas wie Erleichterung macht sich nun in ihm breit, als der Maskierte nach einem Moment nickt. Er ist wahrscheinlich genauso überrascht, dass Raph japanisch spricht, wie Raph es von seiner Kampftechnik war. „Hai…“, kommt es noch zusätzlich von ihm, ehe der Rothaarige wieder das Wort ergreift. „Gut! Ich werde dir jetzt die Maske abnehmen und ich rate dir keine Mätzchen zu machen, wenn dir dein Leben lieb ist!“ „Jawohl…“, kommt es in etwas brüchigem, typisch japanischem, Englisch von dem Mann in Schwarz. Überrascht beobachtet Raph, wie sich sein Gegenüber auf einmal ordentlich auf die Knie setzt, die Hände flach auf die Oberschenkel legt und den Kopf leicht nach vorn beugt. Diese Geste erinnert den Saikämpfer sehr stark an Leo, der sich respektvoll vor Splinter setzt und sich dann verbeugen will. Und dann dieser höffliche und unterwürfige Tonfall. Einen Moment kann der Grünäugige einfach nur dastehen und den anderen anstarren. Dann schüttelt er jedoch heftig den Kopf, um dieses Bild wieder loszuwerden. Leo ist nicht hier und wird es auch nie wieder sein! Der Kerl vor ihm ist einfach nur Japaner und benimmt sich deshalb so. Basta! Der Saikämpfer holt tief Luft, schiebt alle Gedanken beiseite und konzentriert sich auf das, was vor ihm liegt. Langsam aber bestimmend zieht er die Krallenhandschuhe aus und legt eine Hand auf den Kopf des Maskierten. Er greift den glatten Stoff der Skimaske und zieht sie ihm mit einer schnellen Bewegung herunter. Zum Vorschein kommt ein junger Mann von vielleicht Anfang zwanzig, mit schwarzen Haaren und grauen Augen. Seine Haut ist blass, sein Gesicht weich gezeichnet mit einem spitzen Kinn und schmalen Mandelaugen. Es hat etwas Hartes und doch Jungenhaftes an sich. Raph weiß nicht warum, aber irgendwie wirkt dieser Japaner sympathisch auf ihn. Allerdings ist der Rothaarige von Natur aus sehr misstrauisch Fremden gegenüber, also wird sich zeigen, ob er so etwas wie Vertrauen zu ihm aufbauen kann. „Also, sprich! Wer bist du und was sollte der ganze Scheiß?“, fordert Raphael ihn schließlich auf. Einen Moment sehen sie sich nur an, dann verbeugt sich der Schwarzhaarige kurz vor ihm, was in Raph wieder die Erinnerung an Leonardo wachruft. Seine Gesichtszüge verhärten sich und er mustert den jungen Mann vor sich noch genauer. „Mein Name ist Chen Lee und ich bin hier, um Shredder zu töten.“, erläutert der Japaner ganz offen heraus und doch kann Raph Unsicherheit und Verwirrung in seinen Augen sehen. Belustigt von seiner Antwort schnaubt Raph kurz und setzt sich dann im Schneidersitz vor ihm hin. „Netter Versuch, Kleiner. Aber das kannst du ganz schnell wieder vergessen.“, erwidert er ihm schon fast lachend. Misstrauisch mustert Chen ihn. „Warum? Wo ist Oroku Saki?“ Überrascht weitet sich Raph´s verbliebenes Auge. „Halt! Bevor ich dir das sage, verrätst du mir erst mal, woher du weißt, dass Saki Shredder ist!“, fordert Raphael zu wissen. „Bevor der Krieg losbrach, habe ich ihn oft im Fernsehen gesehen. Irgendwas an dem Kerl kam mir verdächtig vor und ich habe ein bisschen recherchiert. Dabei bin ich dann auf alte Aufzeichnungen gestoßen, die besagten, dass der Führer des Foot-Clans in Japan ein gewisser Oroku Saki sein soll. Als der Krieg dann losging, habe ich Shredder immer wieder beobachtet, um einen Schwachpunkt auszumachen, damit ich ihn vernichten kann. Eines Tages konnte ich dann sehen wie er seinen Helm abnahm und darunter war Saki.“ „Ich muss sagen, du bist ein schlaues Kerlchen, Chen.“, kommt es etwas neidisch von dem Roten. Damals haben er und seine Brüder Saki auch oft im Fernsehen gesehen, doch erst Splinter erzählte ihnen, dass er Shredder ist. „Kann schon sein, aber ich verstehe nicht, warum du Shredders Rüstung trägst.“ „Ganz einfach: ich habe Shredder getötet und bin jetzt der neue Shredder!“, erläutert der Saikämpfer lässig. Finster blickt Chen ihn an. „Du lügst!“, platzt es schließlich aus ihm heraus. Raph vergeht sein Lächeln. „Hör mal, Kleiner! Ich wünschte es wäre so, aber Shredder ist keine fünfzig Meter von dieser Stelle hier gefallen. Und bevor du jetzt nach Beweisen schreist, lass dir gesagt sein, dass seine Leiche im Feuersturm verbrannt und seine Asche auf den East River hinaus geweht wurde. Nur seine Rüstung ist geblieben. Entweder du glaubst mir oder du kannst mich mal. Denkst du etwa ich finde es lustig mich als Shredder auszugeben, sodass alle Menschen Angst vor mir haben und mich umbringen wollen?“ Perplex mustert Chen Lee den Halbwüchsigen mit der schweren Rüstung vor sich. Dann senkt er betrübt den Kopf. „Nein, dass denke ich natürlich nicht…“ „Na dann kann ich ja beruhigt sein…“, kommt es sarkastisch von Raph. Nach einer bedrückenden Pause räuspert sich der Schwarzhaarige vorsichtig. „Wann?“, kommt es knapp von ihm. Raphael wendet ihm wieder den Blick zu und mustert ihn. Ihm kommt es inzwischen so vor, als könnte er diesem Kerl alles sagen, als würden sie sich schon ewig kennen. Dieses Gefühl löst ein gewisses Unbehagen in ihm aus und doch kann er nicht leugnen, dass er sich zum ersten Mal seit dem Tod seiner Familie wieder wie ein normaler Mensch fühlt. Wahrscheinlich weil er endlich einem normalen Menschen begegnet ist. „Vor gut drei Monaten. Der Krieg ist also vorbei und ich versuche jetzt, den Schaden meines Vorgängers in Ordnung zu bringen und die Stadt wieder aufzubauen. Ich suche nach Überlebenden, um sie an einem sicheren Ort wieder anzusiedeln. Du bist der erste, den ich finde oder eher der mich gefunden hat.“, kommt es mit einem Schulterzucken von dem Rüstungsträger. Nachdenklich blickt Chen auf seine Hände. „Du bist also der neue Shredder, doch du willst sein Erbe nicht fortführen und die Welt beherrschen?“, fragt er etwas skeptisch. „So sieht es aus. Außerdem könnte ich die Welt auch friedlich beherrschen, wenn mir der Sinn danach stehen würde, was es nicht tut. Des Weiteren habe ich in diesem verfluchten Krieg alles verloren, was mir je etwas bedeutet hat. Meine Stadt, mein Zuhause, meine Familie und Freunde, mein Auge und meine Ehre als Ninja, indem ich mich dem feindlichen Clan angeschlossen hab…“ Traurigkeit huscht über sein Gesicht und er schluckt hart, um die Tränen zu vertreiben. Diese Blöße will er sich auf keinen Fall vor diesen Jungen geben. „Du bist ein richtiger Ninja?“, platzt es plötzlich aus dem Japaner heraus, sodass Raph überrascht zusammenzuckt. „Ja, oder dachtest du, ich hab zu viele Kung-Fu-Filme gesehen, um das Kämpfen so zu erlernen?“, verwundert mustert er ihn. „Keine Ahnung. Hätte ja auch sein können, dass du nur Kampfsport machst oder so. Du bist ziemlich kräftig, soweit ich das beurteilen kann.“ „Da liegst du gar nicht so falsch. Ich hab vor dem Krieg tatsächlich an Tournieren teilgenommen. Doch meine Hauptaufgabe war es mich von meinem Sensei zum Ninja ausbilden zu lassen, um das Verbrechen in der Stadt zu bekämpfen und Shredder unter Kontrolle zu halten.“ „Echt? Du hast das Verbrechen bekämpft? Beeindruckend! Darf ich fragen, wer dein Sensei ist?“ „Darfst du schon, aber du sollest es anders formulieren. Nämlich wer mein Sensei war. Er hieß Hamato Yoshi…“, betrübt senkt Raph den Blick, wird jedoch kurz darauf von Chens begeisterter Stimme wieder aus seinen Gedanken gerissen. „Dein Sensei war der berühmte Hamato Yoshi persönlich?! Mein Vater war ein begeisterter Kämpfer und hat viele Jahre mit Yoshi trainiert, bevor dieser Japan so eilig verlassen hat. Mein Vater hat mir alles beigebracht, was er von ihm gelernt hat.“, sprudelt es voll ehrlicher Bewunderung aus dem Schwarzhaarigen heraus. Ein kleines Lächeln legt sich auf Raphaels Züge. „Ich wusste gleich, dass mir dein Stil bekannt vorkommt. – Aber das alles gehört der Vergangenheit an. Yoshi und der Rest des Hamato-Clans sind im Kampf gegen Shredder gefallen. Ich hab als Einziger überlebt. Und ich bin sicher, dass Meister Splinter nicht gerade besonders stolz darauf wäre, zu wissen, dass sein einig überlebender Sohn nun den Foot-Clan führt…“ Die Vorwürfe, die sich Raph macht, kommen wieder an dich Oberfläche. Allerdings lässt ihm Chen nicht die Gelegenheit darin zu versinken. „Moment mal! Hamato Yoshi ist tot? – Und die Turtles ebenfalls? Das kann ich einfach nicht glauben! – Warte, hast du gerade gesagt, dass du Yoshis Sohn bist? Einer der berühmten Ninja Turtles?“, fassungslos blickt Chen sein Gegenüber an. Raph ringt sichtlich nach Beherrschung. Diese Ausfragerei macht ihn langsam ziemlich fertig und wühlt alles wieder auf, was er in den letzten Monaten versucht hat zu verdrängen. „Ja, verdammt noch mal! Ich bin Raphael! Ich bin einer der verfluchten Turtles und ich bin Hamato Yoshis gottverdammter Sohn!“, platzt es zornig aus ihm heraus. Wütend springt er auf und wendet sich von dem anderen ab. Er ballt die Hände zu Fäusten, atmet angestrengt und versucht sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Heiße Tränen rinnen über seine Wangen, doch er bleibt stumm. Überrascht und betroffen beobachtet Chen diesen Gefühlsausbruch. Nun tut es ihm schrecklich leid, dass er so hartnäckig nachgefragt hat, doch er konnte ja nicht ahnen, was alles passiert ist. Mitfühlend steht er auf und legt Raph vorsichtig die Hände auf die krallenbesetzen Schultern. „Fass mich nicht an!“, brüllt Raph ihm unbeherrscht entgegen und stößt ihn von sich. „Es ist alles meine Schuld…“, wimmert der Rote hilflos und nun weint er seinen Kummer laut heraus, ohne sich an Chens Gegenwart zu stören. Soll er ihn doch für schwach und weinerlich halten, im Moment ist ihm alles egal. Doch der junge Japaner hält ihn überhaupt nicht für schwach. Im Gegenteil, er bewundert es zu tiefst, dass Raph alles verloren hat und dennoch den Mut und den innigen Wunsch hat, alles wieder aufzubauen und den Menschen um sich herum wieder neue Hoffnung zu geben. Er kannte Raphael vorher nur aus dem Fernsehen, doch er hat immer bewundert was er und seine Brüder alles für diese verdorbene Stadt geleistet haben. Und nun, nach alledem, bewundert er ihn noch viel mehr und er ist unendlich dankbar, dass sein versuchtes Attentat nach hinten losgegangen ist und er jetzt mit ihm sprechen kann. Furchtlos stellt er sich schließlich vor Raph und zieht den aufgelösten Ninja fest in seine Arme. Verwirrt und wütend versucht Raphael sich loszureißen, doch Chen lässt es nicht zu. „Was soll der Scheiß?“, schreit der Rote ihm entgegen. Chen legt seinen Kopf vorsichtig auf der Schulter des Rüstungsträgers ab und schließt ihn noch fester in die Arme. „Danke, dass du all diese Opfer gebracht hast und immer noch weiter machst. - Danke, dass du mich vor einem schlimmen Fehler bewahrt hast. – Alles wird wieder gut. Ich bin hier, um dir zu helfen, Meister…“, haucht der Schwarzhaarige ihm mit sanfter Stimme ins Ohr. Völlig perplex hängt Raph in der Umarmung dieses Mannes, der ihn noch vor wenigen Minuten versucht hat zu töten, und versteht die Welt nicht mehr. Doch etwas tief in seinem Herzen sagt ihm, dass er Chen blind vertrauen kann, so wie er einst seiner Familie vertraut hat. Es ist fast so, als hätte er endlich jemanden gefunden, der sein gebrochenes Herz wieder zusammenfügen kann. Unmengen Tränen bahnen sich ungehindert ihren Weg ins Freie und Raph wirft zum ersten Mal all seinen Stolz über Bord. Wie ein Ertrinkender klammert er sich an Chen fest und lässt all den Kummer der letzten Zeit von ihm aufsaugen. „Bitte, verlass mich nicht!“, wimmert er verzweifelt und klammert sich noch fester. „Das würde ich niemals tun, Meister!“ Und das meint Chen vollkommen ernst. Eine Woche später… Gedankenverloren steht Raphael an der Wasserkante, wo er vor einer Woche die Leiche des aufmüpfigen Foot-Soldaten versenkt hat und blickt mit einem leeren Auge hinüber nach North Brother Island. Der Tag ist dunkel und kalt, die Nachbarinsel in dichten Nebel gehüllt. Ihre Anwesenheit fast nur zu erahnen. Dennoch ist sie da und es scheint fast so, als würde sie nach ihm rufen. Seit er hier ein neues Zuhause gefunden hat, hat er diese Insel noch kein einziges Mal betreten. Der Drang das Ungewisse zu erforschen schreit jedoch laut in ihm und er denkt, dass heute der richtige Tag dafür wäre. Langsam und bedenklich nähert sich ihm eine Gestalt durch das dichte Unterholz. Er kann ihre Anwesenheit spüren, ist darüber aber nicht in Sorge. Er weiß, wem diese Aura gehört und er hat ihn bereits erwartet. Wenige Momente später steht Chen hinter ihm und verbeugt sich stumm. Aus dem Augenwinkel kann Raph ihn sehen, aber auch nur, weil er den Kabuto abgenommen hat. Der Helm behindert ihn und daher setzt er ihn so oft es ihm möglich ist ab. „Sind sie weg?“, fragt er den jungen Mann, ohne sich umzudrehen. „Ja, Meister. Gruppe eins ist zur 27sten Zone unterwegs und durchkämmt das Industriegebiet. Sie suchen nach Werkzeugen und Baumaterial. Gruppe zwei ist auf dem Weg in die 43ste Zone, dem Einkaufsviertel. Sie werden unsere Vorräte aufstocken, sowie Kleidung und Arzteimittel mitbringen. Soweit zumindest der Befehl. Was sie wirklich machen, kann ich natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen. Sie scheinen aber froh darüber zu sein, nicht wieder den Befehl erhalten zu haben, nach Überlebenden zu suchen. Allerdings hab ich sie angewiesen, sollten ihnen Menschen begegnen, sollen sie diese unverzüglich hierher bringen.“, berichtet der Japaner sachlich, während er die Informationen aus einem kleinen Notizbuch abliest, das er immer bei sich trägt. Scheinbar zufrieden nickt der Rüstungsträger, dreht sich aber immer noch nicht um. Es war eine gute Idee Chen in den Clan aufzunehmen. Nicht nur, weil er die Kampfkunst beherrscht und so das Training der Foot überwachen kann, sie scheinen ihm auch wohlgesinnter zu sein, wenn es um die Ausführung der Befehle geht. Der Schwarzhaarige hat eine sanfte und doch durchdringend überzeugende Art an sich, die ihnen weit lieber ist, als Raphaels klägliche Führungsversuche. So teilt er all seine Befehle Chen mit und dieser gibt sich an die Foot weiter und hat damit anscheinend ganz guten Erfolg. Schmerzlich wird sich Raph bewusst, dass er nun versteht wie sich Leo all die Jahre gefühlt haben muss, wenn sie ihm den Gehorsam verweigert haben und ihn ärgerten, was für ein lausiger Anführer er doch wäre. Allen voran natürlich Raphael selbst. Innerlich hat er Leonardo immer bewundert, wie er in jeder Situation Ruhe bewahren und sich einen Plan zu Recht legen konnte. Nun begreift er, was für eine enorme Belastung das für den Schwertkämpfer gewesen sein muss. Gern würde er seinem Bruder jetzt sagen wie leid ihm das alles tut, was er ihm ständig an den Kopf geworfen hat und was für ein wunderbarer Anführer er doch stets gewesen ist. Doch das geht nicht mehr und dieser Gedanke wird ihn wohl für den Rest seines Lebens verfolgen. Erst recht weil er zu feige ist, sich der Herausforderung mit den Foot zu stellen und sie weiterhin zum Gehorsam zu zwingen. Aber was soll´s? Dann ist er eben feige und überträgt Chen die ganze Arbeit. Doch seine Angst, erneut so kopflos die Beherrschung zu verlieren und sich am Leid und Tod der Foot zu laben, ist einfach zu groß, als dass er es riskieren kann. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis alle Foot vom Antlitz dieser Erde verschwinden werden und durch neue ersetzt sind. Dann wird Raphael es wieder versuchen und sich seiner Angst stellen. Bis dahin ist es besser sich zurückzuhalten und sich um andere Dinge zu kümmern, um einen klaren Kopf zu bekommen. „Das hast du gut gemacht, Chen.“, lobt er seinen neuen Freund, ehe er sich endlich zu ihm umdreht. Erwartungsvoll blicken ihn die grauen Augen des Mannes an. Ein zaghafter Sonnenstrahl bahnt sich seinen Weg durch die Wolken und erhellt einen Teil des Waldes um sie herum. Es ist etwas seltsam, den arbeitssamen Japaner vor sich nun in einer Uniform der Foot zu sehen. Doch wie Raphael selbst nutzt auch Chen jede Minute die er ungestört ist, um seine Maske fallen zu lassen. Und es ist ein gutes Gefühl ihm in die Augen sehen zu können. Mit der Maske ist er nur ein Gesicht unter vielen, eine namenlose Gestalt im Schatten. Die Tatsache ständig von ihm Meister genannt zu werden, selbst wenn sie allein sind, stört Raph schon ein wenig, denn immerhin sieht er Chen als Freund an und nicht als einen seiner nichtsnutzigen Untergebenen. Allerdings hat sich der junge Mann das ganz von selbst ausgesucht und Raph möchte ihm da auch nicht unbedingt reinreden. Nur manchmal, wenn sie sich ganz privat unterhalten, wäre es ihm doch lieber, wenn der Schwarzhaarige diese Höflichkeit ablegen und ihn einfach Raph nennen würde. Doch das tut er nicht. Vielleicht hat er Angst, es könnte ihm einmal vor den Foot herausrutschen. Doch eigentlich ist es auch egal, solang Raph einfach nur mit ihm reden kann. Ein schwaches Lächeln huscht über die Züge des Rüstungsträgers. „Dann lass uns gehen. Es ist so weit!“, verkündet der Rothaarige schließlich und bahnt sich langsam einen Weg durch die Büsche zum Eingang des Bunkers. „Sehr wohl, Meister.“ Ohne zu zögern folgt Chen ihm und Raph kann förmlich den Tatendrang des anderen auf seinem Rücken spüren. Es ist irgendwie verrückt, doch der Einäugige hat manchmal echt das Gefühl, als würden die Seelen seiner Familie in Chen weiterleben. Er ist respektvoll und angergiert wie Leo, schlau und geduldig wie Donnie, voller Tatendrang und ausgefallenen Idee wie Mikey und trotz seines jungen Alters schon äußerst erfahren im Kampf und er kennt viele Weisheiten, sodass Raph oft schon das Gefühl hatte mit Splinter zu reden. Einerseits sind diese Eigenschaften für Raph ein Segen, gaukeln sie ihm doch vor, seine Familie nicht ganz verloren zu haben. Andererseits sind sie ein Fluch, gerade weil sie ihn an seine Familie erinnern, die doch nicht hier ist. Größtenteils schweigend gehen die beiden Ninja den Tunnel entlang, der die zwei Inseln miteinander verbindet. Schon vor ein paar Tage hatten sie sich über Raph´s Wunsch die Insel zu erforschen unterhalten, von daher gibt es jetzt nichts mehr zu sagen. Eine Art Gullydeckel verschließt den Ausgang. Melancholisch betrachtet der Saikämpfer ihn einen Moment. In seinem Kopf formen sich die Erinnerungen an frühere Zeiten. Wie oft war er mit seinen Brüdern in der Kanalisation gewesen und hat dort Splinters Rätsel gelöst oder die Durchgänge kartographiert? Er kann sich nicht erinnern, doch es waren unzählige, unvergessene Male. Leichte Sorge ziert Chens Gesicht, weiß er doch nie genau, was Raph in solchen Momenten so traurig aussehen lässt. Er kann sich jedoch sehr gut vorstellen, dass es etwas mit seiner verstorbenen Familie zu tun hat. Mitfühlend nähert er sich die jungen Führer und möchte ihn tröstend in die Arme schließen. Doch noch bevor er ihn erreicht, verschwindet der Ausdruck auf Raphaels Gesicht. Wortlos steigt der Jüngere die Sprossen nach oben und schiebt den Deckel zur Seite. Klar, Raph versucht irgendwie damit klarzukommen, doch Chen wünschte, er könnte mehr für ihn tun. Oftmals lässt der Einäugige es aber einfach nicht zu, versucht seine schwachen Momente zu verstecken. Mit einem tonlosen Seufzen folgt er seinem Meister nach draußen. Sie befinden sich mitten in einem dichten Wald, der sich nicht sonderlich von dem auf der anderen Insel unterscheidet. Als sie sich umsehen, entdecken sie jedoch einige Gebäude. Doch das ist vollkommen übertrieben. Eigentlich ist es nur ein Gebäude und die zertrümmerten und verfallenen Überreste kleinerer Bauten, die sich um das einzig intakte scharen. Schweigend betrachten sie einen Moment das große, rote Backsteingebäude. Vor ihnen erstreckt sich ein runder Turm, etwa vier Stockwerke hoch, der mit einem ebenso hohen Anbau verbunden ist. Der Anbau reicht weit in den Wald hinein. So gut wie alle sichtbaren Fenster an dem Gebäude sind zertrümmert und nur wenige, matte Scheibenstücke sind noch zu erkennen. Der Großteil des Anbaus ist meterhoch von Kletterpflanzen bedeckt, sodass nur das oberste Stockwerk noch sichtbar ist und die Ausmaße des Komplexes wiedergibt. Bis auf die kaputten Fenster wirkt es allerdings von außen noch ziemlich intakt, fast so als wäre es noch bewohnt und ein paar Jugendliche hätten sich des Nachts einen Streich erlaubt und alle Scheiben eingeworfen. Die kleineren Bauten ringsum sind allerdings völlig zerstört und lassen einen nicht einmal vermuten, welchen Zweck sie einst erfüllt haben könnten. Da Raph jedoch ein bisschen etwas über die Geschichte der Insel weiß, vermutet er, dass die kleinen Bauten einst die Schlafhäuser der Studenten oder Ähnliches waren. Nachdenklich reibt er sich das Kinn, während Chen ihn erwartungsvoll mustert. Schließlich beginnt Raphael zu sprechen. „Die Foot haben mir erzählt, dass dieses Gebäude vor langer Zeit mal ein Krankenhaus gewesen ist. Später haben hier auch Studenten gewohnt. – Ich denke, wir sollten uns das Krankenhaus mal genauer ansehen. Wenn es nicht gerade zusammenbricht, würde ich es gern versuchen wieder aufzubauen, um hier die nächsten Flüchtlinge unterzubringen. Das wird eine schwierige und langfristige Arbeit werden und die Foot werden davon ganz und gar nicht begeistert sein. Doch im Hauptquartier haben wir einfach keinen Platz, um endlos viele Leute unterzubringen und sie wollen auch ganz sicher nicht so nah bei den Leuten sein, die ihre Stadt zerstört haben. – Die Barracken ringsum können wir abreißen. Von denen ist eh nicht viel übrig. Doch vielleicht kann man hier Gemüse anpflanzen und ein paar Tiere halten. Schließlich werden wir nicht ewig irgendwelches Essen finden und ich möchte nicht den Rest meines Lebens irgendetwas Undefinierbares aus jahrzehntealten Dosen essen.“ Abwartend sieht er zu seinem Berater hinüber. Argwöhnisch mustert dieser das Gebäude. „Die Idee ist wirklich gut. Wir können nur hoffen, dass das Krankenhaus noch halbwegs benutzbar ist. Wenn alles einsturzgefährdet ist, müssen wir die ganze Sache vergessen, da wir keinesfalls das Wissen haben, das Gebäude wieder aufzubauen und sicher zu sein, dass die Statik auch korrekt ist…“, erwidert der Japaner vorsichtig. Die verfluchte Statik! Daran hat Raph nicht wirklich gedacht und es nimmt ihm etwas den Wind aus den Segeln. Seine schöne Idee hängt an einem seidenen Faden und er weiß nicht, was er stattdessen tun soll, wenn es misslingt. Diese aufkeimende Verzweiflung schlägt sich langsam in seinem Gesicht nieder. Leo und Donnie hätten an so etwas Offensichtliches sofort gedacht, nur er ist zu blauäugig dafür. Nicht zum ersten Mal verflucht er sich selbst dafür, dass er sich nicht mehr mit den Interessen und Fähigkeiten seiner Brüder beschäftigt hat. Dem Schwarzhaarigen entgeht nicht wie sein Meister mit sich zu ringen scheint, weswegen er sich schnell räuspert. „Doch wir sollten das Ganze positiv betrachten. Es könnte weit besser in Takt sein, als wir denken und wenn nicht, fällt uns sicher etwas anderes ein!“ Argwöhnisch betrachtet der Saikämpfer den jungen Mann vor sich einen Augenblick. Er kann sich nicht vorstellen, was sie tun sollen, wenn das Gebäude einsturzgefährdet ist. Schließlich hat Chen selbst gesagt, dass ihnen das nötige Wissen fehlt es wieder aufzubauen. Hilflos sieht er zu dem Krankenhaus hinüber und wünschte, er hätte nur etwas von Mikey´s Enthusiasmus. Könnte er nur alles positiv sehen, dass alles so sein wird wie er es sich wünscht und der Gedanke erst dahin ist, wenn wirklich alles zusammenbricht. Doch das kann er nicht. Er hat schon immer alles negativ betrachtet und ist stets vom Schlimmsten ausgegangen. Warum sollte es jetzt auch anders sein? Als er sich wieder umdreht, sieht Chen ihn hoffnungsvoll an. Dieser strahlende Ausdruck in seinen Augen ist wie ein heißes Messer in Raph´s Herz. Es scheint wirklich so, als stünde Mikey hier vor ihm. Rasch wendet er den Blick wieder ab, bevor das Gefühl ihn endgültig übermannt. Verwundert legt der Grauäugige den Kopf schief. Der Blick seines Meisters ist für ihn nicht zu deuten und doch scheint er es wieder geschafft zu haben, Raph durch seine bloße Anwesenheit Kummer zu bereiten. Innerlich schämt er sich dafür, doch er weiß ja nicht einmal wie es ihm ständig gelingt, den Rothaarigen unbewusst aus der Fassung zu bringen. Darüber reden möchte der Rüstungsträger nicht und Chen respektiert das natürlich. Doch er ist der Ansicht, dass es viel einfacher wäre ihm zu helfen, wenn Raph sich mal richtig aussprechen würde und ihm alles erzählt, was ihm auf der Seele liegt. Aber er kann ihn dazu ja nicht zwingen. Allerdings hat er schon viel von ihm erfahren, doch über sein Verhältnis zu seiner Familie schweigt sich der Führer aus und dabei scheint ihn gerade das besonders zu belasten. Jedoch hegt der Schwarzhaarige die leise Hoffnung, dass Raph sich ihm irgendwann anvertrauen wird, wenn er den gröbsten Kummer hinter sich hat. Die Stimme des Saikämpfers weckt ihn aus seinen Gedanken. „Lass uns endlich reingehen und sehen was noch zu retten ist. Diese Ungewissheit macht mich ganz krank…“ Wieder voll konzentriert verbeugt sich der Japaner vor ihm und kurz darauf begeben sie sich zum Eingang des Krankenhauses. Der Eingang besteht aus zwei riesigen Holztüren, von der eine schief an der unteren Angel hängt, da die obere durchgerostet ist. Pflanzen haben sich ebenfalls daran zu schaffen gemacht und so gelingt es den beiden Männern nur mit erheblichem Kraftaufwand, sich Einlass zu verschaffen. Die Sonne hat sich in der Zwischenzeit ihren Platz am Himmel zurück erobert und die Wolken vertrieben. So breitet sich nun ein angenehmes und doch irgendwie unheimliches Licht in dem verlassenen Gebäude aus. Geisterhafte Schatten huschen über die Wände, von denen die Farbe in dicken Brocken herabhängt. Schutt verteilt sich auf dem Boden und wird überwuchert von hunderten Pflanzen. Die Luft ist abgestanden und riecht feucht. Vorsichtig gleiten sie mit den Fingern über die Wände. Die Farbe blättert ab und rieselt zu Boden. Dennoch ist die Wand trocken und zeigt keinerlei Anzeichen von Schimmel. Scheinbar riecht es hier nur feucht, weil es letzte Nacht geregnet hat. Da das Gebäude ja auf einer Insel nahe am Wasser steht, wurden sicher Maßnahmen getroffen, es trocken zu halten und diese scheinen noch immer intakt zu sein. Prüfend schlägt Raph mit der Faust mehrmals gegen verschiedene Stellen der Wand. Chen tut es ihm auf der anderen Seite gleich. Zu ihrer Freude blättert nur noch mehr lose Farbe ab, doch die Wände scheinen stabil zu sein. Aber das muss ja nicht überall der Fall sein. Langsam gehen sie weiter. Sie finden viele Zimmer in unterschiedlichen Größen vor. Einige dienten als Schlafräume. In manchen davon stehen noch die verrosteten Gestelle der Krankenhausbetten. Andere sind Wasch- oder Behandlungsräume. Einige Möbelstücke sind noch da. Zu ihrer Überraschung sind auch sie frei von Schimmel. Dafür zerfallen viele bei Berührung, da sie völlig von Holzwürmern zerfressen sind. In allen Räumen blättert die Farbe von Wänden und Decken. Das Linoleum auf den Böden beult sich und ist mittlerweile so hart, dass es beim Drauftreten laut knackend zerbricht. In anderen Räumen sind sämtlich Kacheln und Fliesen von den Wänden gefallen. Alles liegt voller Trümmer. Trotz der vielen Räume entdecken die beiden so gut wie keine Habseligkeiten. Bevor die Insel verlassen wurde, hat man wohl fast alles eingepackt und mitgenommen, außer eben dem, was eh schon kaputt war. Einige alte Bücher und Akten sind alles was an den Krankenhausbetrieb erinnert. Erstaunlicherweise sind viele Dinge noch intakt. Es gibt überall Waschbecken, von denen nur wenige durch herabfallende Trümmer zerstört sind. Die Armaturen sind völlig hinüber und undicht, doch als Raph einige ausprobiert, kommt immer noch Wasser heraus. Es spritzt dreckig braun in alle Richtungen und sämtliche Leitungen müssen ersetzt werden, doch die Tatsache, dass das Wasser noch immer emsig fließt und abläuft, macht Raph große Hoffnung. Mit den Stromleitungen sieht es ähnlich aus. Die meisten sind völlig korrodiert und müssen ersetzt werden, doch mit einem wasserbetriebenen Generator wie auf der Nachbarinsel dürfte es bald wieder Strom geben. Böden, Decken und Wände sehen stabil und belastbar aus, Treppen begehbar. Eine schmale Wendeltreppe aus Metall führt nach oben. Sie ist dick überwuchert mit Pflanzen und knarzt verdächtig unter den Füßen. Wie es aussieht wird sie nur noch von den Pflanzen am Zusammenbrechen gehindert, aber das ist wohl das kleinste Problem. Die kaputten Fenster machen ihnen mehr Sorgen. Wenn der Winter vor der Tür steht und ihnen dafür keine Lösung eingefallen ist, werden die Menschen hier drin armselig erfrieren, selbst wenn die Heizungen wieder funktionieren. Doch die Besichtigung hat ihnen gezeigt, dass sie auch dafür eine Lösung finden werden. Das Gebäude ist weit besser in Schuss als sie es jemals für möglich gehalten haben. Gut, es gibt sehr viel zu tun, erst recht wenn sämtliche Leitungen ausgetauscht werden müssen, aber es scheint immerhin machbar. Raph ist tatsächlich auch ganz zuversichtlich, dass sie früher oder später jemanden aufnehmen werden, der sich mit solchen Dingen etwas besser auskennt und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es wieder vollkommen bewohnbar ist! Zwei Tage später… Raphael dachte eigentlich, dass die Arbeit an dem alten Krankenhaus eine willkommene Abwechslung für die Foot-Ninja sein würde. Aber da hat er sich wohl geirrt. Zwar scheinen sie etwas motivierter an die Sache heranzugehen, als bei ihrer Suche in den Trümmern New Yorks, dennoch meckern und zetern sie fast die ganze Zeit vor sich hin. Das Durchsuchen der Zonen in der Stadt ist im Vergleich zu dieser Arbeit viel einfacher. Dort müssen sie nicht die Trümmer beiseiteschaffen und sich durch die Vegetation kämpfen wie hier. Dennoch schienen sie von dem Gedanken, die Flüchtlinge hier unterzubringen, doch weit mehr angetan als Raph es sich vorgestellt hat. Schließlich wollen sie im Hauptquartier ihre Ruhe haben und nicht ständig von verängstigten Leuten umgeben sein, die die wildesten Fantasien haben, was die Foot mit ihnen anstellen könnten. Trotz der ungewohnten Arbeitsbereitschaft kommen sie nur sehr langsam voran. Sie sind einfach zu wenige. Und die Hälfte der Foot ist auch weiterhin in New York unterwegs, was es noch schwieriger macht. Dennoch ist Raphael so zuversichtlich wie schon lange nicht mehr. Aufmerksam überwacht Chen die Arbeiten an dem Krankenhaus und packt nicht selten selbst mit an. Das gibt dem Saikämpfer etwas Zeit zum Nachdenken. Da die Leichen seiner Familie ja nie gefunden wurden, hat er sich etwas anderes überlegt, um einen Platz zu haben ihrer zu gedenken. Hinter dem Krankenhaus und den anderen Ruinen, tief im Wald, will er eine Art Schrein errichten. So macht auch er sich an die Arbeit, während Chen und die Foot beschäftigt sind. Aus den vielen Trümmern der eingestürzten Bauten um das Krankenhaus herum, hat er sich einen großen, glatten Stein herausgesucht. Es war ein echter Kraftakt diesen Brocken in den Wald zu rollen, doch schließlich hat der Saikämpfer einen idealen Platz gefunden. Es ist eine kleine Lichtung, die stets von einem wunderschönen Spiel aus Licht und Schatten durchflutet wird. Der Anblick erscheint wie aus einem Märchen und allein der Gedanke hier etwas zu haben, das ihn an seine Familie erinnert, treibt dem sonst so harten Ninja die Tränen ins Auge. Seit dem Kampf mit Shredder fühlt er sich kein bisschen mehr hart und unnahbar. Raph kann sich nicht erinnern, dass er jemals zuvor so oft geweint hat und irgendwie macht ihm das angst. Vielleicht verliert er ja langsam den Verstand? Nie hätte er gedacht, dass die Einsamkeit ihm so zu schaffen machen würde, selbst jetzt wo er Chen an seiner Seite hat. Verzweifelt klammert er sich an die letzten Fünkchen seines alten Egos. Irgendwann wird er darüber hinwegkommen und dann wird er seine Aufgabe als Führer dieser neuen Welt genauso ernst nehmen, wie Shredder es einst getan hat. Ja, er wird wieder zu sich selbst finden und dann wird ihn niemand mehr für schwach halten und es wagen ihm zu widersprechen! Schwer atmend rollt er die Steinbrocken in eine vorbereitete Kuhle, sodass er doch schon ziemliche Ähnlichkeit mit einem Grabstein bekommt. Langsam nimmt er ein Stück Kreide zur Hand und zeichnet so genau wie möglich vor, was einmal den Stein zieren soll. Raph war nie sonderlich künstlerisch begabt, dennoch ist er mit seiner Skizze ganz zufrieden. Allerdings war das ja auch der leichteste Teil der Arbeit. Mit einem langen, nahezu verzweifelten, Seufzen nimmt er nun Hammer und Meißel zur Hand. Raph braucht eine ganze Weile, ehe er sich durchringen kann, den ersten Schlag zu setzen. Während er versucht, die Linien seiner Skizze so genau wie möglich herauszuschlagen, muss er unweigerlich an Donnie denken. Sein Bruder hatte ein unglaubliches Geschick im Umgang mit allen erdenklichen Werkzeugen. Wäre er jetzt hier, würde er Raph ganz sicher belustigt zeigen, wie man diesen verdammten Meißel richtig halten muss, damit nicht gleich der halbe Stein unter seinem Schlag zerspringt. Wie so oft in diesen Tagen schnürt sich ihm die Kehle zu und heiße Tränen brennen hinter seinem Auge. Wütend versucht er sie weg zu blinzeln und mit seiner Arbeit fortzufahren. Doch wie so oft in letzter Zeit gelingt es ihm nicht wirklich. Hilflos fängt er an zu weinen, dennoch legt er das Werkzeug nicht zur Seite. Nahezu zornig schlägt er weiterhin auf den Stein ein und versucht das Muster herauszulösen. Stunden vergehen, ehe er völlig erschöpft und am Rande des Wahnsinns, sein Werkzeug fallen lässt und betrachtet, was er geschaffen hat. Auf dem oberen Teil des Steins erstreckt sich das Wappen seines gefallenen Clans. Das Symbol, das ihn immer an die Form einer Blüte erinnert. Diese Blüte hat fünf Blütenblätter, für jedes Mitglied seiner Familie eines. So schien es ihm jedenfalls früher. Das Symbol ist zwar immer noch dasselbe, dennoch ist heute nur noch ein Blütenblatt übrig – er selbst. Das Herausmeißeln des Wappens war furchtbar schwierig und es ist auch nicht mal ansatzweise so schön geworden, wie Raphael es sich vorgestellt hat. Aber immerhin ist er ja auch nicht Donnie. Unter dem Clanwappen sind Kanji zu sehen, die zusammen das Wort ‚Hamato‘ bilden. Es war vor langer Zeit einmal der Name seiner Familie, sein eigner Name. Ein längst vergessenes Wort. Die einzelnen Schriftzeichen sind verwackelt und kaum richtig zu lesen. Schon früher hatte Raph nie ein besonders gutes Händchen zum Schreiben von Kanji. Allein schon die Reihenfolge, in der die einzelnen Linien gezogen werden müssen, damit sie im Gesamtbild ein leserliches Muster ergeben, war für den Saikämpfer immer etwas Unverständliches. Schon seine normale Handschrift gleicht einem Krausen, was will man da schon erwarten? Unweigerlich fällt ihm Leo an, der so wunderschöne Kanji malen konnte, dass es kaum auszuhalten war. Der Blaue war immer der folgsame Schüler, der alles bis zur Perfektion wiederholt hat. Damals hat Raph ihn immer aufgezogen, wie er seine Zeit nur mit so etwas sinnfreiem wie dem Malen von Kanji verschwenden kann. Jetzt jedoch wünscht er sich, er hätte sich damals selbst mehr Mühe gegeben. Tränen rinnen an seiner Wange hinab und er schämt sich dafür, so ein sturen Bock gewesen und Splinter ständig nur Kummer bereitet zu haben. Wie viele endlose Stunden hat ihr Meister versucht, ihm die hohe Kunst der Kanji nahezubringen? Er weiß es nicht mehr. Er weiß nur noch, dass es ihm schon mehr als gereicht hat, diese unendlichen Ansammlungen wilder Striche lesen zu können. Schluchzend betrachtet er den Stein. Die Muster, die er herausgearbeitet hat, heben sich als zartes Weiß aus dem grauen Stein hervor. Sie scheinen kaum sichtbar zu sein. Als könnte man sie nur entdecken, wenn man sie mit den Fingern berührt. Verloren blickt sich der Rothaarige um. Er denkt an Mikey, der immer ein Händchen für Farben und Dekoration hatte. Raph war schon früh der Meinung, dass sein Bruder daher vom anderen Ufer sein muss. Diese böswillig erscheinende Tatsache hat er dennoch immer bewundert, wenn er es auch nie zugegeben hat. Die Vorstellung, dass sein Bruder schwul sein könnte, hat ihn schließlich oft genug in den Wahnsinn getrieben und ihn dazu gebracht des Nachts Unfug mit ihm anstellen zu wollen. Vor seinem geistigen Auge taucht ein Bild auf. Es zeigt seinen schlafenden Bruder, wie er sich unter ihm im Traum zu winden beginnt. Raph wird ganz heiß, wenn er daran denkt und es zieht verräterisch in seinem Unterleib. Ein weinerliches Keuchen verlässt seine Lippen und für einen Moment ist ihm so, als könne er Mikey´s weiche Haut unter seinen Fingern spüren. Erneut laufen Tränen über seine Wange. Die Sehnsucht nach diesem geliebten Wesen wird unerträglich. Schließlich beißt sich Raphael so schlagartig und fest auf die Unterlippe, dass der Schmerz ihn augenblicklich wieder in die Wirklichkeit zurückholt. Er kann sein eigenes Blut schmecken, doch es ist ihm völlig egal. Keuchend versucht er sich zu beruhigen und seine Gedanken zu ordnen. Nach einer Weile löst sich auch seine Erregung auf und er hat wieder einen klaren Kopf. Dass der Blonde noch immer eine so heftige Wirkung auf ihn hat, macht ihm regelrecht angst. Wie lange es wohl dauern wird, bis er ihn vergessen hat und sein Herz einer anderen Person schenken kann? Eine Frage, die er nicht wagt zu beantworten. Erst einmal müsste es so eine Person geben. Bis jetzt jedoch ist keine hier und Chen ist einfach nicht sein Typ. Zudem bezweifelt er, dass der Japaner mit seiner Unterwürfigkeit so weit gehen würde. Außerdem hätte das nichts mit Liebe zu tun. Es wäre nur zur reinen Befriedigung. Und so lange er zwei gesunde Hände hat, würde er niemanden dazu zwingen wollen, ihm nahe zu sein, so widerlich er Selbstbefriedigung auch finden mag. Mit dem Gedanken an seinen kleinen Bruder ist es doch irgendwie auszuhalten. Wenn er sich wirklich mal wieder verlieben sollte, dann würde er sich eh lieber eine Frau wünschen, mit der er eine Familie gründen und all seinen Verlust vergessen kann. Dafür hat er aber noch viel Zeit. Erst mal eine Frau finden, die es in seiner Nähe aushält und die er nicht schon nach einer Nacht satt hat wie früher. Wieder betrachtet er den schmucklosen Stein und schaut sich dann suchend um. Ja, Mikey würde sofort etwas einfallen, um ihn zu verschönern, doch Raph ist für so etwas einfach nicht gemacht. Nach langem Nachdenken entdeckt er nicht weit von sich einen Strauch mit Beeren. Sie erinnern an wilde Brombeeren. Als er eine davon zwischen seinen Fingern zerdrückt, färbt der Saft sie rotbraun ein. Ein kleines Lächeln schleicht über seine Züge, als er mit einer Handvoll zu dem Schrein zurückkehrt. Vorsichtig zerdrückt er die Beeren in seiner Handfläche und taucht den Finger in den Saft. Mit zitternden Händen zieht er die Linien und Muster auf dem Stein mit dem rotbraunen Saft nach. Als er fertig ist, kann er vor lauter Tränen kaum mehr etwas sehen. Nun scheint der Stein so schrecklich lebendig zu sein, als würde er das Blut seiner toten Familie ausstoßen. Kraftlos bricht Raph vor dem Stein zusammen und weint ungehalten in den Wald hinein. Er legt sich auf den Boden und vergräbt seine rotgefärbten Hände in dem trocknen Laub unter sich, klammert sich wie ein Ertrinkender daran. Zum ersten Mal fühlt es sich gut an zu weinen, weil er jetzt endlich einen Ort gefunden hat, an dem er seine Tränen lassen kann. In seinem aufgelösten Zustand merkt er nicht, wie sich Chen leise durch das Gestrüpp kämpft. Als er das Weinen seines Meisters hört, verharrt er vor der Lichtung und beobachtet ihn. Er hat sich schon gewundert, wo er steckt und was er mit dem riesigen Stein vorhat und nun kennt er die Antwort. Als er die blutroten Muster auf dem Stein entdeckt, schnürt es auch ihm die Kehle zu. Er schluckt sehr hart, um das erdrückende Gefühl loszuwerden. Chen kannte Raph´s Familie hauptsächlich aus dem Fernsehen und dort wirkte der Rothaarige immer so kalt und abweisend ihnen gegenüber, als würden sie sich nur streiten können. Es ist schrecklich mit anzusehen, wie verzweifelt er jetzt ist und das von diesem stolzen Kämpfer nichts geblieben scheint. Vorsichtig entfernt sich der junge Mann. Doch wie sehr wünscht er sich, er könnte Raphael irgendwie helfen seinen Schmerz zu vergessen, aber er weiß einfach nicht, wie er das machen soll, wenn der Rote es nicht zulässt. Alone in this world? -------------------- 10 Jahre später - Oktober… Gedankenverloren gleitet er mit der Zunge über den Rand des hauchdünnen Papierstreifens. Der schale Geruch alten Tabaks steigt ihm dabei in die Nase und kitzelt ein leises Verlangen in ihm wach. Noch vor ein paar Jahren hätte er nie gedacht, dass er sich das Rauchen einmal angewöhnen würde. Splinter hätte ihm schon allein für den Gedanken die Hölle heiß gemacht. Mit einem melancholischen Lächeln rollt er die Zigarette zusammen und denkt dabei an seinen verstorbenen Meister. Splinter war immer der Ansicht, dass Alkohol und Drogen nichts für einen Ninja sind. Damit hatte er vermutlich auch Recht, aber wenn man es genau nimmt, sind solche Dinge für niemanden eine gute Wahl. Im Hause Hamato waren sie streng verboten. Nicht einmal Bier oder alkoholhaltige Pralinen waren erlaubt. Umso mehr hat Raph die Abende genossen, an denen er mit Leo um die Häuser ziehen konnte. Dort konnten sie sich mal ein Bier oder ein paar Drinks gönnen und solang sie nicht betrunken nach Hause gekommen sind, war alles in Ordnung. Splinter fand es zwar nicht schön, zu wissen, dass seine Jungs getrunken haben, aber verboten hat er es ihnen nicht. Wahrscheinlich aber auch nur aus dem Grund, dass sie es nicht Zuhause gemacht haben und auch nie mehr als angeheitert zurückgekehrt sind. Gut kann sich Raphael noch daran erinnern, wie er mit Leo zusammen an der Bar gesessen und sie sich gegenseitig aufs Korn genommen haben. Nüchtern war Leonardo so schrecklich empfindlich wenn man ihn geärgert hat, doch nach einem Bier hat er schon genauso fiese Worte gebraucht, wie es sonst Raphael eigen war. Es war herrlich und sie haben sich oft stundenlang so blöd angemacht und gelacht. Keiner der anderen Gäste schien zu verstehen, wie die beiden Jungs so mit einander umgehen können, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu springen. Blanke Ironie, dass sie das immer den Rest des Tages getan haben. Leo in diesen Momenten so locker zu erleben, war immer etwas ganz besonders für den Saikämpfer. Nur da schien er zu merken, dass sie Brüder sind, da sie sonst so grundverschieden waren, dass es schwer zu glauben war, dass sie dieselben Eltern gehabt haben sollen. Was würde er jetzt dafür geben, mit Leo ein Bier trinken zu können. Doch nach über zehn Jahren ist alles Bier schal, ungenießbar oder längst getrunken. Und über seinen ehemaligen Leader will er gar nicht erst nachdenken. Langsam reißt er ein Streichholz an der Lehne des Throns an und hält es an die Spitze der Zigarette. Verträumt saugt er den Rauch ein, spürt wie er sein Hirn vernebelt und bläst ihn wieder aus. Das zartgraue Wölkchen schwebt einen Moment vor seinem Auge und verteilt sich dann unbemerkt in dem großen Saal. Wirklich schmecken tut ihm das Zeug nicht, auch nicht nach all der langen Zeit, doch irgendwie befreit es seine Gedanken und beruhigt ihn auf seltsame Weise. Wenn Splinter das gewusst hätte, hätte er ihm das Rauchen dann wohl gestattet? Schmunzelnd schüttelt er den Kopf. Nein, mit Sicherheit nicht. Doch nun kann der Meister es dem Schüler nicht mehr verbieten. Und selbst wenn er es versuchen würde, ist Raph immerhin schon fast dreißig und muss sich solche Tadeleien ja nicht mehr unbedingt gefallen lassen. Dennoch würde er es ihm zu liebe sofort wieder aufgeben. Es ist fast fünf Jahre her, seit er es sich angewöhnt hat, dennoch hat er es nie geschafft mehr als sechs Stück davon an einem Tag zu vernichten. Hauptsächlich benutzt er sie zum Nachdenken oder um sich für etwas zu belohnen, dass er nach langer Zeit geschafft hat. Da alles aber nur sehr schleppend vorangeht, gibt es nicht allzu viele Augenblicke um sich zu belohnen, daher dient sie ihm wirklich mehr als Denkanstoß und um runterzukommen. Mit leerem Blick macht er einen weiteren Zug und verzieht dabei leicht das Gesicht, als sich der bittere Geschmack in seinem Mund ausbreitet. Kurz darauf strömt der Rauch durch seine Nase in die Freiheit und ist vergessen. Der Rote kann sich noch sehr gut an seinen ersten Versuch erinnern. Damals tränte ihm höllisch das Auge und ihm war so schlecht, dass er sich mehrmals übergeben musste. Dennoch hat er es wieder versucht und dann ging es auch. Gedanken hat er sich deswegen nicht gemacht. Früher, in einer anderen Zeit und einer Welt, die längst vergangen ist, hatte er allerhand Freunde, die geraucht haben und daher wusste er, dass vielen beim ersten Mal schlecht wird. Das gehört einfach dazu, wenn man seinen Körper überzeugen will, Gift zu schlucken. Früher oder später akzeptiert er es und wird süchtig. Doch trotz seines Kummers und allem um sich herum, schien Raph nie süchtig nach diesen Dingern zu werden. Fragt sich nur ob er sich darüber freuen soll oder nicht… Sie halfen ihm über nichts hinweg und sie haben ihm auch keinen Trost gespendet. Allerdings erzeugen sie dieses leichte Gefühl in seinem Kopf, das ihm beim Denken hilft und das genügt ihm vollkommen. Lässig klemmt sich der Saikämpfer die Kippe zwischen die Lippen und steht auf. Er verschränkt die Hände hinter dem Rücken und schlendert qualmend wie eine kleine Lock, zu dem großen Fenster hinüber. Durch die Scheibe kann er beobachten, wie Chen die Foot-Ninja trainiert. Sie können ihn jedoch nicht sehen, wie er erfreut festgestellt hat, da das Glas nur auf einer Seite durchlässig ist und auf der anderen aussieht wie ein gewaltiger Spiegel. Durch ein Mikrofon, das in die Wand eingelassen ist, kann Raph ihre Gespräche mit anhören oder sie zu sich rufen. Doch im Moment genügt es ihm, dem komischen Treiben beizuwohnen. Chen ist ein ganz ausgezeichneter Lehrer, was wohl auch daran liegt, dass sein ursprünglicher Berufswunsch eigentlich Lehrer war. Nur hätte er Japaner nie gedacht, dass er mal Ninjutsu statt amerikanischer Gesichte unterrichten würde. Trotz allem scheint er aber sehr zufrieden mit seiner Arbeit zu sein. Er legt unendlich viel Geduld an den Tag, um seinen ungeschickten und oftmals sehr unmotivierten Schülern die Techniken beizubringen. Man sieht ihm nur zu gut an wie mühsam und kräfteraubend das Ganze ist, dennoch verliert er nie die Beherrschung. Raph hat noch nicht mal erlebt, dass Chen irgendwann mal laut geworden und einen von ihnen bestraft hätte. Seine Ruhe ist echt beneidenswert, dennoch wär sie überhaupt nichts für den Rüstungsträger. Er befürchtet, dass Chen all seinen Ärger einfach in sich hineinfrisst und er irgendwann explodieren wird. Ein leichter Schauer läuft ihm über den Rücken. Der Schwarzhaarige kann auch ganz anders, das hat er immerhin am eigenen Leib erfahren, als er von ihm angegriffen wurde. Der Ältere hat eine dunkle Seite an sich, die er bestens zu verstecken weiß und das macht Raphael schon manchmal Sorgen. Der Gedanke löst leichtes Misstrauen in ihm aus, weiß Chen doch mehr über ihn als alle anderen hier zusammen. Stumm mustert er die gut fünfzig vermummten Gestalten, die sich um den Japaner scharen und versuchen seine Übungen zu begreifen. Mittlerweile sind sie vollständig und Raph denkt nicht, dass es nötig ist noch mehr Leute zu rekrutieren. Sollten sich weitere Männer freiwillig melden, bitte. Sollen sie es tun. In den Augen ihres Führers sind sie mehr als genug. Schließlich sind sie nicht mehr im Krieg und er braucht keine tausend Mann starke Armee um sich horten. Je mehr Soldaten es werden, desto unwohler fühlt sich Raph in ihrer Gegenwart. Die einstigen Foot-Ninja sind längst dahingeschieden. Eine Sache, um die sich Chen diesmal allein gekümmert hat. Raph hat ihm lediglich gesagt, dass er sie loswerden soll. Wie, spielte dabei keine Rolle, nur sollten sie nicht die Möglichkeit haben, zurückzukommen oder sich gegen sie zu stellen. Der junge Mann hat das Ganze ziemlich schnell erledigt und Raph weiß bis heute nicht wie. Doch er hat einen seltsamen Glanz in diesen grauen Augen gesehen, der ihm gezeigt hat, dass alle Foot das Zeitliche gesegnet haben und ihr Mörder nicht gerade Reue für seine Tat empfindet. Ganz anders Raph, den es schon fertig gemacht hat, nur einen von ihnen zu töten, ohne das er es eigentlich wirklich wollte. Chen schien damit keinerlei Problem zu haben. War das Ganze für ihn vielleicht einfach nur die Erfüllung eines Befehls? Leicht schüttelt der Rothaarige den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden. Der andere wirkt so sanftmütig, dass es einem schwer fällt, etwas anderes zu glauben und doch ist es so. Ein ungutes Gefühl, dennoch würde Raph niemandem mehr Vertrauen schenken als ihm. Warum weiß er selbst nicht genau. Irgendetwas tief in ihm sagt ihm, dass es das Richtige ist. Stumm betrachtet Raphael die beinahe kläglich wirkenden Versuche seiner neuen Soldaten. Es sind alles Flüchtlinge, die er in den letzten zehn Jahren aufgenommen hat. Die jungen Männer, die hier ihr Glück versuchen, sind früher entweder bei der Army gewesen, bei den Mariens oder haben Kraftsport gemacht. Alle vertraut mit hartem Training und bereit für ihr Land zu kämpfen. Dennoch traut er ihnen nicht so über den Weg wie er es bei Chen macht. Viele von ihnen kannten den alten Shredder und waren nicht gerade begeistert von ihm. Andere hatten schon damals den Wunsch mal in seiner Truppe mitkämpfen zu dürfen. Nun haben sie die Möglichkeit, aber der einstige Shredder ist nicht mehr da und das frustriert die Männer. Raph ist schließlich kein Vergleich zu dem gefallenen Tyrannen. Klar versucht sich Raphael möglichst hart zu geben und ihnen Angst zu machen, dennoch fällt es ihm schwer. Schließlich will er sein Selbst nicht verlieren und erneut in diese Tiefe abdriften. Dies hat aber zur Folge, dass nicht alle seine Männer so loyal sind wie er es sich wünscht. Daher kann er ihnen nicht sein völliges Vertrauen schenken und ist froh, dass sie für ihn nichts weiter als namenlose, wandelnde Schatten sind. In den letzten Jahren ist viel passiert. Das alte Krankenhaus wurde so gut es geht saniert und zu einer Unterkunft umgebaut. Man könnte sie jetzt wohl mit einer Art Studentenwohnheim oder so vergleichen. Es gibt unzählige Zimmer, in denen zu meist zwei bis drei Leute ihre Schlafplätze haben. Es gibt eine große Küche, in der ganz spartanisch mit Holz, Kohle oder Gas gekocht wird. Jede Menge Lagerräume stehen zur Verfügung und es gibt eine behelfsmäßige Krankenstation. Insgesamt wohnen dort an die fünfhundert Menschen jeden Alters und jeder Herkunft. Damit ist das Krankenhaus mehr als ausgelastet und sie sind bereits dabei, einen Anbau zu planen. Die neuen Foot wohnen hier im Bunker, so wie es die alten getan haben. Je nach Erfahrung und Qualifikation hat jeder der Flüchtlinge eine bestimmte Arbeit. Meistens richtet es sich danach, was sie früher einmal gemacht haben. Wer schon mal auf dem Bau zu tun hatte, hilft nun dabei, neue Unterkünfte zu errichten, was einen Großteil der Leute ausmacht. Kinder und alte Leute sind von dieser Arbeit entbunden. Dennoch machen auch sie sich nützlich, wenn sie körperlich in der Lage dazu sind. So helfen sie beim Waschen, Kochen oder bei Feldarbeiten. Sie unterrichten die Jüngeren und helfen einander. Zu Raphaels größter Freude zählen drei Flüchtlinge, die erst letzten Monat angekommen sind. Zwei Krankenschwestern und ein Tierarzt. Die Schwestern kümmern sich um die Alten und vor ein paar Tagen ist es ihnen auch gelungen, einer Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes zu helfen. Ein sehr gutes Zeichen in den Augen des Roten. Die letzten Frauen, die schwanger waren, haben entweder ihr Kind bei der Geburt verloren oder sind selbst gestorben. Ein schwerer Schlag, doch nun besteht endlich Hoffnung die Zivilisation wieder aufzubauen! Der Tierarzt tut sich noch etwas schwer mit seiner Arbeit. Viele Tiere zum Behandeln gibt es hier nicht. Gut, sie versuchen hier Schweine, Hühner und auch Kühe zu halten, aber die Tiere brauchen eher selten einen Arzt. So besteht seine Hauptaufgabe darin, sich um die Verwundeten zu kümmern. Seien es nun neue Flüchtlinge oder Foot-Ninja. Dies behagt ihm gar nicht, da der menschliche Körper doch ganz anders zu behandeln ist wie der eines Tieres. Ihm graut es davor irgendwann an den Punkt zu gelangen, an dem er jemanden operieren muss. Ganz zu schweigen davon, dass ihm nicht nur viel Wissen sondern auch die nötigen Maschinen fehlen. Die Foot haben zwar allerhand zusammengetragen, doch es wird wohl kaum für eine lebensrettende Operation reichen. Das Meiste wurde im Krieg eh zerstört. Das einzig wichtige Gerät, das sie hier für die Behandlung haben, ist eine Herz-Lungen-Maschine. Doch was soll man mit den Anzeigen anfangen, wenn man sie nicht ändern kann? Natürlich gibt es hier auch allerlei Medizin, zumindest welche, mit einem langen Haltbarkeitsdatum. Das Meiste ist jedoch über die Jahre längst unwirksam geworden. Die Dosen für Menschen und Tiere unterscheiden sich zudem auch rapide. Und nicht alles was für Tiere gut ist, ist es auch für Menschen. So etwas wie Narkosemittel gibt es hier nicht. So müsste eine OP ohne sie durchgeführt werden. Dem Arzt graut es davor, zu groß ist seine Angst, jemanden umzubringen statt ihm zu helfen. Raph hat ihm jedoch klargemacht, dass er ihre einzige Hoffnung ist, bis sie eines Tages vielleicht einen richtigen Arzt und bessere Geräte finden. Und damit war die Diskussion beendet. Noch immer liegt die Stadt in Trümmern und die Aufräumarbeiten gehen nur sehr langsam voran. Es ist wichtiger sich um die geretteten Leute zu kümmern, als den Schutt wegzuräumen. Zudem fehlen ihnen jede Menge Wissen und Maschinen, was die Arbeit erheblich ins Stocken bringt. Wenn man all diese kleinen und großen Tragödien wegnimmt, ist Raph aber schon ziemlich zufrieden mit dem, was sie in den letzten Jahren gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Und je mehr Leute hierher kommen, desto leichter wird es! Am Abend – Kilometer entfernt… Langsam senkt sich die Sonne am Horizont und hüllt Manhattan allmehlig in den Schleier ein, der die bevorstehende Nacht ankündigt. Der Tag war angenehm warm und klar. Doch jetzt, Ende Oktober, werden die Nächte nach und nach immer kühler und kündigen den nahenden Winter an. Schon in zwei oder drei Wochen könnte der erste Schnee fallen, aber noch scheint diese Tatsache weit entfernt. Allerdings ist das Wasser des East River schon gefährlich kalt und nicht mehr zum Schwimmen geeignet. Umso mehr verwundert es einen, zu sehen, wie in der aufkeimenden Dämmerung hektisch Blasen vom Grund aufsteigen. Diese Blasen treiben in einem Nebenarm des East Rivers, genannt Bronx Kill. Der Name klingt nicht sonderlich einladend und dass soll er auch nicht unbedingt. Dieser schmale Zulauf, der Port Morris und die Insel Randall´s Island voneinander trennt, hat eine besonders tückische und starke Strömung und hat damit schon viele Schiffe in ihr feuchtes Grab geschickt. Der einzige noch intakte Anleger der Insel erhebt sich als dunkles Gebilde vor dem Sonnenuntergang und genau vor ihm steigen die ganzen Blasen auf. In dem aufgewühlten Wasser erscheinen immer mehr Blasen, die mit leisem Klang zerplatzen. Es sieht aus, als wäre dort etwas versunken und all die Luft entweicht nun. Oder als würde jemand kurz vor dem Ertrinken stehen und verzweifelt versuchen sich an die Oberfläche zu kämpfen. Langsam erhebt sich ein dunkler Schatten vom Grund des Wassers und nähert sich der Oberfläche. Dabei werden die Blasen noch einmal stärker und wühlen das kalte Blau noch mehr auf. Momente später stößt eine Hand aus den Fluten und sucht verzweifelt nach einem Halt. Eine zweite Hand gesellt sich dazu und kurz darauf taucht auch ein Kopf auf. Heftig nach Luft schnappend und mit weit aufgerissenen Augen rudert die Gestalt mit den Armen. Das blonde Haar hängt dem Jungen tropfend ins Gesicht und versperrt ihm fast die Sicht. Er mag kaum älter als sechzehn sein, sieht jedoch in seiner Panik wie ein kleines Kind aus. Hilflos strampelt er näher an den Anleger heran und versucht sich daran festzuhalten. Das Holz ist dick mit Moos und Algen überwachsen und so rutschig wie poliertes Eis. Verzweifelt klammert sich der Junge fester daran. Genau in diesem Moment gibt der Pfahl nach und bricht zusammen. All die Jahre, in denen sich niemand um ihn gekümmert hat, haben ihm schwer zugesetzt. Mit lautem Klatschen schlägt er neben dem Jungen ins Wasser und zerfällt dabei wie trockener Sand. Der blonde Junge verliert dadurch das Gleichgewicht und versinkt für einen Augenblick erneut im Wasser. Als er wieder auftaucht, kann er noch sehen wie der gesamte Anleger auseinanderbricht und ins Wasser stürzt. Das aufschlagende Holz erzeugt in der aufgewühlten See einige große Wellen, die den Jungen ein weiteres Mal unter Wasser drücken. Atemlos und völlig kraftlos taucht er wieder auf und versucht sich oben zu halten. Den Tränen nahe betrachtet er die hölzernen Reste des Anlegers, die von den Fluten in den East River hinaus gesogen werden. Die Strömung zieht heftig an ihm, doch er weiß beim besten Willen nicht wie er an Land kommen soll. Verzweifelt blickt er sich um. Alles was er sieht ist eine hohe Betonmauer, die die Insel an dieser Seite begrenzt. Der Anleger war an dieser Stelle der einzige Zugang zum trockenen Land. Entkräftet schwimmt der Junge zur Mauer hinüber, doch sie ist viel zu glatt und zu hoch, um an ihr hinaufzuklettern. So wird er also keinesfalls nach oben kommen. Fieberhaft denkt er nach, während er große Mühe hat sich über Wasser zu halten. Er hat einfach keine Kraft mehr und ihm ist so schrecklich kalt. Seine Füße sind schon ganz gefühllos und seinen Fingern geht es nicht viel besser. Er könnte um Hilfe rufen, doch dieser Gedanke kommt ihm gar nicht erst. Nein, kein einziger Gedanke durchströmt seinen Kopf. Er scheint vollkommen leer zu sein. Keine Gedanken, keine Erinnerungen und auch keine Ideen. Er weiß nicht, wer er ist und er weiß auch nicht wie er hier ins Wasser kommt. Er weiß nicht einmal wo er hier überhaupt ist. Das einzige was er weiß ist aber, dass er schnell aus dem verfluchten Wasser raus muss, bevor er noch erfriert oder ertrinkt! Langsam gleitet seine eine Hand an seiner Hüft hinab und ertastet dort einen Gegenstand. Kann er ihm wohlmöglich helfen hier rauszukommen? Hoffnungsvoll holt er ihn an die Oberfläche und betrachtet ihn. Mit gerunzelter Stirn starrt er das Ding an und kann sich dennoch nicht erklären was es darstellen soll. Dennoch liegt es irgendwie so vertraut und gut in seiner Hand, fast als wäre es ein Teil von ihm. Bei dem Gegenstand handelt es sich um einen rundgeschliffenen Holzstab, an dessen einem Ende eine lange Metallkette befestigt ist. Am Ende der Kette befindet sich ein zylindrisches Gewicht. Am anderen Ende des Stabes springt eine gebogene Klinge heraus. Scharfgeschliffen glänzt sie im letzten Licht des Tages. Allerdings kennt er weder den Namen dieses seltsamen Gebildes, noch weiß er, dass es sich um eine Waffe handelt. Eine Waffe, mit der er schon sein Leben lang trainiert hat, unzählige Kämpfe bestritten und dessen Benutzung ihm sogar im Schlaf gelingt. Er weiß nichts. Doch tief in seinem Inneren hört er eine leise Stimme, die ihm sagt wie er sie benutzen muss. Es kommt einem Reflex gleich und seine Bewegungen sind so geschmeidig, als hätte er nie etwas anderes getan. Geschickt lässt er die Klinge an der Kette über seinem Kopf kreisen und wirft sie dann in einer fließenden Bewegung an der Mauer empor. Trotz dieser tiefverwurzelten Geschicklichkeit staunt er nicht schlecht, als die gebogene Klinge über die Mauer fliegt und sich dort verkeilt. Prüfend ruckt er mehrfach an der Kette, doch sie scheint zu halten. Der Blonde sammelt all seine Kräfte zusammen und zieht sich langsam an der Kette hinauf. Auf dem feuchten Beton finden seine blanken Füße kaum einen Halt. Dennoch gibt er nicht auf. Sein Körper scheint eine Tonne zu wiegen, als er endlich den oberen Rand der Mauer erreicht. Kraftlos lässt er sich auf der anderen Seite auf den Boden fallen und bleibt dort japsend wie ein Fisch auf dem Trockenen liegen. Inzwischen ist die Sonne vollständig verschwunden und die Temperatur um mehrere Grad gefallen. Der Mond wirft sein kaltes Licht auf ihn und lässt ihn erzittern. Er friert ganz entsetzlich. Schwach richtet sich der Junge auf und versucht so viel Wasser wie möglich aus dem zerschlissenen, grünen Overall und dem orangen Shirt, das er trägt, auszuwringen. Er schüttelt seinen Kopf und ein Regen aus tausenden Tröpfchen verteilt sich in der Nacht. Die Sachen, die er trägt, sind an vielen Stellen zerrissen. Schuhe hat er keine, dafür entdeckt er an seinen Hüften noch mehr seltsame Gegenstände. Sie sind ihm ebenfalls fremd, obwohl er auch mit ihnen aufgewachsen und trainiert hat. Doch die Erinnerung daran hat er nicht mehr. Gedankenverloren tapst er an die Mauer heran und blickt auf das weite, dunkle Wasser hinaus. Wild bricht sich die Strömung am Beton und die Wellen machen dabei klatschende Geräusche. Außer den tosenden Fluten sieht er nichts und sonst scheinen auch keine Geräusche zu herrschen. Alles kommt ihm so fremd vor. Hat das Gewässer einen Namen und wenn ja, welchen? Was ist das hier für eine Insel, falls es überhaupt eine ist? Langsam dreht er sich um und blickt auf den kleinen Hafen. Viel ist von ihm nicht übrig geblieben. Andererseits war diese Anlegestelle nie ein richtiger Hafen gewesen. Hier tauten hauptsächlich kleine Freizeit- oder Sportboote an. Früher war mehr als die Hälfte von Randall´s Island mit Vegetation bedeckt. Ein großer Park direkt am Wasser zählte zu den beliebtesten Plätzen. Dazu kamen großen Tennis- und Sportanlagen, die sich über weite Teile der Insel zogen. Gebäude gab es nicht viele und wenn waren es verschiedene Ausbildungsbehörden, zum Beispiel für die Feuerwehr oder Pflegepersonal. Da ist es kaum verwunderlich, dass der blonde Junge nichts weiter als Grün vor sich sieht. Mannshohes Gras bildet den Großteil des Anblicks. Es gibt nur wenige Bäume, da die meisten im Krieg verbrannt sind. Die wenigen, die jetzt wieder gewachsen sind, haben es schwer sich Gras und Sträuchern gegenüber zu behaupten. Der Blauäugige fühlt sich verloren und einsam, als würde er in einem Dschungel feststecken. Nirgends ist ein Licht auszumachen. Doch wenn irgendwo Menschen leben, müsste es doch auch Licht geben. Erst recht wo die Sonne gerade erst untergegangen ist. Er versteht nicht, was eigentlich los ist. Sein Kopf ist so schwer und pocht unaufhörlich. Kein einziger Gedanke möchte sich darin formen, um ihm auch nur eine seiner Fragen zu beantworten. Ein heftiger Windstoß fegt über ihn hinweg und lässt ihn erzittern. Es wird sehr kalt und er ist immer noch ganz nass. Müdigkeit zerrt heftig an ihm. Er muss sich dringend einen Platz für sich Nacht suchen. Auf wackligen Beinen macht er sich auf den Weg. Vor ihm erstreckt sich schier endloses Grün, durch das er sich mühsam hindurch kämpft. Es kommt ihm so vor, als würde diese grüne Wand niemals enden. Dann stolpert er plötzlich über einen Stein und fällt auf die Knie. „Verdammt…“, platzt es mit brüchiger Stimme aus ihm heraus. Dann verstummt er auf einmal und blickt sich mit großen Augen um. In der immer mehr zunehmenden Dunkelheit erblickt er vor sich tatsächlich eine Straße. Der Mond kommt hinter einer Wolke herauf und schenkt ihm etwas Licht. Sein kindlich wirkendes Gesicht hellt sich sichtbar auf, als er den kratzigen Asphalt unter seinen Fingern spürt. Glauben kann er es noch nicht ganz. Doch es ist wahr! Er hat wirklich eine richtige Straße gefunden und wo eine Straße ist, da sind ganz bestimmt auch Menschen! Neue Hoffnung keimt in ihm auf. Und nun, da der Mond scheint, kann er in einiger Entfernung sogar ein Gebäude erkennen. Doch irgendetwas stimmt damit nicht. Er braucht eine Weile bis er merkt, was es ist. Dann jedoch trifft es ihn schwer. Das Gebäude ist völlig zerstört! Was ist hier passiert? Ziellos blickt er sich weiter um. *Er steht langsam auf. Seine Beine fühlen sich schwer an, sein Magen fühlt sich schwer an. Nur sein Kopf fühlt sich merkwürdig leicht an; ein mit Gas gefüllter Ballon, der an einem Bleigewicht gefesselt ist. Er ertrinkt plötzlich in Einsamkeit, leidet unter dem hellen und trotzdem bedrückenden Bewusstsein, ein Lebewesen zu sein, das von seinesgleichen verstoßen wurde. Tränen laufen ihm heiß an den Wangen hinab und er schlingt zitternd die Arme um seinen Körper. Schluchzend geht er weiter, immer auf der Suche nach anderen Menschen und einen Platz zum Schlafen. Nach und nach versiegen seine Tränen wieder und sein Blick wird klarer. Unweit kann er ein weiteres Gebäude erkennen. Mit wenig Hoffnung nähert er sich. Es ist weit weniger zerstört wie das andere, doch das macht es nicht unbedingt besser. Niemand ist hier, er ist und bleibt völlig allein. Doch er kann nicht mehr weiter. Alles schmerzt und er ist so schrecklich müde. Vorsichtig betritt er das alte Gebäude, das vor vielen Jahren einmal der New Yorker Feuerwehr als Trainingslager gedient hat. Als sich der Blonde umsieht, beschleicht ihn immer mehr das Gefühl, dass die Menschen diesen Ort ziemlich schnell verlassen haben. Vieles steht noch ungerührt an Ort und Stelle, als warte es nur darauf benutzt zu werden. Frierend durchstöbert er alle Räume, die sich gefahrlos betreten lassen und sammelt ein, was ihm hilfreich erscheint. Schließlich lässt er sich in einem der Räume nieder und schlägt sein Lager auf. In einem Schrank hat er ein paar Decken gefunden. Eine davon rollt er zu einem Bündel zusammen, das ihm später als Kissen dienen wird. Zwei weitere legt er auf den harten Boden und die letzten zwei wird er dann benutzen, um sich zu zudecken. In einem anderen Schrank hat er jede Menge Papier gefunden, dass er nun in eine Blechtonne stopft. Nach schier unendlich vielen Versuchen gelingt es ihm, damit ein Feuer zu machen, an dem er sich aufwärmen kann. Nun endlich kann er sich auch von den nassen Sachen befreien. Er wirft sie zum Trocknen über zwei Stühle. Leider hat er weder etwas zum Anziehen noch etwas Essbares befunden. Also wickelt er sich nackt, zitternd und mit knurrendem Magen in die Decken ein und rutscht so dicht wie möglich an das Feuer heran. Es dauert lange, ehe ihm warm wird, doch kaum das er sich hingelegt hat, ist er auch schon eingeschlafen. Er träumt von Dingen, die er nicht versteht und dennoch scheinen sie ihm vertraut zu sein. Aber schon kurze Zeit später verfällt er in einen so tiefen Schlaf, dass er nichts mehr träumt und sein Körper sich endlich etwas erholen kann. Am nächsten Morgen… *Als der Blonde aufwacht, singen die Vögel voller Zuversicht. Das Tageslicht ist stark und hell, es muss früher Vormittag sein. Er hätte sogar noch länger schlafen können, aber das lässt sein Hunger nicht zu. In seinem Inneren tobt eine große Leere von der Kehle bis ganz hinunter zu seinen Knien. Und genau in der Mitte tut es weh, richtig weh. Es ist, als wird er irgendwo dort drinnen gezwickt. Dieses Gefühl erschreckt ihn. Er war schon früher hungrig gewesen, aber nie so hungrig, dass es auf diese Weise wehgetan hat. Er muss heute dringend etwas zu Essen finden, sonst wird ihn bald all seine Kraft verlassen. Wackelig kommt er auf die Beine und streift sich seine inzwischen trockenen Sachen über. Noch immer weiß er nicht wer er eigentlich ist, woher er kommt und ob es vielleicht sogar jemanden gibt, der irgendwo auf ihn wartet. Sein Kopf scheint genauso leer zu sein wie sein Magen. Seinen Hunger kann er hoffentlich bald stillen, doch wird ihm irgendwann jemand sagen können, wie er heißt? Aber damit es ihm jemand sagen kann, muss er erst einmal einen anderen Menschen finden! Mit einem letzten Fünkchen Hoffnung verlässt er sein provisorisches Lager und macht sich auf die Suche. Stunden vergehen, in denen er sich beinahe ziellos durch fast undurchdringbares Grün kämpft. Nur an manchen Stellen wächst weniger Vegetation, sodass er eine Straße oder ein Gebäude findet. Doch jedes Mal bietet sich ihm dasselbe, enttäuschende Bild der Zerstörung. Die Bauten sind entweder völlig zusammengebrochen oder stark beschädigt. Dennoch findet er nirgends Anzeichen für menschliches Leben, geschweige denn irgendetwas Essbares. Das Einzige was er inzwischen mit Sicherheit sagen kann, ist, dass er sich auf einer Insel befindet und sie scheint völlig verlassen. Verloren beginnt er die Insel zu umrunden, um einen Weg zum Festland zu finden. Weit kommt er jedoch nicht, da ihm einfach die Kraft fehlt. Er kann sich beim besten Willen auch nicht erinnern, wann er das letzte Mal etwas gegessen hat oder was war, bevor er im Wasser aufgetaucht ist. Seine Beine werden immer schwerer und schließlich kann er keinen Schritt mehr weiter. Unbeholfen lässt er sich auf die Knie fallen und beginnt stumm zu weinen. Wie ein kleines Kind drückt er dabei seine Fäuste gegen die Augen und schnappt angestrengt nach Luft. Die Verzweiflung umarmt ihn wie eine sehnsüchtige Geliebte. Doch diese Geliebte ist eiskalt und wünscht ihm alles Schlechte dieser Welt. Langsam droht er sich in ihr zu verlieren. Er spielt sogar kurz mit dem Gedanken, sich einfach hinzulegen und auf sein Ende zu warten, als er plötzlich etwas rascheln hört. Was folgt gleicht einem Reflex, der tief in ihm verwurzelt zu sein scheint. Schlagartig hören seine Tränen auf zu fließen, er hält die Luft an und macht sich ganz klein, als hätte er Angst gesehen zu werden. Instinktiv und vollkommen ohne das er es je erklären könnte, wandern seine Hände an seinen Hüften hinab zu den seltsamen Waffen, angeln sie aus ihren Halterungen und umklammern sie so fest, dass seine Finger ganz weiß werden. Seine Augen huschen nach allen Seiten und seine Ohren lauschen auf das kleinste Geräusch. Dann auf einmal wieder ein Rascheln ganz in seiner Nähe. Er kann sehen wie sich das hohe Gras vor ihm bewegt, als würde ein böiger Wind hindurch fegen. Sein ganzer Körper spannt sich schmerzhaft stark an. Ohne es bewusst wahrzunehmen, bereitet sich sein Körper auf einen möglichen Angriff vor und er kann nichts dagegen tun. Was auch immer sich dort im Gras versteckt, sobald es sich zeigt, wird er es angreifen und wenn es sein muss auch bekämpfen. Langsam kommt das Rascheln näher und die Halme schwanken nun wie bei starkem Seegang. Dann endlich teilt sich das Grün und eine Gestalt tritt in die Nachmittagssonne hinein. Der blonde Junge springt in einer einzigen, schnellen Bewegung auf und will nach vorn stürmen, als er im letzten Moment erkennt, dass von seinem Gegenüber wohl keine Gefahr ausgehen wird. Wie angewurzelt bleiben beide Seiten stehen und starren sich einfach nur an. Schließlich scheint die Hirschkuh nicht der Ansicht zu sein, dass von diesem seltsamen Wesen eine Gefahr ausgeht und so setzt sie sich einfach wieder in Bewegung. Sie ist jung, hier auf dieser Insel geboren und hat in der ganzen Zeit noch nicht einen Menschen gesehen, was bei der dichten Vegetation auch kein Wunder ist. Zudem gibt es hier außer einigen Ratten keine Raubtiere die sie fürchten müsste. Völlig perplex starrt der Junge weiterhin die Hirschkuh an und lässt dabei die Waffen sinken. So etwas Schönes hat er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen, oder zumindest kann er sich nicht daran erinnern. Mit offenem Mund beobachtet er wie das Tier langsam, ohne Scheu und von einer unheimlichen Eleganz umgeben, an ihm vorbei läuft. Unentwegt zuckt sie dabei mit Ohren und Nase und behält das seltsame Wesen mit dem wenigen Fell genau im Auge. Man weiß ja nie, ob es vielleicht doch noch gefährlich ist, immerhin trennen sie kaum zehn Meter voneinander. Ganz langsam steckt der Junge seine Waffen wieder ein und starrt die Hirschkuh mit großen Augen an. Jedem anderen, der halbverhungert hier herumirrt, wäre wohl in den Sinn gekommen, dass Tier zu töten und daraus ein Festmahl zu machen, doch ihm nicht. Er ist so fasziniert von diesem Anblick, dass er seinen Hunger sogar vergisst. Mit gemächlichen Schritten ihrer langen Beine entfernt sich die Hirschkuh immer weiter von ihm. Schließlich gelangt sie an die nächste Wand auf mannshohem Gras und stoppt. Mit schiefgelegtem Kopf beobachtet der Junge sie. Warum hält sie einfach an? Ehe er sich eine Antwort überlegen kann, beginnt sein Magen lautstark zu knurren. Die Hirschkuh zuckt mit den Ohren und wendet ihren Kopf zu ihm um. Wieder zucken ihre Ohren und sie bewegt die Nase. Ein leichter Rotschimmer bildet sich auf den Wangen des Blonden, so als wäre es ihm peinlich, dass sie seinen Hunger so überdeutlich hören kann. Die Hirschkuh wedelt ein paar Mal mit ihrem kurzen Schwanz und öffnet dann das Maul. Heraus kommt ein leiser Ton, fast wie von einer kaputten Hupe. Überrascht zuckt der Blonde zusammen. Wieder legt er den Kopf schief, da er nicht versteht, was sie ihm damit mitteilen will. Ein weiteres Mal zucken Ohren und Nase der Hirschkuh, ehe sie ihren Schwanz aufstellt und das weiße Fell auf der Unterseite präsentiert. Dann stolziert sie in das Gras hinein und ist kurz darauf verschwunden. Der Blonde sieht wie sich das Gras bewegt und es raschelt, als sich das Tier hindurch bewegt. Dann schient es anzuhalten. Wieder ertönt dieses merkwürdige Hupgeräusch, diesmal nur lauter, damit er es wohl besser hören kann. Will sie ihm damit etwa irgendwas sagen? Er kann sich jedoch so überhaupt nicht vorstellen, was dieses Tier von ihm wollen würde. Wieder das Geräusch – noch etwas lauter, fast schon ungeduldig. „Will sie vielleicht, dass ich ihr folge?“, flüstert er sich selbst zu. Vorsichtig macht er einen Schritt vorwärts und im selben Moment bewegt sich auch die Hirschkuh im Gras wieder. Diese Tatsache scheint seine Frage zu beantworten und so bahnt er sich seinen Weg durch das Grünzeug. Wenige Meter vor ihm raschelt die Hirschkuh durch das Gras. Sie scheint überhaupt keine Angst vor ihm zu haben. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreicht er endlich das Ende und betritt eine betonierte Fläche. Sie war vielleicht einmal ein Parkplatz. Zumindest ist sie ziemlich groß. Hier und da wurde der Beton von ein paar Pflanzen aufgesprengt, doch das meiste ist noch heil, was nach so langer Zeit ohne Menschen, die sich darum kümmern ein echtes Wunder ist. Verwundert blickt sich die Blauäugige nach der Hirschkuh um. Warum hat sie ihn hierher geführt? Die Hirschkuh steht ein paar Meter abseits und trötet ihn ein letztes Mal an, dann verschwindet sie im Grün und wart nicht mehr gesehen. Mit fragendem Gesichtsausdruck bleibt der Junge zurück und versteht überhaupt nichts mehr. Als er auch das Rascheln der Hirschkuh nicht mehr hören kann, lässt er seinen Blick über den Platz schweifen. Am hinteren Ende erblickt er ein kleines Gebäude, das eine Garage sein könnte. Schmale Betonstreifen führen von dort aus zu einer eispurigen Straße, die vielleicht zu einer Brücke oder Ähnlichem führen könnten. Doch die Vegetation ist zu dicht um etwas zu erkennen. Neben dem kleinen Gebäude steht ein großer Baum, der hoch in den Himmel hineinreicht. Der Blonde traut seinen Augen kaum, aber der ganze Baum hängt voller dicker, großer Äpfel! Hat die Hirschkuh tatsächlich gemerkt, dass er Hunger hat und ihn deswegen hierher gebracht? Er kann es einfach nicht glauben. Heiße Tränen rinnen an seinen Wangen hinab. Endlich scheint er mal etwas Glück zu haben! Haltlos stolpert er auf den Baum zu. Wind kommt auf und weht einige der überreifen Früchte von den Ästen herunter. Schluchzend sammelt der Junge sie ein und setzt sich in den Schatten des Baumes. Endlich kann er seinen Hunger stillen und muss sich keine Gedanken mehr machen! Nach einer ganzen Weile lehnt er sich pappsatt gegen den Stamm des Baumes und schließt erschöpft die Augen. Um ihn herum liegen fast zwei Dutzend Kerngehäuse, die langsam von ein paar emsigen Ameisen in Beschlag genommen werden. Nach und nach driftet der Junge in den Schlaf über. Doch ehe er anfangen kann zu träumen, rumort es plötzlich in seinem Magen. Erschrocken reißt er die Augen auf und setzt sich gerade hin. Heftige Krämpfe erfassen ihn und er krümmt sich unter ihnen zusammen. „Was – was – ist nur los?“, presst er verzweifelt hervor. Kaum, dass er die Worte ausgesprochen hat, drängt sich alles an die Oberfläche und er muss sich so heftig übergeben, dass ihm fast die Luft wegbleibt. Das Erbrechen scheint überhaupt kein Ende nehmen zu wollen. Alles schmerzt und ihm wird fast schwarz vor Augen. Dann endlich scheint er alles von sich gegeben zu haben und lehnt sich zitternd und nach Luft schnappend an den Baumstamm zurück. Tränen rinnen abermals an seinen Wangen hinab und er versteht einfach nicht, was los ist. Stimmt irgendwas mit den Äpfeln nicht oder liegt es wohlmöglich an ihm? Er findet keine Antwort, weiß nur, dass ihm schon schlecht wird, wenn er nur an die Äpfel denkt. Er zittert wie verrückt und ihm ist auf einmal so schrecklich kalt. Waren die Früchte vielleicht vergiftet? Oder ist er krank? Nach einigen Minuten gelingt es ihm aufzustehen und zum Eingang des Gebäudes zu wanken. Die Tür ist nicht verschlossen und als er hineingeht, stellt er fest, dass es tatsächlich eine Garage ist. Ein altes Auto nimmt den meisten Platz darin ein. Auch der Wagen ist nicht verschlossen und so rollt sich der Junge einfach auf dem Rücksitz zusammen und fällt augenblicklich in tiefen Schlaf. Er ahnt nicht, dass er keineswegs krank ist. Dennoch fehlt ihm einiges. Es ist nicht klar, was dazu geführt hat, dass er an die Wasseroberfläche gelangen konnte oder welche Fehlfunktion an Baxters Strahlenkanone ihn vor zehn Jahren hat einfrieren lassen, statt ihn in seine Atome zu zerlegen. Doch sein Kopf hat damals einen mächtigen Schlag abbekommen, der sein Gedächtnis gelöscht hat. Einzig Reflexe und Instinkte sind ihm geblieben, wozu auch sein Ninja-Sinn zählt, doch das er einst ein aufstrebender Ninja war, weiß er nicht mehr. Er weiß nicht, dass er eine Familie hatte, von der nur noch einer übrig geblieben ist und er weiß auch nicht, der Shredder an alledem Schuld ist. Die schwere Gehirnerschütterung, die ihm seine Erinnerungen genommen hat, ist auch für seine körperliche Verfassung verantwortlich. Genau diese Verletzung hat ihm auch vorgegaukelt, dass er eine Hirschkuh sieht, die ihn zu einer Nahrungsquelle führt. In Wirklichkeit war dort kein Hirsch, nur eine große Ratte, die sich durch das Gras gekämpft hat. Sie ist an ihm vorbei gehuscht, hat ihn angefacht und ist verschwunden. Sein umnachteter Verstand hielt sie jedoch für eine sagenhafte Schönheit, die ihm in der Stunde der Not zur Seite steht. Der Apfelbaum ist jedoch echt und seine Früchte ebenso. Jedoch ist sein Körper viel zu angeschlagen, um mit der schieren Masse überhaupt fertig werden zu können, die er sich in seiner Gier zugemutet hat. In seiner hilflosen Verzweiflung versucht der namenlose Junge, der einst das wilde Herz der Ninja Turtles war und den Namen des berühmten Künstlers Michelangelo trug, noch mehrfach die Äpfel zu essen. Jedes Mal jedoch mit demselben Ergebnis. Am nächsten Tag… Die Sonne steht hoch am Himmel und der blonde Junge setzt verzweifelt seinen Weg fort. Auch heute konnte er noch nichts essen. Alles was er versucht hat, kam früher oder später wieder hoch. Sein Hals schmerzt mittlerweile so stark, dass er gar nicht mehr versuchen will etwas zu essen. Das viele Erbrechen hat ihn nur wertvolle Kraft gekostet, die er eh nicht hatte und so kann er sich inzwischen kaum noch gerade auf den Beinen halten. Er schlurft langsam einen Weg entlang, der zu einer Brücke führt, die Randall´s Island mit dem Festland verbindet. Beim Gehen, wenn man seine kläglichen Bemühungen überhaupt noch als Gehen bezeichnen kann, schwankt er so stark hin und her, dass er wie ein völlig Betrunkener wirkt. Mehrfach fällt er auf die Knie und rappelt sich nur schwerlich wieder auf. Jedes Aufrappeln fällt ihm schwerer. Langsam betritt er die Brücke und denkt noch, dass sie ihn vielleicht doch noch zu ein paar Menschen bringt, die ihm helfen können. Doch noch ehe er den Gedanken richtig festigen kann, wird ihm endgültig schwarz vor Augen. Seine Kräfte verlassen ihn völlig und er fällt haltlos zu Boden. Bewusstlos bleibt er auf dem rissigen Beton der Brücke liegen. Etwa eine Stunde später nähern sich vier Gestalten der Stelle von Festland aus. Es sind Foot-Ninja, die den Auftrag haben, die Insel nach etwas Brauchbarem abzusuchen. Soweit kommen sie aber nicht. Als sie den reglosen Körper des Jungen auf der Fahrbahn sehen, bleiben sie abrupt stehen. Ihnen ist bewusst, dass sie jeden Menschen ins Versteck bringen sollen, doch lohnt sich das überhaupt noch? Vorsichtig nähern sich die Männer der Person am Boden. Einer von ihnen geht auf die Knie und sucht nach einem Pulsschlag. Nach ein paar Augenblicken erhebt er sich wieder und gibt seinen Kollegen zu verstehen, dass sie ihn mitnehmen können. Soweit er es beurteilen kann, scheint es dem Jungen aber nicht sonderlich gut zu gehen und wahrscheinlich wird er auch keine zwei Stunden mehr leben, aber das ist ja dann das Problem eines anderen. Außerdem haben sie vor ein paar Jahren auch begonnen, alle Leichen einzusammeln und zu verbrennen, um die Ausbreitung irgendwelcher Krankheiten so gering wie möglich zu halten. So oder so muss Shredder über diesen Fund informiert werden. Den Meister interessieren die Leichen eigentlich überhaupt nicht. Er sieht sie sich höchstens an, um festzustellen, ob er denjenigen vielleicht mal gekannt oder einer der anderen Flüchtlinge ihn wohlmöglich kannte und der Tote somit vielleicht ein richtiges Begräbnis verdient hätte, statt als namenlose Asche im East River verstreut zu werden. Chen hingegen interessiert sich für jeden, ob nun tot oder lebendig, denn er führt streng Buch über alle Menschen, was sich ab und an schon als nützlich erwiesen hat. Also machen sich die Foot mit ihrem Fund wieder auf den Weg zum Versteck. Ihr Suchauftrag ist bei so einem Fund nur zweitrangig, von daher können sich die Männer über einen leichten und kurzen Auftrag freuen. Und vielleicht besteht ja sogar die Möglichkeit, dass sie den Rest des Tages frei bekommen! Sie ahnen ja auch noch nicht, dass ihr Fund eine ganz besondere Bedeutung hat und was er alles verändern wird… New chance without memory... ---------------------------- Eine Stunde später… Murrend drückt Raphael seine Zigarette aus und streicht unbeherrscht mit dem Bleistift über das Papier. Es erinnert weit mehr an die Zeichnung eines kleinen Kindes als an die Aufstellung seiner Männer für die morgigen Missionen. Seufzend stößt er die Luft aus. Warum muss es auch so schwierig sein? Nicht zum ersten Mal fragt sich der Saikämpfer ob der alte Shredder jemals solche Probleme gehabt hat. Doch er kommt immer wieder zu dem Ergebnis, dass dem ganz sicher nicht so war. Die Foot haben ihren alten Meister gefürchtet. Aber die neuen Foot scheinen dieses Gefühl ihrem neuen Meister gegenüber nicht sonderlich oft zu haben. Ständig hat irgendwer irgendwas zu nörgeln. Der eine will lieber das machen, der andere wäre lieber mit dem in einem Team und so weiter. Wirklich zum Haare raufen. Wie gern würde er ihnen den Hals umdrehen, um diesem respektlosen Gezeter ein Ende zu setzen, doch dann hätte er am Ende der Woche keine Männer mehr. Also einfach die Zähne zusammenbeißen und brav lächeln! Vielleicht hat der eine oder andere dann einen kleinen Unfall? Doch solang er sich noch auf Chen verlassen kann, wird es auch ein Morgen geben… Wenn man vom Teufel spricht, so eilt Chen gerade in diesem Moment den Gang zum Thronsaal entlang. Der Fund, den eines der Teams gemacht hat, geht nicht spurlos an dem Schwarzhaarigen vorbei. Zwar weiß er beim besten Willen nicht, um wen es sich bei dem Jungen handelt, zu lang liegt die Erinnerung zurück, doch die Waffen, die er bei sich trägt, lassen Chen vermuten, dass er doch einiges an Talent hat und daher unentbehrlich für die Foot sein könnte. Eine Tatsache, die er seinem Meister nicht vorenthalten möchte und junges Blut kann man immer gebrauchen! So klopft er beherzt an die schwere Stahltür, die zum Saal führt. Nur gedämpft kann er die missbilligende Antwort von der anderen Seite hören. Als Chen eintritt, wird ihm schnell klar, dass sich Raph noch immer mit der Truppenaufstellung herumschlägt und noch kein Stück weitergekommen ist, seit die Foot heute Morgen ausgeschwärmt sind. Beinahe mittleidig mustert er seinen Meister, ehe er zu ihm herantritt. Abwesend starrt der rote Ninja weiterhin auf das lädierte Papier. „Was willst du?“, kommt es daher nicht sonderlich freundlich von ihm, da er sich in seinem Denkprozess unterbrochen fühlt. „Die Störung tut mir wirklich sehr leid, Meister, aber…“, setzt Chen an. „Schwafle nicht, sondern komm zum Punkt!“, unterbricht Raphael ihn ziemlich rau. Dieses ganze Denken und Organisieren ist einfach nichts für ihn und es ist mit den Jahren auch nicht leichter geworden. Nun, da alles an ihm hängt, versteht er endlich was für eine Last Leo und Donnie immer mit sich herumgetragen haben. Unter den harten Worten des Führers zuckt Chen kaum merklich zusammen. Er kann nur zu gut verstehen, wie ihm das alles auf die Nerven fällt, dennoch will er sich ja auch nicht helfen lassen. Der Japaner tritt einen Schritt näher heran und fängt von vorn an. „Team 5 hat vor kurzem einen neuen Überlebenden gefunden, Meister.“ Raphael hört ihm zwar zu, dennoch starrt er auch weiterhin verbissen auf sein fast unlesbares Gekritzelt. „Das ist wirklich schön, Chen. Aber ich hab dir schon mehrfach gesagt, dass du mir nicht jeden Neuzugang vorbeten musst! Es ist immer dieselbe Prozedur: ihnen werden die Waffen abgenommen, falls sie welche haben und dann kommen sie zur Erstversorgung auf die Krankenstation. Ist das denn so schwer?“ Raphaels Geduld hängt an einem dünnen Faden. Er dachte wirklich, dass Chen es langsam begriffen hätte, hat er ihm doch von den letzten zehn oder zwölf Leuten nur flüchtig in seinen Berichten erzählt. Warum muss er ihn dann denn jetzt stören, wo er so gar keinen Nerv dafür hat? „Das ist mir durchaus bewusst, Meister Shredder. Aber vielleicht solltet Ihr euch doch mal ansehen, was er für Waffen dabei hatte…“, versucht es der Schwarzhaarige. Genervt fährt sich Raph mit der Hand übers Gesicht und versucht sich an seine immer kleiner werdende Beherrschung zu klammern. „Herr Gott, Chen! Siehst du denn nicht, dass ich versuche zu arbeiten? Mal mir doch einfach ein Bild von der goldenen Knarre oder dem diamantenbesetzen Messerchen und dann verschwinde endlich!“, faucht der Saikämpfer seinen Untergebenen an. Dennoch starrt er auch weiterhin auf das Stück Papier. Unter den harten Worten zuckt der junge Japaner diesmal deutlich mehr zusammen. Er sieht sich schon Inbegriff zu gehen und das Ganze auf später zu verschieben, als die Kettenwaffen in seinen Händen leise klirren. Das Geräusch scheint Raphael weit mehr zu erreichen, als die hilflosen Worte seines Gegenübers. Das markante Klingen der Kettenglieder begleitet ihn schon sein Leben lang, zumindest hat es ihn sein gesamtes letztes Leben begleitet. Es ist ihm so ins Blut übergegangen wie all die Moves, die er von seinem Meister Splinter gelernt hat. Es ist ein Geräusch, das so sehr zu seinem verstorbenen Bruder passt, wie die Tatsache das dessen Lieblingsessen Pizza war. Lautlos formen seine Lippen den Namen, an den er in den letzten zehn Jahren Tag und Nacht gedacht hat, ihn aber nur selten aussprechen konnte ohne gleich in Tränen auszubrechen: Mikey. Ruckartig hebt er den Kopf und sieht zum ersten Mal wirklich zu Chen hinüber. Dieser steht bewegungslos da, blickt hoffnungsvoll zu ihm hinüber und hält die Waffen in seinen Händen. Raphael kann kaum glauben, was er dort sieht. Als wäre er vom Anblick seines Herren hypnotisiert, gleitet Chen das zylindrische Gewicht der Kusarigama aus den Händen und landet mit einem dumpfen Knall auf dem roten Teppich. Diese ungewollte Geste scheint für den Roten einem Startschuss gleichzukommen. Achtlos wirft er Papier und Bleistift zu Boden und erhebt sich ungelenk vom Thron. Mit offenem Mund, weit aufgerissenem Auge und nicht im Stande etwas zu sagen, stapft Raph auf ihn zu, gleich einem Welpen, der gerade erst gelernt hat nicht bei jedem zweiten Schritt umzufallen. Dennoch glaubt der Japaner, dass genau das jeden Augenblick passieren könnte. Schließlich steht der junge Clanführer vor ihm und mustert die Waffen vollkommen fassungslos. Dann ganz plötzlich reißt er sie Chen aus den Händen und umklammert sie mit zitternden Fingern. Das alles kann doch gar nicht möglich sein! Seine Männer und er selbst haben den East River an die tausend Mal durchkämmt und nichts weiter gefunden als Leos zerbrochenes Katana. Wo in Gottes Namen kommen dann jetzt Mikey´s Waffen her? Es besteht absolut kein Zweifel, dass die Nunchakus und die Kusarigama seinem Bruder gehören. Doch was für ein Mistkerl hat es gewagt, sie an sich zu nehmen und dann auch noch hier damit aufzutauchen? Unbändige Wut staut sich in ihm an. In seinen Gedanken kann es unmöglich sein, dass Mikey selbst noch am Leben ist. Wenn dem auch nur ansatzweise so wäre, hätten sie ihn doch in diesen verdammten zehn Jahren finden müssen! Wutschnaubend dreht sich Raph zu Chen um. „Wo ist dieser verfluchte Mistkerl, der es wagt diese Waffen mit sich zu führen?“, knurrt er dem verwirrten Mann entgegen. „Er ist auf der Krankenstation, so wie es immer Euer Befehl war, Meister…“, er schluckt hart. So aufgebracht hat er den Saikämpfer schon lange nicht mehr erlebt. Doch warum macht ihn der Anblick der Waffen nur so fertig? Ob es etwas mit seiner verstorbenen Familie zu tun hat? Chen kann sich nicht mehr daran erinnern, welche Waffen seine Familie besessen hat, doch Raphaels Wutausbruch zufolge, müssen es wohl ganz Ähnliche gewesen sein. Der Rote umklammert die Waffen noch fester und läuft dann Richtung Tür. Der Zustand, in dem er sich befindet, behagt Chen überhaupt nicht und so läuft er ihm nach. „Bitte wartet, Meister!“ Raphael bleibt so abrupt stehen, dass der Schwarzhaarige fast mit ihm zusammengestoßen wäre. Wütend dreht sich der ehemalige Hamato zu ihm um. „Ich bin sicher, du hast noch viel zu tun, also kannst du jetzt gehen, Chen!“ „Ich bitte Euch, Meister, tut nichts Unüberlegtes…“, versucht er ihn zu beruhigen. Doch Raph lässt sich überhaupt nicht darauf ein. „Ich hab gesagt du kannst jetzt gehen! ALSO GEH!“, wirft der Foot-Clan-Führer ihm unbeherrscht entgegen und stößt ihn dann grob von sich. Unter dem strengen Auge des Rothaarigen richtet sich Chen langsam wieder auf. „Jawohl, Meister…“, kommt es leise von ihm, ehe er sich vorsichtig verbeugt und dann den Saal verlässt. Als die Tür ins Schloss fällt, beruhigt sich der Rüstungsträger wieder und starrt die Waffen an. Wer auch immer sie hierher gebracht hat, wird es teuer bezahlen! Mit schweren Schritten setzt er seinen Weg fort und erreicht bald darauf die Krankenstation. Kaum ein Mensch begegnet ihm. Die meisten Foot sind noch unterwegs und die Flüchtlinge verbringen die letzten warmen Tage des Jahres so oft wie möglich draußen. Dort wartet eh die meiste Arbeit. Schließlich müssen die Unterkünfte noch für den Winter vorbereitet werden. Raph ist sehr froh darüber. Würde ihm jetzt jemand begegnen und vielleicht auch noch eine dumme Frage stellen, würde er nicht wissen, ob er sich beherrschen kann. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden anzuklopfen, reißt der Saikämpfer die Tür zum Krankenzimmer auf. Polternd schlägt sie gegen die Wand und beschert dem armen Tierarzt damit fast einen Herzinfarkt. Die beiden Krankenschwestern sind zum Glück gerade auf der anderen Insel und kümmern sich dort um ein paar Leute, die schon die ersten Anzeichen der Grippe mit sich rumtragen. Bei Raph´s überschäumenden Verhalten wären sie sonst wohl noch in Ohnmacht gefallen, taucht er doch sonst nie hier auf. „Meister Shredder, was…?“, setzt Sam überrascht an. Allerdings wird er forsch von seinem Gegenüber unterbrochen. „Wo ist er?“ Wild funkelt den Tierarzt das verbliebene, gelbgrüne Auge seines Führers an. Die unbändige Wut sprüht geradezu daraus hervor. Sam will schon fragen, wen Raph überhaupt meint. Doch dann deutet er einfach auf ein Bett, das hinter einem Vorhang verborgen ist. „Er ist…“, setzt er an, um dem Roten zu erläutern wie es dem Neuzugang geht, doch Raphael unterbricht ihn wieder. „Schweig und verschwinde!“ Irritiert starrt Sam ihn an. „Aber, Meister!“ „Ich hab gesagt du sollt VERSCHWINDEN!“ Dass war mehr als nur deutlich für das sensible Gemüt des Veterinärs. Ohne einen weiteren Versuch zu unternehmen den Zustand seines Patienten zu erläutern, sucht der junge Mann das Weite. Nun endlich ist der rote Ninja allein und kann diesem hinterhältigen Mistkerl den Schädel einschlagen. Mit einer endlos liebevollen Geste legt Raph die Nunchakus seines verlorenen Bruders auf einen Beistelltisch und greift sich die Kusarigama. Mit einer Hand umklammert er den Griff und betätigt den Mechanismus, der die versteckte Klinge herausspringen lässt. Nach all den vielen Jahren ist der sichelförmige Stahl noch immer blank, glänzend und rasiermesserscharf. Wehmütig betrachtet der Ninja die Waffe einen Augenblick. Dann umklammert er den Griff fester und holt aus, während er mit der andern Hand den Vorhang zur Seite zieht. In blinder Wut lässt er die Klinge hernieder sausen, möge sie denjenigen in diesem Bett ein schnelles und viel zu gnädiges Ende bereiten! Es muss schnell gehen, auch wenn er diesen Mistkerl lieber ganz langsam zu Tode quälen möchte. Doch seine Gefühle sind so sehr am Ende, das er jeden Moment zusammenbrechen könnte. Die Spitze der Klinge ist nur noch Zentimeter vom Schädel ihres Opfers entfernt, da registriert Raph plötzlich wer dort im Bett liegt. Wie zur Salzsäule erstarrt bremst er den Angriff in letzter Sekunde ab und die Waffe landet polternd auf dem Boden. Sein Auge spielt ihm einen Streich, ganz sicher. Er hat es den ganzen Morgen so überanstrengt und jetzt gaukelt es ihm etwas vor. Ungläubig wendet er sich ab und reibt sich das Auge und die Schläfen. Auf einmal hat er ganz schreckliche Kopfschmerzen. Er atmet ein paar Mal durch und dreht sich dann wieder zum Bett herum. Doch das Bild ist immer noch dasselbe! Dort in diesem Bett liegt ein Junge von vielleicht gerade mal sechszehn Jahren. Ein dicker Verband liegt um seinen Kopf, dennoch schaut ein Büschel wilder, blonder Haare heraus. Neben dem Bett steht ein Stuhl auf dem die Kleider des Jungen liegen: ein grüner Overall und ein oranges Shirt. Über der Lehne hängt ein schmales, oranges Stoffstück bei dem es sich nur um Mikey´s Bandana handeln kann. Doch das alles ist vollkommen unmöglich! Mikey müsste tot sein. Er hat selbst gesehen wie das Wasser ihn verschluckt hat! Selbst wenn er das alles irgendwie überlebt haben sollte, müsste er jetzt 26 Jahre alt sein! Dennoch sieht der Junge dort im Bett keinen Tag älter aus als von zehn Jahren. So kindlich, rein und voller Unschuld wie es ihm schon immer eigen war. Raph ist vollkommen durcheinander. „Ich muss fantasieren! Ja, genau! Eine andere Möglichkeit gibt es gar nicht. Ich hab mir so lange gewünscht ihn wiederzusehen, dass mir mein Hirn jetzt einen Streich spielt! – Und klar sieht er immer noch aus wie damals, ich kann ja auch gar nicht wissen wie er mit 26 aussieht, da er nie so alt geworden ist! Für mich war er immer der kleine Bengel, der mich in den Wahnsinn getrieben hat…“ Sein Kopf droht fast zu platzen. Seine Wunschgedanken lösen sich langsam in Luft auf, doch der Junge im Bett sieht weiterhin aus wie sein kleiner Bruder. „Ich versteh es einfach nicht…“, beginnt Raphael zu jammern. Langsam sinkt er neben dem Bett auf die Knie. Vorsichtig streckt er eine Hand aus und gleitet vorsichtig über die Wange des Jungen. Die Haut unter seinen Fingern fühlt sich so herrlich warm und weich an, ganz so wie er sie in Erinnerung hat. Der Junge rührt sich nicht, scheint zu schlafen und Raph fühlt sich zurückversetzt in die Zeit vor dem Krieg. Zurück in eine Zeit, in der er Nacht für Nacht versucht hat seinem Bruder auf unmoralische Weise nahe zu sein. Damals hat Mikey nichts von alledem bemerkt und einfach weitergeschlafen. Jetzt ist es Raph egal. Er will, dass er aufwacht und mit ihm spricht. Ihm beweist, dass das Ganze nicht doch ein viel zu schöner Traum ist. Sanft streicht er weiter über die Wange des Jungen. „Hey, Mikey, Zeit aufzumachen!“ Doch nichts geschieht. Der Blonde liegt weiterhin vollkommen reglos da und atmet langsam ein und aus. Reflexartig legt Raph ihm zwei Finger an den Hals und sucht nach der Hauptschlagader. Er findet seinen Puls, schwach aber gleichmäßig. Irgendetwas stimmt nicht. Mikey schläft nicht! Überfordert erhebt sich der Saikämpfer und rüttelt an dem Jungen. „Wach auf, verflucht noch mal!“ Doch auch das bringt nichts. Wenn sein Verstand ihm schon weiß machen will, dass Mikey dort im Bett liegt, warum lässt er ihn denn dann nicht auch aufwachen und alles wieder so sein wie früher? Er begreift es einfach nicht. Heiße Tränen beginnen hinter seinem Auge zu brennen, doch er vertreibt sie energisch. Ruckartig steht er auf und stapft zur Tür hinüber. Haltlos reißt er sie auf. „SAM – SAM, verdammt noch mal, wo steckt dieser dämliche Viehdoktor?“, ruft er auf den Flur hinaus. Raph ist schon kurz davor jegliche Beherrschung zu verlieren, als Sam vorsichtig den Kopf um die Ecke steckt. „Ihr – Ihr habt gerufen, Meister…?“, kommt es vorsichtig von ihm. Als Raph ihn sieht, beruhigt er sich schlagartig und blickt den jungen Arzt voller Panik an. Dieser erwidert seinen Blick mit dem Ausdruck eines scheuen Hamsters, der vor einer hungrigen Katze hockt. Er steht kurz vor einer Schockstarre, ist jedoch noch zur Flucht bereit, sollte Raph erneut die Stimme erheben und ihn anschreien. Mit seiner sensiblen Persönlichkeit ist es ein echtes Wunder, dass Sam den Beruf des Tierarztes überhaupt ausüben kann, ohne jedes Mal einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, wenn ein Tier unter seinen Händen stirbt. Nun die Verantwortung für Menschen tragen zu müssen, hat das Ganze nur noch schlimmer gemacht. „Komm wieder rein, ich hab ein paar Fragen an dich…“, kommt es schließlich in einem erzwungen ruhigen Ton von dem Rüstungsträger. Sam macht vorsichtig zwei Schritte Richtung Tür. „In Ordnung. – Doch bitte schreit mich nicht wieder an…“, flüstert er schon fast. Raphael ringt sich ein beschwichtigendes Lächeln ab, muss sich aber fest auf die Zunge beißen, um ihm keine patzige Antwort zu geben. Er weiß wie schwer Sam seine Arbeit fällt und das er damit nicht glücklich ist, doch Raph fühlt sich im Moment nicht viel besser, in Anbetracht das dort drinnen Mikey liegt und er einfach nicht weiß warum. „Ich werde mir Mühe geben…“, versichert ihm der Saikämpfer und beißt sich abermals auf die Zunge. Unsicher mustert der Tierarzt den jungen Mann vor sich, ehe er sich an ihm vorbei ins Krankenzimmer schleicht und dabei peinlich genau darauf achtet, den größtmöglichen Abstand zu seinem Gegenüber zu wahren. Der Rote folgt ihm und kann bei dieser Show nur hilflos mit dem Auge rollen. Als er den Raum betritt, ist Sam zu einem Regal in der Ecke gehuscht und sucht nach der Krankenakte, die von jedem Neuzugang angelegt wird. Während der Arzt die namentlich sortierten Akten durchsieht, wandert Raphaels Blick unweigerlich zum Bett hinüber. Der blonde Junge darin wird so klein und zierlich, als hätte er eine wirklich schlimme Krankheit. Am liebsten würde Raph jetzt zu ihm hinüber gehen und ihn fest in die Arme schließen. Ihm all seine Liebe und seine Trost spenden, die er in den vielen Jahren für ihn bereit gehalten hat. Doch das geht nicht. Als neues Oberhaupt des Foot-Clans und wohlmöglich einziger Herrscher dieser neuen Welt, kann er sich solche Gefühlsausbrüche nicht leisten solange ein anderer im Raum ist. Daher schluckt er schweren Herzens seine Emotionen herunter und zieht stattdessen einen Stuhl an das Bett heran und setzt sich. Stumm starrt er auf den Jungen, bis er ein zaghaftes Räuspern von Sam vernimmt. Erwartungsvoll wendet er ihn den Blick zu, doch allein schon diese Geste scheint den Arzt fast aus der Fassung zu bringen. Er scheint einen unglaublichen Respekt vor dem Ninja zu haben, oder unglaubliche Angst, obwohl Raph ihm nie einen Grund dazu gegeben hat, außer dass er schnell laut wird. Der Tierarzt schluckt schwer, ehe er den Mund öffnet und mit zitternden Händen aus der dünnen Akte vorliest. „Der Patient wurde heute um 14:22 Uhr von den Foot-Ninjas hergebracht. – Er ist männlich, weiß, vermutlich amerikanischer Abstammung, naturblond, blauäugig, geschätzt zwischen 15 und 18 Jahre alt, 170 Zentimeter groß und 53 Kilo schwer. Des Weiteren…“ Diese ganzen offensichtlichen Fakten interessieren Raph keines Wegs, doch er beherrscht sich und lässt Sam weitersprechen. Als der Veterinär jedoch Mikey´s Gewicht nennt, zuckt der Saikämpfer leicht zusammen. Sein kleiner Bruder war zwar immer schon leicht gebaut, aber das ist wirklich zu wenig. Kein Wunder also, dass er so ausgezehrt und kränklich aussieht. ‚Er muss tagelang nichts gegessen haben…‘, geht es ihm durch den Kopf. Eine Tatsache, die für Mikey völlig undenkbar scheint, selbst wenn man nicht weiß was er für ein Vielfraß ist. Besorgt schaut er ihn an und ringt um Fassung, während Sam gerade verliest was er alles bei sich getragen hat. „Sam? Können wir das vielleicht überspringen und du sagst mir einfach wie er heißt und wie es ihm geht?“ Etwas irritiert sieht der Angesprochene von dem Blatt Papier auf und versucht den seltsamen Ausdruck in dem gelbgrünen Auge zu deuten. Es scheint fast so als würde sich sein Führer Sorgen um den Jungen machen. Eine Tatsache, die Sam noch nie beobachtet hat. Schließlich hat sich Raph auch noch nie die Mühe gemacht, sich nach einen von ihnen zu erkundigen, geschweige denn hier herunter zu kommen und ihn in Augenschein zu nehmen. „J-ja, ok. A-aber das kann ich leider nicht. – Er hatte keinen Ausweis oder Ähnliches bei sich…“, erwidert Sam unsicher und versucht sich dabei schon fast hinter der Akte zu verstecken. Raph tut das Ganze aber mit einer Handbewegung ab. Schließlich weiß er ja wie der Junge heißt und im Ernstfall kann Sam ihn ja auch fragen wenn er aufwacht. Raph wird ihm seinen Namen zumindest nicht verraten. Niemand soll wissen, dass sie Brüder sind, sonst könnte es vielleicht gefährlich werden. „Schon gut. Erzähl mir etwas über seinen Zustand.“, fordert der ehemalige Hamato nun ein. Sam nickt eifrig und blättert dann in der dünnen Akte herum, wobei er sie fast fallen lässt. Geduldig beobachtet der Rüstungsträger in dabei. Innerlich wünscht er sich aber, dass sich Sam mal ein paar Eier wachsen lässt und diese Schulmädchennervosität endlich ablegt. „Ähm – Sein Körper weißt allerhand Narben auf, die aber von älteren Verletzungen herstammen. – Er ist ziemlich abgemagert. Sein Rachen ist ganz wund, vermutlich hat er sich einen Virus oder Ähnliches eingefangen und hat sich in den letzten Stunden oder Tagen häufig übergeben müssen.“ Das beantwortet immerhin schon mal eine Frage, die sich Raph gestellt hat. „Ich hab ihm eine Infusion gegeben, um den ganzen Verlust wieder aufzuarbeiten. – Zudem hat er eine Platzwunde am Hinterkopf. Sie ist ziemlich tief, doch der Knoche darunter scheint nicht beschädigt zu sein. Die Wunde hat schon angefangen zu heilen, was mich vermuten lässt, dass er sie sich ebenfalls vor ein paar Tagen zugezogen haben muss. – Außerdem hat er mehrere Schnittwunden an den Fußsohlen. Da er ohne Schuhe unterwegs war, hat er sich wohl an den Trümmern verletzt. Alle Wunden waren ziemlich schmutzig, weswegen ich ihm Antibiotika gegeben hab. Leider hab ich nichts anderes und ich hoffe, ich kann damit vermeiden, dass er sich eine Blutvergiftung zuzieht…“ Unsicher blickt er den Rothaarigen an, als könnte dieser ihm etwas nennen, das den Zustand des Jungen verbessern könnte. Doch Raph schweigt und lässt das Ganze erst mal auf sich wirken. Was hat Mikey nur alles durchgemacht und wo hat er die ganze Zeit gesteckt? Fragen die ihm als einziger nur sein Bruder beantworten kann. „Wann denkst du wird er aufwachen?“ Unsicher blickt der Arzt zu dem Blonden hinüber. „Das kann ich leider nicht sagen. – Die Foot haben ihn bewusstlos auf einer Brücke gefunden. – Seitdem ist er noch nicht wieder zu sich gekommen. Und ich fürchte der Schlag auf den Kopf und der Energiemangel haben ihn in eine Art komatösen Zustand sinken lassen. Zudem hat er Fiber, was meine Befürchtung nur noch unterstützt. – Wenn die Medikamente noch rechtzeitig anschlagen, kann er in ein paar Stunden schon wieder auf den Beinen sein, andernfalls kann es noch Tage oder sogar Wochen dauern. – Oder vielleicht auch gar nicht mehr…“ Den letzten Satz flüstert er so leise, das Raph ihn schon gar nicht mehr versteht, dennoch hat er gewusst, dass so eine Möglichkeit besteht. Mit Kopfverletzungen ist nicht zu spaßen, erst recht nicht wenn er damit schon tagelang durch die Gegen geirrt ist. „Meister Shredder, darf ich Euch etwas fragen…?“, kommt es vorsichtig von dem Tierarzt. „Warum nicht?“, erwidert Raphael abwesend und starrt nur weiterhin auf den schlafenden Jungen. „Ähm – mir scheint, dass Euch der Junge irgendwie nahe geht und ich frage mich, ob das einen bestimmten Grund hat…“ Der Saikämpfer braucht einen Augenblick bis er antworten kann. „Vor sehr vielen Jahren kannte ich mal einen Jungen, der ihm sehr ähnlich sah und der mir viel bedeutet hat. Er ist gestorben und ich konnte es nicht verhindern. - Daran musste ich denken, als ich ihn gesehen hab. – Daher hoffe ich, dass es mit ihm nicht auch so endet…“, sichtlich kämpft Raph mit sich und Sam tut es jetzt schon leid, dass er überhaupt gefragt hat. „Entschuldigen Sie, dass war keine gute Frage…“ „Nein, schon gut. Das konntest du ja nicht wissen. - Vergessen wir es einfach und hoffen das Beste.“ Raph ringt sich ein Lächeln ab, doch Sam hadert dennoch mit sich, überhaupt gefragt zu haben. Nach ein paar, schweigenden Momenten entschuldigt sich Sam. Er muss noch auf die Nachbarinsel und sehen wie die beiden Krankenschwestern vorankommen. Raph kann es nur recht sein, dann kann er etwas Zeit allein mit Mikey verbringen und muss seine Gefühle nicht mehr so zwanghaft verstecken. Lange Zeit sitzt der rote Ninja da und beobachtet den reglosen Jungen. Nach einer Weile erreichen seine sentimentalen Gefühle ihren Höhepunkt und er fängt an mit ihm zu reden. Erzählt ihm Geschichten aus ihrer gemeinsamen Kindheit und vieles andere, an das er sich noch erinnert. Mehrmals versucht er ihn wachzurütteln, da es ihn in den Wahnsinn treibt keine Antwort von ihm zu bekommen. Doch an seinem Zustand ändert sich nichts. Dies stimmt den jungen Führer nur noch trauriger. Mehrmals fragt er sich, warum ihm eine höhere Macht seinen geliebten Bruder zurückgebracht hat und ihn dann damit quält, zusehen zu müssen wie er ihm wieder endleitet. Am Ende fordert die Erschöpfung ihren Tribut. Als Sam am späten Abend in das Krankenzimmer zurückkehrt, liegt Raph schlafend mit dem Oberkörper auf dem Bett. Seine Rüstung hat er irgendwann abgelegt. Die Einzelteile liegen auf dem Boden verstreut. Seinen eindrucksvollen Meister so zu sehen, ist für ihn ein komisches Gefühl. Ohne seine Rüstung sieht er so friedlich aus wie ein ganz normaler, junger Mann. Das einzig Störende in diesem Bild stellt nur die Augenklappe da, die Raph wieder einen eher verwegenen Ausdruck verleiht. Unbeholfen tapst Sam von einem Bein aufs andere, doch schließlich nimmt er seinen Mut zusammen und rüttelt vorsichtig an Raphaels Schulter. Ein tiefes Brummen ist die Antwort und es macht dem Veterinär schnell klar, dass Raph ohne Rüstung vielleicht harmloser wirkt, es aber keines Falls auch ist. Erschrocken entfernt er sich wieder, doch der Saikämpfer erwacht langsam aus seinem Schlaf. Blinzelnd und desorientiert schaut er sich um, bis sein Blick auf den Arzt fällt. Als sich ihre Blicke treffen, wird Raph wieder bewusst was passiert ist und er setzt sich kerzengerade hin und räuspert sich. „Was guckst du denn so?“, fährt er sein Gegenüber etwas schroff an. Sam entfernt sich noch zwei Schritte. „Es tut mir leid! – Ich dachte nur, es wäre vielleicht besser wenn Sie in ihr eigenes Bett gehen würden, ehe sie sich noch den Rücken verrenken…“ Hey, brother There's an endless road to be discovered Erst jetzt schaut Raph flüchtig auf die Wanduhr und ist überrascht von der späten Stunde. Und als hätte Sam es heraufbeschworen, jagt ein stechender Schmerz durch seinen Rücken, als er versucht aufzustehen. Ungelenk plumpst der Rothaarige wieder auf seinen Hintern und wirft einen warnenden Blick zu seinem Gegenüber. Der Tierarzt schweigt und blickt stattdessen zu seinem Patienten hinüber. „Es hat sich nichts verändert, oder?“, fragt der Saikämpfer, während er einen weiteren Versuch unternimmt aufzustehen. Diesmal schafft er es auch. Doch die Gelenke in seinem Rücken geben ein unschönes Knacken von sich, bei dem Sam eine Gänsehaut bekommt. Kaum merklich verzieht der Führer das Gesicht und streckt sich, wobei noch mehr Knacken zu hören ist. „Nein, alle Werte sind unverändert…“ „Na schön, dann sollten wir wohl beide lieben ins Bett gehen…“, schlägt Raph vor, während er seine Rüstung zusammensammelt. „Ja, gut. – Braucht Ihr noch irgendetwas?“ „Nein, geh nur. Ich komm gleich nach.“ Kaum hat der Meister ihm das gestattet, schlüpft Sam auch schon durch die Tür und verschwindet ins Nebenzimmer, wo er seinen Schlafplatz hat, um im Ernstfall schnell zur Stelle zu sein. Hey, brother Know the water is sweet but blood is thicker Mit schweren Schritten und schon wieder halb schlafend stapft Raphael zur Tür. Doch noch ehe er die Hand auf die Klinke legen kann, vernimmt er ein tiefes Stöhnen hinter sich. Ruckartig dreht er sich herum. Zuerst denkt er, er hätte es sich nur eingebildet, doch dann sieht er wie sich Mikey schwach unter der Decke bewegt. Sein Herz setzt für einen Moment aus, ehe es mit doppelter Geschwindigkeit wieder loslegt und Raph fast den Atem raubt. Unbeholfen lässt er seine Rüstung wieder zu Boden gleiten und nähert sich dem Bett. Schmerzlich windet sich der blonde Junge unter der Decke und wirft den Kopf von einer Seite auf die andere, fast so als hätte er einen Albtraum. Wie hypnotisiert lässt sich der Rote wieder auf den Stuhl sinken und ergreift eine Hand seines Bruders. Sie ist eiskalt. Als Raph ihre Finger miteinander verschränkt, klammert sich der Junge wie ein Ertrinkender an ihn. Diese Geste erschreckt den sonst so touchen Ninja. Mikey scheint sich mit aller Macht an die Oberfläche zu kämpfen und greift dabei nach jedem Strohhalm. „Mikey? – Hörst du mich? Du musst aufwachen!“ Oh, if the sky comes falling down, for you There's nothing in this world I wouldn't do Es scheint als würde der Blonde ihn hören, doch es gelingt ihm nicht die Augen zu öffnen. „Bitte, Mikey, wach auf!“, bettelt er schon fast. Eine unbekannte Verzweiflung ergreift ihn. Wäre doch Donnie jetzt hier, er wüsste ganz sicher was helfen würde. Die Erinnerung an seine Brüder schmerzt noch viel mehr, jetzt wo einer von ihnen hier ist und er ihm nicht helfen kann. „Bitte, wach auf…“ Raph ist den Tränen nahe und gerade als er sich ihnen endlich ergeben will, rührt sich Mikey nicht mehr. Geschockt starrt der Ältere ihn an. Jedes weitere Wort bleibt ihm im Hals stecken. Dann plötzlich zucken Mikey´s Augenlider. Schwach beginnt er zu blinzeln und schließlich sehen sich die beiden Brüder nach über zehn Jahren das erste Mal wieder in die Augen! Raph ist vollkommen fassungslos. Alle Gefühle stürzen auf ihn ein und am liebsten würde er den Jungen jetzt in seine Arme reißen und nie mehr loslassen. Ehe er das jedoch tun kann, dringt Mikey´s Stimme schwach an sein Ohr. „Wo bin ich? – Was ist passiert?“ Hilflos versucht er sich in dem völlig fremden Raum umzusehen und hält sich mit der freien Hand den dröhnenden Kopf. Hey, brother Do you still believe in one another? „Du bist in einem Krankenzimmer. Ein paar Männer haben dich bewusstlos auf einer Brücke gefunden.“ Raph fällt dich Beherrschung unglaublich schwer, doch er will seinen Bruder nicht gleich überfordern, immerhin ist er ja verletzt. „Ja – die Brücke. – Ich wollte Menschen suchen und dann wurde plötzlich alles schwarz…“ Ihre Blicke treffen sich wieder und jetzt merkt Mikey auch, dass Raph seine Hand hält. Irritiert blickt der Jüngere ihn an und windet dann schnell seine Finger aus der Hand des anderen. Er scheint sogar vor ihm zurückzuweichen. Überrascht lässt Raphael es geschehen. „Wer bist du?“, fragt der Blauäugige leicht verängstigt über die unerwartete Nähe. Für Raph ist es wie ein Schlag ins Gesicht. Sein eigener Bruder erkennt ihn nicht mehr? Was soll er jetzt nur tun? Ihm die Wahrheit sagen oder ihn anlügen? Zehn Jahre haben an ihm viel verändert, doch eigentlich ist nicht zu übersehen, dass er immer noch derselbe ist. Dann fällt ihm Mikey´s Kopfverletzung wieder ein. Donnie hatte mal erzählt, dass man sein Gedächtnis verlieren kann, wenn man einen Schlag auf den Schädel bekommt. Vielleicht ist es ja das? Hey, brother Do you still believe in love, I wonder? „Ich bin so was wie der Chef hier. Aber eigentlich ist das im Moment nebensächlich. Verrat mir doch deinen Namen, damit ich dir helfen kann.“, versucht der rote Ninja es stattdessen. Abschätzend blickt der blonde Junge ihn an. In seinem jugendlichen Gesicht beginnt es zu arbeiten. Doch es scheint ihm ziemlich schwer zu fallen darüber nachzudenken. Abermals drückt er sich die Hände gegen die pochenden Schläfen und beißt die Zähne zusammen. Für Raph ist es nicht zu übersehen, das Mikey wohl wirklich an Gedächtnisschwund leidet. „Ich – ich – weiß ihn nicht! Ich weiß meinen eigenen Namen nicht!“, bricht es plötzlich aus dem verzweifelten Jungen heraus. Hemmungslos rinnen Tränen über seine Wangen. Dem Saikämpfer bricht es das Herz ihn so zu sehen. Und doch kann er ihm nicht helfen. Soweit er weiß, sind diese Lücken nur vorübergehend und früher oder später wird er sich wieder an alles erinnern. Bis dahin allerdings wird Raph es tunlichst vermeiden, ihm auf die Nase zu binden, dass sie Brüder sind. Es würde nur Unruhe in seine Männer bringen, weil sie denken könnten, dass er Mikey dann bevorzugt behandeln wird. Oh, if the sky comes falling down, for you There's nothing in this world I wouldn't do Außerdem wird es noch schlimm genug für den Nunchakuträger werden, wenn er sich wieder an alles erinnert und feststellt, dass er nun Mitglied im Foot-Clan ist und sein eigener Bruder Shredders Posten übernommen hat. Diese Entscheidung fällt Raph schwerer als jede andere in seinem Leben, doch er hat keine andere Wahl. Andererseits hat er damit die Chance eine neue Beziehung zu ihm aufzubauen, einiges anders zu machen, was er in seinem früheren Leben vielleicht bereut hat. Und vielleicht kann er sich so auch Mikey nähern ohne in ihm ein falsches Gefühl auszulösen, nur weil sie blutsverwand sind. Er könnte eine richtige Partnerschaft mit ihm führen, ohne das seine Männer mehr dagegen sagen können, als das ihr Führer jetzt unter die warmen Brüder gegangen ist. Diese Gedanken wecken etwas mehr Hoffnung in dem Rüstungsträger. Etwas unbeholfen zieht er den weinenden Jungen in seine Arme und streicht ihm beruhigend über den Rücken. „Hey, ist schon gut! Er wird dir schon wieder einfallen und bis dahin überleg ich mir halt einen anderen Namen für sich, ok?“ Nur ein wenig entspannt sich der Junge in seinen Armen. „O – o – kay…“, wimmert er. What if I'm far from home? Oh, brother, I will hear you call Raph beginnt zu überlegen, während der Blonde sich langsam mit dem Gedanken anfreundet, einem völlig Fremden so nahe zu sein. Der Saikämpfer würde ihn schon gern bei seinem richtigen Namen nennen, doch er weiß nicht, ob es nicht jemanden in seiner Truppe oder unter den Flüchtlingen geben könnte, dem das Ganze komisch vorkommt und es dann Probleme gibt. Aber etwas Ähnliches wird es doch sicher geben, dass er benutzen kann. Im Geiste geht er sämtliche Spitznamen durch, die Mikey im Laufe seines Lebens so bekommen hat. Mit seinem Namen lässt sich ja einiges machen, doch nicht alles hat dem aufgeweckten Jungen zugesagt, weswegen sie dann eigentlich bei Mikey hängengeblieben sind, da es seine kindliche Ader ziemlich gut zur Geltung gebracht hat. Ein Name hat ihm jedoch nie gefallen: Michael. Er wusste selbst nicht warum. Vielleicht weil er mal einen Mitschüler mit diesem Namen hatte, der immer fies zu ihm war. Also wäre das wohl der richtig Name, um ihn jetzt zu benutzen. Dann merkt Raph wohl auch am ehesten, wenn Mikey wieder er selbst ist und sich über diesen unmöglichen Namen beschwert. What if I loose it all? Oh, brother, I will help you back home „Was hältst du von Michael?“, fragt der Ältere vorsichtig. Langsam richtet sich der Junge wieder auf und reibt sich kindlich die Tränen aus den Augen. Japsend schnappt er nach Luft und beruhigt sich allmehlig wieder. „Ich – ich denke, - dass klingt ganz gut…“, gibt er unsicher von sich, muss er sich doch erst noch an diesen fremdklingenden Namen gewöhnen. Ein kleines, aber sanftes Lächeln huscht über Raph´s Züge. „Ok, Michael. An was kannst du dich denn noch alles erinnern? Du hast gesagt, du hast nach Menschen gesucht.“ Ein wenig Enttäuschung schwingt durch seinen Kopf, hatte er doch die leise Hoffnung gehegt, dass dieser verhasste Spitzname Mikey vielleicht die Erinnerung zurückbringt. Mit einem deutlich erschöpften Ausdruck im Gesicht, lehnt sich Michael mit dem Rücken gegen die Wand und denkt nach. „Alles, an das ich mich erinnern kann, ist vor ein paar Tagen passiert. – Um mich herum war alles dunkel und kalt. Ich hab versucht Luft zu holen, doch es ging nicht. Schließlich hab ich gemerkt, dass ich unter Wasser bin und hab es dann irgendwie an die Oberfläche geschafft.“ Oh, if the sky comes falling down, for you There's nothing in this world I wouldn't do Schweigend lauscht Raph seinen Worten und macht sich dabei so seine Gedanken. ‚Er ist im Wasser zu sich gekommen? Etwa im East River? Schon möglich, aber warum haben wir ihn dann in den letzten zehn Jahren nicht gefunden? Wir haben alles so oft abgesucht! Vielleicht ist er auch schon viel länger umhergeirrt ohne sich erinnern zu können und ist dann irgendwie ins Wasser gefallen? Doch warum ist er dann keiner Tag älter als damals?‘ So viele Fragen, Raph platzt fast der Kopf und dennoch wird Michael ihm keine davon beantworten können. „Oben war es auch dunkel. Die Sonne war schon untergegangen. – Ich wollte ans Ufer, doch da war eine Mauer, die ich nicht raufgekommen bin. Dann hab ich diese merkwürdigen Dinger an meinem Gürtel entdeckt und mich damit hochgezogen.“ Gedankenverloren deutet der Junge auf die Kusarigama und die Nunchakus, die noch immer auf einem kleinen Tisch in der Nähe liegen. „Am Ufer war auch alles dunkel. Nirgends hat Licht gebrannt, obwohl es noch gar nicht mitten in der Nacht war. – Dass hat mich gewundert und ich hatte Angst. Irgendwie hatte ich das Gefühl vollkommen allein auf der Welt zu sein…“ Hey, brother There's an endless road to be discovered Eine einzelne Träne kullert an seinen geröteten Wangen hinab. Raphael kann ihn vollends verstehen. Nach dem Kampf mit Shredder, als er als einzig Überlebender in einem Flammenmeer stand kam er sich auch vor wie der letzte Mensch auf Erden. Seine Hände krampfen sich auf seinem Schoß zusammen und es erfordert seine ganze Willenskraft sie wieder zu öffnen. Er will es unbedingt vermeiden, den Jungen jetzt irgendwie mit seinem Verhalten zu verschrecken. „Ich bin durch die Nacht geirrt und hab einen Platz zum Schlafen gesucht. Den hab ich auch gefunden, doch mir ist nicht ein einziger Mensch begegnet. – Und irgendwie waren auch alle Gebäude, die ich gesehen hab, kaputt. Dass hat mir nur noch mehr Angst gemacht und ich kam mir noch einsamer vor…“ Schließlich erzählt er weiterhin wie er nach Essbarem gesucht hat, es aber nicht bei sich behalten konnte und letztendlich zusammengebrochen ist. „Was ist nur passiert? Wo sind all die Menschen?“, fragt Michael nach einer langen Pause. Nachdenklich betrachtet der Ältere ihn und dann ringt er sich zu einer Antwort durch. Hey, brother Do you still believe in love, I wonder? „Vor zwölf Jahren hat ein tyrannischer Möchtegernherrscher einen Krieg angezettelt, der die ganze Welt in Schutt und Asche gelegt hat. – Die Menschen haben sich versucht gegen ihn zu wehren oder sie sind geflohen, in der Hoffnung einen Platz zu finden, den er noch nicht vernichtet hat. Der Krieg dauerte zwei Jahre. Meine Familie und ich haben sich diesem Mistkerl in den Weg gestellt. – Es ist uns gelungen seine Männer niederzustrecken. Doch seine Waffen waren mächtiger als wir. Ich musste mit ansehen wie er meine gesamte Familie getötet hat. – Erst danach ist es mir gelungen ihn zu vernichten…“ Raphaels Stimme bebt bei jedem Wort, doch er kann sich zusammenreißen – fürs Erste. An Michael geht die Geschichte jedoch nicht so spurlos vorbei. Mit offenem Mund hört er schweigend zu, während neuerliche Tränen sein zartes Gesicht benetzen. „Dass – dass ist ja schrecklich!“, presst er flüsternd hervor. Stumm nickt der Saikämpfer und sammelt sich ein wenig. Oh, if the sky comes falling down, for you There's nothing in this world I wouldn't do „Nach meinem sinnlosen Sieg über diesen Tyrannen hab ich dessen Platz eingenommen und versuche jetzt unter seinem Namen die Welt wieder aufzubauen und seine Missetaten ungeschehen zu machen. – Ich habe starke Kämpfer an meiner Seite, die täglich nach neuen Überlebenden des Krieges suchen und so auch dich gefunden haben. Ich versammle alle Menschen hier an diesem sicheren Ort und versuche ihnen ein neues Zuhause und eine neue Zukunft zu geben.“, sanft lächelt er dem Jungen zu, der die Geste nicht weniger sanft erwidert. „Du bist stark und hast ganz ausgezeichnete Waffen bei dir. Von daher würde es mich sehr freuen, wenn du in meiner Truppe mitmachen möchtest.“ Langsam reicht Raph ihm eines der Nunchakus herüber. Unsicher nimmt der Junge es in die Hand und scheint damit doch nichts anzufangen zu wissen. „Ja – ich denke, dass könnte ich machen. – Zumindest wenn mir jemand zeigt wie man damit richtig umgeht…“, zweifelnd sieht er den Älteren an. „Das ist kein Problem, wie haben hier einen ausgezeichneten Trainer, der dir alles beibringen wird, was du wissen musst.“ What if I'm far from home? Oh, brother, I will hear you call Ein vorfreudiges Lächeln breitet sich auf den Zügen des Blonden aus. Dann beginnt er erschöpft zu gähnen und steckt Raph gleich mit an. Langsam erhebt sich der Rothaarige. „Ich denke, wir reden morgen weiter. Jetzt solltest du dich ausruhen und Kraft tanken. Immerhin wartet eine wichtige Aufgabe auf dich!“ „Ja, dass mach ich…“, kommt es zwischen einem weiteren Gähnen von Michael, ehe er zurück unter die Bettdecke huscht und die Augen schließt. Mit einem letzten, sanften Lächeln sammelt Raphael endgültig seine Rüstung ein und begibt sich in sein Zimmer. *Mikey ist hier, und alles wird gut werden, denkt Raph, und es erfordert seine ganze Anstrengung, dass er nicht in äußerst unmännliche Tränen ausbricht. Doch hinter der verschlossenen Tür sieht es ganz anders aus. Ungeachtet schmeißt er seine Rüstung zu Boden und wirft sich dann auf sein Bett. Nun, da er ganz allein ist, kann er endlich seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Ungehemmt kullern Tränen über seine Wangen und sein hoffnungsloses Schluchzen erfüllt den Raum. What if I loose it all? Oh, brother, I will help you back home Mikey ist vielleicht wieder bei ihm, doch irgendwie ist er es ja auch nicht. Es ist so schrecklich seinem eigenen Bruder so nahe zu sein und doch weiß dieser nicht, dass sie Brüder sind. Gemeinsam haben sie so vieles durchgemacht und doch ist nun nichts mehr davon geblieben. Neuanfang schön und gut. Doch wie soll er das anstellen, wenn er jedes Mal heulen möchte sobald er dem Jungen auch nur ins Gesicht sieht? Die einzige Hoffnung ist, dass er sich bald wieder an alles erinnert. Doch macht es dass dann wirklich besser für sie beide? Oh, if the sky comes falling down, for you There's nothing in this world I wouldn't do To reminisce of my brother... ----------------------------- Zwei Monate später - Dezember… Die Zeit ist vergangen und die Wunden sind verheilt. Doch leider weiß Michael noch immer nicht, wer er wirklich ist und wie nahe er seinem eigenen Bruder gegenüber steht. Trotz alledem ist er seinem früheren Ich unbewusst so nahe wie es nur geht. Der Blonde hat seine alte Fröhlichkeit und aufgeweckte Art zurückgewonnen, von seinem endlosen Appetit ganz zu schweigen. Die Geschicklichkeit mit seinen Waffen schien er nie wirklich verloren zu haben, sind sie in seinem Inneren doch eingebrannt wie heißer Stahl in Holz. Umso überraschter war Chen, als er Michael das erste Mal trainieren sollte. Der Japaner hatte sich schon gewundert, warum Raph ihm gesagt hat, dass er den Jungen besonders hart rannehmen und mit ihm nicht so nachsichtig wie mit den Foot sein soll. Den ersten Übungskampf hat Raphael äußerst genau über die große Scheibe im Thronsaal beobachtet. Und ganz so wie er es vermutet hatte, war es dann auch gewesen. Michael weiß vielleicht noch immer nicht wie er wirklich heißt und wo er herkommt, doch die Moves, die Splinter ihm vor ewigen Zeiten eingebläut hat, sind zu einem unauslöschbaren Instinkt geworden. Mit einem zufriedenen Lächeln konnte Raph also beobachten, wie Michael mit unglaublicher Eleganz und Schnelligkeit Chens Angriffen ausgewichen ist. Wo der Junge nach dem Aufwachen noch nicht einmal wusste wie die Waffen, die er bei sich trug, heißen oder wie man sie benutzt, so war in diesem Moment davon nichts mehr zu spüren. All seine Bewegungen glichen angeborenen Reflexen, die den Blonden selbst ganz überrascht haben. Diese erstaunlichen Fähigkeiten und Fortschritte haben auch den selbsternannten Sensei Chen mit Stolz erfüllt und so trainiert er Michael besonders intensiv. Doch nicht nur seine wiederentdeckte Kampfkunst erinnert den Führer an seinen kleinen Bruder, seine ganze Erscheinung schreit geradezu danach. Mit seiner fröhlichen und ausgelassenen Art gewinnt er jeden für sich und erhellt damit die Gesichter aller Flüchtlinge wie es sonst hier keinem gelingt. Er ist hilfsbereit und für jeden Spaß zu haben. Sein Hunger kennt keine Grenzen, auch wenn es hier leider noch keine Pizza gibt. Doch immerhin haben sie in all den Jahren allerhand Bücher und Comics gefunden, die der Junge in jeder freien Minute gierig verschlingt. So kommt es dem roten Ninja immer öfter so vor, als wäre nie etwas zwischen ihnen passiert; als hätte es nie einen Krieg gegeben, der sie zehn Jahre voneinander getrennt hat. Mit einer Ausnahme. Da Raph ja hier der Führer ist und Michael zu den Foot-Soldaten gehört, legt der Blonde eine Höflichkeit an den Tag, die er sein früheres Leben lang nie besessen hat. Nur zu gut kann sich Raph noch daran erinnern wie viel Nerven es Splinter gekostet hat, Mikey davon abzubringen jeden der ihm begegnet ist, als seinen Kumpel anzusprechen. So ist es mehr als seltsam für den Saikämpfer von dem kleinen Wirbelwind ehrfürchtig als Meister bezeichnet zu werden. Zudem verbeugt sich der Junge mindestens genauso oft wie Chen vor ihm, was Raph fast in den Wahnsinn treibt. Wüsste er nicht, dass eigentlich Mikey vor ihm steht, würde er denken, dass sich Leo die Haare gebleicht hätte und ihm damit einen ganz miesen Streich spielt. Dennoch hegt der Saikämpfer die Hoffnung, dass sich das mit der Zeit legen wird. Spätestens wenn er sich wieder an alles erinnern kann. Zudem wirkt es äußerst grausam Mikey in der trostlosen Uniform der Foot zu sehen. Er muss zwar sein Gesicht nicht verbergen und das enge Schwarz übt eine unglaubliche Anziehung auf den Einäugigen aus, dennoch scheint es dem Blonden seine ganze Persönlichkeit zu nehmen. Der einzig individuelle Tatsch daran bildet das orange Bandana, das dem Jungen nun als Gürtel dient. Die anderen Foot haben sich in der Zwischenzeit auch daran gewöhnt, so ein junges Kerlchen in ihrer Mitte zu haben. Dennoch ist ihnen der Neid anzusehen, wenn sie trainieren, ihnen jedoch nicht wirklich etwas gelingen will und es Michael scheinbar so leicht fällt. Das ihr Führer ihn in irgendeiner Weise bevorzugen könnte, fällt ihnen noch nicht auf, da Raph sich alle Mühe gibt, es zu unterbinden. So beginnt auch dieser Tag mit einem ausgiebigen Training für alle und dann werden die Missionen für heute vergeben. Da bis jetzt noch kein Schnee gefallen ist und die Temperatur tagsüber noch knapp über dem Gefrierpunkt liegt, ziehen die Foot immer noch in die zerstörte Stadt aus und durchsuchen die Trümmer nach brauchbaren Materialien. Eine Arbeit, die trotz der langen Zeit noch weitere Jahre in Anspruch nehmen wird. Die Flüchtlinge indes arbeiten fleißig weiter daran neue Unterkünfte zu errichten, da fast täglich weitere zu ihnen kommen. Noch etwas schnaufend betreten die Foot-Ninja nach dem Training den Thronsaal, um ihre Aufgaben für heute entgegen zu nehmen. Michael ist ganz besonders aufgeregt, da er hofft, heute endlich auch einmal mit auf Mission gehen zu dürfen, als immer nur den Flüchtlingen bei ihrer Arbeit zu helfen und zu trainieren. Mit leuchtenden Augen steht er zwischen den völlig vermummten Foot und blickt zu seinem Meister hinüber. Dieser drückt in aller Seelenruhe seine Zigarette aus und greift nach dem Papier, auf dem die Truppenverteilung niedergeschrieben ist. Das Gekritzel scheint keine Ordnung aufzuweisen, von Lesbarkeit ganz zu schweigen, dennoch ist Raph sehr zufrieden mit seiner Arbeit, hat sie ihm doch wieder einiges abverlangt. Geduldig überfliegt er die Seite, während sich die Foot in Formation begeben und dann vor ihm auf die Knie gehen. Mit seinen zottigen, blonden Haaren wirkt Michael zwischen ihnen wie ein Stern in absolut finsterer Nacht. Nicht zum ersten Mal muss Raph bei diesem Anblick unweigerlich lächeln, war Mikey für ihn doch schon immer sein Stern, der ihn aus der Dunkelheit befreit hat. Gemächlich erhebt sich der Rüstungsträger von seinem Thron und beginnt die einzelnen Teams ihren Quadranten zuzuordnen. Jedes Team, das seinen Standpunkt kennt, erhebt sich leise und verschwindet dann aus dem Saal. So dünnt sich die Schar von Männern vor Raphael schnell aus. Als einziger übrig bleibt wie immer Michael. Erwartungsvoll rutscht der Junge auf seinen Knien hin und her und blickt seinen Führer mit großen Kulleraugen an. Der Ältere mustert ihn eine ganze Weile schweigend, ohne dass der Nunchakuträger die Hoffnung zu verlieren scheint. Innerlich fällt es dem Saikämpfer ziemlich schwer sein aufgewecktes Gegenüber erneut enttäuschen zu müssen. In seinen Augen ist Michael einfach noch nicht so weit mit den anderen auf Mission zu gehen, ganz zu schweigen davon allein eine derartige Aufgabe zu übernehmen. Zu kurz war die Zeit, die er erst völlig wieder auf den Beinen ist. Außerdem fällt es ihm irgendwie schwer, den Jungen aus den Augen zu lassen. Er fühlt sich für ihn verantwortlich, mehr denn je noch als früher noch, doch er kann ihn schlecht den ganzen Tag an die Hand nehmen. Daher gibt er ihm Aufgaben, bei denen er sich in seiner Nähe befindet und die möglichst ungefährlich sind. Doch je öfter er das tut, desto weniger scheint es Michael zu gefallen, seinen Befehlen Folge zu leisten. „Ok, Michael. Ich möchte, dass du rübergehst und den Frauen beim Waschen und Kochen hilfst. Anschließend wirst du den Männern auf der Baustelle helfen.“, kommt es von dem Clan-Führer. Mit jedem seiner Worte schwindet ein Grad mehr von der Vorfreude des Blonden, bis er schließlich betrübt zu Boden blickt. Er hat sich so auf eine richtige Aufgabe gefreut und nun darf er nur wieder das Hausmädchen spielen. Der Junge beißt sich auf die Unterlippe und seine Hände verkrampfen sich auf seinem Schoß zu Fäusten. Raph sieht ihm deutlich an, dass er angestrengt versucht seine Enttäuschung herunterzuschlucken. Und er kann ihn bestens verstehen. Ihm ging es nicht besser, als Splinter dasselbe früher mit ihnen gemacht hat. Leo und Donnie durften immer die tollen Sachen machen, während er und Mikey zuschauen mussten. Nun, da er erwachsen ist, versteht er, dass Splinter damals genau das Richtige getan hat und versucht es weiterzugeben. Doch genau wie Raph damals, möchte auch Michael jetzt nicht verstehen, warum er einfach nicht ernst genommen wird und man ihm keine richtige Aufgabe zutraut. Es fällt Raphael wahrscheinlich wesentlich schwerer seinen Bruder so zu enttäuschen, als es Splinter damals fiel, aber er will ja nur das Beste für seinen Schützling. Im Gegensatz zu dem Blonden weiß Raph ganz genau, dass Mikey schon damals an Selbstüberschätzung und akuter Konzentrationsschwäche gelitten hat und das hat sich nicht geändert, nur weil er keine Erinnerung mehr an damals hat. Stumm betrachtet der Führer seinen jungen Soldaten. „Hast du mich nicht verstanden?“, fragt er ihn schließlich nach einer weiteren Minute des Schweigens. Leichter Zorn schwingt in seiner Stimme mit. Sonst hat sich Michael trotz seiner Unzufriedenheit immer getrollt und brav gemacht, was man ihm gesagt hat, doch heute nicht. Er hockt weiterhin wie ein trotziges Kind auf seinen Knien und starrt zu Boden. Langsam hebt er nun den Kopf und blickt ihm verständnislos entgegen. Schmollend schiebt er jetzt auch noch die Unterlippe vor, was ihn noch mehr wie ein kleines Kind aussehen lässt. Bei diesem Anblick muss sich der Ältere ehrlich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Es kommt und kam nicht oft vor, dass der Blonde in so einen trotzigen Zustand verfällt. Wahrscheinlich weil er damals wusste, dass er bei Splinter da nicht weit kommt und bei seinen Brüdern hat es auch nur selten funktioniert. Doch jetzt ist seine Unwissenheit groß und er denkt vielleicht, dass er Shredder wohlmöglich überreden kann. Doch ihn so kindlich anzuschmollen wird ihm da nicht sonderlich weit bringen. Außer vielleicht er möchte, dass Raph einen Lachanfall bekommt. Der Nunchakuträger ist weiß Gott nicht der Typ, der finster dreinschaut oder besonders aufmüpfig wird, umso lustiger ist daher sein Anblick. Allerdings lässt sich Raph nicht erweichen, es ist immerhin zu Michaels eigener Sicherheit. „Ich hab dich was gefragt, also antworte gefälligst!“, kommt es betont streng von dem Rüstungsträger. Der Junge gibt ein missgünstiges Schnauben von sich. „Ich habe Euch sehr wohl verstanden, doch ich kann es einfach nicht akzeptieren!“ Michael versucht wütend zu klingen, doch ein Anflug von Traurigkeit mischt sich in seine Stimme. Versucht geduldig legt Raph seine Ellenbogen auf die Armlehnen, verschränkt die Finger vor seinem Gesicht und bettet sein Kinn darauf. Er trägt seinen Helm nicht, daher kann der Jüngere genau sehen wie es in dem Gesicht des anderen arbeitet. „Du versuchst dich also meinem Befehl zu widersetzen, hab ich das richtig verstanden?“ Das einzelne, gelbgrüne Auge funkelt dem Blonden mit aufkommender Wut entgegen. Nicht wissend, zu was sein Meister alles in der Lage sein kann, stellt sich der ehemalige Hamato ihm jedoch entgegen. „Ich widersetzte mich Eurem Befehl keineswegs, ich hätte nur gern einen anderen!“, erwidert er immer noch schmollend. Beinahe herablassend betrachtet Raphael ihn erneut. Früher hätte Mikey es nicht gewagt ihm zu widersprechen, doch gerade deswegen macht es Raph jetzt so neugierig wie lange er es aushalten wird. Der Junge kann sich noch so sehr anstrengen, er wird seine Meinung dennoch nicht ändern. Doch der Blonde hatte schon immer eine ausgeprägte Hartnäckigkeit an sich, wenn ihm etwas nicht passte. „Das ist überaus interessant. Und wenn ich dir keine andere Aufgabe gebe?“, hakt der Rote nach. Falls es überhaupt noch möglich ist, setzt der Kleinere nun ein noch schwollenderes Gesicht auf und verschränkt trotzig die Arme vor der Brust. An Unhöflichkeit ist der Anblick kaum noch zu überbieten, doch Raph sieht es noch gelassen und versucht streng zu bleiben. „Dann verlange ich eine Erklärung von Euch, warum ich nicht mit den anderen auf Mission gehen darf!“, platzt es ungehalten aus dem Jungen heraus. Langsam wird es dem Führer nun doch etwas zu bunt. „Ist dir eigentlich klar wie respektlos du hier gerade mit mir redest, junger Mann?“, fragt er ihn daher und lehnt sich drohend nach vorn. Zu seiner Überraschung ignoriert der Junge ihn jedoch. Er steht sogar auf und kommt zwei Schritte auf ihn zu. „Ihr sagt mir ständig, was ich für ein toller Kämpfer bin und das die anderen nicht mal ansatzweise so gut sind wie ich! Also warum lasst Ihr mich dann keine vernünftige Aufgabe erledigen?“ Seine Stimme ist deutlich lauter geworden und hat ihren traurigen Unterton völlig verloren. Nun scheint er einfach nur noch enttäuscht und wütend zu sein. Inzwischen gefällt Raphael dieses Spielchen aber überhaupt nicht mehr. Wenn er weiterhin so mit sich reden lässt, werden bald alle Foot glauben, sie könnten so mit ihm umspringen, wenn ihnen etwas nicht passt. Und dann wird alles, was er sich mühevoll aufgebaut hat, in totalem Chaos enden. Mit einem wütenden Knurren erhebt sich der Foot-Clan-Führer von seinem Thron und stellt sich vor den Jungen. Dieser blickt ihm furchtlos entgegen und weicht keinen Zentimeter zurück. Grob packt Raphael ihn am Kragen und hebt ihn schier mühelos auf Augenhöhe, als wäre er nichts weiter als ein Kissen. Überrascht zuckt der Junge etwas zusammen und versucht sich frei zu strampeln. Der Ältere lässt ihm jedoch keine Chance. „Nun hör mir mal genau zu, du Früchtchen! Wenn ich dir eine Aufgabe gebe, dann hast du sie gefälligst auch ohne Wenn und Aber zu erledigen. Andernfalls werde ich dir deinen Hinter versohlen, dass du die nächsten zwei Wochen nicht mehr sitzen kannst, ist das klar!“, knurrt er dem Blonden entgegen. Dieser zuckt nun doch etwas ängstlich zusammen und blickt ihn hilflos an. „Ja, aber…“, setzt er dennoch vorsichtig an. Doch Raph wirft ihn einfach grob zu Boden. Schmerzlich richtet sich der Junge etwas auf und blickt zu ihm hoch. „Es mag zwar sein, dass du der Beste unter meinen Kämpfern bist, doch das gibt dir noch lange nicht das Recht frech zu werden. Dir fehlt einfach die Erfahrung. Du musst dich blind auf deine Kammeraden verlassen können und sie sich auf dich. In einem Team gibt es kein ‚ich will‘, sondern immer nur ein ‚wir machen‘. Und bis du das begriffen hast, wirst du auch weiterhin Wäsche waschen, Kochen und auf dem Bau helfen! Und jetzt geh mir aus den Augen, ehe ich dich für den Rest des Tages unter Arrest stelle!“ Wütend deutet Raphael auf den Ausgang und hofft, dass er zu dem Jungen durchgedrungen ist. Er will ihn nicht bestrafen müssen und schon gar nicht verhauen, doch sollte er auch weiterhin Wiederworte geben, bleibt ihm nichts anderes übrig. Scheinbar hat seine Ansprache aber Wirkung gezeigt. Ziemlich kleinlaut erhebt sich der Junge, entschuldigt sich in aller Höflichkeit und schlurft dann zum Ausgang. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, lässt sich der Saikämpfer ziemlich deprimiert auf seinen Thron fallen. Es tut ihm schon ziemlich weh, so hart zu ihm gewesen zu sein. Andererseits war Raph früher weit ungehaltener zu ihm. Hat ihn fast täglich auch ohne ersichtlichen Grund verprügelt und sich nicht ein Wiederwort gefallen gelassen. Damals hätte es Mikey gar nicht gewagt, ihm so vehement zu widersprechen. Seine Gefühle spielen völlig verrückt. Doch er kann dem Jungen ja schlecht auf die Nase binden, dass er sich Sorgen um ihn macht oder gar, dass er in ihn verknallt ist und sich nichts sehnlicher wünscht, eine zügellose Nacht mit ihm zu verbringen. Dann würde er erst recht jeglichen Respekt von seiner Seite verlieren. Diese verdammte Amnesie! Mit einem langgezogenen Seufzer dreht sich der Rothaarige eine neue Zigarette und zündet sie an. Doch schon nach einem Zug schmeckt sie so widerlich, dass er sie wieder ausdrückt. Im Moment scheint Rauchen nicht das richtige Mittel zu sein, um sich etwas abzulenken, also muss er sich wohl etwas anderes einfallen lassen. Er gibt ein neuerliches Seufzen von sich, ehe er sich einen von Chens Berichten greift, die auf einem kleinen Tischchen neben seinem Thron liegen. Vielleicht kann er darin ja etwas Erfreuliches lesen, das seine Stimmung etwas hebt. In der Zwischenzeit wandert Michael mit hängenden Schultern den Flur entlang, die Treppe hinunter und holt sich aus seinem Schlafzimmer eine Jacke. Bei Temperaturen knapp über null Grad wird er sie auf jeden Fall brauchen. Auf dem Weg zurück zur Treppe kommt er an etlichen Lagerräumen vorbei. Hinter den Türen werden alle Dinge, die die Foot im Laufe der Jahre gefunden haben und die jetzt noch nicht sonderlich brauchbar sind, gelagert. Sortiert nach verschiedenen Kriterien warten die meisten von ihnen darauf wieder benutzt zu werden. Bei vielen Dingen, wie zum Beispiel Radios oder Fernsehgeräten, wird es aber wohl noch Jahre dauern, bis die Zivilisation so weit ist ihre Meinung wieder in alle Welt zu senden. Nachdenklich steht der Blonde vor einer der Türen. Die Räume sind immer verschlossen, damit niemand auf irgendwelche dummen Ideen kommt und nur Raph und Chen haben Schlüssel dafür. Zudem wird streng Buch darüber geführt, was dort lagert und wer etwas davon bekommen hat. Einige Male konnte Michael aber schon einen Blick hineinwerfen, so weiß er, dass dort viele interessante Dinge liegen, die er nur zu gern einmal benutzen würde, es ihm aber verboten ist, sie zu haben. Doch im Augenblick ist ihm alles ziemlich egal. Das Gespräch mit Shredder ist kein bisschen so verlaufen wie er es sich vorgestellt hat. Er ist deswegen immer noch beleidigt. Das er für sein Verhalten ernsthaft bestraft werden könnte, ist ihm einerlei. Er möchte seinen Tag einfach nur ein wenig aufregender gestalten. Etwas unsicher blickt er sich nach allen Seiten um, ehe er eine kleine Haarnadel aus seiner Tasche zieht. Geduldig bewegt er sie in dem Schlüsselloch. Es braucht eine ganze Weile, ehe er das erlösende Kicken hört und der Knauf sich drehen lässt. Mit einem letzten Blick nach allen Seiten schlüpft er in das Lager hinein. In einem Regal neben der Tür findet er ein Sturmfeuerzeug und macht sich damit Licht. Hier drinnen gibt es zwar auch Lampen, doch er fürchtet, dass ihr Licht für jemanden der vorbeigeht, unter der Tür sichtbar sein könnte. Geduldig schlendert Michael an den einzelnen Regalen vorbei und sieht sich um. Schließlich findet er in einem davon, was er gesucht hat und verstaut alles in der Innertasche seiner Jacke. Anschließend legt er das Feuerzeug zurück und verschwindet schnell. Früher oder später wird natürlich jemand merken, dass die Tür nicht mehr verriegelt ist, aber immerhin könnte es ja jeder gewesen sein. So macht er sich keine weiteren Gedanken und verschwindet auf die Nachbarinsel, um beim Waschen und Kochen zu helfen. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass die Frauen nichts für ihn zu tun haben und auch eigentlich lieber unter sich wären. So gern sie den Jungen auch alle haben, so unbehaglich fühlen sie sich bei der Arbeit in Gegenwart der Foot-Soldaten. Dem Nunchakuträger ist es egal und so begibt er sich nach draußen, wo die Männer dabei sind neben dem alten Krankenhaus neue Unterkünfte zu errichten. Hier wird sich sicher etwas finden, wobei er helfen kann. Suchend schaut er sich um. Auch hier machen die Männer nicht gerade den Eindruck, als würden sie sich über seine Anwesenheit freuen. Wenn nicht gearbeitet wird, unterhalten sie sich ausgelassen mit ihm über Gott und die Welt. Doch kaum sind sie auf der Baustelle, ist jeder nur mit sich selbst beschäftigt. Kaum jemand wechselt ein Wort mit einem anderen und jeder versucht sich aus dem Weg zu gehen. Die Männer arbeiten zwar an demselben Projekt, doch zusammenarbeiten tun sie dabei nicht wirklich. Jeder macht sein eigenes Ding und ignoriert die anderen dabei fast völlig. So kommt es nicht selten vor, dass sich die Männer gegenseitig anrempeln und dann in Streit geraten oder sogar kurz davor stehen sich zu prügeln. Langsam dämmert es dem Jungen bei diesem Anblick, was Raph wirklich gemeint hat, als er sagte, in einem Team gehe es nicht um ‚ich will‘ sondern um ‚wir machen‘. Michael würde zwar gern helfen, doch niemand lässt ihn. Ihm kommt der Gedanke, dass Shredder nicht ihn selbst mit seiner Ansprache gemeint hat, sondern alle hier. Und eigentlich soll der Blonde nicht an seinem Sozialverhalten arbeiten, sondern die anderen dazu bringen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Er soll ihnen ein Gemeinsamkeitsgefühl zeigen, weil er von allen Soldaten am aufgeschlossensten ist und sich unter normalen Umständen auch mit jedem versteht. Doch wie in aller Welt soll er das nur anstellen, wenn keiner der Männer ihm auch nur zuhören möchte? Nachdenklich blickt er sich um und sucht nach etwas, das er tun kann. Alle hier, er selbst eingeschlossen, sind Flüchtlinge. Doch es klafft irgendwie eine große Lücke zwischen denen, die als Shredders Soldaten fungieren und denen, die nur ihre Arbeit verrichten. Die normalen Flüchtlinge möchten eigentlich so gut wie nichts mit den Foot zu tun haben, da sie ihnen besser gestellt vorkommen und die Gedanken an den Krieg noch in ihnen verwurzelt sind. Immerhin dürfen die Foot in dem sicheren Bunker wohnen und müssen sich nicht an der alltäglichen Arbeit beteiligen, bekommen aber dennoch Essen und saubere Kleidung von ihnen. Indes müssen sich die Flüchtlinge selbst um alles kümmern und sind ständig darauf angewiesen, dass Shredder so gnädig ist, sie hier überhaupt wohnen zu lassen. Was wäre, wenn ihr großer Führer mal einen wirklich schlechten Tag hat und beschließt, sie alle loswerden zu wollen, so wie die letzten Foot? Das wollen sie sich gar nicht vorstellen. Daher sehen sie Michael auch nicht als helfende Hand an, sondern eher als eine Art Spion, der herausfinden soll, ob die Flüchtlinge vielleicht so etwas wie einen Aufstand planen. Dass dem überhaupt nicht so ist und Raph wirklich nur das Beste für sie alle will, glauben die Wenigsten. Schließlich entdeckt Michael etwas, das er tun kann. Viele Rohstoffe, die die Männer hier verbauen, stammen aus alten Autos. Da die Wagen eh nicht mehr zum Fahren zu gebrachen sind, weil sämtliche Straßen durch Trümmer so gut wie unpassierbar sind, werden sie ausgeschlachtet. So wurden beispielsweise die ganzen kaputten Fenster des alten Krankenhauses durch Autoscheiben ersetzt. Ähnlich wurden auch die Gummis zum abdichten verwendet; Sitze dienen als Stühle oder als Schlafplatz; aus dem Metall wurden Schuppen und andere Dinge gefertigt und die Kabel wurden für die Stromversorgung benutzt. Wie der Bunker, wird auch alles auf dieser Insel durch Wasserkraft angetrieben. Die kräftigen Fluten des East River trieben einen großen Generator an, der die Insel mit Strom versorgt. So gibt es Licht, Heizung und warmes Wasser. Dennoch finden so gut wie keine Elektrogeräte Anwendung. So wird die Wäsche trotz allem auf altmodische Weise in einem Kessel und mit Waschbrettern gereinigt, gekocht wird zumeist auf offenem Feuer und Unterhaltungsmedien gibt es gar nicht. Das Leben gleicht eher dem von vor zweihundert Jahren. Stören tut das im Grunde niemanden, auch wenn sich der ein oder andere ganz sicher wünscht, er könnte mal wieder auf der Couch sitzen und Musik hören oder einen Film schauen. Das wäre durchaus möglich, da in den Lagerräumen auch allerhand TV-Geräte, CDs, Videorekorder, DVDs und Radios lagern. Allerdings werden sie nur sehr selten benutzt und auch nur zu besonderen Anlässen, damit die Leute nicht in alte, faule Verhaltensweisen zurückfallen, die Manhattan jahrzehntelang beherrscht haben. Faulheit ist etwas, dass sich die Leute in dieser neuen Welt nicht mehr leisten können und sich auch nicht wieder angewöhnen sollen. Wenn sie ihre Arbeit jedoch gut machen, werden sie mit solchen Dingen belohnt. So wird zum Beispiel einmal im Monat eine Art Filmnacht abgehalten, wo die Leute vor einer großen Leinwand beisammensitzen oder es gibt einen Tanzabend am Lagerfeuer. Michael hat jedoch das Gefühl, dass diese kurzen Freuden alter Gewohnheiten die Leute letztendlich nur traurig stimmen, da sie viel zu schnell vorüber gehen und sie nicht selbst bestimmen können, wann es wieder so weit ist. Auch dabei müssen sie auf Shredders gute Laune hoffen. Eigentlich ziemlich ungerecht, wo der Führer doch jeder Zeit Zugang zu solchen Gerätschaften hat und sie benutzen könnte, wann immer ihm der Sinn danach steht. Die Leute wissen jedoch nicht, dass so etwas absolut nicht in Raphaels Interesse liegt. Klar hat er früher gern Musik gehört und sich einen Film angesehen oder Videospiele gezockt, doch wirklich fehlen tut ihm das Ganze jetzt nicht. Zumal er auch wirklich genug andere Dinge im Kopf hat und daher gar keine Zeit dazu findet. Das Fernsehen vermisst Michael auch nicht wirklich. Natürlich gefallen ihm die Filme, die manchmal gezeigt werden sehr, doch es würde ihn nicht stören, wenn es sie nicht gäbe. Bei Musik sieht es da schon ganz anders aus. In seinem früheren Leben war Mikey äußerst begeistert von Musik und hat ständig vor sich hin gesungen und sich auch mal selbst daran versucht, das ein oder andere Lied zu schreiben oder es auf der Gitarre nachzuspielen. Daran kann er sich jetzt zwar nicht mehr erinnern, aber der Drang von Musik umgeben zu sein, brennt in ihm wie ein kleines Feuer, das sich nicht löschen lässt. Mit dem Gedanken, sich von der Musik etwas beflügeln zu lassen, setzt sich Michael in eines der Autos, das noch ausgeschlachtet werden muss. Das rege, aber schrecklich schweigsame, Treiben der anderen Männer hört nicht auf, ganz so als würden sie gar nicht wahrnehmen, dass er überhaupt hier ist, um ihnen zu helfen. Im Gegenteil. Wie schon die Frauen, scheinen sich die Männer eher von seiner Gegenwahrt gestört zu fühlen. Sie werfen ihm missgünstige Blicke zu, wenden sich schnaubend ab und die wenigen Unterhaltungen zwischen ihnen ersterben. Jeder konzentriert sich nur noch auf sich selbst und keiner möchte wirklich etwas mit ihm zu tun haben. Doch außerhalb der Arbeit unterhalten sie sich normalerweise sehr angeregt über Gott und die Welt mit ihm. Wirklich traurig wie der Blonde findet. Wie soll man so bloß ein ‚wir machen‘ zu Stande bekommen? Seufzend lässt sich der Junge auf den zerschlissenen Fahrersitz fallen und holt die Dinge aus seiner Jacke, die er aus dem Lagerraum hat mitgehen lassen. Dabei handelt es sich um ein paar Batterien, einen tragbaren CD-Player und ein halbes Dutzend CDs. Seelenruhig schiebt er die Batterien in den dafür vorgesehenen Schlitz und entknotet das Kopfhörerkabel. Dann reiht er die verschiedenen CDs auf dem Armaturenbrett auf und greift sich eine davon. Bei den CDs handelt es sich alles um Mixaufnahmen, also von keiner bestimmten Band. Eher ein Best of der 80er und 90er Jahre. Verträumt betrachtet der Junge die funkelnde Scheibe, die unsichtbar mit Musik beschrieben ist, ehe er sie in den Player drückt. Die Bands und Songtitel auf der Hülle sagen ihm überhaupt nichts. Könnte er sich jedoch daran erinnern, würde er sich wohl freuen, dass einige seiner absoluten Lieblingslieder dabei sind. Während er auf Play drückt, beobachtet er die Männer, die sich inzwischen völlig von ihm abgewendet haben. Ihre finsteren Gesichter passen herrlich zum grauen, kalten Dezemberwetter. Die Wolken hängen so tief und schneegeschwängert am Himmel, dass man fast das Gefühl hat, man würde sich daran den Kopf stoßen. Die Temperatur liegt zwar noch knapp über null, doch die Luft riecht schon so stark nach Schnee, dass es wahrscheinlich heute Nacht, spätestens Morgen die ersten Flocken geben dürfte. Und wenn das erst passiert, dann ist die Stimmung unter den Arbeitern noch weit getrübter, als jetzt. Falls sie dann überhaupt noch arbeiten können. Von alledem vollkommen unbeeindruckt beginnt sich die CD in dem Player zu drehen und kurz darauf spielen die ersten Noten. In diesem Moment scheint die Welt wie verwandelt zu sein. Die launischen Gesichter der Männer werden auf einmal nichtssagender und gehen schließlich in der Musik unter. In Michaels Kopf breitet sich eine ganz andere Welt aus. Eine Welt, die nur er hören kann und außer ihr gibt es nichts anderes. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf dem jungen Gesicht aus und seine Augen beginnen zu funkeln. In diesem Moment scheint es nichts Schöneres zu geben, als diese Musik. Sie erfüllt sein ganzes Denken und hebt seine getrübte Stimmung so hoch, als wäre heute der erste Frühlingstag und alles würde neu beginnen. Gefangen in dieser magischen Welt aus fremden Stimmen, lehnt sich der Junge einen Augenblick zurück und schließt die Augen. Die Männer, die an dem Auto vorbeigehen, denken sogar er würde dort sitzen und schlafen und sind dadurch nur noch verstimmter. Ohne von alledem zu wissen, legt Raphael den letzten Bericht zurück auf den Tisch. Wie er darin gelesen hat, ist so gut wie alles für den ersten Schneefall vorbereitet. Es gibt genug Essen, Wasser und auch warme Kleidung um etliche Tage auszuharren, sollte es extrem werden und sie vielleicht sogar einschneien. Der Rote hält dies zwar für ausgeschlossen, doch man weiß ja nie. Die Welt hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Der Mensch produziert keine Treibhausgase mehr und pustet auch sonst nichts Schädliches in die Luft, was zu extremen Wettererscheinungen führen könnte, wie es manchmal vor dem Krieg der Fall war. Andererseits haben sie im Ernstfall auch nichts, dass ihnen hilft. Sie können nur warten bis es zu tauen beginnt und sich dann ins Freie kämpfen. Doch zumindest werden sie nicht erfrieren. Die Strömung des East River ist so stark, dass es nahezu unmöglich ist, dass er jemals zufrieren und so die Generatoren lahmlegen würde. So etwas wie Zufriedenheit macht sich in dem ungewollten Führer breit. Auf dem Papier sieht jedoch alles ziemlich schön aus, es wäre gut sich auch vor Ort davon zu überzeugen. Der Gedanke gefällt ihm und er könnte wirklich mal etwas frische Luft vertragen. Und vielleicht wäre es auch ganz gut, mal nachzusehen, ob Michael seine Aufgabe erfüllt oder nicht. Der Blonde hatte sich zwar für sein Fehlverhalten entschuldigt und versprochen, die ihm aufgetragene Arbeit zu erledigen, doch Raph weiß nur zu gut, was für ein Sturkopf sein kleiner Bruder früher gewesen ist. Gemächlich erhebt sich der Saikämpfer von seinem Thron und streckt sich ausgiebig. Nachdem er noch einmal herzhaft gegähnt hat, macht sich Raph auf den Weg zur Nachbarinsel. Während dieser Wanderung setzt sich Michael wieder aufrecht hin und fängt damit an, die Dichtungen aus den einzelnen Scheiben zu ziehen, um so das Glas freizubekommen. Ein Lied wechselt dabei das andere ab und der Junge merkt gar nicht mehr, dass er ja eigentlich nicht allein ist. So lässt er sich von den Rhythmen mitreißen. „We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll.” Schon bald wird seine Stimme lauter und die ersten Männer drehen sich verwundert zu ihm um. Sie tauschen verwirrte Blicke aus. So etwas haben sie hier noch nicht erlebt. „Say you don't know me Or recognize my face Say you don't care Who goes to that kind of place Knee deep in the hoopla Sinking in your fight Too many runaways Eating up the night.” Ungeniert macht der Junge einfach weiter und scheint dabei nicht zu merken, dass er überhaupt so laut singt, dass ein anderer es hören könnte. Als der Nunchakuträger die Seitenscheibe aus ihrer Halterung zieht und sie zu den anderen im Lagerraum des Krankenhauses bringen will, wippt er im Takt mit dem Fuß und wackelt sogar ein wenig mit seinem Po. Mit der Scheibe beladen dreht er sich schließlich zu den Männern um und erstarrt augenblicklich mitten in der Strophe. Es gelingt ihm gerade noch so, das Glas nicht fallenzulassen. Er schluckt schwer, als er in ihre Gesichter blickt. Doch irgendwas ist komisch. Sie wirken gar nicht wütend, vielmehr überrascht und erfreut? Michael ist sehr unsicher und blickt sich scheu um. Im Geiste malt er sich schon aus, dass Raph ihn dafür bestrafen wird und ihm rutscht das Herz in die Hose. Bevor seine Panik ihn jedoch übermannen kann, erhebt einer der Männer die Stimme. Wie ferngesteuert stellt der Blonde die Scheibe dabei ab und zieht sich die Kopfhörer aus den Ohren. „Ich kenne das Lied! Damit bin ich aufgewachsen!“, verkündet der Mann den anderen. Plötzlich setzt ein angeregtes Tuscheln unter ihnen ein wie es der Junge noch nicht erlebt hat. Es ist fast so, als würden sie fröhlich an einem Lagerfeuer hocken, statt hier in der Kälte zu stehen und zu schuften. Weitere Männer melden sich, dass sie das Lied kennen und sie fangen an darüber zu diskutieren wie denn der Titel war und wer es gesungen hat. Zwei von ihnen versuchen sogar dort weiterzumachen, wo Michael eben geendet hat, doch sie sind sich uneinig wie die Strophe richtig geht. Der ehemalige Turtle traut seinen Augen nicht. Sie scheinen ihm überhaupt nicht böse zu sein. Ganz im Gegenteil, sie scheinen sich zu freuen, mal etwas Musik bei der Arbeit hören zu können. Ein erfreutes Lächeln breitet sich auf seinen Zügen aus und ihm kommt eine brillante Idee. Während die Männer in ein immer hitzigeres Gespräch verfallen und Raph inzwischen die Oberfläche erreicht hat, verschwindet Michael einfach. Erbost erblickt Raphael die Arbeiter, die allerdings alles andere zu tun zu haben scheinen, als arbeiten. Von seinem kleinen Schützling ist auch nichts zu sehen, dabei hat er ihn schon bei den Frauen vermisst, die ihm sagten, dass er eigentlich hier sein müsste. Suchend blickt sich der Saikämpfer nach seinem jungen Soldaten um. Schließlich sieht er wie der Junge mit einem dicken Kabel in den Armen zu den Männern zurückkehrt. Aus sicherer Entfernung beobachtet der Führer wie Michael die Motorhaube eines der Autos öffnet und das Kabel mit der Batterie verbindet. Die Tanks aller Autos sind leer. Nur gelegentlich werden die Batterien über den Generator mit Strom versorgt, um die Lampen als Lichtquelle zu benutzen. Dazu schalten sie die Wagen dann in den Leerlauf. Mittlerweile haben die Männer bemerkt, dass der kleine Foot-Ninja das Kabel angeschlossen hat und nun die Motorhaube hinunterlässt. Vorfreude breitet sich in ihren Gesichtern aus. Doch Raph versteht nicht, was das Ganze soll. Es ist praktisch helllichter Tag, wozu sollten sie also ein Kabel anschließen, wenn sie kein Licht machen wollen? Aufgeregt läuft Michael um den Wagen herum, lässt sich auf den Fahrersitz plumpsen und dreht den Schlüssel in den Leerlauf. Sämtliche Leuchten auf dem Armaturenbrett flammen auf. Die Benzinanzeige beginnt hektisch zu blinken, doch sie wird strikt ignoriert. Michael hat nur Augen für das Radio. Geschickt fummelt er die CD aus dem tragbaren Player und schiebt sie in den Schlitz unter dem Radio. Er wählt den Song an, den er gerade gehört hat und öffnet dann alle Türen, damit jeder ihn hören kann. Als das Lied zu spielen beginnt, dreht er die Regler hoch und steigt auf das Autodach. In dröhnender Lautstärke donnern die Noten über die Insel hinweg und die Stimmen der Sänger schallen weit hinaus in den Wald. Raphael versteht gar nichts mehr. Doch die Männer verfallen schlagartig in ein aufgeregtes und erfreutes Jubeln. Kurz darauf stimmen sie alle mit ein und ihre vereinten Stimmen erhellen den grauen Tag. „Marconi plays the mamba Listen to the radio Don't you remember? We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll Someone always playing Corporation games Who cares they're always changing? Corporation names.” Die Ausgelassenheit scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Jeder von ihnen hat sich anstecken lassen. Wie durch ein Wunder reißt sogar die düstere Wolkendecke an einigen Stellen auf und die Sonne schickt ihre hellen Strahlen auf die kühle Erde. Dies scheint die Anwesenden sogar noch mehr zu beflügeln und ihre Stimmen werden noch einen Schlag lauter. Unzählige Erinnerungen an eine fast vergessene Zeit leben in ihnen wieder auf. Erinnerungen an einen besonders schönen Tag, den ersten Kuss oder das langersehnte Date mit einem Mädchen – alles Dinge, die sie dachten verloren zu haben, als der Krieg die Welt und ihre schönen Gedanken in Fetzen riss. „We just want to dance here Someone stole the stage They call us irresponsible Write us off the page Marconi plays the mamba Listen to the radio Don't you remember? We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll.” Beschwingt durch den Rhythmus der Musik ergreifen die Männer ihre Werkzeuge und setzen singend ihre Arbeit fort, diesmal gemeinsam. Sie nehmen Michael in ihrer Mitte auf, als hätten sie nie etwas anderes getan. Raphael kann es nicht fassen. Mit offenem Mund steht er da und beobachtet wie die Männer und Michael Hand in Hand arbeiten und dabei ausgelassen dieses alte Lied singen. Langsam geht ihm ein Licht auf. Alles, was den Leuten gefehlt hat, war etwas, das sie antreibt. Der Drang zu Überleben bestimmt ihren Alltag schon lange nicht mehr und so sehnen sie sich nach etwas anderem, das sie aufbaut und ermuntert weiterzumachen. Und was könnte den Gemeinschaftssinn der Menschen mehr antreiben als Musik, die sie alle verbindet? Ein Lächeln breitet sich auf seinem sonst so harten Gesicht aus. Michael hat seine Aufgabe endlich verstanden wie es scheint. Den Menschen wieder einen Sinn geben und sie antreiben. Der Rote hat sich zwar nicht vorgestellt, dass es so ablaufen oder gar so simpel sein könnte, aber am Ende zählt ja auch nur, dass er es geschafft hat. Mikey hatte schon immer ein ganz besonders sensibles Händchen für die Gefühle anderer und konnte sich sehr gut in sie hineinversetzen. „It's just another Sunday In a tired old street Police have got the choke hold Oh, and we just lost the beat Who counts the money? Underneath the bar Who rides the wrecking ball? Into our guitars Don't tell us you need us 'Cause we're just simple fools Looking for America Calling through your schools.” Sie fröhlich zu stimmen, war stets etwas, dass zu seiner Lebensaufgabe gezählt hat und er scheint dieses Talent nach alledem nicht verloren zu haben. Fast schon verträumt lauscht Raph dem Chor ungleicher Stimmen und denkt zurück an die Zeit, als die Welt noch eine andere war. Schließlich landet er wieder im Hier und jetzt und stellt fest, dass das Lied nicht besser sein könnte. Nicht weil alle es zu kennen scheinen, sondern weil die Botschaft genau zu ihrer Situation passt. Sie bauen zwar keinen neue Stadt, noch nicht, aber sie tun es gemeinsam und mit Musik im Herzen. *10 Jahre nach der Terrorherrschaft, die eine Schneise von Tod und Zerstörung durch New York gezogen hat, ist die Luft erfüllt vom Klang der Hammerschläge, vom Geruch neuen Bauholzes, und die Menschen sind durchdrungen von Optimismus und einem Gefühl der Unverwüstlichkeit. Wenn er gewusst hätte, dass es so einfach ist, hätte er ihnen wohl schon viel früher etwas Musik auf der Baustelle gestattet. Doch er war immer der Ansicht, dass sie das vielleicht zu sehr ablenken könnte und dann Unfälle passieren. „I'm looking out over that golden gate bridge Out on a gorgeous sunny Saturday I've seen that bumper-to-bumper traffic Don't you remember, remember? Here's your favorite radio station In your favorite radio city The city by the bay, the city that rocks The city that never sleeps.” Doch wenn Raph es sich so überlegt, sind es alles erwachsene Männer, die ihre Arbeit verstehen und ganz gewiss vorsichtig sein werden. Ein weiteres Lächeln huscht über sein Gesicht und er lässt den Blick schweifen. Wie er schon in Chens Bericht lesen konnte, sieht es hier auf der Baustelle ziemlich gut aus. Das Krankenhaus ist vollständig winterfest gemacht, Vorräte, Wasser und Kleidung verstaut und bereit für ihren Einsatz. Die letzten Stunden oder Tage vor dem ersten Schneefall nutzen die Männer nun lediglich, um noch kleinere Arbeiten zu erledigen. Sie haben einen Schuppen fertig gestellt, indem vorwiegend die Werkzeuge und Baumaterialien Platz finden und sie schlachten die letzten Autos aus, damit wieder genügend Platz vorhanden ist, um neue Wagen vom Festland herzubringen. An einigen anderen Stellen sind schon Vorbereitungen für einen weiteren Anbau zu sehen, der starten kann, sobald der Winter sich wieder verzieht. Alles in allem ist Raphael sehr zufrieden. Jeder scheint mittlerweile auch seinen Platz in der Gemeinschaft gefunden zu haben und so wird Michael bei der nächsten Mission der Foot wohl dabei sein können. „Marconi plays the mamba Listen to the radio Don't you remember? We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll!” Zufrieden wartet Raph ab, bis das Lied zu Ende ist und dann macht er sich auf den Rückweg nach South Brother Island. Ehe der Tag von der Nacht abgelöst wird, hat er noch jede Menge zu tun. Zum Beispiel muss er sich nun überlegen, für welche Mission er den Blonden einteilen kann, ohne ihn damit zu überfordern oder gar die anderen Foot. Schon damals brauchte Mikey eine gewisse Führung. Selbst Entscheidungen treffen gehörte nicht zu seinen Stärken und Leo musste ihm sehr oft mehrmals ausführlich erklären, was er zu tun hatte. Raph ist sich sicher, dass seine Foot nicht gerade angetan von so etwas sein werden. Doch allein kann er Michael unmöglich losschicken. Dafür ist er einfach noch zu unerfahren, auch wenn er seinen Ninja-Sinn nicht verloren hat. Doch er könnte ihn zusammen mit Chen in einen Truppe stecken, wenn dieser Zeit dafür hat. Dann können die beiden gemeinsam losziehen und dann wäre der Blonde auf jeden Fall in guten Händen! Der Gedanke ist durchaus annehmbar, also wird er Chen später einfach fragen, ob er diese Aufgabe ein paar Mal übernehmen kann, bis Michael sicher genug ist mit den anderen mitgehen zu können. Kurz nach Mitternacht… Es ist schon lange Zeit zum Schlafen und Raphael hat sich aus genau diesem Grund auch schon vor Stunden ins Bett gelegt, doch Schlaf findet er nicht wirklich. Das Ganze ist nicht sonderlich neu für ihn. Seit er sich mehr oder weniger dafür entschieden hat, der neue Shredder zu sein und hier eingezogen ist, gab es nur wenige Nächte, in denen er unbeschwert Ruhe finden konnte. Und er muss sich schon anstrengen, um zurück zurechnen, wann er das letzte Mal wirklich ohne Unterbrechung durchgeschlafen hat. Zwar ist alles schon so lange her und er hat sich zumindest oberflächlich damit abgefunden, den Großteil seiner Familie nie wiederzusehen, doch in seinem Inneren wütet es trotzdem. Seit er weiß, dass Mikey zumindest körperlich wieder bei ihm ist, ist es viel besser geworden, doch Durchschlafen fällt ihm trotz alledem schwer. Nach all den vielen Jahren gibt er sich immer noch die Schuld am Tod seiner Brüder und seines Meisters und dies lässt ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Er denkt zwar nicht mehr so oft an sie, doch sein Unterbewusstsein kämpft dennoch weiterhin damit. So verbringt er nicht selten eine Nacht, die von schrecklichen Albträumen durchzogen ist und ihm somit immer wieder um den erhofften Schlaf bringt. Hunderttausend Mal musste er daher schon mit ansehen, wie seine Familie vor seinen Augen zu Grunde gerichtet wurde. Der Gedanke, nicht eingreifen zu können, bringt ihn dabei fast um den Verstand. Ihre flehenden, von Angst durchzogenen Gesichter. Die Augen von Tränen erfüllt, die Körper geschunden und dazu das ewigwehrende Lachen von Oroku Saki! Es ist, als würde er selbst tausend Tode sterben, da es die furchtbare Erinnerung daran immer wieder aufreißt. Wenn der Traum vorüber ist, findet er auch nur selten wieder Schlaf und bleibt stattdessen die ganze Nacht wach und denkt an die alten Zeiten zurück, in denen sie mit dem Shellraiser durch die glitzernde Stadt gefahren sind und die Gegend unsicher machten. An die vielen, schönen Stunden, die sie zusammen verbracht haben, Pizzaessend auf der Couch oder schwitzend beim Training. Manchmal gelingt es ihm aber auch wieder einzuschlafen, doch das macht es nicht besser, denn dann geht der Albtraum wieder von vorne los. Ein endloser Kreislauf des Grauens. Raph liegt ruhelos in seinem viel zu großen, viel zu leeren Bett und wälzt sich stöhnend von einer Seite auf die andere. Krampfhaft versucht er dem Schrecken vor seinem inneren Auge zu entkommen, doch es ist zwecklos, solange er nicht das ganze Ausmaß gesehen hat. Hilflos ruft er im Traum gefangen nach seinen Brüdern und seinem Sensei. Doch sie können ihn nicht hören, werfen ihm nur ihre gequälten Blicke zu. Ihre Schmerzensschreie dröhnen in seinem Kopf und drohen damit ihn zum Platzen zu bringen. „Nein, bitte nicht…!“, wimmert er verzweifelt und klammert sich mit aller Kraft am Laken fest. Die Decke hat er schon völlig von sich gestrampelt. Langsam und ungeachtet gleitet sie zu Boden und bleibt dort als unförmiger Haufen zurück. Endlich erreicht er das gnadenlose Ende des Traums. Er sieht mit an wie seine Familie von Shredder in Stücke gerissen wird und dann in den Fluten des East River versinkt. Dem Saikämpfer ist durchaus bewusst, dass es sich so nicht abgespielt hat, doch es fühlt sich an, als wäre es Wirklichkeit. Er sieht wie ihre entstellten Gesichter im Wasser versinken und hört Sakis durchtriebenes Lachen und dann… …Dann erwacht er mit einem erstickten Schrei. Wie vom Blitz getroffen sitzt er kerzengerade im Bett, schnappt angestrengt nach Luft und fühlt sich wie erschlagen. Desorientiert blickt er sich im Zimmer um und betet dafür, dass der Albtraum zu Ende ist. Schließlich lässt er sich mit dem Rücken gegen die Wand fallen und versucht sein Herz zu beruhigen. Verloren sieht er sich in dem großen Raum um, der ihm so sehr wie ein Gefängnis vorkommt. Schon nach dem ersten Albtraum vor zehn Jahren hat er sich angewöhnt, dass Nachttischlicht nicht mehr auszumachen, wenn er schlafengeht. Der warme Lichtkegel gibt ihm zumindest etwas Sicherheit, dass er nicht mehr in dieser schrecklichen Finsternis gefangen ist. Dennoch hat es ihn einiges an Überwindung gekostet, etwas so kleinkindermäßiges tun zu müssen, nur um nicht schreiend in der Dunkelheit zu sitzen. Nicht zum ersten Mal denkt er dabei zurück an die Zeit, als noch alles in Ordnung schien. Damals war es Mikey gewesen, der des Öfteren von Albträumen heimgesucht wurde. Ein wehmütiges Lächeln huscht über sein erschöpftes Gesicht, als er daran denkt wie der Blonde dann immer zu ihm gekrochen kam. Es war so wunderbar ihn in den Armen zu halten und ihm dabei die Sicherheit zu geben, die er in seinem eigenen Zimmer verloren hatte. Eine einzelne Träne schiebt sich aus Raphaels verbliebenem Auge und er wischt sie langsam weg. Ein Seufzen entkommt ihm. Wie gern hätte er jetzt Mikey hier bei sich im Bett, nur um sich besser zu fühlen und vielleicht doch etwas Schlaf zu finden. Doch Michael ist nicht mehr der anhängliche Junge von damals. Körperlich schon, doch im Kopf kann er sich nicht mehr daran erinnern, was sie alles miteinander geteilt haben. Und es sehe bestimmt äußerst komisch aus, wenn er jetzt zu dem schlafenden Jungen ins Zimmer huscht und ihn fragt, ob er den Rest der Nacht bei ihm verbringen kann, weil er sich allein unwohl fühlt. Oh, nein! Die Zeiten solch ungezwungener Nähe sind vorbei und der Nunchakuträger würde das Ganze vielleicht sogar falsch interpretieren und denken, dass er ihm nur an die Wäsche will. Ganz egal. Auf jeden Fall wäre es dem Jungen schrecklich unangenehm und würde Raph ganz sicher auch in kein gutes Licht als Meister rücken. Solche Wünsche kann er sich also gleich aus dem Kopf schlagen. Dennoch überfällt ihn regelmäßig ein Gefühl von hilfloser Begierde, die nur sein kleiner Bruder beenden kann. Wie schon all die Jahre zuvor verzehrt er sich noch immer nach ihm und sehnt sich nichts mehr herbei, als eine Nacht mit ihm. Tragischer Weise weiß er beim besten Willen nicht, wie er den Jüngeren in diese Richtung dirigieren soll, ohne gleich zu aufdringlich zu wirken oder in seinen Augen als perverser Lüstling da zustehen. Schließlich ist er fast doppelt so alt wie Michael und ihm im Rang deutlich überlegen. Warum muss auch immer alles so schwierig sein? Hatte er doch gehofft, dass es wesentlich einfacher sein würde, wenn Michael sich hier erst eingelebt hat. Wahrscheinlich überstürzt er das Ganze einfach nur, weil er es sich schon so endlos lange wünscht? Doch Raph war nie besonders geduldig. Selbst wenn er es versucht, macht ihm sein Körper einen Strich durch die Rechnung, indem er dieses nagende Gefühl alles andere überlagern lässt. Wieder ein Seufzen. Jetzt ist es wohl angebracht, sich erst mal einen freien Kopf zu verschaffen, andernfalls könnte es sein, dass Michael heute Nacht noch einen äußerst unschönen Besuch bekommt. Schwerfällig schwingt er die Beine aus dem Bett und hebt die herabgefallene Decke wieder auf. Anschließend schlüpft er in seine Stiefel und wirft sich seinen Bademantel über. Ihm ist bewusst, dass es draußen jetzt vielleicht Minusgrade hat und er sich erkälten könnte, wenn er nur in Stiefeln, einer Shorts und dem Bademantel an die Oberfläche geht, doch es ist ihm egal. Vielleicht werden die Albträume weniger, wenn er im Fiberwahn gefangen in seinem Bett liegen muss? Die Hoffnung besteht zumindest. Außerdem will er ja nicht die ganze Nacht draußen bleiben, sondern nur ein oder zwei Kippen rauchen und dann wieder versuchen einzuschlafen. Sein Körper fühlt sich wie gerädert an und einige seiner Gelenke geben ein unschönes Knacken von sich, als er langsam Richtung Tür schlurft. Leicht verzieht der Rothaarige dabei das Gesicht und gähnt dann erschöpft. Seine halbherzige Müdigkeit verfliegt jedoch augenblicklich, als der die Tür öffnet und ein merkwürdiges Geräusch vernimmt, das er nicht gleich einordnen kann. Was wohl auch daran liegt, dass er es hier noch nie gehört hat. Irritiert tritt er einen Schritt auf den Flur und blickt sich stirnrunzelnd um. Die Fackeln auf dem langen Gang tauchen alles in ein spärliches, aber vollkommen ausreichendes Licht. Dennoch kann Raphael im ersten Moment nicht erkennen, was dieses merkwürdige Geräusch verursacht. Sein Blick verfinstert sich und er wendet den Kopf noch weiter nach rechts, um den gesamten Flur besser einsehen zu können. Da ihm nur noch das linke Auge geblieben ist, hat er rechts einen toten Punkt, an dem vieles Dunkel bleibt, auch wenn er mit erheblichem Training diesen auf ein Minimum herunter gebracht hat. Als er sich nun linksseitig anstrengt, um alles im Blick zu haben, nimmt er am unteren Rand seines Sehfeldes eine schwache Bewegung wahr. Vorsichtig schaut er nach unten und zuckt dann überrascht zusammen. Dort auf dem Boden, direkt neben seiner Tür, hockt eine Person. Sie hat die Knie angezogen und das Gesicht darin vergraben und – weint? Beim zweiten Hinsehen erkennt der Führer, dass es sich bei diesem Häufchen Elend dort auf den Steinen um Michael handelt. Als ihm dies wirklich bewusst wird, jagt ein heftiger Stich durch sein Herz und löst dabei augenblicklich seinen alten Beschützerinstinkt aus. Langsam geht er neben dem weinenden Jungen auf die Knie und legt ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Der Blonde zuckt heftig zusammen und zieht geräuschvoll die Luft ein, ehe er blitzartig den Kopf zu ihm herumdreht. In dem zarten, jugendlichen Gesicht des Nunchakuträgers spiegelt sich all das Elend wieder, das Raph gerade in seinem Traum durchgemacht hat. Seine Wangen glühen, die Augen sind vom Weinen ganz geschwollen und die himmelblauen Juwelen schwimmen in einem endlosen Meer aus Tränen. Seine Unterlippe zittert und als der erste Schreck überwunden ist, fängt er bitterlich an zu Schluchzen. Der Anblick könnte für Raph wohl kaum grausamer sein. Es ist, als würde er in einen Spiegel blicken können, der ihm die Vergangenheit zeigt. Mikey hat zwar nie weinend vor seiner Tür gehockt, doch der Ausdruck in seinem Gesicht ist genau derselbe wie damals. Das Herz des Saikämpfers zieht sich schmerzlich zusammen und er würde jetzt nichts lieber tun, als ihn einfach nur in die Arme nehmen und ihm zeigen, dass es nichts gibt, was seine Tränen begründen könnte. Doch das kann er einfach nicht machen, so sehr er es sich auch wünscht. Die Zeit der brüderlichen Nähe ist einfach noch nicht wieder da und als Führer des berüchtigten Foot-Clans kann er sich so eine Blöße einfach nicht geben, nicht mal, wenn niemand zusieht. Stattdessen schluckt er seine Gefühle hart herunter und mustert den Jungen streng. „Was machst du hier mitten in der Nacht?“, fragt er ihn forsch. Merklich zuckt der Junge unter der rauen Stimme zusammen und senkt beschämt den Blick zu Boden. Er hat Angst und wusste einfach nicht, wohin er sollte. Schließlich ist er ja kein kleines Kind, das nachts zu seinen Eltern ins Bett krabbelt. Er weiß zwar nicht warum, aber in Raph´s Nähe hat er sich irgendwie immer sicher gefühlt, selbst wenn der Rote sich stets abweisend zu ihm verhält. Doch das kann er seinem Meister ja schlecht sagen und er wäre sicher sehr enttäuscht von ihm, wenn er ihm erzählen würde, dass er hier hockt, weil er Angst allein in seinem Zimmer hat. Allein schon bei dem Gedanken ist er selbst von sich angewidert. „Ich hab dir eine Frage gestellt, Soldat!“, kommt es nachdrücklich von dem Älteren, während er sich wieder erhebt. Erneut zuckt der Junge zusammen, zittert heftig und immer mehr Tränen bahnen sich ihren Weg ins Freie. „Ich…“, stammelt er erstickt, doch mehr bringt er nicht zu Stande. Nun langt es dem Rothaarigen allmehlig. Er mag vielleicht oftmals ein echtes Arschloch sein, aber seinen weinenden Bruder konnte er noch nie ertragen. Wieder zieht sich sein Herz schmerzlich zusammen, als würde es in einem Schraubstock klemmen, der immer weiter zugedreht wird. Er kann seine Führer-Fassade nicht mehr länger aufrecht halten, dafür ist die Erinnerung einfach zu stark und die Liebe zu diesem Jungen zu endlos. Er muss ihm einfach helfen! Zwar wird es nicht so sein wie damals, doch vielleicht bringt es sie beide trotzdem näher zusammen. Mitleidig blickt er auf den Jungen hinab, der abermals versucht eine Erklärung für sein Verhalten hervor zu stammeln. Mit einem stummen Seufzen greift Raph in sein Zimmer. Dort hängt an der einen Seite des Spiegels, der neben der Tür steht, seine Lederjacke. Beherzt ergreift er dann die Hand des Jungen und zieht ihn auf die Füße. Erschrocken sieht der Blonde ihn an, vermutet er doch, jetzt betraft zu werden. Überrascht stellt Michael allerdings fest, dass dem ganz und gar nicht so ist. Stattdessen drückt Raph ihm die Lederjacke in die Arme und schließt dann seine Zimmertür von außen. Noch immer mit Tränen in den Augen blickt der Blonde die Jacke fragend an. Derweil wendet sich der Einäugige zum Gehen. Er hat schon ein paar Schritte den Gang entlang getan, als er merkt, dass Michael ihm nicht folgt. Er bleibt stehen und blickt über die Schulter zu dem irritierten Jungen hinüber. „Zieh die Jacke über und komm endlich oder willst du ganze Nacht dastehen und gucken wie ein Reh im Scheinwerferlicht?“ Mit großen Augen sieht der Blonde zu ihm hinüber und presst sich die Jacke an die bebende Brust, doch er macht keine Anstalten Raph´s Worten Folge zu leisten. Innerlich rollte der Führer mit den Augen. Ist der Blonde wirklich so perplex wegen der Geste, dass er sich nicht mehr rühren kann? „Michael!“, kommt es streng von dem Älteren, was den Jungen erneut zusammenzucken lässt. „Das war ein Befehl und keine nette Bitte! Also beweg dich endlich!“ „Ja-wohl…!“, erwidert der Kleinere hastig und schlüpft in die Jacke. Mit schnellen Schritte, aber gesenktem Kopf, folgt er seinem Meister schweigend bis an die Oberfläche. Noch weiß er nicht ganz, was das hier werden soll, doch sein Führer wird schon einen Grund dafür haben. Als sie in die eisige Nachtluft hinaustreten, schlingt der Junge die Arme um seinen Körper und wünsch sich, er hätte wenigstens eine Hose angezogen. Der Rothaarige lässt sich die Kälte jedoch nicht ansehen, obwohl in diesem Moment ein frostiger Windstoß seinen Bademantel bauscht und ihm am ganzen Körper eine Gänsehaut verpasst. Mit flinken Schritten steuert Raphael auf einen Kreis aus liegenden Baumstämmen zu. In ihrer Mitte sind die Reste eines Lagerfeuers zu sein, das die Foot gemacht haben, um dort in ihrer wenigen Freizeit zu reden oder Karten zu spielen. Geschickt schichtet der ehemalige Turtle neues Holz auf und bald darauf brennt ein frisches Feuer. Mit einem Seufzen lässt sich Raph auf einen der Stämme sinken und winkt Michael zu sich heran, der bis eben noch ziemlich verloren neben dem Eingang gestanden hat. Diesmal braucht er jedoch keine extra Einladung, was wohl der Kälte zu verdanken ist. Zitternd setzt sich der Junge mit gebührendem Abstand neben seinem Meister und rückt so dicht wie möglich an die wärmenden Flammen heran. Wie schon im Flur, zieht er auch jetzt wieder die Beine an, schlingt die Amre darum und bettet seinen Kopf auf die Knie. Mit leeren, traurigen Augen starrt er dann in die orangeroten Flammen, die sich in die Nacht erheben. Mitleidig sieht Raph ihn aus dem Augenwinkel an und stochert dabei mit einem Ast in der alten Asche herum. Mit der Spitze des Astes schiebt er einen kleinen Stein in die Glut und wirft den Ast hinterher, ehe er die Stille unterbricht. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was hast du mitten in der Nacht vor meiner Tür gemacht – und warum hast du geweint?“, fordert Raphael nun zu wissen. Bei den letzten Worten schwingt schon fast hörbar Mitleid in seiner Stimme. Vielleicht merkt Michael das in diesem Moment, da er nun antworten kann, wo er es vorhin nicht konnte. „Ich – ich hatte einen Albtraum…“, murmelt er leise, sodass Raph es über das Knistern des Feuers gerade noch hören kann. Neuerliche Tränen sammeln sich in den blauen Augen, die sonst vor Fröhlichkeit überschwappen. Bei dem Wort Albtraum muss der Saikämpfer unweigerlich an den seinigen denken. Kann so was Zufall sein? Eher unwahrscheinlich, wo er sich doch jede Nacht damit rumplagt und dabei noch nie gemerkt hat, dass Michael vor seiner Tür hockt und sich die Augen ausweint. Gedankenverloren dreht sich der Ältere eine Zigarette und entfacht sie an den züngelnden Flammen. Er macht einen langen Zug und stößt den Rauch langsam wieder aus. Dann blickt er abermals zu seinem Sorgenkind. Bekümmert stellt er fest, dass Michael wieder ein paar Tränen über die Wangen laufen. „Erzähl mir, was du geträumt hast.“ Unsicher sieht der Junge zu ihm hinüber und blickt dann wieder ins Feuer. „Ich – ich denke, dass möchte ich nicht…“, erwidert der Nunchakuträger verhalten. Raph nimmt einen weiteren Zug und bläst den Rauch durch die Nase. „Es ist egal, was du möchtest. Es hilft, wenn man darüber spricht, sonst wird es dich nie loslassen.“, erklärt Raphael und könnte sich innerlich selbst für diese dämliche Weisheit ohrfeigen, hat er doch bis heute nicht einmal Chen erzählt, dass ihn jede Nacht derselbe Traum verfolgt. Doch Michael schweigt und starrt nur mit feuchten Augen in die Flammen. Seufzend raucht Raphael weiter. ‚Warum antwortet er mir nicht? Hat er Angst, dass ich lachen könnte? Oder vertraut er mir einfach nicht genug, um sich mir zu öffnen…?‘ Sorgenvoll mustert er den Jungen, doch seine Gedanken beginnen abzuschweifen. Die blonden Haare des Kleineren glänzen in Schein des Feuers. Seine feuchten Augen funkeln wie Sterne. Seine sonst so gebräunte Haut sieht im wabernden Lichtschein blass aus, bis auf die vom Weinen roten Wangen. In der übergroßen Lederjacke wirkt seine zierliche Gestalt verloren und furchtbar klein. Der Anblick lässt Raph erneut daran denken wie gern er ihn tröstend in die Arme schließen möchte. Doch er schiebt ihn beiseite. Stattdessen lässt er sein einsames Auge weiter wandern. Die Jacke reicht dem Jungen bis über den Po. Der untere Rand eines uralten, verblichenen T-Shirts schaut darunter hervor, welches er zum Schlafen benutzt. Wenn sich Raph eben an ihre Begegnung im Flur erinnert, fällt ihm ein, dass er das Shirt kennt. Ironischer Weise hat Mikey es schon damals getragen und eigentlich gehörte es ursprünglich Donnie. Fragt sich, ob das jetzt wenigstens ein Zufall ist? Wahrscheinlich schon, denn immerhin hätte dieses Shirt auch jeder andere anziehen können, da er die meisten Klamotten seiner Familie an die Flüchtlinge verteilt hat. Allerdings ist sich der Rothaarige sicher, dass es niemandem so gut stehen würde wie Michael. Es ist zwar sehr alt und wird vielleicht nicht mal die nächste Wäsche überstehen, doch an seinem Körper sieht es einfach nur perfekt aus. Der ausgeblichene, violette Stoff reicht ihm bis zu den Knien, sodass fast der Eindruck entsteht, er würde ein Kleid tragen oder er wäre noch ein kleines Kind, das die Sachen seines Vaters trägt. Die zierliche Statur des Nunchakuträgers verschwindet darunter vollkommen, nur die linke Schulter ist entblößt, da dort der Ärmel immer wieder herunterrutscht. Jetzt ist die blanke Schulter zwar nicht zu sehen, doch Raph kann sich noch gut an sie erinnern. Allein ihr Anblick hat ihm schon damals genügt, um heiß zu werden. Jetzt ist es nicht viel besser. Er hat sie auf dem Flur gesehen und konnte sich gerade noch zusammenreißen, den Jungen nicht gegen die Wand zu stoßen und ihn gleich dort auf dem Flur zu nehmen. Jetzt überkommt ihn wieder dasselbe Gefühl und er ist sich nicht sicher, ob er es wirklich unterdrücken will. Zumal Michael ihm nun einen noch viel ansprechenderen Anblick bietet. So wie der Junge dort mit angezogenen Beinen sitzt, ist der Saum des Shirts von seinen Knien gerutscht und gibt seine durchtrainierten Schenkel preis. Die ebenmäßige Haut ist übersät mit hauchfeinen, weißen Narben, die nicht mal den Ansatz dessen aufzeigen können, was er alles in seinem Leben durchgemacht hat. Die sanfte Rundung seines, in Raph´s Auge so unglaublich perfekten, Pos ist ebenfalls sichtbar, einschließlich eines schmalen Streifens seiner hautengen, schwarzen Shorts. ‚Oh, Gott…!‘, geht es dem Führer durch den Kopf und es scheint wahrlich der einzige klare Gedanke darin zu sein. Sein Herz beginnt schneller zu schlagen und sein Atem wird angestrengter. Er schluckt hart und leckt sich verlangend über die Lippen. In diesem Moment ist er nur einen Sekundenbruchteil davon entfernt, den Jungen auf den Stamm hinunter zu drücken und sich rücksichtslos das zu nehmen, was er sich seiner Meinung nach schon seit Jahren verdient hat. Er kann deutlich spüren wie es in seiner Shorts gefährlich eng wird und er all seine Bedenken über Bord wirft. Scheißegal, was Michael davon halten wird und wie laut er auch schreien mag, er wird und kann einfach nicht aufhören! Seine Beherrschung ist völlig am Boden. Als er sich jedoch zu dem Jungen herumdrehen will, um seinen perfiden Plan in die Tat umzusetzen, jagt plötzlich ein glühender Schmerz durch seinen Zeigefinger. Überrascht zuckt er leicht zusammen und lässt die Zigarette fallen, die während seines angestrengten Denkprozesses vollkommen runter gebrannt ist und ihm nun die Haut versenkt hat. Wütend starrt er den qualmenden Stummel im Sand an und tritt dann ungehalten mit dem Stiefel darauf. Michael hat von alledem nichts mitbekommen. Er sieht nur weiterhin verschlossen ins Feuer. Raph hingegen saugt vorsichtig an der verbrannten Haut seines Fingers und wird sich mal wieder bewusst, was er eigentlich gerade gedacht hat und wie kurz er davor war, es wirklich zu tun. Damit würde er jedoch nicht nur Michael verletzten, sondern auch sich selbst, da dann das zarte Vertrauen zwischen ihnen wahrscheinlich für immer dahin wäre. Scheinbar ist Rauchen wohl doch keine so sinnlose Angewohnheit… Langsam beruhigt sich sein Körper wieder und die Erregung nimmt ab. Er räuspert sich, um wenigstens etwas von Michaels Aufmerksamkeit zu bekommen. Zumindest die Augen des Blonden bewegen sich in seine Richtung, mehr jedoch nicht. „Hab ich dir mal von meinem kleinen Bruder erzählt?“, wirft der Rothaarige schließlich in die Runde, als er wieder klar denken kann und dreht sich eine neue Zigarette. Zaghaft und traurig wendet der Junge ihm nun doch das Gesicht zu. Ein paar Dinge hat Raph ihm tatsächlich schon erzählt, doch sie haben in ihm keinerlei Erinnerungen geweckt. „Ein wenig…“ In seiner Vergangenheit schwelgend, klemmt sich Raphael die Kippe zwischen die Lippen. „Mein kleiner Bruder hatte auch ständig Albträume. Er hatte danach immer Angst in seinem Zimmer zu schlafen und kam dann in mein Bett. Für ihn war ich immer sein großer Beschützer gewesen, der stets all die Monster von ihm ferngehalten hat. – Naja, zumindest bis zu dem Tag, an dem ich ihn nicht mehr beschützen konnte…“ Traurigkeit legt sich in seine sonst so harte Stimme. Michael weiß, was damals mit der Familie seines Meisters passiert ist, doch darüber hinaus hat er ihm bisher nur belanglose Kleinigkeiten erzählt. Dass er jetzt etwas so intimes von ihm erzählt bekommt, rührt den Blonden einfach nur. „Ich denke, Ihr wart ein ganz toller Beschützer und Euer Bruder hat Euch sicher sehr lieb gehabt.“, kommt es zaghaft von dem Nunchakuträger. Als Raph ihn daraufhin ansieht, wendet der Kleinere den Blick ab und starrt wieder aufs Feuer. Jedoch kann der Saikämpfer deutlich sehen wie sich die Wangen seines Gegenübers tiefrot verfärben. Ein kleines Lächeln breitet sich auf Raph´s Gesicht aus. ‚Der Gedanke des Beschützers scheint ihm wohl zu gefallen…‘ „Da hast du sicher recht. – Vielleicht magst du mir ja jetzt von deinem Traum erzählen?“, versucht es der Ältere noch einmal. Seufzend blickt der Junge noch einen Moment ins Feuer. Es fällt ihm schwer, offen mit seinem Führer über Dinge zu reden, die nichts mit der Arbeit zu tun haben. Irgendwie erscheint ihm das nicht richtig. Dennoch weiß er nicht, wieso. Verloren grübelt er nach und Raph lässt ihm die Zeit dazu, sitzt nur stumm mit seiner Zigarette neben ihm. Was hat der Blonde eigentlich zu verlieren, wenn er ihm von seinem Traum erzählt? Vermutlich nicht viel, schließlich hat Raphael ihm ja auch etwas erzählt. Ein wenig beginnt der Kleinere zu träumen. Er stellt sich vor wie der Rothaarige mit seinen Brüdern in den Kampf zieht und sich in einer brenzligen Situation vor sie stellt, um sie zu beschützen. Der Gedanke gefällt ihm gut, denn immerhin ist der Saikämpfer eine starke und imposante Persönlichkeit und so schnell erschüttert ihn nichts. Als großer Bruder muss er einfach wundervoll gewesen sein. Michaels Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. Wie sehr wünscht er sich, er hätte auch so einen Bruder. Oder hat er ihn vielleicht sogar und hat es vergessen, weil er sich an einfach nichts erinnern kann? Die Vorstellung ist einfach grausam. Ein paar Tränen suchen sich ihren Weg über seine Wangen und er fängt leise an zu schluchzen. Wehmütig sieht Raph zu ihm hinüber. Den Anblick des Jungen kann er jedoch einfach nicht länger ertragen. Daher rückt er zu ihm heran, legt ihm vorsichtig den Arm um die Schultern und drückt ihm beruhigend an seine Brust. Erschrocken zuckt der Jüngere zusammen und versucht Abstand zu gewinnen, doch Raph hält ihn eisern fest. Schließlich beendet Michael seinen Widerstand und lässt sich von ihm halten. Eigentlich ist es sogar ein sehr schönes Gefühl. Seine straken Arme geben ihm das Gefühl, das ihm nichts und niemand mehr schaden kann und er verströmt eine herrliche Wärme, die Geborgenheit verspricht. Mit halbgeschlossenen Augen sitzt er da, lässt sich trösten und fängt langsam an zu träumen. Nicht zum ersten Mal kommt dem Nunchakuträger der Gedanke seinem Meister auf eine Weise nahe sein zu wollen, die eigentlich nicht normal ist. Unweigerlich röten sich seine Wangen wieder und er schluckt schwer. Nein, solche Gedanken muss er sich aus dem Kopf schlagen, sein Meister ist ganz sicher nicht der Typ, der auf andere Jungs steht. „Und?“, fragt Raphael beiläufig, während er die Zigarette ausdrückt. „Ich – also – ich hab geträumt, dass ich an einer Art Strand war. Ich konnte das Wasser hinter mir sehen. Mit mir waren noch andere Leute da, doch ich kannte sie nicht, obwohl sie irgendetwas Vertrautes ausgestrahlt haben…“, setzt der Blonde an. Nachdenklich blickt Raph ins Feuer. „Doch es hatte nichts Fröhliches. Die Leute hatten alle Angst und haben Waffen bei sich gehabt. Ich stand mit den Nunchakus da. Um uns herum stand alles in Flammen…“ Kaum merklich zuckt Raphael zusammen. So wie es sich anhört, hat Michael von dem letzten Kampf gegen Shredder geträumt und das ist nun wirklich nichts, was Raph gern hören würde. „Ist schon gut, du musst nicht weitersprechen. Den Rest kann ich mir denken.“, gibt er daher von sich und irritiert den Jungen damit doch etwas. Fragend blickt der Blonde ihn an. „Hab ich etwas Falsches gesagt?“, fragt er unsicher. Der Rothaarige löst sich von ihm und steht auf. „Nein, du kannst ja nichts für deinen Traum. Doch es hört sich genauso an wie die Schlacht, in der ich meine Familie verloren habe…“ Bedrückt senkt der Junge den Kopf. „Das tut mir leid.“ Doch der Saikämpfer winkt nur ab. Stattdessen greift er nach einem kleinen Eimer in der Nähe, in dem Wasser zum Löschen des Feuers steht. Durch die vorherrschende Kälte hat sich auf der Wasseroberfläche eine feine Eisschicht gebildet. Als Raphael das Feuer ertränkt, wird ihm erst klar wie kalt es inzwischen geworden ist. Sein Atem quillt in dicken Wölkchen aus seinem Mund hervor. „Komm, wir gehen.“, entgegnet er dem Jüngeren. Michael folgt ihm leicht betrübt, wollte er seinen Meister doch nicht an so etwas erinnern. Noch ehe sie den Einstieg erreichen, fallen die ersten, feinen Schneeflocken vom Himmel. Trotz der Kälte, die den beiden mittlerweile ziemlich in den Knochen steckt, verweilen sie noch einen Moment und betrachten das Schauspiel. Es sieht aus, als würden hunderte, kleiner Sterne zu Boden sinken. Doch dies ist nur der Anfang. Bis zum Morgengrauen wird sich eine zentimeterdicke Schneedecke gebildet haben, die das weitere Arbeiten erheblich erschweren wird. Deutlich beginnt der Blonde zu zittern und Raph schiebt ihn weiter zum Eingang, da er sich trotzdem nicht vom Anblick des fallenden Schnees lösen kann. Im Bunker dagegen ist von Schnee und Kälte nichts zu spüren. Überall ist es angenehm warm, sodass Michael schon nach wenigen Metern die geliehene Jacke auszieht und sich unter den Arm klemmt. Schweigend folgt er seinem Meister den Gang entlang zur Treppe. Diesmal benutzen sie aber nicht den direkten Weg, was den Jungen doch verwundert. Demonstrativ bleibt Raph schließlich vor einer Tür stehen und Michael erkennt schnell, dass es sich um den Lagerraum handelt, aus dem er heute Morgen die Sachen hat mitgehen lassen. Ertappt zuckt er zusammen, in dem Gedanken jetzt noch ordentlich Ärger zu bekommen. „Ich weiß, dass du die Tür aufgebrochen hast. Dass kann ich nicht gutheißen, auch wenn mich dein Geschick beeindruckt.“ Langsam zieht der Saikämpfer den Schlüssel aus der Tasche seines Bademantels und verriegelt die Tür wieder. „Ich hab auch gesehen, was du mitgenommen und damit angestellt hast. Ich war dort, um mir die Baustelle anzusehen, als ihr gerade so fröhlich anfingt zu singen. Falls man dieses schiefe Getöse überhaupt als Singen bezeichnen kann.“ Seiner Stimmlage ist nicht anzumerken, ob er sauer oder einfach nur enttäuscht ist und Michael fühlt sich dadurch nur noch schlechter. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf steht er da und wünscht sich, er wäre trotz Albtraum in seinem Zimmer geblieben. „Was machst du denn für ein langes Gesicht, Junge? Immerhin solltest du dich freuen, du hast deine Prüfung endlich bestanden und wirst an der nächsten Mission teilnehmen!“ Nun hört man seiner Stimme einen Funken Stolz und Begeisterung an und der Blonde hebt ungläubig den Kopf. Jetzt versteht er gar nichts mehr. „Ihr seid mir nicht böse?“ „Nein. Vielleicht etwas angefressen, weil du die Sachen ohne meine Erlaubnis entwendet hast. Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit dir.“ Ein nachsichtiges und ehrliches Lächeln breitet sich auf den sonst so ernsten Zügen des Führers aus. Dies weckt auch etwas Hoffnung in dem Jungen und er versucht ebenfalls zu lächeln. „Und ich darf ab jetzt wirklich mit auf Mission?“, hakt er nach. „Ja. Aber erst mal nur mit Chen und seinem Team und auch nur wenn er Zeit hat auf dich aufzupassen, ansonsten wirst du hier weiterarbeiten.“, nimmt Raph ihm ein wenig den Wind aus den Segeln. Doch das scheint den Jungen überhaupt nicht zu kümmern. Stattdessen ist ihm die Vorfreude deutlich anzusehen und er muss sich ziemlich zusammennehmen, um Raph nicht gleich um den Hals zu fallen. „Oh, danke, vielen Dank! Ihr werdet es ganz sicher nicht bereuen!“, flötet der Blonde begeistert. „Das will ich auch hoffen und jetzt komm.“ Es dauert nicht lange und sie stehen vor Raphaels Zimmer. Ungeachtet seines kleinen Begleiters betritt Raph das Zimmer. Erst als er am Bett ankommt, merkt er, dass der Junge verloren vor der Tür stehen geblieben ist und ihn ansieht. Noch nie zuvor hat Michael sein Zimmer betreten und auch jetzt sieht er keinen wirklichen Anlass dafür unaufgefordert zu folgen. Etwas verwundert legt Raph die Stirn in Falten. „Willst du den Rest der Nacht da stehenbleiben? Komm endlich rein und mach die Tür zu.“, fordert er ihn auf. Unsicher verweilt der Blonde noch einen Moment auf der Schwelle, dann tritt er ein und schließt leise die Tür hinter sich. Doch irgendwie fühlt er sich jetzt nicht mehr so wohl. Der Rothaarige kommt zu ihm hinüber, nimmt ihm die Jacke ab und hängt sie wieder über die Seite des Spiegels. Dann wendet er sich wieder zum Bett und streift sich auf dem Weg dorthin den Bademantel an. Vergessen landet er vor dem Bett und Michael sieht seinen Meister zum ersten Mal nur in Shorts. Er schluckt hart, als er beobachten kann wie sich unter dem engen, schwarzen Stoff die Muskeln seines Pos und der Hüften bewegen. Mit roten Wangen wendet er den Blick ab und als Raph sich umdreht, kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Irgendwie niedlich wie er dort so steht und versucht ihn nicht anzustarren, auch wenn Mikey das früher nicht gestört hat. Aber schließlich wusste Mikey sein Leben lang wie seine Bruder in Unterwäsche oder sogar ganz nackt aussehen. Jetzt ist es für ihn jedoch völlig neu, aber irgendwie gefällt es Raph ihn so aus der Fassung zu bringen und er wird noch viel mehr davon verlieren, wenn er erst merkt, was der Ältere eigentlich will. Der Rothaarige geht auf die linke Seite des Bettes, schlägt die Decke zurück und setzt sich auf die Laken. „Nun komm schon her und leg dich hin, ich will endlich schlafen.“, fordert Raph in grinsend auf. Der Gedanke behagt dem Jungen überhaupt nicht. Er soll sich das Bett mit seinem Meister teilen? Das soll doch wohl ein Schmerz sein! „Ich fürchte, dass kann ich nicht.“, erwidert der Blonde zaghaft und wendet sich zu Tür um. Er hat sie gerade mal einen Spalt geöffnet, da legt sich Raph´s Hand auf den kalten Stahl und schlägt sie wieder zu. Erschrocken zuckt der Jüngere zusammen. Er kann die Wärme spüren, die von dem Körper hinter ihm ausgeht und ein Schauer läuft ihm über den Rücken. Dann Raph´s heißer Atem an seinem Ohr. „Du kannst auch auf dem harten Boden liegen, wenn dir das lieber ist, doch du verlässt diesen Raum nicht, ehe ich es dir erlaube.“ Er will dem Kleineren keine Angst machen oder dergleichen, dennoch scheint es eher so zu sein. „Meister, ich…“, setzt Michael an, doch er wird unterbrochen. „Weißt du, bevor ich dich vor meiner Tür fand, hatte ich auch einen Albtraum und ich dachte, gemeinsam wäre es einfacher wieder Schlaf zu finden…“ Ohne ein weiteres Wort begibt sich Raph wieder zurück zum Bett und überlässt den Jungen sich selbst. Grübelnd blickt dieser weiterhin auf das glatte Metall der Tür und versucht seine Gedanken zu ordnen. Seine merkwürdigen Gefühle für Raph drängen sich dabei immer wieder in den Vordergrund. Vielleicht hat er ja doch etwas für ihn übrig? Welcher erwachsene Mann würde sich sonst mit einem Halbwüchsigen das Bett teilen? Unsicher dreht sich der Blonde herum. Raphael hat es sich inzwischen bequem gemacht und wartet auf ihn. Die Müdigkeit ist ihm deutlich anzusehen und auch Michael ist alles andere, als wach. Scheu nähert er sich schließlich doch dem Bett und klettert auf den freie Seite. „Na siehst du, war doch gar nicht so schwer.“, entgegnet ihm der Rothaarige und breitet die Decke über sie beide aus. Noch immer mit einem seltsamen Gefühl legt sich Michael auf das Kissen und Raph tut es ihm gleich. Nur wenige Minuten später kann der Nunchakuträger das gleichmäßige, tiefe Atmen seines Bettnachbarn hören und weiß, dass dieser bereits eingeschlafen ist. Vorsichtig riskiert er einen Blick. Da die Nachttischlampe noch immer an ist, kann er deutlich die entspannten Züge des anderen sehen. Er wirkt so unglaublich friedlich, fast schon unschuldig und sein Anblick erfüllt Michaels Herz mit einer tiefen Zuneigung. Lächelnd betrachtet er ihn und verliert den Rest seiner Scheu. Er rückt sogar ein Stück näher an ihn heran und rollt sich dicht neben ihm zusammen. Langsam schließt er die Augen. Kurz darauf öffnet er sie jedoch wieder, weil sich Raphael auf den Rücken gedreht hat. *Raph hat eine etwas schiefe Nasenscheidewand und beginnt jetzt leicht zu schnarchen, ein Geräusch, das Michael als angenehm empfindet. Es ist gut, das Bett mit einem anderen Menschen zu teilen, einem wirklichen Menschen, der wirkliche Geräusche von sich gibt - und ihm manchmal die Decke wegzieht. Er lächelt in Zwielicht der einzelnen Lampe. Dann kehren seine Gedanken wieder zu seinem Albtraum zurück. Erneut breitet sich ein Unwohlsein in ihm aus, erst recht, weil auch Raph meinte er hätte einen Albtraum gehabt. Sollte er deswegen bei ihm bleiben, damit auch der starke Führer keine Angst haben muss? Irgendwie kann er sich gar nicht vorstellen, dass es überhaupt etwa gibt, dass dem Rothaarigen Angst machen könnte. Raphael meinte aber, dass sein Bruder früher immer schlimm geträumt hat und sich dann nur wohl gefühlte, wenn er bei ihm schlafen konnte. Der Blonde kann das gut nachvollziehen. Raph verströmt eine unglaubliche Aura, die Schutz verspricht. Während der Junge so vor sich hin denkt, dreht sich der Saikämpfer erneut herum. Diesmal jedoch auf die Seite, sodass Michael ihm wieder direkt ins Gesicht sehen kann. Irgendwie scheint er dabei auch näher zu ihm gekommen zu sein. Nur wenige Zentimeter trennen ihre Gesichter noch voneinander. Gerade als sich der Kleinere mit dieser Nähe versucht anzufreunden, streckt Raph unbewusst im Schlaf den Arm aus und legt ihn um die Schulter des verwirrten Jungen. Zur Krönung des Ganzen scheint Raph der Gedanke zu gefallen, jemanden im Arm zu halten, vielleicht denkt er dabei auch an seinen kleinen Bruder? Jedenfalls zieht er Michael nun sogar zu sich heran, bis der Blonde fest in seiner Umarmung liegt. Raph seufzt im Schlaf und drückt sein Gesicht in die wirren, blonden Haare des Jüngeren. Hilflos liegt der Nunchakuträger da und weiß nicht so recht, was er tun soll. Seinem Meister scheint es ziemlich gut zu gehen, doch ihm selbst fällt es schwer, sich so plötzlich fallen zu lassen. Allerdings zieht die Müdigkeit immer heftiger an ihm, sodass er sich nur noch ein paar Momente darüber Gedanken machen kann, ehe ihm die Augen zufallen und er sich fester an sein Gegenüber kuschelt. Unbewusst fügt sich so ein Stück Vergangenheit wieder zusammen und lässt die beiden näher zueinanderfinden… Never touch my property! ------------------------ Zwei Monate später - Februar... Langsam aber sicher lernt Raphael mit dem nagenden Gefühl umzugehen, das ihn immer wieder dazu verleiten will, Michael zu unterwerfen und sich einfach zu nehmen, wonach sein Körper schon so ewig verlangt. Er will nicht abstreiten, dass es ungebrochen vorhanden ist und auch irgendwann die Oberhand gewinnen wird, doch sein Gewissen drängt sich oftmals zu sehr in den Vordergrund, als das er es ignorieren kann. Man könnte schon fast sagen, dass es ein schlechtes Gewissen ist, das seit der Nacht vorhanden scheint, indem der Albtraum sie beide verbunden hat. Die Unsicherheit in den Augen des Blonden spiegelt sich immer wieder in Raphaels Gedanken wieder und zeigt ihm, dass der Junge doch eine gewisse Furcht vor dem hat, was passieren könnte und er vielleicht sogar ahnt, was Raph in Betracht zieht zu tun. Das Letzte, was der Saikämpfer aber will, ist das Michael davor Angst hat, sich ihm hinzugeben. Er soll es aus freien Stücken tun, hat Raph doch nicht zum ersten Mal bemerkt, dass der Nunchakuträger scheinbar auch Gefühle für ihn hegt. Deutlich hat er dies gespürt, als der Junge bei einem erneuten Albtraum doch tatsächlich an seine Tür geklopft hat. Das ist gut einen Monat her und damals war Michael schon weit lockerer. Raph konnte gut spüren, wie sich der Junge nach der schützenden Nähe seines Führers gesehnt hat. Sie beide haben es genossen, eng aneinander geschmiegt dazuliegen und sich gemeinsam von den schrecklichen Bildern ihrer Traumwelt zu befreien. Seitdem geht es dem Rothaarigen auch schon erheblich besser. Der furchtbare Albtraum vom Tod seiner geliebten Familie sucht ihn nun viel seltener heim und er kann endlich mal ein paar Nächte am Stück durchschlafen. Zwar konnte er seinen kleinen Bruder bisher nur zwei Mal in den Armen halten und ihm Trost spenden, dennoch scheint es weit mehr bei ihm selbst bewirkt zu haben, als er anfangs dachte. So kann er weit entspannter seiner Arbeit nachgehen und das merken auch alle anderen. Die Meisten empfinden es als äußerst angenehm, auch wenn sie nicht wissen, was der Grund dafür ist. Doch ihren Führer freundlich, ja schon fast ausgelassen zu erleben, ist etwas, dass sie nicht gedacht hätten jemals zu sehen. Es hat das gesamte Zusammenleben vereinfacht und die Flüchtlinge haben weniger Sorgen und gehen ebenso freundlich miteinander um. So haben sie beispielsweise auch Michael in ihrer Mitte aufgenommen und teilen nun auch viel mehr Gespräche mit ihm, ohne Furcht zu haben, er könnte spionieren und schlecht über sie mit Raph sprechen. Das freut den Jungen ungemein, auch wenn er sich nicht ganz sicher ist, wo der plötzliche Sinneswandel der Leute herkommt. Allerdings ist nicht jeder so positiv angetan von der wiedergefundenen guten Laune des Meisters. Die Foot-Ninja diskutieren heimlich miteinander, was oder vielleicht sogar wer dafür verantwortlich sein könnte. So entstehen unter den Männern die wildesten Theorien. Eine davon besagt, dass Raph irgendwo einen Vorrat an Alkohol bunkert und nach all der Zeit nun rausgefunden hat, welche Dosis es braucht, um ihn heiter durch den Tag zu bringen, ohne die lästigen Kopfschmerzen an nächsten Morgen. Allerdings hat sich diese These nach einer Weile in Luft aufgelöst, da sie sich nicht beweisen lässt. Vielen der Männer kommt er nahe genug, dass sie den Alkohol in seinem Atem riechen müssten. Zumal sieht man nie eine Flasche in seiner Nähe und wenn er etwas trinkt, dann ausschließlich Kaffee und diesem merkt man keine Spezialzutat an. Eine weitere Theorie ergibt sich aus der naheliegenderen Tatsache, dass sie ihren Meister doch des Öfteren rauchen sehen. Dies brachte die Männer auf den Gedanken, dass sich Raph vielleicht nicht nur Tabak in seine Zigaretten dreht, sondern auch mal das eine oder andere berauschende Kraut, das er vielleicht auf einem Streifzeug durch den verwilderten Wald der Insel gefunden hat. Doch auch diese Annahme wurde bald verworfen. Einige der Männer haben schon Erfahrungen mit dergleichen gemacht und wissen wie das dann aussehen müsste. Ihr Meister hingegen zeigt keinerlei Anzeichen einer Sucht und man sieht ihm auch keine Nebenwirkungen oder Entzugserscheinungen an. Hinzu kommt, dass er viel zu selten eine raucht und der Qualm zeigt weder eine veränderte Farbe, noch kann man etwas anderes riechen, als Tabak. So bleiben nicht mehr viele Möglichkeiten, die zu seiner erhellten Stimmung beitragen könnten. Doch sie wissen, auch aus Erzählungen der Flüchtlinge, dass Raph viele Jahre allein war. Da ist es also am Naheliegesten, dass er wohl eine kleine Freundin gefunden hat, die ihm vollkommen den Kopf verdreht. Beschwingt durch das Gefühl der Liebe und dem gestillten Verlangen, das ihn lange quälte, ist er somit viel entspannter und ausgeglichener. Klare Sache also! Nun stellt sich den Foot aber die Frage, wer die Dame ist, die es geschafft hat, den verschlossenen Ninja aus seinem Panzer herauszulocken? Offensichtliche Anzeichen gibt es scheinbar keine. Raphael hat so gut wie kaum Kontakt zu den Flüchtlingen und wenn doch, entsteht dieser hauptsächlich durch Chen oder Michael, die ihm Bericht erstatten oder seine Forderungen weitertragen. Allerdings könnte der ehemalige Turtle ja auch ein ganz Ausgebuffter sein und so trifft er sich nur ganz heimlich im dunklen Kämmerlein mit seiner Angebeteten und zwingt die Dame dabei zur äußersten Verschwiegenheit. Das würde immerhin einiges erklären und so klammern sich die Foot an diesen Gedanken, auch wenn es sie wurmt, nicht zu wissen, um welche Frau es sich handelt. Zwei der dunklen Kämpfer kommen aber auch auf eine andere Idee, die ihnen treffender erscheint, da sie dem Gedanken selbst nicht abgeneigt sind. Was ist, wenn es sich nicht um eine Frau handelt, sondern um einen Mann? Sich ihren temperamentvollen Meister als schwul vorzustellen, fällt auch den beiden Foot schwer, aber es kann ja immerhin sein, dass Raphael beiden Geschlechtern zugeneigt ist, womit die beiden immerhin Recht hätten. Und da er eine imposante und dominante Persönlichkeit ist, dürfte es nicht so schwer sein, einen jungen Mann zu finden, der seinen passiven Gegenpart einnimmt. Den beiden Foot fällt dabei einer ganz besonders ins Auge, da er eigentlich immer in seiner Nähe ist und auch ständig von Raph beobachtet wird. Hinzu kommt außerdem, dass das Kerlchen in letzter Zeit einiges an Freiheiten dazugewonnen hat. Hierbei kann es sich eindeutig nur um Michael handeln! Der Altersunterschied ist zwar nicht gerade klein und der Junge ganz sicher sehr unerfahren, sodass es für Raph sicherlich nicht so leicht war, ihn aufs Kreuz zu legen, doch es ist nicht zu übersehen, dass der Junge sich stets bemüht seinem Meister zu gefallen. Nach langem Hin und Her ist es dem Roten dann wohl doch gelungen, zu bekommen, worum er lange genug gekämpft hat und daher schlägt sich dies dann in seiner guten Laune nieder und er gestattet dem Jungen zum Dank einige Freiheiten. Die anderen Foot wollen von solchen Schwulitäten nichts wissen. Nicht, weil sie es Raphael nicht zutrauen, sondern weil sie selbst davon angewidert sind und so bleibt die Aufklärung dieser Theorie an den beiden Begründern hängen. Diese haben jedoch keinerlei Probleme damit, da sie selbst schon die eine oder andere Erfahrung gesammelt haben und Michael in ihren Augen auch genau die richtige Wahl dafür ist. Der Bengel würde für ein bisschen Aufmerksamkeit von seinem Meister wahrscheinlich einfach alles tun! Daher dürfte es nicht allzu schwer sein, ihm ein wenig zu entlocken oder sogar etwas Spaß mit ihm zu haben. Vor lauter Arbeit kommen die Foot eher selten bis gar nicht zu einer solchen Gelegenheit innigen Kontakt mit anderen zu schließen. Und die meisten Flüchtling sind nicht sonderlich angetan von den Kriegern, was es wiederum schwer macht. Untereinander passt es auch nicht wirklich, da bis auf die zwei alle scheinbar eher dem weiblichen Geschlecht zugetan sind. Das eine oder andere Mal haben die beiden es miteinander versucht, doch im Endeffekt konnten sie sich nicht damit anfreunden, dass einer von ihnen den passiven Part übernehmen muss. Michael hingegen strahlt etwas aus, das einem verrät, dass er eine starke Hand bevorzugt, die ihn führt und genau das können ihm die zwei Foot-Ninja geben. Wenn der Junge dann etwas lockerer ist, können sie das Ganze dann vielleicht sogar aufrechterhalten, ohne dass Raphael davon Wind bekommt und wohlmöglich Besitzansprüche geltend macht. So kann jeder von ihnen sein Vergnügen haben und alles ist prima. Wenn der Bengel sich gut anstellt, können sie ihn vielleicht sogar dazu überreden, beim Meister mal ein gutes Wort für sie einzulegen, damit sie auch mal etwas besser gestellt werden. Ein toller Gedanke. Nun müssen sie nur noch einen geeigneten Augenblick finden, indem sie den Blonden mal allein antreffen und der Rest wird ein Kinderspiel! Schneller als erwartet ergibt sich so eine Gelegenheit an diesem Nachmittag. Die Foot sind von ihren Missionen zurück und begeben sich in den Trainingsraum, um den Tag mit ein paar Übungen ausklingen zu lassen. Auch Michael steht zwischen ihnen und gemeinsam blicken sie alle auf Chen, der das Training mit ein paar kurzen Worten einleitet. Da der Tag ziemlich an den Nerven aller gezerrt hat, sollen die Übungen nun der Entspannung von Körper und Geist dienen. Für Ende Februar ist es noch äußerst kalt und es liegt auch jede Menge Schnee, der hartgefroren das Vorrankommen sichtlich behindert. Alle sind erschöpft und durchgefroren und wollen eigentlich nur noch ins Bett. Doch nicht allen geht es so schlecht, dass sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Trotz der endlosen Stunden in der klirrenden Kälte ist Michael beispielsweise immer noch munter und ausgelassen, was er wohl allein seinem hyperaktiven Wesen zu verdanken hat. Gerade deswegen sind die Foot-Ninja doch arg genervt von dem kleinen Wirbelwind. Zwei von ihnen macht das Ganze jedoch nichts aus. Im Gegenteil, sie belächeln die aufgeweckte Art des Jungen und lassen ihre Fantasien schweifen. So viel Ausdauer hat immerhin auch etliche Vorteile! Ehe sie sich jedoch auf den Knaben konzentrieren können, müssen sie Chens Unterricht über sich ergehen lassen. Nicht ohne ein deutliches Murren an ihren Lehrmeister zu senden, begeben sich alle an ihren Platz. Chen beobachtet jeden einzelnen von ihnen genau, ehe er sie anweist, die verschiedenen Lockerungsübungen durchzugehen, die sie im Laufe der Zeit von ihm gelernt haben. Anschließend folgen etliche Dehnübungen, um die eingeschlafenen und unterkühlten Muskeln wieder aufzuheizen. Hierbei ertönt wieder deutliches Murren aus der Truppe, das nicht selten von einigen Flüchen durchdrungen wird, wenn dem einen oder anderen die Muskeln schmerzen oder verkrampfen. Der Japaner hört großzügig über diese unschönen Äußerungen hinweg, auch wenn es bei besonders fantasievollen Worten schon ziemlich schwierig wird. Es vergeht einiges an Zeit, bis die Männer aufgewärmt und gelockert genug sind, damit fortgefahren werden kann. Nach so einem Tag verkneift es sich Chen aber, die Foot unnötig lange zu quälen. Schließlich war er selbst lange genug mit Michael dort draußen, um zu wissen wie unangenehm das Wetter heute ist. So soll es ihm heute genügen, wenn sie zum Abschluss nur noch etwas meditieren und sich dann ausruhen, damit sie morgen wieder einsatzbereit sind. Allerdings ist die Meditation auch nicht ganz ohne. Ungeübten Personen hilft sie ganz sicher nicht bei der Entspannung, da die schwierige Haltung noch eher dazu verleitet sich noch mehr zu verkrampfen. Doch die etlichen Monate und Jahre der Übung, die die meisten Männer hinter sich haben, hat diese Meditation zumindest soweit gelockert, das keiner von ihnen mehr Schmerzen dabei erleiden muss, auch wenn sie noch lange nicht perfekt ausgeführt wird, wie Chen leider zugeben muss. Doch da sie hier keineswegs beim Militär oder dergleichen sind, müssen die Männer die anstrengende, uralte Form der Konzentration aus längst vergangenen Samuraitagen auch nicht stundenlang halten, wie es in manchen Schulen verlangt wurde. Hier dient sie lediglich dazu, runter zu kommen, sich seines Körpers bewusst zu werden und um festzustellen wie viel Kraft nach diesem anstrengenden Tag noch in einem steckt. Eigentlich macht man diese Übung daher auch am Anfang des Tages, wenn man die meiste Kraft und Konzentration hat. Chen ist allerdings der Ansicht, dass es nicht schaden kann, noch ein wenig von den Männern abzuverlangen, damit sie auch wirklich Schlaf finden und nicht auf irgendwelche dummen Gedanken kommen wie nächtliche Pokerspiele oder dergleichen. Leider ahnt der Japaner nicht, dass sich zwei unter den Männern befinden, die schon seit einigen Tagen dumme Gedanken haben und nur darauf warten, sie ausleben zu können. Nichtsahnend leitet Chen seine Truppe also an, sich in die richtige Position zu begeben. Dafür stellt er sich vor die versammelten Foot-Ninja und beginnt die einzelnen Schritte der Übung zu erläutern, die sie alle eigentlich mehr als auswendig kennen und doch kaum beherrschen. Von einem erneuten Murren lässt er sich rein gar nicht beeindrucken und macht stur weiter. So weist er sie an, sich mit leicht gespreizten Beinen hinzustellen. Dabei sollen die Füße etwa dreißig bis vierzig Zentimeter Abstand voneinander haben. Dann leicht in die Knie einsinken und das Becken dabei nach vorne kippen, damit sich der untere Teil der Wirbelsäule begradigt. Um auch den oberen Teil der natürlichen S-Krümmung zu entlasten, schiebt man den Kopf nach hinten und lässt sich dann locker in die Stellung reinhängen, als wäre man eine Marionette, die an einem Faden von der Decke hängt. Von der Seite betrachtet, bildet der Rücken nun eine fast perfekte, gerade Linie. Zum Schluss hebt man die Hände vor das untere Zentrum und bildet mit ihnen einen offenen Halbkreis. In der japanischen wie auch der chinesischen Medizin wird der Körper in drei Kraftzentren aufgeteilt, in denen sich die Lebensenergie – im japanischen genannt Chakra, im chinesischen Chi – sammelt und von dort auf den gesamten Körper verteilen lässt. Das untere Zentrum befindet sich dabei zwei fingerbreit unter dem Bauchnabel und wird in beiden Kulturen als Mittelpunkt des Körpers angesehen, indem sich die meiste Energie sammeln und in den Angriff oder die Verteidigung lenken lassen kann. Das zweite Zentrum befindet sich auf Höhe des Herzens und wird als Sitz des Geistes und der Gefühle angesehen. Wird hier Chakra angesammelt, hilft es einem die Absichten seines Gegenübers zu spüren und ihm so das Überraschungsmoment zu zerstören. Das dritte Zentrum befindet sich auf der Stirn und wird auch das dritte Auge genannt. Wird hier Energie angesammelt, kann man die Bewegungen des Gegners vorhersehen, ohne ihn selbst anzuschauen. So kann man beispielsweise erspüren, was jemand tun will, der hinter einem steht. Bei der Übung kann man je nach Erfahrung jedes der drei Zentren ansteuern, indem man die Hände davor hebt. Je höher man die Hände jedoch hebt, desto schwieriger wird die Übung natürlich, weswegen Chen nur die einfachste Methode für sein Training ausgewählt hat. Doch auch diese verlangt den Männern genug ab. Steht man also in der richtigen Haltung, sollten sich alle Muskeln locker anfühlen, was besonders in den Armen und Beinen nach einiger Zeit äußerst schwierig wird. Zum Schluss schließt man die Augen und stellt sich das Chakra als ein Licht vor, das begleitet von einem leichten Wärmegefühl durch den Körper fließt. Durch Konzentration versucht man die wirbelnde und unkontrollierte Energie in eine Bahn zu lenken. Diese Bahn verläuft in einem Oval von der Nase einmal um den Körper herum zum Kopf zurück und sammelt die Energie dann als Kugel im unteren Zentrum. Hat sich das Chakra dann gebündelt, kann man es bewusst in die Regionen des Körpers leiten, die für einen Angriff gebraucht werden, wie zum Beispiel die Hände. Dort entsteht dann ein warmes Kribbeln, dass das fließen der Energie anzeigt. Ist man geübt, kann man dies während eines Kampfes schon durch tiefes Einatmen erreichen, ohne in Stellung zu gehen. Davon sind die meisten der Anwesenden aber meilenweit entfernt. Michael hingegen merkt man an, dass er dabei schon einiges an Erfahrung hat. Wenn Raph ihn beim Training beobachtet, kann er manchmal kaum glauben, dass dort eigentlich sein kleiner Bruder steht. Früher war Mikey eher ungeschickt und hilflos bei solchen Übungen, erst recht wenn es um Konzentration ging. Heute hingegen ist er trotz schwacher Konzentration der Streber der Truppe, der jede Übung beim ersten Mal hinbekommt und den Neid der anderen auf sich zieht, wie es einst nur Leonardo eigen war. Eine seltsame Welt. Während die Foot nun in dieser Position verharren und sich krampfhaft versuchen ihre Energie als ein Licht vorzustellen und dieses dann auch noch an einem Punkt zu sammeln, geht Chen durch ihre Reihen und kontrolliert ihre Haltung. Obwohl sie diese Übung jeden Tag machen, muss er bei fast allen Männern etwas beanstanden und korrigieren. Bei gut fünfzig Personen dauert das eine Weile und so fangen die Muskeln schnell an zu zittern und verkrampfen sich. Doch der Japaner lässt sie noch eine Weile schmoren, ehe er ihnen gestattet, die Pose zu lösen. Murrend reiben sich die Männer die schmerzenden Arme und Beine. Endlich erlaubt ihnen der Sensei zu gehen und so trotten sie langsam Richtung Ausgang und steuern auf ihre Schlafzimmer zu. Chen verschwindet ebenfalls, da er noch einiges zu erledigen hat. Doch nicht alle von ihnen sehnen sich schon nach ihren Betten. Michael ist noch hier und räumt ein wenig auf und auch die beiden Foot mit ihren unschönen Gedanken sind geblieben. Schließlich bietet sich nicht alle Tage die Gelegenheit, den Bengel allein anzutreffen! Die beiden Maskierten werfen sich bedeutungsschwangere Blicke zu, während sie den Jungen dabei beobachten wie er die Holzwaffen vom morgendlichen Training in einer Kiste verstaut. Außer ihnen befindet sich inzwischen niemand mehr im Raum und alle Türen sind verschlossen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich noch einmal jemand hierher verirrt, liegt geradezu bei null. Die gesamte Insel bereitet sich nun auf die Nachtruhe vor und das Letzte, woran sie denkt, ist weiteres Training. Also freie Bahn für allerhand Unziemliches! Eine gewisse Vorfreude liegt auf den verhüllten Gesichtern der beiden Männer. Lange mussten sie auf so einen Augenblick warten, scheint doch kaum jemand hier ihre Neigungen zu teilen. Allmehlig beendet der Nunchakuträger seine Arbeit und wendet sich zum Gehen um. Überrascht stellt er jedoch fest, dass er gar nicht wie gedacht allein im Raum ist. Schnell wandelt sich seine Überraschung jedoch in ein strahlendes Lächeln. Warum auch nicht? Er ahnt ja nicht, was auf ihn zukommen mag. Die beiden Foot geben sich ebenfalls freundlich. „Na, Michael, du scheinst ja noch gar nicht müde zu sein?“, fragt der eine. „Nein, keineswegs!“, entgegnet ihnen der Junge voll gewohntem Sonnenschein. „Das ist gut. Chen hat uns nämlich gebeten noch eine Übung mit dir durchzugehen.“, kommt es nun von dem anderen. Etwas verwundert legt der Chaosninja den Kopf schief. „Echt? Mir hat er nichts gesagt…“ Irritiert blickt Michael die beiden an. „Naja, er hatte es eilig und hat es uns auch nur zwischen Tür und Angel mitgeteilt.“ „Genau. Aber er meinte, dass wir die Übung unbedingt jetzt noch versuchen sollen, weil er dir morgen dann etwas ganz Besonderes zeigen will…“ Leicht nervös betrachten die Foot den Jungen. Michael denkt kurz nach. Die beiden fürchten schon, dass er ihre Lüge durchschauen könnte, doch dann lächelt er ihnen wieder begeistert zu. „Ok, in Ordnung! Was soll ich machen?“ Die beiden Männer funkeln sich siegessicher an. Das ist schon fast zu einfach! Allerdings bemerken die drei nicht, dass sie nicht völlig ungesehen sind. Raphael sitzt auf seinem Thron und ist schon fast über den Berichten, die er versucht zu lesen, eingeschlafen. Als ihm das klar wird, legt er den Papierstapel zur Seite und erhebt sich schwerfällig. Gähnend streckt er seine müden Knochen, die ein unschönes Knacken von sich geben. „Ich sollte dringend ins Bett gehen…“, murmelt er vor sich hin, während er sich auf den Weg zur Tür macht. Dabei fällt ihm auf, dass im Trainingsraum noch Licht brennt. Irgendein Trottel wird es wohl vergessen haben auszumachen. Augenrollend wendet sich der Saikämpfer der großen Scheibe zu. Neben dem Lautsprecher gibt es auch einen Lichtschalter, was Raphael äußerst praktisch findet, da er so nicht erst einen Umweg machen muss. Verwundert stellt er aber fest, dass der Trainingsraum gar nicht leer ist. Mit gerunzelter Stirn erblickt er Michael und zwei der Foot-Ninja. Doch was treiben die drei dort, wo doch schon längst Schluss für heute ist? Geistesgegenwertig betätigt Raph den Schalter für den Lautsprecher und will ihnen eigentlich sagen, dass sie in ihre Zimmer gehen sollen, doch er hält inne und lauscht. Derweilen haben sich die drei aufgestellt, als würden sie wirklich trainieren wollen. Doch noch weiß der Blonde beim besten Willen nicht, was für eine Übung ihn erwartet. Mit großen, wachen Augen beobachtet er wie sich jeder der beiden Foot auf eine seiner Seiten stellt, sodass er zwischen ihnen steht. „Ok, bei der Übung geht es darum, dass du auch in einer bedrängten Situation völlig entspannt bleibst und dich nicht wehrst, bis du die Chance siehst, dich zu befreien. Das mit der Befreiung ist dann Teil dessen, was Chen dir morgen zeigen wird. Also halt einfach still und versuch locker zu bleiben.“, erläutert der eine Foot, während er seinem Kollegen wissend in die verborgenen Augen sieht. Dieser nickt bestätigend und ein verstecktes Grinsen bildet sich unter seiner Maske aus. Etwas verwundert lauscht Raphael weiterhin dem Gespräch. Was für einen Grund sollte Chen haben, Michael ausgerechnet mit den beiden trainieren zu lassen, wenn doch morgen ausreichend Zeit ist, um ihm die Übung zu zeigen? Diese Tatsache kommt den ungewollten Führer doch recht merkwürdig vor. Schließlich kann Chen ja nicht überwachen, ob die beiden seine Anweisungen auch richtig umsetzten, sodass sich am Ende nicht einer von ihnen verletzt. Es macht Raph mehr als stutzig, sodass er beschließt, noch einen Moment länger hierzubleiben, um ein Auge auf die übereifrigen Foot zu werfen. Gedanklich versucht er sich dabei an die Übungen zu erinnern, die ihm sein eigener Sensei vor unendlich langer Zeit beigebracht hat. Doch er kann sich beim besten Willen an keine erinnern, in der man von zwei Gegnern in die Mangel genommen wird und dabei völlig reglos und entspannt alles mit sich machen lassen soll. Irgendwas ist da äußerst faul! In der Zwischenzeit denkt Michael, dass er verstanden hat, was er bei dieser Übung machen muss. Der Tatendrang etwas Neues zu lernen, steht ihm ins Gesicht geschrieben, sodass Raph erneut an Leo erinnert wird. „Ok, fertig, Michael?“, fragt einer der Maskierten. Mit einem beinahe ungeduldigen Lächeln tapst der Junge von einem Fuß auf den anderen, als müsse er ganz dringend auf die Toilette. „Ja, bereit!“, flötet er. In diesem Moment wirkt der Junge wieder ganz wie der Mikey, den Raph vor so vielen Jahren für verloren hielt – aufgekratzt bis zum Letzten. Ein sanftes Schmunzeln schleicht über seine sonst so harten Züge und er betrachtet den Blonden so voller Liebe wie er es sonst nur macht, wenn Michael neben ihm schläft. Doch schon einen Moment später krampft sich sein Herz schmerzhaft zusammen und das schöne Gefühl zerspringt in tausend spitze Scherben, die sich ungehindert in seinen Schädel bohren. Er kann nicht glauben, was sich dort vor seinem Auge abzuspielen beginnt. Die beiden Foot fixieren den ahnungslosen Jungen zwischen sich und umklammern seine Handgelenke, damit er nicht um sich schlagen kann. Dann schiebt der eine ihm das Hemd hoch, entblößt seine schmale Brust und streicht ungehindert über die leicht gebräunte Haut, während der zweite sich damit befasst, den kleinen Ninja die Hose zu öffnen. Von alledem ziemlich überfordert, zuckt der Nunchakuträger erschrocken zusammen und versucht sich freizukämpfen. Wirklich gelingen tut ihm dies nicht, da die beiden Foot zusammen einfach zu stark für ihn sind und ihn zudem auch noch so bedrängen, dass er sich eh kaum bewegen kann. Panik macht sich in ihm breit, das Blut steigt ihm in die Wangen und Tränen glänzen in seinen Augen. „Nein, nicht! Was soll denn das? Lasst mich sofort los!“, versucht er es mit bebender Stimme, doch die beiden Männer beginnen nur gehässig zu lachen und lassen sich kein bisschen stören. Raph hingegen ist außer sich. In ihm entbrennt ein Feuer, dass er all die Jahre dachte verloren zu haben, da es niemanden mehr gab, den er beschützen konnte. Nun lodert es wieder auf, weit wilder und ungebändigter, als je zuvor. Vor seinem geistigen Auge laufen all die Bilder der Vergangenheit ab, auf denen sich Leute unbefugt seinem Bruder genähert haben. Ob sie nun gute oder schlechte Absichten hatten, war dabei völlig egal. Raphael war so voller Eifersucht, dass er niemanden in die Nähe seines geliebten Bruder gelassen hat, ohne kurz vor einer Explosion zu stehen. Mikey hatte schon immer eine ziemliche Wirkung auf seine Umgebung, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Frauen wie Männer gleichermaßen haben sich nach ihm umgedreht und oftmals deutlich ihr Interesse gezeigt, obwohl er dafür noch viel zu jung war. Mit den Jahren ist dies nur noch schlimmer geworden und Raph´s Eifersucht nur noch größer. Das ging so weit, bis der Saikämpfer der Ansicht war, dass niemand jemals gut genug für seinen Bruder sein kann und das der einzige Partner an seiner Seite nur er selbst sein darf. So kam es auch, dass Raph sich in ihn verliebt hat und er sich auch körperlich sehr zu ihm hingezogen fühlte. Wie oft hatte er sich deswegen mit Leo gestritten, der ihn mehr als einmal dabei erwischt hat, wie er nachts versuchte sich Mikey unsittlich zu nähern? Sein Babybruder wurde zu einer echten Obsession, der er nicht mehr entkommen konnte. Doch ehe es ihm gelang, Leo zu überlisten und sich von Mikey zu nehmen, was ihm so lange den Schlaf geraubt hat, erklärte Shredder der Welt den Krieg und alles änderte sich. Seine Gefühle wurden nur noch stärker, doch es blieb keine Zeit mehr ihnen nachzugeben. Er glaubte, für immer verloren zu haben, was er auf der Welt am meisten liebte, bis Mikey wieder zu ihm zurückfand. Der Blonde erinnert sich vielleicht nicht mehr an die innige Beziehung, die er zu seinen Brüdern pflegte, doch Raph hat es nie vergessen, wie hätte er auch? Durch die fehlende Erinnerung konnte sich Raphael aber ungehindert dem Jungen nähern, da keine familiäre Hürde sie mehr trennte. Allerdings war es nicht so einfach, sodass es ihm bis zum heutigen Tag nicht gelungen ist, den Jungen völlig für sich zu gewinnen. Dennoch ist seine Eifersucht ungebrochen. Der alte Beschützerinstinkt bricht aus ihm hervor und macht ihn wieder zu dem gnadenlosen Krieger von damals, der niemanden in der Nähe seines Eigentums duldet! Die hilflose Verzweiflung in den Augen seines geliebten Bruders stachelt alles nur noch weiter an. „Ihr verfluchten Mistkerle!“, schnaubt der Führer haltlos. Knurrend wie ein wildes Tier stapft Raphael auf die Tür des Thronsaals zu. Wenige Augenblicke später öffnet er die Tür zum Trainingsraum und umklammert dabei seine Sais so fest, dass seine Hände ganz weiß werden und die Sehnen darauf wie Starkstromkabel hervortreten. Die Foot bemerken ihn nicht, zu sehr sind sie in ihr perfides Spiel vertieft. Michael ahnt ebenfalls nicht wie nahe die Rettung ist. Ihm laufen inzwischen die Tränen über die Wangen und er wimmert so herzzerreißend wie ein geprügelter Welpe. Raphael sieht nur noch rot. Eigentlich würden diese beiden Dreckskerle es verdienen, dass man sie mit einem stumpfen Messer kastriert und ihnen das Unheil dann zum Fraß vorwirft. Doch trotz seiner Wut ist sich der Saikämpfer bewusst, dass ihn dies nur zu etwas machen würde, dass er eigentlich nicht ist und auch niemals sein wollte – ein Ebenbild des Mannes, dessen Rüstung er gerade trägt. Noch weit schlimmere Fantasien breiten sich in seinem Kopf aus und nur unter größter Anstrengung gelingt es ihm, sie wegzusperren. Er will auf keinen Fall wieder jemanden in Wut töten! Stattdessen lockert er den krampfhaften Griff um seine Waffen und schleudert sie auf die Foot-Ninja. Wie die Klingen eines Messerwerfers wirbeln die Gabeln durch die Luft. Mit unheimlicher Präzision schlagen die Griffenden so wuchtig gegen die Stirn der beiden Männer, dass sie nach hinten geworfen werden und bewusstlos auf den Boden schlagen. Ein kreisrunder Abdruck bildet sich auf der dünnen Schädelhaut und Blut sickert an ihren Schläfen hinab. Klappernd landen die Saigabeln auf dem Steinboden. Im selben Augenblick sinkt Michael kraftlos auf die Knie und sein qualvolles Schluchzen erfüllt den großen Raum. Noch bevor der Junge richtig realisieren kann, dass seine Pein ein Ende hat, ist Raphael auch schon bei ihm und legt ihm eine Hand über die Augen, damit er die bewusstlosen Foot-Ninja nicht sehen muss. Michael verspürt jedoch keinerlei Verlangen danach, die Männer anzusehen, die ihn eben zu unaussprechlichen Dingen zwingen wollten. Stattdessen klammert er sich weinend an der kalten Rüstung seines Meisters fest und presst das Gesicht gegen das glatte Metall. In diesem Augenblick gibt es wieder Meister noch Schüler, noch sonst etwas. Raph nimmt ihn fest in die Arme, so fest, dass es eigentlich schon wehtun müsste und blickt dabei voller Hass auf die beiden Männer, die ihm angeblich bedingungslose Treue und Loyalität geschworen haben. „Keine Angst, es ist vorbei. – Und es wird nie wieder vorkommen, dass verspreche ich dir!“, haucht der Führer dem aufgelösten Jungen ins Ohr. Ein paar Augenblicke später öffnet sich vorsichtig die Tür zum Trainingsraum. Unsicher steckt Chen seinen Kopf durch den Spalt. „Meister Shredder?“ Seine Stimme klingt sichtlich besorgt. Der Angesprochene wendet ihm langsam das Gesicht zu, indem so viel Hass geschrieben steht, dass es den Japaner zusammenzucken lässt. Deutlich kann der Schwarzhaarige dabei beobachten, wie sein Führer den weinenden Jungen in seinen Armen noch fester an sich drückt, als fürchte er, Chen könnte ihm etwas antun wollen. „Wie viel hast du gesehen?“, kommt es kalt von dem Roten. „Ich denke genug, um das Bild, das ich jetzt sehe, zu rechtfertigen…“ „Gut. Dann weißt du sicher auch, was du jetzt zu tun hast? – Also kümmere dich um die beiden!“, kommt es tonlos von dem Jüngeren. Für einen Moment sieht es so aus, als würde ein dunkler Schleier über Chens Augen hinweg gleiten. Er zeigt Raph, dass der Japaner genau das tun wird, was er selbst nur gedacht hat. Doch das ist in Ordnung. Chen ist bei solchen Dingen viel skrupelloser und empfindet dabei auch keine Reue, solange er seinen Meister damit zufriedenstellen kann. Tief verbeugt sich der junge Japaner vor ihm und schreitet dann mit eiskaltem Gesicht auf die beiden Männer zu. Vorsichtig erhebt sich Raph und nimmt Michael dabei auf die Arme. Wie ein kleines Kind klammert sich der Junge noch immer weinend an ihm fest. „Ach, und Chen? Michael wird morgen weder am Training und an einer Mission teilnehmen!“ Mitleidig betrachtet der Schwarzhaarige das aufgelöste Bündel auf den Armen des Clan-Führers. „Selbstverständlich, Meister Shredder! Das steht ganz außer Frage.“ Einen Moment blicken sich die beiden Männer tief in die Augen, dann dreht sich Raphael um und trägt den Jungen hinaus. Chen sieht ihm noch einen Augenblick hinterher, dann wendet er sich den beiden Männern auf dem Boden zu. Wieder gleitet der dunkle Schleier über seine ausdruckslosen Augen hinweg, während sich in seinem Kopf die Bilder eines grausamen Endes für ihren Verrat formen. Mit einem düsteren Lächeln beugt sich der selbsternannte Sensei hinab und schleift die bewusstlosen Männer in die nahegelegene Waffenkammer. Was dort hinter der geschlossenen Tür passiert, will sich nicht einmal Raphael in seinen dunkelsten Träumen vorstellen. Fest steht nur, dass die beiden Foot-Ninja nach diesem Tag nie wieder gesehen wurden und zwei neue Männer ihren Platz einnehmen… Vorsichtig legt Raph den immer noch zitternden Jungen auf dem großen Bett ab. Der zierliche Körper wirkt darin vollkommen verloren, was den Älteren gleich noch trauriger stimmt. Der Blonde rollt sich auf der Seite zusammen, als hätte er schlimme Bauchschmerzen und schnieft unter angestrengtem Luftholen. Doch seine Tränen versiegen langsam. Etwas hilflos steht Raph neben dem Bett und weiß nicht so recht, was er jetzt tun soll. Das, was eben beinahe passiert wäre, macht ihm wieder einmal klar, dass seine eigenen Gedanken und Fantasien in genau dieselbe Richtung gehen. Innerlich könnte er sich dafür ohrfeigen. Erst heute Morgen hatte er Michael beim Training mit Chen beobachtet. Sein Auge konnte sich an dem verschwitzten Körper des Nunchakuträgers gar nicht sattsehen und seine Gedanken schweiften so sehr ab, dass er nur mit Müh und Not seine Erregung in Zaum halten konnte, ohne nach nebenan zu stürmen und den Jungen auf den Rücken zu werfen. Von Tag zu Tag wird es nur noch schlimmer und seine geistige Gegenwehr immer geringer. Er weiß beim besten Willen nicht wie lange er sich noch beherrschen kann, ohne das sein Verhalten in den Augen der anderen seltsam wirkt. Doch jetzt, wo er den verzweifelten Jungen dort liegen sieht, vergeht ihm jeglicher Gedanke daran und er könnte sich selbst dafür verfluchen, dass er an so etwas überhaupt denkt. In der letzten Zeit war es ihm so gut gelungen, sich dem Kleinen zu nähern und sein Vertrauen zu stärken, sodass es vielleicht nicht mehr lange gedauert hätte, bis er einen weiteren Schritt hätte wagen können. Doch diese beiden seltendämlichen Foot-Ninja haben ihm alles kaputt gemacht! Wer weiß, ob Michael es jetzt überhaupt noch zulassen wird, dass sich ihm irgendjemand derartig nähert? Die Angst in seinen unschuldigen Augen zu sehen, war so schrecklich. Allerdings ist Raphael heilfroh, dass er rechtzeitig zur Stelle war, um das Schlimmste zu verhindern. Nicht auszudenken, was sonst vielleicht alles passiert wäre und wie weit die Foot ihr Spielchen ungehindert getrieben hätten. Dann verstummt das Schiefen des Jungen und Raph wendet ihm den Blick zu. Doch der Anblick, der sich ihm bietet, bringt ihn selbst fast zum Heulen. Noch immer zusammengekauert liegt der Blonde mit weit aufgerissenen Augen da und starrt leeren Blickes ins Nichts. Er sieht aus wie ein Geisteskranker, der kurz vor einem Anfall steht. Schnell setzt sich der Rothaarige neben ihm aufs Bett und legt ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Unwillkürlich zuckt der kleine Ninja zusammen. Er kann es nicht verhindern, obwohl er weiß, dass es nur sein lieber, guter Meister ist, der hier bei ihm sitzt und versucht ihn zu trösten. Das Zusammenzucken seines geliebten Bruders macht Raphael klar wie gerne er den beiden Foot dafür eigenhändig den Hals umdrehen würde. Sie haben seine monatelangen Bemühungen innerhalb weniger Minuten vollkommen zerstört! Doch er atmet tief durch und versucht seine negativen Gefühle nicht auf den labilen Jungen zu übertragen, das würde alles nur noch schlimmer machen. Stattdessen streichelt der Saikämpfer ganz sanft über die Schulter des Liegenden und versucht so etwas Ruhe in dessen Körper zu bringen. „Du brauchst dich vor nichts mehr zu fürchten. Was eben war, wird nie wieder vorkommen, darauf gebe ich dir mein Wort! – Keiner wird dich jemals wieder anrühren, ohne dass du es nicht willst…“ Die Worte erreichen den Jungen mit so sanfter und ehrlicher Stimme, dass Michael kaum glauben kann, dass sie von seinem temperamentgesteuerten Meister kommen. Eine Träne der Rührung landet auf dem Laken, ehe er Junge ein schwaches Nicken von sich gibt. Raph ist sich nicht ganz sicher, ob der Blonde ihm Glauben schenkt, doch etwas Besseres fällt ihm im Moment nicht ein. Wiedereinmal wünscht er sich, sein Bruder Leo wäre hier. Der Schwerkämpfer fand immer die richtigen Worte in jeder noch so anormalen Situation, doch Raph ist in solchen Dingen völlig hilflos. Zwar scheinen die richtigen Worte in seinem Kopf zu sein, doch sie auszusprechen stellt ihn vor eine unüberwindbare Hürde, weil er fürchtet dann als schwach dastehen zu müssen. Mit der Zeit hat er dazugelernt, dennoch bleibt es schwierig. Angestrengt versucht der junge Führer nachzudenken, was nach so einem Erlebnis noch helfen könnte. Dabei denkt er an Donnie, der im Gegensatz zu Leo nicht nur auf emotionaler Ebene helfen konnte, sondern auch auf körperlicher. Um sich von einem solchen Schock am besten zu erholen, hilft Schlaf ungemein! Donatello hat mal erzählt, dass ein Mensch, der unter Schock steht, auf ganz instinktive Weise versucht Schlaf zu finden, um das Erlebte besser verarbeiten zu können. Dabei ist es nur förderlich, wenn man der betreffenden Person hilft, sich zu entspannen. Michael wirkt aber ganz und gar nicht müde, er starrt nur weiterhin ausdruckslos ins Leere wie eine übergroße Puppe. Doch Raph hat eine Idee. Vorsichtig steht er auf und geht hinüber ins Bad. Dabei fällt ihm auf, dass der Junge keinerlei Reaktion zeigt, so als würde er die Anwesenheit seines Meisters gar nicht mehr wahrnehmen. Das gefällt den Älteren kein bisschen. Er darf nicht zulassen, dass der Nunchakuträger sich abschottet, sonst findet er vielleicht nie wieder in ein normales Dasein zurück und wird in seiner Angst untergehen. Im Bad angekommen durchwühlt Raph den Medizinschrank über dem Waschbecken, bis er eine Flasche mit kleinen Kapseln findet. Sie enthalten ein pflanzliches, aber starkes Schlafmittel, das der Tierarzt eigenhändig zusammengemischt hat. Der Saikämpfer hatte gehofft, dass die Kapseln ihm würden helfen über seine Albträume hinweg zu kommen. Leider haben sie ihm nichts genützt. Zwar konnte er damit schneller und leichter einschlafen, doch die Träume kamen trotzdem und wurden sogar schlimmer, weil er nicht mehr so schnell aufwachen konnte. Eigentlich wollte er die Kapseln schon vor einer Weile entsorgen, nachdem er gemerkt hat, dass Michaels Nähe ein weit besseres Schlafmittel ist, doch er hat es immer wieder vergessen und jetzt ist er heilfroh darüber. Er nimmt ein Glas zur Hand und füllt es mit Wasser, während er kurz nachdenkt. Die Kapseln sind so dosiert, dass Raph bei seiner Größe und Statur zwei Stück nehmen sollte, um einen erfolgreichen Effekt zu erzielen. Sein Bruder ist allerdings kleiner und leichter als er, weswegen wohl eine genügen dürfte. In jeden Fall wird der Inhaltsstoff ihn für mehrere Stunden außer Gefecht setzen und danach geht es ihm mit Sicherheit viel besser. Also schnappt sich Raph das Glas und eine der Kapseln und geht wieder ins Zimmer zurück. Auch jetzt zeigt Michael nicht die kleineste Reaktion. Der Rote setzt sich wieder zu ihm aufs Bett, diesmal jedoch vor ihn und streckt ihm das Glas und die Kapsel entgegen. Fragend betrachtet der Junge beides mit seinen traurigen Augen. „Das ist ein Mittel, dass dir helfen wird einzuschlafen. Schlaf ist jetzt wichtig für dich, damit du das Erlebte besser verarbeiten kannst…“, versucht es der Größere und hofft, dass er dabei überzeugend klingt. Eine ganze Weile mustert der Junge sowohl die Kapsel, als auch ihn. ‚Wahrscheinlich wägt er ab, ob Schlaf ihm wirklich helfen kann oder nicht…‘, geht es Raph durch den Kopf, während er geduldig wartet. Schließlich bringt der Junge ein zaghaftes, kleines Lächeln zustande und greift nach der Kapsel. „Danke…“, flüstert er dabei kaum hörbar, doch Raph fällt ein großer Stein vom Herzen. Innerlich dankt er seinen verlorenen Brüdern für ihre Weisheiten, die er früher nie richtig zu schätzen wusste und nun endlich weiß, dass alles einem helfen kann, mag es auch noch so dämlich oder langweilig klingen. „Du bist ein guter Junge!“, verkündet er dem Blonden, während er ihm durch die wirren Haare streicht. Keine zwei Minuten später schläft Michael so tief und fest, dass Raphael schon Angst bekommt, die Dosis könnte ihm schaden. Doch seine Atmung und sein Puls scheinen normal und er bewegt sich sogar. Vorsichtig macht sich der Clan-Führer daran, ihm die Stiefel auszuziehen, um es ihm so bequem wie möglich zu machen. Im Tiefschlaf gefangen dreht sich der Junge dabei auf den Rücken und Raph entgeht nicht, dass seine Hose seit vorhin immer noch offen steht. Wie gebannt starrt sein verbliebenes Augen auf den glatten Stoff der Shorts, der unter den offenen Knöpfen zum Vorschein kommt. Sein Herz beginnt zu rasen und seine Atmung beschleunigt sich. Er kann den Blick nicht lösen und fühlt sich zurückversetzt in die Zeit von vor zwölf Jahren. In eine der vielen Nächte, in denen er versucht hat, unbemerkt seinem Bruder an die Wäsche zu gehen. Allerdings hat es nie so wirklich funktioniert. Doch jetzt ist Leo nicht hier, um ihn aufzuhalten und das Schlafmittel wird verhindern, dass er Junge auch nur ein bisschen davon mitbekommt! Raphaels Gedanken überschlagen sich und er schluckt schwer. Den Blick fest auf sein Ziel gerichtet, krabbelt er über den Jungen und gleitet langsam mit der Hand unter dessen Hemd. Die Haut unter dem engen, schwarzen Stoff ist noch immer so weich und warm wie er sie in Erinnerung hat. Erregt beißt er sich auf die Unterlippe und schließt das Auge, während seine Finger sich weiter voran schieben. In seinen Lenden beginnt es erwartungsvoll, beinahe schmerzhaft zu pochen. Dieses Gefühl, das ihn sonst immer nur noch mehr angetrieben hat, zerstört nun alles. Erschrocken reißt er das Auge auf und weicht ans Fußende des Bettes zurück. Scharf zieht er die Luft ein und starrt verzweifelt auf den schlafenden Jungen. Dieser dreht sich nichts ahnend einfach auf die Seite und schläft seelenruhig weiter. Schwer atmend schluckt Raph. „Was – was- wollte ich da gerade tun? – Bin ich denn völlig übergeschnappt?“ Eine Antwort findet er nicht, doch nun weiß er endlich, wie sich Leonardo gefühlt haben muss, wenn er sah wie Raph über Mikey gehockt hat und dies schockiert ihn zutiefst. Schmerzlich wird ihm klar, dass er gerade etwas noch viel Schlimmeres vorhatte, als die beiden Foot-Ninja vorhin! Angewidert von sich selbst, zieht er die Beine an, schlingt die Arme darum und bettet sein Gesicht auf die Knie. Er versucht einen Moment in sich zu gehen, um runter zu kommen, doch da meldet sich sein vernachlässigter Unterleib lautstark zu Wort. Wutentbrannt springt Raphael vom Bett auf und stürzt ins Badezimmer. Dort reißt es sich die Rüstung und die Kleider vom Leib, als stünde beides in Flammen. Zornig starrt er seine Erregung an, die sich ihm unschuldig und erwartungsvoll entgegenstreckt. „Wie kannst du nur so verdorben sein und so etwas von mir verlangen?!“, faucht er sie an. „Ich haben solange auf den richtigen Augenblick gewartet, da wirst DU doch auch noch etwas länger warten können, verdammt noch mal! Und glaub ja nicht, dass ich mir nach der Aktion eben auch noch die Finger an die schmutzig machen werde, mein Freund! Oh, nein! Du gehst heute ohne Nachtisch ins Bett!“ Mit diesen Worten steigt Raph schnaufend unter die Dusche und dreht das kalte Wasser voll auf. Die eisige Temperatur bringt sein Herz fast zum Stillstand, dennoch lacht er gequält. „Na, wie gefällt die das, du elendes Miststück?“, fragt er seine schwindende Erregung, erhält jedoch keine Antwort. Er steht fast zehn Minuten unter der kalten Dusche. Danach spürt er keinen einzigen Teil seines Körpers mehr und zittert wie verrückt. Nur mit Mühe gelingt es ihm deshalb, sich seine Shorts wieder anzuziehen. Schlotternd stapft er zurück ins Zimmer und betrachtet den schlafenden Jungen im Bett. Vorsichtig legt er sich neben ihn und zieht die Decke über sie beide. Vergräbt sich richtig darin, um wieder ein Gefühl in seinen Körper zu bekommen. Ungeachtet seiner Qualen dreht sich Michael zu ihm herum und kuschelt sich ungeniert an seine bebende Brust. Raph bleibt wie versteinert liegen und wartet ab. Doch sein aufdringliches Anhängsel scheint für heute die Nase gestrichen voll zu haben und gibt daher keinen Pieps von sich. Eine gewisse Erleichterung macht sich in ihm breit. Der schlafende Junge kuschelt sich noch enger an ihn, völlig ahnungslos. Heiße Tränen rinnen Raph über die Wange und er verflucht sich selbst. Dann schließt er die Arme um seinen kleinen Babybruder und drückt ihn fest an sich. „Ich liebe dich so sehr, Mikey!“, presst er unter Tränen hervor. Wenige Minuten später ereilt auch ihn der Schlaf. The secret grot --------------- Einen Monat später – März… Für Ende März ist es definitiv viel zu warm. Als dieser arbeitsreiche Tag in den Nachmittag wechselt, liegt die Temperatur bei knapp dreißig Grad. Eine willkommene Abwechslung, wo der harte, unnachgiebige Winter die beiden Inseln noch vor drei Wochen unter einer dicken Schneedecke begraben hat. Nun blüht das Leben wieder auf. Die letzten Tage waren von Sonnenschein und Regen dominiert und eher kalt, doch jetzt scheint ein gnädiger Herr hoch oben auf seiner Wolke der Ansicht zu sein, den Foot und den Flüchtlingen mal etwas Gutes tun zu wollen, nachdem sie so lange Zeit zusammengerottet unter den Schneemassen ausharren mussten. Höchstwahrscheinlich wird sich die Hitze eh nur ein, zwei Tage halten und dann wieder in Regen und Nebel übergehen und sich somit in das unbeständige Aprilwetter verwandeln, das man hier zu Lande gewohnt ist. Doch solange es so schön ist, nutzt jedes Lebewesen die Chance für einen Neubeginn. Vögel singen lautstark, schicken ihre Melodien über die ganze Insel und jagen dabei in halsbrecherischen Manövern durch die Lüfte, um genug Nahrung für ihre frischgeschlüpften Küken zu finden. Überall in den Wäldern kann man es rascheln hören, während die Tiere auf der Suche nach einem geeigneten Partner sind oder ihren neugeborenen Nachwuchs von einem Versteck ins nächste bringen. Die Bäume knospen zu hunderten, das Gras wird wieder grün und an vielen Stellen kann man die ersten Blumen am Wegesrand bewundern. Die Trümmer der vergessenen Stadt New York werden langsam, aber bestimmend wieder von der Natur eingenommen und unter zarten Geflechten und Ranken verborgen. Und in den vielen Spalten und Hohlräumen sind auch hier Tiere emsig dabei, sich ein Heim zu schaffen. Auf den Brother Islands sind die Flüchtlinge damit beschäftigt, die letzten Reste des Winters zu entfernen und all ihre Arbeiten wieder nach draußen zu verlagern. So hängen die ersten Leinen zwischen den Bäumen und trocken die Wäsche, Feuerstellen sind an einigen Orten zu sehen und Stühle und Tische werden aufgestellt, um das Essen in den warmen Sonnenstrahlen genießen zu können. Kinder laufen laut lachend hintereinander her, während die Erwachsenen sich um die wenigen Nutztiere und die Beete kümmern, die sie den Rest des Jahres mit Nahrung versorgen werden. Alles scheint perfekt und zu neuem Leben erwacht. Doch die plötzliche Hitze macht einigen Leuten auch zu schaffen. Besonders die Älteren ziehen es vor, sich in das kühle Krankenhaus zurückzuziehen, bevor ihr Kreislauf schlappmacht. Die Foot-Ninja fühlen sich in ihren tiefschwarzen Uniformen auch nicht sonderlich wohl, wo sie den ganzen Tag in der prallen Sonne durch Alt New York gezogen sind, um dort weiterhin aufzuräumen. Die Lustlosigkeit, die die Männer dabei ergriff, blieb Chen nicht lange unbemerkt. So ist er auch nicht verwundert, als die Foot nun nach Missionsende an ihn herantreten und ihn darum bitten, den Rest des Tages frei zu bekommen, um in der Bucht zwischen den Inseln schwimmen zu gehen. Eingehend mustert der junge Japaner die völlig vermummten Männer, dennoch kommt es ihm so vor, als könne er das Flehen in ihren Augen selbst durch den Stoff hindurch sehen. Sein Blick schweift durch die Runde und endet bei Michael. Er trägt keine Maske und daher sind seine großen, blauen Hundeaugen nicht zu übersehen. Aber was spricht schon dagegen, ihnen diesen Wunsch zu erfüllen? Schließlich haben sie ihre Arbeit für heute tadellos erledigt. „Ich denke, dass geht in Ordnung. Für heute hatte ich eh nichts mehr für euch zu tun und ich bin sicher, Meister Shredder sieht das genauso. Doch spätestens zum Training heute Abend seid ihr wieder hier, verstanden?“ Sein strenger Blick trifft die Männer, die eifrig nicken und wild durcheinander seinen Worten zustimmen. „Gut, dann verschwindet!“, gibt er mit einem leichten Lächeln von sich. Es dauert nur wenige Sekunden, dann hat sich die Truppe vor ihm zerstreut und eilt mit fröhlichen Jubelrufen Richtung Ausgang. Chen blickt ihnen noch einen Moment nach, wobei ihm die Foot wie ein Haufen fröhlicher Kinder vorkommt, die zum Spielplatz aufbrechen. Gedanklich schüttelt er bei dieser Vorstellung den Kopf und widmet sich dann wieder seinen Aufgaben. Derweil drängen sich die Eliteninja an die Oberfläche und folgen einem ausgetretenen Pfad zum Rand der Insel. Schließlich erreichen sie eine Art kleine Lichtung, wo das Gras und die Sträucher plattgetreten sind und Raph ohne ihr Wissen vor langer Zeit eine Leiche zu Wasser getragen hat. Das Wasser des East River ist heute erstaunlich ruhig und glitzert spektakulär im Schein der tiefstehenden Nachmittagssonne. Lange lassen die Männer diesen Anblick nicht auf sich wirken. Nur wenige Minuten vergehen, dann haben sich alle ihrer Kleider entledigt und setzten sich auf den Rand der Insel. Von hier aus geht es steil hinab ins metertiefe Wasser. Besagtes Wasser ist zudem fast unerträglich kalt, da es bisher keine Wärmeperiode gab, die es hätte aufheizen können. Daher sitzen die nur mit ihren Unterhosen bekleideten Männer eine ganze Weile auf dem Rand und halten dabei die Füße in die eisigen Fluten. Gänsehaut breitet sich auf ihren Körpern aus, während die Sonne vehement versucht ihnen die Schultern zu verbrennen und das Hirn zu braten. Schließlich geben sie sich einen Ruck, immerhin haben sie sich extra frei geben lassen, um schwimmen gehen zu können, da wäre es doch echt schade, wenn sie es jetzt doch nicht tun würden. Mit lauten Schreien, die sich anhören, als würden sie allesamt abgestochen werden, springen sie ins Wasser. Sekunden später tauchen sie zitternd und fluchend wieder auf, dennoch halten sie es nicht für notwendig, wieder herauszusteigen. Ihre Körper werden sich schon an die Kälte gewöhnen und wenn sie sich erst etwas bewegt haben, dann geht es viel besser. So dauert es nicht lange, bis sie anfangen, sich gegenseitig nass zu spritzen, sich durchs Wasser zu jagen oder kindlich versuchen den anderen unterzutauchen. Alle haben ihren Spaß und so ist die Kälte schnell vergessen. Michael hat zum ersten Mal das Gefühl nicht der Außenseiter in der Truppe zu sein, da sie nun alle unmaskiert sind und wie ganz normale Menschen aussehen. Die dumpfen Stimmen hinter dem schwarzen Stoff haben nun endlich ein Gesicht für ihn. Das wilde Gebaren der Männer hält erstaunlich lange an, ehe es ihnen doch zu kalt wird. Durchgefroren und am ganzen Leib heftig zitternd, steigen sie aus dem Wasser und lassen sich auf der Lichtung von der Sonne wieder aufwärmen. Keiner von ihnen bemerkt, dass Michael verschwunden ist. Nicht einmal als sie sich wieder anziehen und die Sachen des Jungen als einzige zurückbleiben. Die Foot begeben sich wieder in den Bunker, ohne auch nur einen Gedanken an den Blonden zu verschwänden. Dem Nunchakuträger geht es dabei ganz ähnlich. Auch er hat die anderen völlig vergessen, von der Zeit ganz zu schweigen. Es ist einfach alles viel zu aufregend. Schon als die wilden Kabbeleien der Foot-Ninjas ihren Höhepunkt erreicht haben, hat sich der Kleine aus dem Staub gemacht. Er ist abgetaucht in eine unentdeckte Welt, die unter der Oberfläche liegt. Mit großen Augen schwimmt er durch das fast klare Wasser und erblickt überall interessante Dinge. Einige Fische flitzen an ihm vorbei und kämpfen sichtlich mit der tückischen Strömung unter Wasser. Der Weg zum Grund ist weiter, als es sich Michael vorgestellt hat. Der Boden ist übersät von Müll, Geröll, Steinen und gesunkenen Booten. In der Ferne kann er die Röhren ausmachen, die die Inseln und das Festland miteinander verbinden. Doch da ist noch etwas. Die beiden Inseln sind fest mit dem Grund des East River verbunden. Von hier unten wirken sie wie seltsam geformte Bäume, deren Kronen aus den Fluten aufragen. Neugierig schwimmt der Junge näher zu dem ‚Stamm‘, der South Brother Island mit dem Grund verbindet. Je tiefer er taucht, desto ruhiger scheint die See zu werden und so entdeckt er in der Nähe des Bodens noch viel mehr Lebewesen. Fische in allen Größen, bunte Krebse, ja sogar einen Tintenfisch, der in einer schwarzen Wolke vor ihm zu fliehen versucht. Nach einem kurzen Luftholen schwimmt er in einem Bogen um die stammähnliche Verankerung der Insel. Eine dunkle Stelle in dem Felsgestein weckt sein Interesse. Als er sich ihr nähert, wird er von einer heftigen Strömung erfasst und fast gegen den Stein geschleudert. In letzter Minute gelingt es ihm zu entkommen. Nun befindet er sich direkt vor dieser dunklen Stelle, die sich als Loch im Fels entpuppt. Vielleicht sogar der Eingang zu einer Höhle? In diesem Moment vergisst er noch weit mehr. Er macht sich keine Gedanken, ob ihn irgendwer vermissen könnte, nein, er will einfach nur wissen, was das für ein Loch ist. Zielstrebig überwindet er den letzten Meter und schwimmt dann hinein. Die Öffnung im Fels hat einen Durchmesser von gut zwei Metern, sodass sie kein Hindernis für ihn darstellt. Um ihn herum ist es nun stockdunkel und er droht seine Orientierung zu verlieren. Da sieht er auf einmal über sich etwas glitzern. Vielleicht eine Verbindung zur Oberfläche? Das wäre gut, da ihm allmehlig die Luft ausgeht. Eifrig schwimmt er nach oben auf das Funkeln zu und stößt kurz darauf durch die Wasseroberfläche. Bevor er richtig registriert, dass er oben ist, füllen sich seine Lungen schon mit Luft. Michael macht ein paar tiefe Atemzüge und sieht sich dann um. Beim Anblick der Umgebung werden seine Augen ganz groß und der Kiefer klappt ihm herunter. Er ist tatsächlich in einer Art Höhle gelandet, so etwas wie eine Grotte, in deren Mitte sich der Zugang mit dem Wasser befindet. Der Hohlraum scheint die gesamten Ausmaße der Verbindung zwischen Insel und Meeresboden einzunehmen. Es wirkt wie ein großer Raum mit einer hohen Decke. Nun kann der Blonde auch sehen, was das Glitzern verursacht hat, das ihm den Weg wies. An der Decke der Höhle sitzen hunderte Glühwürmchen, die ihr Licht in einer pulsierenden Woge an und ausknipsen. Ihr Licht wiederum bringt kleine Bestandteile des Felsens zum Funkeln, als wären unendlich viele Diamanten darin verarbeitet. Ein atemberaubender Anblick. Es scheint wie in einem Märchen. Ein Gefühl von romantischer Geborgenheit breitet sich in ihm aus und erwärmt sein Herz. Etwas schwerfällig zieht er sich auf einen Vorsprung und legt sich dann auf den nackten Fels. Der Untergrund ist schrecklich hart und unbequem. Spitze Steine ragen heraus und stechen ihm schmerzhaft in den blanken Rücken. Dennoch bleibt er einfach liegen und betrachtet die vielen Glühwürmchen bei ihrer Lichtershow. Es dauert nicht lange, da machen ihn die tanzenden Pünktchen schläfrig. Schon kurz darauf döst er ein. So merkt er nicht wie die Zeit vergeht und sich langsam der Abend über diesen Teil der Welt legt. Zur selben Zeit beendet Raphael sein Gespräch mit Chen, der ihm erzählt hat, was bei den heutigen Missionen herausgekommen ist. „Das hört sich alles ziemlich gut an. Vielleicht kriegen wir die Zone 34 ja bis Ende des nächsten Monats durch…“, kommt es nachdenklich vom Führer des Foot-Clans, während er Chens Bericht durchsieht. „Das sollte durchaus mögliche sein, Meister Shredder.“, erwidert der Japaner. Bestätigend nickt Raphael und legt die Papiere zur Seite. „In Ordnung. Sag Michael Bescheid, dass ich ihn sehen möchte, dann kannst du das Training vorbereiten.“, weist er den Älteren an. Höfflich verbeugt sich der Angesprochen vor seinem Herren und macht sich dann auf den Weg. Allerdings weiß Chen nicht, dass Michael noch immer nicht wieder da ist und so sucht er ihn beinahe vergebens. Schließlich fragt er einen der Soldaten, da der Junge schließlich mit ihnen zusammen schwimmen gegangen ist. Dieser weiß jedoch auch nichts und hat bei der ausgelassenen Stimmung auch nicht wirklich darauf geachtet, ob er mit ihnen wieder hierher zurückgekommen ist oder nicht. Chen dankt ihm, doch nun steht der Japaner vor einem kleinen Problem. Etwas unsicher klopft er an die große Tür des Thronsaals und tritt ein. Raphael sitzt mit gesenktem Kopf da, eine qualmende Zigarette klemmt keck in seinem Mundwinkel, während er sich nachdenklich Notizen macht. Ohne aufzusehen, beginnt er zu reden, nicht ahnend, dass Michael gar nicht vor ihm steht. „Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du brauchst eine Extraeinladung, Michael. Folgendes…“, setzt der Foot-Clan-Führer an. Nun hebt er aber den Kopf und ist sichtlich irritiert, Chen vor sich zu sehen und nicht den Nunchakuträger. „Was machst du hier? Ich hab doch gesagt, du sollst mir Michael herschicken! Wo steckt der Bengel schon wieder?“, fährt er den Japaner rau an. Zwar sind seine Worte noch nicht so inbrünstig wie sie sein könnten, dennoch überkommt den Älteren ein ungutes Gefühl. Er weiß nicht, was es ist, aber ihm ist schon öfter aufgefallen, dass Raph ein etwas seltsames Verhalten an den Tag legt, wenn es um den blonden Jungen geht. Irgendetwas ist zwischen den beiden, er weiß jedoch nicht was. Zwar kommt er nicht im Geringsten auf den Gedanken, dass die beiden irgendwelche zärtlichen Gefühle für einander übrig haben könnten, doch ihm kommt immer wieder in den Sinn, dass es wohl etwas mit Raphaels verstorbener Familie zu tun haben muss. Gut möglich, dass der Junge ihn an seinen kleinen Bruder erinnert und er daher eine Art Beschützerwahn entwickelt hat, da er fürchtet, ihn auch verlieren zu können. Doch hier gibt es viele Jugendliche und auch Kinder und zu keinem scheint er so eine Bindung zu haben, obwohl es ganz sicher welche gibt, die seinen Brüdern ähnlich sind. Aber da er mit keinem davon das Umfeld so sehr teilt wie mit Michael, scheint sich dergleichen bei keinen anderen aufbauen zu können. Eine eiskalte Hand gleitet seinen Rücken hinunter, wenn er in Raph´s wartendes Gesicht blickt. „Es tut mir leid, Meister. Ich konnte Michael nirgends finden…“, gibt er schließlich zu. „Was soll denn das heißen?“, fragt der Rothaarige mit strengem Ton. Er sieht seinem Gegenüber an, dass er aus irgendeinem Grund nervös ist und das macht den Saikämpfer stutzig. Etwas verloren verlagert Chen sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Raphael wird deutlich, dass der Japaner so eine Art Fluchthaltung einnimmt, da er wohl befürchtet, seine Antwort könnte ihn verärgern. Irgendetwas ist schiefgelaufen und Chen bereut seine Entscheidung, welche auch immer er getroffen hat. Dies alles stimmt den Rothaarigen nur noch argwöhnischer, doch er versucht sich friedlich zu geben, um wenigstens eine Antwort zu bekommen. „Nun ja, also, es war so. Die Foot baten mich darum Schwimmengehen zu dürfen, da es heute ja so unglaublich warm ist. – Ich hab zugesagt. – Michael ist mit ihnen gegangen, doch keiner von ihnen hat ihn seither gesehen. – Sie wissen nicht mal, ob er mit ihnen zurückgekommen ist…“, kommt es abgehackt von dem Älteren, dem durchaus bewusst ist, dass der verschwundene Junge seinem Meister viel bedeutet, auch wenn er nicht wirklich weiß wieso. Jedes seiner Worte nagt unerbittlich an der Selbstbeherrschung des jungen Führers und schließlich kann er nicht mehr an sich halten. Gerade als Chen den letzten Satz beendet, klappt Raph der Kiefer herunter und seine halbgerauchte Zigarette landet schwelend auf dem roten Teppich zu seinen Füßen. Kaum das sie dort gelandet ist, springt der Saikämpfer auch schon von seinem Thron auf und wirft dabei Papier und Stift zu Boden. Sein Gesicht ist eine Mischung aus Entsetzen, nackter Angst und grenzenloser Wut. Bei seinem Anblick zuckt Chen sichtbar zusammen und weicht einen Schritt zurück. „WAS?!“, tönt die Stimme des Führers durch den Saal. Chen zuckt abermals zusammen. Als er sich wieder soweit unter Kontrolle hat, Raph die Situation friedlich zu erläutern, steht der EX-Hamato schon direkt vor ihm. Sie blicken sich mitten in die Augen. Manchmal wirkt Raphael so plump, angestrengt, laut und langsam, doch eigentlich ist er es gar nicht, wie Chen schon des Öfteren feststellen musste. Dennoch überrascht es ihn immer wieder. „Ich…“, setzt er an, wird jedoch augenblicklich von dem Roten unterbrochen. „Die Foot unterstehen deiner Obhut! Du hast dafür zu sorgen, dass sie jederzeit einsatzbereit sind und dazu gehört auch, dass du genau weiß, wo sich jeder einzelne von ihnen rumtreibt! Dass gilt insbesondere für Michael!“ „Ja, Meister – ich werde ihn sofort suchen…“ Ehe er sich umwenden kann, wird er plötzlich grob von Raph zu Boden gestoßen. Unsanft landet er auf seinem Hintern und hat auf einmal die scharfen Krallen an Raphaels rechter Hand vor Augen. „Du wirst gar nichts! Ich werde ihn suchen und wenn ich ihn finde, dann Gnade dir Gott, dass er unverletzt ist, ansonsten werde ich dich hiermit zu Sushi verarbeiten!“ Bedrohlich glänzt der metallene Handschuh im Licht. „Und lass dir gesagt sein, ich war immer ganz miserabel bei Küchenarbeiten!“ Mit jagendem Herzen blickt Chen an dem scharfgeschliffenen Stahl vorbei in das gelbgrüne Auge. Es scheint förmlich Funken zu sprühen und weckt keinen Zweifel, dass sein Besitzer die Wahrheit spricht. „Sehr wohl, Meister…“, kommt es leise von Chen, während er Raphael hinterher blickt, wie dieser den Saal verlässt. Der Saikämpfer ist mehr als nur außer sich. Hätte Chen ihm auch nur ein Wiederwort gegeben, er hätte für nichts mehr garantieren können. Die Worte seines Beraters haben ihn direkt ins Herz gestochen, gleich einem rostigen Nagel. All seine Ängste sind wieder hochgekommen. Was ist, wenn Michael wirklich etwas passiert ist? Er vielleicht verletzt ist oder sogar ertrunken, weil sich scheinbar keiner der Foot um ihn schert? Nicht auszudenken! Schließlich würde er seinen überalles geliebten Bruder so ein zweites Mal verlieren und diesmal gibt es vielleicht keine neue Chance. Es würde seine ganze Welt zusammenbrechen lassen, diesmal endgültig. Schweren Schrittes eilt der Rote zum Ausgang des Bunkers und von da aus zur Badestelle der Foot. Mit jagendem Herzen und keuchendem Atem erreicht er den Rand der Insel. Die Sonne steht mittlerweile so tief, dass ihr aufgeblähter, rotoranger Rand das Wasser berührt. Noch immer ist es ziemlich warm, doch man spürt schon, dass diese Nacht die Hitze mit sich nehmen wird und sie so schnell nicht wieder hergibt. Auch das Wasser ist unruhig geworden, so wie die Bewohner der Insel es eigentlich gewohnt sind. Mit hilflosem Blick schaut sich der Rothaarige um, in der Hoffnung irgendwo einen Hinweis auf den Verbleib des Jungen zu finden. Doch das blutrote Licht der untergehenden Sonne brennt ihm im Auge, sodass es fast unmöglich ist die Wasseroberfläche abzusuchen. Als er sich weiter umsieht, entdeckt er auf einem Busch die Sachen des Blonden. Dort sind die langen Stiefel, seine Hose und sein Hemd, ja sogar seine Waffen, doch keine Spur von ihm. Raphael wendet noch einmal den Blick auf das glühende Wasser, doch es ist zwecklos. Eiskalte Panik ergreift sein Herz und umklammert es wie ein Schraubstock. Sauer kann er Angst hinten in seiner Kehle schmecken. Kurz darauf trüben Tränen seinen Blick. Er ballt die Hände zu Fäusten und versucht einen klaren Gedanken zu fassen. Doch wie der Blick auf das Wasser, gelingt ihm auch das nicht. Schließlich holt er zitternd tief Luft. „MICHAEL!“, brüllt er laut über die aufgewühlte See hinweg, doch es kommt keine Antwort. Nur ein paar Vögel fliegen hektisch auf und äußern sich dabei lautstark über die Störung. Raph beachtet sie nicht. Für ihn gibt es nur noch eines, das er tun kann. Eilig entledigt er sich seiner Rüstung und wirft sie achtlos zu Michaels Sachen. Schuhe, Hemd und Hose folgen wenige Sekunden später. Hastig setzt er sich auf den Rand der Insel und steckt die Beine ins Wasser. Erneut wird sein Herz in einem Schaubstock eingezwängt. Diesmal jedoch nicht aus Angst, sondern aus Schock. „Heilige Scheiße…“, flucht er leise vor sich hin, als die Kälte wie tausende Nadeln durch seine Beine jagt. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen wie die Foot in diesem Eiswasser schwimmen konnten. Raphael ist zwar einiges gewohnt, aber das ist wirklich heftig. Ungelenk lässt er sich ins Wasser gleiten, bis nur noch sein Kopf zu sehen ist. Die Kälte überkommt ihn so heftig, dass ihm fast die Luft wegbleibt und er mehrere Versuche braucht, um seine geschrumpften Lungen davon zu überzeugen, seinen Körper weiterhin mit Sauerstoff zu versorgen. Schon jetzt fühlen sich seine Arme und Beine völlig taub an, dabei braucht er sie doch so dringend. Während er immer wieder tief Luft holt, versucht er sich an vergangene Zeiten zu erinnern. Sie waren sooft zusammen schwimmen gewesen. Mikey kam einem dabei wahrlich wie eine Schildkröte vor. Er konnte länger als alle anderen die Luft anhalten. Er war ein sehr guter Schwimmer, schnell und wendig wie ein Fischotter und mit einer unglaublichen Ausdauer. All diese Fähigkeiten wird er jetzt wohl kaum verloren haben, dennoch kann ihn die leicht zu unterschätzende Strömung mitgerissen haben. Raph macht einen weiteren Atemzug und taucht dann unter. Die Kälte umhüllt nun seinen Kopf und es fühlt sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Doch er zwingt sich weiter, er muss seinen Bruder finden! Der Saikämpfer taucht tiefer hinab, versucht irgendetwas in dem dunkler werdenden Wasser auszumachen. Sein ganzer Körper schmerzt, sodass er schon nach kurzer Zeit wieder auftauchen muss. Überanstrengt holt er Luft und taucht erneut ab. Verzweifelt versucht er sich irgendwie zu orientieren. Aber die Kälte dringt immer weiter und immer erbarmungsloser in seinen Körper vor. Er schafft es nicht, ist am Ende, dennoch kann er sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, einfach aufzugeben, nur weil sein Körper schlappmacht. Im Gegensatz zu Mikey hatte er nie eine besonders gute Kondition. Seine Kraft reichte immer nur für einen Augenblick und dann musste es erledigt sein, andernfalls hatte er ein Problem. Mikey hingegen hatte immer jede Menge Puste, doch ihm fehlte die Kraft, um sich ausreichend zu verteidigen. So hatte jeder der Brüder seine Vor- und Nachteile, doch noch nie hat sich Raph so sehr selbst verflucht wie jetzt, dass er die geringste Ausdauer von allen hat. Verzweifelt versucht er seine letzten Kräfte zu mobilisieren, um an die Oberfläche zurück zu schwimmen. Zu spät… Sein Körper ist vollkommen der Taubheit erlegen und reagiert auf keinen Befehl mehr. Ihm geht die Luft aus. schließlich wird ihm schwarz vor Augen und er sinkt langsam Richtung Grund. Alles scheint verloren. Die Foot ein zweites Mal ohne Führung, der einst so stolze Hamato-Clan endgültig ausgelöscht. Was dem wahren Shredder nicht gelang, erledigt nun die raue See. Sie vereint die vier Brüder und ihren Sensei nach so langer Zeit endlich wieder miteinander und verschluckt sie für alle Ewigkeit. Oder soll es doch noch nicht soweit sein? Ein dunkler Schatten gleitet elegant durchs Wasser, scheint dabei in grenzenloser Leere zu schweben. Er steuert direkt auf den versinkenden Saikämpfer zu und zieht ihn mit sich, tiefer und tiefer in die Dunkelheit. Raph bekommt von alledem nichts mehr mit. Sein Körper und sein Geist entfernen sich immer weiter von einander und drohen ihre Verbindung völlig zu verlieren. Vor seinem inneren Auge laufen Bilder einer längst vergangenen Zeit ab. Einer Zeit, in der noch alles in Ordnung war und sich keiner von ihnen über Shredder und seine Foot Gedanken machen musste. Eine Zeit unbeschwerter Kindertage. Seine Brüder so vor sich zu sehen, raubt ihm nur noch mehr den Verstand und dennoch kann er sich nicht davon losreißen. Doch etwas daran ist komisch. Normalerweise ist in einem Traum doch alles so wie man es damals erlebt hat oder wünscht es so erlebt zu haben, doch er kann die Stimmen seiner Familie nicht hören, obwohl sie ganz eindeutig mit ihm reden. Nur eine Stimme dringt an sein Ohr, die von Mikey. Doch sie ist zu tief, passt nicht zu dem kindlichen Bild und sie nennt ihn auch nicht beim Namen, sondern ruft immer wieder ‚Meister, Meister…‘ Raphael versteht nicht was los ist. Plötzlich entfernt sich sein Traumbild von ihm, alles wird schwach und konturlos. Nur Mikey´s Stimme bleibt ihm erhalten. Zumindest glaubt er, dass es die Stimme seines Bruders ist, auch wenn sie nicht zur Szene passt. Sie lockt ihn immer weiter an die Oberfläche, verbindet seinen Geist wieder mit seinem Körper. Langsam kehrt auch der Schmerz zurück und macht ihm klar, dass er wohl doch nicht ertrunken ist. Heftig hustend kommt Raph wieder zu sich. Wasser spritzt ihm aus dem Mund und warme Luft durchflutet seine Lungen. Schwerfällig dreht er langsam den Kopf von einer Seite auf die andere und stellt dumpf dabei fest, dass er auf etwas äußerst Hartem liegt. Es fühlt sich an wie Stein. Spitze Kanten, die sich in seine Haut bohren und neuerliche Kopfschmerzen in seinem Schädel entfachen. „Oh, gut, Ihr seid wach!“, dringt eine erleichterte Stimme an sein Ohr. Es scheint dieselbe zu sein, die er in seinem Traum gehört hat. Träge öffnet er sein verbliebenes Auge und versucht herauszufinden, wo er sich befindet. Viel sieht er jedoch nicht. Bis auf unzählige Lichtpunkte über ihm, kann er nichts ausmachen. Sind es die Sterne, ist er wieder an Land? Doch wer hat ihn hierher gebracht? Wer ist der Fremde, dessen Stimme ihn an seinen kleinen Bruder erinnert? „Meister, alles in Ordnung?“, dringt wieder die Stimme an sein Ohr. Schwerfällig dreht er seinen Kopf in die Richtung und versucht mit seinem einen Auge auszumachen, wer dort bei ihm ist. Sein Kopf ist so leer, dass ihm niemand einfällt. Es ist, als wäre er nach ewigen Zeiten aus einem Koma erwacht und könnte sich nur daran erinnern, dass es niemanden mehr gibt, den er kennt. Oder so, als hätte er sein Gedächtnis verloren wie Michael. Moment mal! Michael?! Schlagartig fällt ihm alles wieder ein. Sein eines Auge ist weit aufgerissen und er begibt sich so ruckartig in eine sitzende Position, dass sein Schädel heftig dagegen protestiert. Vor seinem Auge verschwimmt erneut alles und droht ihn wieder in die Finsternis zu ziehen. Er gibt ein schmerzliches Keuchen von sich und drückt sich die Hand gegen die pochende Stirn. Alles dreht sich und er schwankt. Bevor er jedoch ohnmächtig auf den harten Fels aufschlagen kann, ergreifen ihn plötzlich zwei sanfte Hände und halten ihn aufrecht. „Meister?“ Die Stimme klingt erschrocken, doch sie ist viel näher. Vorsichtig wendet Raph seinen schmerzenden Kopf zur Seite. Vor seinem eingeschränkten Gesichtsfeld tauchen zwei so leuchtend blaue Augen auf, dass er sie zuerst für eine Sinnestäuschung hält. Dann klärt sich sein Blick und er erkennt einen blonden Jungen, der ihn besorgt ansieht. Doch es ist nicht nur irgendein blonder Junge, es ist Michael! Raph traut seinem Auge kaum. Er war losgezogen, um den verschwundenen Jungen zu finden und nun hat der Nunchakuträger ihn gefunden. Raphael fällt ein Stein vom Herzen, hatte er doch befürchtet, ihn wieder verloren zu haben und selbst beim Versuch ihn zu finden umzukommen. „Geht´s wieder, Meister?“, kommt es immer noch sorgenvoll von dem Kleineren. Doch der Rote antwortet ihm nicht, zu überwältigt ist er von der Tatsache, seinen Bruder lebend wiedergefunden zu haben. In diesem Moment vergisst er wieder einmal, dass er Shredder ist und der Blonde keine Ahnung davon hat, dass sie eigentlich Brüder sind. Haltlos packt er den Jüngeren und zieht ihn fest in seine Arme. Überrascht und sichtlich überfordert lässt der Chaosninja es geschehen, auch wenn er nicht versteht, was plötzlich mit seinem Herrn los ist. Raph vergräbt sein Gesicht in den wirren, blonden Haaren und atmet tief ihren feuchten Duft ein. Tränen rinnen an seinen Wangen hinab. „Oh, Gott, ich dachte, ich hätte dich verloren…“, teilt er dem verwirrten Jungen mit. Seine Stimme bricht augenblicklich und Michael stellt erschrocken fest, dass sein sonst so aufbrausender Meister weint. Deutlich spürt er dessen heiße Tränen an der kühlen Haut seines Halses. „Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein, hörst du?“, kommt es erneut mit bebender Stimme von dem Älteren. „Ich verspreche es. Doch bitte nicht mehr weinen, Meister…“, kommt es nun schluchzend von dem Jungen, der sich nun haltsuchend an den anderen klammert. Kaum merklich zuckt Raph zusammen. Ihm war gar nicht bewusst, dass er weint. Er hat sich von seinen Gefühlen einfach übermannen lassen und sich dabei eine Blöße gegeben, die den anderen irritiert. Auch wenn es ihm schwerfällt, so klammert sich Raphael an all den Rest Beherrschung, den er noch finden kann. Missbilligend räuspert er sich und schiebt den Jungen dann von sich weg. Die großen, blauen Augen sehen ihn fragend an. Der Saikämpfer räuspert sich erneut. „Ich weine nicht, niemals! Wie kommst du bloß auf so einen absurden Gedanken? Das sind nur die Wassertropfen, klar?!“, gibt er missmutig von sich und mustert Michael streng. „Tschuldigung…“, murmelt der Junge und wischt sich die feuchten Wangen ab. Grummelnd blickt sich der Foot-Clan-Führer in der seltsamen Höhle um. Sie sind also nicht wieder an Land, sondern wie es scheint, immer noch unter Wasser. „Was zum Teufel machst du hier eigentlich? Chen ist krank vor Sorge, weil er dich nicht finden konnte! Herr Gott noch mal!“ Geschickt verschweigt er dem Jungen, dass er selbst noch weit mehr Sorge um ihn hatte, als Chen es jemals haben könnte. Schuldbewusst senkt der Junge den Kopf. „Es tut mir leid, Meister. – Ich hab die Zeit vergessen und bin hier unten eingeschlafen…“, gesteht Michael, den Tränen nahe. Das Ganze ist so typisch sein kleiner Bruder, dass Raph ihn am liebsten wieder in die Arme schließen würde, doch er reißt sich zusammen. Schließlich soll dem Bengel bewusst werden, dass er einen Riesenfehler gemacht hat. „Nächstes Mal bleibst du gefälligst bei den anderen, ganz egal, was auch immer du siehst oder findest! Andernfalls werde ich dich hart bestrafen!“ In Raphaels Ton liegt genau die richtige Menge an Strenge, um dem Kleinen deutlich zu machen, dass es sein voller Ernst ist. „Es wird nie wieder vorkommen, Meister! Ich verspreche es…“ Nun schwappen die Tränen wieder über und kullern ungehalten über die roten Wangen des Jungen. Er schluchzt ungehalten und verkrampft seine Hände im Schoß. Dem Älteren fällt es schwer, diesem Anblick standzuhalten. Schon damals konnte er es nicht ertragen seinen Babybruder weinen zu sehen. Er kam sich immer schuldig vor, egal was gewesen war. Und er weiß bis heute nicht, wie er ihn trösten soll, ohne schwach zu wirken. Erst recht nicht, weil sie nun keine Brüder mehr sind und der Junge ja Respekt vor ihm haben soll. Eine Weile lässt er den Blonden mit seinen Tränen allein und betrachtet ihn nur, doch dann hält er es nicht mehr aus. Sanft legt er ihm die Hand unters Kinn und hebt seinen Kopf. „Nun hör schon auf zu weinen…“ Seine Worte haben jegliche Härte verloren, klingen nun wieder betroffen und etwas hilflos. Schniefend sieht der Nunchakuträger ihn an und versucht sich zu beruhigen. Der Rothaarige erinnert sich indes, wie Mikey früher immer weinend vor seinem Futon gehockt hat, wenn er einen Alptraum hatte. Der Junge hat sich bei ihm immer sicher gefühlt. Beim Gedanken wie er damals zusammen mit seinem Bruder im Futon lag, dicht aneinander gekuschelt, wird ihm ganz warm ums Herz. Schnell fällt ihm auch wieder ein, wie seine Gefühle damals verrückt gespielt haben. Kaum, dass ihm das wieder einfällt, schweifen seine Gedanken auch schon in diese Richtung ab. Michael hat sich inzwischen wieder beruhigt, doch Raph berührt immer noch sein Kinn. Tief sehen sich die beiden in die Augen, umgeben von hunderten funkelnder Glühwürmchen. Der Saikämpfer streckt seinen Daumen aus und gleitet damit sanft über die weichen Lippen des Blonden. Michaels Augen beginnen zu leuchten und er blickt unverwandt in das Gesicht vor sich. Raph spürt den warmen Atem des Jungen auf seinem Finger und stellt sich unweigerlich vor, wie es wäre, den Jungen jetzt nieder auf den harten Fels zu drücken und ihn einfach zu nehmen. Sein Körper reagiert augenblicklich auf diesen Gedanken. Sein Herz beginnt zu rasen, er schluckt trocken, sein Atem geht schwerer und es zieht verlangend in seinen Lenden. Ja, es wäre so einfach und niemand würde sie hier sehen können. Er mustert den Jungen vor sich eingehend und stellt dabei fest, dass Michael wohl ganz ähnliche Gedanken hat. Seine Wangen glühen, auch sein Atem geht schwerer und in seinem Blick liegt ein Flehen, das er noch nie zu vor gesehen hat. Raph streicht mit der Hand über die Wange des Jungen, dieser schmiegt sich einer Katze gleich dagegen. Dann schließen sich die blauen Augen und der Kleine beugt sich vor und spitzt die Lippen, als wolle er einen Kuss von seinem Gegenüber. Raph kann sein Glück kaum fassen, der Bengel macht es ihm schon fast zu einfach. Sollte sein sehnlichster Wunsch heute Nacht wirklich in Erfüllung gehen? Begeistert von diesem Gedanken schließt Raph ebenfalls sein Auge und beugt sich vor. Dabei verlagert er sein Gewicht allerdings ziemlich ungünstig. Kurz bevor sich ihre Lippen endlich berühren, schrammt Raph mit seinem Knie an einem spitzen Stück Felsen entlang. Schmerzlich zuckt er zurück und realisiert, dass das hier zwar ein ungestörter Ort ist, aber leider auch ein sehr unbequemer. Würde er den Jungen auf den Felsen drücken, hätte das nichts mit Befriedigung zu tun, sondern würde nur dazu führen, dass sie sich beide ziemlich verletzen. So schön der Gedanke auch war, es geht absolut nicht. Schweren Herzens schiebt der Rote seine Begierde ein weiteres Mal zur Seite. Als nichts passiert, öffnet Michael irritiert die Augen und blickt seinen Meister fragend an. Der Ältere strahlt jedoch alles andere als Begeisterung aus. „Lass den Mist! Ich bin immer noch sauer mit dir. Außerdem müssen wir hier raus, bevor die Nacht das Wasser noch kälter werden lässt.“, blafft der Ältere ihn hart an. Doch innerlich will Raphael gar nicht, dass es aufhört und er will auch nicht so fies zu ihm sein müssen, nur um sein Gesicht vor ihm wahren zu können. Manchmal genießt er seinen Staus als Meister, manchmal verflucht er ihn zu tiefst. Es ist nicht zu übersehen, wie bei seinen Worten etwas in dem Jungen zerbricht. Der freudige Glanz verschwindet und der Blonde senkt erneut den Kopf und kämpft mit den Tränen. „Jawohl, Meister…“ Seine Stimme klingt brüchig und er kämpft mit aller Macht dagegen an, nicht wieder zu weinen. Es bricht dem Älteren das Herz ihn so zu sehen. Andererseits freut sich ein Teil von ihm auch, da er sich sicher sein kann, dass Michael ganz ähnliche Gefühle hat wie er selbst. Schweigend erheben sich die beiden Ninjas und tauchen ins eiskalte Wasser ein. Jede Bewegung fällt ihnen schwer und nur gemeinsam gelingt es ihnen wieder heil an die Oberfläche zu gelangen. Steif vor Kälte und völlig außer Atem schleppen sie sich auf den Rand der Insel. Erschöpft fallen sie nebeneinander ins noch warme Gras. Die Sonne ist inzwischen im Meer versunken und die Nacht hereingebrochen. Unzählige Sterne funkeln über ihnen und in einem entfernten Busch zirpen träge ein paar Grillen. Die zwei gönnen sich einen Moment Ruhe, ehe sie zum Eingang des Bunkers zurückkehren. Mit unter die Arme geklemmten Sachen, tapsen sie auf blanken Füßen durch den Korridor. Michaels Zimmertür kommt in Sichtweite, doch Raph packt den Jungen grob am Arm und schiebt ihn weiter. „Du kommst mit, ich hab noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen!“ Erschrocken fügt sich der Blonde und folgt ihm wortlos. Ihr Weg führt sie hinab auf die unterste Ebene. Unterwegs treffen sie Chen, der kaum ausdrücken kann, wie erleichtert er ist, den Jungen gesund und munter wiederzusehen. Dennoch macht Raph ihm klar, dass das nicht sein Verdienst ist und er ihm diese Unachtsamkeit nicht so schnell vergessen wird. Schließlich stoppen die zwei von Raph´s Zimmer. Mit gesenktem Kopf folgt der Blonde seinem Meister in den Raum. Er will sich gar nicht vorstellen, was für ein Donnerwetter ihn jetzt erwarten wird. Ängstlich bleibt der Kleine neben der Tür stehen und presst seine Sachen an die Brust. Der Saikämpfer bedenkt ihn mit einem undurchdringlichen Blick, während er die Tür ins Schloss gleiten lässt und anschließend verriegelt. Beim Klicken des Riegels zuckt der Nunchakuträger unweigerlich zusammen. Einen Moment später reißt Raph ihm die Klamotten aus der Hand und wirft sie achtlos zu Boden. Kurz darauf stößt der Ältere ihn grob gegen die Stahltür und presst ihn fest gegen das kalte Metall. Ein Zittern geht durch den Blonden, da er fürchtet nun verprügelt zu werden. Umso überraschter ist er daher auch, als Raphael nun stürmisch seine Lippen auf die seinigen drückt und ihn zu einem hemmungslosen Kuss verführt. Überrumpelt reißt der Kleinere die Augen auf und weiß nicht wie ihm gerade geschieht. Er bekommt kaum Luft und sein Hirn ist zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Noch ehe er sich dazu überwinden kann, den langerhofften Kuss zu erwidern, spürt er wie Raph seinen pochenden Unterleib gegen den seinigen presst und sich verlangend an ihm reibt. Das ist zu viel für Michael. Küssen ist ja schön und gut, aber das geht dem Blonden dann doch viel zu schnell. Schließlich kann er sich noch nicht einmal vorstellen, wie und ob das überhaupt bei zwei Männern funktioniert. Ein heftiges Zittern durchzieht seinen Körper und er drückt abwehrend die Hände gegen die Brust seines Meisters. Der Rothaarige spürt den Widerstand, auch wenn er ihn nicht wahrhaben will. Schließlich löst er sich von dem Jungen und blickt ihn enttäuscht an, sieht die Angst in seinen Augen Nun ist es an Michael beschämt zu sein, weil er seinem Gegenüber etwas Langerhofftes verweigern muss. „Es tut mir leid, Meister…“, kommt es leise von ihm. „Schon gut – Ich denke, du sollest jetzt lieber gehen, bevor ich etwas wirklich Unüberlegtes tun werde…“ Raphaels Stimme ist vollkommen neutral, als wäre zwischen ihnen gerade überhaupt nichts gewesen, doch innerlich versucht er verzweifelt seinen Körper davon abzuhalten, den Jungen zu Boden zu werfen und wie ein Tier über ihn herzufallen. Sein Tun ist nicht gerade von Erfolg gekrönt, weshalb er schnell Michaels Sachen aufhebt und sie ihm in die Arme drückt. Stumm bittet der Junge noch einmal um Verzeihung, doch der Meister hat keinen Nerv mehr dafür. Seine Beherrschung ist am Boden und dass schon seit so vielen Jahren, das jedes weitere Wort einfach alles zerstören würde. Also entriegelt er stattdessen die Tür und schiebt den Jungen nach draußen. Nun steht Michael auf dem leeren Flur und fühlt sich unendlich mies. Aber vielleicht kann er sich ja doch dazu überwinden, seinem Meister den Wunsch zu erfüllen? Er müsste ihn nur davon überzeugen, etwas langsamer zu machen und ihm Zeit zu geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Doch ehe er sich umdrehen kann, fällt hinter ihm die Tür hart und erbarmungslos ins Schloss. Deutlich kann der Blonde hören, wie die Tür wieder verriegelt und er somit ausgesperrt wird. Einen Augenblick später hört er hinter dem dicken Stahl leises Fluchen und ein dumpfes Poltern, so als hätte jemand mit der Faust gegen eine Schranktür geschlagen oder etwas Schweres zu Boden geworfen. Ihm ist sogar so, als könnte er seinen Meister enttäuscht, ja sogar wütend knurren hören. Michael fühlt sich unendlich schlecht. Er hat seinem Herrn solchen Kummer bereitet und dann verweigert er ihm auch noch die Möglichkeit zur Versöhnung. Niedergeschlagen schlurft der Kleine nach oben in sein Zimmer und verkriecht sich in seinem Futon. Derweil reibt sich Raph seine schmerzende Faust und betrachtet knurrend den Sprung in der Holztür des Schrankes. „Verdammter Mist!“, presst er hervor und zieht sich dann in sein einsames, viel zu großes Bett zurück. Er versucht sich wieder einmal mit dem Gedanken anzufreunden, dass er sich heute Nacht nur selbst Gesellschaft leisten kann, ungeachtet wie sehr es ihn auch anwidern mag… Advence...? ----------- Einen Monat später – April… Fröhlich lacht die Sonne über der zerstörten Stadt. Sie ahnt nicht wie viel Leid und Qual die Menschen unter ihrem Glanz durchmachen mussten und man kann mit Recht behaupten, dass es sie auch nicht wirklich interessiert. Ungeachtet aller Sorgen scheint sie einfach weiter, eine stumme Konstante, in einer Welt, die sonst alles verloren hat, was sie einst prägte. Von Erschöpfung und Muskelschmerzen geplagt, kaum noch in der Lage einen Fuß vor den anderen zu setzen, schleppen sich die Foot-Ninja von ihrer heutigen Mission zurück zur Insel. In ihren Gedanken können sie schon ihre Betten rufen hören und sehnen sich danach diesen Tag für beendet zu erklären. Zum Glück hat Chen ein Nachsehen mit ihnen und schickt sie zu ihrer wohlverdienten Ruhe. Müde schleppt sich auch Michael den Flur entlang. Sein Zimmer ist nicht mehr weit entfernt und er wünscht sich nichts mehr, als eine heiße Dusche und ein paar Stunden Schlaf. Raphael hingegen ist ruhelos. Seine Gefühle für den Blonden werden immer stärker, so stark, dass er den Jungen letzte Woche zu etwas gebracht hat, von dem er nie dachte, dass er seinen eigenen Bruder jemals darum bitten könnte. Doch Michael weiß ja nicht, dass er eigentlich Raph´s Bruder ist und so sind gewisse Dinge nicht ganz so seltsam. Und dennoch hat es ihn doch ziemlich überrascht, wie viel Macht er doch auf den Kleinen auszuüben scheint. Diese Macht übermannt ihn immer mehr und er ist nur zu gern bereit, herauszufinden wie lange der Junge das Ganze hinnimmt, ehe er sich ihm harsch widersetzt oder er so große Angst vor seinem Meister bekommt, dass er sich nicht mehr in seine Nähe traut. Noch scheint er aber zutraulich genug für so Einiges zu sein und Raph hat nicht übel Lust, das Ganze noch heute etwas mehr auf die Probe zu stellen. Schon bei dem Gedanken daran beginnt sein ganzer Körper vor Erwartung zu kribbeln. Jede Faser seines Fleisches verzehrt sich nach dem Bengel, bis ihm fast der Kopf platzt und er so ruckartig von seinem Stuhl aufsteht, dass dieser beinahe umkippt. Er braucht ihn – JETZT! Doch ein Blick auf die Uhr verrät ihm, dass die Foot entweder noch bei ihrer Mission sind oder schon beim Training mit Chen. Und wie sehe das denn aus, wenn er den Jungen jetzt vom Training wegholen würde? Das würde nur zu unangenehmen Vermutungen führen und die kann er sich absolut nicht leisten. Am Ende kommen die Foot wieder auf dumme Gedanken, so wie die zwei, die er von Chen entsorgen lassen musste, weil sie es gewagt hatten sein Eigentum anzurühren. Aber noch länger warten kann er auch nicht mehr! Irgendwie muss er sich ablenken und das am besten noch bevor er wieder gezwungen ist seine eigenen Hände zu beschmutzen. Allein der Gedanke daran widert ihn schon an. Womit also ablenken? Vielleicht mit einem schönen heißen Bad? Ja, dass wäre jetzt genau das Richtige! Allerdings hat er keine Badewanne in seinem Zimmer, also muss er rauf zu den Foot gehen und dort das große Bad benutzen. Da gibt es gut ein Dutzend Duschen und mehrere Wannen. Da die Ninja ja eh noch eine Weile beschäftigt sein werden, kann sich Raph ganz entspannt ein Bad gönnen und darauf warten, dass Michael Zeit für seine Bedürfnisse hat. Was der Führer jedoch nicht weiß, ist, dass die Foot und somit auch Michael schon längst mit ihrer Mission fertig sind und Chen das Training heute hat ausfallen lassen. Ohne dieses Wissen schnappt sich Raph ein paar frische Sachen und begibt sich Richtung Bad. Zur gleichen Zeit macht sich auch Michael dahin auf den Weg und so ist es nicht verwunderlich, dass sich die beiden in dem großen, gefliesten Raum treffen. „Huch…“, entkommt es ihnen beiden, während sie sich etwas verwirrt ansehen. „Meister, was macht Ihr denn hier?“, fragt der Blonde schließlich. Leicht rümpft Raphael die Nase, um sich nicht anmerken zu lassen, dass er sich eigentlich sehr freut den Jungen zu sehen. „Das Gleiche könnte ich dich auch fragen. Also sprich!“, fordert der Rote ihn auf. „Die Mission ist zu Ende und Chen hat das Training heute ausfallen lassen…“, berichtet der Nunchakuträger mit verhaltenem Lächeln. Der Ältere sieht deutlich wie müde sein Gegenüber sein muss, dennoch sind sein Worte wie Musik in seinen Ohren. Unter anderen Umständen würde er Chen fragen, was diese Nachlässigkeit zu bedeuten hat, doch im Moment ist er mehr als froh darüber. ‚Dann werde ich heute wohl doch nicht unglücklich ins Bett gehen…!‘, huscht ihm ein Gedanke durch den Kopf und er muss sich sehr zusammenreißen, es sich nicht anmerken zu lassen. Stattdessen räuspert er sich. „Nun gut, sei es so. Und ich bin hier, weil ich ein Bad nehmen wollte. – Warum leistest du mir nicht Gesellschaft?“ Verträumt blickt er den Jungen an und ist im Gedanken schon zwei Schritte weiter. Unsicher blickt der Kleinere ihn an, fast so, als könnte er sehen, was im Kopf des anderen vorgeht. „Ich denke, ich werde nur kurz duschen und dann ins Bett gehen…“, entgegnet er dem Roten, gefolgt von einem Gähnen als Bestätigung. Müde hin oder her, so leicht lässt sich Raph aber nicht abschieben, schon gar nicht, wenn es mit Nachdruck in ihm brodelt. „Eigentlich war das keine Bitte, Junge!“, betont der Saikämpfer leicht streng. Etwas überrascht zuckt der Blonde zusammen. „Aber, Meister…“, setzt er an, doch Raph winkt nur ab und deutet in den hinteren Teil des Raums, wo die Wannen stehen. Resignierend lässt der Junge die Schultern hängen, es hat ja doch keinen Sinn. Also fügt er sich und trottet in die gewünscht Richtung. Siegessicher folgt ihm der Ältere. An der hintersten Wanne bleiben sie stehen und Raphael dreht die Hähne auf. Dampfend ergießt sich das heiße Wasser in die lindgrüne Wanne. Doch eigentlich ist es keine richtige Wanne, sondern viel mehr eine Art Whirlpool, indem man bequem auch mit mehreren Leuten sitzen kann, ohne sich gleich auf die Pelle zu rücken. Während der Wasserpegel langsam ansteigt, überlegt sich der temperamentvolle Ninja schon mal, wie es weitergehen könnte. Wenn es nach ihm geht, würde er den Jungen liebend gern hier im Whirlpool vernaschen. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass jeder Zeit einer der Foot-Ninja reinkommen könnte, vertagt er diesen Gedanken. Zudem glaubt er nicht, dass Michael sich das so einfach gefallen lassen würde, dafür ist ihre Bindung zueinander einfach noch zu frisch. Doch vielleicht kann er ihn mit dem warmen Bad etwas handzahmer machen, sodass er ihn auf sein Zimmer begleitet, wo sie niemand so schnell stören wird? Etwas abseits, an die kühle Fliesenwand gelehnt, lauscht der Jüngere dem Rauschen des Wassers und versucht dabei das Unwohlsein abzulegen, das ihn aus irgendeinem Grund befallen hat. Klar hat er Gefühle für seinen Meister, weit mehr als es in seiner Position gut wäre. Er würde es sogar als Liebe bezeichnen. Doch er ist sich nicht sicher, ob Raphael ähnlich fühlt oder es ihm nur um das körperliche Vergnügen geht. Der Rote ist immer so harsch und fordernd, dass es manchmal richtig beängstigend ist. Andererseits möchte Michael ihm ja auch nahe sein, doch die Furcht, verletzt und dann weggeworfen zu werden, lähmt ihn schon fast. Unsicher steht er da und starrt auf das stetig ansteigende Wasser. Die Wanne ist fast voll, eine weiße Krone aus Schaum bedeckt die Oberfläche und ein süßlicher Blumenduft steigt ihm in die Nase. Schließlich dreht Raph das Wasser ab und blickt ihn wartend an. Nun ist Michael wirklich nervös und wünscht sich irgendwie, dass einer der Foot-Ninja auftaucht oder Chen, der doch noch etwas für ihn zu tun hat. Er blickt sogar einen Moment hoffnungsvoll zur Tür, doch sie rührt sich keinen Millimeter. „Nun träum mal nicht, sonst wird das Wasser kalt!“, ertönt plötzlich die Stimme seines Meisters und reißt ihn aus seinen Gedanken. Als er sich zu dem Saikämpfer umdreht, schreckt er zusammen, als hätte man ihn geschlagen. Ein tiefroter Schimmer bildet sich auf seinen Wangen und er wendet den Blick schnell wieder ab. Während Michael noch gehofft hat, dass irgendjemand ihr Badespielchen unterbrechen könnte, hat Raph sich schon mal ausgezogen. Nun sitzt er splitternackt auf dem Rand des Whirlpools und sieht den Jungen herausfordernd an. Der überraschte Gesichtsausdruck des Jüngeren lässt ihn sogar schmunzeln. Unweigerlich muss er an längst vergangene Jungendtage denken. Mikey war damals eine echte Wasserratte gewesen. Kaum hieß es, dass es Zeit zum Baden oder Schwimmen wäre, da hat er auch schon all seine Sachen weggeworfen und nur noch das Wasser vor Augen gehabt. So etwas wie Schamgefühl, selbst Fremden gegenüber, schien er nicht wirklich zu kennen, was manchmal zu unschönen Zwischenfällen geführte. Davon hat sich der blonde Wirbelwind aber weder den Spaß nehmen, noch belehren lassen. Ihn jetzt hier so verschüchtert, beinahe ängstlich zu sehen, ist wie ein Stich ins Herz für den Älteren. Damals hätte er nie gedacht, dass er Mikey´s Blödsinn mal so schmerzlich vermissen würde. Doch der alte Mikey ist noch irgendwo da drin, dass weiß Raph ganz genau. Mehr als einmal hat er es schon gesehen. Alte Verhaltensmuster, die unverwechselbar sind, aber durch die Amnesie in Vergessenheit geraten sind, bis zum richtigen Augenblick. ‚Ich muss ihn nur aus seinem Schneckenhaus locken…‘, geht es dem Roten durch den Kopf. Absichtlich langsam lässt sich der Führer nun in das angenehm heiße Wasser gleiten. Dabei beobachtet er den Jungen ganz bewusst. Der alte Mikey war schon immer begeistert von Raphaels durchtrainiertem Körper gewesen und hat eigentlich nie eine Möglichkeit ausgelassen, einen Blick darauf zu werfen. Dieser Drang scheint noch immer in Michael zu schlummern. Denn obwohl der Junge den Kopf abgewendet hat, starrt er seinen Meister aus dem Augenwinkel heraus an und zwar so sehr, dass es erstaunlich ist, dass er keinen Krampf in den Augen bekommt oder sie ihm gar rausfallen. Ja, der Anblick dieses Mannes ist unglaublich und er zieht Michael wie magisch an, obwohl er weiß, dass es unhöflich ist, jemanden so anzustarren. Doch sieh sich einer nur diesen Körper an und behaupte dann, dass es kinderleicht wäre wieder wegzuschauen. Diese Muskeln, jede Stelle seines Körpers perfekt trainiert und definiert. Die leicht gebräunte Haut, straff und von zarten, weißen Narben übersäht, die die Geschichte eines großen Kriegers erzählen. All das hat Michael schon öfter gesehen, wenn sein Meister ohne Hemd oder nur in Shorts vor ihm stand. Doch nun ist es anders. Nun kann er ihn ganz nackt sehen. Sehen, was ihm, mit Ausnahme der letzten Woche, sonst immer verborgen geblieben ist. Kein Wunder also, dass sich sein Blick wie festgeklebt daran hält, ehe ihm Schaum und Wasser die Sicht nehmen. In diesem Moment fühlt er sich noch beschämter, dennoch wandert sein Blick mit der Wasserlinie hinauf. Er zählt die deutlich abgegrenzten Bauchmuskeln, dann folgt die männliche Brust und die kräftigen Arme, die Sicherheit und Stärke vermitteln. Die breiten Schultern und schließlich das Gesicht. Das markante Kinn, blassrasa Lippen mit einem kecken Lächeln. Das rechte Auge von einer schwarzen Klappe verborgen, unter der deutlich sichtbar eine Narbe hervorsticht. Der Anblick darunter mindestens so traurig wie furchteinflößend. Dafür ist das linke Auge umso wacher. Seine giftig gelbgrüne Farbe gleicht einer Warnung, die in Anbetracht des Temperaments ihres Besitzers mehr als gerechtfertigt ist. Die Färbung ist so stechend, dass man das Gefühl hat, er könnte einem damit direkt in die Seele schauen. Und wenn er wütend wird, ist es, als würde ein Blick genügen, um einem das Herz zum Stillstand zu bringen. Die wirren, feuerroten Haare unterstreichen das Ganze noch mehr. Wenn sie einen nicht schon warnen, dann muss man ihm nur in das einsame Auge blicken und seine imposante Erscheinung auf sich wirken lassen und schon vergisst man jeden Ärger, den man mit ihm anzetteln wollte. Schließlich sitzt Raph in der Wanne, lehnt sich mit einem wohligen Seufzer zurück, legt die Arme auf dem Rand ab und blickt dann mit seinem kecken Lächeln zu dem Jungen hinüber. Erst jetzt wird dem Nunchakuträger bewusst, dass Raphael ja etwas zu ihm gesagt hat. Gleichzeitig wird ihm bewusst, wie sehr er seinen Meister doch angestarrt, woraufhin sich seine Wangen noch einen Ton dunkler färben. „Oh, ´tschuldigung…“, bringt er knapp hervor und wendet den Blick nun wirklich zu Boden. Raph gibt ein kleines Lachen von sich. „Halb so wild. Früher wurde ich andauernd angestarrt, dass stört mich nicht. Vorausgesetzt natürlich, ich krieg jetzt auch was zu sehen!“ überrascht wendet Michael den Blick wieder zu ihm, seine Wangen noch einen Schlag dunkler. „Wie bitte…?“ „Du hast mich schon verstanden oder willst du etwa mit Klamotten baden gehen? – Hab dich nicht so mädchenhaft. Du bist nicht der erste Junge, den ich nackt sehe, schließlich hatte ich drei Brüder. Und außerdem hast du mich doch auch mehr als genau gesehen.“ Raphaels Argumente sind durchaus richtig, nur mit dem Unterschied, dass Michael sich nicht daran erinnern kann, dass er auch einst drei Brüder hatte und sein Meister daher im Moment der einzige Mann ist, den er je ganz nackt gesehen hat. Zudem kommt noch, dass Michael seinem Meister nie ohne Unterwäsche begegnet ist und er es daher unangenehm findet, sich jetzt einfach so vor seinen Augen ausziehen zu müssen. Dennoch kann er nicht abstreiten, dass das Ganze etwas unglaublich Reizvolles an sich hat. Trotzdem wendet der Blonde ihm den Rücken zu, als er sich langsam auszieht. Dabei kann sich Raph ein Grinsen absolut nicht verkneifen. Ganz egal wie sehr sich der Junge auch bemüht, am Ende wird der Rote dennoch bekommen, was er will! Er hat über zehn Jahre auf diesen Moment gewartet, was machen da schon ein paar weitere Tage oder Stunden? Und wie der Junge sich jetzt so unbeholfen versucht auszuziehen, ist auch kein schlechter Anblick. Mikey hatte schon immer einen äußerst süßen Hintern und nach so langer Wartezeit erscheint er Raph nun noch viel süßer. Daher ist es nur allzu verständlich, dass sein Blick sich besonders auf diese Stelle konzentriert. Doch noch ist der begehrte Körperteil von der verschwitzten Uniform bedeckt. Obwohl man fairerweise sagen muss, dass gerade der enge, schwarze Stoff ihn noch mehr zur Geltung bringt. Bevor sich Raphael jedoch zu sehr an dieser besonderen Stelle festsieht, hebt er den Blick und betrachtet die langsam sichtbar werdende Haut. Mit einem leisen Rascheln landet das orange Bandana, das dem Jungen nun als Gürtel dient, auf dem Fliesenboden. Mit einem Klappern folgen die Nunchakus und die kleine Bauchtasche. Nun ist der Körper des Jungen nur noch mit Stoff bedeckt, der auch bald das Zeitliche segnen wird. Zugern wäre Raph jetzt derjenige, der ihn von diesen ach so störenden Klamotten befreit. Doch er reißt sich zusammen, auch wenn das warme Wasser nicht gerade förderlich für seine ohnehin schon angeschlagene Beherrschung ist. Krampfhaft beißt er sich auf die Unterlippe, bis der Schmerz fast unerträglich wird und sich ein feiner Blutgeschmack in seinem Mund ausbreitet. Beinahe unbeholfen zieht sich der Blonde das Oberteil über den Kopf. Darunter kommt seine leicht gebräunte Haut zum Vorschein, überzogen von feinen, weißen Narben, an deren Herkunft er sich nicht mehr erinnern kann, sie aber dennoch Zeugen seiner Kraft und seines Mutes sind. Von hinten erinnert sein schmaler, schlanker Körper sehr an ein Mädchen. Die fast schulterlangen, blonden Haare unterstreichen diesen Gedanken nur noch. Jetzt ist die Hose dran und schon klebt Raphaels Blick wieder an Michaels Hintern. Unter der schon engen Hose kommt eine Shorts zum Vorschein, die so eng ist, dass man der Meinung sein müsste, dass es unmöglich für einen Mann wäre, sie überhaupt anziehen zu können. Doch dem scheint nur so, der Stoff ist weit elastischer, als er aussieht. Der Anblick der verboten engen Shorts lässt den Führer wieder schmunzeln. Auf der rechten Pobacke prangert ein großer, roter Fußabdruck, das Symbol des Foot-Clans. Gedanklich stellt sich der Rote vor, es wäre ein Handabdruck, sein Handabdruck und er hätte den Jungen damit markiert. Diese Vorstellung bringt ihn wieder fast um den Verstand und er beißt sich erneut schmerzlich auf die Unterlippe. Dass Michael die Shorts jetzt auszieht, macht seine verzweifelte Suche nach Beherrschung fast völlig zu Nichte. Dennoch starrt er wie ein ausgehungerter Wolf darauf. Der Anblick ist noch viel umwerfender, als er ihn in Erinnerung hatte. Ein schweres Seufzen drängt sich durch seine Lippen und er hofft inständig, dass der Bengel es nicht hört. Ansonsten wird er wohl augenblicklich die Flucht ergreifen und Raph ist wieder nur mit sich selbst allein, was er beim besten Willen nicht mehr ertragen kann. Mit roten Wangen und den Händen vor seinen Unterleib gelegt, dreht sich der einst so offenherzige Junge herum um und sieht ihn nervös an. Der Saikämpfer versucht sich seine Begeisterung nicht anzumerken und lockt den Blonden mit seinem Finger näher. Beinahe widerwillig tritt der Kleinere an den Whirlpool heran. Hilfsbereit reicht Raph ihm eine Hand, um ihm den Einstieg zu erleichtern. Nicht ohne den Gedanken, dass er so noch ein bisschen mehr zu sehen bekommt. Der Rand ist so hoch, dass man zwei Hände braucht, um raufzukommen und so sieht der Ältere doch, was der Blonde versucht hat zu verstecken. Raph hatte schon früher auch Gefallen an Jungs gehabt, doch bis heute hat ein männlicher Körper nie so reizvoll gewirkt, wie der seines kleinen Bruders. Mit einem wohligen Geräusch lässt sich der Chaosninja in das heiße Wasser gleiten und scheint dabei augenblicklich seine vorherigen Bedenken zu vergessen. Dass Raph ihn nur allzu offensichtlich anstarrt, merkt er gar nicht. „Das ist wirklich schön~“, summt der Junge und Raphael räuspert sich angestrengt. „Na, siehst du. War also eine gute Idee von mir.“, erwidert er und sucht nach etwas, womit er sich ablenken kann. Egal wie aufgebracht er jetzt auch ist, es darf nicht hier passieren, wo sie jederzeit entdeckt werden könnten. Nachdenklich lehnt er sich wieder an den Rand und blickt einen Moment zur Decke. Wie gern hätte er jetzt ein Kippe, um seinen Kopf freizubekommen. Dann beobachtet er im Augenwinkel, wie der Junge verspielt den Schaum von seinen Händen bläst. Unweigerlich muss er wieder daran denken, wie er vor so unendlich langer Zeit mit seinen Brüdern zusammen gebadet und Mikey jedes Mal das halbe Badezimmer unter Wasser gesetzt hat. Schmunzelnd betrachtet er den Blonden neben sich, bis dieser ihn fragend ansieht. Wieder räuspert sich der Rote. „Weißt du, früher hab ich immer mit meinen Brüdern zusammen gebadet…“, beginnt er und sieht wie der Kleine ihn mitleidig anlächelt. „Das war bestimmt schön…“ Raph lacht auf. „Ja, das war es, aber auch anstrengend. Mein kleiner Bruder Mikey hat immer ein riesen Theater gemacht. Den Schaum durch das ganze Zimmer geblasen und alles mit Wasser bespritzt. Er war kaum zu bändigen und hat aus jedem Bad ein Abenteuer gemacht.“ Gedankenverloren starrt der Einäugige ins Leere. Sein sonst so stechendes Auge ist mit einem matten Schleier überzogen und seine Stimme klingt belegt. Traurigkeit macht sich in dem Blonden breit und er überlegt, wie er seinen Meister aufmuntern könnte. „Früher hab ich mich immer nach Ruhe gesehnt. Konnte das Engergiebündel oftmals gar nicht ertragen, ohne völlig auszurasten. Doch jetzt – jetzt fehlt er mir jeden Tag mehr. Es ist zu ruhig, alles so vorhersehbar und durchgeplant. Das war mit Mikey nie möglich, egal wie viel Mühe sich Leo oder Donnie auch gegeben haben. Es war…“ Raph spürt deutlich wie sich die verhassten Tränen hinter seinem Auge sammeln und er ringt verzweifelt um Beherrschung. Das Letzte, was er sich antun möchte, ist, sich vor dem Jungen so eine Blöße zu geben. Warum musste er ihm auch diese Geschichte erzählen? Gerade als er denkt, dass er die Tränen keinen Moment länger zurückhalten kann, trifft ihn auf einmal ein warmer Wasserstrahl am Kinn. Überrascht zuckt der Saikämpfer zusammen und blickt neben sich. Michael hat die Hände zu einem Trichter geformt und zielt mit dem Wasser auf ihn. Diesmal trifft er Raphaels Brust. Er lächelt verhalten, doch in seinen blauen Augen glänzt der freche Tatendrang von einst. „Ich hoffe, dass ist ok. Ich wollte Euch etwas ablenken…“ Ein warmes Gefühl unendlicher Zuneigung breitet sich in dem Roten aus, er lächelt sanft. „Ja, das ist prima.“, erwidert er, ehe er anfängt zurück zu spritzen. Binnen weniger Augenblicke entbrennt eine wilde Wasserschlacht zwischen den beiden. Es scheint genau wie früher. Unförmige Schaumflocken segeln durch die Luft, Wasser spritzt überall hin und das laute Lachen und angestrengt Luftschnappen der beiden erfüllt den ganzen Raum. Raph fühlt sich wie in der Zeit zurückversetzt, all das Leid der letzten Jahre vollkommen vergessen. Er bäumt sich im Wasser auf und macht sich bereit den frechen Bengel vor sich unterzutauchen. „Na, warte, Mikey, du kannst was erleben!“, lacht er fröhlich, ohne sich dem Fehler des Namens bewusst zu sein. Kurz bevor er den Jungen zu fassen bekommt, sieht er jedoch seinen bestürzten Gesichtsausdruck und hält inne. „Ich heiße aber nicht Mikey!“, kommt es empört von dem Blonden. Schlagartig wird dem Führer bewusst, was er gesagt hat, wo er sich eigentlich befindet und was alles passiert ist. Verwirrt lässt er sich ins Wasser zurücksinken und starrt mit offenem Mund den Jungen vor sich an. „Es – es tut mir leid. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, doch es kommt nicht wieder vor…“, versucht sich der Ältere zu rechtfertigen. „Ist schon gut, Meister. Ich weiß doch, wie sehr er Euch fehlt. Da ist es nur allzu verständlich, wo ich ihm doch so ähnlich sehe. Doch ich finde es sehr unangenehm so angesprochen zu werden.“ Der sonst so temperamentvolle Mann senkt betrübt den Blick. „Das kann ich mir vorstellen. – Ich denke, wir sollten das Bad jetzt beenden…“ Dem Gedanken kann Michael nur zustimmen und so ziehen sie den Stöpsel und steigen aus dem Whirlpool. Schweigend trocknen sie sich ab und ziehen sich frische Sachen an. Im Geiste geht Raph das Ganze noch einmal durch. Bisher ist es ihm, trotz aller Ähnlichkeiten mit seinem früheren Ego, gelungen, den Jungen nicht mit seinem richtigen Namen anzusprechen. Er war sich nie genau sicher, was passieren würde, wenn es ihm einmal rausrutscht. Doch bei einer Amnesie kann etwas Bekanntes dafür sorgen, dass man seine Erinnerung wiederfindet. Aber nach all der Zeit, die er schon mit Michael verbracht hat, ist er sich nicht mehr sicher, ob es gut wäre, wenn er sich an sein früheres Leben erinnert, erst recht, wenn er mit ihm noch weiter geht, als jetzt. Vielleicht würde es Mikey ja wirklich nicht gefallen, mit seinem eigenen Bruder ins Bett zu steigen, wie Leo ihm damals immer gesagt hat, wenn Raph des Nachts versucht hat sich dem Blonden unsittlich zu nähern. Doch Michael ist nicht sein Bruder, zumindest gedanklich nicht, von daher gibt es diesen Widerspruch nicht. In dieser Hinsicht kann Raphael also heilfroh sein, dass der Junge so forsch reagiert hat und er noch mal davon kommt. Doch wer weiß, ob es beim nächsten Ausrutscher noch genauso ist oder seine Erinnerung dann doch zurückkommt? ‚Ich muss vorsichtig sein!‘, harscht er sich selbst an und ahnt nicht, von welch kurzer Dauer diese Ermahnung doch sein wird. Gemeinsam verlassen sie das Bad und gehen in Richtung von Raph´s Zimmer. Michael möchte ihn jetzt noch nicht allein lassen. Sein Meister wirkt so schrecklich traurig wegen dem Verlust seiner Familie, dass der Blonde fürchtet, er könnte es zu sehr in sich hineinfressen und wohlmöglich etwas Dummes tun. Solange Raph ihn aber in seiner Nähe haben möchte, ist alles in Ordnung. Also folgt er ihm schweigend und überlegt sich wie er ihn am besten aufmuntern könnte. Als sie im Zimmer des Führers ankommen, hat Raphael seine Verlustgefühle aber schon wieder weggesperrt und erinnert sich daran, weshalb er eigentlich wollte, dass der Junge mit ihm badet. Der Gedanke an Mikey wäre jetzt auch unangebracht, da er dafür keinen Vergleich hätte. Was er sich von Michael wünscht, konnte er mit Mikey nie ausprobieren. Einerseits wegen Leos ständigen Unterbrechungen, andererseits wegen dem Krieg, der alles zerstört hat, was er sich so mühevoll aufgebaut hatte. Langsam erwacht in ihm wieder das alte Verlangen und er weiß auch schon ganz genau, was er jetzt am liebsten hätte. Geschickt zieht er den Stuhl hinter seinem Schreibtisch hervor und stellt ihn daneben. Lässig setzt er sich und blickt den Jungen an, der nachdenklich in einiger Entfernung steht. Michael möchte ihm gern helfen sich besser zu fühlen, doch er weiß absolut nicht wie er das anstellen soll, ohne den Meister erneut an seinen Bruder zu erinnern. Mit einem leisen Seufzen sieht er auf. „Meister, ich würde Euch gern aufmuntern, aber ich weiß nicht wie…“, gesteht er schließlich. Nachsichtig lächelt der Rote ihm zu. „Das ist doch nicht schlimm. Ich wüsste da schon was.“ Michaels Gesicht hellt sich dankbar auf. „Was ist es?“ Ein herausforderndes Lächeln ziert Raphaels Lippen und das wohlbekannte Funkeln kehrt in sein Auge zurück. „Du weißt doch sicher noch, was du letzte Woche hier gemacht hast, oder?“, fragt er beinahe unschuldig und lächelt weiterhin verschlagen. Unsicherheit gleitet über das Gesicht des Jüngeren. „Ja…?“ Es gibt nur eine einzige Sache, die der Saikämpfer meinen kann. Allerdings ist das nicht das, was Michael mit Aufmuntern gemeint hatte. Doch wenn es ihm hilf, seine verstorbene Familie zu vergessen, bleibt dem Kleineren wohl nichts anderes übrig. Röte breitet sich auf seinen Wangen aus und er leckt sich verhalten mit der Zunge über die trocknen Lippen. „Gut, dann komm her und hilf mir vergessen, Junge!“, fordert der Führer ihn auf und spreizt wartend die Beine auseinander. Mit einem Schlucken geht der Blonde vor ihm auf die Knie und rückt dicht zu ihm heran. Sanft streicht Raph ihm über die Wange. „Guter Junge!“, raunt er leise. Etwas unsicher lächelt der Nunchakuträger ihm zu. Er kann sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wie es letzte Woche dazu kam, dass er hier kniete und seinem Meister auf so unanständige Weise nahe kam. Doch er kann sich noch an Raph´s fordernden Tonfall erinnern, der ihn irgendwie dazu gebracht hat, diesen Schritt zu wagen. Der Ältere schien sehr zufrieden und Michael hat sich ihm viel verbundener gefühlt, auch wenn er nie gedacht hätte so etwas mal mit einem anderen Mann zu machen. Schlecht hat er sich dabei aber nicht gefühlt. Nur nervös in seiner Unwissenheit. Doch jetzt weiß er ja, was er tun muss. Dennoch ist er unruhig und hofft alles richtig zu machen, damit sein Meister zufrieden mit ihm ist. Tief atmet er ein und aus und befreit sein Gegenüber dann von Hose und Shorts. Raphaels Vorfreude ist nicht zu übersehen, reckt sich dem Jungen doch schon seine Erregung entgegen. Gedankenverloren lässt Raph seinen Kopf gegen die Lehne sinken und beobachtet den Jungen verträumt. „Komm, mach deinen Meister glücklich!“, raunt er ihm erregt zu. Langsam hebt der Chaosninja die Hände und schließt vorsichtig seine schlanken Finger um die erhitzte Haut. Das allein reicht schon, um Raph ein Seufzen abzugewinnen. In freudiger Erwartung klammern sich seine Finger an den Armlehnen fest. Dann beugt sich der Blonde vor und kurz darauf kann Raphael seinen Atem an sich spüren. Ein wohliger Schauer jagt ihm den Rücken rauf und runter und er seufzt wieder. Letzte Woche war es nicht so heftig. Er hat zwar lange auf diesen Augenblick warten müssen, dennoch war seine Beherrschung größer, als jetzt, da er den unerfahrenen Jungen nicht verängstigen wollte. Jetzt, wo er weiß, dass der Bengel sich nicht so pingelig hat, wie es am Anfang schien, hat er kein Problem damit, sich gehen zu lassen. Außerdem war es wirklich schön und erfüllend gewesen, dass sein ganzer Körper sich danach verzehrt hat und das nächste Mal kaum abwarten konnte. Eine gefährliche Mischung, wenn er seine Beherrschung doch so dringend braucht, damit nicht die ganze Insel merkt, was zwischen ihnen vor sich geht. Langsam öffnet der Junge weiter den Mund und lässt das erhitzte Organ hineingleiten. Der Saikämpfer legt den Kopf in den Nacken und stöhnt. Tief graben sich seine Nägel in das Leder der Armlehnen, hinterlassen unschöne weiße Kratzer darauf. Alles ist vergessen, sein Kopf völlig leer und dennoch beißt er sich fest auf die Unterlippe, um es nicht schon jetzt zu beenden. Nur ein Gedanke brennt in seinem Kopf, es heute endlich zu schaffen und den Jungen in sein Bett zu bekommen. Ja, er hält es definitiv nicht mehr länger aus und betet dafür, dass Michael freiwillig mitspielt. Er will ihn nicht zwingen müssen und ihm unnötig Angst einjagen oder gar wehtun. Schließlich soll es doch für sie beide befreiend sein und der Anfang einer intensiven Beziehung werden und nicht Furcht zwischen ihnen säen. Geschickt bewegt Michael seinen Kopf auf und ab, übt Druck mit seinen Fingern und Lippen aus, reibt mit seiner Zunge an der festgespannten Haut entlang. Er schmeckt die herbe Süße seines Meisters, wobei ihm selbst ganz warm wird. Das Ganze hat etwas ziemlich erregendes an sich und in dem Jüngeren bildet sich nicht zum ersten Mal der Wunsch ebenfalls von dem Roten berührt zu werden. Raphaels Stöhnen erfüllt nunmehr den ganzen Raum. Dies wiederum entfacht in dem Nunchakuträger eine Macht, der er sich nur in so einer Situation sicher ist. Er allein kann bestimmen, wie lange dieses Spielchen geht. Er kann Raph hinhalten, ihn ein bisschen quälen oder ihn auch ganz überraschend davon erlösen. Ein merkwürdiges Gefühl, doch irgendwie äußerst aufregend. Wann hat man schon die Gelegenheit, seinen sonst so toughen Meister vollkommen aus dem Konzept zu bringen und ihn so hilflos ergeben stöhnen zu hören? Es weckt nur noch stärker den Wunsch in ihm, auch so liebevoll von ihm behandelt zu werden. Kein Wunder also, dass es in seiner eigenen Hose langsam eng wird. Raphael hingegen verliert langsam völlig den Bezug zur Realität. Er zittert am ganzen Körper und hält es kaum noch aus. Sein Keuchen geht schwer und sein Herzschlag dröhnt in seinen Ohren wie ein Güterzug. Wie schon in der Wanne vergisst er alles, was jetzt ist und taucht voll und ganz in seinen Wunschtraum ein. Angestrengt beugt er sich etwas vor und legt dem Jungen die Hände auf den Kopf. Etwas irritiert lässt Michael es geschehen, ahnt er doch nicht, was gleich auf ihn zukommt. Letzte Woche war sein Meister viel gefasster und blieb die ganze Zeit im Stuhl versunken sitzen. Als es ihm zu viel zu werden schien, hat er das Ganze abgebrochen und es Michael mit der Hand beenden lassen. Doch heute scheint Raph es noch etwas länger auskosten zu wollen. Plötzlich verkrampft sich der Rote jedoch völlig und drückt dabei den Kopf des Jungen noch weiter hinunter. Die harte Erregung stößt ruckartig gegen seinen Gaumen und löst augenblicklich seinen Schluckreflex aus. Das zündet schlagartig das Feuerwerk in Raphaels Gehirn. Er wirft den Kopf in den Nacken, klammert sich an den blonden Haaren des Jungen fest und stöhnt laut. „Oh Gott, Mikey~!“ Im selben Moment schießt ein Strahl heißer Flüssigkeit in Michaels Mund. Überrascht reißt der Kleine die Augen auf und befreit sich hustend aus Raph´s Griff. Zur selben Zeit wird ihm klar, dass sein Meister ihn wieder beim Namen seines toten Bruders genannt hat und seine eigene Erregung löst sich schlagartig in Luft auf. Unterdes lässt sich Raphael vollkommen zufrieden in den Stuhl zurücksinken und ahnt nicht, was er mit seinem Ausspruch angerichtet hat. Er setzt sogar noch einen drauf. „Mensch, Mikey, das war einfach unglaublich…“, seufzt er erschöpft. Michael kann es hingegen einfach nicht glauben. Was soll das denn? Was für eine abartige Beziehung hatte er bitte zu seinem Bruder? Doch eigentlich will er das überhaupt nicht wissen, er will nur nicht damit in Verbindung gebracht werden. Wütend springt der Blonde auf und ballt die Fäuste. „ICH BIN ABER NICHT MIKEY!“, schreit er seinem Meister ungehalten entgegen und kann selbst nicht glauben, wie nah ihm das Ganze geht. Noch völlig vom Nachklang seines Höhepunkts eingenommen, wendet Raph ihm perplex das Gesicht zu. Er versteht die Aufregung seines Bruders beim besten Willen nicht. Wie kann er behaupten, es nicht zu sein, wenn er doch direkt hier vor ihm steht? Moment, irgendwas stimmt nicht. Warum zum Teufel trägt Mikey die Uniform eines Foot-Ninja? Und wo ist er hier eigentlich? Jedenfalls nicht Zuhause, so viel steht schon mal fest. „Ich versteh nicht…“, kommt es schließlich durcheinander von dem Roten. „Ist völlig egal! Doch nennen Sie mich nicht immer wie Ihren toten Bruder! Das ertrag ich nicht, Meister!“, platzt der Junge hervor. Meister? Jetzt versteht Raph gar nichts mehr. Dann jedoch trifft es ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Alles hagelt auf ihn nieder: der Krieg, der Tod seiner Familie, Mikey´s Amnesie. Nein, er ist nicht Mikey, er heißt jetzt Michael und hält ihn jetzt wahrscheinlich für vollkommen pervers. Schwankend steht Raphael auf und versucht sich dem Blonden zu nähern. „Es ist nicht so wie du denkst! Es war ein Versehen und kommt nicht wieder vor, ehrlich…“, versucht sich der Saikämpfer zu rechtfertigen. Doch der Chaosninja hat genug. „Nein! Dasselbe habt Ihr vorhin im Bad auch schon gesagt! Es reicht!“ Ungeschickt versucht der Rote ihn an der Hand zu fassen zu kriegen, um sich auszusprechen. Doch es ist ein Leichtes für den Jüngeren sich aus dem halbherzigen Griff des anderen zu befreien. Im Moment ist Michael viel zu aufgewühlt, um wahrzunehmen, wie unangebracht er sich seinem Meister gegenüber verhält. Seine Gefühle sind verletzt und er will nur noch weg. „Fassen Sie mich nicht an!“, gibt er energisch von sich, ehe er sich umdreht und durch die Tür davonstürmt. „Michael!“, ruft der Saikämpfer ihm noch nach, doch es hat keinen Sinn. Kraftlos lässt er sich auf die Knie sinken und schlägt ungehalten mit den Fäusten auf den Boden. „Verdammt, verdammt, verdammt!“ Tränen kullern über seine Wangen. Warum konnte er nur seine große Klappe nicht halten? Er hat doch noch nie so einen Schwachsinn beim Höhepunkt von sich gegeben, warum dann ausgerechnet jetzt? Ein letztes Mal schlägt er schwach mit der Faust auf den Boden, ehe er sich auf den Rücken rollt und die Tränen fließen lässt. „Ich hab alles kaputt gemacht! – Dabei liebe ich dich doch…“ In der Zwischenzeit ist Michael zu seinem Zimmer gerannt. Vollkommen fertig lässt er sich auf seinen Futon fallen und vergräbt sein Gesicht im Kissen. Heiße Tränen rinnen seine Wangen hinab und die Daunen ersticken sein Schluchzen nur bedingt. „Warum nennt er mich immer wieder so?“, wimmert er, als könnte ihm jemand eine Antwort darauf geben. „Warum nur? – Was hab ich getan, um das zu verdienen? – Ich wollte ihm doch nur nahe sein, ihn lieben. – Und jetzt tut es so weh…“ Dissolute... ------------ Eine Woche später… Einige Tage sind vergangen und so konnten die Gemüter der beiden wieder etwas abkühlen. Dennoch begreift Raph noch immer nicht, wie er so dumm sein und damit alles aufs Spiel setzen konnte. Sein einziges Glück besteht darin, dass Michael noch immer an Gedächtnisschwund leidet und sich nicht erinnern kann, dass sie Brüder sind. Dennoch muss sich der Rote zusammenreißen, denn wer weiß schon, wie lange das Ganze noch anhält? Schließlich hat er keine Ahnung wie Mikey auf das alles hier reagieren könnte. Positiv wahrscheinlich nicht gerade, wenn er nun unter der Flagge der Foot leben soll, die er sein Leben lang zutiefst verachtet und bekämpft hat. Andererseits würde der Blonde es definitiv besser aufnehmen, als es Leo oder Donnie jemals könnten. Nachdenklich kratzt der Führer mit seinem Krallenhandschuh über die Armlehne seines Throns. Wie sehr wünscht er sich jetzt seine Brüder hierher und all das ungeschehen. Doch die Hoffnung, wieder ein normales Leben führen zu können, starb mit jedem Jahr, das verstrichen ist, ein weiteres Mal und mittlerweile ist sie so tief verscharrt, dass sie niemals wieder an die Oberfläche kommen kann… Aber er muss auf jeden Fall verhindern, dass dasselbe mit seinen Gefühlen zu dem Nunchakuträger passiert. Er will ihn nicht verletzten. Will ihm nur eine Stütze in dieser seltsam fremden Welt sein und ihm Trost spenden. Dafür muss es ihm aber gelingen, den Jungen für sich zu gewinnen und dabei nicht wieder alles kaputt zu machen. Warum ist es nur so schwer? Ganz einfach, weil sein Bruder vor ihm steht, den er abgöttisch liebt, dieser sich aber an nichts erinnern kann und Raphaels Gefühle sich förmlich überschlagen. ‚Ich muss einfach meine vorlaute Klappe halten, das hat mir Splinter schon immer versucht einzutrichtern und jetzt versteh ich auch endlich warum…‘ Der Gedanke an seinen Sensei und Vater trifft ihn schmerzlich ins Herz. So oft hat er sich schon gewünscht, Yoshi wäre noch hier und könnte ihm helfen. Er wäre sicher auch ein viel besserer Führer. Dann gäbe es auch nicht diese Mauer, die Michael und ihn trennt, sondern sie könnten gleichwertig sein. Das würde vieles einfacher machen, doch leider sieht die Wirklichkeit wie immer anders aus. Seufzend versucht er Chens Ausführungen zu lauschen, doch eigentlich hört er ihn gar nicht. „Meister? Habt Ihr mir überhaupt zugehört?“, fragt der Japaner etwas verstimmt. Gedankenverloren scheint der Saikämpfer immer noch nicht bei ihm zu sein. „Meister?“, hakt Chen erneut nach und tritt einen Schritt näher. Plötzlich schlagen Raphaels geballte Fäuste hart auf die Armlehnen und ein zorniges Knurren ertönt. Überrascht weicht Chen wieder einen Schritt zurück. Ungehalten erhebt sich der Foot-Clan-Führer und durchbohrt ihn mit seinem einsam verbliebenen Auge wie mit einem scharfen Messer. „Ich habe dir zugehört, verflucht! Doch ich hab jetzt andere Sorgen, als mir deinen langatmigen Bericht anzuhören! Also geh wieder an die Arbeit und lass mich in Ruhe!“, weist er den Schwarzhaarigen an. Irritiert blickt Chen ihn an. „Stimmt etwas nicht, Meister?“, versucht er nachzuhaken. „Das verstehst du eh nicht und ich werde es dir auch nicht sagen. Ich brauch jetzt frische Luft und Zeit zum Nachdenken. Also sorg dafür, dass mich niemand stört!“ Mit schweren Schritten verlässt der Rothaarige den Thronsaal und begibt sich nach draußen. Verwundert bleibt Chen zurück und zuckt mit den Schultern. Manchmal ist sein Meister so verschlossen und schwer zu verstehen, dass der Japaner absolut nicht weiß, was er tun soll. Und dabei hatte er doch schon öfter das Gefühl zu ihm durchgedrungen zu sein. Seufzend verlässt er ebenfalls den Saal und widmet sich dem Trainingsplan für den morgigen Tag. Derweil hat Raph seinen Weg fortgesetzt. Doch die Insel wirkt verlassen. Die Foot sind entweder auf Patrouille oder sie helfen auf der Nachbarinsel. Wenn er das Auge schließt und sich konzentriert, kann er einige Stimmen in der Ferne hören. Bei dem sonnigen Wetter scheinen sie ausgelassen. Die Arbeit geht ihnen sichtlich leichter von der Hand. ‚Vielleicht bringt mich das Ganze auf andere Gedanken…‘ So macht sich der temperamentvolle, junge Mann auf den Weg zur Nachbarinsel. Dort angekommen erklimmt er unbemerkt das ehemalige Krankenhaus, das den Überlebenden des Krieges nun Unterschlupf bietet. Auf dem flachen Dach des Gebäudes stehen einige Stühle verstreut und ein Tisch liegt auf der Seite. Vermutlich hat ihn eine Windböe umgestoßen. An den Beinen der Möbelstücke sind Seile befestigt, damit sie nicht davon geweht werden. In warmen Nächten sitzen einige der Leute gern hier oben und blicken in den Himmel, spielen Karten oder reden einfach nur miteinander. Doch hier oben wird auch gern gesungen und getanzt. Ein Platz der ausgelassenen Freiheit. Aber auch ein perfekter Ort, um sich einen guten Überblick zu verschaffen. Im Schatten des Schornsteins lässt sich der Saikämpfer nieder und betrachtet das Treiben unter sich. Er will nicht, dass man ihn sieht und sich so Unbehagen ausbreitet, daher ist dieser Platz ganz gut. Geduldig lässt er den Blick schweifen. Beobachtet wie Frauen Wäsche aufhängen und Essen vorbereiten, Männer sich handwerklich betätigen und Kinder ausgelassen spielen. Alles wirkt so normal, als hätte es nie einen Krieg gegeben. Doch wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass es sich um ein Flüchtlingslager handelt, aber die Menschen machen das Beste daraus. Zwischen alledem erblickt er Michael. Da nicht so viel zu tun ist, scheinen die Frauen ihn zum Babysitten einzusetzen. Eine Aufgabe, die sonst niemand freiwillig machen möchte, doch der Blonde scheint sichtlichen Spaß daran zu haben, mit dem guten Dutzend Kindern zu spielen. Bei seinem kindlichen Gemüt wahrscheinlich eine der besten Aufgaben für ihn. Mit wehmütigem Schmunzeln betrachtet Raphael das Ganze. Mikey war schon immer vernarrt in kleine Kinder und das ist auch jetzt noch deutlich zu sehen. Aber der Anblick des Jungen erweckt nicht nur verspielte Freude in ihm, sondern lässt seine Gefühle erneut hochkochen. Er sieht ihn nicht beim Spielen mit den Kindern. Nein, er blendet alle anderen Menschen aus und sieht nur ihn. Wie er dort lachend herum springt wie ein junges Reh, die blonden Strähnen ihm wirr ins Gesicht hängen und sich sein geschmeidiger Körper so grazil in der engen, schwarzen Uniform bewegt, das einem schwindlig werden könnte. Seine Augen leuchten und sein Lachen ist so hell und voller Unschuld wie es nur ihm eigen zu sein scheint. Das Herz des Roten beginnt heftig zu schlagen und in seinem Unterleib setzt ein leises, verlangendes Kribbeln ein. Vollkommen egal was der Junge auch immer macht, einfach alles bringt Raphael um den Verstand und er denkt nur an das eine. Fragt sich, wie lange es noch dauert, bis er es auch bekommt… Ausgelassen lässt sich der Chaosninja von dem Dutzend Kindern jagen. Für den durchtrainierten Jungen wäre es ein Leichtes, seine Verfolger abzuschütteln und ihnen so vielleicht den Spaß zu verderben. Doch das wäre absolut nicht das, was ihm selbst Spaß machen würde. Also passt er sein Tempo den Kindern an und so dauert es auch nicht lange, bis sie ihn zu fassen bekommen. Die lachenden Kinder klammern sich an ihm fest und beenden damit seine vorgetäuschte Flucht. Unter ihrem Gewicht sinkt Michael schließlich auf die Knie und wird von ihnen dann zu Boden gedrückt. Triumphierend beginnen sie damit ihn von oben bis unten abzukitzeln. Bei diesem Anblick kann Raph ein Grinsen nicht unterdrücken. Mikey ist schrecklich kitzlig, das weiß er noch zu gut. Doch erneut blendet sein vernebelter Geist die anderen Menschen aus, sodass er nur noch den Blonden vor sich hat. Unweigerlich stellt er sich vor, wie er ihn zu Boden drückt und von seinem Körper Besitz ergreift. Der Gedanke löst einen weiteren Schwall nahezu unerträglichen Kribbelns in seiner unteren Region aus und er beißt sich angestrengt auf die Lippen. Seine Hände verkrampfen sich zu Fäusten und ein Schauer jagt seinen Rücken hinab. Lange hält er es wirklich nicht mehr aus. Angestrengt schüttelt er den Kopf, um seinen Geist von diesen Fantasien zu befreien. Allerdings ist es nicht sonderlich überraschend für ihn, dass dies nicht allzu gut funktioniert. Zumindest lässt sein überfordertes Gehirn die Anwesenheit der anderen Menschen wieder zu und entschärft das Ganze damit wenigstens etwas. Seufzend reibt er sich die pochenden Schläfen und wendet den Blick ab. Eigentlich wollte er sich hier von dem Jungen ablenken. Dummerweise hat er nicht damit gerechnet, dass Michael hier sein würde und so war das Ganze wohl ein Schuss in den Ofen. Resignierend erhebt sich der Führer, wirft einen letzten Blick auf das ausgelassene Treiben dort unten und macht sich dann auf den Weg zurück zur anderen Insel. Irgendwie muss er sich noch etwas ablenken, ein wenig Zeit verstreichen lassen und sich überlegen wie er an den Bengel herankommen kann, ohne wieder in ein Fettnäpfchen zu treten. Was er nicht bemerkt, ist, dass Michael ihn gesehen hat. Normalerweise nimmt das Spielen seine gesamte Aufmerksamkeit ein, doch irgendwie kam er sich seit einer Weile beobachtet vor. Raph hat sich zwar im Schatten des Schornsteins so gut versteckt, dass er ihn tatsächlich nicht gesehen hat, doch als sein Meister nun das Feld räumt, sieht er eine Bewegung im Augenwinkel. Er lässt sich jedoch nicht anmerken, dass er ihn bemerkt hat, schließlich will er den Kindern ja nicht die Freude nehmen. Dennoch kann er sehen, dass es dem Rothaarigen nicht besonders gut zu gehen scheint. Unweigerlich muss Michael an ihren Streit vor einer Woche denken. Zwar haben sie das Ganze wieder bereinigt, dennoch hat der Blonde das Gefühl, dass es Raph härter getroffen hat, als ihn selbst. Seitdem breiten sich Schuldgefühle in dem sonst so fröhlichen Jungen aus und er überlegt fieberhaft wie er seinen Meister wieder aufmuntern kann. Etwas ist zwischen ihnen, das sie verbindet, ein zartes Gespinst aus Gefühlen, an dem beide vorsichtig knüpfen, das jedoch auch immer wieder Fehlschläge einstecken muss und zu reißen droht. Nichts würde sich der Blonde daher mehr wünschen, als ihm nahe sein zu können. Vielleicht sollte er also in diese Richtung agieren und einen ersten Schritt wagen? Seinen Meister zeigen, dass er bereit für was auch immer ist und ihm vertraut? So schwer kann das ja nicht sein, immerhin liebt er diesen Mann und möchte ihn glücklich wissen. Also nimmt er seinen Mut zusammen und beschließt ihm heute Abend einen Besuch abzustatten. Doch noch hat er hier alle Hände voll zu tun, die Kinder müde zu machen und Training steht auch noch an. In seinen Gedanken versucht er sich aber etwas einfallen zu lassen, womit er seinem Meister eine Freude machen kann. Dass Raph ganz ähnliche Gedanken hat und sich ebenfalls etwas überlegt, ahnt er nicht. Unwissend spielen sich beide also in die Hände, was die Sache vielleicht einfacher macht. Letztendlich wird es sich zeigen müssen. So ziehen die Stunden ins Land und jeder von ihnen geht seiner Arbeit nach und versucht das Beste daraus zu machen. Schließlich senkt sich der Abend über die beiden Inseln im East River und ihre Bewohner bereiten sich langsam auf die Nacht vor. In den beiden Ninjas wächst die Ungeduld mit jeder Minute, es ist kaum auszuhalten. Schließlich ist es Raphael, der das Warten einfach nicht länger ertragen kann und so lässt er nach Michael rufen, als dieser gerade erst mit dem Training fertig geworden ist und sich überlegt, wann ein guter Zeitpunkt wäre, seinen Meister zu besuchen. Daher ist er schon etwas überrascht, dass der Rothaarige ihn zu sich kommen lässt, als hätte er geahnt, dass der Jüngere mit diesem Gedanken spielt. Eine gewisse Neugierde liegt im Blick des Nunchakuträgers, als er das Zimmer des Älteren betritt. „Ihr habt nach mir rufen lassen?“, fragt er, während er die Tür hinter sich schließt. „Ganz recht.“, entgegnet der Saikämpfer. Er sitzt auf seinem Stuhl, den er wieder neben den Schreibtisch gestellt hat. In seinem Auge liegt etwas Herausforderndes. Langsam wandert sein Blick an seinem Gegenüber auf und ab, mustert ihn genau. Lässig lehnt sich Raphael im Stuhl zurück, stützt den Kopf auf die rechte Hand und spreizt die Beine auseinander. Spätestens bei dieser Geste wird Michael klar, dass sie beide wohl ganz ähnliche Gedanken hatten. „Ich denke, du weißt auch, was ich von dir möchte, nicht wahr?“ Lasziv gleitet die Zunge des Roten über seine Lippen und bestätigt die Annahme des Blonden somit nur noch. Der Junge nickt nur und nähert sich ihm dann ohne jegliches Zögern. Er geht vor ihm auf die Knie und öffnet dann die Hose seines Meisters. Ungeduldig wartend schiebt sich ihm auch schon dessen Erregung entgegen. Sanft umschließt der Jüngere sie mit seinen schlanken Fingern. Raphael gibt ein zustimmendes Brummen von sich und lässt dann den Kopf gegen die Rückenlehne sinken. Kurz darauf spürt er den heißen Atem des Chaosninjas an seiner empfindlichsten Stelle. Augenblicklich krampfen sich seine Finger im Leder der Armlehne fest und der sonst so gefasste Saikämpfer beißt sich auf die Lippen. Gedanklich versucht er sich zur Beherrschung anzuspornen, um nicht wieder denselben Fehler zu machen, ehe das Spielchen überhaupt erst angefangen hat. Michael lässt sich von alledem nicht stören, bekommt den inneren Kampf seines Gegenübers gar nicht erst mit. Sehr wohl sieht er aber im Augenwinkel wie sich die Finger des Älteren krampfen. Dies nimmt er jedoch als Ansporn, um seine Sache besonders gut zu machen. Schließlich soll es nicht wieder in einem Desaster enden, sondern für beide schön sein. Geschickt gleitet der Junge mit seiner Zunge an der erhitzen Erregung auf und ab. Langsam lässt er sie in seinen Mund gleiten und umschließt sie mit den Lippen. Das zustimmende Brummen des Führers wandelt sich in ein unterdrücktes Keuchen. Michael kann deutlich spüren wie sich sein Gegenüber zu beherrschen versucht. In ihm selbst entbrennt jedoch allmehlig eine Flamme des Verlangens. Sein Unterleib beginnt zu kribbeln, sein Herz schlägt heftig, alles in ihm verzehrt sich nach der erfahrenen Berührung des Älteren. Unbeholfen versucht der Blonde seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, damit der Rote sie nicht gleich mitbekommt. Schließlich hat Michael hier erst eine Aufgabe zu erfüllen, ehe er sich etwas Zuneigung von seinem Meister erhoffen kann. Unbeirrt macht er weiter und treibt Raphael damit immer weiter auf die Spitze. Als der Saikämpfer gedanklich mit den Füßen am Abgrund steht, wird ihm bewusst, dass es besser wäre nicht weiterzugehen. Zittrig öffnet er den Mund. „Michael, es reicht! Hör auf!”, weist er den Jungen an, ehe es zum Äußersten kommen kann. Zu seiner Überraschung gehorcht der sonst so folgsame Junge ihm jedoch nicht. Verwirrt öffnet Raph das Auge und blickt den Chaosninja an. Der Nunchakuträger ist vollkommen vertieft in seiner Arbeit. Mit geschlossenen Augen und glühenden Wangen gibt er sich alle Mühe. Der Anblick bringt Raphael schier um den Verstand. Nichts wäre schöner, als es jetzt einfach dabei zu belassen und es fortzusetzen. Doch tief in seinem Kopf schreit eine Stimme auf, die genau das zu verhindern versucht. Sie macht ihm lautstark klar, dass wieder ein unschöner Streit zwischen ihnen entbrennen könnte und er sich diesmal nicht so einfach aus der Welt schaffen lassen wird. Die Stimme hat definitiv Recht, immerhin hat der Rothaarige sich ja auch vorgenommen, es nicht so zu beenden. Etwas angestrengt richtet er sich mehr in eine sitzende Haltung auf und mustert den Jungen streng. „Michael, ich hab gesagt, du sollst sofort damit aufhören!“, fährt er ihn an. Doch wieder erhält er nicht die gewünschte Reaktion. Was ist nur los mit dem Bengel? Alles was passiert, ist, dass der Blonde die Augen öffnet und ihn durchdringend ansieht. In seinem Blick liegt etwas, dass Raph noch nie gesehen hat. Er kann es nicht beschreiben, doch irgendwie scheint es ein tiefes Verlangen zu sein und eine starke Entschlossenheit. Die blauen Edelsteine fixieren ihn so sehr, dass es Raph einen Schauer über den Rücken jagt. Doch irgendwie hat dies nichts Angenehmes mehr an sich. Aber der Führer lässt sich seine plötzliche Unsicherheit nicht anmerken und besteht auf sein Recht. Beinahe wütend starrt er den Jungen vor sich an, der seinem Blick jedoch ungerührt standhält. „Hör endlich auf mit dem Mist!“, schimpft er ihn an. Aber wieder geschieht nicht das Gewünschte. Stattdessen schließt der Junge wieder die Augen und verstärkt seine Bemühungen sogar noch. Das reicht! Raphaels Geduld ist endgültig am Ende. Da sind keine schönen Gefühle mehr, nur die alte Wut, die sein kleiner Bruder schon immer so ausgezeichnet in ihm erwecken konnte und es jetzt unbewusst wieder macht. Grob drückt Raph seinen Fuß gegen die Schulter des Jüngeren und stößt ihn dann kraftvoll von sich weg. „Hör endlich auf!“, ruft er noch, während der Blonde unsanft auf dem Boden aufschlägt. Ihre Blicke begegnen sich. In den blauen Seelen ist nichts mehr von der einstigen Entschlossenheit zu sehen. An ihre Stelle ist nun Furcht getreten, doch das Verlangen ist geblieben. Dies wird noch von der Erregung unterstrichen, die Raphael deutlich in der Hose des Jungen sehen kann. Er weiß nicht warum, aber das alles zusammen macht ihn nur noch wütender. Irgendwie hat er die Kontrolle über all das verloren und der Bengel nutzt es scheinbar schamlos für sich aus. Aber das kann der Führer des gefürchteten Foot-Clan nicht auf sich sitzen lassen! Schäumend vor Wut erhebt er sich und tritt an den Jungen heran. Dieser blickt ängstlich zu ihm auf und in diesem Augenblick verschwinden all die aufregenden Gedanken und Gefühle, die er bis eben noch von seinem Gegenüber gehabt hat. Er wird sich schwach bewusst, dass er selbst es diesmal zerstört hat und dass das Ganze nicht in einem kleinen Streit enden wird, sondern ihn eine ausgewachsene Strafe für seinen Ungehorsam erwartet. „Was fällt dir eigentlich ein? Für wen hältst du dich, dass du dich meinen Anweisungen widersetzen kannst?“, schnaubt der Rote. Sichtbar zuckt der Blonde unter der harten Stimme des anderen zusammen. Ängstlich weicht er seinem Blick aus und schweigt. Doch so einfach lässt Raph das nicht auf sich beruhen. Sein Temperament versperrt ihm einmal mehr einfach alles und er hat kein Bewusstsein mehr für sein Handeln. Grob packt er den Jüngeren und drückt ihn auf den Bauch. Er presst sich gegen ihn und fixiert ihn am Boden, sodass der Blonde sich nicht mehr bewegen kann. Trotzdem versucht er es instinktiv. Hilflos zappelt er, krallt die Hände in den dicken, roten Teppich unter sich und versucht einfach nur dem zu endkommen, was auch immer ihm jetzt blüht. „Ich werde dir ein paar Manieren beibringen, die du nicht so schnell wieder vergessen wirst, Junge! Du…“, plötzlich stockt er in seiner Ansprache und hält inne. Wie erstarrt blickt er in den Spiegel neben der Tür. Dort kann er das Gesicht des Nunchakuträgers sehen. Es sieht so verängstigt und verletzt aus. Tränen kullern über seine roten Wangen, er zittert und ein ersticktes Wimmern entkommt seinen Lippen. Dieser Anblick ist für Raphael wie ein Schlag ins Gesicht. „Bitte – bitte – tut mir nicht weh, Meister…“, presst der sonst so aufgeweckte Ninja hervor und zittert nur noch mehr unter dem kräftigen Griff seines Meisters. Der Rote hört ihn kaum, zu einnehmend ist das Bild, das ihm der Spiegel zeigt. Er kann nicht glauben, was er hier in Begriff war zu tun, wo er den Jungen doch über alles liebt. Wie konnte er sich nur so von seinem Zorn übermannen lassen? Schlagartig hageln alle Erinnerungen an ihre gemeinsame Kindheit auf ihn nieder. Wie oft hat er seinen kleinen Bruder verprügelt, obwohl es eigentlich keinen ersichtlichen Grund dafür gab? Unzählige Male. Damals hat er nie etwas bereut, höchstens wenn Splinter ihn erwischt und bestraft hat. Nun jedoch bereut er es zu tiefst, sich so hat mitreißen lassen. Eigentlich wollte er Michael doch nahe sein und ihm zeigen wie viel er ihm bedeutet und jetzt das. Geistesgegenwärtig löst er seinen Griff und erhebt sich etwas, damit der Orange durchatmen kann. Sein Wimmern hallt nun deutlich in Raph´s Kopf und beherrscht seine Gedanken wie ein Waldbrand. Er muss es ungeschehen machen, ehe sich der Kleine wieder von ihm abwendet. You're the light, you're the night You're the color of my blood Sanft dreht er den verängstigten Jungen auf den Rücken und sieht erst jetzt wie sehr er ihn erschreckt hat. Die großen, blauen Augen schwimmen in Tränen und geben Michael das Aussehen eines viel zu kleinen Kindes. Die Hände hält er abwehrend an die schmale Brust gepresst. Ein unterdrücktes Schluchzen schüttelt seinen Körper durch und bricht Raph fast das Herz. ‚Was hab ich nur wieder angerichtet?‘, geht es ihm durch den Kopf, während der Junge reglos erstarrt unter ihm liegt. „Es tut mir so leid…“, kommt es nur als schwaches Flüstern von dem sonst so toughen Führer, ehe er sich nach vorn beugt. Der Blonde kann kaum reagieren. Er zuckt heftig zusammen, dann findet er sich schon in der festen Umarmung des anderen wieder. Hilflos verkrampft er sich noch mehr. Doch dann geschieht, was er nie für möglich gehalten hätte: sein Meister küsst ihn!? Ganz will es nicht in den verwirrten Kopf des Jüngeren hinein, doch es ist wahr! Der Saikämpfer presst seine Lippen auf die seinen und küsst ihn tatsächlich ganz zärtlich. Eine kribbelnde Hitze jagt durch den Körper des Blonden und taut ihn langsam wieder auf. You're the cure, you're the pain You're the only thing I wanna touch Er hat sich das schon so lange gewünscht, dass er es kaum glauben kann, doch es passiert wirklich und es ist unglaublich schön. Die Hitze breitet sich in seinem ganzen Körper aus und löst seine Starre. Ein paar Augenblicke vergehen und dann erwidert er ganz zaghaft den Kuss. Als Raph es bemerkt, könnte er kaum glücklicher sein. Das Eis scheint gebrochen. Auch sein Körper reagiert auf diese Zusammenkunft und seine Erregung kehrt zurück. Einen Moment später kann er ganz deutlich spüren, dass es dem Nunchakuträger ganz genauso geht. Hart reiben sich die beiden erhitzen Organe aneinander und spornen die zwei an, ihren Kuss noch zu vertiefen. Haltlos klammert sich der Kleinere am Hemd seines Meisters fest und wünscht sich, dass dieser Augenblick niemals endet. Allerdings müssen sie sich kurz darauf trennen und blicken sich atemlos an. Micheals Wangen glühen, diesmal jedoch nicht vom Weinen. Sein Herz schlägt wie wild und der tränenfeuchte Glanz in seinen Augen hat sich in einen zarten Schleier der Lust verwandelt. Sprachlos blickt er zu dem Mann empor, der ihm diese neuen Gefühle beschert hat. Never knew that it could mean so much, so much You're the fear, I don't care Mit einem verhaltenen Lächeln erwidert Raphael seinen Blick. Dann findet er auch seine Stimme wieder. „Ich wollte dich nicht erschrecken und dir schon gar nicht wehtun. – Ich dachte nur, dass – ich weiß auch nicht. – Du bedeutest mir so viel und ich will dich nicht wegen solch einem Mist verlieren. – Ich liebe dich, Michael…!“ Den letzten Satz sagt er so sanft, dass es den Jungen überrascht. Wahrscheinlich gerade deswegen glaubt er ihm auch sofort. Er erwidert sein Lächeln. „Ich liebe Sie auch, Meister.“, gibt er glücklich zurück. Raph legt amüsiert die Stirn in Falten und beugt sich wieder zu ihm hinunter. „Nenn mich nicht so, wenn wir allein sind und das Siezen kannst du dir dabei auch gleich abgewöhnen. - Nenn mich einfach Raphael.“ Michaels Augen werden groß. Damit hat er nicht gerechnet und Raph verdrängt in diesem Moment auch, dass es vielleicht Mikey´s Amnesie beenden könnte, wenn er den vertrauten Namen seines Bruders hört. Doch dem scheint nicht so zu sein. „Ist das dein richtiger Name?“, fragt er stattdessen vorsichtig, obwohl sich alles in ihm wehrt seinen Meister so respektlos anzusprechen. „Ja, aber das musst du für sich behalten!“ 'Cause I've never been so high Follow me through the dark Eifrig nickt der Junge. Er kann sich nur zu gut vorstellen, dass das für Raph Probleme mit sich bringen könnte, wenn die Foot oder die Flüchtlinge es erfahren und ihn dann vielleicht nicht mehr ernst nehmen. Schließlich arbeitet Michael mit ihnen und bekommt auch oft Gespräche mit, in denen sie nicht unbedingt nette Sachen über den Rothaarigen sagen. Zudem würde es nur noch mehr unnötige Unruhen geben, wenn rauskommt, was die zwei hier so miteinander machen. Und Michael ist nicht scharf drauf, zu hören wie die Leute darüber sprechen, was Raph und er hinter verschlossenen Türen so alles treiben. Ihre Mutmaßungen reichen ihm manchmal schon völlig. „Braver Junge! – Ist alles wieder gut zwischen uns?”, hoffnungsvoll blickt er dem Kleineren entgegen. Dieser lächelt sanft und legt ihm vorsichtig die Hände in den Nacken. Tief blickt er ihm in das einzelne Auge. „Ich denke schon.“, erwidert er. „Prima, dann können wir ja weiter machen!“, flötet der Rote und küsst den Liegenden stürmisch. Etwas überrumpelt lässt der Blonde es geschehen und erwidert zaghaft. Für ihn ist das alles so neu, doch es fühlt sich auch so gut an. Let me take you past our satellites You can see the world you brought to life, to life Für Raph ist solcherlei Intimität zwar überhaupt nicht neu, schließlich war er vor endlosen Jahren mal ein richtiger Draufgänger, der absolut nichts anbrennen ließ, doch das Gefühl beim Küssen ist es definitiv. Damals konnte er es überhaupt nicht leiden geküsst zu werden, egal ob von einer Frau oder einem Mann. Es hat ihm nicht gefallen und so hat er sich immer dagegen gestellt. Doch seinem geliebten Babybruder endlich so nah sein zu können, wovon er schon so unendlich lange geträumt hat, verändert einfach alles. Zwar ist es ein seltsames Gefühl ihn zu küssen, dennoch fühlt es sich irgendwie gut an. Und wenn er es so bedenkt, scheint es Michael auf jeden Fall sehr gut zu gefallen. Deutlich kann er die Hitze und Erregung des Jungen zwischen ihnen spüren und das genügt ihm, sich für den Moment über seine Abneigung hinwegzusetzen. Michaels Finger graben sich in seine roten Haare, während sich der Kuss vertieft. Die Begierde in Raphael schwappt fast über, doch er zwingt sich zur Beherrschung. Immerhin will er den Jungen jetzt nicht doch noch verschrecken, wo er schon so weit gekommen ist. Allerdings ist es echt schwer seiner Finger in Zaum zu halten. So love me like you do, love me like you do Love me like you do, love me like you do Also wandern sie an den Seiten des Jungen auf und ab, kitzeln ihn ein bisschen, was ihm ein kleines Kichern einbringt. ‚Gut. Lass dich fallen…‘, denkt er sich. Je lockerer der Chaosninja wird, desto weniger verschreckt ihn etwas, das Raph mit ihm anstellen möchte. Langsam trennt er sich von den süßen Lippen des Jüngeren und macht stattdessen an seinen Hals weiter. Überrascht saugt der Kleine die Luft ein und legt dann den Kopf etwas weiter auf die Seite. Deutlich kann er spüren wie sich sein Meister an ihm reibt und damit die Hitze zwischen ihnen nur noch unerträglicher macht. Etwas überfordert gibt Michael ein Keuchen von sich und spreizt dann wie ferngesteuert die Beine auseinander. Nur einen Moment später nimmt der Saikämpfer diesen neu entdeckten Platz in Anspruch und kann kaum noch an sich halten. Zu lange hat er schon warten müssen. Dennoch findet er irgendwo in sich noch ein winziges bisschen Beherrschung. Seine Finger gleiten über die Brust des Jungen, hinab zum Bauch und dort unter das Oberteil. Dies bringt ihm ein weiteres Keuchen ein und die Finger des Blonden klammern sich fester in seine Haare. Touch me like you do, touch me like you do What are you waiting for? Ein süßer Schmerz wandert daraufhin Raphaels Rücken hinab und treibt ihn noch mehr an. Etwas unwirsch zieht er dem Orangen das Oberteil aus und wirft es ungeachtet zur Seite. Sein eigenes folgt nur Augenblicke später. Ebenso ihre Hosen, was den Jungen doch etwas mehr überfordert. Es geht alles so schnell, dass er es kaum realisieren kann. Nun trennt sie nur noch der dünne Stoff ihrer Shorts voneinander und das ist Michael doch etwas zu viel auf einmal. Überdeutlich spürt er die Erregung des Älteren und in seinem Kopf beginnt es zu arbeiten, was alles passieren könnte. Raph ist so viel größer und kräftiger als er, dass es ihm wahrlich Angst macht. Doch der Rothaarige lässt ihm keine Zeit für Zweifel. Er reibt sich stärker an ihm, feuchtwarme Hitze dominiert sein Empfinden. Seine Zähne an Michaels Hals, seine Hände gleiten über die nackte Brust. Geschickt fangen sie die harten Knospen ein und lassen den Jungen hilflos keuchen. Augenblicke später spürt er Raphaels heißen Atem auf der Brust und zieht lautstark Luft ein. „Nicht…“, stammelt er überfordert und blickt hinab. Dort sieht er Raph direkt in sein stechendes Auge. Fading in, fading out On the edge of paradise Der Blick darin verschlägt ihm den Atem, so durchdringend, in Erregung ertränkt und herausfordernd ist er. Michael schluckt schwer, als er sieht wie sich langsam die Zunge seines Gegenübers zwischen den Lippen hervorschiebt und er dann damit über seine Haut gleitet. Der Nunchakuträger wirft den Kopf in den Nacken und stöhnt. Sein Kopf fühlt sich an, als würde es jeden Moment platzen. Sein ganzer Körper kribbelt, wobei Raph´s Hände und Zunge überall gleichzeitig zu sein scheinen. Es bringt ihn um den Verstand. Was macht dieser Mann nur mit ihm und warum fühlt es sich so gut an? Er findet keine Antwort, bekommt keine Chance zum Denken. Erst als er spürt wie der Rote ihm die Shorts aussieht, findet er wieder einen klaren Gedanken. „Warte!“, keucht er schwer und versucht sich etwas aufzurichten. Dumpf wird ihm bewusst, dass er nun vollkommen nackt ist und Raph alles sehen kann, was er möchte. Dabei ist es nicht zu übersehen, dass seinem Meister der Anblick gefällt. Sein Blick schwappt geradezu über vor Erregung. Er weiß nicht warum, aber irgendwie erregt ihn das alles auch selbst noch mehr, auch wenn er Angst hat. Every inch of your skin is a holy grail I've got to find Only you can set my heart on fire, on fire Betont langsam streift sich Raphael seine eigenen Shorts ab und beobachtet dabei genau die Reaktion des Jungen vor sich. Seine blauen Augen fixieren augenblicklich jeden Zentimeter, der freigelegt wird und als seine Erregung zum Vorschein kommt, klappt dem Jüngeren der Mund auf und das Blut schießt in seine Wangen. Klar, er hat seinen Meister schon oft so gesehen, aber dabei war er selbst schließlich nicht nackt und es ist ja auch nichts weiter passiert. Doch jetzt wird definitiv etwas passieren. Unverhohlen starrt er die feuchte Erregung des Älteren an und unweigerlich beginnt es wieder in seinem vernebelten Geist zu arbeiten. Schlagartig wird ihm klar, dass er ja kein Mädchen und sein Körper für derlei Dinge nicht gemacht ist. Fieberhaft überlegt er wie es also sonst vonstattengehen könnte und ob es wehtun wird. Nur zu deutlich kann Raph den inneren Kampf des Jungen sehen und wird sich dabei selbst bewusst, dass das alles vielleicht etwas zu schnell geht und er den Jungen überfordert. Doch was tun? Aufhören oder weitermachen? Schließlich will er ja nicht riskieren ihn doch noch zu verschrecken, wo es doch gerade so schön war. Yeah, I'll let you set the pace 'Cause I'm not thinking straight Der Rote beugt sich zu ihm hinunter und streichelt sanft mit seiner Hand über die gerötete Wange des Jungen. „Hey, ganz ruhig. Entspann dich.“, haucht er ihm zu und lächelt aufmunternd. Unsicher erwidert der Blonde seinen Blick und nickt zaghaft. Doch es wirkt nicht so überzeugend wie Raph es gern hätte. Daher drückt er dem Kleinen noch einen Kuss auf die Lippen und fängt langsam noch mal an. Streicht ihm über die Seiten, Brust und Bauch, an den Schenkeln hinauf. Schließlich reiben ihre blanken Unterkörper aneinander. All dies heizt den überforderten Geist des Jüngeren nur noch mehr auf und irgendwann scheint er alle Bedenken zu vergessen. Keuchend liegt er unter seinem Meister auf dem dicken, roten Teppich und wünscht sich nichts mehr, als ihn spüren zu können. Nie hätte er gedacht, mal solche Gedanken haben zu können, viel zu abwegig war der Vorstellung. Doch jetzt scheinen diese Zweifel, als hätte es sie nie gegeben. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf den Zügen des Saikämpfers aus. Die Jahre mögen unaufhaltsam ins Land gezogen sein und er hat viel verloren, doch seine bestechende Technik ist ihm geblieben. My head's spinning around I can't see clear no more What are you waiting for? „Denkst du, es wird gehen?“, fragt Raphael trotz alledem. Nachdenklich sieht der aufgeweckte Junge ihn durch seine vernebelten Augen an. „Ich glaube schon.“, erwidert er schließlich mit einem Funken Unsicherheit in der Stimme. Raph findet es durchaus bewundernswert, dass der Bengel so viel Mut an den Tag legt, wo er doch so gar keine Ahnung zu haben scheint, was ihn überhaupt erwartet. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist der Rothaarige sich auch gar nicht mehr sicher, ob er ein ‚Nein‘ noch verkraften könnte. „Okay, ich bin ganz vorsichtig. Doch du musst locker bleiben, sonst tut´s weh.“ Die Worte sind nicht unbedingt so aufmunternd wie Raph vielleicht denken mag. Nervös schluckt Michael und nickt erneut. Kurz darauf spürt er etwas Heißes, Hartes gegen seinen Po drücken. Allmehlig wird ihm unausweichlich klar, was das ist und wie das Ganze zwischen zwei Männern funktioniert. Unweigerlich jagt ein Zittern durch seinen Körper, doch es ist nicht nur Angst. Ein großer Teil davon ist auch Neugierde und Lust. Also schluckt er die Angst hinunter und legt seinem Meister die Hände in den Nacken. Love me like you do, love me like you do, like you do Love me like you do, love me like you do Dieser nimmt das Ganze als Bestätigung und begibt sich in eine geeignete Position. Vorsichtig drückt er die Beine des Liegenden noch etwas auseinander und hebt seine Hüften ein Stück an. Nun spürt der Blonde die Erregung seines Gegenübers noch viel deutlich gegen sich drücken. In Vorbereitung auf das Ungewisse schließt er die Augen und klammert sich fester an seinen Partner. „Ganz locker…“, haucht Raphael ihm schwer ins Ohr, ehe er sich langsam ein Stück hineinschiebt. Als sich seine Muskeln auf so fremde Art dehnen, verkrampft sich Michael augenblicklich und gibt einen schmerzlichen Laut von sich. Der Rote hat schon fast geahnt, dass es nicht so einfach sein wird, dennoch fällt es ihm überaus schwer, sich wieder zurückzuziehen. Für ihn selbst fühlt es sich so unglaublich gut an, nach so langer Zeit einem anderen Menschen wieder nahe sein zu können, zudem einem, den er über alles liebt. Doch er weiß auch wie schwer das erste Mal ist, besonders bei zwei Männern. Von der Natur ist es so einfach nicht vorgesehen, auch wenn der Mensch nicht die einzige Rasse ist, die sich so vergnügt und damit erfolgreich ist. Touch me like you do, touch me like you do What are you waiting for? So oder so erfordert es seine Menge Vertrauen und Körperbeherrschung, damit es für beide angenehm ist. Es fällt ihm schwer, doch er reißt sich zusammen, schließlich soll es dem Jungen ja gefallen und als Grundlage für vieles andere dienen. „Ganz ruhig. Tief durchatmen…“, haucht Raph ihm zu. Zittrig saugt der Junge die Luft ein und stößt sie wieder aus. „´tschuldigung…“, gibt er schließlich von sich. Für Raphael ist es wie ein Schlag in die Magengrube. Michael scheint sich wirklich Gedanken darüber zu machen, ob sein Meister ihm jetzt böse sein könnte oder nicht. Es schlägt sich sogar im Gesichtsausdruck des Kleineren wieder. „Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Das ist ganz normal. – Konzentrier dich und lass ganz locker, dann geht´s schon.“, versucht der Saikämpfer ihn zu trösten. Mit großen Augen sieht der Junge ihn an und lächelt dann unsicher. „Ich werde es versuchen…“ Auch das klingt nicht so überzeugt, doch es ist alles, worauf Raphael bauen kann. Wieder hebt er die Hüften des Jungen ein Stück an und dieser klammert sich erneut in seinem Nacken fest. Kurz darauf werden seine Muskeln ein weiteres Mal so unnatürlich gedehnt. Love me like you do, love me like you do, like you do Love me like you do, love me like you do, yeah Diesmal ist Michael aber darauf vorbereitet, dennoch kann er nicht ganz verhindern, dass er sich verkrampft. Raph spürt die Kontraktion und hält inne. Es treibt ihn fast in den Wahnsinn und er würde am liebsten einmal fest zustoßen, um sich endlich Erleichterung zu verschaffen, doch das geht nicht. Normalerweise ist er schrecklich ungehalten und interessiert sich nicht sonderlich für das Befinden anderer Leute, doch sein Babybruder hatte schon immer etwas an sich, das ihn völlig aus dem Konzept gebracht hat und so ist es auch jetzt noch. Er hält sich zurück, auch wenn es von Moment zu Moment immer anstrengender wird. Immerhin hat der Junge diesmal keinen Schmerzlaut von sich gegeben. Raph hat sich auch nicht zurückgezogen, sondern verweilt noch immer in ihm. Das scheint auch zu helfen, so kann sich der Körper des Blonden an das Fremde gewöhnen. Abgehakt atmet der Nunchakuträger ein und aus und allmehlig lockern sich seine Muskeln und geben Raph nicht mehr das Gefühl in einer Schraubzwinge zu stecken. „Geht´s?“ Diesmal ist die Antwort des Jungen schon viel sicherer. „Ja, alles okay…“ Touch me like you do, touch me like you do What are you waiting for? Tapfer lächelt der Kleine und Raph nickt ihm streng zu. „Sag´s mir einfach, wenn es dir zu viel wird, dann hören wir auf…“ Nun ist es an dem Roten unsicher zu klingen, denn er will beim besten Willen nicht, dass es endet bevor es wirklich endet. Er hofft aber, dass Michael das nicht bemerkt. Noch sieht es aber gut aus und der Orange nickt nur wieder. Ganz langsam und vorsichtig schiebt sich Raph Stück für Stück weiter in den zierlichen Körper unter sich hinein. Zitternd klammert sich der Junge an ihm fest und beißt sich fest auf die Lippen, um dem ungewohnten Schmerz zu verdrängen. Der Saikämpfer schlingt die Arme um ihn und drückt ihn beruhigend an sich, während er sich unaufhörlich weiter vorarbeitet. Ihm brummt der Kopf und er kann echt nicht sagen wie lange er sich noch so krampfhaft zusammenreißen kann. Es ist so schrecklich eng und heiß und mit jedem Zentimeter wird es nur noch schlimmer. Eine gefühlte Ewigkeit vergeht, ehe sie endlich vollständig vereint sind. Schwer atmend gewöhnen sich die beiden an diese Tatsache. Doch der Drang in Raph wird immer schlimmer. Hilflos beißt er sich selbst in den Daumen, um es zu unterdrücken. I'll let you set the pace 'Cause I'm not thinking straight Für den Augenblick wird es besser. Auch Michael scheint in Ordnung, also kann es ja weitergehen. „Leg deine Beine um meine Hüften.“, weist Raph ihn an. Schwach versucht der Junge dem nachzukommen, letztendlich braucht er aber doch die Hilfe des Älteren. Durch diese neue Stellung wird Raph noch weiter in ihn hinein gedrückt, was dem Roten ein tiefes Seufzen entlockt. Er verlagert noch etwas mehr sein Gewicht, um in einer guten Stoßposition zu sein. Dabei drückt er an einen Punkt, der Michael schlagartig Sterne sehen lässt. Überrascht zieht er die Luft ein und gibt ein wolliges Stöhnen von sich. All der vorhergehende Schmerz ist vergessen, sein Kopf ist nur noch ausgefüllt von Lust. Er gibt ein erregtes Stöhnen von sich und hat plötzlich Raphaels ganze Aufmerksamkeit. Überrascht und neugierig mustert der Rothaarige den Jungen unter sich und fängt dann verschlagen an zu grinsen. ‚Treffer!‘, geht es ihm durch den Kopf. Vorsichtig testet er die Stelle noch einmal, damit er sie auch wiederfindet. Erneut entkommt dem Blonden ein Stöhnen und Raph´s Grinsen wird noch einen Schlag breiter. My head's spinning around I can't see clear no more What are you waiting for? Mit vernebelten Augen blickt der Orange ihn an und scheint dabei nicht ganz zu verstehen wie diese simplen Bewegungen an einer so obskuren Stelle ein so unglaubliches Gefühl in ihm auslösen können. „Na, wird dir schon schwindlig?“, neckt der Ältere ihn ein bisschen. Doch Michael antwortet nicht, vergräbt stattdessen das Gesicht in Raphaels Halsbeuge. Aber der Rothaarige braucht auch keine Antwort, der Ausdruck in seinen Augen reicht ihm völlig aus. Er reicht auch aus, um dem Saikämpfer die letzte, harterkämpfte Beherrschung zu nehmen. Dennoch bemüht er sich vorsichtig mit dem Stoßen zu beginnen, um den Kleinen nicht allzu sehr zu überfordern. Michael steckt das Ganze jedoch recht gut weg, klammert sich noch etwas fester in die roten Haare seines Meisters und schlingt die Beine enger um seine Hüften. Das treibt Raph noch viel einfacher gegen diese besondere Stelle und so stöhnt der Nunchakuträger ungehalten in das Zimmer hinein. Davon ermutigt lässt sich auch Raphael etwas mehr gehen und brummt sein tiefes Stöhnen in die Ohren seines Babybruders. Der Augenblick könnte für die beiden nicht schöner sein. Love me like you do, love me like you do, like you do Love me like you do, love me like you do, yeah Ihre Gefühle kochen regelrecht über, Denken ist schon lange nicht mehr möglich. Gemeinsam steigen sie immer höher, bis sich alles in einer gewaltigen Explosion entlädt. „Oh Gott, Raph~!“, ist alles was Michael noch von sich geben kann, dann schwappt der Höhepunkt über ihn hinweg. Einen Augenblick hat Raphael noch Zeit, um zu begreifen, dass der Junge seinen Spitznamen benutzt hat, obwohl er ihm den ja gar nicht genannt hat. Dann jedoch krampfen sich alle Muskeln um ihn herum so schlagartig zusammen, dass ihm fast die Luft wegbleibt. Es reicht aus, um auch ihn über die Klippe zu stoßen. Zitternd liegt Michael unter ihm und versucht zu Atem zu kommen. Raph ist ganz schwindlig, doch es gelingt ihm, sich etwas von dem Jungen zu entfernen und sich neben ihn auf den Teppich fallenzulassen. Auch er ringt nach Luft und sein Puls dröhnt ihm in den Ohren wie eine Buschtrommel. Raph gönnt sich einen Moment Ruhe, dann richtet er sich auf und blickt zu Michael. Dieser hat die Augen geschlossen und atmet tief und langsam. Sein Gesicht wirkt unglaublich entspannt und lässt ihn wieder wie ein kleines Kind wirken. Touch me like you do, touch me like you do What are you waiting for? Ein kleines Lächeln schleicht sich über die Züge des sonst so ernsten jungen Mannes. „Schlaf dich ruhig aus, mein Kleiner…“, flüstert er ihm leise zu. Etwas wacklig steht er auf und nimmt den schlafenden Jungen auf die Arme. Vorsichtig trägt er ihn zum Bett hinüber und legt ihn in die Laken. Liebevoll streicht er dem Blonden eine feuchte Strähne aus der Stirn, ehe er sich wieder erhebt und auf die andere Seite des Bettes geht. *Als Raphael dasteht und den schlafenden Jungen betrachtet, füllt sich sein Herz plötzlich mit einer Liebe, die so stark ist, dass es fast bedrohlich scheint. Wahrscheinlich ist ein Teil davon einfach Heimweh nach all den vertrauten Orten und Gesichtern New Yorks, die jetzt auf ewig verschwunden sind, von den vielen Jahren so gründlich ausgelöscht, als hätte es sie nie gegeben. Ein anderer Teil ist unglaubliche Freude, dass er doch endlich etwas Glück gefunden hat, nachdem er solange so einsam war. Schließlich kuschelt er sich neben den Jungen, der einst sein Bruder war, schließt die Augen und hofft, dass dieses Glück eine Weile anhalten mag… Love me like you do, love me like you do, like you do Love me like you do, love me like you do, oh Touch me like you do, touch me like you do What are you waiting for? You are my star! ---------------- Drei Monate später – Juli… Die laue Nacht hat sich über die beiden Inseln gesenkt und alles liegt in tiefem Schlaf. Alles? Nein, nicht alles. In der dichten Bewaldung treiben sich allerhand kleine und größere Tiere herum und suchen nach Futter und Deckung. Und auch so mancher Mensch fühlt sich von der Dunkelheit wie magisch angezogen. Verträumt sitzt Michael am Ufer des East River und lässt gedankenverloren die nackten Beine durch das noch sonnenwarme Wasser gleiten. Sein Blick ist gen Himmel gerichtet und betrachtet dort die unzähligen Sterne, die ihm immer wieder das Gefühl geben, klein und unbedeutend in einem grenzenlosen Kosmos zu sein. Doch es stimmt ihn nicht traurig, eher nachdenklich. Sind dort draußen andere Lebensformen oder ist der Mensch allein in seiner selbstgefälligen Herrlichkeit? Eine Frage, die ihm niemand beantworten kann. Es scheint ja schon an eine Unmöglichkeit zu grenzen, herauszufinden wie viele Überlebende der Krieg hinterlassen hat und wo sie sich verstecken. Ob es noch irgendwo Hoffnung gibt oder dies hier die einzige Zuflucht ist, die der Menschheit geblieben ist. Seufzend lässt er sich nach hinten ins kühle Gras fallen. Einen Moment betrachtet er noch die glitzernden Punkte hoch über sich in der völligen Schwärze des Himmels, dann fallen ihm langsam die Augen zu. Er weiß nicht wie lange er so daliegt, in einer Scheinwelt zwischen Wachsein und Schlaf, doch irgendwann merkt er, dass er nicht mehr allein ist. Eine unruhige Nervosität macht sich in ihm breit. Als Ninja hätte er viel aufmerksamer sein und seine Umgebung ständig im Blick haben müssen, doch nun ist es zu spät. Wer immer dort in seiner unmittelbaren Nähe ist, hat ihn längst entdeckt und er hat keine Zeit mehr zu reagieren. Hilflos hält er still und versucht sich nicht zu bewegen. Dennoch sind all seine Muskeln bis zum Zerreißen angespannt und im Geiste überlegt er sich, ob es ihm wohl gelingen könnte, unbemerkt an seine Nunchakus heranzukommen. „Michael?“ Die Stimme ist irgendwie vertraut, also öffnet der Blonde vorsichtig die Augen. Über ihn gebeugt steht Chen und wirkt etwas irritiert. Beim Anblick seines Sensei entspannt sich der Junge und gibt ein erleichtertes Seufzen von sich, welches den Japaner noch mehr irritiert. „Alles in Ordnung?“, fragt der Schwarzhaarige etwas besorgt. Lächelnd richtet sich Michael auf. „Ja. Ich war nur eingedöst und dachte du wärst ein Angreifer…“, gesteht er ihm. „Dann hast du aber noch mal Glück gehabt und ich werde deine Nachlässigkeit diesmal übersehen.“, erwidert Chen sein Lächeln und setzt sich neben ihn ins Gras. Für einen Moment herrscht Stille und beide betrachten den funkelnden Himmel über sich. Schließlich bricht Chen das Schweigen. „Was machst du eigentlich hier draußen? Du müsstest längst im Bett sein.“, fragt er den Jungen. In seiner Stimme schwingt etwas Mahnendes mit, woraufhin Michael schuldbewusst den Kopf senkt. Bisher ist es ihm immer gelungen, unbemerkt hier zu sitzen, da der Ältere sehr darauf bedacht ist, dass seine Schüler auch stets ausgeruht in den Tag starten und so ein Höchstmaß an Konzentration und Kraft vorweisen können. Dass das nicht immer klappt, ist ihm durchaus bewusst, aber er versucht das Ausmaß so gering wie möglich zu halten. „Ich konnte nicht schlafen und dachte, dass mich die Sterne vielleicht beruhigen würden…“, gibt der Blonde schließlich zu. „Mir scheint, dass das funktioniert hat, wenn du schon eingedöst bist.“ Langsam lässt sich Chen nach hinten ins kühle Gras sinken und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. Michael tut es ihm gleich und so sehen beide verträumt zum Himmel empor. „Ja, schon. Aber müde bin ich deswegen noch immer nicht.“, gibt der Blonde resignierend zurück. „Aber allzu lange wird es dann bestimmt nicht mehr dauern. – Vielleicht hilft es ja, wenn ich dir eine Geschichte erzähle?“ Überrascht blickt der Junge ihn an. Er hört sehr gern Geschichten, doch müde ist er davon noch nie geworden. Dennoch ist seine Neugierde geweckt. „Was denn für eine Geschichte?“ „Eine alte chinesische Legende.“, erwidert Chen. Irritiert legt Michael die Stirn in Falten. „Chinesisch? Ich dachte du bist Japaner…“ Der Ältere gibt ein kleines Lachen von sich. „Das stimmt auch, aber viele Legenden und Bräuche Japans stammen ursprünglich aus China und wurden dann übernommen. So zum Beispiel viele Feste und Erzählungen.“ „Ah, ok. Dann lass mal hören!“ „Gut, schau in den Himmel! Siehst du dort die Milchstraße?“ Mit dem Finger deutet der junge Mann auf das helle Band, das sich über die dunkle Nacht erstreckt. „Ja, klar. Ist ja nicht zu übersehen.“, entgegnet der Chaosninja. „Jetzt sieh dir den hellen Stern dort neben der Milchstraße an. Das ist Wega. Im japanischen heißt er Orihime, was so viel wie Weberprinzessin bedeutet.“ Wieder deutet er mit dem Finger die Richtung an, in die Michael schauen soll. Verstehend nickt der Junge. „Und jetzt sieh auf die andere Seite der Milchstraße. Dort ist ebenfalls ein heller Stern. Er heißt Altair. Im japanischen heißt er Hikoboshi, was so viel wie männlicher Stern oder Hirtenstern bedeutet.“ Die blauen Augen des Schülers folgen dem Finger des anderen über den Himmel hinweg. „Während sich die Erde und die Sterne auf ihren Umlaufbahnen bewegen, kommt einmal im Jahr der Tag, an dem diese beiden Sterne in die Milchstraße eintauchen und sich so für eine einzige Nacht treffen, ehe ihre Bahnen sich wieder trennen. Und genau zu dieser alljährlichen Begegnung gibt es eine alte chinesische Legende, die später auch zu einem Fest in Japan wurde – das Sternenfest. Man könnte es wohl am ehesten als eine Art Valentinstag im Sommer bezeichnen, da es eine Liebesgeschichte ist, die Verbundenheit symbolisieren soll.“ Mit großen Augen betrachtet Michael die beiden Sterne, die schon so nah an der Milchstraße sind, dass man sie fast nur noch durch ihre Helligkeit ausmachen kann. Ganz unweigerlich muss er dabei an Raphael und sich selbst denken, die sich die ganze Zeit über so nahe waren und doch so fern, bis sie schließlich doch zusammengefunden haben. Allerdings hofft er natürlich, dass sie sich nicht so schnell wieder trennen müssen wie die beiden Sterne. „Die Legende besagt, dass Orihime die Tochter des Himmelskönigs Tenko war. Sie hatte eine besondere Begabung für die Weberei und hat wunderschöne Kleidungsstücke am Flussufer gewebt. Der Fluss ist die Milchstraße, der zwei Städte voneinander trennt. Tenko war immer höchst erfreut von der Begabung und dem Fleiß seiner Tochter. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf ihre Arbeit und hatte daher keine Zeit, um etwas anderes zu tun. So auch nicht, um nach der großen Liebe zu suchen. Dennoch wünschte sie sich nichts mehr, als einen Mann an ihrer Seite. Diese Tatsache machte sie unglaublich traurig, weshalb ihr Vater beschloss, ihr zu helfen. Er arrangierte ein Treffen mit Hikoboshi, der auf der anderen Seite des Flusses lebte und dort als Kuhhirte arbeitete. Die beiden waren sehr angetan voneinander und verliebten sich. Wenig später heirateten sie. Glücklich vereint fuhren sie auf Hochzeitsreise. Doch die Reise dauerte so lange, dass Tenko sehr zornig wurde, weil die beiden ihre Aufgaben vollkommen vernachlässigten. Orihime webte nicht mehr und Hikoboshis Kühe wurden schwach, magerten ab und verirrten sich sogar in den Weiten des Himmels. Daraufhin beschloss er die beiden zu bestrafen…“ „Das ist echt gemein!“, wirft Michael plötzlich ein und sieht traurig zum Himmel empor, wo die beiden Sterne so nah und doch noch immer voneinander getrennt sind. Wehmütig lächelt Chen und erzählt weiter. „Tenko trennte die beiden schließlich, indem er den Fluss der Milchstraße so tief und wild machte, dass es unmöglich war, ihn zu überqueren. So war es den beiden auf ewig verboten sich wiederzusehen. Orihime wurde daraufhin schrecklich unglücklich und bat ihren Vater inständig darum, ihren geliebten Mann wiedersehen zu dürfen. Nach langem Überlegen und vielen Tränen gab Tenko schließlich nach. Er erlaubte dem Paar sich einmal im Jahr, am siebten Tag des siebten Monats, zu sehen, wenn sie dafür den Rest des Jahres ihrer Arbeit nachgehen.“ „Das ist wirklich traurig, wenn sie sich so lieben und sich dann nur einmal im Jahr sehen dürfen…“ Traurig betrachtet Michael erneut die beiden Sterne, dann kommt ihm ein Einfall. „Sagtest du siebter Tag des siebten Monats? Das ist doch morgen!“, aufgeregt blickt der Blonde sein Gegenüber an. „Ja, ganz genau. Morgen Nacht können sich Orihime und Hikoboshi endlich wiedersehen. – Die Legende erzählt weiter, dass die beiden bei ihrem ersten Treffen sehr aufgeregt waren. Tragischer Weise mussten sie feststellen, dass der Fluss keine Brücke mehr hatte, mit der sie ihn überqueren konnten. So schien ein Treffen trotz der Erlaubnis Tenkos dennoch unmöglich. Verzweifelt überlegten die beiden, was sie tun konnten und baten schließlich einen Schwarm Elstern um Hilfe. Diesen Schwarm kann man sogar sehen, wenn die beiden Sterne sich treffen, weil dann ein dunkleres Band an dieser Stelle der Milchstraße verläuft. Die Elstern breiteten ihre Flügel aus und formten so eine Brücke. Nun endlich konnten sich die beiden sehen. Die Elstern berichteten ihnen aber, dass sie ihnen nur bei schönem Wetter helfen können, da der Fluss sonst zu wild ist. So beten die Japaner jedes Jahr dafür, dass an diesem Tag der Himmel wolkenfrei ist, damit die Sterne nachts sichtbar werden und die Vögel die Brücke für die beiden Liebenden bilden können. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen die beiden ein weiteres Jahr warten. Die Menschen glauben, dass es ihnen Glück, Liebe und Wohlstand bringt, wenn es den beiden gelingt über den Fluss zu einander zu finden. Ist dem nicht so, werden sie Pech haben.“ „Man, was für eine Geschichte! Wirklich traurig und das mit dem Wetter ist auch echt heftig. Ich stell mir gerade vor wie sehr sich die beiden freuen, sich endlich wiederzusehen und dann regnet es und die Vögel können ihnen nicht helfen. Das ist schrecklich…“, betrübt setzt sich Michael wieder aufrecht hin. „Da hast du Recht. Aber da es ein Sommerfest ist, ist die Wahrscheinlichkeit für gutes Wetter auf jeden Fall sehr hoch.“, versucht Chen ihn aufzumuntern. Doch so wirklich scheint es nicht zu klappen. Michael ist sehr emotional und nimmt sich vieles sehr schnell zu Herzen. „Deshalb beten die Menschen ja auch für gutes Wetter. Und wenn man seinen Liebsten in dieser Nacht küsst, soll einem das ewige Liebe versprechen und den beiden so das Wiedersehen erleichtern.“ Nun endlich ein Lächeln von dem Blonden. „Das ist ein schöner Gedanke. Und ich danke dir für die Geschichte!“ „Ich hoffe, sie hilft dir beim Einschlafen. Komm, ab ins Bett!“, fordert er den Jungen auf. Gemeinsam erheben sie sich und kehren zurück in ihre Zimmer. Dennoch liegt Michael noch eine Weile wach in seinem Futon. Nachdenklich lässt er sich die Geschichte von Chen noch einmal durch den Kopf gehen. Sie ist so traurig, hat aber auch irgendwie etwas Hoffnungsvolles, da die beiden Liebenden ja immer wieder zueinander finden. Stillschweigend fragt sich der Blonde, ob Raphael die Geschichte wohl auch kennt. Immerhin hatte er durch seinen Sensei ja auch japanische Wurzeln. Und was er bisher so von Splinter gehört hat, hat dieser auch sehr gern Geschichten erzählt. Vielleicht lässt sich damit ja etwas anfangen und sie können gemeinsam einen romantischen Abend verbringen? Dieser Gedanke gefällt dem Blonden ziemlich gut. Die Vorstellung mit seinem Liebsten unter einer Million funkelnder Sterne zu sitzen und darauf zu warten, dass sich zwei davon endlich wieder treffen, ist wirklich schön. Und dann, wenn der große Augenblick gekommen ist, vielleicht einen Kuss von ihm erhaschen? Ein sehnsüchtiges Lächeln breitet sich auf Michaels Zügen aus, ebenso ein roter Schimmer auf seinen Wangen. Die Idee eines Kusses unter den Sternen, lässt ihn wie ein kleines Schulmädchen in seinen Fantasien schwelgen. Nun muss es ihm nur noch gelingen, Raph morgen Abend dazu zu bringen mit zu machen. Einfach wird es nicht werden, immerhin will er ja nicht gleich alles verraten. Grübelnd liegt er da und versucht den Tagesablauf für Morgen durchzugehen. Wie immer ist viel zu erledigen und jede Menge Training steht auch auf dem Plan. Wahrscheinlich hat sein Meister auch alle Hände voll zu tun und bestimmt keinen Nerv für so etwas Albernes. Dies stimmt ihn wieder traurig. Doch so schnell gibt er nicht auf, es muss eine Lösung geben! Angestrengt grübelt er weiter, doch er kommt nicht weit. Schon wenige Augenblicke später versinkt er in einen tiefen Schlaf. In seinen Träumen sieht er Orihime und Hikoboshi. Wie sie einander kennenlernen, heiraten und schließlich getrennt werden. Ihr Wiedersehen ist so wunderschön, dass Michael gar nicht mehr aus seinem Traum aufwachen möchte. Sein Wecker ist aber anderer Meinung und läutet vehement in seinem schrillen Tonfall. Zuerst bekommt der schlafende Junge gar nicht mit, dass es sein Weckruf ist, sondern hält es für Tenko, der wieder etwas zum Schimpfen gefunden hat, um das liebende Paar zu strafen. Dann jedoch driftet er langsam in Richtung Oberfläche und merkt allmehlig, dass das unschöne Geräusch nicht die zeternde Stimme des Himmelskönigs ist, sondern sein Wecker. Schwerfällig öffnet der Blonde die Augen und starrt das unentwegt läutende Gerät an, als wüsste er gar nicht worum es sich handelt. Mit einem Seufzen reibt er sich die Augen und schaltet schließlich den Nerv tötenden Lärm ab. Beim Anziehen fällt ihm wieder ein, was gestern Abend los war und das sich heute die beiden Sterne treffen werden. Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus und Tatendrang motiviert ihn, sich noch etwas einfallen zu lassen. Doch erst mal muss er jetzt zum Training, damit er keinen Ärger bekommt. Das Ganze bringt er auch ganz gut hinter sich, auch wenn Chen ihn ein paar Mal ermahnen muss, aufmerksamer zu sein. Die anschließende Patrouille gibt ihm noch mehr Zeit zum Nachdenken. Allerdings fällt ihm nichts Gescheites ein, da Raph ein unberechenbarer Sturkopf ist. Wenn er keine Lust hat, dann hat er keine Lust, ganz gleich wer ihn um etwas bittet. Resignierend lässt der Junge die Schultern hängen und versucht sich erst mal wieder auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Vielleicht ergibt sich ja doch ganz zufällig eine gute Gelegenheit? Ohne es wirklich zu wissen, hat Michael aber schon eine richtige Vermutung an den Tag gelegt: Raph ist alles andere als gut gelaunt. Missmutig kämpft er sich durch jede einzelne Minute des Tages und nichts scheint ihn dabei aufmuntern zu können. Nach einem Grund für seine schlechte Laune braucht man ihn gar nicht zu fragen, er regt sich einfach grundsätzlich über jede Kleinigkeit auf. Und manchmal gibt es einfach zu viele Kleinigkeiten, um ihn irgendwie fröhlicher zu stimmen. Es geht schon damit los, dass sich die Foot immer mal wieder über etwas beschweren, von dem sie eigentlich wissen, dass es sich nicht ändern wird, wenn sie schimpfen. Dann haben die Flüchtlinge auch gern mal was zu meckern oder einfach nur ein unlösbares Problem und schon steht alles Kopf und bleibt an ihm hängen. Schon in Kindertagen war Raph nicht der Beste darin, Probleme logisch und gefasst zu lösen oder gar in einer sinnvollen Reihenfolge abzuarbeiten. Er ging immer mit dem Kopf durch die Wand und wenn das nicht klappte, wurde er einfach noch wütender und hat fester zugeschlagen. Irgendwann muss man damit doch zum Ziel kommen! Dass dem oftmals nicht so war, hat er nicht eingesehen, egal wie offensichtlich das Ganze auch war. Das Schlimmste ist aber, dass er nun allein ist. Kein Splinter mehr, kein Leo oder Donnie, die ihn auf den rechten Weg versuchen zu bringen oder ihm einen Teil seiner Probleme abnehmen. Daher kann er manchmal überhaupt nicht glauben, wie er es die letzten zehn Jahre geschafft hat, hier alles aufzubauen und am Leben zu erhalten. Dies liegt wahrscheinlich aber auch nur daran, weil er am Anfang noch die echten Foot-Ninja hatte, die gewusst haben, was getan werden muss und ihn im Ernstfall auf den richtigen Weg gebracht haben. Und natürlich Chen, der so viel für ihn getan hat. Wie Leo ist er immer strebsam und fleißig und auch wenn Raph es nicht zugeben würde, war dies immer am Hilfreichsten, schon damals, als die Welt noch unangetastet war. Doch im Gegensatz zu Leo oder Splinter fehlt Chen ihm gegenüber das Durchsetzungsvermögen. Früher oder später ergibt sich der Japaner den Befehlen seines Meisters einfach wortlos, anstatt darauf zu beharren, Raphaels Worte niederzuringen. Im Endeffekt ist er also doch auf sich allein gestellt und das bringt ihn langsam aber sicher um den Verstand. Nicht selten hat er sich schon die Frage gestellt, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, dass all die Menschen seinen Befehlen untertan sind. Wäre es nicht besser, sie ihre eigenen Entscheidungen treffen zu lassen? Doch wenn man es recht bedenkt, würde das die verbliebene Menschheit nur weiter in den Ruin treiben. Ohne eine Führungsperson, die alles mehr oder weniger unter Kontrolle hat, würden die Leute wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen und das zieht wiederum Gewalt und Elend mit sich. Allerdings kann die falsche Führungsperson genauso viel Gewalt und Elend verbreiten. Beide Versionen haben der Menschheitsgeschichte schwer zugesetzt, doch sie hat sich immer wieder erholt. Dafür war aber jedes Mal eine radikale Veränderung nötig. In Raphaels Fall könnte dies bedeuten, dass sie ihn stürzen oder sogar töten, damit ein anderer seinen Platz einnehmen kann oder sie frei nach eigenen Wünschen leben können. Bei diesem Gedanken wird ihm sehr unwohl. Schließlich stand am Ende auch der Original-Shredder allein und von seinen Männern im Stich gelassen da und fand so seinen Tod durch die Hand des neuen Shredders. Doch im Gegensatz zum alten Shredder ist Raph bei weitem nicht so grausam, was das Leben unter seiner Fahne viel erträglicher machen sollte. Erschwert wird dieser Gedanke aber durch die Tatsache, dass die Leute um ihn herum noch nie unter der Befehlsgewalt eines einzelnen leben mussten. Klar gab es Präsidenten und Bürgermeister, doch kaum jemand arbeitete direkt für diese Leute und musste daher Befehle ausführen. Mit Splinter als Clan-Führer hatte Raph zumindest eine Vorstellung davon bekommen, wie es eigentlich aussehen sollte. Aber sie waren auch nur zu fünft und nicht über fünfhundert und sie waren Familie keine Fremden. Es ist alles so schwierig. Kein Wunder also, dass Raph entgegen seiner aufbrausenden Natur oftmals auch sehr nachdenklich und vorsichtig ist. Allerdings versucht er die möglichen Intrigen seiner eventuellen Beseitigung zu verdrängen und hofft mal, dass Michael im Ernstfall etwas aus erster Hand mitbekommt. Schließlich arbeitet er mit den meisten Leuten eng zusammen und bekommt so vielleicht auch etwas Dahingehendes mit. Deprimiert erhebt sich Raphael aus seinem Stuhl. Es ist Zeit für einen klaren Kopf und rauchen hilft ihm dabei immer am besten. Daher schnappt er sich seine Sachen und begibt sich nach draußen. In all seiner Nachdenklichkeit und Arbeit hat er gar nicht mitbekommen, dass es schon dunkel geworden ist. Verwundert blickt er zum Himmel auf, zuckt dann mit den Schultern und sucht sich ein ruhiges Fleckchen am Wasser. Der Tag war warm und schwül. Wahrscheinlich wird es bald regnen. Zu wünschen wäre es, die Insel ist sichtlich ausgetrocknet und die Pflanzen sehnen sich nach Wasser. Momentan ist der düstere Himmel aber noch wolkenlos und überschwemmt von Millionen Sternen. Schwerfällig lässt sich der Rothaarige am Ufer nieder und zieht seine klobigen Stiefel aus. Mit einem wohligen Seufzen lässt er seine nackten Beine dann ins angenehm kühle Wasser gleiten. Langsam und bedächtig beginnt er damit sich eine Zigarette zu drehen. Sein Auge gleitet dabei über die spiegelglatte Wasseroberfläche. Nur selten erlebt man den tückischen East River so friedlich. Die Oberfläche mag vielleicht glatt sein, doch an seinen Zehen kann der junge Ninja die Strömung zerren spüren. Der Mond wirft sein Licht auf das Wasser, gleich einem schmalen Grinsen in Silber getaucht. Brummend klemmt sich der Saikämpfer die Kippe zwischen die Lippen, reißt ein Streichholz an und saugt den bitteren Geschmack des Tabaks ein. Leichte Schläfrigkeit überkommt ihn und so lässt er sich nach hinten ins trockene Gras sinken und verschränkt die Hände unter dem Kopf. Derweilen hat sich auch Michael seinen Weg an die Oberfläche gebahnt und sucht nach seinem Meister. Überrascht stellt er fest, ihn dort am Wasser liegen zu sehen, wo er selbst erst gestern Nacht gelegen hat. Sein Gesicht hellt sich auf. Immerhin muss er sich so nicht mehr überlegen, wie er den Älteren nach draußen locken kann. Vorsichtig nähert er sich seinem dösenden Gegenüber. Doch noch ehe er ihn erreicht, ertönt die Stimme des Roten. „Hey, Michael…“, gibt er von sich, obwohl sein sichtbares Auge die ganze Zeit geschlossen war und der Blonde dachte, leise genug gewesen zu sein. Erschrocken erstarrt der Chaosninja in seiner Bewegung, gibt ein helles Quicken von sich und zuckt zusammen. Er selbst hatte Chen nicht kommen hören und sich dafür verflucht. Dass sein Meister ein echter Ninja ist und viel Erfahrung hat, begeistert ihn immer wieder, da er so gar nicht behände wirkt. Aber Michael weiß ja auch nicht, dass Raph seine Bewegungen schon seit vielen Jahren kennt und verinnerlicht hat. Mikey war schon immer etwas ungeschickt und so leise wie er dachte, war er auch nie. Sein Bewegungsmuster ist für Raph so unverwechselbar wie der Geschmack von Tabak auf seiner Zunge. Hätte er den Jungen auf diese Weise nicht bemerkt, so hätte spätestens sein Quicken ihn verraten. Dieses Geräusch scheint Mikey schon in die Wiege mitbekommen zu haben und gibt es zu jeder möglichen Situation von sich, wenn er sich ertappt fühlt oder erschreckt. Es klingt so schrill, dass einem das Ohr platzen könnte und Raph würde es unter tausenden wiedererkennen. Daher breitet sich in diesem Augenblick auch ein freches Grinsen auf seinen Lippen aus. Den Bengel zu erschrecken gehörte schon immer zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Ohne sich nach ihm umzuwenden, kann er im Geiste genau sehen, wie sich der Blonde theatralisch mit der Hand an die Brust greift und nach Luft schnappt und genau das macht Michael in diesem Moment. „Mach dir bloß nicht ins Hemd, sonst kannst du gleich wieder gehen!“, zieht er den Jungen auf. Nun endlich setzt er sich auf und blickt sich nach dem Blonden um. Dieser steht immer noch etwas überrascht da. Doch dann löst sich seine Starre und er setzt sich neben seinen Meister ans Ufer. „War ich wirklich so laut?“, fragt er geknickt. „Etwa so laut wie eine Biene im Abflussrohr!“, kommt es grinsend von dem Älteren. Enttäuscht lässt der Nunchakuträger den Kopf hängen. Er gibt sich doch selche Mühe. Lachend knufft Raph ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. „War doch bloß ein Scherz, Junge. Doch das Gras ist so trocken, dass ich jeden deiner Schritte hören konnte.“, versucht er ihn wieder aufzumuntern. Nachdenklich streicht Michael mit der Hand durch das vergilbte Gras und hört es leise rascheln. Er war so auf seinen Meister fixiert, dass er dieses Geräusch gar nicht wahrgenommen hat. Gedankenverloren blicken beide über das Wasser. „Was machst du hier draußen?“, fragt der Rothaarige schließlich. „Eigentlich hab ich nach dir gesucht.“ „Aha und was willst du von mir?“ „Ich wollte, dass du mit mir nach draußen ans Wasser kommst.“, gibt der Blonde schüchtern zu. „Na, die Sache hab ich dir dann wohl schon mal abgenommen. Und was noch?“, bohrt der Saikämpfer weiter, während er sich eine neue Zigarette dreht. Im Augenwinkel sieht er, wie sich ein roter Schimmer auf den Wangen des Jungen ausbreitet. „Ich wollte mir mit dir die Sterne anschauen.“, erwidert der Blonde, während seine Wangen noch dunkler werden. Raph legt die Stirn in Falten. Da steckt wohl noch etwas mehr dahinter, als bloßes Sternegucken. „Ach ja? Schön, dann schau halt.“ Geschickt reißt er ein Strichholz an und pustet dann blauen Dunst in die düstere Nacht hinein. Leicht schmollend schiebt Michael die Unterlippe vor. Das ging schon mal nach hinten los. Aber Raph war noch nie der romantische Typ und hält auch jetzt noch nichts davon. Daher macht er vieles eher, um Michael eine Freude zu machen, als aus eigenem Antrieb. Doch noch weiß er nicht so richtig, worauf der Junge hinaus will. Daher gibt er sich kühl, bis er es herausfindet und dahingehend agieren kann. Einen Moment liegen die beiden schweigend in Gras nebeneinander, dann startet der Blonde einen neuen Versuch. „Kennst du eigentlich die Geschichte vom Sternenfest?“ „Du meinst die von dem Liebespaar, das sich nur einmal im Jahr treffen kann?“ Langsam kann sich Raph vorstellen, worauf der Junge hinaus will. „Ja, genau.“ Nachdenklich brummt der Rothaarige vor sich hin. „Klar, mein Sensei hat sie mir früher oft erzählt und noch viele mehr…“ Die Begeisterung in seiner Stimme lässt zu wünschen übrig und dies merkt auch Michael. Es wirft den Blonden wieder ein Stück in seiner Hoffnung zurück, doch aufgeben will er noch lange nicht. „Heute ist die Nacht, in der sich die beiden wiedersehen werden…“, bemerkt Michael möglichst beiläufig. „Ach ja? Wo hast du denn das her?“ Der Saikämpfer selbst wüsste nicht unbedingt, welches Datum oder welchen Tag es heute hat. Da müsste er schon jemanden fragen. Aber hier gibt es einige angergierte Leute, die trotz des Krieges und all der Zerstörung immer darauf bedacht waren, das korrekte Datum festzuhalten. Und sei es nur, um ein bisschen Normalität in das Chaos zu bringen, von dem sie umgeben sind. „Chen hat mir die Geschichte gestern Abend erzählt.“, erwidert der Nunchakuträger. Raph grinst in sich hinein, während Wölkchen aus Zigarettenqualm vor seinem Auge aufsteigen. Er hat es sich schon irgendwie gedacht. Chen hat so einiges von Splinter und das Geschichtenerzählen gehört definitiv dazu. „Das hätte ich mir ja denken können. Und du wollest jetzt, dass ich mit dir zusehe, wie sich die beiden treffen, ja? Und weiter?“, jetzt will Raph es genau wissen. Die Röte im Gesicht des Jüngeren nimmt wieder zu. „Nun ja – die Geschichte ist so traurig. – Ich meine, dass sie sich nur einmal im Jahr sehen können, obwohl sie sich doch so sehr lieben. – Da hab ich mich gefragt, ob es bei uns auch so enden könnte. – Dass uns etwas trennt, meine ich…“, Michaels Augen glänzen verdächtig. Noch ein paar Worte mehr und er wird in Tränen ausbrechen. Das gefällt Raph überhaupt nicht mehr. Er konnte noch nie gut damit umgehen, wenn sein geliebter Babybruder zu weinen angefangen hat und das wird sich wohl auch nie ändern. Beinahe fieberhaft versucht er eine Lösung zu finden. Allerdings blockiert ihn die Geschichte etwas dabei. Ähnlich wie Leo war auch Mikey immer fest davon überzeugt, dass solche Geschichten einen wahren Kern haben. Nur schwer ließ er sich davon überzeugen, dass dem nicht so war. Raph und Donnie waren immer praktisch veranlagt. Was sie nicht sehen oder anfassen konnten, das gab es auch nicht. Leo und Mikey hingegen haben stets an das magische Einhorn geglaubt und nichts konnte sie davon abhalten, egal wie sehr mal ihnen auch versichert hat, dass es nicht existiert. Kein Wunder also, dass Michael solche Geschichten für bare Münze nimmt. Und die Welt in der sie jetzt leben, schreit geradezu nach etwas Schrecklichem, das ihnen widerfahren könnte. Noch ahnt keiner von ihnen wie schnell so etwas eintreten wird… Unweigerlich muss Raph an seine Gedanken von vorhin denken, dass man ihn stürzen oder sogar töten könnte. Das ist nicht gut. Sie sollten beide lieber auf andere Gedanken kommen. Schließlich ist das Zusammenleben unter diesen Bedingungen schon schwer genug, da braucht es nicht noch ein glimmendes Streichholz mehr, das einen richtigen Waldbrand entfacht. Innerlich schlägt er sich mit der Hand gegen die Stirn. Jetzt wäre etwas Romantik oder zumindest etwas Aufmunterndes schwer angebracht, doch wie gesagt, ist er kein Freund von solchen Dingen und war es auch nie. Angestrengt grübelt der Rothaarige nach, während Michael schweigend und den Tränen nahe neben ihm liegt. Allzulange darf er den Jungen auch nicht warten lassen, sonst denkt er wohlmöglich noch, dass das zwischen ihnen nur ein Spiel ist und er ihm gar nicht so viel bedeutet. Die Wahrheit ist aber, dass er Raphael einfach alles bedeutet, er es nur nicht sagen kann. Tief atmet der Saikämpfer durch und wirft seine Kippe ins Wasser. Mit leisem Zischen erlischt die Glut und sie treibt langsam davon. Dann wendet sich Raphael zu ihm, baut sich über ihm auf und versperrt ihm so den Blick auf die Sterne. Noch immer liegt in den blauen Seelen eine schreckliche Traurigkeit und die Tränen scheinen näher als je zuvor. Der Ältere setzt einen sehr ernsten Gesichtsausdruck auf, der Michael nur noch trauriger macht. Doch Raph lässt nicht zu, dass er sich von ihm abwendet. „Ja, du hast recht, die Geschichte ist traurig und zwischen uns könnte allerhand passieren, dass gebe ich ganz offen zu. Aber ehe ich zulasse, dass uns etwas trennt, wird die Hölle zufrieren, Kleiner! Nichts und niemand wird uns trennen, wenn ich es verhindern kann!“ Seine Worte sind genauso streng und ernst wie sein Gesichtsausdruck und zeigen Michael damit aber sehr deutlich, wie wahr sie sind. Durchdringend mustert das einzelne gelbgrüne Auge ihn und auch darin ist die Wahrheit seiner Worte deutlich zu lesen. Eine einzelne Träne rinnt dem Nunchakuträger die Wange hinab, dann breitet sich ein zaghaftes Lächeln auf seinen Lippen aus. „Ganz ehrlich?“, fragt der Blonde dennoch. „Ganz ehrlich!“, erwidert der Rote mit einem sanften Lächeln. Langsam beugt er sich zu dem liegenden Jungen hinunter und küsst ihn zärtlich. Michael erwidert es voller Freude, verzieht dann jedoch das Gesicht. Leicht irritiert trennt sich Raphael von ihm. Gespielt angeekelt streckt der Blonde ihm die Zunge heraus. Der Tabakgeschmack liegt dem Saikämpfer noch bleischwer auf der Zunge und dafür kann sich Michael nun wirklich nicht begeistern. „Tja, dass tut mir jetzt aber leid.“, entgegnet Raph ihm grinsend. „Wenn es dich so stört, können wir ja auch reden.“, neckt er ihn. Michael grinst. „Niemals!“ Fordernd zieht er den Älteren wieder zu sich hinunter und vereint ihre Lippen miteinander, unter den funkelnden Sternen und der grinsenden Mondsichel, während sie Orihime und Hikoboshi endlich wiedersehen. Abused... --------- Einen Monat später – August… Zärtlich und doch fordernd gleiten die kräftigen Hände des Saikämpfers über den zierlichen Körper unter sich. Von Lust erfüllt stöhnt der Blonde auf und windet sich unter ihm. In ihrer Erregung gefangen merken die beiden nicht, dass sie heimlich beobachtet werden. Die Tür steht nur einen winzigen Spalt offen, ist beim Schließen nicht richtig ins Schloss gefallen, und nun gibt sie den Blick auf die Heimlichkeiten dahinter preis. Drei ungläubige Augenpaare drängen sich vor dem engen Spalt zusammen und können kaum fassen, was sie dort sehen. Andererseits lässt dieser Anblick sie Dinge verstehen, die sie bis dato noch nicht begreifen konnten. Doch jetzt fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen und eine hinterhältige Kälte breitet sich in ihnen aus. Ja, nun endlich haben sie etwas gefunden, mit dem sie arbeiten können! Vorsichtig und möglichst leise entfernen sich die drei Foot-Ninja vom Zimmer ihres verhassten Führers und verschwinden im Zwielicht des langen Flurs. Nur ihr bösartiges Tuscheln ist noch einen Augenblick auf dem Treppenabsatz zu hören, dann verstummt auch es und sie verziehen sich in ihr Zimmer. Die nächsten Tage schieben sich ruhig dahin, zumindest hat es von außen hin den Anschein. Jeder geht fleißig seiner Arbeit nach und nichts deutet auf ein mögliches Komplott hin. Doch die drei Foot-Ninja sind mit ihren Gedanken ganz wo anders. In ihren Köpfen sehen sie ihren ach so tollen Führer auf den Knien, gepeinigt von der Schande, vertrieben von seiner Unfähigkeit. Wenn sie ihn endlich los sind, dann werden neue Seiten aufgezogen und alles anderes. Zu dritt werden sie hier alles auf den Kopf stellen und eine ganz neue Zivilisation aufbauen, die eigens ihren Befehlen folgt! In ihren Augen taugt der Rothaarige überhaupt nicht zum Clan-Führer und ansonsten auch zu nichts anderem. Doch so einfach ist ein Machtwechsel nicht, das ist ihnen durchaus bewusst. Sie müssen Raph zur Niederlegung seines Amtes zwingen und dann wird er in die Verbannung geschickt oder doch einfach getötet. Dabei ist Zweiteres natürlich wesentlich verlockender. Dann zumindest kann sich niemand mehr auf seine Seite schlagen, außer sie wollen, dass es ihnen ebenso ergeht. Allerdings ist es bis dahin noch ein weiter Weg und sie müssen Raph erst mal dazu bringen oder in einen Hinterhalt locken. Andererseits hat sich der Saikämpfer den Grundstein dafür schon unbewusst selbst gelegt, als er mit dem blonden Bengel ins Bett gestiegen ist. Michael wird ihr Fahrschein in eine bessere Zukunft sein und schon an diesem Abend wird er von seinem unschönen Glück erfahren! Alles Weitere wird ein Kinderspiel. So entwickeln sich die Gedanken immer weiter und die Intrigen wachsen mit jeder Minute, die der Tag dahinscheidet, bis sich schließlich die Nacht über die Inseln legt und alles mit ihrem Schweigen erfüllt. Nach und nach begeben sich alle in ihre Zimmer und Betten. Abgesehen von den drei Foot-Ninja, die sich stattdessen zu Michaels Zimmer auf machen und den Jungen dort überraschen. Sichtlich irritiert sieht der Blonde die drei vermummten Gestalten an. Ihr heimlicher Anblick stellt schon lange kein Unbehagen mehr für ihn da, doch dass sie ausgerechnet jetzt mit ihm reden wollen, verwundert ihn schon. Mit schief gelegtem Kopf steht er da, war gerade dabei sich auszuziehen, weshalb er nur noch seine Hose trägt, und mustert die Männer, die sich in sein kleines Zimmer drängen. Allein schon die Tatsache, dass der Bengel von Anfang an ein eigenes Zimmer hatte und auch sonst allerhand Privilegien genießt, hätte die drei schon viel früher auf den Gedanken bringen müssen, dass irgendetwas nicht stimmt. Schließlich ist er sonst auch nur ein Foot-Ninja wie sie und in ihren Augen nicht mal ein guter. Er baut ständig nur Mist und dennoch wird er dafür nur im seltensten Fall bestraft und dann auch nicht mal ansatzweise so sehr wie die anderen Foot. Ist aber auch kein Wunder, wenn er mit dem Führer schläft und sich so Vorteile verschafft. Echt ein ausgebufftes Kerlchen! Stellt sich nur die Frage, ob Michael bei all seinen Spielchen mit Raph je einen Gedanken daran verschwendet hat, dass ihnen beiden dieses Verhältnis einmal zum Verhängnis werden könnte? Wenn nicht, wird ihm dieser Gedanken nun sicher ganz schnell kommen! Noch immer fragend blickt der Junge die drei Männer an, die sich unter ihren Masken das fiese Grinsen zu verkneifen versuchen. „Gibt es etwas Wichtiges oder welchen Grund hat dieser Überfall?“, würde Michael jetzt gern mal wissen, obwohl er ‚Überfall‘ eher als Witz meint. Das Grinsen der drei wird zu einem hörbaren Kichern, das den Blonden stutzig macht. „Mit ‚Überfall‘ liegst du gar nicht mal so schlecht!“, verkündet der eine. Die anderen beiden kichern nur noch mehr. Genervt verschränkt der Nunchakuträger die Arme vor der blanken Brust. Doch plötzlich wird es still. Das alberne Kichern endet. Und obwohl der Junge ihre Gesichter nicht sehen kann, kommt es ihm so vor, als seien sie schlagartig vor Ernsthaftigkeit erstarrt. Ehe ihm klar wird, dass das nicht gut sein kann, stürmen die Foot schon vor, packen ihn und schleudern ihn hart zu Boden. Schmerzhaft schlägt sein Kopf auf die Dielen und er sieht für einen Moment Sterne. Benommen versucht er sich aus ihrem Griff zu befreien, doch gemeinsam sind sie viel stärker, als er. Instinkttief holt der Blonde Luft, um zu schreien. Bevor er jedoch diesen wohlmöglich rettenden Laut ausstoßen kann, zieht einer der drei ein Messer und hält es ihm direkt unter die Nase. Hilflos erstickt der Schrei in der Kehle des Jungen und er liegt reglos, mit weit aufgerissenen Augen da. „Schlauer Junge! Mach lieber nichts, was du bereuen könntest!“, kommt es streng von dem Messerträger. Stumm nickt der Nunchakuträger und das Messer entfernt sich ein paar Zentimeter, bleibt jedoch in Sichtweite, falls der Bengel doch etwas versuchen sollte. Prüfend blicken die drei einander an und machen sich verständlich, jetzt zum nächsten Teil des Plans überzugehen. „Ok, Michael, jetzt reden wir mal Klartext!“, verkündet der Foot auf der rechten Seite mit dunkler Stimme. „Wir wissen, was du und Shredder hinter verschlossenen Türen so treibt!“ Schlagartig weicht alle Farbe aus dem Gesicht des Blonden. Innerlich ist er irgendwo dankbar dafür, dass die Männer ihn zu Boden drücken, denn diese Offenbarung hätte jetzt sicher dazu geführt, dass er der Ohnmacht nahe gekommen wäre. Das bedrückende Gefühl der Besinnungslosigkeit übermannt ihn dennoch so heftig, dass er nur ein gequältes Stöhnen von sich geben kann. Übelkeit steigt in ihm auf, ihm wird heiß und kalt, als würde er eine Erkältung ausbrüten. Raph hat stets betont, dass sie vorsichtig mit ihren Spielchen sein müssen, doch irgendwie müssen die Foot es dennoch bemerkt haben. „Unser Schweigen kostet dich einiges, Junge. Und ich denke, du wirst dem Ganzen schnell zustimmen. Du willst ja ganz sicher nicht, dass alle hier erfahren, was los ist und es deinem geliebten Führer dann an den Kragen geht!“ „Ganz genau! Mit all seinen Regeln und Vorschriften macht er uns das Leben schon schwer genug. Daher warten die Leute nur auf einen solchen Fehltritt, um ihn abzuservieren! Und du willst doch ganz sicher nicht, dass man ihm wehtut, oder?“ Ein gehässiges Lachen geht durch die Runde und lässt den Jungen erzittern. „Nein – nein, das will ich nicht! – Bitte, tut ihm nicht weh!“, presst der sonst so fröhliche Junge den Tränen nahe hervor. „Ich wusste doch, wir verstehen uns!“, erwidert der Foot auf der linken Seite. „Was wir dir hier gesagt haben, bleibt natürlich unter uns, versteht sich. Sollten wir rausfinden, dass du uns verraten hast, dann kannst du dich von Shredder verabschieden!“ „Ja! Mein Schwert freut sich jetzt schon, ihm seinen arroganten Schädel von den Schultern zu schlagen!“, verkündet der Foot mit dem Messer. Verstört zuckt Michael zusammen. „NEIN! Bitte nicht! Ich tue alles, was nötig ist! Ihr habt mein Wort!“ Nun fließen die Tränen. Ihr Anblick erfreut die drei Maskierten und sie geben erneut ihr gehässiges Lachen von sich. „Gut, dann kommen wir doch gleich mal zum Geschäft und ergründen, was Shredder so anziehend an dir findet!“ Eine lähmende Angst macht sich in dem Jungen breit. Er weiß zwar nicht ganz, was ihn nun erwartet, doch nach dieser Verkündung kann er es sich ziemlich gut vorstellen. Oder auch nicht. Das skrupellose Treiben der Foot ist weit schlimmer, als es sich Michael hätte vorstellen können. Die Schmerzen weit erdrückender, als alles, was er je erlebt hat, hinzukommen die Ungewissheit, die Scham und die blanke Angst. Zitternd windet sich der Junge unter jedem einzelnen von ihnen und erträgt die Demütigungen, die sie ihm zuteilwerden lassen, alles nur, um den Mann, den er so sehr liebt, nicht zu verlieren. Wenn dies bedeutet, dass er dafür so grauenvolle Schmerzen über sich ergehen lassen muss, ist er gern bereit, alles zu ertragen und noch weit mehr. Dieser Mann, Raphael, gab ihm so viel. Ein Zuhause, Geborgenheit, Sicherheit und so viel Liebe, da ist es nur fair, wenn er jetzt für ihn durch die Hölle geht. Er war und ist sein treuer Diener und wird seinen Meister unter keinen Umständen enttäuschen! Blut und Schweiß fließen. Der Blonde hat jegliches Zeitempfinden verloren. Doch irgendwann endet es. Die Männer verschwinden und lassen ihn allein in seinem finsteren Zimmer zurück. Sein Körper brennt. Ein unerträgliches Pochen breitet sich immer weiter in seinem Inneren aus. Er spürt sein heißes Blut in jeder Wunde wie ein glühendes Messer. Der trocknende Schweiß auf seiner Haut lässt ihn erzittern. Jeder Muskel schreit um Gnade. Etwas, das Michael die ganze Zeit über verwehrt wurde. Er hätte auch keine Gnade gewollt, hätte sich stattdessen gewünscht, sie würden einen anderen Weg finden, ihn zu bestrafen. So vereint mit Raph zu sein, war für ihn das Schönste, was er sich vorstellen konnte. Nun jedoch musste er erfahren, dass es auch ganz anders sein kann. Stumm seinem Schmerz und seinen Tränen ergeben, liegt er auf dem Boden und fragt sich immer wieder wie er Raphael so noch unter die Augen treten soll. Er liebt ihn über alles und würde sein Leben für ihn geben. Doch das, was sie so zärtlich verbannt, ist nun wie sein geschundener Körper gerissen und er weiß nicht, ob er jemals wieder Freude bei einer derartigen Annäherung empfinden kann… Die nächsten Tage vergehen – irgendwie zumindest. Der Nunchakuträger weiß selbst nicht, wie er es fertiggebracht hat, sie hinter sich zu lassen. Oder viel mehr, wie es ihm gelungen ist, dass kein anderer auf ihn aufmerksam wurde. Es hat ihn all seine Kraft und Anstrengung gekostet, am nächsten Morgen überhaupt aufstehen zu können. Sein Körper war wie gelähmt und schrie bei jeder Bewegung unmissverständlich vor Schmerz. In den Stunden danach wurde es nicht viel besser. Es gleicht einem Wunder, dass er das Training und die anschließende Patrouille ohne Zwischenfälle hinter sich gebracht hat. Dennoch ist er sich nicht ganz sicher, ob Chen eine Veränderung an ihm bemerkt hat und dies nur für sich behalten hat. Was ist, wenn er selbst auch mit den Foot unter einer Decke steckt und er niemandem mehr vertrauen kann? Das wäre definitiv das Ende! Eine Woche ist nun seit dieser schrecklichen Nacht vergangen und Raph´s Laune ist mal wieder ziemlich am Boden. Der Tag verlief alles andere als gut, das bestätigt ihm auch das Getuschel der Foot. Doch dafür hat Raphael keine Ohren. Michael hingegen macht sich Sorgen. Wenn sein Meister so schlecht gestimmt ist, hilft ihm normalerweise nur eine Sache, um schnell wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Doch der Chaosninja fürchtet, dass er diesmal alles andere als hilfreich für den Rothaarigen sein wird. Die Schmerzen quälen ihn immer noch und er möchte nicht, dass Raph ihn so sieht, schon gar nicht seinen geschundenen Körper. Es würde nur zu Fragen führen, die er nicht beantworten kann, ohne das Leben seines Meisters aufs Spiel zu setzen. Dennoch will er ihn nicht noch wütender machen. Vielleicht kann er ihn ja ein bisschen ablenken? Vorsichtig betritt er das Zimmer seines Meisters. Dieser kommt gerade aus dem Bad. „Hey, nicht so schüchtern, mein Kleiner!“, entgegnet er dem Blonden und nähert sich ihm. Gemeinsam gehen sie zum Bett hinüber. Nervös schluckt Michael, doch er kann es noch vor seinem Gegenüber verbergen. In Raph´s Auge liegt noch die Wut, die ihn den ganzen Tag begleitet hat, doch nach außen hin versucht er sich entspannt zu geben. Es kostet ihn einiges an Überwindung, doch er will seine schlechte Laune ja nicht unbedingt an Michael auslassen, immerhin hat der Junge ja nichts Falsches getan. Im Gegenteil, sein Anblick macht ihm klar, wie sehr er seine Nähe genießt und wie sehr er ihn braucht. Dementsprechend haben sie sich kaum auf dem Bett niedergelassen, da drückt Raph den Jungen auch schon in die Laken und verführt ihn wortlos zu einem innigen Kuss. Hingerissen lässt Michael es geschehen und verliert sich beinahe in dem schönen Gefühl, das sich zwischen ihnen bildet. Doch in seinem Geist dominiert die Angst. Er muss sich etwas einfallen lassen, um Raph am Weitermachen zu hindern, sonst wird es unschön enden. Allerdings ist der Saikämpfer ganz anderer Meinung. In ihm rumort es. All seine Gefühle sind darauf ausgelegt, sich mit dem Jungen zu vereinigen und all die schlechten Gedanken so für eine Weile von sich zu stoßen. Nichts könnte ihn jetzt noch davon abbringen. Der Kuss erreicht seinen Höhepunkt, da begeben sich Raphaels Finger schon auf Wanderschaft und schleichen sich unter das Oberteil des Blonden. Etwas erschrocken beendet der Nunchakuträger den Kuss und legt den Kopf auf die Seite. Dies wird von dem Älteren auch sogleich ausgenutzt. Seine Lippen und Zähne bewegen sich geschickt über die empfindliche Haut und bescheren dem Jüngeren einen wohligen Schauer. Doch er kann sich nicht darauf konzentrieren, wenn in seinem Kopf alles danach schreit, es zu beenden, bevor Raph sieht, was er nicht sehen soll. „Raph, warte…!“, presst er hervor und erntet dafür ein etwas verstimmtes Brummes seines Gegenübers. „Was?“, fragt der Rote leicht gereizt. Innerlich zuckt der Kleine zusammen. Es ist nur verständlich, dass sein Meister bei seiner derzeitigen Laune es überhaupt nicht ertragen kann, jetzt auch noch von ihm gezügelt zu werden. Hin und hergerissen hadert der Junge mit sich. Schließlich erhebt sich der Rothaarige etwas und sieht ihn an. Finster mustert er ihn mit seinem durchdringenden Auge. Michael weicht seinem Blick aus. „Ich mag nicht…“, murmelt er ihm zu. Verwundert legt Raphael die Stirn in Falten. „Warum? Sag bloß, du hast Migräne.“, witzelt der Ältere. Einen Moment braucht der Blonde, um diese Anspielung zu verstehen. Ja, er hat mal gehört, dass Frauen diese Ausrede immer benutzen, wenn sie keine Lust haben. Was eigentlich vollkommen sinnlos ist, da Sex die Symptome erst recht lindert, das aber die meisten Männer und wahrschleich auch die meisten Frauen gar nicht wissen. Mit roten Wangen wendet Michael den Blick auf die andere Seite. „Nein, hab ich nicht. – Ich mag nur einfach nicht…“ Dummerweise fällt ihn nämlich überhaupt keine Ausrede ein, warum sie es nicht tun sollten und der Meinung scheint auch Raph zu sein. „Na, hab dich mal nicht so! Danach werden wir uns beide besser fühlen!“ Kaum hat er den Satz beendet, beugt er sich auch schon wieder hinab, die Lippen an seinem Hals und die Hände unter seinem Shirt. Überdeutlich kann Michael die Erregung des anderen an sich spüren. Es verdeutlicht ihm, dass er sich schnell etwas einfallen lassen muss. Nervös grübelt er. Dann plötzlich merkt er, wie Raph an seiner Hose herumfummelt. Ein Schreck jagt durch den Jungen. „Fass mich nicht an!“, platzt es verzweifelt aus dem Blonden heraus, bevor ihm überhaupt klar wird, was er da gesagt hat. Der Saikämpfer traut seinen Ohren kaum. „Was war das gerade?“, knurrt er dem Jüngeren entgegen. Dieser ist jedoch immer noch so in seinem Abwehrmanöver vertieft, dass er keine Kontrolle über seine Worte zu haben scheint. „Du sollst mich nicht anfassen!“, faucht er regelrecht zurück und Raph entgleiten alle Gesichtszüge. Doch anstatt es dabei bewenden zu lassen und dem Jungen seine Ruhe zu gönnen, steigt erneut Wut in Raphael auf. Er konnte noch nie gut mit Abweisungen umgehen. Zudem ist er es absolut nicht gewohnt, dass sein kleiner Bruder ihm Vorschriften macht, Gedächtnisverlust hin oder her. Sein Stolz lässt diese Frechheit einfach nicht zu! *Das warme Gefühl sexueller Erregung ist plötzlich verschwunden. Er schlägt ihm ins Gesicht. Es geschieht, bevor er überhaupt weiß, dass er es tun wird. Die Hand eines Menschen ist wie ein Tier, das nur halb gezähmt ist; meistens ist es gutmütig, aber manchmal beißt es das Erste, was es sieht. Michaels Kopf wird zur Seite geworfen. Der Junge reißt überrascht die Augen auf und versteht kaum, was gerade passiert ist. Reglos liegt er auf dem Bett und versucht eine Erklärung zu finden. Dann spürt er den Rothaarigen über sich. Wutschnaubend knurrt er vor sich hin und zerrt an ihm. Dann ein widerliches Geräusch, als in der Beinahestille des Zimmers das Oberteil des Blonden entzweireißt. Nun ist alles vorbei, so denkt er. Raph wird sich nehmen, was er will und ihn dann vor die Tür setzen – Adieu Liebe, das war´s! Und genau das hatte der Rothaarige tatsächlich vor. Er wollte sich nehmen, was ihm seiner Meinung nach zusteht, egal was für Einwände der Bengel auch haben möge. Doch nachdem der störende Stoff nun nicht mehr seinen Blick verdeckt, schlägt langsam, aber äußerst schmerzhaft das Begreifen auf ihn ein. Erschrocken über den Anblick, der sich ihm so unerwartet bietet, zieht er hörbar die Luft ein. Sein verbliebenes Auge weitet sich und kann den Blick nicht von dem entblößten Körper des Jungen nehmen. Sein Mund klappt auf und all seine Wut ist schlagartig verflogen, wie zuvor seine Erregung. Nun begreift er, was der Blonde versucht hat vor ihm zu verstecken und warum er sich ihm so heftig entgegengestellt hat. Der durchtrainierte Körper des Nunchakuträgers ist übersät mit blauen Flecken, Schrammen und Kratzern. Für Raph ist es ganz eindeutig, dass sie nicht vom Training herrühren können, dafür ist der Junge viel zu geschickt und abgehärtet. Nein, ihm muss etwas Schreckliches widerfahren sein. Seiner abweisenden Haltung ihm gegenüber, kann dieses etwas nur eines sein. Ein Schauer jagt Raphaels Rücken hinunter, als er sich vorzustellen versucht, was alles nötig war, um ihm diese Verletzungen zu zufügen. Dann wandert sein Blick unweigerlich zum Gesicht des Jungen, auf dessen Wange sich deutlich sein eigener Handabdruck abzeichnet. In pochendem Rot schreit er Raph förmlich entgegen und maßregelt ihn damit. Was hat er nur gemacht? Warum konnte er es nicht gutseinlassen, wenn der Junge nicht mit ihm schlafen will? Warum musste er wieder seinen Willen durchzusetzen versuchen? Nach so vielen Jahren und Hindernissen hätte man annehmen können, dass er mal etwas dazugelernt hat. Doch dies fiel ihm schon immer unglaublich schwer. Und seine Wut blockiert ihn auch nach so langer Zeit noch. Hinzu kommt, dass Splinter nicht mehr da ist, um ihm wenigstens ein bisschen Kontrolle zu gewährleisten. Ohne seinen stets bemühten Meister hatte er weder die Ausdauer noch den tieferen Sinn darin gesehen, sein Training dahingehend selbstständig fortzuführen. Nicht zum ersten Mal verachtet er sich dafür. Viel zu oft hat ihm seine Wut auch hier schon im Weg gestanden, doch er sah es nicht als schlimm an, da er dachte, damit seine Männer besser unter Kontrolle halten zu können. Es jetzt an seinem Babybruder auszulassen, ist aber ein gewaltiger Unterschied und ein schwerer Fehler obendrein. Mit feuchten, verängstigten Augen sieht der Junge zu ihm auf, während der Handabdruck auf seiner Wange immer noch dunkler zu werden scheint. Die Mahle auf seinem Körper schreien geradezu hervor und Raph kann den Anblick kaum ertragen. Schuldbewusst entfernt er sich von dem Blonden und setzt sich neben ihn. „Tut mir leid…“, murmelt er ihm leise zu und versucht zu verarbeiten, was er gerade gesehen und beinahe getan hat. „Mir tut es auch leid, ich hätte dich nicht anschreien dürfen…“ Die Worte des sonst so fröhlichen Ninjas brechen Raph fast das Herz. Abrupt wendet er sich ihm wieder zu. Überrascht zuckt der Blonde zusammen. „Sag mir, was passiert ist! Wer hat dir das angetan?“, fordert der Führer zu wissen. Michael wendet den Blick ab. „Das – das ist beim Training passiert…“, gibt er wenig überzeugend von sich. Doch der Saikämpfer kennt ihn zu gut, um darauf reinzufallen. Mikey hatte noch nie ein besonderes Talent zum Lügen und besitzt es auch jetzt nicht. „Erzähl keinen Scheiß! Damit du so aussiehst, hätte ich dich höchstpersönlich verdreschen müssen, verdammt noch mal!“, fährt der Ältere ihn an. Nun schwappen die Tränen über. „Ich wollte das alles nicht!“, platzt es ungehalten aus dem Jungen heraus. „Ich wollte nicht, dass sie dir wehtun!“ Wie immer überfordert, wenn sein Bruder zu weinen beginnt, weiß Raph nicht so richtig, was er tun soll. Normalerweise hat Donnie das dann immer geregelt. Er war immer gut in solchen Gefühlsdingen. Doch nun ist er nicht mehr da und Raph muss selbst sehen, wie er damit fertig wird. Ungelenk zieht er den Weinenden in seine Arme. Krampfhaft klammert sich der Blonde an ihm fest. „Ich denke, ich weiß, was dir passiert ist und verstehe nur zu gut, warum du mich so harsch abgewiesen hast. Doch du musst mir jetzt sagen, was los war! Wer hat dir das angetan und was hat das mit mir zu tun?“ Ruckartig löst sich der Orange von ihm und blickt ihn entsetzt an. „Nein! Das kann ich dir nicht sagen! Wenn sie es merken, dann werden sie dir etwas ganz Schlimmes antun…!“ Hysterie liegt in seiner Stimme und er fängt unweigerlich an zu zittern. Dieses Zittern macht Raph überdeutlich klar, wie fest Michael von dem überzeugt ist, was ihm die Kerle erzählt haben. Doch er kann einfach nicht locker lassen. Wer auch immer Hand an ihn gelegt hat, hat es gewagt sein Eigentum zu beschmutzen und hat somit die Höchststrafe verdient! Selbst wenn er Michael nicht als sein Eigentum betrachten würde, wäre diese Tat kein Kavaliersdelikt! Sie leben hier zwar in anderen Zeiten und viele Gesetzte haben ihre Rechtmäßigkeit verloren, aber Vergewaltigung ist und bleibt auch jetzt noch eine schlimme Straftat und muss geahndet werden! „Niemand wird mir etwas tun, nur weil du mir sagst, was passiert ist. Wer auch immer das getan hat, wird hart bestraft werden. Dafür werde ich sorgen! Und wenn die versuchen sollten, mir an den Kragen zu gehen, dann werden sie ihr blaues Wunder erleben. Sie wissen nicht, mit wem sie sich anlegen! Keiner von ihnen hat auch nur ansatzweise die Kraft und Technik, um mich in die Knie zu zwingen, also sag mir, was passiert ist!“ Raphaels Worte kommen mit so viel Überzeugung daher, dass er sie selbst schon beinahe glaubt. Doch tief drinnen weiß er, dass er vielleicht der Stärkste hier ist, aber gegen einen ausgeklügelten Hinterhalt wird ihm das auch nicht unbedingt helfen können. Doch darum geht es gar nicht. Es geht einzig und allein darum, die Täter zu bestrafen, die seinem geliebten Babybruder dies angetan haben. Alles andere ist nebensächlich. Wenn hier irgendjemand ein Problem mit ihm hat, dann soll er das gefälligst mit ihm persönlich regeln und sich nicht an Unschuldigen vergreifen! Mit leichtem Zweifel betrachtet Michael seinen Meister einen endlosen Moment lang. Vielleicht denkt er dabei an dasselbe wie Raph oder er wägt ab, ob es nicht möglicherweise einen anderen Weg gibt, es ihm nicht sagen zu müssen. Schließlich atmet der Junge zitternd ein und aus, wischt sich die Tränen vom Gesicht und beginnt dann langsam und bedächtig zu erzählen, was ihm widerfahren ist. Von Wort zu Wort scheint er verzweifelter zu werden und Raphael kann sich nur zu gut vorstellen, welchen inneren Konflikt der Jüngere austrägt, um überhaupt antworten zu können. Andererseits ist der Saikämpfer von den Ausführungen seines Gegenübers dermaßen schockiert, dass sich alles in ihm verkrampft. Es klingt alles wie aus einem schlechten Film und doch kann er die Wahrheit hinter jedem einzelnen Wort spüren. Wie können drei Männer, denen er bisher immer vertraut hat, nur so schreckliche Dinge tun und solch einen Hass gegen ihn hegen? Vertraut ist vielleicht das falsche Wort, denn er hegt immer Argwohn den Foot-Ninjas gegenüber, aber damit hätte er dennoch niemals gerechnet. Oder vielleicht doch? Immerhin haben schon mal zwei von ihnen versucht, sich Michael unsittlich zu nähern. Doch damals konnte er es verhindern. Nun ist es zu spät. Und nicht zum ersten Mal verflucht er sich, dass die Foot ständig maskiert herumlaufen und so niemand weiß, wer eigentlich vor ihm steht. Die Täter ausfindig zu machen, wird so ein arges Problem, allein ihre Stimmen sind der Anhaltspunkt, den Michael ihm geben kann. Doch der Rothaarige wird nicht eher ruhen, ehe er die Täter nicht gefasst hat und alle hier wissen, dass es ungeschriebene Regeln gibt, die Strafen nach sich ziehen, die niemand erleben möchte! Zudem wird er sich ernsthaft damit auseinander setzten müssen, die Maskierung der Foot entweder zu ändern oder ganz auf sie zu verzichten. Das Versteckspiel hat nun endgültig ein Ende! Die Wut ist dem Rothaarigen deutlich anzusehen, dennoch versucht er sich erst mal zu beruhigen, um dem Jungen die ganze Sache nicht noch unangenehmer zu machen. Tief atmet er durch, dann wendet er sich Michael zu. Beruhigend streicht er ihm über die Wange. „Mach dir keine Gedanken, alles wird wieder gut, Kleiner.“ Mit einem hoffentlich sanften Lächeln versucht er ihn etwas aufzumuntern. Zaghaft erwidert es der Blonde und nickt langsam. „Am besten ruhst du dich jetzt erst mal aus und morgen sehen wir weiter…“ Wieder nickt der Jüngere. Die Müdigkeit ist schon in seine Augen getreten und ersetzt so nach und nach die Traurigkeit. Ungelenk bewegt er sich auf das Kopfende des Bettes zu und krabbelt unter die Decke. Jede seiner Bewegungen ist für Raph ein weiterer Stich ins Herz, wirkte der Junge mit seinem schlanken Körper doch sonst immer so grazil. Nun erinnert er ihn mehr an einen ausgehungerten, geschlagenen Straßenköter, der sich in eine Ecke zurückzieht und auf seinen baldigen Tod wartet. Innerlich seufzt er schwer. Schon lange war ihm nicht mehr so sehr nach Heulen zu mute, wie in diesem Augenblick. *Der Junge macht die Augen zu. Er sieht unglaublich zierlich aus, wie ein Kind, das gerade beginnt, sich von einer schrecklichen Krankheit zu erholen, und jeden Moment einen Rückfall haben kann. Sein Atem zittert noch ganz leicht, dann wird er flacher und Michael schläft ein. Eine ganze Weile noch steht Raphael vor dem Bett und betrachtet seine geschundene Gestalt. In seinem Kopf dominiert einzig und allein der Gedanke, die Täter zu finden und sie mit ihren eigenen Gedärmen zu erhängen. Seine Fantasien dahingehend werden immer ausgefallener und grausamer und dennoch sprechen sie ihn immer mehr an. Ganz hinten in einem verstecken Teil seines Denkens flammt eine ganz leise Stimme auf, die ihm sagt, dass er den Namen Shredder nicht umsonst trägt. Nur allzu gern stimmt er ihr zu. Ja, Shredder ist grausam und dass sollen diese Mistkerle auch zu spüren bekommen! Mit diesem Gedanken legt er sich neben Michael ins Bett und schließt den Jungen fest in seine Arme. Er gehört ihm, ihm allein und niemand wird es mehr wagen, seinem Eigentum zu nahe zu treten! Als der Blonde ein paar Tage später zum Training erscheint, kommt es ihm so vor, als seien weniger Foot-Ninja als sonst anwesend. Allerdings könnte der Schein da auch trügen. Viel auffallender ist aber, dass sie alle unmaskiert sind. Zum ersten Mal kann er all ihre Gesichter sehen und vielen von ihnen scheint es genauso zu gehen, da sie sich alle interessiert und auch etwas unbehaglich mustern. Als weitere Neuerung fällt ihm auf, dass nun die Nachnamen der einzelnen Männer auf ihre Hemden gestickt sind. Diese Änderung wundert Michael noch mehr als ihre nackten Gesichter, denn darauf hätte man auch schon viel früher kommen können. Aber welcher Ninja trägt schon ein Namensschild? Nun wirken sie eher wie Soldaten. Dem Blonden ist es jedoch egal. Doch immerhin können sich die Foot jetzt nicht mehr so leicht verstecken und das hat durchaus etwas Beruhigendes. Allerdings wäre der Nunchakuträger ganz sicher nicht so beruhigt, wenn er wüsste, welch ein Blutbad Raph und Chen letzte Nacht angerichtet haben, um die Täter für ihr Vergehen nachhaltig zu bestrafen… Hopefully... ------------ Zwei Monate später – Oktober… Die aufgeblähte Sonne verschwindet langsam hinter dem Horizont und die ersten Sterne trauen sich in die aufkeimende Dunkelheit. Die anbrechende Nacht ist noch angenehm, dennoch kann man schon die ersten Vorboten des einsetzenden Herbstes spüren, die die Dunkelheit in wenigen Wochen empfindlich kalt werden lassen werden. Das bisschen Restwärme lockt die Menschen vielleicht zum letzten Mal dieses Jahr zu später Stunde nach draußen. Die Flüchtlinge und die Foot-Ninja versammeln sich auf dem Flachdach des ehemaligen Krankenhauses zu einem gemütlichen Beisammensein. In der Mitte der Dachfläche wurde ein Lagerfeuer entzündet, Decken und Kissen darum verteilt. Die Menschen sitzen am wärmenden Feuer, grillen Gemüse und Fleisch und unterhalten sich angeregt. Selten sieht man sie alle so friedlich vereint, gehen die Flüchtlinge und Ninja doch sonst eher getrennte Wege. Die laue Luft ist erfüllt vom Liebeszirpen der Zikaden und ein paar Eulen rufen ziellos über das Wasser. Dann schlägt einer der Überlebenden eine Gitarre an. Der Ton trägt weit über das stille Land und weckt noch mehr Geselligkeit in den Menschen. Schnell stimmt eine zweite Gitarre in das Solo ein. Wenig später gesellen sich auch Trommeln und Flöten hinzu, sodass eine vollständige Melodie entsteht. Sie weckt in den Menschen ein Stück Normalität, das sie lange Zeit für unmöglich gehalten haben. Freude breitet sich in ihren Herzen aus und beflügelt ihren Geist. Ein paar Mutige versuchen mit einem Lied in die Melodie einzustimmen. Ihr Mut wird prompt belohnt, indem sich ihnen mehrere Stimmen anschließen, die schließlich zu einem ganzen Chor anschwellen. Kinder beginnen zu tanzen und ihre hellen Stimmen erfüllen die Nachtluft wie Glocken einen Frühlingsmorgen. Nichts deutet in diesem Moment daraufhin, was für ein Unglück sie vor über zehn Jahren veranlasst hat, ihr Leben mit all ihren Gewohnheiten aufzugeben und zu heimatlosen Flüchtlingen zu werden. Nichts zeigt den Schmerz ihres Verlustes und die Trauer, die ihre Herzen so lange versteinern ließ. Vielmehr zeigt ihre wiedergefundene Fröhlichkeit, dass sie sich von nichts unterkriegen lassen und immer wieder aufstehen, wenn sie zu Boden gestoßen werden. Eine Eigenschaft, die den Menschen immer wieder davor bewahrt hat, durch seinen eigenen Egoismus und seine eigene Dummheit zu Grunde zu gehen. Dieses Bild des friedlichen Zusammenlebens erweitert sich von Minute zu Minute mehr. Jeder scheint einen Beitrag anzubieten, der von den anderen begeistert aufgenommen wird. Unter die Musik mischen sich Witze und Geschichten und dort am Rand spielen ein paar Männer Karten. Alles wirkt so natürlich und ungetrübt. Mitten unter dem bunten Treiben spielt Michael wieder einmal den Babysitter, zumindest wirkt es so, weil sich der Großteil der Kinder um ihn versammelt hat. Gemeinsam lachen, singen und tanzen sie zwischen den Erwachsenen. Der Blonde wirkt dabei so ausgelassen und fröhlich, dass man kaum glauben kann, welch schlimme Dinge er in der Vergangenheit durchmachen musste. Nach den Geschehnissen von vor zwei Monaten hätte Raph nie für möglich gehalten, dass der Junge so schnell wieder lachen kann. Aber vielleicht versteckt er seinen Schmerz auch nur verdammt gut? Der Führer kann es nicht sagen, doch er ist froh, dass es seinem Geliebten besser zu gehen scheint. Die durch die Tat entstandene Distanz der beiden verringert sich allmehlig wieder, doch es ist fraglich, ob sie einander jemals wieder so nahe sein können wie vorher. Von Raphaels Sicht besteht dort keine Sorge, doch er fürchtet, dass es Michael nicht so leicht fallen wird. Immerhin hat er körperlich und seelisch Schaden erhalten, den niemand ertragen sollte. Er will den Nunchakuträger keinesfalls zu irgendetwas drängen, auch wenn es ihm in so mancher Nacht sehr schwer fällt. Von einem hohen Baum in der Nähe des ehemaligen Krankenhauses aus, beobachtet der Saikämpfer das vergnügte Treiben auf dem Dach. Er selbst beteiligt sich an dergleichen nicht. Einerseits würden sich die Leute wahrscheinlich komisch fühlen und weit weniger ausgelassen sein, wenn sie ständig das Gefühl haben, von ihrem Führer beobachtet zu werden, insbesondere die Foot. Andererseits hat Raph selbst nicht sonderlich Interesse daran dem beizuwohnen. Er hat zwar kein Problem mit einem gemütlichen Lagerfeuer und guten Geschichten oder Musik, aber ohne seine Brüder und seinen Sensei fühlt es sich einfach nicht vollkommen an. Stattdessen stimmt ihn der ganze Anblick eher traurig, melancholisch und macht ihm nur einmal mehr klar, wie sehr er sie alle vermisst, obwohl er sich früher immer seinen Freiraum gewünscht hat. Allerdings beneidet er Michael für seine Fröhlichkeit. Er weiß nicht, dass auch seine Familie nicht mehr da ist und wie nahe ihm doch ihr letzter Überlebender ist. Nicht selten hat sich Raph schon gewünscht aufzuwachen, festzustellen, dass das hier alles nur ein wirklich schrecklicher und geschmackloser Alptraum ist. Oder aufzuwachen und festzustellen, dass auch er, unter welchen Umständen auch immer, sein Gedächtnis verloren hat und seine Familie somit noch irgendwo da draußen existiert und vielleicht nach ihm sucht. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus und wird sich wohl auch nicht ändern. Schwer seufzend lässt Raph sein einsames Auge über das Dach gleiten, schmunzelt deprimiert über den ein oder anderen Unsinn oder summt ein kurzes Stück eines ihm bekannten Liedes mit. Eigentlich müsste er stolz auf sich und das, was er alles erreicht hat, sein. Wenn er zurückdenkt an die Anfangszeit, als das alte Krankenhaus gerade wieder bewohnbar gemacht worden ist, wirkten die wenigen Menschen auf dem Dach so verloren. Jetzt sind es so viele, dass sie sich nächstes Jahr einen anderen Platz für diese kleinen Partys suchen müssen. Raph ist es gelungen eine funktionierende Zivilisation aufzubauen, die sich stetig vermehrt und ihr eigenes Überleben sichert, dennoch fühlt er sich mit jedem Tag einsamer. Seit er seinen kleinen Bruder wiedergefunden hat, hat sich dies zwar grundlegend geändert, dennoch ist es nicht dasselbe, da Michael ja jegliche Erinnerung an ihre so innige, gemeinsame Zeit fehlt. Schon ein paar Mal hat sich der Rothaarige vorgestellt wie es wäre, wenn der Kleine sein Gedächtnis wiedererlangen würde. Doch er kommt zu keinem guten Ergebnis. Einerseits würde sich Mikey sicher sehr freuen seinen Bruder wiederzuhaben, andererseits wäre er zu tiefst entsetzt ihm in Shredders Position wiederzufinden. Und was ist mit ihrer Beziehung? Wäre Mikey ihm immer noch zugetan oder würde er ihn für sein Handeln verachten? Raph vermag es nicht zu sagen. Er allein hat seinen Babybruder sein Leben lang geliebt und sich versucht ihm zu nähern, doch immer ohne, dass der Kleine etwas davon mitbekommen hat. Daher kann er keine Vergleiche aufstellen und nicht abschätzen, ob es für sie beide eine Zukunft auf diese Weise geben kann oder nicht. Erneut lässt er seinen Blick über das Dach schweifen und bläst langsam den Qualm seiner Zigarette in die Nacht hinein. Dann hält er inne und blickt sich suchend um. Bis vor ein paar Augenblicken hatte er Michael noch im Sichtfeld, nun kann er ihn nicht mehr entdecken. Raphael war so in Gedanken, dass er nicht bemerkt hat, wie der Junge verschwunden ist. Für diese Nachlässigkeit könnte er sich selbst ohrfeigen. Aber vielleicht ist er auch einfach nur runter aufs Klo gegangen? Also kein Grund zur Besorgnis. Dennoch macht er sich Vorwürfe und überlegt schon, ob er von dem Baum runtersteigen und nach ihm suchen soll, als er ein Rascheln neben sich vernimmt. Erschrocken blickt er sich um. Dann taucht Michael aus dem dichten Blattwerk auf und lächelt ihn an. Erleichterung überzieht Raph´s Gesicht und er entspannt sich wieder. Geschickt setzt sich der Blonde neben ihn auf den Ast. „Wie hast du mich gefunden?“, fragt der Rothaarige ihn beiläufig, ganz so, als hätte er sich gerade keine Sorgen um ihn gemacht. „Ich hab im Dunkeln deine Zigarette glimmen sehen.“, erklärt der Blonde das Offensichtliche. Dennoch ist es gar nicht so offensichtlich, da sich Raph so auf dem Baum platziert hat, dass die Blätter seine Gestalt verdecken und er nur einen schmalen Schlitz hat, durch den er das Dach mit den Leuten beobachten kann. Es muss also ein ziemlicher Zufall gewesen sein, dass dem Jungen die Glut aufgefallen ist, aber egal. „War ja klar…“, erwidert Raph ausdruckslos. Er will sich keinesfalls anmerken lassen, wie sehr er sich die ganze Zeit den Kopf zerbrochen hat. Das muss er ganz allein mit sich ausmachen, so denkt er. „Schön der Anblick von hier oben…“, bemerkt Michael. „Ja, nur schade, dass sie nicht immer so friedlich sind…“ Der Blonde erwidert darauf nichts, er weiß genau, worauf Raph hinaus will. Einen Moment herrscht Schweigen zwischen den beiden Ninjas. Jeder von ihnen beobachtet stumm das amüsierte Treiben auf dem Dach. Ein kleines Lächeln spielt um Michaels Lippen, doch er wirkt nachdenklich. Raphael blickt stoisch auf die Szenerie und versucht dabei die Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben, die ihn bis zum Eintreffen des Jungen so gefangen hielten. Die Anwesenheit des Blonden macht dies aber nicht gerade leichter. Stattdessen häufen sich immer mehr Sorgen in ihm an, denen er sich nicht stellen kann oder will und das macht ihn wieder wütend. Zermürbt drückt er seine Zigarette auf dem Ast aus und lässt sie lautlos zu Boden fallen. Seine Unruhe bleibt dem Nunchakuträger nicht verborgen. Im Gegenteil, manchmal scheint er sogar das Gefühl zu haben, als wäre es seine bloße Anwesenheit, die seinen Meister in Rage versetzt. Zwar kann er sich nicht vorstellen, warum das so sein könnte, aber es stimmt ihn sehr traurig. Er weiß, dass Raph viele Geheimnisse hat, die er ihm nicht anvertrauen kann oder will, die meisten seiner verstorbenen Familie wegen. Hinzu kommt, dass Michael seinem kleinen Bruder so schrecklich ähnlich sieht, dass es für Raphael jedes Mal eine unglaubliche Überwindung sein muss, ihn überhaupt nur anzusehen. Eine grausame Vorstellung. Vor einer ganzen Weile hat sich Michael schon mal gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie sich damals nicht begegnet wären. Dann müsste Raph jetzt nicht so mit sich kämpfen. Doch dann haben sie innig zueinander gefunden und er hat diesen Gedanken verdrängt. Wenn er den Rothaarigen jetzt jedoch so betrachtet, kommt ihm dieser Gedanke wieder. Hach, alles wäre so viel einfacher, wenn er sich nur an etwas erinnern könnte. Doch in seinem Kopf herrscht gähnende Leere und einfach nichts will ihm einfallen. Es macht ihn ganz verrückt. Mehr als einmal hat er schon mit dem Tierarzt darüber geredet, ob es nicht einen Weg gibt, seinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge zu helfen. Dieser konnte ihn leider nur immer wieder vertrösten. Es gibt keine Möglichkeit, das Ganze irgendwie zu beschleunigen, falls er sein Gedächtnis überhaupt jemals wiedererlangt. Immerhin hat er ihn ein bisschen vertröstet und gemeint, dass es auch ganz plötzlich passieren kann, wenn er auf etwas Bekanntes stößt und so eine Tür in seinem Kopf geöffnet wird, die bis dahin versperrt war. Was dieses Bekannte sein könnte, konnte er ihm aber nicht sagen. Es könnten Gegenstände oder Personen sein, irgendeine Geste, manchmal sogar ein bekannter Geruch, der eine schöne Erinnerung auslöst. Doch wie soll er das hier finden? Im Grunde ist ihm hier alles fremd. So wird er es wahrscheinlich nie schaffen, sich an etwas zu erinnern. Seufzend stößt der Blonde die Luft aus. Aus dem Augenwinkel mustert Raph ihn. Etwas geht Michael durch den Kopf, doch was mag das sein? „Hey, woran denkst du?“, unterbricht der Saikämpfer somit die Stille. „Ich – hab mich nur gerade gefragt, ob ich mich jemals an das erinnern werde, was vor dem hier war. Oder wenigstens an meinen richtigen Namen…“, mit traurigen Augen blickt er seinen Meister an. „Weiß du, mein Sensei hat immer gesagt, man soll das Vergangene vergangen sein lassen und sich nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren, da man ja nicht weiß, was die Zukunft für einen bereithält…“ Raphaels Worte klingen ebenso traurig wie Michaels, dennoch glänzt in seinem einsamen Auge eine undurchdringbare Entschlossenheit. „Das ist wirklich gut, aber auch verdammt schwer.“, erwidert der Jüngere. Raphael gibt ein angewidertes Schnauben von sich. „Früher dachte ich auch immer, dass das ein echt guter Spruch ist, aber mittlerweile weiß ich wie bescheuert er ist und das so was gar nicht geht. Ich kann zwar jetzt leben und mir keine Gedanken um Morgen machen, doch was geschehen ist, kann ich niemals vergessen. Vielleicht nur für einen kurzen Augenblick und dann schlägt es wieder auf mich ein…“ „Bei dem, was du alles durchgemacht hast, kann ich das gut verstehen. Doch ich kann mich ja nicht daran erinnern, was war…“ Tief sehen sie einander in die Augen. „Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass du vielleicht etwas so Schreckliches erlebt hast, dass dein Hirn sich absichtlich weigert, sich daran zu erinnern, weil es dich zugrunde richten könnte?“, die Ernsthaftigkeit in Raphaels Worten ist nahezu beängstigend. Unweigerlich zuckt der Junge neben ihm leicht zusammen. „Nein – ich glaub, auf den Gedanken bin ich noch nicht gekommen. Allerdings würde das vielleicht einiges erklären. Trotzdem wüsste ich gern, was vorher war und wer ich eigentlich bin.“ „Das glaub ich dir gern, doch dabei kann dir wohl niemand helfen, als du selbst.“ Für diese selten miese Lüge könnte sich Raph augenblicklich ohrfeigen. Immerhin weiß er, wer der Junge neben ihm ist und was alles vorher war, aber seine eigenen Bedenken hindern ihn daran, es ihm zu sagen und das wird sich auch nicht ändern, so gern er ihm auch helfen wollen würde. „Vielleicht solltest du einfach nicht so viel darüber nachdenken. Damit überforderst du dich nur. Was auch immer es ist, dass dich am Erinnern hindert, braucht Zeit, um zu Heilen.“ „Ja, das hat der Tierarzt auch gesagt und wahrscheinlich ist das auch die beste Lösung, dennoch ist es schwer.“, aber Michael versucht schon wieder zu lächeln. Erneut gibt Raph ein Schnaufen von sich. Immerhin ist es für ihn mindestens genauso schwer. „Vielleicht sollten wir damit aufhören und an etwas anderes denken, nur für heute Abend.“, schlägt er dennoch vor und Michael nickt zustimmend. Langsam rückt der Junge etwas näher an seinen Meister heran und legt seinen Kopf auf dessen Schulter. Etwas überrascht nimmt Raph das Ganze zur Kenntnis. Dann legt er dem Blonden den Arm um die Schulter und zieht ihn noch etwas enger an sich. Eine angenehme Wärme breitet sich zwischen ihnen aus und lässt sie verträumt an die Zeit denken, als noch keine unsichtbare Mauer der Sorge sie davon abgehalten hat, sich nahe zu sein. „Denkst du, es wird je wieder so wie früher?“, fragt der Nunchakuträger leise. „Irgendwann bestimmt, aber das wird wohl noch ein oder zwei Generationen dauern, bis alles wieder hergerichtet ist…“ Irritiert legt der Jüngere die Stirn in Falten und sieht seinen Partner verwirrt an. „Das ist mir schon klar, aber ich meinte zwischen uns…“ Nun ist es Raphael, der die Stirn runzelt. „Ach so. – Tja, das ist schwer zu sagen. Ich hab nichts dagegen, dass wieder alles so wird wie früher. Doch ich weiß nicht, wie gut du damit zurechtkommst. – Ich will dir ja nicht wehtun oder dergleichen…“, Sorge schwingt in seiner Stimme mit. „Ich fände es auch schön, wenn es wieder so wäre. Aber ich kann nicht sagen, ob meine Reaktion positiv oder negativ gestimmt ist. Doch ich denke, das werden wir nur herausfinden, wenn wir es versuchen.“ Als der Saikämpfer ihm in die Augen blickt, erkennt er eine altbekannte Neugierde und eine regelrechte Sturheit. Sie geben all die Ehrlichkeit und den tiefen Wunsch nach Nähe wieder, den Raph solange vermisst hat. Das Lächeln des Jungen verstärkt dieses Gefühl nur noch mehr und der Saikämpfer ist sich sicher, dass Michael über das Gröbste hinweg ist und so schnell nicht ‚nein‘ zu ihm sagen wird. Wie um seine Gedanken zu bestätigen, näher sich ihm der Nunchakuträger, bis sich ihre Nasenspitzen fast berühren. Ganz sanft haucht er dem Älteren einen Kuss auf die Lippen. Aber wenn schon, dann bitte richtig, geht es Raphael durch den Kopf. Bestimmend zieht er den Chaosninja enger zu sich heran und verwickelt ihn in einen tiefen Kuss, der all seine Sehnsucht und Begierde widerspiegelt. Etwas überrascht zuckt Michael zusammen, doch er trennt sich nicht von ihm. Im Gegenteil, er legt dem Rothaarigen die Finger um den Nacken und erwidert das wilde Spiel mit dem gleichen Hunger, der ihm entgegengebracht wird. Der einstige Hamato kann sein Glück kaum fassen und würde am liebsten auf ewig so verweilen. Allerdings hat die Natur sich zur Tragik aller dafür entschlossen, dass der Mensch doch ab und an mal Luft holen muss. Die beiden zögern diese lästige Notwendigkeit so lange hinaus wie es nur geht und blicken sich dann schwer atmend in die Augen. „Das hat mir echt gefehlt…“, presst Michael keuchend hervor. „Ja, mir auch…“, erwidert Raph nicht minder aus der Puste. Ein Lächeln huscht über ihre Gesichter und scheint dabei wie eine stumme Verabredung zu wirken. Ohne ein weiteres Wort, klettern die beiden Ninjas von dem Baum hinunter und machen sich auf den Weg zur Nachbarinsel. Dort erwartet sie ein großes Bett, das lange in Einsamkeit schwelgen musste. Doch nicht heute Nacht. Nein, heute Nacht wird es erfüllt sein von der brennenden Leidenschaft zweier Liebender, die sich wiedergefunden haben. Die ihre heißen Körper taktvoll aneinander reiben, ihre Herzen im gleichen Rhythmus pochen, ihre Lippen nichts weiter kennen, als den Namen ihres Partners und ihre Augen, die nichts weiter sehen, als die endlose Schönheit ihrer flammenden Liebe zueinander. Gefangen in der endlosen Zeit dieses einen Augenblicks, der doch ihre ganze Zukunft bestimmt, die sie nie wieder ohne den anderen bestreiten möchten und doch kann niemand sagen, was sie noch alles erwarten wird. Ungeachtet dessen machen sie einfach weiter. Derweil befindet sich eine kleine Gruppe von Menschen im Aufbruch. Sie verlassen den Ort, der sie über zehn Jahre beheimatet hat und den sie halfen wieder aufzubauen. Nun können die Menschen dort selbst für sich sorgen und die kleine Gruppe kann sich endlich ruhigen Gewissens auf den Weg in ihre alte Heimat machen. Ihre Reise wird noch einige Monate dauern und ein harter Winter steht ihnen bevor. Dennoch fühlen sie sich stark und bereit und die Sehnsucht nach etwas Vertrautem, die sie all die lange Zeit unterdrücken müssten, übernimmt all ihr Denken, selbst wenn das Vertraute nur noch aus Trümmern besteht. All die vielen Monate und Jahre, die seit dem Ende des Krieges vergangen sind, haben sie nie ruhen lassen. Sie wissen nicht, was sie in den einstigen USA erwarten wird, wenn sie es erreichen, wissen nichts von den Trümmern, die einst ihre Existenz darstellen. Doch sie wissen, dass ihre Herzen nie die Suche nach denen aufgegeben haben, die damals so schmerzvoll von ihnen gerissen wurden. Ihr einziger Glaube besteht darin, sie lebend zu finden und wieder eine Familie zu werden. Das sie dennoch tot sein könnten, wie man es von ihnen selbst denkt, daran wollen sie keinen einzigen Gedanken verschwenden, dennoch sind sie sich dieser Tatsache mehr als bewusst. Aber die Hoffnung in ihnen ist stärker, als es jemals eine Waffe sein könnte! A Christmas story... -------------------- Zwei Monate später – Dezember… Eis und Schnee haben das verwüstete Land fest im Griff und zwingen die Überlebenden des Krieges ihre Zeit tief unter der Erde in dem schützenden Bunker oder hinter den dicken Mauern des Krankenhauses zu verbringen. Dennoch ist die Stimmung unter den Leuten keineswegs getrübt. Eine Art ausgelassene Vorfreude liegt in der Luft und stimmt die Menschen langsam auf die bevorstehende Weihnacht ein. Trotz der Tatsache, dass lange Zeit Krieg geherrscht und viele alles verloren haben, gab es immer Leute, die sich die Mühe gemacht haben, die verstreichende Zeit festzuhalten und so einen Überblick über alle Geschehnisse für die Nachwelt zu haben. Also ging auch nie verloren, welche wichtigen Feiertage wann stattfanden. So hatten die Überlebenden immer noch etwas, woran sie sich festhalten konnten und was ihnen kurzzeitig ein Stück Normalität vermittelt hat. Doch nicht jeder sieht dem freudig entgegen. Raphael würde am liebsten jeden Tag aus dieser Welt verbannen, der seit dem Tod seiner Familie verstrichen ist. Er hat sich nie die Mühe gemacht, herauszufinden, welches Datum herrscht und wenn es ihm jemand gesagt hat, hat er es schnell wieder verdrängt. Es hat ihn nur daran erinnert, wie lange er seine Familie schon so schmerzlich vermisst und dass es keinen Tag gibt, der es besser machen wird. Feiertage, ganz besonders Weihnachten, machen dieses Gefühl der Einsamkeit nur noch schlimmer und daher hat er es sich schnell zur Aufgabe gemacht, solche Tage regelrecht zu hassen und zu ignorieren. Die Menschen um ihn herum sind natürlich nicht der Meinung, sich solche Tage vermiesen zu lassen nur, weil ihr Führer etwas dagegen hat. Das Ganze sorgt zumeist für erhebliche Spannungen zwischen den Leuten und Raph. Jahr für Jahr die gleichen Diskussionen und keine der beiden Seiten will nachgeben. Als vor wenigen Tagen der erste Schnee dieses Jahres eingesetzt hat, fiel Raphaels Stimmung mindestens genauso schnell wie die nächtlichen Temperaturen und das wird sich wohl auch erst ändern, wenn sich der Winter wieder verabschiedet. Vielleicht kennt er nicht das heutige Datum, doch er weiß, dass es nur noch wenige Tage bis Weihnachten sein können. Zu vieles deutet daraufhin. Die ausgelassene Stimmung der Menschen, zaghafte Dekoration an einigen Stellen, das Anstimmen wohlbekannter Melodien, der Duft von Plätzchen… Das alles macht den Saikämpfer vollkommen wahnsinnig. Mit finsterer Miene stapft er den Flur entlang und versucht all das systematisch zu ignorieren. Ein Knurren nach dem anderen entkommt seiner Kehle, doch das macht es nicht viel besser, aber zumindest hält es die Weihnachtsbegeisterten auf Abstand. Die Meisten wissen ganz genau, was Raph davon hält und bleiben ihm so gut es geht fern, doch eben nicht alle. Michael ist bis jetzt noch nicht wirklich aufgefallen, dass Raph scheinbar ein Problem mit Weihnachten hat, da der Rote ja sehr oft aus den merkwürdigsten Gründen schlechte Laune schiebt. Doch der Blonde freut sich riesig auf die Festtage und versucht jedermann mit seiner guten Laune anzustecken. Und vielleicht besteht ja doch so etwas wie Hoffnung, dass er seinem Meister ein Lächeln untern Weihnachtsbaum entlocken kann? Nach dem Training macht sich der Nunchakuträger auch sogleich daran, seine Gedanken umzusetzen. Er hilft den Frauen und Kindern beim Dekorieren des Krankenhauses, während die Männer in den Trümmern New Yorks auf der Suche nach einem Baum sind. Nichts ahnend von alledem fragt sich Raphael allerdings, wo sich der Bengel rumtreibt. Auf dem Flur begegnet er Chen. Der Japaner war bis eben noch ganz ausgelassen in Gedanken an Weihnachten, doch als er seinen Führer und dessen Laune erblickt, verschwindet seine Vorfreude ganz schnell in einer dunklen Kammer seines Kopfes. Dennoch mustert der Saikämpfer ihn ernst, wohlwissend das Chens Gedanken gerade bei diesem verhassten Festtag waren. „Wo steckt Michael?“, fragt er geradewegs heraus. Chen ahnt schon, dass es wohlmöglich ein Unglück geben wird, wenn er es ihm sagt, doch was bleibt ihm schon anderes übrig? Lügen würde nicht sonderlich gut klappen, Raph durchschaut vieles ziemlich schnell und Chen ist ein ganz furchtbarer Lügner. „Oh, ich glaube, er ist drüben und hilft den Frauen bei etwas…“, erwidert er daher kurz angebunden. Argwöhnisch mustert Raphael ihn ein weiteres Mal mit seinem einsamen, steckend gelbgrünen Auge. „Das hab ich mir schon fast gedacht und wahrscheinlich weiß du auch, was er dort treibt, nicht wahr?“ „Ja, schon, aber die Antwort würde Euch nicht gefallen…“ „Das hab ich mir auch schon gedacht. Aber das ist ja nicht dein Problem, denn mir gefällt rein gar nichts daran…“ Mit diesen Worten schiebt sich der Rote an ihm vorbei und setzt missmutig seinen Weg fort. Chen blickt ihm noch eine Weile hinterher und hofft, dass er nicht wieder so ein Theater abzieht wie letztes Jahr, wo er allen versucht hat das Weihnachtsfest zu verbieten, als sei er Ebenezer Scrooge höchstpersönlich. Wegen seiner Launen haben sich die Leute immerhin schon dazu entschlossen, all die Festlichkeiten nur auf North Brother Island abzuhalten, damit Raph sie nicht sehen muss. Aber der eigenwillige Hitzkopf lässt sich ja nicht lumpen, dort rüber zu gehen und auch da Stunk zu machen. Und die Tatsache, dass Michael sich in dem bunten Treiben aufhält, wird dies garantiert noch begünstigen. Aber selbst Scrooge hat am Ende eingesehen, dass Weihnachten etwas Schönes ist. Vielleicht bekommt Raphael ja auch Besuch von einem Geist, der ihn auf den rechten Weg zurückbringt, ein Geist in Form eines fröhlichen, blonden Jungen? Zu wünschen wäre es ihm und allen anderen hier auf jeden Fall. Ein mitleidiges Lächeln huscht über Chens Gesicht, dann macht er sich wieder auf den Weg zum Trainingsraum, um Vorbereitungen für den morgigen Tag zu treffen. Raphael hingegen durchquert den unterirdischen Tunnel, der die beiden Inseln miteinander verbindet. Seine Laune scheint mit jedem Schritt schlechter zu werden. Nur zu gut kann er sich vorstellen, dass Michael Freude an dem Gedanken hat, Weihnachten zu feiern. Vor gefühlten Jahrhunderten war es auch einst Mikey´s liebster Tag im Jahr. Er hat alles gemacht, was man sich nur vorstellen kann. Tonnenweise Plätzchen gebacken, das ganze Haus geschmückt, ein Weihnachtslied nach dem anderen ertönen lassen. Der Tannenbaum war so mit Schmuck überladen, dass er jedes Showgirl in Las Vegas ausgestochen hätte und es ein Wunder war, dass er nicht unter der Last zusammengebrochen ist. Alles Dinge, über die Raph stets den Kopf geschüttelt hat. Zwar mochte er Weihnachten damals auch sehr gern, doch war er der Ansicht, dass sein kleiner Bruder doch etwas übertreibt. Aber ein Blick in seine leuchtenden, blauen Augen, das strahlende Lächeln und seine aufgeregt geröteten Wangen haben den Saikämpfer stets davon überzeugt, dass es richtig ist und es nichts Schöneres geben könnte. Doch diese Gedanken sind mit seinem Bruder gestorben und so auch die Freude an Weihnachten. Allerdings ist sein Bruder genauso wenig tot wie das Christenfest. Allein die Erinnerung fehlt dem Nunchakuträger, was seine Freude aber dennoch nicht schmälert. Wenn Raph ihm jetzt ins Gesicht sieht, erblickt er wieder seinen geliebten Babybruder, sieht das unglaubliche Glück und die familiäre Wärme, die er immer empfunden hat und genau dies triebt ihn in den Wahnsinn. Nichts ist mehr so wie früher, auch wenn Michael eigentlich sein Bruder ist. Wie könnte sich Raph also über diesen Tag freuen, wenn es ihm nur allzu deutlich macht, dass der wichtigste Mensch in seinem Leben zwar neben ihm steht, sich jedoch nicht daran erinnern kann? Nicht zum ersten Mal kommt ihm daher der Gedanke, dass es besser gewesen wäre, wenn Mikey damals wirklich gestorben und ihnen beiden somit einiges an Leid erspart hätte. Mit der geballten Faust schlägt er sich hart gegen die Stirn. So etwas sollte er nicht denken! Es gibt nichts Schöneres, als die Tatsache, dass sein Bruder noch lebt, könnte er sich doch nur endlich an etwas erinnern. Was würde Raph alles dafür geben. Aber jeder Tag, der verstreicht, macht ihm klar, dass sich der Nunchakuträger wahrscheinlich nie wieder an etwas erinnern wird und er sich damit abfinden muss nur die leere Hülle seines Bruders vor sich zu haben und den Geist eines anderen. Seufzend steigt der Führer durch die Luke und steht dann vor dem ehemaligen Krankenhaus. Die einstigen Flüchtlinge haben ganze Arbeit geleistet. Das gesamte Gebäude ist in Girlanden eingewickelt, die aus verschiedenfarbigen Stoffstreifen gemacht wurden. An diesen Girlanden hängen unterschiedliche Kugeln, Sterne, kleine Päckchen und allerhand mehr, was die Kinder liebevoll zusammengebastelt haben. Die Fensterbänke sind mit Tannenzweigen dekoriert, in denen Kerzen und selbstgemachte Zuckerstangen stecken. Neben dem Eingang steht ein gezimmerter Schlitten, in dem eine Schaufensterpuppe als Weihnachtsmann verkleidet sitzt. Vor den Schlitten sind Rentiere aus dicker Pappe gespannt und das Vorderste trägt die verräterisch rote Nase des wohl bekanntesten von ihnen. Im Schlitten selbst thront ein großer Sack, aus dem liebevoll verpackte Geschenke herausschauen. Etwas entfernt, auf der anderen Seite steht etwas, dass ungeschickte Hände versucht haben zu schnitzen und was sich als Krippenszene präsentieren möchte. Etliches ist falsch oder einfach dazu gedichtet, dennoch erkennt man die Mühe und Liebe, die der Macher darin investiert hat. Aus der großen Küche duftet es nach Keksen und weihnachtlichen Gewürzen, alles umrahmt vom Duft der Tannenzweige und des Schnees. Mit offenem Mund betrachtet der einstige Hamato das Ganze. Es zerreißt ihm fast das Herz, so sehr erinnert es ihn an sein Zuhause und eine längst vergangene Zeit. Dumpf spürt er heiße Tränen hinter seinen Augen brennen. Doch er vertreibt sie mit der Wut, die in ihm hochkocht. Schon immer hatte er etwas leicht Egoistisches an sich, doch in diesem Moment ist er mal wieder der Meinung, dass niemand eine solche Freude empfinden darf, solange er sie nicht genießen kann. Vor endlosen Jahren hat Splinter stets versucht, ihm solche Gedanken abzugewöhnen und sich stattdessen für andere zu freuen. Aber seit sein Vater und Meister nicht mehr da ist, kriegt er vieles einfach nicht mehr auf die Reihe und lässt sich oftmals blind von seiner Wut leiten. Zähneknirschend steht er mit geballten Fäusten vor dem Krankenhaus und verflucht stumm die ganze Welt für sein Leid. Dann reißt ihn eine helle Stimme aus seinen Gedanken. „Meister!“ Als er sich umblickt, sieht er Michael auf ihn zukommen. Lächelnd winkt der Junge und knabbert an einem Keks. Am liebsten würde Raph ihm das Gebäck aus der Hand reißen und auf dem Boden zerstampfen, doch er widersteht dem Drang gerade noch so. „Da bist du ja. Ich hab schon überall nach dir gesucht.“, fährt er den Jungen stattdessen an. Schuldbewusst senkt dieser einen Moment den Kopf. „Es tut mir leid. Was gibt es denn?“ „Jede Menge zu tun, daher versteh ich nicht, wie du deine Zeit mit diesem sinnlosen Mist vergeuden kannst!“ Die Strenge in Raphaels Stimme ist zum Greifen nahe und zum ersten Mal merkt der Blonde, dass sein Meister eine gewisse Abneigung gegen Weihnachten zu haben scheint. Dennoch macht ihn die Kälte in seiner Stimme für einen Augenblick sprachlos. Dabei kann Raph sehen, wie etwas in dem Jungen zu zerbrechen scheint und sich seine ausgelassene Stimmung damit verabschiedet. „Verzeih mir, Meister. Es kommt nicht wieder vor. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen…“, die Traurigkeit in der Stimme des Kleineren ist nun mindestens genauso greifbar, wie die Strenge zuvor in Raph´s. Mit hängenden Schultern und gesenktem Blick trottet der Junge an ihm vorbei, Richtung Lucke und verschwindet dann schließlich darin. Eine Weile sieht der Saikämpfer ihm noch nach, dann wirft er einen verächtlichen Blick auf das Krankenhaus und rümpft angewidert die Nase, ehe auch er zurück auf seine Insel geht. Ein paar Tage später… Nun ist es passiert, es ist tatsächlich Heiligabend und die freudige Stimmung unter den Leuten steht auf ihrem Höhepunkt. Raphaels Laune aber ist an ihrem Tiefpunkt angelangt. Seit zwei Tagen hat er sein Zimmer nicht mehr verlassen, sitzt nur grummelnd an seinem Schreibtisch und betrachtet gedankenverloren die wenigen Fotos, die ihm von seiner einstigen Familie geblieben sind. Nicht selten hat er in diesen beiden Tagen auch geweint oder mit den blanken Fäusten auf die Tischplatte geschlagen. Verzweiflung wechselte zu Trauer, zu Einsamkeit, zu Wut, zu Verachtung und wurde schließlich wieder zu Verzweiflung. Als die Welt noch in Ordnung war, hat er oft gehört, dass die meisten Selbstmorde in der Weihnachtszeit stattfinden. Wirklich verstanden hat er es damals nicht. Jetzt kann er diese Ansicht nur zu gut nachvollziehen. In den letzten zwölf Jahren hat er sehr oft mit diesem Gedanken gespielt, sich selbst zu erlösen und all seinem Leid ein Ende zu setzen. Warum er es nicht getan hat, weiß er selbst nicht so genau. Irgendwie kam im letzten Augenblick immer etwas dazwischen, dass ihm neuen Mut gemacht hat. Letztendlich war es Michael selbst, der alles verändert hat und ihm die verlorene Hoffnung zurückbrachte. Manchmal hat Raph sogar das Gefühl, dass der Junge ohne Erinnerung alles ist, was ihn überhaupt noch am Leben hält und gleichzeitig könnte er ihn dafür verfluchen. Den Tränen nahe wirft er die Bilder seiner Familie auf die Tischplatte und schlägt die Hände vors Gesicht. Er will nicht wieder weinen, doch eine Wahl hat er nicht wirklich. Eine einzelne Träne rinnt seine Wange hinab, als es zaghaft an seine Tür klopft. Erschrocken fährt der Führer zusammen und wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Er räuspert sich krampfhaft und holt tief Luft. „Herein!“ Langsam öffnet sich die schwere Stahltür und Michael tritt ein. Einem Reflex gleich, klaubt Raph alle Fotos auf dem Tisch zusammen und schiebt sie dann in eine Schublade. Ihm ist bewusst, dass der Junge es gesehen hat, erst recht, da Michael nun schaut, als würde er sich für seinen Besuch schämen. „Ähm, wenn es unpassend ist, kann ich auch später…“, setzt er an, ehe Raph ihn unterbricht. „Was willst du?“, fragt der Rote grob. Sein Blick fällt auf eine kleine Schachtel, die der Junge beinahe panisch umklammert. Raphaels Blick verfinstert sich. Michael schluckt schwer. „Ich denke, es ist doch besser, wenn ich…“, versucht er es erneut. „Nein, du bleibst hier und sagst mir, was los ist!“, kontert Raphael streng. Leicht zuckt der Junge zusammen und tritt dann ein paar Schritte näher. „Ich wollte dir eigentlich nur das hier geben…“, bringt er mit der Andeutung eines Lächelns hervor. Mit gerümpfter Nase betrachtet Raphael die Schachtel erneut. „Na schön, leg es auf den Tisch und dann verschwinde!“, grummelt er. Wieder scheint etwas in Michaels Blick zu zerbrechen. Seine Augen beginnen verräterisch zu glänzen und er beißt sich auf die Unterlippe. Dann tritt er schnell näher und legt die Schachtel auf den Tisch. Ohne ein weiteres Wort wendet sich der Junge wieder um und verlässt das Zimmer. Hastig läuft Michael den Flur entlang, während ihm Tränen über die heißen Wangen rinnen. Derweilen betrachtet Raph argwöhnisch die Schachtel. Er kann sich vorstellen, dass es ein Weihnachtsgeschenk von Michael ist und dass er dem Jungen vermutlich das Herz gebrochen hat, als er ihn eben so angefahren hat. Doch er kann nichts dafür. Michael weiß nicht, wie es in ihm aussieht und was er gerade durchmacht. Dennoch tut es Raph weh, ihn so verletzt zu haben. Er hat es doch nur gut gemeint. Schwer seufzend zieht er die Schachtel zu sich heran und betrachtet sie, unsicher, ob er sie überhaupt öffnen soll. Langsam dreht er sie in seinen Händen und denkt nach. Schließlich legt er sie wieder hin und sieht sie zornig an. Schmollend wendet er sich ab und kramt wieder die Fotos aus der Schublade hervor. Gedankenverloren betrachtet er die Bilder eins nach dem anderen. Allerdings wandert sein Blick immer wieder zu der Schachtel zurück. Er weiß nicht wieso, doch sie macht ihn verrückt. Was immer darin ist, er will es nicht haben, ganz egal wie viel Mühe sich Michael damit auch gegeben hat. Nichts kann seinen Schmerz lindern. Genervt knurrt er die Schachtel an und versucht sich wieder auf die Fotos zu konzentrieren. Es klappt ein paar Momente, dann wandert sein Blick zurück. Wütend schlägt er sie Fäuste auf den Tisch. „Verdammt!“, grummelt er und fegt die Schachtel mit der Handkante vom Tisch. Er denkt, sie würde auf dem Bett landen und dass er sich dann später mit ihr befassen kann, doch Fehlanzeige. Klappernd landet sie stattdessen vor dem Bett auf dem Boden und der Deckel springt ab. Darin sieht er etwas, das Michael mit einem roten Seidenpapier umwickelt hat. Dennoch lugt eine Ecke hervor. Es sieht aus wie ein Bilderrahmen. Sein Auge weitet sich und er blickt für einen Moment auf die Fotos auf seinem Tisch hinab. Dann steht er auf und geht langsam zu der Schachtel hinüber. Raph sinkt auf ein Knie und hebt den Bilderrahmen auf. Mit pochendem Herzen zieht er vorsichtig das rote Seidenpapier zur Seite. Es ist tatsächlich ein Bilderrahmen und wie es scheint, hat Michael ihn selbst geschnitzt. In das helle Holz hat er zarte Ranken und Blätter geritzt und das Ganze dann mit einer dunklen Lasur überzogen. Zart gleiten Raph´s Finger über die feinen Muster. Schon damals war Mikey für sein künstlerisches Geschick bekannt. Man würde ihm so was eigentlich gar nicht zutrauen, da er sonst immer so ungeschickt und konzentrationslos wirkt. Aber in ihm steckt weit mehr, als man denkt. Noch gut kann sich Raphael erinnern, wie sein Bruder den Shellraiser angemalt hat. Ein echtes Kunstwerk, das jetzt leider in den Tiefen des Bunkers verrostet und wohl nie wieder das Tageslicht sehen wird… Dann legt Raphael das Bild unter dem Seidenpapier frei und ihm stockt der Atem. Bei dem Bild handelt es sich um ein Foto, das Chen vor ein paar Monaten gemacht hat. Damals haben er, Raph und Michael zusammen um ein Lagerfeuer gesessen und sich ausgelassen unterhalten. Auf dem Foto jetzt sind der Blonde und Raph zu sehen, wie sie dicht nebeneinandersitzen und der Kamera mit ihrer Limonade zuprosten. Im Vordergrund das knisternde Feuer, das wilde Schatten auf ihre Gesichter zaubert. Über dem Feuer sieht man ein paar Stöcker, an denen sie Knüppelbrot und eine Art Marshmallows gegrillt haben. Im Hintergrund kann man den East River im Mondschein glitzern sehen und der Vollmond, der über ihren Köpfen thront wie ein großer Scheinwerfer. In ihren Gesichtern spiegelt sich die ausgelassene Stimmung dieses Abends wieder. Ein seltener Moment, in dem man Raph in Gegenwart anderer lächeln sieht, festgehalten für die Ewigkeit. An diesem Abend hat der Rote nicht verstanden, warum zum Teufel Chen eine Kamera dabeihatte und sie fotografierte, doch nun kann er sich vorstellen, dass Michael das Ganze wohl schon lange geplant hat. Mit fast schon zitternden Beinen erhebt sich Raphael und geht zu seinem Stuhl zurück. Schwerfällig lässt er sich darauf fallen und wühlt die alten Fotos durch. Schließlich findet er, was sein überforderter Geist gesucht hat. Das Foto zeigt ihn mit seiner Familie vor einem Lagerfeuer in einer Vollmondnacht im Sommer. Auch damals haben sie Marshmallows und sogar Würstchen gegrillt. Gemeinsam haben sie mit ihren Getränken lachend der Kamera zugeprostet, die per Selbstauslöser das Bild gemacht hat, sodass sogar Splinter drauf zu sehen ist. Das Bild, das er nun von Michael bekommen hat, sieht aus, als hätte man es aus dem alten Foto ausgeschnitten und vergrößert, sodass nur er und Raph darauf zu sehen sind. Den einzigen Unterschied darauf macht Raph selbst, da er inzwischen viel älter geworden ist, Michael aber immer noch fast so aussieht wie damals. Je länger er die beiden Bilder betrachtet, desto mehr bekommt er das Gefühl, dass er derjenige ist, der fehl am Platz darauf ist, da sich außer ihm so gut wie nichts verändert zu haben scheint. Und irgendwie stimmt das auch. In all der Zeit hat er sich verändert und das nicht unbedingt zum Guten. Er ist jetzt Shredder, der Inbegriff dessen, was er nie sein wollte. Doch er kann es jetzt nicht mehr ändern. Allerdings kann er etwas Anderes ändern und zwar seine Einstellung Weihnachten gegenüber! Fahrig wischt er die Fotos zurück in die Schublade und stellt anschließend Michaels Geschenk auf seinen Nachttisch. Wie konnte er all die Jahre nur so blind sein? Er hat versucht etwas zu verdrängen, das dennoch immer da sein wird und dem er sich vielleicht verschließen, aber es nicht abschaffen kann. Weihnachten ist ein Fest der Liebe und der Familie. Seine Familie mag vielleicht nicht mehr da sein und Mikey sich nicht mehr an ihn erinnern, aber die Liebe, die sie beide teilen, ist dennoch vorhanden und sie ist es in jedem Fall wert, dass man an sie denkt! Mit diesem Gedanken macht sich Raphael auf den Weg zu Michaels Zimmer. Dort angekommen, reißt er einfach die Tür auf, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, anzuklopfen. Da ist es auch kein Wunder, dass der Blonde sich erschreckt. Mit nassen Wangen und tellergroßen Augen blickt er den Eindringling an und ist mehr als erstaunt, dort seinen Meister zu sehen. Schnellen Schrittes ist der Rote bei ihm und zieht ihn in seine Arme. Etwas überfordert lässt Michael es geschehen. Dann sieht Raph ihm fest ins Gesicht. Sein einsames Auge glänzt verräterisch, doch noch fließen keine Tränen. „Danke für dein Geschenk, Michael. – Es hat mich wieder wachgerüttelt und mir klargemacht, was für ein Idiot ich die ganze Zeit war. – Alles, was ich brauche bist du und es bringt mir nichts der Vergangenheit nachzutrauern, wenn das Wichtigste auf der Welt doch direkt vor mir sitzt! – Es tut mir leid, dass du immer wieder meine Launen ertragen musst, doch ich verspreche dir, dass ich versuche mich zu ändern…“ Während seiner Ansprache brechen dann doch die Dämme und Michael sieht voller Erstaunen wie sein sonst so starker Meister in Tränen ausbricht und seine Stimme zu zittern beginnt. „Schon alles vergessen, Raph!“, verkündet der Kleine, während ihm selbst wieder die Tränen kommen. „Frohe Weihnachten!“, kommt es dem Roten über die Lippen, ehe er den Jungen zu sich heranzieht und in einem innigen Kuss mit ihm versinkt. Unexpected meeting... --------------------- Zwei Monate später – Februar… Der lange, harte Winter löst langsam seinen Klammergriff und gibt der Welt die Chance, einen Neubeginn zu wagen. Nach und nach steigen die Temperaturen über den Gefrierpunkt, die Sonne lugt verhalten hinter den schweren Wolken hervor und versucht die Erde aufzuwärmen. In der friedlichen Stille der schneebedeckten Trümmer Manhattans hört man überall das Tropfen von Tauwasser. Dennoch ist die ehemalige Stadt am East River noch mit einer dicken Schicht aus Eis und Schnee bedeckt. Wer nicht unbedingt nach draußen muss, verbringt seine Zeit lieber an einem warmen Ort, eingekuschelt und mit dem Gedanken an den bevorstehenden Frühling. Doch nicht jeder kann diesem schönen Gedanken folgen. Im Schnee sind deutlich die Spuren einiger Tiere zu erkennen, die versuchen, unter der weißen Masse etwas Fressbares zu finden. Aber auch hier warten die meisten lieber darauf, dass der Schnee vollständig schmilzt. Bei den Menschen wagen sich nur die nach draußen, die es müssen. Erschöpfung zeichnet die Schritte der drei Männer, die nach so langer Zeit den Weg in ihre alte Heimat wiedergefunden haben. Die Schneemassen lassen sie nur ahnen, wie viel Vernichtung der Krieg vor so langer Zeit angerichtet hat. Dennoch stimmt sie der Anblick unendlich traurig, da sie wissen, dass es nie wieder so sein wird wie früher. Vielleicht sind sie jetzt wieder hier, wo sie geboren und aufgewachsen sind, all die schöne Zeit miteinander verbrachten, doch alles, was ihnen etwas bedeutet hat, ist nun Vergangenheit. Und irgendwo unter all den Trümmern liegen ihre beiden Brüder begraben und machen damit ihr Wiederkehren zu etwas sehr Unerfreulichem. Trotz der Traurigkeit, die sie beim Anblick der Stadt und bei dem Gedanken an all die Verstorbenen empfinden, fühlen sie doch so etwas wie Freude, den Ort wiederzusehen, der ihnen einst alles bedeutet hat und für den sie Nacht für Nacht auf den Straßen für die Sicherheit der Bewohner gekämpft haben. Allein das sie noch leben, um diese Gefühle hier an diesem Ort zu haben, grenzt an ein Wunder, das lange Zeit mit dem Schicksal gerungen hat. Auch nach über zehn Jahren und getrübt von all den Trümmern, finden sie noch sicher ihren Weg, als wären sie erst gestern zum letzten Mal hier entlanggegangen. Die vielen zerstörten Gebäude und die karge, verschneite Landschaft stimmt sie sehr traurig. Scheinbar hat sich niemand die Mühe gemacht, die einst so berauschende Stadt wiederaufzubauen, wie sie es endlose Meilen entfernt in einer anderen Stadt getan haben. Aber vielleicht haben hier, im Zentrum des Krieges, gar keine Menschen überlebt, die sie wiederaufbauen konnten? Doch daran mag keiner von ihnen denken. Wahrscheinlicher ist, dass die Bewohner sich einen anderen Platz zum Leben gesucht haben und Manhattan aufgaben. Langsam setzen die drei Männer ihren Weg fort. Angeführt werden sie dabei von einem schwarzhaarigen Schwertträger. Sein langer Ledermantel flattert im leichten Wind. Seine strengen Augen sondieren die Umgebung nach möglichen Gefahren. Um seine Stirn schmiegt sich ein langes, blaues Band, das in besseren Tagen seine Augen bedeckte wie eine Maske. Nun, da der Krieger in ihm in der letzten Schlacht gefallen ist, dient es einzig und allein dazu, seine schulterlangen Haare aus seiner Sicht zu halten. Als der Wind erneut seinen Mantel in Bewegung versetzt, sieht man deutlich wie der Krieg ihn gezeichnet hat. Auf der Mitte seiner Brust glüht ein grünes Licht, von der Größe eines Untertellers. Es wirkt unglaublich futuristisch, erinnert es einen doch an einen längst vergessenen Comichelden. Und ganz ähnlich wie bei Toni Stark, ersetzt auch dieses Leuchten das Herz des ehemaligen Schildkrötenkriegers. Als vor all den Jahren ein aufstrebender Schwertkämpfer namens Leonardo von Baxters Stockmans Strahlenkanone getroffen wurde, hat er das Ganze zwar überlebt, doch sein Herz wurde immer schwächer, bis es schließlich seinen Dienst versagte und durch diese batterieähnliche Vorrichtung ersetzt werden musste, die mit Hilfe von Sonnenenergie eine Art Herzschlag produziert. Dicht hinter ihm stützt sich ein alter Mann tief auf seinen Stock. Seine Schritte sind müde und vorsichtig. Von seiner einstigen Kampfkunst scheint nichts mehr sichtbar zu sein. Die lange Reise, die Flucht und die schrecklichen Dinge, die er seit dem Krieg sehen und ertragen musste, haben ihn schwer gezeichnet. Sein Haar ist vollständig ergraut, jede seiner Bewegungen scheint wohlüberlegt zu sein und seine trüben Augen wirken hinter den dicken Brillengläsern so traurig, als würde er die Last der ganzen Welt auf den Schultern tragen. Der dritte Mann legt ihm stützend die linke Hand um die Schulter und führt ihn langsam um einen großen Trümmerberg herum. Beim Anblick seiner Hand wird einem klar, dass der Krieg beim ihm ebenfalls seine Zeichen gesetzt hat. Auch Donatello wurde damals von Baxters Strahlenkanone getroffen und hat dabei seinen linken Arm einbüßen müssen. An seine Stelle ist nun ein mechanischer Arm getreten, dessen metallische Oberfläche sanft im schwachen Sonnenlicht glänzt. Da er Linkshänder ist, brach damals die Welt für ihn ein weiteres Mal zusammen, da er fürchtete niemals wieder eine Erfindung bauen zu können. Dennoch ist es ihm trotz aller Schwierigkeiten gelungen, seinem älteren Bruder das Leben zu retten. Den Preis dafür bezahlte er mit seinem eigenen Arm. Es gelang ihm auch dieses Problem mit Hilfe der überlebenden Bevölkerung Brasiliens zu lösen. Allerdings tut er sich immer noch schwer mit seinem neuen Körperteil. Durch den Krieg ging vieles zu Bruch, was ihm besser hätte helfen können, aber er bleibt standhaft und versucht mit den Macken seines Roboarms zu leben. Und vielleicht besteht ja die Möglichkeit irgendwann etwas Besseres zu finden, um die minimalistische Konstruktion zu verbessern? Gemächlich erreichen sie die Straße, in der sie einst alle so glücklich gelebt haben. Die Verwüstung stimmt sie ein weiteres Mal tieftraurig. Nichts ist mehr dort, wo es einst gewesen ist. Außer in ihren Erinnerungen scheint es diesen Ort nie gegeben zu haben. Schließlich erreichen sie den Platz, an dem vor so langer Zeit ihr Dojo gestanden hat. Fassungslos betrachten die den Haufen Trümmer und Asche, der unter dem tauenden Schnee sichtbar ist. Hilflos rinnen Splinter Tränen über die Wangen. Alles, was er sich mit so viel Mühe aufgebaut hat, ist zerstört. Ungeschickt nimmt Donnie seinen Ziehvater in die Arme und wendet den Blick von ihrer Vergangenheit ab. Einzig Leo verweilt mit seinen Augen auf den Trümmern. Mit geballten Fäusten kämpft er mit seinen Gefühlen. Er versucht sie zu unterdrücken, als er spürt wie ein leichtes Stechen sich in einem Brustkorb bemerkbar macht. Sein neues Herz hält ihn zwar am Leben, doch wie Donnies Arm ist auch es nicht perfekt. Bei Anstrengung oder heftigen Gefühlen fällt es ihm schwer seinem Besitzer genügend zu versorgen. Als er merkt, wie ihm das Atmen immer schwerer fällt, schließt er die Augen, um seinen Geist zu ordnen. Langsam lässt das Ziehen nach und das Luftholen geht wieder leichter. Mit schweren Schritten nähert sich der einstige Leader den Trümmern. Sie wirken anders, als die zerstörten Gebäude nebenan. Kein anderes Haus scheint in Flammen aufgegangen zu sein. Nachdenklich streicht er mit den Fingern durch die kalte Asche. Kann es sein, dass ihr Zuhause absichtlich angesteckt wurde? Haben Shredders Leute nur gewartet, bis sie in die Schlacht ziehen und dann ihr Dojo niedergebrannt? Oder geschah dies erst nach dem Krieg? Hat Shredder vielleicht sogar überlebt und es als letzten Akt der Genugtuung und des Sieges über seine ewigen Feinde getan? Wie immer es auch gewesen sein mag, nun ist alles vernichtet, was ihnen etwas bedeutet hat und sie müssen weiterziehen und einen anderen Platz zum Leben finden. Eigentlich haben sie sich so etwas schon gedacht. Warum sollte auch ihr Haus im Krieg verschont geblieben sein, wo ihre Fehde mit dem Tyrannen doch den Krieg erst in Gang gesetzt hat? Sie wollten nur noch ein letztes Mal diesen Ort sehen, vielleicht irgendetwas retten und dann weiterziehen. Allerdings gibt es hier nicht mehr zu retten, also werden sie ihren Weg fortsetzten müssen und sehen, wo sie vielleicht noch anderen Menschen helfen können. Mit einem tiefen Seufzen wendet sich Leo zu den Überlebenden seiner Familie um und gemeinsam machen sie sich wieder auf den Weg. Es ist schon Mittag und sie müssen sich noch einen Platz für die Nacht suchen. Ein Blick über die zerstörte Stadt verrät ihnen jedoch, dass dies nicht gerade leicht werden wird. Kein einziges Haus scheint Shredders Bombardement verschont geblieben zu sein. Vielleicht haben sie aber auf der anderen Seite der Brücke mehr Glück. Nach und nach bahnen sie sich ihren Weg durch das Gerippe der Stadt. An jeder Ecke werden sie von heftigen Erinnerungen eingenommen und müssen gezwungenermaßen eine Rast einlegen, um sich wieder zu beruhigen. Dadurch kommen sie nur sehr langsam voran und die Chance einen Unterschlupf bis Sonnenuntergang zu finden, wird mit jeder Pause geringer. Immer mehr kommen sie zu dem Schluss, dass die ehemaligen Bewohner an einen anderen Ort gewechselt sind, scheint doch nichts auf Menschen hinzudeuten. Dennoch wirkt es an einigen Stellen so, als hätten die Leute versucht aufzuräumen oder ihre letzten Habseligkeiten aus den Trümmern zu fischen. Doch selbst wenn dem so ist, ist dies wahrscheinlich schon viele Jahre her. Dann jedoch bleibt Leonardo abrupt stehen. Splinter und Donnie stoßen sogar fast gegen ihn. „Was ist los? Warum bleibst du einfach mitten auf dem Weg stehen?“, fordert der Stabträger zu wissen. Dabei klingt er eher verärgert, als verschreckt, wie wenn eine Gefahr drohen würde. „Fußspuren.“, ist das einzige Wort, welches Leo ihm zu teil werden lässt. Sie haben schon etliche Spuren gesehen, ohne das der Ältere so ein Theater gemacht hat, aber die stammten auch alle von irgendwelchen Tieren. Der Schwertträger geht in die Hocke und betrachtet die Spuren genauer, während Splinter und Donnie sich neben ihn stellen. Es handelt sich tatsächlich um die Spuren von Menschen, oder zumindest einem Menschen. Sie wirken noch sehr frisch, vielleicht befindet sich die Person ja noch hier ganz in der Nähe? Stellt sich die Frage, ob sie freundlich gesinnt ist oder nicht? Zumindest sollten sie erst mal vorsichtig sein. Also macht Leo den Späher und geht hinter einem Haufen Trümmer weiter vorne in Deckung, um sich einen Überblick zu verschaffen. Donnie und Splinter folgen ihm auf sein Zeichen hin und ducken sich, um nicht gesehen zu werden. Mit geschultem Blick sondiert der Schwertkämpfer die Umgebung nach möglichen Bewegungen. Bei all dem Eis und Schnee sollte es eigentlich einfach sein, jemanden zu entdecken. Doch wer nicht gesehen werden will, findet auch einen Weg, sich zu verstecken. In einiger Entfernung erblickt Leonardo noch weitere Spuren des Unbekannten und richtet seine Beobachtung in diese Richtung aus. Dabei hofft er inständig, dass es sich wirklich nur um eine Person handelt und sie nicht hinterrücks von weiteren beobachtet werden. Sie haben sich zwar eine geschützte Stelle ausgesucht, doch immerhin sind sie nicht gerade in Deckung hierhergekommen. Jeder, der wollte, hätte sie bei ihrem Eintreffen sehen und sich jetzt auf die Lauer legen können. Leo könnte sich für diese Nachlässigkeit selbst rügen, doch immerhin wirkte die Stadt so verlassen, dass er sich davon täuschen ließ. Jetzt kann er nur hoffen, dass ihnen das nicht zum Verhängnis wird. Angestrengt suchen seine Augen weiterhin die Gegend ab, bis sie eine Straße weiter eine Silhouette entdecken. „Da hinten ist jemand…“, teilt er den anderen leise mit und nimmt dann seine Beobachtung wieder auf. Vorsichtig linst Donatello über den Schuttberg hinweg, in die Richtung, die Leo anvisiert. Dort ist wirklich jemand. Aus der Ferne wirkt die Person sehr zierlich, vielleicht ist es sogar eine Frau? Jedenfalls trägt die Gestalt trotz der Kälte sehr enganliegende Sachen. Ist es möglicherweise ein Ninja? Auf die Entfernung ist das unmöglich zu sagen, doch die Bewegungen wirken sicher und bedacht. Allerdings steht die Person mit dem Rücken zu ihnen, sodass alles andere nur Vermutungen sind. Die unbekannte Gestalt bewegt sich scheinbar suchend durch die Berge aus Trümmern und Schutt. Aber was könnte sie bloß suchen? Fragend blicken sich die beiden Brüder an und berichten Splinter von ihren Beobachtungen. Dann schauen sie weiter zu. Die Person nähert sich den Resten eines Gebäudes, von dem noch der Großteil des ersten Stocks steht. Scheinbar will sie die Zwischendecke als Aussichtspunkt nutzen, vielleicht um ihre Gefährten wiederzufinden oder zu sehen, wo sich die Suche mehr lohnen würde. Mit zwei geschickten Sprüngen erklimmt die Person den ersten Stock und stellt sich in die Mitte der Zwischendecke. Wieder blicken sich Donnie und Leo an. Die Bewegungen des Unbekannten wirken doch sehr trainiert. Vielleicht handelt es sich wirklich um einen Ninja? Sorge schlägt sich in ihren Gesichtern nieder. Normalerweise sind Ninjas ja auch nicht allein unterwegs, also könnte eine ganze Truppe hier irgendwo lauern. Aber nirgends ist etwas zu sehen. Die Gestalt blickt sich suchend um, vielleicht wurde sie von den anderen getrennt? Dann erfüllt plötzlich ein merkwürdiges Knacken die kalte Luft. Es wird immer lauter, dann ein ohrenbetäubendes Krachen und die Zwischendecke bricht ruckartig in sich zusammen und stürzt samt des Unbekannten ins Erdgeschoss. Ein überraschter Schrei ist alles was noch zu hören ist, dann ist die Luft von Staub und Schnee verschleiert. Erschrocken sehen sich die beiden Hamatos an. Für Leonardo ist die Sache klar, er muss dort hin und nachsehen, ob die Person noch lebt, ganz egal wie viele andere hier noch in der Nähe sein könnten. Entschlossen springt er auf. „Ihr wartet hier!“, weist er die beiden anderen an und huscht auch schon los. Nervös verfolgt Donatello seine Bewegungen und behält gleichzeitig die Umgebung nach anderen Leuten im Auge. Vorsichtig und doch schnell überwindet Leonardo die Distanz zur Unglücksstelle und taucht in die anhaltende Staubwolke ein. Unruhig wartet Donnie darauf endlich wieder freie Sicht zu haben, doch in der kalten Luft hält sich der Dreck hartnäckig. Auch Leo kommt nur mühsam in den dichten Schwebeteilchen zurecht. Er presst sich ein Taschentuch auf Mund und Nase, um möglichst wenig von dem Zeug einzuatmen, dann erreicht er den Rest des Gebäudes. Es sah ja vorher schon nicht unbedingt stabil aus, doch jetzt wirkt es, als würde es jeden Moment noch weiter zusammenbrechen. „Ich muss mich beeilen…“, flüstert er sich selbst zu und klettert vorsichtig über die Trümmer. Nur allzu deutlich spürt er, wie die ganze Konstruktion unter seinem Gewicht in Bewegung versetzt wird und hier und da weitere Betonbrocken abrutschen. „Mist…“ Dann endlich legt sich der Staub soweit, dass er das Taschentuch weglegen und das Loch entdecken kann, durch das der Unbekannte gestürzt ist. Der Rand ist mehr als instabil. Da Leo nicht riskieren will, dass weitere Brocken abbrechen und den Unglücklichen treffen, setzt er zum Sprung durch die Öffnung an und hofft, an einer sicheren Stelle zu landen. Der Schwertkämpfer landet etwas ungelenk auf einem Haufen Trümmer und rutscht zum Boden. Keine zwei Meter neben ihm liegt der Unbekannte. Im Halbdunkeln der Ruine kann Leo nicht viel erkennen, doch dafür hat er auch nicht wirklich Zeit. Seine Anwesenheit hat den ganzen Aufbau erneut in Bewegung versetzt. Und schon hört er wieder das verdächtige Schaben und Bröckeln herabstürzender Trümmer. Sie müssen hier definitiv schnell wieder raus! Also schnappt sich Leonardo die hoffentlich nur bewusstlose Gestalt und nimmt dann die Beine in die Hand. Er hat Glück, dass ganz in der Nähe eine Fensterausbuchtung noch nicht zugeschüttet wurde und diese benutzt er als Fluchtweg. Wie sich herausstellt, gerade noch rechtzeitig. Kaum das er seine Füße auf festem Boden hat, bricht das ganze Gebäude hinter ihm endgültig zusammen. In letzter Minute gelingt es ihm noch, den herabfallenden Betonbrocken auszuweichen. Panisch beobachtet Donatello das Ganze aus sicherer Entfernung. Für ihn hat sich der Staub noch nicht weit genug aufgelöst, als dass er etwas hätte erkennen können, als das ganze Ding auch schon mit lautem Krachen in sich zusammenbricht. Mit jagendem Herzen und angehaltenem Atem starrt er fassungslos auf die neue Staubwolke, die sich meterhoch in den winterkalten Himmel erhebt. „Leo…?“ Splinter sitzt nicht weniger hilflos neben ihm und betet um das Leben seines Sohnes. Da taucht plötzlich ein Schatten in der Staubwand auf. Es ist Leonardo und auf seinen Armen der Verunglückte! Donnie und Yoshi fällt ein Stein vom Herzen, doch Leo wirkt nicht sonderlich fit. Kaum, dass er die Staubwolke verlassen hat, sinkt er schwerfällig auf die Knie und ringt nach Luft. Die Anstrengung steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Die Flucht vor den Trümmern war scheinbar zu viel für sein künstliches Herz. „Oh Gott, Leo!“, kommt es besorgt von Donnie, der auf ihn zugelaufen kommt. Krampfhaft greift sich Leonardo an die Brust und umklammert das kalte Glas, hinter dem Röhrchen und Drähte krampfhaft versuchen sauerstoffreiches Blut in seinen Körper zu pumpen. Schmerzverzerrt presst er die Augen zu und zittert leicht. Dann ist Donatello bei ihm. Vorsichtig legt er seinen Bruder auf den Boden und blickt durch das leuchtende Glas. Die Energieversorgung scheint immerhin in Ordnung, das bestätigt ihm das grüne Licht. Etwas unbeholfen öffnet Donnie das Glas mit der rechten Hand. Er will es nicht mit seiner Robohand machen, da er befürchtet in beiden Geräten vielleicht einen Kurzschluss zu verursachen, wenn gerade in dem Augenblick eine Störung seine künstliche Hand überkommt. Die Wahrscheinlichkeit so beide Geräte außer Betrieb zu setzen, ist zwar verschwindend gering, doch dieses Risiko kann er einfach nicht eingehen. So muss er sich bemühen, es mit Rechts zu machen. Sein geschulter Blick überfliegt den Wust aus Kabeln und Leitungen in Leos Brustkorb und schließlich entdeckt er einen Knick in einem Röhrchen, der den Bluttransport erschwert. Ganz langsam lässt er seine Finger in die enge Öffnung gleiten und tastet blind nach dem Fehler. Bei Leos plötzlicher Flucht muss er eine ungeschickte Bewegung gemacht und so die Leitung eingeklemmt haben. Kaum, dass der Knick beseitigt ist, beruhigt sich der überanstrengte Herzschlag und der Schwertkämpfer kann wieder schmerzfrei Atmen. Etwas erschöpft lächelt er seinem jüngeren Bruder zu. „Danke, Donnie…“ „Kein Problem, aber du hast uns eine Heidenangst eingejagt!“, mahnt ihn der Stabträger. Schuldbewusst senkt Leonardo den Blick und richtet sich langsam wieder auf. Er vergisst nur allzu gern sein Handy Cup. Inzwischen ist auch Splinter zu ihnen gestoßen und gemeinsam werfen sie nun endlich einen Blick auf den Unbekannten. Allerdings glauben sie ihren Augen nicht trauen zu können. Es ist, als würde der tiefe Wunsch ihre vermissten Brüder wiederzufinden, ihnen gerade weiß machen, dass Mikey dort bewusstlos vor ihnen liegt und er keinen Tag älter, als vor zehn Jahren ist. „Das kann doch nicht möglich sein…“, entkommt es Splinter, während er vorsichtig mit der Hand über die Wange des Jungen streicht. Nein, es kann wirklich nicht möglich sein, und doch scheint es dennoch wahr zu sein. Alle drei sehen dasselbe. Doch es muss einfach ein Irrtum sein. Selbst wenn Mikey tatsächlich noch am Leben ist, wäre er jetzt mindestens zehn Jahre älter und hätte nicht mehr das gleiche Kindergesicht wie damals. Es wirkt, als wären sie in der Zeit zurückgereist und in einer anderen Realität gelandet. Anders können sie sich nicht erklären, warum ihr geliebter Bruder und Sohn die Uniform eines Foot-Ninjas trägt. Als wäre die Tatsache, in diesem Jungen ihr vermisstes Familienmitglied zu sehen, nicht schon schwer genug, müssen sie dann auch noch annehmen, dass Shredder wirklich noch lebt? Diese unschöne Vermutung trifft sie alle sehr hart. Allzu lange können sie sich aber nicht in dieser Tragik verlieren, da wacht der Junge auch schon auf. Der Blonde gibt ein schmerzliches Stöhnen von sich und öffnet langsam die Augen. Ungelenk versucht er sich hinzusetzen und reibt sich den Kopf. Passiert scheint ihm nichts zu sein, mal abgesehen von ein paar blauen Flecken und einer Beule am Hinterkopf. „Oh, au – mein Kopf…“, wimmert er und reibt sich die anwachsende Beule. Schließlich merkt er, dass er gar nicht allein ist. „Oh…“ Mit großen Augen sieht er die Fremden vor sich an und entdeckt dann die Überreste des Gebäudes, auf dem er eben doch noch stand. Die Staubwolke hat sich inzwischen schon fast völlig verzogen, dennoch reicht sie dem Jungen als Antwort auf die brennende Frage, was eigentlich passiert ist. „Das ist ja dann gerade noch mal gutgegangen…“, wirft er daher in die Runde der drei Männer, die ihn überrascht anblicken. Diese Stimme. Sie gehört ganz eindeutig Mikey und diese blauen Hundeaugen würden sie überall wiedererkennen. Zudem stecken an seinem Gürtel zwei Nunchakus. Bei genauerem Betrachten entpuppt sich der Gürtel auch als Bandana. Ist es also wirklich Mikey? Leos Starre löst sich als erstes. Er räuspert sich verhalten. „Ja, da hast du wirklich Glück gehabt, Junge.“, erwidert er. Der Blonde schenkt ihm ein dankbares Lächeln, das dem Herzen des Leaders einen Stich versetzt. So lange hat er es nicht mehr gesehen und dennoch wirkt es jetzt irgendwie so fremd und distanziert und er widersteht nur knapp dem unbändigen Drang in sich, seinen Babybruder in seine Arme zu schließen. Den anderen geht es nicht anders. Wiedersehensfreude ist von Seiten des Nunchakuträgers scheinbar nicht zu erwarten. Doch so sehr haben sich die drei doch nicht verändert, dass er sie nicht wiedererkennen würde. Oder ist es vielleicht wirklich nicht Michelangelo, der dort vor ihnen sitzt? Die Ähnlichkeit ist beängstigend, doch allein der Altersunterschied kann einfach nicht stimmen. „Ihr seid nicht von hier, oder? Ich hab euch noch nie gesehen?“ Das beantwortet wohl die Frage der Wiedererkennung. Diesmal ist es jedoch Donnie, der sich zu Wort meldet. „Wir kommen aus Brasilien und haben dort geholfen, nach dem Krieg wieder alles aufzubauen. Doch eigentlich haben wir damals hier in der Nähe gewohnt und wollten jetzt wieder in unsere Heimat zurück. Doch wie es aussieht, ist hier niemand mehr, oder?“ „Brasilien? Man, dass ist aber weit weg von hier, alle Achtung! – Naja, wir haben uns hier auch ein bisschen am Wiederaufbau versucht, doch für die ganze Stadt hat es noch nicht gereicht. Aber wir wohnen auf zwei Inseln nicht weit von hier und da ist es richtig schön heimelig.“, berichtet der Blonde vergnügt. Nun meldet sich auch Splinter. „Wer sind denn ‚wir‘ und wo sind diese Inseln, von denen du gesprochen hast, mein Junge?“ Der Nunchakuträger schenkt ihm ein fröhliches Lächeln. „Wir, dass sind mein Meister und seine Ninja-Truppe und natürlich die Überlebenden des Krieges, die wir gesucht und in Sicherheit gebracht haben. Und die zwei Inseln befinden sich mitten im East River, etwa zehn Meilen von hier.“ Er deutet mit dem Finger in die Richtung, in der der Strand liegt, an dem die Hamatos damals ihre letzte Schlacht geschlagen haben. Nachdenklichkeit geht durch die drei Männer. Er sprach von seinem Meister und dessen Ninja-Trupp. Laut seiner Kleidung müsste dies der Foot-Clan sein und somit auch Shredder. Doch warum sollte sich der Tyrann die Mühe machen und Menschen um sich scharen, die den Krieg überlebt haben? Und wie ist es ihm gelungen, diesen Jungen darin zu involvieren, der ihrem Bruder so ähnlichsieht? Will er seinen Clan wiederaufbauen und jeden dazu verpflichten mitzumachen bei seiner Unterwerfung der Welt? Möglich wäre es. Die beiden Inseln im East River deuten ebenfalls auf Shredder hin, immerhin hatte er seinen geheimen Unterschlupf auf einer der Inseln. Die ganze Sache gefällt den Schildkrötenkriegern immer weniger, dennoch lassen sie sich nichts anmerken. „Das klingt doch gar nicht mal so übel. Wie heißt du denn, Kleiner?“, hakt Leo nun nach. „Oh, klar. Wie unhöflich von mir. Ich bin Michael und wie heißt ihr?“, grinst der Blonde sie an und reicht ihnen die Hand. Er wirkt so unschuldig und freundlich wie ihr Bruder und doch passt es nicht zu Philosophie der Foot. Selbst die Namen sind ähnlich, obwohl Mikey diesen Spitznamen immer gehasst hat. Kann es wirklich so viele Zufälle geben? Nacheinander schütteln sie sich die Hände und Donnie übernimmt das Antworten. Falls das Ganze wirklich etwas mit Shredder zu tun hat, wäre es keine gute Idee ihm zu sagen, wer sie wirklich sind. „Ich bin Dominique, das ist Lennard und das unser Vater Joshua. Freut uns sehr.“ „Meinst du, bei euch wäre noch ein bisschen Platz für drei Reisende, um die Nacht zu verbringen?“, will Splinter nun wissen. Wenn Shredder noch lebt, steht viel auf dem Spiel und daher sollten sie auch so viel wie möglich rausbekommen. Zu dritt werden sie zwar überhaupt keine Chance gegen eine Armee Foot-Ninja haben, aber ihnen fällt sicher etwas Anderes ein. „Klar, wir haben sehr viel Platz und ihr könnt auch gern länger bleiben, Leute. Folgt mir einfach, es ist nicht allzu weit.“ Aufgeregt springt der Junge auf. Dass er vor weniger als 20 Minuten noch ohnmächtig in einem zusammenstürzenden Haus gelegen hat, merkt man ihm überhaupt nicht an. Die drei Männer tauschen ein paar Blicke aus und erheben sich dann ebenfalls. Langsam machen sie sich auf den Weg, folgen einem Jungen, der ihrem Mikey so schrecklich ähnlichsieht, zu einem Ort, der von ihrem schlimmsten Feind bewohnt werden könnte. Doch was bleibt ihnen anderes übrig? Nach einer Weile erreichen sie den niedergebrannten Park, indem ihr Schicksal einst besiegelt werden sollte. Trotz des langsam tauenden Schnees, ist deutlich zu erkennen, dass die Natur sich ihren Platz wiedererobert hat. Wo einst ein Strand zum Wasser hinunterführte, stehen nun Bäume und Büsche in Winterruhe und alles wirkt unglaublich friedlich. Schließlich betreten sie den stillgelegten U-Bahnhof, dessen geheimer Tunnel das Festland mit den Inseln verbindet und es Schredder ermöglicht hat, heimlich an Land zu gehen. Die Turtles hatten zwar irgendwann herausgefunden, dass der Tyrann auf einer der Inseln haust, doch nicht wie es ihm unbemerkt gelingt, an Land zu kommen. Jetzt wissen sie es und schämen sich, dass sie etwas so Offensichtliches übersehen haben. Langsam gehen sie durch den Verbindungstunnel Richtung South Brother Island. Michael erzählt ihnen unterwegs, dass sie sein Meister dort in Empfang nehmen wird und man sie untersucht und sie dann auf der Nachbarinsel ein Zimmer beziehen können. Sie gehen den ganzen Weg zu Fuß, doch auf dem Boden verlaufen Schienen, die den Männern klarmachen, wie es Shredder gelungen ist, sein ganzes Material zu transportieren. Dann endet der Tunnel, eine Dräsine steht auf den Schienen bereit. Doch was hinter ihr steht, verschlägt den Turtles abermals die Sprache. Es ist ihr alter Shellraiser! Er hat den Krieg scheinbar heil überstanden und rostet hier unten jetzt als Kriegsbeute vor sich hin. Donnie kämpft hart mit sich, um diese Tatsache zu verkraften. Er hat all sein Können und sein Herzblut in diesen Wagen gesteckt und jetzt das. Tröstend legt Leo ihm einem Arm um die Schulter. Dann betreten sie eine Art Treppenhaus und gehen anschließend einen Flur entlang, an dessen Ende sich, laut Michael, der sogenannte Thronsaal befindet, indem sich sein Meister aufhält. Der Flur wirkt düster, nahezu erdrückend, was auch kein Wunder ist, immerhin befinden sie sich metertief unter der Erde und hier gibt es nur spärliche Lampen, die den Weg gerade soweit erhellen, dass man nicht stürzt. Etwas Anderes haben sie unter Shredder aber auch gar nicht erwartet. Der Thronsaal ist von einer riesigen Tür verschlossen, die so einschüchternd wirkt, wie man es sich gar nicht vorstellen kann. Auf ihrem dunklen Holz prangert gebieterisch des Foot-Symbol, wie das Zeichen einer antiken Zivilisation. Alles in den drei Hamatos weigert sich dagegen, diesen Raum zu betreten und wohlmöglich dem Mann gegenüber zu stehen, der ihr ganzes Leben und das so vieler anderer Menschen zerstört hat. Doch sie müssen sich Gewissheit verschaffen! Nachdem er geklopft hat, öffnet Michael die schwere Tür und geht hinein. Unsicher folgen ihm die drei, jederzeit zum Angriff bereit. Der Saal ist unglaublich groß und wird dominiert von dem Foot-Logo, das einem von jeder Wand entgegen zu springen scheint, als könnte man beim Eintreten vergessen haben, dass es an der Tür zu sehen war. Auf der einen Seite des Saals befindet sich eine riesige Scheibe, mit der man in einen anderen Raum blicken kann, indem gerade die Foot ihr Training abzuhalten scheinen. In der Mitte des gewaltigen Raumes steht dann der Thron. Auf ihm sitzt eine Gestalt im Halbschatten der Lampen. „Meister Shredder, ich bringe euch drei Reisende, die die Nacht hier verbringen wollen.“, berichtet Michael und geht dabei vor der Gestalt auf dem Thron auf die Knie. Shredder! Ihre schlimmsten Befürchtungen haben sich also bestätigt! Doch die drei versuchen sich nichts anmerken zu lassen, haben ihre Hände aber dennoch an ihren Waffen. Tief und düster erklingt die Stimme des Tyrannen und erfüllt den Raum. „Müde Reisende? – Nein! Bekannte Gesichter auf deren Rückkehr ich so lange hab warten müssen und es doch nie für möglich hielt!“ Langsam erhebt sich die Gestalt vom Thron und tritt ins Licht. Es ist unzweifelhaft Shredder in seiner furchterregenden Krallenrüstung. Sie wirkt irgendwie anders und auch die Stimme Sakis scheint im Laufe der Jahre eine Veränderung durchgemacht zu haben. Doch seine Worte wirken keinesfalls erfreut. Er hat sie erkannt und was wird er nun mit ihnen machen? Sie augenblicklich hinrichten lassen? Noch befinden sich keine anderen Ninja im Raum, oder sie haben sich verdammt gut versteckt. Die Anspannung steht den dreien förmlich ins Gesicht geschrieben. Dann hebt Shredder die Hände und zieht sich den Kabuto vom Kopf. Eine Geste, die die Turtles von ihrem ehemaligen Widersacher nicht erwartet hätten. Doch der Mann, der unter dem Helm zum Vorschein kommt, ist nicht Shredder – nicht Oroku Saki. Nein, es ist allenfalls ein Shredder und sein Name ist Raphael Hamato! Vor ihnen steht tatsächlich ihr totgeglaubter Bruder und spielt den Herrscher dieser zerstörten Welt. Die Fassungslosigkeit der drei kennt keine Grenzen. „Hallo Leo, schön euch wiederzusehen…“ Er schenkt ihnen ein eher wütendes Lächeln und in seinem einsamen Auge funkelt nicht gerade die Freude, die man nach so langer Zeit erwarten würde… Disclose a secret! ------------------ Ein paar Tage später… Unter anderen Umständen hätte sich Raphael über das Wiedersehen mit seiner Familie wirklich sehr gefreut. Doch dieser Ort und diese Zeit könnten für ihn kaum unpassender sein. Warum konnten sie nicht dableiben, wo sie die ganzen Jahre über gewesen sind? Warum mussten sie unbedingt jetzt wieder nach Hause kommen? Ihre Blicke taten so weh, als sie festgestellt haben, dass ihr temperamentvoller Bruder und Sohn nun der neue Shredder ist. Klar hätte er ihnen das Ganze erklären können, aber wozu? Sie hätten es doch nicht verstanden. Wenigstens sind sie jetzt alle wieder zusammen, den Rest wird die Zeit sicher irgendwann richten… Immerhin wissen sie jetzt auch, dass Michael wirklich Mikey ist, auch wenn Donnie sich nicht erklären kann, warum sein kleiner Bruder noch immer so jung ist. Diese verfluchte Strahlenkanone! Unzählige Tests haben nichts ergeben. Ein Umstand, den alle erst einmal noch hinnehmen müssen, bis sich eine Lösung findet. Und so lange verheimlichen sie Mikey auch seine wahre Identität. Immerhin etwas, indem sich die ganze Hamato-Familie mal einig ist. Nachdenklich stapft Raph in seinem Zimmer auf und ab. Es macht ihn wirklich ziemlich fertig, seiner Familie wieder gegenüber zu stehen. Ihre Blicke sind so feindselig, als wäre er allein an dem Krieg schuld, nur, weil er jetzt den Platz des Tyrannen eingenommen hat. Leo ist dabei der Schlimmste. Zwischen den beiden war die Luft ohnehin schon immer ziemlich dick, aber jetzt wirkt sie wie eine undurchdringliche Wand und das bringt Raphael schier um den Verstand. Er weiß nicht, wie er seinen ehemaligen Leader einschätzen soll. Dafür kann er sich nun lebhaft vorstellen, wie sich Shredder beim Anblick des Schwertkämpfers immer gefühlt haben muss, hat Saki Leos Kampfkunst doch innerlich stets bewundert. Nicht zum ersten Mal wünscht sich der Saikämpfer, er könnte die Uhr zurückdrehen und den Krieg ungeschehen machen. Oder wenigstens Mikey´s Auftauchen verhindern. Doch wäre das wirklich das, was er wollen würde? Er hat sich niemanden so sehr gewünscht wie seinen Babybruder und doch ist er nicht wirklich hier, selbst wenn er neben ihm steht. Alles ist so falsch. Warum musste das alles nur passieren, warum? Wütend schlägt Raph mit der Faust gegen die Wand und knurrt. „Meister, ist alles in Ordnung?“, fragt plötzlich eine verhaltene Stimme hinter ihm. Überrascht dreht sich der Rothaarige um und sieht Michael in der Tür stehen. Die Gesichtszüge des Älteren entspannen sich langsam, wirken nun eher traurig. „Alles bestens. Ich komme nur einfach noch nicht damit klar, dass meine Familie wieder hier ist und dennoch einer von ihnen fehlt…“ Deprimiert setzt sich Raph auf das Fußende des Bettes und lässt den Kopf hängen. Mit ein paar schnellen Schritten steht Michael vor ihm. Mitfühlend streicht der Blonde ihm durch die wirren Haare. „Ich bin sicher, früher oder später taucht er auch noch auf.“ Ohne jede Vorwarnung zieht Raph den Jungen näher zu sich heran und schlingt die Arme um seine Hüften. Den Kopf drückt er gegen dessen flachen Bauch. „Mikey fehlt mir so sehr. Es ist nicht fair, dass die anderen hier sind und er nicht…“, seine Stimme droht zu brechen und er schluckt hart. Etwas überrumpelt lässt der Nunchakuträger die hilflose Umarmung seines Meisters geschehen und streicht ihm weiterhin beruhigend durchs Haar. Unbemerkt von den beiden, hat Leonardo Raph´s Worte mit angehört. Eigentlich wollte er ein ernstes Gespräch mit dem Rothaarigen führen, wie er sich das hier in Zukunft so alles vorstellt und dergleichen. Doch als er am Zimmer seines ewigen Rivalen angekommen war, stand die Tür einen Spalt offen und er kann nun beobachten, wie Raph und Michael reden. Kurz kommt Leo der Gedanke, einfach reinzugehen und zu tun, was er eigentlich vorhatte. Aber irgendetwas hindert ihn daran, etwas, das ihm zu sagen versucht, dass es wichtiger wäre, die beiden zu beobachten und erst dann eine Entscheidung zu fällen, auch wenn es ihn ganz krank macht zu sehen, wie Mikey mit Raphael so unterwürfig spricht. „Das kann ich gut verstehen, Meister. Doch Sie sollten sich an dem erfreuen, was Sie schon haben, dann ist es viel leichter zu akzeptieren.“ Der Junge schenkt ihm ein sanftes Lächeln. Ihre Blicke treffen sich, doch Raph unterbricht die Umarmung nicht. „Vielleicht hast du Recht, denn immerhin hab ich ja noch dich.“, halbwegs bringt der Einäugige ein Lächeln zu Stande. „Das ist die richtige Einstellung und so werden Sie es auch schaffen!“ Sie grinsen einander frech an. „Schluss jetzt mit all den Höflichkeiten, Junge. Das deprimiert einen ja noch mehr.“ „Ok, aber vielleicht hilft ja eine kleine Aufmunterung…“, entgegnet der Blonde und verführt Raphael zu einem innigen Kuss, auf den dieser auch sogleich hungrig eingeht. Leo traut seinen Augen kaum. ‚Das kann doch nicht wahr sein…‘, geht es ihm durch den Kopf. Die Erinnerung an längst vergangene Tage kommt wieder in ihm hoch. Damals, bevor der Krieg begonnen hat und sie noch ein halbwegs friedliches Leben geführt haben, hatte Raph eine nahezu ungesunde Fixierung auf seinen kleinen Bruder Mikey. Des Nachts schlich er sich gern in das Zimmer des schlafenden Jungen und versuchte ihm dort auf eine Weise nahe zu kommen, die für Brüder eigentlich tabu ist. Das Schlimmste daran war aber, dass Mikey dabei stets geschlafen und nichts mitbekommen hat. Raph versuchte seine widerlichen Fantasien und Gelüste an ihm auszulassen und hielt das Ganze wahrscheinlich auch noch für so etwas wie Liebe. Mehr als einmal hat Leo ihn dabei erwischt und versucht es zu verhindern. Doch nun, da Mikey sein Gedächtnis verloren hat, fehlt dem Blonden der Bezug zu dem Mann, den er wie selbstverständlich küsst. Leonardo hat zwar schon immer geahnt, dass sich Raph seine Vereitelungen nicht ewig gefallen lässt, doch das er mal so weit gehen würde, hätte er nie gedacht. Er nutzt die Notlage des Nunchakuträgers schamlos aus. Wer weiß, was er dem armen Jungen so alles erzählt hat und was er schon alles mit ihm angestellt hat? Dem Leader wird bei diesem Gedanken ganz flau im Magen. Alte Selbstzweifel überkommen ihn wie ein bitterkalter Schneesturm. Hätte er so etwas verhindern können, wenn er schon damals alles Splinter erzählt hätte, anstatt sich von Raphael drohen und einschüchtern zu lassen? Wäre es so weit gekommen, wenn sie den Kampf gegen Shredder gewonnen und wieder ein normales Leben hätten führen können? Was wäre, wenn sie früher hier aufgetaucht wären, hätte dies etwas geändert? Immerhin ist Mikey erst seit gut eineinhalb Jahren hier. Wären sie vor ihm hier angekommen, hätten sie das alles verhindern können und Mikey hätte vielleicht sogar schon längst sein Gedächtnis wiedererlangt. Seine Gedanken überschlagen sich. Was soll er nur tun? So nahe wie sich die beiden schon sind, wäre es vollkommen sinnlos, das Ganze zu unterbinden. Doch was ist, wenn Mikey irgendwann doch seine Erinnerung wiederfindet? Donnie ist der festen Ansicht, dass dies früher oder später der Fall sein wird. Erst recht jetzt, wo er mit seiner Familie vereint ist, wird sich irgendwann etwas in seinem Hirn regen und alles zurückbringen. Doch das, was er hier inzwischen erlebt hat, wird auch noch da sein. Also wird Mikey wissen, was er und Raph alles getan haben und das ist absolut nicht gut. So oder so wird es ein unbegreiflicher Schock für Mikey sein, wenn dieser Tag kommt. Dennoch kann Leo das Ganze nicht so stehen lassen. Er muss wenigstens Donnie und Splinter reinen Wein einschenken und erst recht mit Raphael reden, um Mikey irgendwie zu schützen, sofern dies noch möglich ist. Ein Stechen zieht durch sein künstliches Herz und erinnert ihn schmerzlich daran, Ruhe zu bewahren. Doch wie soll er das machen? Immerhin stehen die Unschuld und das Seelenheil seines kleinen Bruders auf dem Spiel! Krampfhaft versucht er sich zusammenzureißen und seinen Kopf von all diesem Unheil zu lüften. Ein paar Momente später lässt das Stechen nach und er riskiert einen weiteren Blick in das Zimmer. Was er dort sieht, jagt eine noch viel heftigere Schmerzwelle durch seine Brust. Michael und Raph sind längst über das Küssen hinaus. Sie liegen gemeinsam auf dem Bett, mit kaum mehr bekleidet, als mit ihrer Unterwäsche und auch die ist gerade in Begriff zu verschwinden. Die Erregung steht ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben. Alles wirkt so vertraut zwischen ihnen. Keine Frage, ob dies ihr erstes Mal miteinander ist. Nein, das kann sich Leonardo nun wirklich nicht länger mit ansehen. Er hat schon weit mehr gesehen, als er jemals wollte. Angewidert schließt er vorsichtig die Tür, ein sinnliches Stöhnen dringt dabei an sein Ohr, dann wendet er sich rasch ab. Der Weg zurück in das Zimmer, das er sich mit Donnie und Splinter teilt, kommt ihm unendlich lang vor. Sein ganzer Kopf ist ausgefüllt mit dem, was er gerade gesehen hat und dem, was er sich vorstellen kann. Zum ersten Mal, seit sein Herz damals den Geist aufgegeben hat, wünscht er sich, einfach einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen, damit er nicht miterleben muss, was als nächstes passiert… Als er an seinem Zimmer ankommt, hält Leo noch einmal inne. Seine Hand verweilt verkrampft auf der Klinke. Seine Gedanken überschlagen sich ein weiteres Mal. Wie soll er das nur Donnie und Splinter beibringen? Da, wieder ein Stechen in seiner Brust. Diesmal so heftig, dass er sich die Hand auf das Glas presst, das sein neues Herz umgibt. Krampfhaft versucht er einzuatmen, doch so recht will es ihm nicht gelingen. Vor seinen Augen tanzen bunte Punkte und er kann schon die schemenhaften Hände einer nahenden Ohnmacht spüren, als sich auf einmal die Klinke unter seiner Hand bewegt. Kurz darauf geht die Tür auf und Donatello stößt fast mit ihm zusammen. „Gott, Leo! Alles in Ordnung?“ Erschrocken legt er einen Arm um den Älteren und führt ihn in das Zimmer hinein. Vorsichtig hilft er ihm, sich aufs Bett zu setzen. „Ja, es geht schon wieder…“, presst der Leader etwas atemlos hervor. „Vermutlich haben sich wieder ein paar Kabel verheddert. Was hast du denn gemacht? Ich dachte, du wolltest mit Raph reden…“ Routinemäßig will sich der Stabträger den möglichen Schaden ansehen, doch Leo winkt ab. „Ist schon gut, Donnie. Diesmal ist es etwas Anderes.“ Skeptisch hebt der Brünette eine Augenbraue. „Was ist los, Leo?“ Der einst stolze Anführer der Turtles blickt seinen Bruder und seinen Meister eine ganze Weile lang an. Stumm ringt er nach den richtigen Worten. Schließlich bricht er sein Schweigen und erzählt den beiden, was er gerade beobachtet hat. Unglauben schlägt sich in den Gesichtern der Männer nieder. „Äh, Leo, bist du sicher, dass es das war, was du gesehen hast? Ich meine, das klingt schon ziemlich schräg…“, erwidert der Tüftler schließlich. Ruppig springt der Schwertkämpfer vom Bett auf. „Denkt ihr etwa, ich würde mir so etwas auch noch ausdenken? Es war schon schlimm genug, es mit ansehen zu müssen. Herr Gott nochmal, die beiden treiben es da unten wie die Karnickel! Und ihr denkt, ich wäre nicht mehr ganz richtig im Kopf, oder was?“ Beruhigend legt Splinter seinem Schüler eine Hand auf die Schulter, spürt dort das aufgebrachte Zittern. „Ganz ruhig, Leonardo. Niemand denkt, dass du verrückt bist. Es klingt nur merkwürdig. Immerhin weiß Raphael doch von Anfang an, wer dort vor ihm steht, warum sollte er so etwas Unverantwortliches dann tun?“ Langsam setzt sich Leo wieder hin. „Na – na, weil er es früher schon versucht hat…“ Splinter und Donnie wechseln einen verwirrten Blick. „Wie meinst du das?“ Ja, nun ist es an der Zeit, all das zu erzählen, was Leo die ganzen Jahre für sich behalten hat. Wohlüberlegt wählt er seine Worte aus und versucht sich an jedes noch so unwichtige Detail von damals zu erinnern. Es stürzt auf ihn nieder wie eine Welle aus Wasser und er fühlt sich darin so hilflos, als würde er jeden Moment ertrinken. Doch er kämpft sich weiter vor, berichtet von all jenen unschönen Dingen, die er gesehen und versucht hat zu verhindern. Berichtet von seinen Ängsten, Zweifeln und Sorgen. Als er schließlich fertig ist, herrscht eine ganze Weile Stille. Donnie und Splinter wechseln stumm einen Blick nach dem anderen. Leo weiß nicht, wie er sie deuten soll, also lässt er den beiden Zeit und hängt seinen eigenen Gedanken nach. Dann erhebt Splinter die Stimme. „Wir zweifeln nicht an deinen Worten, mein Sohn. – Und wenn ich ehrlich sein soll, hab ich mir damals dahingehend auch schon so meine Gedanken gemacht. Manches an Raphaels Verhalten Michelangelo gegenüber kam mir schon seltsam vor und auch die weit ausgeprägtere Feindseligkeit, die ihr beiden so manchen Morgen an den Tag gelegt habt, hat mich nachdenklich gemacht. Und nun weiß ich auch, warum…“ „Man, das Raph so weit gehen würde, nur um sein Ziel zu erreichen, ist schon heftig. Nach all den vielen Jahren hätte man doch meinen können, dass dieser Drang in ihm verschwunden sein müsste. Immerhin gibt es hier genug andere Menschen, mit denen er sich vergnügen könnte, wenn es ihm nur darum geht. – Doch für mich klingt das eher so, als wären da zumindest jetzt tiefere Gefühle am Werk. Vielleicht nur auf Mikey´s Seite, da er ja nicht weiß, dass Raph sein Bruder ist, aber immerhin. Und Raph nutzt diese Tatsache einfach aus. Kein Wunder also, dass Mikey noch immer keine Erinnerung hat, denn sonst hätte Raph dieses Spielchen ja nicht mehr machen können…“ Donnies Worte hängen wie ein Schlag in der Luft. „Wir müssen das Ganze dringend beenden! Wenn Mikey sich wieder an alles erinnert, bricht seine Welt völlig zusammen und dann verlieren wir ihn vielleicht.“, entgegnet Leo schließlich. „Du hast Recht, mein Sohn. Wir sollten morgen dringend mit Raphael reden. Doch das Ganze muss erst mal unter uns bleiben. Wenn Michelangelo es mitbekommt, wird es tragisch enden…“ „Das sehe ich auch so. Wenn Mikey mitbekommt, wer er wirklich ist und dass alles so plötzlich auf ihn einschlägt, könnte das schwerwiegende Folgen für seinen Geisteszustand mit sich führen…“ Am nächsten Tag… Der Tag beginnt ruhig und Raph hofft eigentlich, dass das so bleibt. Michael ist mit den Foot vor ein paar Stunden zu einer Mission aufgebrochen und wird so schnell auch nicht wieder da sein. Die Flüchtlinge gehen friedlich ihrer Arbeit nach und alles scheint in Ordnung. Seinen Ärger über die Ankunft seiner totgeglaubten Familie hat Raphael so gut es geht abgelegt. Immerhin kann er sich ja nicht bis in alle Ewigkeit darüber aufregen, schließlich hat er hier viel zu tun. So sitzt er gedankenverloren im Thronsaal und geht Chens Berichte der letzten Tage durch. Leider werden auch sie vom Auftauchen seiner Familie dominiert. Allerdings behandelt der Japaner das Thema weit professioneller. Er hat inzwischen zwar mitbekommen, dass es sich bei den drei Männern um den verschollenen Hamato-Clan handelt, dennoch beinhalten seine Berichte nur die Informationen, der er auch sonst zu jedem anderen abgeben würde, der hier ankommt. Der Rest ist vielleicht zwischen den Zeilen versteckt. Schließlich hat Raph lange Zeit versucht mit diesem Verlust klarzukommen und Chen war ihm dabei stets eine Stütze. Dennoch ist dem Schwarzhaarigen nicht entgangen, dass sein Meister nun nicht wirklich Freude an diesem Wiedersehen hat. Er weiß zwar nicht, woran das liegt, will aber auch nicht nachfragen. Ihm ist aber auch nicht entgangen, dass die Hamatos scheinbar selbst nicht so begeistert sind, Raph wiederzusehen. Anfangs dachte Chen noch, dass diese Abneigung darauf beruht, dass Raphael nun den Platz ihres schlimmsten Feindes eingenommen hat, doch das ist mittlerweile abgeflaut. Dennoch ist dort etwas, dass alle vier zu beschäftigen scheint und es hat eindeutig nicht mit ihrer langen Trennung zu tun. Aber vielleicht damit, dass einer von ihnen immer noch fehlt? Von den Gedanken und Sorgen seines Untergebenen bekommt Raph zum Glück nicht allzu viel mit. Genervt reibt sich der Rothaarige das Auge und wirft die Berichte auf das kleine Tischchen neben sich. Seufzend zündet er sich eine Zigarette an, legt den Kopf in den Nacken und starrt mit leerem Blick an die Decke. Langsam klären sich seine Gedanken im bitteren Dunst des brennenden Tabaks. Raph wird sich noch eine Weile diesem Gefühl hingeben und sich dann weiter durch die Berichte quälen. So ist zumindest sein Plan, doch der hat schon in diesem Moment ein Ende, als es nachdrücklich an der großen Tür zu klopfen beginnt. Genervt reibt sich Raph die Stirn. Eigentlich will er ja seine Ruhe haben, doch das Klopfen klingt nicht so, als würde sich derjenige so leicht abwimmeln lassen. „Ja!“, gibt der Saikämpfer verstimmt von sich. Kaum hat er das Wort ausgesprochen, springt auch schon die Tür auf und der unsägliche Rest seiner Familie betritt den Saal. Augenblicklich breitet sich in Raphaels Kopf eine Art Migräne aus und er würde sie alle am liebsten wieder wegschicken. Doch auf ihren Gesichtern liegt ein derart entschlossener Ausdruck, der dem sonst so toughen Saikämpfer deutlich zeigt, dass ihm das nicht gelingen wird. Verärgert drückt er seine Zigarette aus. „Was ist? Ich hab zu tun.“ Dies scheint die drei aber überhaupt nicht zu kümmern. Stattdessen postieren sie sich vor seinem Thron und mustern ihn mit ihren finsteren Blicken. Dabei überkommt Raphael das ungute Gefühl, dass er etwas angestellt hat, fast so wie damals zu ihrer Kinderzeit. Doch was könnten sie ihm schon vorwerfen? Immerhin ist er jetzt erwachsen und braucht sich von keinem von ihnen mehr etwas sagen lassen. Oh, wie sehr er sich da doch irrt. „Ich hab dich und Michael gestern Abend beobachtet und was ich da gesehen hab, war mehr als falsch!“, beginnt Leo das Ganze. „Ach ja? Was soll ich dazu schon sagen? Außer vielleicht, dass es dich überhaupt nichts angeht, was ich mache und was nicht! Was fällt dir eigentlich ein, mir hinterher zu schnüffeln?“, aufgebracht erhebt sich der Rothaarige. Er kann sich nur zu gut vorstellen, worauf sie hinauswollen und das passt ihm gar nicht. „Erstens hab ich dir nicht hinterher geschnüffelt. Die Tür stand offen, von daher hätte die ganze Welt sehen können, was ihr dort treibt. Und zweitens, ist dir überhaupt schon mal in den Sinn gekommen, was du Mikey damit antust?“ Der Schwertkämpfer erntet nur ein abwertendes Schnauben von seinem Gegenüber. „Erstens Herr Super-schlauer-Anführer, heißt es noch lange nicht, dass du deine Nase in meine Angelegenheiten reinstecken darfst, selbst wenn ich sonst was direkt davor tuen würde. Und zweitens, ist es immer noch Michael, mit dem ich irgendwas mache, das ist ein großer Unterschied!“ Wütend funkeln sich die beiden Brüder an. Dabei stehen sie sich so dicht gegenüber, dass sich ihre Nasenspitzen schon fast berühren. Leo setzt zu einer Antwort an, wobei Raph schon drohend die Fäuste ballt. Grob werden die beiden von Donnie auf Abstand gebracht. „Herr Gott nochmal, hört auf mit diesem Vorschulbenehmen! Es geht hier um Mikey und nicht um eure ewige Fehde!“ Die zwei Männer mustern den Tüftler einen Moment. Der eine stocksauer, der andere schuldbewusst. Schließlich tritt Leonardo ein paar Schritte zurück und übergibt Donnie das Wort. „Raph, ist dir eigentlich klar, was du Mikey damit antust? Hast du schon mal darüber nachgedacht, was passiert, wenn er sein Gedächtnis wiederfindet? Denkst du wirklich, er findet es schön, wenn ihm klar wird, was ihr zwei miteinander gemacht habt? Immerhin ist er…“ Grob schubst Raph seinen Bruder von sich weg. „ES IST MIR SCHEIßEGAL, OB ER MEIN BRUDER IST UND ES IST MIR AUCH EGAL, OB ER MIKEY ODER MICHAEL ODER SONST WER IST! ER GEHÖRT MIR, MIR GANZ ALLEIN UND IHR HABT NICHT DAS RECHT, MIR DAS WEGZUNEHMEN!“, brüllt er den Hamatos entgegen. Die ganze Situation droht zu eskalieren. All die Gefühle, die in den Beteiligten aufsteigen, haben längst jedes Maximum überschritten. Alles, was Raphael noch sehen kann, ist rot. Er wusste von Anfang an, dass es ein Fehler war, sie hierzubehalten. Er wusste, dass dieses Thema sicher irgendwann zur Sprache kommen würde, doch er hätte nicht gedacht, dass dies so schnell der Fall sein würde. Nun schlägt alles auf ihn ein und er will nur noch, dass es aufhört und sie verschwinden und dazu ist ihm jedes Mittel recht. All die aufgestaute Wut, der Hass und das Entsetzen, das zwischen ihnen im Raum hängt, lässt die vier völlig den Blick auf ihre Umgebung verlieren. Keinem von ihnen ist bewusst, dass die Tür des Thronsaals sperrangelweit offensteht und jeder, der vorbeigeht sie hören könnte. Das Ganze wäre unter anderen Umständen wohl vollkommen irrelevant, da die Mission der Foot noch längst nicht beendet wäre. Man kann es vielleicht Zufall nennen oder Schicksal oder vielleicht so etwas wie Eingebung, doch ausgerechnet heute fällt die Mission überraschend kurz aus. Die Foot haben sich bereits im Trainingsraum eingefunden und werden gleich noch ein paar Übungen mit Chen durchgehen. Michael hat sich aber von seinen Leuten getrennt, um Raph mitzuteilen, dass sie wieder da sind. Allerdings verfliegt seine gute Laune schlagartig, als er den Lärm auf dem Flur bemerkt. Mit offenem Mund steht er in der Tür zum Thronsaal und traut seinen Ohren kaum. Er hat zwar nicht alles von Anfang an gehört, doch bei weitem genug, um sich einen Reim darauf zu machen und zu verstehen, was hier die ganze Zeit falsch läuft. Als die vier nun kurz davor stehen sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, hält der Junge es nicht mehr aus. „Du hast mich belogen…?“, kommt es von ihm. Kaum mehr als ein trauriges Wimmern. Dennoch schrecken die vier Männer augenblicklich zusammen und wenden sich ihm zu. Nun breitet sich auch auf ihren Gesichtern Entsetzen aus. Tränen rinnen dem blonden Jungen über die geröteten Wangen. „DU HAST MICH DIE GANZE ZEIT BELOGEN!“, schreit er es nun heraus. In dem großen Saal schallen seine Worte wie ein Vorschlaghammer auf einem Stahlklotz. Ehe einer von ihnen sich auch nur rühren kann, wendet sich Mikey um und rennt in das Halbdunkel des Flurs hinein. Weg von dem Mann, dem er die ganze Zeit vertraut hat, den er sogar geliebt hat. Weg von seiner Zukunft und seiner Vergangenheit, die dort im Raum zurückbleiben, beraubt von jeglichen Worten, die zwischen ihnen liegen… End of game? ------------ Völlig überfordert sehen die drei Brüder und Meister Splinter mit an, wie Mikey fluchtartig den Thronsaal verlässt. Es braucht nur einen kurzen Augenblick, bis ihnen klar wird, dass nun der schlimmste Fall eingetreten ist. „Wir müssen ihm unbedingt nach!“, gibt Leo gehetzt von sich. Donnie und Splinter stimmen ihm wortlos zu und schon machen sich die drei auf den Weg. Raphael bleibt allein im Thronsaal zurück. Er weiß nicht warum, aber er fühlt sich bei dieser Suche irgendwie fehl am Platz. Das liegt wahrscheinlich auch nur daran, dass er eigentlich an all dem Unglück Schuld ist. Tief in seinem Herzen wusste er schon immer, dass es falsch ist, Mikey nicht zu sagen, wer er ist und ihm so nahe zu kommen. Doch ein weit stärkerer Teil wollte einfach nur das haben, was er sich schon seit Kindertagen sehnlichst wünscht. Mit leerem Kopf und schwerem Herzen lässt sich Raph auf den Thron sinken und schlägt die Hände vors Gesicht. *Wahrscheinlich wird der Blonde darüber hinwegkommen. Schließlich haben sie sich schon als Kinder heftig gestritten und dabei hatte er Mikey weiß Gott wie oft zum Weinen gebracht, aber so schlimm wie diesmal war es noch nie. Raph ist traurig, wütend und unglücklich zugleich, will es wiedergutmachen, weiß aber nicht wie, ist sich nicht einmal sicher, ob er es sein muss, der den ersten Schritt machen sollte. Es ist wahrscheinlich weit besser, wenn Leo und Donnie ihn finden und erst mal mit ihm reden. Sie sind bei solchen Dingen einfach immer viel einfühlsamer. Wahrscheinlich würde Mikey ihm eh nicht zuhören wollen, nachdem die Bombe jetzt so unschön geplatzt ist. Ja, das ist sicher das Beste und bis sie ihn gefunden haben, kann sich Raph wenigstens schon mal überlegen, wie er seinem Babybruder jemals wieder in die Augen sehen soll… Wie sich schnell zeigt, besitzt Mikey noch immer ein unglaubliches Talent dazu, blitzartig zu verschwinden. Er wirkt zwar oft tollpatschig, aber wenn er will, steht er seinen Brüdern in nichts nach und überrascht sie auch oftmals mit seinen Fähigkeiten. Die Zeit, um sich darüber klarzuwerden, dass Mikey etwas gehört hat, was alles in einen Abgrund stürzen lässt und ihrem Aufbruch, war zwar sehr kurz, dennoch ist der Blonde spurlos verschwunden. Die drei Hamatos entdecken schließlich, dass die Tür zu den Tunneln offensteht. „Denkt ihr, er war so schnell und irrt jetzt irgendwo durch New York?“, spricht Donatello laut aus, was sie alle denken. „Wir müssen vom Schlimmsten ausgehen. – Am besten teilen wir uns auf. Meister Splinter, Ihr bleibt hier und seht nochmal überall gründlich nach. Donnie, du kommst mit mir nach New York. Wer etwas findet, meldet sich über Kanal 23.“ Gesagt, getan. So falsch liegen sie mit ihrer Vermutung auch gar nicht. Mikey hat wirklich den Tunnel benutzt und erreicht in diesem Moment das Festland. *Er weint. Irgendwann jedoch werden die Tränen versiegen. Es ist ein notwendiger erster Schritt auf dem Weg zu einem unsicheren Frieden mit einer Wahrheit, die nie verblassen wird… Alles, woran er sich in den letzten Monaten geklammert hat, was ihm wichtig war und ihm Halt in dieser unbekannten Welt gegeben hat, war eine Lüge! Wie konnte er diesem Mann nur vertrauen? Raph hatte so viel Macht über ihn und hat sie so unverfroren ausgenutzt. Schon bei dem Gedanken daran wird Michelangelo ganz schlecht. Und dann ist dieser Mann auch noch allen Ernstes sein Bruder?! Wie konnte er ihm das nur verschweigen und ihn stattdessen in sein Bett locken? Bis zum heutigen Tag hat er Raph geliebt, wirklich und wahrhaftig geliebt und nun erfährt er, dass das alles nur Show für seine Gelüste war. Ihm dreht sich fast der Magen um. Allein die Vorstellung ist schon widerlich und dennoch ist es passiert und er hat es die ganze Zeit über so genossen, hat sich so geborgen bei ihm gefühlt. Da ist es wahrlich kein Wunder, dass sich Raphael nicht über das Wiedersehen mit den anderen gefreut hat. All das Mitleid, das Mikey für ihn hatte, war für Raph nur der Schlüssel, um die Distanz zwischen ihnen zu sprengen. Mikey, der Name klingt in seinen Ohren so falsch und doch hat er etwas so Vertrautes. Es ist – ist – nein, er weiß es nicht. Plötzlich verschwimmt alles vor seinen Augen, doch nicht wegen der Tränen. Er taumelt, dann brechen auf einmal höllische Kopfschmerzen in seinem Schädel aus. Mit einem überraschten Schrei sinkt er auf die Knie und presst sich die Hände an die pochenden Schläfen. Grelle Punkte tanzen vor seinen Augen. Der Schmerz wird immer unerträglicher. Dann ergreift ihn die Ohnmacht mit ihren eiskalten Fängen und zieht ihn in die Dunkelheit hinab. Bewusstlos bricht er an genau der Stelle zusammen, an der vor über zehn Jahren ihr aller Schicksal besiegelt wurde… Die Verzweiflung wächst. Jetzt suchen sie schon seit fast einer Stunde nach Mikey und haben noch immer keine Spur. Hoffnungslosigkeit macht sich in den Ninjas breit. Was ist, wenn ihm etwas passiert ist oder er sich wohlmöglich selbst etwas angetan hat? Das wäre einfach nur schrecklich und dennoch können sie keines von beidem ausschließen. Gehetzt scannen die braunen Augen des Tüftlers die Gegend. Suchen nach dem kleinsten Hinweis. Doch wie soll man zwischen all den Trümmern überhaupt etwas finden? Er weiß ja nicht einmal, wo Mikey hingehen würde. Nichts, was dem Jungen einmal begeistert hat oder ihm Sicherheit versprach, existiert mehr. Und was damals für ihn infrage kam, muss ihn heute nicht mehr interessieren. Das macht die ganze Sache irgendwie sinnlos. „Denk nach, Donnie…“, versucht er sich selbst anzutreiben, doch wirklich zu nutzen scheint es nichts. Das Einzige, was er jetzt findet, ist der Park, indem sie vor so vielen Jahren hätten sterben sollen. Schmerzlich zieht sich bei diesem Gedanken sein Herz zusammen. Schnell wendet er den Blick wieder ab und will eine andere Richtung einschlagen, nur schnell weg von hier. Doch zwischen all der wintersteifen Flora sieht er etwas im Augenwinkel. Zuerst hält er es nur für Müll und will schon gehen, doch irgendetwas in ihm drängt ihn dazu, das Ganze näher zu betrachten. Und das ist wohl unglaubliches Glück. Denn dort auf dem festgefrorenen Sand liegt Mikey! Der Stabträger traut seinen Augen kaum. Schnell läuft er hinüber und geht neben dem Jungen auf die Knie. Routiniert sucht er den Plus und kontrolliert die Atmung. Erleichtert seufzt er auf, als er feststellt, dass sein Babybruder nur bewusstlos ist. Vorsichtig dreht er ihn auf den Rücken und gibt dann Leo seinen Standort durch. Der Schwertkämpfer braucht auch nicht lange, um zu den beiden zu finden. „Was ist mit ihm, geht es ihm gut?“, ruft er dem Tüftler schon von Weitem zu. „Ja, alles soweit in Ordnung. Er ist nur Ohnmächtig.“ Etwas beruhigter geht der Leader neben den beiden auf die Knie. Sanft streicht er Mikey ein paar Strähnen aus der Stirn. In seinem Gesicht schlagen sich so viele Vorwürfe nieder, dass er krampfhaft die Fäuste ballt. Fest legt Donnie ihm eine Hand auf die Schulter. „Hey, das ist nicht deine Schuld, Leo und das weißt du auch.“ „Mag schon sein, aber vielleicht hätte ich es verhindern können…“ Einen Augenblick sitzen sie schweigend nebeneinander, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Dann beginnt sich Mikey plötzlich zu regen. Flatternd öffnen sich seine Augen und er lässt seinen Blick vollkommen desorientiert umherschweifen. „Alles in Ordnung, Mikey?“, dringt eine bekannte Stimme an sein Ohr. Mit schmerzlichem Keuchen richtet sich der Junge in eine sitzende Position auf und reibt sich die pochenden Schläfen. „Leo? Was ist passiert? Haben wir den Krieg gewonnen?“, fragt er mühsam und wendet den Blick zur Seite. Doch was er dort sieht, scheint nicht sein ältester Bruder zu sein und irgendwie aber doch. Irritiert starrt er den schwarzhaarigen Mann neben sich an. „Leo, bist du das?“ Der Mann schenkt ihm ein sanftes Lächeln, hinter dem unendlich viel Traurigkeit steckt. „Ja, Mikey. Ich bin es wirklich und ja, der Krieg ist zu Ende, schon seit sehr langer Zeit…“ Immer mehr Verwirrung legt sich in den Blick des Blonden. „Aber was ist denn passiert? Du siehst so anders aus…“ „Ich weiß nicht recht wie ich dir das sagen soll. Aber der Krieg ist seit über zehn Jahren vorbei und seitdem hat sich sehr viel verändert…“ Hilflos wendet der Schwertkämpfer seinen Blick zu Donnie. Unweigerlich folgen Mikey´s Augen dieser Richtung. Als sie erblicken, was auch mit Donatello passiert ist, steigert sich seine Verwirrung nur noch mehr. „Donnie? – Sagest du gerade, der Krieg ist schon seit zehn Jahren vorbei? Aber wie ist das möglich, wir haben doch gerade noch…“ Weiter kommt Michelangelo nicht, da jagt ein stechender Schmerz durch seinen völlig überforderten Kopf. Gequält presst er sich wieder die Hände gegen die Schläfen und wimmert hilflos. Beruhigend streicht der Tüftler ihm über den Rücken. „Alles ist gut, Mikey. Tief durchatmen. – Wir haben den Krieg gewonnen, Shredder ist tot. Doch du wurdest von Baxters Strahlenkanone getroffen und irgendwie eingefroren oder so ähnlich. Jedenfalls bist du nicht älter geworden, wir aber schon. Du hattest dein Gedächtnis verloren, doch jetzt scheinst du wieder du selbst zu sein.“, versucht der Brünette ihm zu erklären. Mikey versteht nicht wirklich viel davon, doch es klingt irgendwie logisch.“ „Okay… Aber wenn Shredder tot ist, warum trage ich dann eine Foot-Uniform?“, bricht Mikey nun heraus. Etwas überfordert blicken sich die beiden Älteren an. Was sollen sie tun? Mikey die Wahrheit sagen, dass er unter dem neuen Shredder gedient hat und dass dieser auch noch sein heißgeliebter Bruder ist? Nein, das wäre wohl etwas zu viel des Guten. Also entscheiden sie sich für einen anderen Weg. Langsam erhebt sich Leo und zieht Mikey auf die Füße. „Wie schon gesagt, ist der Krieg schon sehr lange zu Ende und seither ist viel passiert. Wir wissen nicht alles, doch wir werden versuchen, dir all deine Fragen zu beantworten.“ Donnie erhebt sich ebenfalls und gemeinsam machen sie sich auf den Rückweg. „Splinter, Leo und ich sind nach dem Kampf mit Shredder von dir und Raph getrennt worden. Viele Jahre haben wir in Brasilien verbracht und dort den Menschen geholfen, wieder ein normales Leben zu führen. Erst vor ein paar Tagen sind wir hier angekommen. Soweit wir aber wissen, bist auch du verschwunden und Raph ist allein hiergeblieben und hat versucht wieder etwas aufzubauen. Erst vor gut eineinhalb Jahren schien die Wirkung der Strahlenkanone, die dich getroffen hat, nachzulassen und du bist ohne Gedächtnis hier wiederaufgetaucht und hast Raph bei seiner Arbeit geholfen.“ „Donnie hat Recht. Und warum du die Uniform trägst, wirst du merken, wenn wir angekommen sind.“ Sie erreichen den U-Bahntunnel und somit den geheimen Zugang zu den beiden Inseln. „Wo gehen wir denn hin?“, fragt Michelangelo unbehaglich. „North Brother Island.“, kommt es knapp von Leonardo. „Die beiden Inseln im East River dienten Shredder damals als Unterschlupf. Raph hat sie zu einer Zuflucht für die Überlebenden des Krieges gemacht.“, erläutert der Tüftler. Wenig später stehen sie vor dem ehemaligen Krankenhaus. Wegen der Kälte und der Tatsache, dass es bald dunkel wird, halten sich jedoch keine Menschen draußen auf. Aber durch die Fenster kann man sie bei ihrem geschäftigen Treiben beobachten. Alles wirkt warm und behaglich. Ein kleines Lächeln breitet sich auf Mikey´s Gesicht aus. Irgendwo tief in seinem Gedächtnis regt sich etwas, das ihm sagt, dass er diesen Ort hier kennt, doch er kann sie partu nicht erinnern. „Das hat wirklich Raph gemacht?“, fragt er stattdessen. „So ist es.“ Der Blonde kann es kaum glauben. Sein aufbrausender Bruder war nie ein besonderer Menschenfreund. Angesehen von seiner Familie fand er alle anderen Leute eher störend. Doch wie es scheint, ist Raphael im Laufe der Jahre sehr erwachsen geworden. „Du kannst dich vielleicht nicht mehr daran erinnern, aber du hast diesen Leuten viel geholfen. Und du hast auch Raph die Kraft gegeben, den Verlust seiner Familie zu verkraften.“ Der Nunchakuträger ringt sich ein schwaches Lächeln ab. „Das hört sich toll an und ich wünschte, ich könnte mich daran erinnern…“, traurig senkt er den Blick. Aufmunternd legt der Schwertkämpfer ihm die Hand auf die Schulter. „Vielleicht wirst du das ja irgendwann. Immerhin hast du dich ja jetzt auch daran erinnert, wer du wirklich bist.“ Gemächlich machen sie sich auf den Weg zur Nachbarinsel. Unbehagen breitet sich dabei in den beiden Älteren aus. Was ist, wenn Mikey beim Anblick von Raph all die Dinge wieder einfallen, die nicht zwischen ihnen sein sollten? Aber dieses Risiko müssen sie irgendwie eingehen, schließlich können sie die beiden ja nicht für den Rest ihres Lebens voneinander trennen. Aber auch in Michelangelo wächst das Unbehagen mit jedem Schritt. Hier auf dieser Insel ist der Geist von Shredder unglaublich präsent, wie eine Hand um den Hals, die einem langsam die Luft abdrückt. Von überall prangert einem das Foot-Symbol entgegen. Alles wirkt so kalt und steril, als wäre hier das komplette Gegenteil der Insel, die sie eben verlassen haben. Kaum zu glauben, dass sich Raphael hier zu schaffen gemacht hat und dennoch alles immer noch nach Shredder schreit. Irgendetwas ist hier ziemlich faul. Das Training für heute ist beendet und so kommen ihnen plötzlich jede Menge Foot-Ninja entgegen. Erschrocken drückt sich Mikey gegen Leo, der beruhigend einen Arm um den Jungen legt. Doch zu seiner Verwunderung reagieren die Foot gar nicht auf sie. Einige heben stattdessen grüßend die Hand oder lächeln ihm zu. Nun ist der Chaosninja vollends verwirrt. Hilfesuchend blickt er sich nach seinen Brüdern um. „Die Foot sind keine richtigen Foot mehr. Sie sind eher eine Art Rettungs- und Schutztruppe, die den Leuten hier hilft und aufpasst, dass der Frieden eingehalten wird. Du bist Teil dieser Truppe und trägst daher auch ihre Uniform. Warum Raph das nicht geändert hat, kann er dir vielleicht selbst erklären…“, versucht sich Donatello zu erklären. Schließlich erreichen sie den Thronsaal. Vor der Tür wartet bereits Splinter auf seine Söhne. Wenigstens etwas, dass Mikey fröhlich stimmt. „Vater!“, ruft er glücklich aus und wirft sich dem Mann in die Arme. „Oh, Michelangelo. Ich bin so froh, dass du wieder zu uns zurückgefunden hast…“ Die beiden Ninja gönnen ihnen einen Moment des tränenreichen Wiedersehens, ehe sie sich alle der großen Tür zuwenden. Laut klopft Leo an. Von drinnen ist schwach eine Antwort zu hören, doch sie klingt nicht sonderlich freundlich. Auf Mikey wirkt sie verbittert und wütend. Unweigerlich läuft ihm ein kalter Schauer über den Rücken und er ergreift unsicher Donnies Hand. Gemeinsam betreten die vier den Saal. Die Person, die dort auf dem Thron sitzt, trägt eindeutig die Rüstung des Tyrannen, doch der Helm steht neben ihr auf dem Boden. Auch wenn die Gestalt mit der Rüstung wirkt wie Shredder, so ist sie es eindeutig nicht. Langsam und vorsichtig erhebt sich Raph von seinem Platz, unsicher wie der jetzt reagieren soll und was die anderen Mikey wohlmöglich erzählt haben. Doch an Hand des Ausdrucks im Gesicht des Blonden, haben sie ihm nicht gesagt, dass Raph Shredders Platz eingenommen hat. „Raph – bist du – bist du – jetzt etwa Shredder?“, kommt es stockend von Mikey. „Ja und Nein…“, gibt der Rothaarige zurück und besieht sich seine Familie. In ihren Augen kann er lesen, dass er jetzt nichts Falsches sagen und seine Worte mit größtem Bedacht wählen sollte. Er schluckt schwer und zu seiner Überraschung hilft Leo ihm sogar. „Raph war es, der Shredder damals getötet hat. Und nach den Clanregeln hat er daher seinen Platz eingenommen…“ Immer noch überfordert wendet Mikey seinen Blick wieder zu Raph. „Ja, das stimmt. Doch ich bin nicht böse oder so. Ich habe einzig seinen Platz eingenommen und den Foot-Clan zu etwas Gutem umgekrempelt. Ich habe all das hier aufgebaut und unzähligen Menschen ein neues Zuhause gegeben. – All die Symbole und die Rüstung sind nur eine Art Hilfsmittel, um Kraft und Entschlossenheit zu signalisieren und den Leuten klarzumachen, dass der Terror jetzt ein Ende hat. Verstehst du?“, hilflos blickt er den Jüngeren an. Mikey grübelt eine ganze Weile nach. „Ja, ich denke schon. - Und ich denke, ich kann mich auch an einiges erinnern. – An das Training mit den Foot. – Und wie wir am Lagerfeuer auf dem Dach gesessen haben. – Doch da sind so viele Lücken, so viele Fragen, so vieles, das ich nicht verstehe…“ Sanft legt Splinter seinem Sohn die Hand auf die Schulter. „Das ist überhaupt nicht schlimm, Michelangelo. Jetzt, wo wir alle wieder zusammen sind und du dein Gedächtnis wiederhast, bin ich mir sicher, werden wir einen Weg finden, um dir all deine Fragen zu beantworten. Jetzt sind wir wieder eine Familie und immer für dich da.“ Aufmunternd lächelt der alte Mann ihn an. Langsam kommt Raphael zu den anderen hinüber. Auf dem kurzen Weg streift er sich die verhasste Rüstung ab und lässt sie Stück für Stück zu Boden poltern. Er hat seine Fehler eingesehen. Auch wenn sich Mikey nicht mehr an die Zeit erinnern kann, die sie zu zweit verbracht haben, so erinnert er sich jetzt wieder an die Zeit, die sie fast ein Leben lang geteilt haben und das ist weit mehr wert, als seine egoistischen Gefühle. Und vielleicht besteht ja die Möglichkeit dies eines Tages zu ändern, wieder eine innige Beziehung zu ihm aufzubauen, ohne Reue und ohne Geheimnisse. Es wird eine ganze Weile dauern, bis sie sich alle wieder blind vertrauen können, doch das ist egal. Voller Zufriedenheit schließen sie einander in die Arme und blicken in eine gemeinsame Zukunft im Zeichen der Schildkröte. Owari! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)